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A.E. Brachvogel: Oberst von Steuben

Albert Emil Brachvogel

 

Oberst von Steuben

-

des großen Königs Adjutant

 

 

Historischer Roman

Neubearbeitet von E. Th. Kauer

 

 

 

verlag.bucher@gmail.com

 

Steuben

Oberst v. Steuben. Quelle: Familie von Steuben

Bei Treptow

Ende 1761, anderthalb Jahre kaum vor dem Frieden, welcher das siebenjährige Ringen Friedrichs II. gegen die gewaltigsten Nationen des europäischen Kontinents beendete, stand die Sache Preußens schlecht. Les trois cotillons, die drei Unterröcke – Maria Theresia mit dem deutschen Reichsheer, Madame de Pompadour mit dem Lilienbanner und Zarin Elisabeth, das Mannweib, mit ihrem gewaltigen Russenvolke kämpften noch den Vernichtungskampf gegen das kleine Preußen – und mit nur zu gutem Glück! Der Augenblick schien gekommen, dem hohenzollernsches Heldenkönig, ob ganz Europa ihn auch bewunderte, ein kurzes, schreckliches Ende zu bereiten und seine Lande unter sich zu teilen.

Wie gegen Ende besagten Jahres Friedrichs Lage war, bedarf für den Freund vaterländischer Geschichte keiner Erörterung. Um ein Gesamtbild der Situation um Winteranfang 1761 zu geben, genüge zu sagen, wie um jene Zeit der tapfere König mit seinem Heer sich in dem sogenannten »Hungerlager« zu Bunzelwitz in Schlesien befand, nachdem Schweidnitz, eine seiner Hauptfestungen und der Schlüssel Schlesiens, von Laudon genommen worden war. Trencks Verrat, Berlins Besitznahme durch die russischen Generale Tschernitscheff und Tottleben machten das Maß der äußerstes Not voll. – Die preußischen Armeekorps waren zur Zeit weit auseinander und auf ihre eigenen Kräfte angewiesen. Gegen Österreich und Rußland stand Friedrich II. mit seiner Armee, wie schon gesagt, in Schlesien, gegen die Franzosen agierte das Korps Herzog Ferdinands von Braunschweig im Westen, während Prinz Heinrich von Preußen in Sachsen gegen die Reichsarmee operierte.

Ein nutzloses Danaidenringen schien es gegen die Übermacht. Schwerin, Keith, Winterfeld, den ausgezeichnetsten Generalen des preußisches Heeres, hatte dieser mörderische Krieg ihr Heldengrab gegraben, der Militäradel Preußens, welcher seit Menschengedenken dem Staate ein auserlesenes Offizierkorps zugeführt hatte, war mehr als dezimiert, die preußischen Kader wichen aus allen Fugen, und die Hilfsmittel waren erschöpft. Preußens letzte schwache Hoffnung blieb das Genie seines Monarchen, das Ehrgefühl und die glühende Vaterlandsliebe seines halb zertrümmerten Heeres und dessen alternder Führer. Jeder Einsichtige erkannte mit schmerzlichem Blicke endlich doch, daß der große König sich gegen die Übermacht seiner Feinde nicht länger zu halten vermöge, falls nicht ein glücklicher, an das Wunderbare streifender Zufall oder die Hand der Vorsehung selber durch eine plötzliche politische Veränderung den Staat errette, welchen der Große Kurfürst einst aus dem Chaos des Dreißigjährigen Krieges geformt hatte. Innerhalb des nächsten Jahres war die Entscheidung über Preußens Sein oder Nichtsein gewiß.

Zweifellos zeigte sich von Friedrichs Gegnern Elisabeth von Rußland zur Zeit als der gefährlichste. Ihre Energie, durch tiefsten Haß entflammt, der Fanatismus ihres Volkes und die unerschöpflichen Hilfsquellen ihres ungeheuren Reiches, dessen Lage in Preußens Rücken dazugerechnet, ließen sie weit fürchterlicher erscheinen als den finanziell bereits zerrütteten Ludwig XV. und das in allen Grundfesten erschütterte Österreich. – Am 11. September 1761 hatte Friedrich II. aus dem befestigten Lager von Bunzelwitz siebentausend Mann unter General von Platen nach Polen entsendet, um den Russen in den Rücken zu fallen. Am 15. desselben Monats war dieser auch so glücklich gewesen, eine russische Wagenburg von fünftausend Gespannen bei dem Kloster Golzowska unweit Gostyn in Großpolen zu stürmen, zu verbrennen, die viertausend Mann starke Bedeckung total zu schlagen, über die Warthe zu treiben und mit fast zweitausend Gefangenen Landsberg, den Übergang über den Fluß, zu sichern, um auf frischer Tat mittels eines energischen Streifzuges durch Pommern der russischen Übermacht daselbst hindernd entgegenzutreten! Auf diesem Zuge begriffen, ereilte aber Platen die Nachricht König Friedrichs: eine russische Flotte sei seit August mit einem großen Landungskorps unter dem Grafen Romanzow von Kronstadt aus an der kassubischen Küste erschienen, und Kolberg schwebe in höchster Gefahr. Platen solle stehenden Fußes dem Prinzen Friedrich Eugen von Württemberg zu Hilfe eilen, der durch ein verschanztes Lager die Festung decke und bisher die Belagerung derselben mit Mühe verhindert habe; die Lage desselben werde täglich schwieriger.

