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Levin Schücking: Luther in Rom


Levin Schücking


Luther in Rom



Ich wollte nicht hunderttausend Gülden nehmen, daß ich Rom nicht gesehen hätte.

Dr. Martin Luther


1. elektronische Auflage, Basel 2014

verlag.bucher@gmail.com

1 Teil - Egino

1. Die Zeit

2. Der Herrscher

3. Der Glockengießer von Ulm

4. Parva domus; magna quies

5. Irmgard

6. Grübeleien einer Deutschen

7. In der Burg der Savelli

8. Dem Tode getraut

9. Der Schild der Hohenstaufen

10. Stanza della Segnatura

11. Das Bild der Kirche

12. Das Handwerksgeheimnis

13. Wie die Seelenpflanze wächst

14. Im Kloster

15. Der Exerzitienmeister

1. Die Zeit

Die Zeit unserer Erzählung ist das Jahr 1510.

In diesem Jahre war Luther, der Apostel der freien Innerlichkeit, siebenundzwanzig Jahre alt, und eben so alt war Rafael, der Apostel der freien Schönheit. Sie sind in einem Jahre geboren.

Und im Jahre 1510 sind sie einander in den Mauern der ewigen Stadt begegnet.

Die Zeit war nicht christlich und die unsere ist wenigstens auf dem Wege es zu werden, auf dem Wege zu erkennen, daß Christus der Apostel des Friedens, der Duldung und der Menschenliebe ist und daß sein Kultus in der Ausübung der Brüderlichkeit bestehen muß, welche Hand in Hand geht mit dem Erkennen, daß im letzten Grunde die Interessen aller Menschen solidarisch und gemeinsam sind.

Das Christentum ist die Aufhebung der Grenzen und Schranken. Die Menschen jener Zeit aber hatten noch hundertfache Grenzen und Schranken um sich liegen. Die enge Schranke war die Signatur des Lebens; die Welt war mit tausendfach sich durchzirkelnden Grenzen bedeckt – den Grenzen der Zunft und der »Geschlechter« innerhalb der Gemeinwesen, um welche wieder die Grenzen des weltlichen oder geistlichen Kleinstaats, dem sie angehörten, lagen; die Grenzen des Kleinstaats wurden wieder von den Grenzen des Stammesganzen und diese von denen des Reiches, der Nation, umschlossen. Nach Ort, nach Geburt, nach Sprache und nach Besitz oder nach der Abstufung eines größeren oder geringeren Rechts auf Leben, Genuß und Bewegung waren diese eingeschachtelten Menschen hundert- und tausendfach abgeteilt und von einander getrennt. Der allgemeinste und mächtigste Gedanke, welcher das Leben beherrschte, war ein gründlich dem Christentum widersprechender. Es war ein allgemeines Sichüberheben des einen über den anderen, ein allgemeines Sichbesserdünken. Es war der Stolz, der sich breit machte bald in der gewalttätigsten Handlung, bald in der grausamsten Geltendmachung des Vorrechts.

Wir haben diese Schranken überwunden. Es gibt für uns auch nicht mehr zwei Welten, eine helle und sonnige und eine dunkle und kalte; eine Oberwelt und eine Unterwelt, eine Welt der Gewalt und eine Welt des Leids; jene für die Berechtigten, zum Genuß Geborenen, und diese für die Rechtlosen, Duldenden.

Da liegt der Unterschied zwischen damals und heute. Der Kampf, den die Menschen von 1510 unter einem egoistischen Banner um ihre freie Selbstbestimmung führten, konnte deshalb mit einer Niederlage enden, und in die furchtbare Reaktion am Ende des sechzehnten und im siebzehnten Jahrhundert auslaufen.

Der Kampf, den unsere Zeit unter dem christlichen Banner der Humanität, die gleiches Recht für alle, Sonne und Licht für alle, für die Hochgeborenen sowohl wie für den armen Konrad verlangt, kann nicht mehr mit einer Niederlage enden. Sie hat das siegverbürgende Zeichen: in hoc signo vinces. Dies Zeichen ist nicht zu überwältigen, es ist ewig, weil es das Symbol des Teiles ist, den die Menschennatur am Ewigen hat.

2. Der Herrscher

Der erste große Sieger in dem Kampfe um die Reformation der Gewalten, den das sechzehnte Jahrhundert erhob, war ein armer deutscher Mönch, eine große und mächtige Natur, in dem ein genialer Verstand, ein bewundernswürdiger Mut und ein tiefes deutsches Gemüt sich begegneten. Er forderte das Recht der Glaubensfreiheit für sein Volk, sein gesamtes unterdrücktes Volk zurück; und dieses humane Element in seinem Kampfe hat ihm den Ausschlag gegeben.

Wie viel hat zu dieser Seite seines Wirkens der Umstand beigetragen, daß er selbst den Sitz der Unterdrückung seines Vaterlandes kennen lernte?

Die Bücher der Geschichte geben uns wenig Andeutungen darüber. So bleibt unsern Gedanken aller Spielraum, um diese Lücke auszufüllen; unsrer Teilnahme für seine Gestalt bleibt die Freiheit ihn mit dem Herzen intuitiv auf seinen Wegen durch den Ort zu begleiten, wo in ihm der Drang entstehen oder doch zum Entschlusse reifen mußte das große Werk zu versuchen, das, wenn es auch ohne seine Schuld nur halb gelang, doch ein ganzes war. Denn seine Hand grub das Bett, in welchem in den Jahrhunderten nach ihm der Menschengeist dahinströmte, bis dieser Strom höher und höher schwoll und endlich übertretend den Boden Europas zu dem großen fruchtbaren Ackerfeld machte, in dem die Gedankenfreiheit unsrer großen Männer keimen und aufgehen konnte, um die Welt zu ernähren, bis ihr das Mark der Tat gekommen. –

Es ist nur vorauszusenden, daß um 1510 die Menschheit eben das Schauspiel der Regierung Alexander Borgias gehabt hatte, und daß jetzt auf dem höchsten Throne der Christenheit Papst Julius II. aus dem Hause Della Rovere saß, ein Mann, der mit seinem Vorgänger verglichen uns Achtung einflößt, wenn auch Ludwig XII. von Frankreich empört wider ihn sein: Perdam Babilonis nomen auf Münzen schlagen ließ.

Papst Julius war ein starker, willenskräftiger, zorniger, in seinen Mitteln nicht wählerischer Charakter. Er war ganz geschaffen das Werk der vollständigen Verweltlichung seiner geistlichen Gewalt und Würde, das die Weltlage dem Papsttum aufgedrungen, das die Sixtus IV. und Alexander VI. begonnen, glorreich durchzuführen. Seine Natur war die eines klugen und tapferen Soldaten; er hatte die Ehrlichkeit eines Soldaten, wenn er nicht für Angehörige und Nepoten und sein Haus, sondern einzig für die Kirche eroberte und abrundete, bis er von Piacenza bis Terracina herrschte, und so zugleich den Ehrgeiz sättigte, den seine Zeitgenossen ihm vorwarfen, wenn sie sagten, er wolle der »Herr und Meister des Spieles der Welt« sein.

Julius II. gründete den Staat der Kirche. Sein Nachfolger, der Medicäer Leo X. baute diesem Staate die Hauptstadt aus. Unter ihm gestaltete sich im Trümmerwust alter Zerstörung, aus dem sich die Bauten und Schöpfungen Julius II. noch oft wie Inseln erhoben, das heutige neue Rom.

3. Der Glockengießer von Ulm

An einem Vormittag in den ersten Tagen des Maimonats jenes Jahres 1510 ritt ein stattlich gebauter, aber noch junger Mann unfern von Rom, an der Nordseite der Stadt, einen steinigen Pfad hinauf, der zwischen alten und zerbröckelnden Weinbergmauern hinführte.

Es war in der Gegend jenes kleinen gemauerten Tunnels, den man Arco Oscuro nennt.

Der Reiter trug einen schwarzen, mit dunkelroter Seide gefütterten Rock und an seinem schwarzen Samtbarett die lange weiße Straußenfeder links, was ihn als Ghibellinen erkennen ließ; denn was Guelfe war, trug sie rechts. Auf seiner Brust glänzte ein goldenes Kleinod, das von einer goldenen Kette niederhing; und da er zu jung schien, um eine solche Gnadenkette als einen fürstlichen Lohn für seine Verdienste im Krieg oder Frieden erlangt zu haben, so mußte er sie seiner hohen Geburt verdanken. In der weit über die Knöchel hinauf behandschuhten Rechten schwang er eine weiße Reitgerte und an seiner linken Seite nieder hing ein langes Rappier mit einem großen schützenden Korbe, dessen Bügel eine fein ziselierte Arbeit zeigte.

Der junge, etwa fünfundzwanzig Jahre zählende Mann war ein deutscher Fürstensohn. Er hieß Egino von Ortenburg; sein älterer Bruder war der regierende Graf in dem kleinen deutschen Reichslande, in welchem der junge Reiter daheim war, und er selbst nach Rom gesendet, um dort eine Angelegenheit seines Hauses zu betreiben.

Der Weg, den er auf seinem Spazierritte verfolgte, lief über den Kamm der Bodenerhebung, welche sein Pferd eben überschritt, weiter, um abwärts in ein freies Gelände auszumünden, in ein Stück der Campagna, durch das man in der Entfernung von fünf Minuten oder wenig mehr den jetzt wasserreichen und bis an seinen Uferrand vollgeschwellten Tiber erblickte. Doch eine gute Strecke noch bevor der Reiter den Fluß erreichte, kam er an jene unter hohen alten Bäumen liegende ummauerte Quelle, die von dem mineralhaltigen Wasser den Namen Aqua Acetosa führt.

Unter dem Schatten der Bäume an dieser Quelle traf er drei Wesen an, über die er lässig seine Blicke hinschweifen ließ, Blicke von jener flüchtigen Art, die sehen und doch nicht wahrnehmen. Schenken wir, während der junge Mann so teilnahmslos weiterreitet, dieser Gruppe die Aufmerksamkeit, die sie ihm nicht abzugewinnen vermag.

Sie befand sich jenseits einer niederen, etwa drei Fuß hohen Mauer, welche den Bering der Quelle umfaßte und bestand aus einem jungen Burschen, einem alten Mann und einem alten Esel.

Des alten Esels hätten wir zuerst erwähnen müssen. Denn dieses Mitglied der kleinen Familie trug einen Saumsattel und an jeder Seite desselben zwei große mit Habseligkeiten vollgepackte Körbe. Dem Bürdenträger aber, dem von allen Belasteten, dem Sorgenträger, dem Packesel in einer Familie sollte in jeglicher Weise der Vorrang gebühren.