Platen leistete sofort Folge. Vermöge außerordentlicher Gewaltmärsche erreichte er Köslin, nahm, von da aus westlich an der Persante marschierend, am 30. September mittels Überrumpelung eine russische Schanze oberhalb dieses Flusses und vereinigte sich am 4. Oktober auf der zwischen Persante und Rega gelegenen Terrainhöhe glücklich mit dem Prinzen von Württemberg.

Die Situation um Kolberg war schlimm genug. Vor dem Hafen der Stadt der Mastenwald der russischen Flotte Romanzows, eines jener kühnen Barbaren aus der Schule Peter des Großen, welchem Humanität wie chevalereske Sitte gänzlich unbekannt waren und den die zornige Zarin gesandt hatte, gegen Preußen nunmehr einen entscheidenden Schlag zu führen, dann aber Tottleben und Tschernitscheff im Kommando zu ersetzen, weil dieselben ihrer Ansicht nach mit Berlin viel zu gelinde umgegangen seien; Romanzow sollte in der Mark wie ein anderer Attila hausen. In der Festung Kolberg selbst kommandierte General Heiden nur etwa zweitausend Mann und hielt die russische Flotte allein mittels seiner vortrefflichen Batterien im Schach. Auf der Landseite der Festung, rechts und links der Persante, hatte Prinz Friedrich Eugen von Württemberg in seinem verschanzten Lager dem russische Belagerungskorps heftigsten Widerstand entgegengesetzt. Platens Marsch im Rücken des russischen Korps, ferner auch, daß er die südliche Schanze, mit ihr aber den Übergang oberhalb der Persante gewann, hatte Romanzow genötigt, seinen linken Flügel eiligst ostwärts über den Fluß zurückzuziehen. Hierdurch erst war Platens Vereinigung mit Prinz Friedrich Eugen von Württemberg möglich geworden. Die Russen aber wären vorläufig auf das rechte Persanteufer beschränkt und standen dort etwa in Stärke von siebzehntausend Mann. Nunmehr mußten sie den Prinzen Württemberg sowie das die linke Flußseite beherrschende Korps Platen zu gleicher Zeit beobachten. Die beiden preußischen Korps zählten etwa zwölftausend Mann.

Um die russische Flotte abzuhalten, in der Mündung der Rega oder an der Küste zwischen den beiden Flüssen zu landen, hatte man vom Platenschen Korps die Brigade des Generals von Knobloch in Stärke von zweitausend Mann abdetaschiert, um das Städtchen Treptow an der Rega teils zu besetzen, teils von dort aus in fliegenden Kolonnen die Verbindung mit dem Korps des Prinzen von Württemberg und mit den Truppen Platens aufrechtzuerhalten. Das Zahlenverhältnis der Preußen zu dem der Russen stellte sich mithin fünfzehntausend zu sechzehntausend Mann. Die Russen hatten aber, wie man sagte, im ganzen fünfundzwanzigtausend Mann mitgebracht, von denen neuntausend auf der Flotte zurückgeblieben waren, um je nach Zeit und Gelegenheit an irgendeinem günstigen Punkte zu landen. Dies zu verhindern, war nunmehr die vornehmste Aufgabe der Preußen. Gelang es ihnen, so waren sie der bereits auf preußischem Boden stehenden Macht Romanows gewachsen, ihre Stellung war dazu entschieden besser, gedeckter. Der raue Herbst half ihnen auch noch insofern, als ein heftiger Orkan die russische Flotte zwang, sofort abzusegeln, und kein Wimpel derselben wurde mehr gesehen. – Wäre Kolberg wie die vor demselben liegenden preußischen Korps, Prinz Württemberg und Platen, jetzt nur ausreichend genug verproviantiert gewesen, so daß sie ihre Stellungen nicht zu verrücken brauchten, so wäre wahrscheinlich auch der Ausgang dem preußischen Waffenglück in Pommern glücklicher gewesen. Die wachsende Not jedoch, verbunden mit den Anforderungen der rauen, bereits winterlichen Jahreszeit, nötigte die preußischen Befehlshaber endlich, sich westlich aus der Wolliner Gegend und südwestlich von Cammin her mit Zufuhren zu versorgen. Aufgabe der Brigade Knobloch, welche aus zwei Infanterie- und einem Kavallerie-Regiment bestand, war es, diese Zufuhren zu decken. Das Städtchen Treptow an der Rega, bisher strategischer Stütz- und Observationspunkt, wurde nunmehr Durchzugs- und Knotenpunkt für die anlangenden Vorräte. Um diese zu fassen und vor Überfall zu sichern, mußte sich die Brigade Knobloch nach zwei Richtungen hin zersplittern und in lange Linien auflösen, Treptow dazu aber gut besetzt halten, mit anderen Worten also: die alte Stellung auf dem Plateau zwischen Persante und Rega aufgeben. Diese Pflicht sowie die, eine Verbindung mit dem Korps des Prinzen Friedrich aufrechtzuerhalten, fiel nunmehr Platen zu. Dessen Konzentration an der Persante mußte demgemäß auch verringert, seine Linien mußten ebenfalls länger nach Westen ausgedehnt werden, dadurch erhielt das östlich massierte Belagerungskorps Romanzows aber bedeutende Bewegungsfreiheit. – Mit diesem Stande der Dinge beginnt unsere Geschichte.

Am Abend des 20. Oktober befanden sich im oberen Stock des ehedem herzoglichen Schlosses zu Treptow in einem dreifenstrigen, getäfelten Zimmer fünf höhere preußische Offiziere. Der General von Knobloch war ein ältlicher, indessen noch höchst frischer Herr und Kommandeur der Brigade. Leutnant de l'Enfant und de Romanai, alteingewanderten Familien der französischen Kolonie in Berlin entstammend, waren des Generals Adjutanten, Leutnant Friedrich von Steuben aber sein Generalstabsoffizier, ferner war Oberst von Koch, zur Zeit Platzkommandant der Stadt und Chef des in ihr garnisonierenden Infanterieregiments, zugegen.

Die Strammheit, welche den Soldaten des großen Friedrich zur anderen Natur geworden war, verleugneten diese Herren selbst in dem Augenblicke nicht, da sie, gesellig um ihren Kommandeur vereint, aus kurzen holländischen Pfeifen rauchten und des schneeigfeuchten, unlustigen Wetters wegen einer Grogbowle zusprachen, deren geistigen Bestandteil sie einem in der Zimmerecke stationierten Fäßchen entlehnten, das ihnen von Stettin aus vor etwa einer halben Woche zugekommen war. Von Knobloch und seine Offiziere waren ein lebendiger Beweis des Dogmas: »Der preußische Soldat ist immer, ja selbst im Schlafe, in Seiner Majestät Dienst!« Wer sie so sitzen sah, kerzengerade, mit steifen Zöpfen, jeden Augenblick marschfertig, bei ihrem ruhigen, kühl ernsten Gespräch dann und wann nur einen Schluck nehmend und den Dampf leicht durch die Lippen blasend, der hatte ein vortreffliches Miniaturbild jener zwar altväterlichen, aber kraftvollen Heldengenossen, mit denen der große Friedrich bisher seine wunderbaren Schlachten geschlagen hatte. Trotz aller steifen, kalt ernsten Würde war General von Knobloch aber weder ein militärischer Philister noch ein inhumaner Vorgesetzter. Seine Offiziere waren nichts weniger als nur pflichtgemäße Automaten des Dienstes, die vor des Generals bloßem Augenwink zitterten. Im Gegenteil, ihr beiderseitiger Verkehr blieb bei aller Distinguiertheit zwanglos, denn jeder dieser Männer war von dem Bewußtsein seiner Stellung, einer Kriegstüchtigkeit und Bravour erfüllt, die er in zahlreichen Schlachten und oft genug unter den Augen des Monarchen bewährt hatte. Ein Band innigster Hochachtung und Freundschaft also umschloß sie alle, ihr gegenseitiges Vertrauen äußerte sich deshalb im engeren Abendzirkel, sowie auch immer in einer achtungsvollen Vertraulichkeit. Nach wenigen Worten gegenseitiger Begrüßung hatte man mit jenem Instinkte, der bei unvorhergesehenen Momenten stets den preußischen Offizier beseelt, sofort einen knappen, schneidigen Ton angeschlagen, der wie ein Logarithmus oder ein Geschäftskonto in Dialogform wirkt. Man sprach die »militär-diplomatische« Sprache, welche ein anderer Offizier schwerlich außer diesen Fünfen völlig verstand. Den Grund, dieser Art sich zu unterhalten, gab eine Terrainkarte der Küste und Flußgebiete um Kolberg und Treptow ab, welche zwischen General von Knobloch und Leutnant von Steuben, dem Stabsoffizier, auf dem Tische ausgebreitet lag, um welche die übrigen Herren sich gruppiert hatten. Diese Karte hatte verschiedene Striche, welche die momentane Stellung von Freund und Feind markierte, Steuben, den Bleistift in der Hand, deutete während des Gesprächs auf die verschiedensten Stellungen, welche in Rede kamen. Das Rauchen und Trinken war nur eine mechanische Beschäftigung, an der das Bewußtsein keinen Anteil nahm.