Der alte Mann war wie der Esel klein und sehr häßlich. Obendrein war er sehr verwachsen. Er hatte eine Nase in seinem rotbraunen Gesicht, die den Ehrgeiz gehabt zu haben schien, an jeder Stelle eben so schnell anzukommen, wie der weit vorgewölbte Brusthöcker unter ihr ankam, und so war sie sehr, sehr weit in die Luft hinausgewachsen. Sie drückte, wenn sie anders echt und nicht, was man hätte denken können, von Pappe war, außerordentliche Tatkraft aus, und auch das vorgeschobene Kinn tat das; aber die kleinen graugrünen Augen zerstörten diesen Eindruck, sie hatten etwas außerordentlich Unstetes und Scheues, sie machten diesen Mann mit der Nußknackerfigur noch abschreckender.

Der junge Bursche hatte krauses blondes Haar, ein von Sonne und Staub gebräuntes oder mehr gelb gewordenes Gesicht, das vielleicht nur gewaschen zu werden brauchte, um es zu einem recht hübschen Knabenantlitz zu machen; wenn die ziemlich fein geschnittenen Züge auch unregelmäßig und ein wenig ineinandergedrückt, nicht in großen und einfachen Linien entwickelt waren. Er hatte das Haar sorgsam gescheitelt; dies und die auffallend sanften blauen Augen gaben ihm etwas Mädchenhaftes.

Als der Reiter an der Umfassungsmauer des Quells vorüberritt, hinter welcher die Gruppe sich befand, scheute sein Pferd – vielleicht vor der Häßlichkeit des Mannes; es machte einen Seitensprung und dabei fiel ein Gegenstand klirrend zu Boden.

Graf Egino beruhigte das Tier, indem er die Zügel verkürzte und es zusammennahm; dann, auf den Boden blickend und mit seiner Reitgerte darauf deutend, rief er in italienischer Sprache dem Jungen zu:

»Du da, komm und nimm mir das auf!«

Es war eine kleine länglich viereckige Silberplatte, auf die er hindeutete; sie war von dem mit solchen Plättchen belegten Zaume seines Pferdes abgesprungen und bei der heftigen Bewegung desselben fortgeschleudert worden.

Der junge Mensch sah ihn an, ohne sich zu rühren.

Der Reiter lenkte sein Pferd dicht an die Mauer und seine Gerte schwingend, rief er noch einmal:

»He, Schlingel, rühr' dich und heb mir das Stück Metall auf!«

»Ich will nicht!« sagte der Bursche, die Brauen zornig zusammenziehend und den Reiter vollständig ruhig anblickend.

Im selben Augenblicke fuhr die Reitgerte nieder – der Schlag war auf das Gesicht des Knaben gezielt; eine rasche Kopfbewegung desselben machte, daß er nur die linke Schulter traf.

Der Bucklige hatte bisher nur mit einer gewissen Apathie, den Kopf über seine Achsel gewendet, dem, was vorging, zugesehen; jetzt fuhr er mit der Plötzlichkeit einer Heuschrecke in die Höhe und schwang sich mit einer wunderbaren Behendigkeit auf den Rücken der Mauer; mit derselben Behendigkeit war eine furchtbar große und kräftige, auf der oberen Fläche dunkel behaarte Faust in die Zügel des Pferdes gefahren und hielt sie wie mit eisernem Griffe. Das Pferd setzte zum Steigen an; die Faust hielt es wie eine Klammer am Boden nieder; der Reiter aber sah mit einem offenbaren Erschrecken in das Gesicht des buckligen Wesens auf der Mauer vor ihm – dies durch Zorn und Rachedurst entstellte Gesicht hatte etwas von einem nicht menschlichen Ungeheuer, und eine übermenschliche Kraft schien ja auch in der Hand zu liegen, die sich nach dem Reiter ausstreckte, um ihn vom Pferde zu reißen.

Dies wäre wahrscheinlich auch geschehen, obwohl sich Egino zurückwarf und mit der Rechten nach seinem Degenkorb fuhr, wenn nicht der Knabe, seine rechte Hand auf die getroffene Schulter drückend, ausgerufen hätte:

»Laßt ihn, Ohm, laßt ihn, stellt kein Unglück an!«

Der Knabe rief dies in deutscher Sprache. Das erzürnte Ungetüm aber schien an einen willenlosen Gehorsam gegen den jungen Menschen gewöhnt; es ließ den Zügel fahren und lachte nun dem Reiter grinsend ins Gesicht, ein Lachen, das etwas Verrücktes hatte, wenn es nicht sagen sollte:

»Sieh, ich könnte dich erwürgen und zerbrechen, wenn ich wollte!« und nur die Freude über diese Überlegenheit an Kraft ausdrückte.

Graf Egino beruhigte sein Pferd.

Dann sagte er, ebenfalls in deutscher Sprache:

»Ihr seid Deutsche, Landsleute? Nun, dann tuts mir leid, daß ich Dich geschlagen habe, mein Junge, wie einen nichtsnutzigen römischen Ragazzo, für den ich Dich hielt. Du hättest mir aber auch mit ein wenig Freundlichkeit und sehr wenig Mühe die Last sparen können abzusteigen.«

»Das hätt' ich auch getan«, antwortete zu deutsch der junge Mensch, »hättet Ihr mich anständig darum gebeten. Jetzt freut's mich, daß ich's nicht getan, wenn Ihr auch ein Deutscher seid; denn Euer rohes Benehmen beweist, daß Ihr eine noch so geringe Gefälligkeit auch von Landsleuten nicht verdient.«

Egino sah den Knaben betroffen an; sein Auge glitt wie forschend über die schlanke weiche Gestalt im einfachen schwarzen Tuchrock. Dann antwortete er mit einem Tone gutmütigen Scheltens:

»Nun, nun, nichts für ungut; ist bei mir die Hand vorschnell, so ist's bei Dir die Zunge, Bursche. Schließen wir Frieden und machen's beide wieder gut, ich mit der Hand den Schlag, Du mit der Zunge Dein Schelten – da ist meine Hand!«

Er reichte, sich niederbeugend, dem Knaben die Rechte.

Dieser nahm sie und sagte versöhnt:

»Ich bin's zufrieden und will auch nächstens, wenn Ihr mich nur hübsch darum bittet, aufheben, was Ihr verloren habt....«

»Was ich verloren habe«, fiel Egino mit einem flüchtigen Lächeln ein, »von dem wirst Du wenig aufzuheben finden... man verliert mancherlei gute Dinge freilich auf dem Wege vom zwanzigsten zum dreißigsten Jahre, besonders wenn dieser Weg über Rom führt! Aber sind sie verloren, so sind sie nicht wiederzufinden.«

»Es wird doch weder Euer Kopf, noch Euer Herz, weder Euer Ruf, noch Euer Mut unter den Dingen sein, die Ihr verloren habt!«

»Zum Teufel«, sagte Egino, diesmal mit wahrer Überraschung in die sanften, sprechenden Augen des Knaben blickend, »Du hast wenigstens einen frühreifen Mutterwitz auf dem Wege aus Deutschland hieher nicht verloren. Es wundert mich nur, daß Du damit Dich hieher auf die Strümpfe gemacht hast ... der deutsche Mutterwitz und die deutsche Klugheit stehen hier nicht sehr im Preise, deutsche Dinge überhaupt nicht, es wäre denn das deutsche Geld.«

»Mit deutschem Gelde kommen wir eben auch!« versetzte der junge Mensch wie mit ruhigem Selbstbewußtsein.

»Mit deutschem Gelde?«

Der Bucklige, der unterdes von der Mauer niedergeglitten war, seine beiden Ellbogen darauf gestemmt hatte und auf diese den Kopf, um so mit einem stillen und zufriedenen Grinsen den Reiter an der andern Seite der Mauer anzustieren, fuhr jetzt plötzlich zu seinem jungen Begleiter herum.

»Irmgard!« rief er verweisend mit einer barschen, grollenden Stimme.

»Seid still, Ohm, ich weiß, was ich sage.«

»Irmgard?« rief der Reiter verwundert und gedehnt.

»So nenne ich mich«, sagte Irmgard offen.

»So nennst Du Dich«, entgegnete Egino lächelnd, »und ich, ich nenne mich einen Dummkopf, daß ich's nicht gleich sah, daß Du ein Mädchen bist; ich hätt's Dir an den Augen ansehen können. Nun tut's mir doppelt leid, daß ich Dich geschlagen habe.«

»Mir nicht.«

»Dir nicht? Weshalb nicht?«

»Weil es ein rohes Unrecht war, das Ihr beginget, und weil Ihr als ein ehrlicher deutscher Mann es nun gutzumachen suchen müßt. Und das ist just, was uns dienen kann, dem armen, dummen, häßlichen, lieben Ohm Kraps da und mir. Wir kommen schutzlos und allein – der Ohm hat's so gewollt – in dies fremde Land, unter fremde Menschen, die mir, je mehr ich von ihnen sehe, desto weniger gefallen; und da müssen wir den Himmel segnen, wenn wir jemanden finden, der uns nun raten und zu Hilfe kommen muß!«

Egino sah das junge Mädchen eine Weile schweigend an, dann schwang er sich aus dem Sattel, band sein Pferd an einen der nächsten Weidenbäume und nun setzte er sich auf die Mauer, verschlang die Arme auf der Brust, und während Irmgard sich von der inneren Seite her an die Mauer lehnte, sagte er:

»Du hast auch darin recht. Ich bin auch bereit Euch mit Hilfe und Rat beizustehen, wenn Ihr ihrer hier bedürft; freilich vermag ich selber nicht viel hier und bin ein Fremder, aber ich bin der Graf Egino von Ortenburg, kenne die Stadt, welche ihr betreten werdet, seit Wochen und jedenfalls habe ich mehr Freunde darin als Ihr. Also sprich, was kann ich für Euch tun?«

Irmgard schien durch die Mitteilung des jungen Mannes, daß er solch ein vornehmer Herr, durchaus nicht betroffen zu sein. Hatte sie es an seinem Wesen sogleich erkannt oder hatte die weite Wanderung sie davon entwöhnt sich über etwas verwundert zu zeigen – oder lag das in ihrem Charakter, der sich überhaupt durch ein eigentümlich gehaltenes und ruhiges Wesen aussprach? Sie antwortete nur:

»Wir sind nicht so vornehm. Wir sind aus Ulm daheim. Mein Ohm Kraps ist ein Glockengießer. Er ist sehr geschickt in seiner Kunst. Er kann auch Geschütze gießen, Schlangen, Falconette und andere Rohre. Und er hat viel Geld dabei verdient. Das hat er gespart und dann hat er noch eine Erbschaft dazu gemacht ...«

»Ja, ja eine Erbschaft!« sagte hier Ohm Kraps mit einem wunderbaren schlauen Lachen, das er noch still in sich hinein fortsetzte, als Irmgard schon längst weiter redete.

»Ich bin«, sagte sie, »eine Waise, des Ohms Schwestertochter. Er hat mich bei sich aufgenommen; als ich größer wurde, hab ich ihn gepflegt und seinen Haushalt besorgt. Dafür, war immer sein Reden, werde er mich in die Welt führen, sobald ich erwachsen sei. Er führte immer solch ein Gerede von Reisen und in die Welt gehen. Er mochte nicht in Ulm sein, es war ihm wie verleidet seit Jahren. Wenn die Glocken reisen, kann ich auch reisen, sagte er. Am Donnerstag in der letzten Karwoche sagte er: Heute nacht fliegen die Glocken, die ich gegossen habe, nach Rom, da tauft sie der Papst. Wenn das Frühjahr kommt, will ich auch nach Rom. Mich treibt es fort mit Gewalt.

Nichts hält mich mehr, Irmgard; ich will sehen, was die Glocken in der nächsten Karwoche in Rom machen. Du wirst mit mir gehen. Wir wollen einen Esel kaufen, einen Esel und einen Saumsattel mit zwei Tragkörben. Er wird unsere Sachen und mein Geld tragen. Mit dem Gelde will ich in Rom ein Herr werden, so gut wie der Stadtschreiber und der Syndikus von Ulm sind. Mit Geld kann man in Rom ein Herr werden und das will ich werden. Sie haben mich hier lange genug den krummen Silberdieb, den Speiteufel genannt; lange genug hat jeder, der mich sah, getan, als koste es ihm als Eintrittsgeld mich ansehen zu dürfen, einen Spaß; er müßt's mit einem neuen Witz- oder Spott- oder Schimpfwort auf meine Gestalt wett machen. Lange genug, Irmgard und ich hab's satt. Nun, da Du groß und erwachsen bist, will ich fort. Ich will ihnen keine Glocken mehr gießen. Die ich gegossen habe, reichen hin, um sie alle zu Grabe oder als arme Sünder zum Galgen zu läuten, wohin sie gehen mögen! Ich will ein Herr werden. In Rom. Da kann man's. Der Stadtpropst hat's mir gesagt. Man bekommt ein großes lateinisches Pergament darüber und einen Titel und eine blaue Schaube mit einem breiten silbernen Bord rund herum, oder auch eine rote mit einem goldenen, und dazu bekommt man jährlich so viel, daß man reichlich seine Lebsucht hat. Nicht wahr, Ohm, so habt Ihr gesagt?«

Ohm Kraps nickte vergnügt mit dem Kopfe.

»So habe ich gesagt«, antwortete er. »So war es, Irmgard. Ich will aber lieber die rote Schaube. Wenn mein Geld für die rote langt, so will ich lieber die rote.«

Egino schüttelte verwundert über die seltsamen Waller den Kopf.

»Und was wollt Ihr denn werden?« wendete er sich an den Glockengießer. »Präsident der Getreide-Kommission, Sekretär der Breven oder Inspektor der Maut; Assessor des Salzkollegiums, Türsteher, Jannicer, Abbreviator des Papstes ... Ihr könnt freilich das alles werden, falls Ihr ein so reicher Mann seid ... und Deutsche gibt es genug unter all diesen Leuten – aus aller Herren Länder sind sie und vorab Deutsche. Papst Julius hat eben begonnen hundert neue Schreiber des Archivs zu ernennen; genügt Euch so etwas, so habt Ihr nur siebenhundertfünfzig Scudi dem Thesaurar des Papstes zu zahlen ...«

»Siehst Du, Irmgard, siehst Du?« wendete sich mit dem ganzen Gesicht lachend Ohm Kraps an das junge Mädchen. »Just so hat's der Stadtpropst gesagt; er hat mich nicht belogen, wie Du immer glaubtest. Und ein treffliches Zeugnis über meine Kunst und meine gute Lebensart und meinen erbaulichen Wandel all mein Lebzeiten hat er mir mitgegeben und nun will ich damit zum ... Wie nanntet Ihr den Mann, Herr?«

»Den Thesaurar Sr. Heiligkeit ...«

»Thesaurar des Papstes gehen ... Zäume den Esel auf, Irmgard. Der Stadtpropst hat mich nicht belogen. Zäume den Esel auf, Kind, wir wollen nun weiter.«

»Dann will ich dem Stadtpropst Abbitte tun«, sagte Irmgard; »ich habe immer die Sorge gehabt, er habe Euch just so gut zum Besten, wie die ganze Stadt glaubte Euch zum Besten haben zu dürfen.«

Damit wendete sie sich, um den am Boden liegenden Zaum des Esels aufzunehmen und dem Tiere überzuwerfen.

Graf Egino hatte unterdes seine Augen von dem Ohm auf die Nichte und von dieser wieder auf den Ohm gleiten lassen. Jetzt folgten seine Blicke den ruhigen und anmutigen Bewegungen Irmgards und dabei sagte er:

»Aber Ihr habt nur erst die Hälfte Eurer Geschichte erzählt, und wenn ich hier in Rom Euer Freund und Berater sein soll, so muß ich sie doch ganz wissen. Habt Ihr um der Sicherheit auf der Wegfahrt willen dies Knabengewand angelegt, Irmgard?«

»Es war ja nicht anders tunlich«, versetzte sie, von der Beschäftigung mit dem Tiere sich halb zu ihm zurückwendend. »Wir mußten, um immer sichere Herberge zu finden, von Kloster zu Kloster ziehen; ein Mädchen hätten die frommen Väter, die uns Obdach und Mahlzeiten gewährten, in ihre Klausur nicht aufgenommen; und hätten wir deshalb um ein Nachtlager an ein Nonnenkloster geklopft, so würden die Nönnchen wohl ein großes Geschrei beim Anblicke dieses armen Ohms erhoben und ihn fortgewiesen haben, obwohl er doch gar nicht verführerisch aussieht. So mußte schon einer von uns sein Geschlecht wechseln, und da Ohm Kraps«, setzte Irmgard mit einem schelmischen Lächeln hinzu, »keine Naturanlage zeigte ein reputierliches Frauenbild zu werden, so mußte ich schon ein Knabe werden.«

»Und ein ganz hübscher dazu!« sagte Graf Egino, immer mehr von dieser Erscheinung angezogen, deren einfache Aufrichtigkeit und Offenheit etwas um so Gefallenderes für ihn hatte, je mehr sie in Kontrast standen mit dem ganzen Wesen der Welt, in der er seit Monden gelebt.

»Wollt Ihr jetzt wirklich aufbrechen?« fuhr er fort. »Drängt es den Ohm Kraps so sehr sich in der blauen oder roten Schaube zu sehen?«

»Ihr seht es«, antwortete Irmgard lächelnd. »Wir werden in die deutsche Wallfahrer-Herberge einkehren – die guten Mönche in Baccano, wo wir zur Nacht waren, haben uns die Lage beschrieben, und so werden wir wohl hinfinden; der Ohm Kraps findet überall Weg und Steg.«

»Wohl denn«, versetzte Graf Egino, »ich will dahin kommen nach Euch zu sehen. Und wenn Ihr meiner bedürft, findet Ihr mich im Albergo del Drago, in der Via della Mercede, an San Sivestro – könnt Ihr Euch das einprägen?«

»O ja ... Albergo del Drago – Via della Mercede, an San Silvestro«, wiederholte das Mädchen ... »ich finde mich schon hin, wenn uns etwas zustoßen sollte, was den Ohm und mich zwänge, um Rat zu Euch zu gehen. Auf dem Wege hieher haben wir zu welschen gelernt, der Ohm und ich, daß Ihr Eure Freude daran hättet, Graf Egon ...«

»Egino ... Graf Egino von Ortenburg ...«

»Graf Egino von Ortenburg ... und nun gehabt Euch wohl ... Euer Roß wird ungeduldig darüber, daß Ihr an uns geringe Leute so viel Zeit verwendet – es ist hochmütiger als sein Herr, scheint es!«

»Das ist leicht möglich, wenn der Herr ein so bescheidener Gesell«, lachte Graf Egino, reichte Irmgard noch einmal die Hand, nickte dem grinsenden Glockengießer zu und wendete sich sein Roß wieder zu besteigen.

Als er sich aufgeschwungen und weitergeritten, blickte er noch ein paarmal auf seine neuen Bekannten aus der Heimat zurück und sah, wie sie aufbrachen. Irmgard schritt vorauf, der Esel folgte, zuletzt kam mit wegwunden Füßen humpelnd Ohm Kraps. So zogen sie der ewigen Stadt zu.

»Ein paar seltsame Klienten, die ich mir da gewonnen habe«, sagte sich Graf Egino endlich »gewonnen durch einen Hieb meiner Reitgerte!«

»Wunderlich«, fuhr er dann, als sie aus seinem Gesichtskreise verschwunden waren, fort, »es ist mir seitdem zu Mute, als stände mir das Mädchen, diese aufrichtige Irmgard, dadurch bereits wie eine alte Bekannte nahe, als wäre seitdem zwischen meinem und ihrem Gemüt etwas, das uns näher verbände, das Band einer Verpflichtung gegen sie; oder gar das einer alten Freundschaft – oder ... nun, mag es sein, was es will, ich werde tun für sie, was ich kann. Dieser alte Glockengießer will sich einen Titel und das Recht in einem stattlichen Ehrenkleide umherzugehen, kaufen! Als ob ihm die Gassenbuben darum weniger: Ecco Pasquino nachrufen würden, wenn er auch zehnmal das Recht hat sich Signor Segretario oder Signor Abbreviatore nennen zu lassen!«

Daran, daß Ohm Kraps sich bald solch ein Recht gewinnen würde, zweifelte also auch Graf Egino nicht. Und in der Tat, es war damals in Rom unschwer zu erlangen.

Eine wunderliche Methode Staatsanlehen aufzunehmen, hatten die Päpste seit Sixtus IV. eingeführt. Unsere Staaten, wenn sie Geld bedürfen, geben Schuldverschreibungen mit Zinskoupons aus. Das kanonische Recht aber verbot es Zinsen zu nehmen und zu geben. Die Päpste gaben statt der Schuldverschreibung ein Pergament, das einen Titel, ein Amt mit allen seinen Privilegien verlieh. Das Gehalt repräsentierte den Zins der Ankaufsumme. So konnte man gegen Einzahlung einer bestimmten Anzahl Scudi nicht wie jetzt bloß der Gläubiger, sondern einer der unabsehbar zahllosen Beamten und Würdenträger des Staates werden.

Selbst solch eine Spottgeburt wie der Glockengießer von Ulm, vorausgesetzt, daß sein Edelmetall aus reinem Guß bestand, konnte zu diesen Ehren gelangen.