»Laut Bericht greifenbergischer Vorposten von 6 ¼ Uhr abends!« erwiderte Romanai. »Dort etwa!« – sein Finger legte sich auf einen Punkt der Karte.

»Werden wir unsere Seefische heute wieder haben, Herr von Steuben?« fragte Knobloch nach einer Pause.

»Falls die tollen Seewehen nicht neu erwacht sind, ja! Seit gestern morgen konnten die Fischer von Deep wieder seit zwei Wochen das erstemal einen Zug tun.« Steuben sah nach der Uhr. »Vogel müßte mit den Flundern eigentlich seit einer Stunde da sein!«

»Wenn die Deepner wieder Fische ans Land bringen, könnten noch ganz andere Hechte gelandet sein,« sprach Oberst Koch nach kurzer Pause, »die ein verdammt schlechtes Gericht für uns abgeben würden, Exzellenz!«

»Denk' ich jetzt auch«, entgegnet« Knobloch. »Das Unglück dabei ist, daß meine und General von Platens Truppen so zerfasert stehen müssen! Das Langzerren meiner Regimenter nach Westen, die leidige Not des Zufuhrwesens ist sehr schlimm! Wie soll man dem aber begegnen, da die nächste Umgegend seit September schon ausgesogen ist? Gestern früh bereits wurde Steuben unruhig und drang darauf, die Anfuhr des Proviants zwei Tage wenigstens auszusetzen, um die Brigade wieder heranzuziehen. Aber ich kann es nicht verantworten!« »Sie hielten es weder für tunlich noch für geraten?«

»Es fehlte uns eben noch Heu, Stroh, Mehl und Fleisch, Oberst. Schlägt das erste weiche Schneewetter plötzlich in scharfen Frost um, wie endlich doch zu erwarten ist, dann sind unsere Leute den größtes Übelständen ausgesetzt, wenn nicht alles mühevoll Zusammengebrachte herein ist. In drei bis vier Tagen aber können wir damit zustande kommen.«

»So wünschte ich nur, Exzellenz, wir hätten auch solange tollen Wind und brausende See, wollte, daß wir vor acht Tagen keine Flotte zu Gesicht bekämen!«

»Könnten die Kosaken denn aber nicht von der Ostseite der Persante herkommen, Herr von Steuben?«

»Könnten? Gewiß, Herr von Romanai, sie könnten es schon, ich fürchte nur, sie werden es nicht! Denke immer, sie kommen westwärts oder von der Oder aus Südwesten!«

»Weshalb?« fuhr Koch auf. »Glauben Sie, von dort aus sind Russen in Anmarsch?«

»Ich behaupte es nicht, Herr Oberst, aber es wäre doch möglich, weil die Deepner wegen stillen Wassers seit gestern morgen wieder auf den Fang gehen können.«

»Lassen Sie auf alle Fälle satteln, de l'Enfant!« befahl Knobloch kurz. »Binnen einer Stunde müssen wir wissen, ob das Wetter mit den Kosaken etwas zu schaffen hat!«

Eben wollte der Adjutant diesen Befehl ausführen, als sich die Tür rasch öffnete und ein Ordonnanzoffizier hereintrat.

»Auf Befehl des Herrn Majors Schellhorn habe Exzellenz zu melden, daß westlich der Stadt fernes Schießen, auch vermehrte Bewegung auf der Ebene vernehmbar ist.«

»Westlich? – Sogleich die Pferde vor! Weiß Er genau, daß es auch westlich ist?«

»Ganz bestimmt westlich, etwa 'ne halbe Meile von hier, Exzellenz; kleines Gewehrfeuer, unregelmäßig wie beim Scharmuzieren.«

»Verfüge Er sich sofort zur Wache! Lasse Er Generalmarsch schlagen, Leutnant! Kehre Er dann zu seinem Bataillon zurück. Major von Schellhorn soll binnen zwanzig Minuten Unterstützung haben!«

Nachdem der Adjutant des Generals und der berichterstattende Leutnant das Zimmer verlassen hatte, sah Knobloch seine Abendgäste mit vielsagenden Blicken an. »Meine Herren,« sagte er mit eigentümlichem Tone, »die feindliche Flotte hat ihre Truppen gelandet; neuntausend Mann also gegen unsere zweitausend!«

»Es müßte wirklich seit gestern morgen geschehen sein«, damit rollte Steuben die Karte zusammen. »Entweder ging Vogel beim Kundschaften zu weit vor, und sie fingen ihn ab, oder er sammelt so viel Nachricht, daß er nicht eher – da ist er!«

Ein junger, rotwangiger, schlanker Mensch trat ein. Er hatte ein kassubisches Fischerhemd über die Uniform geworfen und einen geteerten Schlapphut in der Hand. In demselben Augenblick rasselten die Alarmtrommeln.

»Keine Fische, Vogel?« wandte sich Knobloch trocken zu dem Ankömmling.

»Nein, Exzellenz, aber Russen übergenug! Zehn Boote von Deep schnitt die feindliche Flotte ab, die Fischerfrauen heulen und klagen. Zwei Meilen westlich auf Stettin zu liegen die Russen Schiff bei Schiff und setzen große Massen Kosaken und Infanterie ans Land!«

»Wann sahst du das?« fragte Steuben.

»Vor fünf Stunden, Eure Gnaden, zwei Meilen westlich von Deep. Mußte leider der drängenden Proviantkolonnen wegen einen Umweg nehmen, sonst wäre ich durchs westliche Tor herein und viel eher da.«

»Besorge Pferde und Gepäck, Karl!«

Als der Bursche des Stabsoffiziers sich entfernt hatte, erhob General von Knobloch das Glas. »Meine Herren Kameraden, des preußischen Soldaten Wahlspruch ist stets gewesen: › in victoria sterben, et cum gloria auferstehen!‹ Dabei soll's bleiben! Oberst, lassen Sie ein Bataillon gefechtsbereit die westliche Straße eine halbe Meile vorrücken, es soll das Bataillon Schellhorn wie alle Posten und die zurückgedrängten Trupps der Unsern aufnehmen und unterstützen. Ihr Adjutant aber soll den Befehl bis zu den letzten Kolonnen in die Nähe des Feindes bringen: daß sämtliche erreichbaren Bedeckungsmannschaften während der Nacht zurück und in die Stadt kommen müssen. Die Proviantwagen werden gerettet oder verbrannt, die Gespanne unter allen Umständen mitgebracht. Es ist ganz klar, woher die Kosaken bei Greifenberg kamen! Romanai, reiten Sie auf Tod und Leben! Melden Sie Exzellenz von Platen und der Hoheit, Prinzen von Württemberg, die russische Landung und den hiesiges Stand der Dinge! Wir halten Treptow, bis Seine Durchlaucht weitere Order gibt.«

Sämtliche Offiziere entfernten sich rasch, nur der General und sein Stabsoffizier blieben zurück. Langsam füllte Knobloch wieder sein Glas und das des anderen. »Der letzte Trunk vielleicht, Steuben! Die Frage ist nur noch, ob Romanai Platen und den Prinzen erreicht und glücklich zurückkommt.«

Steuben stieß mit dem General leise an.

»Zurückkommt, ohne zwischen Rega und Passarge die Graugrünen gesehen zu haben!«

»Wenn er sie sah und es ihrer viele waren –«

»Dann sind wir abgeschnitten – wenn nicht umzingelt, mein General!«

» Foudre! A cheval, à cheval, mon ami! Wir wollen ans Westtor und dann die Runde machen. Gott gebe, daß wir wenigstens die Brigade wieder zusammen kriegen!«

Etliche Minuten später ritten Knobloch und Steuben los. In der Stadt gab es Höllenlärm und gründliche Verwirrung. Zwar standen die Soldaten ordnungsmäßig auf den Alarmplätzen, auch des Generals Befehle wurden musterhaft ausgeführt, aber die hastig in die Stadt einfahrenden Proviantkolonnen stopften und verfuhren sich in den engen Straßen. – Mit kaltblütiger Umsicht ordnete der General mit Hilfe seines Stabsoffiziers und de l'Enfants alles. Er ließ die Fuhrwerke in den Seitengassen aufstellen, so daß die Passage vom östlichen zum westlichen Tor frei wurde. Dann sprengten beide zu dem letzteren, durch welches abwechselnd Truppenabteilungen und Fuhrwerke in höchster Eile drangen. Dort stiegen beide von den Pferden und begaben sich auf den Wall. Ihre Besorgnis wurde nur zu sehr begründet. Die russische Flotte hatte, von der ruhigen See begünstigt, heute oder schon gestern ihre übrigen Truppen westlich der Rega gelandet. Diese schienen, den beobachtenden Kosakenabteilungen oberhalb Greifenbergs zufolge, in einer Umgehung im südlichen Bogen begriffen und mochten hierbei auf die Proviantkolonnen und deren Bedeckung gestoßen sein. Sicher hatten sie diese teils durchbrochen, teils abgeschnitten und verfolgten dieselben mit einer starken Abteilung nach der Stadt zu. Auf letzteres deutete das immer näher kommende heftige Schießen, die größere Panik und Eile der zum Tore zurückdrängenden preußischen Kolonnen und Wagen. Um elf Uhr, nachdem der General persönlich umfassende Anordnungen getroffen und der Panik gesteuert hatte, trat endlich Ruhe ein. Das Schießen hörte plötzlich auf. Entweder stand das Gefecht still oder es war vom Feinde abgebrochen worden. Den Befehl zurücklassend, daß die Kommandeure der eintreffenden Truppen sich sofort zur Berichterstattung auf dem Schlosse zu melden hätten, eilten Knobloch und Steuben in ihr Quartier. Die Nachrichten der Regimentskommandeure bestätigten, daß ein starkes russisches Korps von der Küste her in Anmarsch begriffen gewesen sei, sie angegriffen, geworfen und viel Beute an Vorräten und Transportwagen gemacht habe. Andere Abteilungsführer, welche diesem Schock noch rechtzeitig entgangen waren, hatten südwärts starke Massen russischen Kriegsvolks eiligst nach der oberen Rega marschieren sehen. Nachdem Knobloch später den Adjutanten de l'Enfant nach Deep an die Küste gesandt hatte, um nachzusehen, ob dort etwa die Russen gelandet wären, blieb für die Nacht nur noch übrig, die Wallmannschaften zu verstärken, die übrigen Truppen aber für den Fall bereitzuhalten, daß der Feind es auf eine Überrumpelung abgesehen habe. Während Leutnant von Steuben wach blieb, um bei besonderen Veranlassungen gleich zur Hand zu sein, warf sich sein General halb entkleidet aufs Feldbett.