4. Parva domus; magna quies

Graf Egino hatte den Weg abwärts am Tiber entlang eingeschlagen; am Fuße der schroff sich erhebenden Tufsteinhöhen zu seiner Linken, ritt er auf dem schönen Rappen von edelster Zucht, der ihn trug, dahin. Rechts von ihm erhoben sich die Bogen der Milvischen, noch mit einem festen Turme gesicherten Brücke über den gelben Fluten, die geschwellt unter ihnen fortrauschten. Als er sie und damit den alten Flaminischen Weg erreicht hatte, folgte Egino, sich links wieder der Stadt zuwendend, diesem. Er war belebt von Fußgängern, von lässigen Burschen, die auf Eseln saßen, im Schatten eines über ihren Köpfen erfinderisch an dem Sattel aufgebauten dreieckigen Daches von alter schmutziger Leinewand; von Weibern mit Kindern an der Hand und langen Cannabündeln auf den Köpfen; von Pilgrimen, Reitern, von Bauern der Campagna, welche schwerfällige Büffel vor schwerfälligen Wagen führten und mit langen stachelbewehrten Stecken antrieben. Das alles lärmte, schrie und regte eine Wolke von Staub auf, der sich Egino nicht ausgesetzt haben würde, wenn sein nächstes Ziel nicht an dieser Via Flaminia gelegen hätte. Es war die Villa eines Freundes, die sich links hinter endlos langen Mauern erhob, welche den Weg begleiteten und ihn von den zur Seite liegenden Vignen und Gärten abtrennten. Die Villa lag etwa in der Mitte zwischen dem Ponte Molle und dem Flaminischen Tore; eine Fülle von blühenden Rosen hatte sich an der Stelle, wo sie begann, über den Mauerkamm geworfen. Zypressen und Lorbeerbäume erhoben dahinter ihr dunkles Grün und kündigten ein schattiges Asyl der Ruhe und des sommerlichen Stillebens an. Man konnte von dem heißen, hoch mit Staub bedeckten Boden der sonnigen, lärmerfüllten Straße nicht durch das graue schwere Bohlentor, an das Egino klopfte, in diesen grünen Bering eintreten, ohne durch ein tiefes Atemholen sein innerliches Erquicktsein und ein über alle Gefühlsnerven kommendes Behagen an den Tag zu legen.

Das Casino oder Wohnhaus der Villa stand im Hintergrunde, mit der Rückseite dicht an den steilen Höhenzug, der hier jäh abfallend das Tibertal beherrscht, gerückt. Es erhob sich zweistöckig über einer Terrasse; von dieser führte rechts eine Steintreppe auf eine offene kleine Säulenhalle oder »Pergola« hinauf, aus der man dann in den Hauptstock des kleinen Gebäudes trat.

Es war klein, das Ganze; am Fries über den oberen Fenstern, deren vier waren, stand die Inschrift:

Parva domus; magna quies.

Egino führte sein Pferd, als er in die Villa, die ihm ein alter Gärtner geöffnet, eingetreten, selbst in die beschränkte, eigentlich nur für ein paar Ziegen eingerichtete Stallung, die sich neben dem Tor an die innere Seite der Mauer lehnte. Dann schritt er zum Casino, schon von fern den zwei Personen winkend, welche er unter der Säulenhalle an einem Frühstückstische sitzen sah. Es war ein Mann und eine Frau. Jener erwiderte mit der Hand lebhaft seinen Gruß, die Frau trat an die Balustrade der kleinen Halle und rief ihm zu:

»Der heit're Morgen bringt willkommnen Gast.«

Egino eilte die Stufen zur Terrasse und zur Halle hinauf, um die befreundeten Hände zu schütteln, die sich ihm entgegenstreckten.

Er saß bald zwischen ihnen an dem mit Wein, Brot, Honig und Früchten besetzten Tische; die Dame kredenzte ihm das venezianische Flügelglas, das der Hausherr mit Monte-Pulciano gefüllt hatte, und bald war man inmitten einer lebhaften Unterhaltung, die eine Richtung nahm, um derentwillen man sie den geistigen Spiegel der Umgebung hätte nennen können.

In einer Säulenhalle, in deren Wände alte Bildhauer-Arbeiten, Überreste klassischer Kunst in kostbaren Fragmenten, eingemauert sind; in einer Villa, wo das Auge auf den immergrünen Wänden der Lorbeeren und Zypressen ruht, während springende Brunnen mit rastlosem Plätschern die Luft kühlen; auf einer Höhe, von der hinab man den gelben Tiber strömen und die Ruinen des heidnischen und die Basiliken des christlichen Rom vor sich schaut – an einer solchen Stelle, zwischen geschätzten und verehrten Menschen, deren Seelen wir lieben, weil sie uns gleichgeartete Seelen sind, kann nur ein Gedankenaustausch entstehen, der etwas von derselben Schönheit spiegelt, welche ihren Zauber auf die Umgebung gebreitet hat.

»Magna quies« sagte Egino, »habt Ihr selbst das oder etwa Euer Vorgänger im Besitz an die Front Eures Hauses geschrieben, Signor Callisto?«

»Ich ... nachdem ich mein Weib in dies Haus geführt!« antwortete Signor Callisto, ein fein gebauter Mann in den Dreißigern mit intelligenten Zügen und einem Munde, um den ein spöttisches Lächeln zuckte, wenn er nicht gerade, die Augen halb wie träumerisch geschlossen, seine Blicke in die Ferne schweifen ließ.

»Euer Gatte«, wendete sich Egino an die junge und schöne Frau, die in ihrem leichten Morgengewande das Bild einer stattlichen und vornehmen Römerin darstellte, nur zarter, kleiner, und auch anmutiger, wie der gewöhnliche Typus der römischen Schönheit ist ... »Euer Gatte spricht ein großes Lob für Euch aus, Donna Ottavia, wenn ich anders Quies mit Frieden übersetzen darf!«

»Ihr versteht sein spöttisches Lächeln schlecht, Signor Conte Gino«, versetzte Donna Ottavia, »wenn Ihr es als ein Lob für mich auslegt. Es ist nichts als ein Epigramm auf mich.«

»Ein Epigramm? Und wie könnte es das sein?« fragte Egino.

»Er will andeuten«, fuhr Ottavia, ihren Gatten schelmisch ansehend, fort, »daß ich ihn lange in böser und stachelnder Pein und Unruhe des Herzens erhalten, so lange, als ich gefallsüchtig ihn um mich werben ließ. Nun, seitdem ich ihm meine Hand gereicht, hat er – Ruhe. Die Herzensflamme ist erloschen!«

Sie gab ihm einen leichten Schlag auf den Oberarm.

Alle lachten.

Graf Egino sagte dann:

»Lassen wir die Inschrift, mag sie bedeuten, was sie will, sie beweist jedenfalls, wie reich doch die Welt und wie bedeutungsvoll jedes Einzelne in ihr. Man braucht nur um sich zu blicken, wie hier von dieser Pergola, um tausend Gegenstände zu entdecken, die unseren Geist gefangennehmen und unser Gemüt in Schwingungen setzen; man braucht nur zwei Worte zu lesen wie die Inschrift Eures Hauses und man findet Stoff, um stundenlang ihren Sinn erörtern zu können.«

»Bis man gelernt hat«, fiel Callisto ein, »für das bewegte Gemüt den Ankergrund solcher quies zu finden und den Geist nicht mehr gefangen nehmen zu lassen, sondern ihn widerstandsfähig für beirrende Eindrücke zu machen.«

»Das lernt sich schwer«, erwiderte Egino. »Mich erregt noch im tiefsten Innersten dieser Reichtum der Welt, und just der Welt, die mich hier umgibt, und reißt meinen Geist bald zu dieser, bald zu jener Gestaltung, die hier vor mir auftaucht, bald in dieses, bald in jenes Reich der Gedanken und Empfindungen. Es hat etwas Sinnverwirrendes, ich möchte ausrufen zuweilen: wohin rett' ich mich vor diesem Rom! Da ist die alte Welt, da sind ihre Monumente, ihre Trümmer, ihre zerschlagenen Säulen, ihre verstümmelten Marmorwerke; da sind hoch in die Lüfte ragende Steingebilde, deren stolze Linien mich mit den Gedanken an die Größe und Geisteshoheit der Alten erfüllen; da sind die leuchtenden Standbilder antiker Kunst, die Marmorgestalten alter Götter und Heroen, aus denen der Gedanke der Schönheit mich, ich möchte sagen, überströmt! – Da sind alle die Schöpfungen des christlichen Roms, seine Basiliken, seine Märtyrergräber, seine Stein und Metall gewordene Tradition von dem erhabensten Mysterium, von der Tatsache des vermenschlichten Gottes, der nun die Menschen vergöttlicht. Da ist, von jedem irdischen Glanz umgeben, der Heilige Vater, jener wundersame Mann, der in seiner halb der Erde, halb dem Himmel angehörenden Doppelnatur mit den Füßen am Grabe der Apostel steht, mit dem unfehlbaren Haupte über unseren Sehkreis empor in die Wolken des Himmels ragt, wo ihm der Heilige Geist seine Eingebungen zuflüstert. Da ist der Mittelpunkt der Welt, der Punkt, von wo die Bildung der Menschheit des Abendlandes ausging, wohin ihre Verehrung, ihre Gedanken, ihr Hilfeflehen zurückströmen. Unter meinen Schritten hier tönt die Wölbung der Katakomben wider, der Mine, die, still unter dem Boden der alten Heidenwelt ausgewühlt, diese endlich in die Luft sprengte; unter meinen Fußtritten hier wirbelt Staub auf, der vielleicht die Asche der Scipionen, der Cäsaren enthält. Im Sturme, der über mein Haupt hinfährt, höre ich bald den brausenden Ruf des Volkes bei dem Triumphzug seiner Imperatoren, bald das Wehegeheul der Erschlagenen und Sterbenden unter den Tatzen der Arena-Bestien – bald den gellenden Aufruhrschrei der Menge, die Neros goldene Bildsäulen zerstört. Ich kann dort den Tiber seine Wellen nicht wälzen sehen, ohne im Geiste die Götterbilder zu erblicken, die auf seinem Grunde ruhen; die Mauer Aurelian's nicht ragen sehen, ohne mir die gewappneten Scharen der Prätorianer vorzustellen, wie sie über ihre Zinnen dahinschreiten, die Blicke gen Norden gewendet, von woher die Heere des Alarich und Theodorich, die hohen Gothen dräuend herannahen. Und so erregt, bestürmt, erschüttert, ja oft berauscht, wenn Ihrs so nennen wollt – woher soll da dem Gemüt die Seelenstille, die magna quies kommen!«

Donna Ottavia hatte dem erglühenden jungen Manne still zugehört; jetzt sagte sie:

»Ihr seid fremd in diese Welt geworfen, Signor Conte Gino – und Ihr seid jung; was Euch so bewegt und nicht ruhen läßt, mag deshalb so auf Euer Herz wirken, weil dieses Herz frei ist von eigenem Leben. Seid Ihr erst wieder daheim, so wird sicherlich eine liebe Hand Euch an Eures Hauses deutschen Söller schreiben dürfen, was mir Signor Callisto auf den Fries unseres kleinen Casino schrieb.«

»Grundgütiger Himmel«, rief Egino aus, »wenn das Herz so voll ist, so nennt Ihr es ohne eigenes Leben und gar leer?«

»Conte Gino«, versetzte Ottavia, »Ihr seid ein Stück von einem Poeten und deshalb werde ich mich Euch nicht verständlich machen können mit meiner Meinung, die Euch nur nüchtern erscheinen wird. Ihr versteht mich nicht, Don Gino – geht und verliebt Euch erst, verliebt Euch ein wenig unglücklich und Ihr werdet mich verstehen.«

»Ich danke Euch für den Rat, Donna Ottavia«, erwiderte lachend Egino, »aber ich denkt ihn nicht zu befolgen – ich bin viel zu sehr beschäftigt dazu, und eine Liebe, zumal eine unglückliche, würde mich stören.«

»Was hätte ein junger Fürstensohn, wie Ihr, so viel Dringendes zu tun?«

»Genug, um die Tage rasch wie Traumgewebe an mir vorüberfliegen zu sehen. Heute zum Beispiel habe ich mit Eurem Gatten die Schrift durchzugehen, welche Signor Callisto in dem Prozeß, den ich hier an der Rota betreibe, aufgesetzt hat; dann nach Tische habe ich Freunden versprochen mit ihnen zum Colosseo zu gehen, wo ein Stierkampf gehalten wird, und am Abend endlich muß ich zum Albergo bei Pellegrini tedeschi wandern, um nach einem wunderlichen Landsmann und seiner hübschen Nichte zu sehen, die ich eben an Aqua Acetosa traf, als ich vorüberritt, und denen ich dann meine Hilfe bei ihrer Niederlassung in Rom zusagte.«

»Weil die Nichte hübsch war?« fragte Donna Ottavia lächelnd.

»Nicht deshalb – sondern weil ich sie geschlagen habe und dies gutmachen möchte.«

»Ihr habt sie geschlagen ... unmöglich – ein Mann schlägt kein Weib!«

»In Italien!« antwortete Egino. »Wir Deutsche sind darin roher, ich muß es leider gestehen, obwohl ich nicht so unritterlich handelte, wie meine Worte glauben lassen. Das Mädchen hatte sich um ihrer Sicherheit während der weiten Wanderfahrt willen als Knaben verkleidet; ich verlangte von diesem jungen Burschen eine kleine Hilfeleistung, und da sie mir verweigert wurde, fuhr ich in gedankenlosem Ärger mit der Gerte darein – der Junge schien mir so halsstarrig! Und ich wußte ja nicht, daß sie ein Mädchen, daß beide Deutsche waren! Aber habe ich nicht recht es wieder gut machen zu wollen?«

»Das habt Ihr, Don Gino. Macht's nur nicht zu gut!« lächelte die Frau vom Hause. »Also an unsere Arbeit«, unterbrach Signor Callisto, sich erhebend, »auch ich habe zu tun, – ich habe noch heute für ein Brautpaar aus einem der größten Häuser Roms einen Ehevertrag vorzubereiten ... für eine seltsame Ehe ... ich werde meine Gedanken sehr angestrengt dabei zusammennehmen müssen, damit ich beider Klienten Vorteil wahre und der stärkere von beiden nicht zu sehr den Löwenanteil bekommt.«

»Du redest von den Savelli ... wird diese Ehe wirklich geschlossen? Das arme Mädchen!« rief Donna Ottavia aus. »Ich bitte, nimm Dich ihrer an, damit sie so unabhängig gestellt, und ihres Gutes Herrin bleibe, wie es Dir möglich ist ihr zu erwirken.«

»Gewiß werde ich tun, was ich vermag«, entgegnete Signor Callisto – »wir Juristen sind, wenn wir an solchen Banden schmieden helfen, nie so unerbittlich wie die Preti, die, weil sie selbst kein Weib nehmen dürfen, den andern die Fessel eisern und unzerbrechlich machen. – Aber nun kommt, Signor Conte, zu unsern Akten!«

Mit diesen Worten öffnete der Rechtsgelehrte die ins Innere des Hauses führende Türe, um Egino in sein Arbeitsgemach zu führen und ihm dort vorzulegen, was er als sein Prokurator an der Rota Romana in den Angelegenheiten, die den jungen Deutschen nach Rom geführt, geschrieben und getan.

5. Irmgard

Eine Stunde vor Ave Maria ging Egino zur Herberge der deutschen Wallfahrer, die unfern der Piazza Navona in einer engen und schmutzigen Gasse lag, da, wo sich später das Hospital der Deutschen erhob; damals stand erst die aus Beisteuern der Deutschen und Niederländer auferbaute Nationalkirche Santa Maria del Anima, die, im Jubiläumsjahre 1500 begonnen, sich jetzt ihrer Vollendung nahte. Daneben lag die Herberge. Egino hatte in diesem alten vielstöckigen Gebäude lange zu suchen, Treppen zu ersteigen, dunkle Korridore zu durchtappen, bis er in eine große aber dunkle, mit dem einzigen Fenster auf eine schmale Gasse hinausgehende Kammer gelangte, in welcher von seinen drei neuen Bekannten von Aqua Acetosa zwei, Irmgard und Ohm Kraps, unterdessen richtig eine Unterkunft gefunden hatten.

Ohm Kraps saß am Fenster; er hatte auf einem schmalen Tischlein eine strohumflochtene Flasche hellen Orvietoweines und einen Teller mit Schnitten eines hellgelben Anisbrotes daneben vor sich, und auf seinem grotesken Antlitz lag der Ausdruck unsäglichen Behagens und Genusses.

Das Fenster hatte Ohm Kraps trotz der warmen Luft geschlossen; er blickte durch die kleinen Glasscheiben die Fronte des Hauses jenseits der engen Gasse an; hatte er doch seine Freude an diesen Glasscheiben, durch die er wie ein vornehmer Mann hinaussah.

Irmgard hatte ihre Knabenkleider noch nicht abgelegt.

»Es ist gütig von Euch, Graf Egino, daß Ihr wirklich schon heute kommt nach uns zu sehen«, sagte sie ihm entgegentretend. »Ihr findet uns aufgehoben, so gut wir's erwarten konnten, und Ohm Kraps ist sehr zufrieden, daß wir am Ziele sind. Er hat einen Wein hier im Hause gefunden, von dem er behauptet, wenn er auch sein Leben ein Glockengießer bleiben müsse und man auch niemals etwas Besseres aus ihm machen wolle – das Getränk verlohne schon drum nach Rom gepilgert zu sein.«

»Und Ihr«, fragte Egino, »Ihr habt in den ersten Stunden so viel von Roms Herrlichkeit zu schauen gehabt, daß Ihr nicht Zeit gefunden Euch in ein Mädchen zu verwandeln?«

»Es ist fast so«, versetzte Irmgard, Egino einen Stuhl zum Fenster tragend. »Ich bin eine Weile durch die Stadt gewandert, um meine Schaulust zu befriedigen.«

»Allein?«

»Allein. Ohm Kraps war zu ermüdet. Mir war's unerträglich, nachdem wir wochenlang gewandert, gewandert Tag für Tag, ohne Rast talauf, talab, nun plötzlich still in dieser Kammer sitzen und die Stunden verträumen zu sollen ... mir war's wie der geläuteten Glocke, die sich langsam ausschwingt und nicht plötzlich stille stehen kann.«

»Und nun wie in einer geläuteten Glocke summt in Euch wohl der Lärm und der Rumor der volkreichen Stadt nach und der Kopf schwirrt Euch von Allem, was Ihr gesehen?«

»Volkreich ist die Stadt genug und ein buntes Gedränge auf den Gassen – daheim ist's beim Mummenschanz und Fastnachtsspiel nicht viel ärger. Landvolk hab' ich gesehen in vielfarbiger Tracht und schöne stattliche Weiber mit Goldschmuck in den Ohren und um den Hals, aber mit zerrissenen Röcken, schmutzige Kinder an der Hand führend; vielerlei Mönchvolk und Klerisei in verschiedenen Habiten, als ob sie's ausprobieren müßten, welcher Schnitt und welche Farbe dem lieben Gott am meisten nach seinem Geschmack oder für die Frömmigkeit am gedeihlichsten; auch Kardinäle, die waren ganz rot und saßen auf stattlichen Rossen und hatten bewaffnete Trabanten neben sich schreiten, wüste Kerle, Landsknechte mit Büchsen auf den Schultern und langen klirrenden Schwertern. Einem Zug begegnete ich, vor dem bin ich davongelaufen, es waren zwei lange Reihen von Männern in hellblauen Leinwandkitteln mit Kapuzen, die über den Kopf gestülpt waren und bis auf die Brust niederhingen – es waren Löcher für die Augen ausgeschnitten, durch die sie blickten ... das erschreckte mich, ich kann Euch nicht sagen wie ... sie sahen aus wie die Miselsüchtigen, die daheim vor unserer Stadt um das Siechenhaus schleichen ... so schauerlich! Weshalb vermummen sie sich so?«

»Es sind Bruderschaften«, versetzte Egino, »sie machen gemeinschaftliche Bußfahrten oder begleiten Leichenbestattungen, Hinrichtungen oder das heilige Bambino, das Christkindlein, wenn es zum Wundertun zu Kranken gebracht wird ...«

»Und einmal«, fiel Irmgard ein, »begegnete ich einem Trupp Soldaten, die umringten einen langen Zug von vielen Jochen Büffelochsen, welche große schwere Geschütze auf wuchtigen Rädern daherschleppten ... Da ist mir ein Gedanke gekommen, Graf Egino, wißt Ihr mir's zu erklären? Wenn unser Heiliger Vater nun einmal Geschütze, Soldaten, Land und Untertanen haben soll, weshalb beherrscht er dann nicht die ganze christliche Welt? Ein solcher unfehlbarer Mann muß es doch besser wie alle Könige verstehen, und weshalb jagt man nicht die dummen, fehlbaren Könige fort, um nur ihm zu gehorchen?«

»Ihr habt Recht, Irmgard«, antwortete Egino lachend, »er braucht's ja nur als Glaubenssatz auszusprechen. Aber ich fürchte, die Fürsten der christlichen Welt würden an dies Dogma nicht glauben. Die Menschen sind nun einmal so, sie geben den Dogmen sehr gerne ihren Verstand, ihre bessere Einsicht und ihren Mutterwitz preis, aber nicht ihren Vorteil oder ein einträglich Stück Land.«