Wer eine ungefähre Idee von den Pflichten des Strategen, des wissenschaftlichen Beirats und Adlatus eines Generals hat, wird zugeben müssen, daß für ihn der Augenblick stets der bitterste sein muß, in welchem ihn mehr und mehr die Ahnung beschleicht, daß kein Schachzug mehr bleibt und mit jeder kommenden Stunde die Bewegungsfähigkeit seines Korps durch die Übermacht rings andrängender feindlicher Massen vermindert wird. Zwei Alternativen schwebten Leutnant von Steuben vor: die etwaige Möglichkeit, unter Preisgabe Treptows nördlich der Küste entlang, dem Gegner noch auszuweichen und das Korps des Prinzen von Württemberg von Kolberg zu verstärken, oder südöstlich zu Platen vorzudringen. Beide Auswege konnten noch offen stehen, ebensogut aber bereits unmöglich geworden sein. Die dritte Alternative war, Treptow zu verteidigen, es aber Platen und dem Prinzen zu überlassen, einen Versuch zu machen, die Brigade Knobloch zu entsetzen. Der Weg nach Norden stand frei, falls die Russen nicht inzwischen auch bei dem Fischerdorf Deep genug Truppen ans Land gesetzt hatten, um den Weg nach Kolberg zu verlegen. Der Marsch zu Platen, also zurück zur eigenes Division, ließ sich wagen, wenn das Plateau zwischen Passarge und Rega noch frei war. Hatte der Feind, sei es von Norden oder Süden her, die Vereinigung der Brigade mit den übrigen preußischen Truppen aber unmöglich gemacht, so war man eingeschlossen. Ein gewaltsamer Durchbruch mit blanker Waffe wäre töricht und unheilvoll gewesen. Die Überzahl der Russen, der Mangel an Kavallerie und Feldgeschützen verbot ein derartiges Wagnis. Sorgsam erwog Steuben, ob schlimmstenfalls nicht wenigstens Treptow gehalten werden könne, doch auch bei diesem Gedanken sank ihm das Herz. Allerdings hatte man dank den Proviantkolonnen hier Lebensmittel, aber wenig Munition für die Artillerie, und die Werke der Stadt waren zu schwach und unzulänglich für eine regelrechte Belagerung. Die qualvollen Betrachtungen des Stabsoffiziers wurden endlich gegen zwei Uhr des Nachts durch de l'Enfant unterbrochen, welcher von Deep zurückkehrte.

»Wie steht's dort?«

»Mindestens anderthalb russische Brigaden sind da gelandet. Man schiffte noch Truppen aus, als ich kam.«

»Dann wird vor morgen früh die Straße nach Kolberg verlegt sein. Wir können auf Romanai nicht länger warten!« Damit trat er zu dem schlafenden General und erfaßte dessen herabhängende Hand.

»Ach ja!« Knobloch fuhr auf und rieb sich die Augen. »Was ist's denn?«

»Ein russisches Korps, anderthalbmal stärker als wir, ist in Deep gelandet,« entgegnete Steuben, »somit rückt der Feind gegen uns von Westen und Norden an. Ich glaube, wir dürfen nicht bis Tagesanbruch warten, ehe wir zum Entschluß kommen.«

»Weiß Gott, nein!« Der General stand auf und schüttelte sich. »Sie müssen die Obersten Koch und Witzleben wecken, deren Truppen müssen binnen einer Stunde marschbereit sein. Kavallerieregiment Kaminsky soll aufsitzen und eine Eskadron sofort ostwärts der Stadt in der Richtung auf General von Platen vorgehen, damit wir wissen, ob sich dort der Feind bemerkbar macht, oder ob eine Verbindung mit Platen möglich ist! Helfen Sie mir rasch die Montur anlegen, Steuben!«

Der Adjutant entfernte sich. Mit des Stabsoffiziers Beistand ordnete der General rasch seine Toilette.