»Mag sein, und es ist unsere Sache nicht es zu entscheiden«, versetzte Irmgard, die, während sie sprach, sich mit den Armen auf die Lehne des Stuhles gestützt hatte, auf dem Ohm Kraps saß, und so mit ruhigen Blicken Egino, der neben dem Tische des Ohms Platz genommen, anschaute ... »obwohl«, fuhr sie scherzend fort, »es ein gutes Ding für den Ohm und seine Kunst wäre, denn die Glocken würden im Preise steigen!«

»Das würden sie«, erwiderte Egino. »Aber nun erzählt mir weiter, was Ihr gesehen. Wart Ihr im Sankt Peter, saht Ihr sonst irgend ein schönes und großes Monument der Vergangenheit ... wißt Ihr, daß ich Euch gar lau und kühl für den ersten in Rom verbrachten Tag finde?«

»Tut Ihr das? Ihr mögt Recht haben und ich bin wohl einfältig, daß ich mich nicht über all' solche Dinge mehr verwundern kann. Ich glaube, es ist all mein Leben lang mein Fehler gewesen, daß keine rechte Freude in mich eingehen will, wenn ich Dinge sehe, über die gescheitere Menschen oft in großen Jubel ausbrechen, daß sie so etwas mit Augen sehen. Ohm Kraps sagt, ich wäre die rechte Frau gewesen für den starken Michel, der das Fürchten lernen wollte ... doch fürchten kann ich mich schon, aber verwundern nicht ... ich denke, wenn ich mich über etwas verwundern sollte, müßte ich bei Sonne, Mond und Sternen, bei den Bergen und dem blauen Himmel, der darüber ausgespannt ist, anfangen, und nicht bei Menschenwerken. Wo sollte ich da aber ein Ende finden?«

»Menschenwerk also, wenn es auch schön und groß ist, macht Euer Herz nicht höher schlagen?« fragte Egino.

Irmgard schüttelte den Kopf.

»Ich bin zu dumm, um urteilen zu können, ob es schön und groß ist. Mein Herz schlägt nur höher, wenn ich von etwas recht Bravem und Gutem höre, das ein Mensch getan. Und am höchsten und fröhlichsten, wenn ich sehe, daß ich es diesem garstigen, bösen, alten Ohm Kraps so recht behaglich und wohnlich in seinen vier Wänden gemacht; wenn ich denke, wie garstig und herzlos die Menschen oft gegen ihn waren, wie er so mutterseelenallein in der Welt und keiner sein Freund ist und kein Ding ihm eine rechte Freude gibt; und wenn ich dann für ihn sorge und sehe, wie er ein Wohlbehagen hat und wie es ihm wie ein Lächeln von Glück über die alten, häßlichen, schwarzbraunen Züge läuft, dann schlägt mir das Herz wohl höher – nicht wahr, alter Ohm«, fuhr sie lächelnd und sich über ihn beugend und ihre Schläfe auf den grauen struppigen Scheitel des mit dem Lächeln eines Idioten dasitzenden kleinen Ungeheuers legend, fort – »das ist doch das beste Glück, wenn wir daheim in stiller Zufriedenheit sitzen!«

Egino sah sie wohl ein wenig gerührt, aber mehr noch verwundert an – es war doch so himmelweit von seiner Art zu empfinden entfernt, so kleinherzig, so beschränkt ... und doch war etwas darin, weshalb er es nicht zu verdammen wagte, etwas, das – Donna Ottavia hätte es nur zu hören brauchen, sie hätte ihm vielleicht darin eine neue Art von Poesie gezeigt! »Aber nun«, hob Irmgard wieder an, »hab' ich schon zu lange von mir geredet, und wenn es nicht gar zu kühn ist, möchte ich sagen, es sei nun an Euch, Graf Egino, Euren Landsleuten ein wenig zu erzählen, was Euch nach Rom führt, wer die Eurigen daheim sind, ob Ihr lange hier zu bleiben gedenkt, ob Ihr vielleicht wohl gar vorhabt als ein jüngerer Sohn Eures Hauses Euch der Kirche zu widmen und ...«

»Mich der Kirche zu widmen«, unterbrach sie kopfschüttelnd Egino, »wahrhaftig, das ist meine Absicht nicht; ich bin nicht dazu auferzogen. In Bologna habe ich drei Jahre lang die Rechte studiert, mit vielen anderen vom deutschen Adel; aber während sie über die Alpen heimzogen, hat ein älterer regierender Bruder mich hierher gen Rom gesendet, um hier einen großen und verwickelten Prozeß zu betreiben, der an der Rota Romana angebracht ist, dem höchsten Gerichtshof der Christenheit, wenn Ihr je in Eurem Leben davon gehört habt ...«

Irmgard schüttelte den Kopf.

»Nein«, sagte sie. »Und um was handelt es sich bei diesem Prozeß?«

»Um einen Streit mit dem Augustiner-Orden über allerlei Recht an einem den Mönchen vermachten Gut, das beim Belfried von Ortenburg zu Lehn geht.«

»Mit einem Orden? Und da hofft Ihr hier in Rom zu gewinnen?«

»Weshalb nicht? Wir glauben das Recht für uns zu haben, das ist immerhin etwas ...«

»Nicht viel!« schaltete hier, sein Gesicht verziehend, Onkel Kraps ein, der sehr aufmerksam dem Gespräch zugehört und dabei bald Irmgard, bald den jungen Grafen angeblickt hatte. »Wenn die Mönche, die Euer Widerpart sind, sehen, daß Ihr ein Recht habt, räuchern sie's Euch aus dem Prozeß schon mit ihrem Weihrauch hinaus ...«

»Der Weihrauch tut nicht alles. Der eine der heiligen drei Könige brachte Weihrauch, der andere Myrrhen und der dritte Gold zur Krippe. Ich denke nicht, daß Sankt Joseph den Letzten am ungnädigsten angeschaut hat.«

»Ja, ja, Gold ... wenn Ihr denn dessen zur Genüge habt«, nickte grinsend Ohm Kraps ... »es ist seiner sonst in deutschen Fürstentaschen nicht zu viel!«

»Ohm Kraps!« fiel Irmgard erschrocken ein.

»Laßt ihn reden, er sagt ja die Wahrheit«, unterbrach Egino sie. »Aber wo es sein muß, da findet sich's eben auch. Es ist das, Gottlob, nicht meine, sondern meines Bruders Sorge. Und dazu kommt, daß unsere Gegner einen billig denkenden, gelehrten und gar einsichtigen Mann hiehergesendet haben.«

»Einen Ordensmann, der hier Euer Widerpart ist?« fragte Irmgard.

»Einen Ordensmann«, antwortete Egino, »einen noch jungen Mönch; er ist aus dem Kloster zu Wittenberg und heißt Bruder Martin.«

»Und eines gelehrten und einsichtigen Widerparts freut Ihr Euch?« »Sicherlich, denn es ist eine ehrliche deutsche Seele, die immer nur mit offenem Visir handeln wird, und von der ich mich keiner welschen Tücke zu versehen habe. Ich werde, denk' ich, mit ihm schon handelseins werden. Und nun gehabt Euch wohl. Ich hab' ja gesehen, daß Ihr fürs erste wohl aufgehoben seid. Und wenn Ohm Kraps Hindernisse und Schwierigkeiten findet sein gutes deutsches Geld für eine blaue oder rote Amtsschaube loszuwerden, so kommt zu mir, ich führe ihn dann, wenn alles andere nichts fruchtet, zu eben jenem meinen Widerpart, dem Bruder Martin. Er wird dann helfen müssen und es können, denn seines Ordens ist immer der Sakristan der päpstlichen Kapelle, womit die Seelsorge im Vatikan verbunden ist – da haben wir die ersprießlichste Anknüpfung ...«

»Und Ihr glaubt, auf Euren Wunsch würde dieser Bruder, Euer Widerpart, geneigt sein ...«

»Just weil ich sein Widerpart bin«, fiel lächelnd Graf Egino ein. »Er ist ein evangelischer Mann, der das »liebet eure Feinde« begriffen; Ihr solltet nur erst sehen, wie vertraute und herzliche »Feinde« wir sind! Nun aber behüt' Euch Gott, Euch beide; laßt den Ohm nicht zu viel trinken, seine deutsche Arglosigkeit könnte sonst von dem hellgelben italienischen Stoff da in Schaden gebracht werden – er ist nicht so harmlos wie er aussieht. Was wäre auch harmlos in diesem schönen Sonnenlande! Merkt Euch's auch Ihr, Irmgard!«

Er nickte Ohm Kraps mit dem Kopfe zu, reichte Irmgard die Hand und schritt mit den klirrenden Sporen laut und rasch über den Steinflur der Kammer davon.

Irmgard stand lange und horchte, wie dieser feste und ritterliche Schritt draußen auf dem Gang verklang.

»Was stehst Du so und horchst, Irmgard?« fragte Ohm Kraps, zu ihr aufschauend. »Das ist ein Narr. Gutmütig, aber ein Narr! Er redet, wie er denkt. Er lobt seinen Widerpart, den Mönch, der ihn anführen wird. Er hat Dich mit der Peitsche geschlagen und gebahrt sich nun freundschaftlich! So, meint er, sei's gut! Er ist ein Narr, Irmgard.«

Irmgard sah ihren Ohm an, mit einer Miene, worauf sich eine große Betroffenheit zeigte.

»Ist das Euer Ernst?« rief sie aus.

»Denkst Du anders? Kannst Du's vergessen?«

Sie schwieg.

»Vergessen?« antwortete sie dann nach einer langen Pause wie aus tiefem Sinnen auffahrend. »Nein! Ich glaube nicht, daß ein Mädchen so etwas vergißt. Aber ich meine das Nichtvergessen anders als Ihr, Ohm!«

Damit ging sie in eine Nebenkammer, um endlich ihre Knabenkleider abzulegen, die sie jetzt plötzlich wie in ungeduldiger Heftigkeit von sich warf.

6. Grübeleien einer Deutschen

Am andern Tage schon, in der Nachmittagsstunde, kehrte Egino zu dem Albergo dei Pellegrini tedeschi zurück.

Als er in die Kammer seiner deutschen Freunde eintrat, fand er Irmgard in ihrer Mädchentracht. Sie errötete, als sie ihn so plötzlich und unerwartet eintreten sah, und dies Erröten machte sie sehr hübsch in ihrem schwarzen Samthäubchen, unter dem die reichen blonden Haare in krausen Locken kurz hervorquollen; sie hatte sie ja kurz verschnitten um der Reise willen. Ein braunes Mieder mit schwarzem schmalen Samtbesatz und ein kurzer ebenso gesäumter Rock zeigte ihre vorteilhafte Gestalt. Es war alles sehr einfach; aber Egino fand sie viel hübscher, als er sie gestern gefunden hatte.