»Sie sollen sehen, cher ami, in dieser Richtung ist noch etwas zu machen, sonst wäre Romanai schon da.«

»Sie wollen die Brigade mit unserer Division wieder vereinigen und Treptow verlassen?«

»Entschieden, wenn wir nicht geradezu im Sack sitzen sollen. Viel kann freilich nicht geschehen, das Menschenmögliche aber muß versucht werden. Diese unglückselige Abdetachierung, der Proviantzufuhren wegen, ist unser Unglück, obwohl sie unerläßlich war, um die darbenden Truppen zu versorgen.«

»Was soll aus diesen Zufuhren aber werden, wenn wir Treptow verlassen?«

»Witzleben, der die Arrieregarde bilden soll, hält die Stadt solange als möglich, damit wir sie als Stützpunkt und Rückzug nicht verlieren, wir aber gehen mit Koch, Kaminky als Vorhut, östlich vor. Bestätigt die rekognoszierende Kavallerie, daß der Weg zu Platen frei ist, so nehmen wir den Fuhrpark in die Mitte, durch Witzleben gedeckt, und lassen Treptow samt der Regastellung fahren. Unsere bisherige Aufgabe ist dann erfüllt, und wir haben uns mit der Division zu vereinigen. Platen und der Prinz mögen dann entscheiden, ob mit 15 000 Mann den 25 000 Streitern Romanzows eine Schlacht unter Kelbergs Mauern anzubieten ist.«

»Es wäre das beste, falls es gelingt. Vereinigt können wir wenigstens dem Feinde imponieren und Kolberg Sr. Majestät erhalten; erleiden wir hier einen Schlag, Exzellenz, so muß unrettbar dieser wichtigste Punkt für Preußen im Norden fallen.« – Steuben sah nach der Uhr, befahl die Pferde, dann saß Knobloch mit ihm und l'Enfant auf und trabte zum Marktplatze. Dort und in den Nebenstraßen hatten sich das Regiment Koch und die zwei letzten Eskadrons von Kaminskys Reitern aufgestellt. Oberst von Witzleben und Major von Wurmb, welcher die Fahrkolonnen kommandierte, waren erschienen, und die Truppenführer schlossen um den General einen Kreis. Nachdem ihnen dieser kurz auseinandergesetzt hatte, worauf es ankäme, erhielt Witzleben bis auf weiteres das Kommando in Treptow, die Marschordnung wurde festgesetzt, dann setzte sich General von Knobloch mit seiner militärischen Begleitung an die Tete, und lautlos verließ der größte Teil der Brigade ostwärts die Stadt.

Es mochte gegen drei Uhr sein. Die Nacht war mondhell und kalt. Da es inzwischen sehr stark geschneit hatte und die Luft durch des erstes eingetretenen Frost klar geworden war, konnte man die Gegend weithin übersehen.

Dieser in größter Stille vollzogene Ausmarsch hatte etwas Beklemmendes. Weit den Eskadrons Kaminskys voraus, zogen seine rekognoszierenden Reiter, eine lange, aufgelöste Linie, die nach Ost, Nordost und südöstlich fächerförmig ausschwärmte.

»Ist es Ihnen genehm, Exzellenz,« unterbrach Steuben die Stille, »so möchte ich in gerader Linie auf General Platens Schanzen zu den rekognoszierenden Reitern vorreiten. Es wäre möglich, ich stieße auf Romanai.«

»Tun Sie das, seine verzögerte Rückkehr macht mich besorgt.«

Der Stabsoffizier preßte seinem Gaule die Sporen ein, fegte über die verschneiten Äcker hin und hatte bald denjenigen Punkt der Reiterlinie erreicht, welcher südöstlich der Richtung auf Platens Standort am nächsten lag.

»Nichts bemerkt bis jetzt, Kinder?« redet er ein Pikett an, das ein alter Wachtmeister führte.

»Kein Luftzug regt sich. Nicht einmal ein Hase ist zu sehen, geschweige denn ein Russe.«

»Desto besser für uns!« Schweigend ritten sie so eine Viertelstunde, mit der übrigen Kavallerie möglichst in gleicher Linie und scharf ausschauend. Plötzlich schlug fernes, vereinzeltes Schießen an ihr Ohr. Tief in der Ebene – gerade in Platens Richtung, blitzte es mehrfach funkenartig auf.

»Halt!« kommandierte Steuben. Pferde und Reiter hielten, steif wie Statuen. Alle lauschten. Die übrigen Piketts folgten ihrem Beispiel. Nur an den Flanken rückten die rekognoszierenden Trupps noch vor.