»Ich komme«, sagte der junge Mann, ihr die Hand reichend und dem Ohm zunickend, »weil mir der Gedanke gekommen ist, es sei am besten Euch, Irmgard, zu einer verständigen und wohlwollenden Frau zu führen, die ich kenne, und die sicherlich am besten im Stande ist Euch guten Rat zu geben, wie Ihrs anfangt Euch hier sicher und passend unterzubringen.«

»Das ist überaus gütig von Euch«, versetzte hocherfreut Irmgard.

»Ihr habt noch keine Wohnung für Euch gemietet?«

»Nein.«

»Wohl denn, so kommt! Donna Ottavia Minucci, zu der wir gehen, ist die Frau eines Prokuratore, eines geschätzten Rechtsgelehrten; sie ist eine Römerin, die ihre Vaterstadt kennt und sich gerne Eurer annehmen wird. Seid Ihr bereit?«

»Ich bin es, Herr – und Ihr selbst wollt mich hinführen?«

»Würdet Ihr sonst sie finden?«

Irmgard machte sich freudig erregt zum Ausgehen fertig. Sie holte eine Tasche, die sie mit einem Silberhaken an ihren Gürtel befestigte, herbei; dann ein Paar Handschuhe, ein Tuch, dessen es an dem warmen Tage nicht bedurfte, und das die deutsche Gewohnheit sie über den Arm werfen ließ und nahm Abschied von Ohm Kraps.

»Haltet Euch wohl, Ohm«, sagte sie »und zerbrecht von unserem Geräte nichts; vergeßt auch nicht Wasser in Euren Wein zu gießen, wenn Ihr trinkt. Gott behüt' und laßt Euch die Zeit nicht lang werden.«

Sie ging und Egino folgte ihr.

Auf der Straße gingen sie schweigend und rasch. Das deutsche Mädchen wurde von vielen der Männer, denen sie begegneten, bemerkt. Die blonde Schönheit fiel ihnen offenbar auf; sie starrten ihr frech ins Gesicht, machten laute Bemerkungen über sie, blieben stehen, um ihr nachzuschauen – Egino geriet mehreremale in Versuchung die Unverschämten zurechtzuweisen, aber Irmgard zog ihn flüchtigen Fußes weiter.

Als sie vor die Porta del Popolo kamen, atmete sie auf. Sie ließ ihre hellen Blicke über die Landschaft draußen schweifen.

»Die Berge sind schön – sind jene Bäume Palmen, die dort auf der Höhe?« fragte sie.

»Nein, es sind Pinien. Die Palme wächst nicht in Rom«, versetzte Egino. »Zur Entschädigung hat es den Lorbeer.«

»Daraus flicht man den Siegern Kränze«, antwortete Irmgard. »Das ist nichts für Mädchen und Frauen, die sich nur eine Palme verdienen können; für sie ist hier also nicht gesorgt. Rom scheint für sie überhaupt kein guter Ort«, setzte sie, vielleicht noch unter dem Eindruck des eben Erlebten, hinzu, »ich wollte heute Morgen in eine Kapelle eintreten, aber man wies mich heftig zurück, weil ich ein Weib sei.«

»Darein«, rief Egino achselzuckend aus, »werdet Ihr Euch fügen müssen, Irmgard, viele Orte hier nicht betreten zu dürfen, weil sie zu heilig für den Fuß einer Frau sind.«

»Die Männer also sind reiner und unschuldiger! Seht, wenn ich mich über Eure Monumente und großen Ruinen nicht verwundere – das sind nun Dinge, darüber verwundere ich mich! Ach, es ist soviel im Glauben, worüber ich mich verwundere. Zum Beispiel, daß sie immer davon reden, wie der Heiland so grenzenlos viel für uns Sünder gelitten und schier alles Leid der Welt auf sich genommen habe.«

»Scheint Euch das denn nicht?«

»Ihr denkt wohl«, sagte Irmgard, schüchtern zu Egino aufblickend, »ich bin eine rechte Ketzerin?«

»Nein, nein, redet weiter, Irmgard.«

»Und dann«, fuhr Irmgard eifrig fort, »leben die geistlichen Menschen hier, wo sie doch am meisten an das Leiden des Herrn denken müssen, so in rechter voller Lebensfreude. Welche Herrlichkeit hat nicht der Papst ...«

»Freilich, freilich«, fiel hier Egino ein; »wenn er umringt von seinen Garden durch die Stadt zieht, hoch zu Rosse, unter Glockengeläute und Kanonendonner, so ist wohl Niemand, der ihm im Geiste das bleiche, leidende und trauererfüllte Antlitz eines armen Dulders über die Schulter blicken sieht.«

»Ja, ja«, fuhr Irmgard fort; »aber Eins will mir noch schwerer zu Sinn; das ist, weshalb Gott die Niederen und Armen geschaffen hat? Hier auf Erden ist nur Elend für sie, und in den Himmel können sie nicht kommen, weil sie nicht das Geld haben und nicht die Zeit Wallfahrten zu gehen, Messen zu stiften, Ablässe zu kaufen, den ganzen Tag zu beten oder irgend was für die Kirchen herzugeben und so den Himmel zu gewinnen!«

»Aber dies alles sind gefährliche Gedanken für ein Mädchen, Irmgard.«

»Das weiß ich«, sagte Irmgard ernst, »aber wenn sie mir kommen, so hilft kein Wollen oder Nichtwollen, ich muß sie ausdenken.«

»Und sprecht Ihr sie dann auch aus?«

»Nein, ich hüte mich.«

Es lag in dieser Antwort ein Eingeständnis des Vertrauens für Egino, dessen Irmgard sich plötzlich bewußt wurde, denn sie errötete und schwieg.

Sie kamen zur Villa. Donna Ottavia war im Garten und führte sie zu einer Bank im Schatten eines Laurusgebüsches. Das junge Mädchen aus Deutschland flößte ihr lebhaftes Interesse ein; sie ließ sich von ihr ihre Lebensgeschichte erzählen. Dann sprach Irmgard von den einzelnen Punkten, wobei sie Rat und Auskunft über römische Verhältnisse der Alltagsexistenz wünschte, vom Kapitel der Wohnungen und der Wäsche bis auf das der Bereitung von Broccoli und Artischocken herab.

Egino suchte Callisto in seiner Arbeitsstube auf.

»Ich werde nicht stören«, sagte er zu dem über Pergamente und Akten gebeugten Rechtsgelehrten, »und werde gehen, sobald ich von Euch vernommen, worin ich Euch dienen könnte.«

»Das könnt Ihr in der Tat, Graf Egino«, versetzte Signor Callisto. »Ihr könnt mir einen Gefallen erweisen, falls Ihr eine kleine Mühe nicht scheut und nicht etwa hier mit einem Mitgliede des Hauses Savelli bekannt geworden seid?«

»Weder das eine, noch das andere ist der Fall.«

»Nun wohl denn – ich habe morgen um die Abendzeit bei dem Herzog von Ariccia zu erscheinen, um dort einen Ehevertrag, den ich in seinem Auftrage aufgesetzt habe, unterschreiben zu lassen. Dabei möchte ich wenigstens einen der Zeugen mir ergeben und unter allen Umständen geneigt auf meine Seite zu treten, wissen. Ihr ahnt nicht, wie stürmisch es oft bei solchen Szenen, wo endgültig über das Mein und Dein entschieden wird, hergeht – wie gut es für den Rechtsgelehrten ist, dabei einen vertrauten und zuverlässigen Freund neben sich zu haben.«

»Ich bin gern bereit ... aber es muß etwas Absonderliches bei der Sache sein, daß Ihr nicht einen Eurer römischen Freunde vorzieht.«

»Ich ziehe nun einmal solch einen fremden, ganz unbefangenen und unabhängigen Freund wie Euch, der von den Leuten nichts zu fürchten und nichts zu erwarten hat, vor ... ist's Euch genehm?«

»Ihr ehrt mich damit und könnt über mich verfügen.«

»Dürft ich kommen Euch morgen eine Stunde vor Ave Maria abzuholen?«

»Gewiß; ich werde bereit sein jeden Weg mit Euch zu machen.«

»So sei's. Ich hoffe, es wird Euer Interesse erwecken einen Blick in das Innere des Hauses Savelli zu werfen.«

»Ohne Zweifel! Und nun sollt Ihr nicht länger von mir gestört sein. Ich weiß, daß Ihr zu arbeiten wünscht. Also ich erwarte Euch morgen. Soll ich«, setzte Egino lächelnd hinzu, »hoch zu Roß, in Wehr und Waffen sein wegen der »Szenen«, auf die Ihr deutet ... bei einer Vermählung?«

»Nein, nein, dessen bedarf's nicht; ich habe mich falsch ausgedrückt, wenn Ihr das denkt. Es gilt keine Fehdeszene, nur eine Angelegenheit, wo – eben vier Augen mehr sehen als zwei, zwei Männer entschlossener denken und die Sachlage besser überschauen als einer. Und falls mir gesagt würde: ändert dies oder bringt das hinein, so möcht ich nicht allein sein, wenn ich sagen müßte: ich darf, ich mag nicht! Euer Roß mögt Ihr aber immerhin nehmen, ich nehme das meine, weil der Weg für mich weit ist.«

»Nun wohl denn, bis morgen.«

Die Freunde reichten sich die Hand und Egino ging, um seinen Schützling im Garten abzuholen und zurückzubegleiten.

Als er zu den beiden Frauen kam, sagte Donna Ottavia:

»Was Eure Landsmännin Irmgard zunächst bedarf, haben wir unterdes glücklich gefunden, eine passende Wohnung bei redlichen Leuten für sie und ihren Ohm. Sie muß nur den Weg zu dem Quirinalischen Hügel zu finden wissen. Dort, hinter den Thermen des Constantin, und dicht an der Mauer, welche den Garten der Colonna umschließt, liegt das kleine Haus einer Witwe, die sich Giulietta nennt, und es mit ihrem Sohne Beppo, einem braven jungen Manne, der sich als Artista ernährt, bewohnt. Frau Giulietta, die einst meine Wärterin war und dann einen Handwerker, einen Klienten der Colonna heiratete, hat mir gesagt, daß sie zwei Kammern ihres Hauses an wohlempfohlene Fremde zu vermieten wünsche ... dort werden Eure Landsleute die beste Aufnahme finden, wenn sie kommen und sagen, daß ich sie sende!«

»Wie dankbar muß ich Euch sein!« fiel Irmgard ein, sich erhebend.

»Grüßt Giulietta von mir und auch Beppo, den braven Burschen«, sagte Ottavia, ihr die Hand reichend.

Mit dem Versprechen, daß sie nach einiger Zeit kommen und Donna Ottavia Bericht erstatten wolle, wie sie sich eingerichtet, verabschiedete sich Irmgard und Egino begleitete sie zurück zu Ohm Kraps, der zum Glück diesmal während ihrer Abwesenheit keinerlei Unheil angestiftet hatte.

»Er zerbricht stets, wenn man ihn einmal für Stunden allein zu Hause läßt, irgendein Gerät, oder wirft eine Lampe oder rennt ein Möbel um – er ist wie ein Bär, so stark und so täppisch!« sagte sie lachend.

Egino verließ sie mit dem Versprechen, daß er ihr am andern Morgen seinen Diener Götz senden werde, um sie zur Frau Giulietta auf den Quirinal zu führen.

7. In der Burg der Savelli

Es war am folgenden Tage eine Stunde vor Ave Maria.

Der Rechtsgelehrte war pünktlich gewesen. Auf einem bescheidenen, aber wohlgenährten Klepper reitend, erschien er in der Via della Mercede, vor dem Albergo del Drago.

Graf Eginos Diener führte hier seines Herrn schönes deutsches Edelroß gesattelt und gezäumt bereits auf und ab.

Als Egino jetzt aus der Tür der Drachenherberge trat, gestiefelt, gewappnet mit dem langen Stoßdegen und eben die langen Handschuhe von sämischem Leder anziehend, rief ihm Signor Callisto entgegen:

»Eigentlich ist es sehr töricht von mir, daß ich mit einem solchen Zeugen wie Ihr aufziehe!«

»Weshalb, Signor Legista? Denkt Ihr nicht Ehre genug mit mir einlegen zu können?« antwortete Egino, sich in den Sattel schwingend.

»Nein,« versetzte der Rechtsgelehrte, sein Pferd in Bewegung setzend, während Egino an seine Seite ritt, – »just umgekehrt; Ihr seid ein zu stattlicher Mann mit Eurem stolzen und schönen deutschen Kopfe und Eurem Wesen, als wäret Ihr ein Prinz aus dem Blute der alten Gothenkönige, so ein Enkel Alarichs; und Euer Roß nun gar mit seiner glänzenden Zäumung ... Ihr laßt doch Euren Diener zu Hause?« unterbrach sich Callisto, wie besorgt sich umschauend.

»Ich lasse meinen trefflichen Götz zu Hause, wie immer,« antwortete Egino, »wo er sich mir nicht selber aufdrängt, weil er meint, ich werde ohne ihn überfallen, beraubt, von Banditen entführt werden, wie ein Kind, das die Zigeuner rauben. Übrigens ist er müde, da er meinen deutschen Landsleuten beigestanden hat aus ihrem Pilgerquartier zu ziehen – auf den Quirinal, wißt Ihr, zu jener Frau Giulietta, die Eure Donna uns empfohlen.«

»Nun, desto besser,« sagte Callisto. »Die Sache ist die, daß ich nicht wünsche, daß mein Zeuge den Leuten, mit denen wir zu tun haben, auffalle. Man braucht nicht Forschungen anzustellen, wer Ihr seid, ehe Ihr die Urkunde, die wir vollziehen sollen, mitunterschrieben habt.«

»Ihr scheint mir mit einem großen Mißtrauen an Euer Geschäft zu gehen, Signor Callisto. Wohin bringt Ihr mich eigentlich? Ist dies der Weg zum Monte Savello?«

»Ich bringe Euch nach Santa Sabina.«

»Auf dem Aventin? Das ist weit. Und was sollen wir im Kloster?«

»Wir reiten nicht zum Kloster von Santa Sabina, sondern zu dem daneben liegenden Hause der Savelli.«

»Aber die Savelli wohnen an der Montanara, in ihrem Palast auf dem Theater des Marcellus – auf Monte Savello, wie man's nennt.«

»In der Tat, und weil sie da wohnen, ist es seltsam, daß sie mich beschieden haben in ihre feste Burg, die einsam oben auf dem Aventin bei Santa Sabina liegt.«

»Zu einer Trauung?«

»Zu einer Trauung. Ihr müßt gestehen, daß der wohleingerichtete Wohnpalast für solch ein Familien-Ereignis fröhlicher Art ein bequemerer und besserer Schauplatz wäre.«

»Vielleicht,« fiel Egino ein, »ist in der Burg mehr Raum; vielleicht umschließt der alte Bau gerade die alte Hauskapelle, die seit der Väter Zeiten stets bei solchen Anlässen im Hause der Savelli gedient hat; oder es ist ein ähnlicher guter Grund, der sie dazu bestimmt!«

Callisto schüttelte den Kopf.

»Ich denke, Ihr werdet es selbst nicht mehr so harmlos nehmen, wenn ich Euch von der Braut und dem Bräutigam erzähle.«

»Nun so erzählt!«

»Die Braut ist ein Geschöpf, von deren Schönheit die, welche sie sahen, sich hingerissen zeigen. Ich sah sie nicht und kann also darüber nichts sagen. Aber ich weiß, daß sie eines alten und hohen, vielleicht gar aus irgendeinem Königsblut stammenden Geschlechts letzte Nachkommin ist. Sie stammt von den Corrados von Anticoli aus dem Sabinergebirge; die Corradina wird sie genannt und ihre Hand verfügt über ein stattliches Erbgut.«

»Und der Bräutigam?« fragte Egino.

»Der Bräutigam – das ists eben; der Bräutigam paßt zu ihr, wie ein Eber zu einer weißen Hindin. Nicht, als ob er noch viel vom Eber an sich hätte, leider nein; Luca Savelli ist durch sein ausschweifendes Leben erschöpft, morsch in allen Knochen; ein Gesell, wenn Ihr ihn seht, werdet Ihr sagen, er sieht aus wie mit der Giftjauche der Sünde getauft, die in dem großen Pfuhl, den man Rom nennt, zusammenläuft, und dann vom Teufel mit seinen schmutzigsten Brühen gewaschen. Er war der Freund des Cesare Borgia, bis Cesare Borgia ihn zu lasterhaft fand und ihn aus Rom fortjagte. Darauf hat er eine zeitlang mit einer Schar Banditen die Gegend von Nemi und Genzano tyrannisiert – und jetzt haben wir ihn hier, krank an der Perniciosa, gebrochen und durchfault, und Bräutigam der schönen Corradina. Was sagt Ihr dazu, Graf Egino?«

»Daß mich das arme Geschöpf in tiefer Seele dauert.«

»Ihr müßt nämlich noch wissen, daß die Herrin von Anticoli die Mündel des Herzogs von Ariccia ist. Ihr wißt, der Herzog von Ariccia ist das Haupt des Hauses Savelli.«

»Und er ist's, der seine Mündel zwingt dieses Scheusal von Luca Savelli zu heiraten?«

»Ich denke, so ist's!« entgegnete Callisto. »Luca Savelli ist sein zweiter Sohn. Der älteste, der Stammerbe, ist vermählt mit einer Colonna von Palliano. Ihr seht, für den ist gesorgt. Und für Luca, der sein väterliches Erbteil längst vertan hat, soll nun auch Fürsorge getroffen werden.«

»Ich hätte weit eher Lust die Braut, die geopfert werden soll, ihrem Oger zu entführen,« sagte Egino, »als, wie Ihr mich heißt die Hand zu dem Schmieden der Kette zu bieten, welche sie fesseln soll. Weshalb bietet Ihr die Hand dazu?«

»Ich? Bin ich nicht einmal der Notar und Rechtsbeistand des Hauses? Was hälfe es, wenn ich mich entzöge? Ein anderer wäre bald gefunden, der alles vollbrächte, was man verlangte. Aber Ihr könnt versichert sein, ich werde alles tun, was ich zum Schutze des armen Mädchens tun kann. In den Kontrakt, welchen mir der Herzog von Ariccia aufzusetzen geboten hat, habe ich anscheinend ganz harmlose Wendungen und Klauseln gebracht, die ihr doch das schönste Spiel gewähren, wenn sie einst vor einen Gerichtshof kommen und ein geschickter Advokat sie auszulegen hat. Ich werde die Augen offen halten; wenn die Corradina ein Wort fallen läßt, welches ihre mangelnde Einwilligung verrät, so wird es nicht auf den Boden fallen, und seht, just darum will ich als Zeugen mir nicht irgendeinen abhängigen Dienstmann oder Klienten der Savelli, einen von Signor Lucas Banditen gar, oder nur einen vielleicht bestechlichen, leicht einzuschüchternden Römer aufdrängen lassen – ich habe Euch gebeten mich zu begleiten.«

»Wahrhaftig, Ihr hättet niemanden bitten können, der bereitwilliger ist den Retter dieser bejammernswerten Corradina zu machen; und dem Luca Savelli seine morschen Knochen zu brechen!« rief Egino erregt aus.

»Ich hoffe, Ihr verliebt Euch nicht in sie, wie Ihr auf dem besten Wege zu sein scheint,« sagte lächelnd Callisto.

»Ihr müßt wenigstens einräumen, daß Ihr alles getan habt mich dazu zu verführen. Ich bin kein solcher Tor. Ich weiß, daß Colonna, Orsini, Savelli die größten Namen Eurer Geschichte sind und daß gar zwei Päpste, beide des Namens Honorius, diesem Hause Savelli angehörten. Ich kenne das von den Cosmaten kunstreich hergestellte Grabmal des Luca Savelli in Ara Celi.«

»Der Senator von Rom war, schon um 1266,« fiel Callisto ein; »doch geht ihr Stamm noch höher hinauf – jener Aventinus gar, der einen der Tiberhügel wider Aeneas verteidigte, war nach der Sage ein Saveller und der Hügel soll von ihm den Namen tragen. Sie sind Herren von Castell Savelli bei Albano, Grundherren von Albano und Ariccia, vielfach mit den Colonnas verbündet und Ghibellinen wie sie; sie sind des Heiligen Stuhles Erbmarschälle und Wächter der Conclaven, sie haben als solche ihren Gerichtshof, die Corte Savella – also haben wir es freilich mit Leuten von ziemlich anständiger Herkunft zu tun. Und nun, da wir aus Straßengewirre und Menschenstrom zu kommen beginnen, laßt uns unsere Pferde in Trab zu setzen, wir haben ein gut Stück Weges vor uns.«

In der Tat, es war ein weiter Weg; er führte über das alte Forum, am Palatin und dem Tal, welches einst den Circus Maximus umschloß, vorüber, und endlich den steilen Hang des Aventin hinauf. Zu ihrer Rechten hatten die beiden Reiter bald die mächtigen Substruktionen der Savellerburg und ihre Zinnenmauern, ihre Türme und Bastionen hoch darüber. Oben wandte sich der Weg rechts, südwärts; sie erreichten einen freien

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: Lucas Cranach der Ältere, 1472 - 1553
Lektorat: verlag.bucher@gmail.com
Tag der Veröffentlichung: 08.01.2014
ISBN: 978-3-7309-7434-6

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