»Ich höre Pferdegetrappel, Herr Leutnant!«

»Lasse Er durch zwei Mann die nächsten Seitenpiketts heranholen. Droht uns ein Vorstoß, so ist es auf diesem Punkt. Haltet Karabiner und Pallasch bereit!«

Das Schießen, obwohl es vereinzelt blieb, kam näher. Ein dunkler Gegenstand bewegte sich schnell auf das Pikett zu, weiter hinten folgten demselben ziemlich viel graue Gestalten.

»Es muß Romanai sein!« murmelte Steuben, dann wendete er sich zu dem Wachtmeister. »Galoppiere Er mit sechs Mann vor. Ich glaube, es ist Sr. Exzellenz Adjutant. Decke Er ihm den Rücken! Ist's aber ein Russe, so fängt Er ihn!«

Während der Wachtmeister den Befehl ausführte, kamen links und rechts die Seitenpiketts heran. Steuben, unverwandt nach dem blickend, was sich vor ihm entwickelte, sah, wie der Wachtmeister und seine Leute mit dem einzelnen Reiter zusammentrafen, ihn sofort weiterließen, dann aber in gestrecktem Galopp vorgingen.

»Trab!« kommandierte der Stabsoffizier. In diesem Augenblick krachten Schüsse, der Wachtmeister und seine Leute waren bereits im Handgemenge. Einige Sekunden später keuchte der einzelne Reiter heran, sein Pferd taumelte vor Erschöpfung, er selbst hatte den Hut verloren.

»Romanai! Teufel, da sind Sie endlich! Wo haben Sie gesteckt?«

»Zwischen den südlich und östlich anrückenden Russen!«

»Vorwärts, Reiter, helft eurem braven Wachtmeister! Blase Er zur Attacke, Trompeter!«

Die Piketts brausten an beiden vorüber, indes das bekannte Angriffssignal erklang. Sofort richteten alle links und rechts in der Ebene trabenden Posten ihren Lauf im Galopp nach der Stelle des Kampfes, der nun ernstlich zu entbrennen schien.

»Kommen Sie zum General, lieber Romanai, erholen Sie sich inzwischen ein wenig. Sie waren arg in der Klemme?«

»Teufelsmäßig, Steuben! Aber gottlob, ich bin hier. In Wahrheit, Freund, die Russen sind zwischen beide Flüsse gerückt, wir sind von Platen abgeschnitten! Hoffentlich noch nicht von Kolberg und dem Prinzen?«

»Gestern Abend sind sie auch bei Deep gelandet und rücken vom Norden her. Wir machen diese Diversion, um ihnen nach Osten auszuweichen.«

»Vergebens, Steuben, wir werden Kolberg und Platen nie wiedersehen!«

»Bah, das ist Schwarzseherei!«

»Warten Sie es nur ab, Freund. Bevor der Tag graut, werden Sie in diesem Punkte meine Ansicht teilen.«

Unter ähnlichen unangenehmen Bemerkungen erreichten sie, wegen Romanais erschöpftem Pferde nur im Schritt reitend, den General und die Tete der Brigade.

»Sie bringen den Feind gleich mit, Adjutant«, rief Knobloch übellaunig.

»Wohl wahr, Exzellenz. Wenn Sie mein Pferd ansehen, werden Sie bemerken, daß ich Mühe hatte, daß der Feind nicht vor mir bei Ihnen war.«

»Ihren Bericht also?«

»Gestern Abend stieß ich, indem ich einen südlichen Bogen nach dem Lager des Generals von Platen nahm, bereits ziemlich in der Mitte der Ebene zwischen beiden Flüssen auf ein starkes russisches Korps, das ich in der Entfernung auf etwa 3000 Mann schätzte. Es marschierte nordöstlich auf Treptow zu; der Mond schien wie jetzt auf den Schnee. Sie müssen weder Kosaken noch sonstige Kavallerie bei sich gehabt haben, oder sie bemerkten mich nicht, ich entkam ihnen.«

»Wann war das?«

»Etwa gegen zwölf Uhr.«

»War es mehr nach uns und Treptow zu oder mehr auf der Persanteseite?«

»Mehr nach der Rega und Treptow hin. Es schien, daß ihr linker Flügel sich auf Greifenberg stütze.«

» Sacre mille tonnerres! Oberst Kaminsky!«

»Exzellenz?«

»Ihr ganzes Regiment geht zum Angriff vor, aber mit Bedacht! Ich werde Ihnen für den Notfall ein Bataillon von Koch nachsenden. Wenn Sie nicht müssen, schlagen Sie nicht. Eine Blame aber lassen Sie sich auch nicht gefallen! Jedenfalls vergessen Sie nicht, daß wir unter solchen Umständen Treptow keineswegs preisgeben dürfen, um auf freiem Felde an der Übermacht zu zerbröckeln. Vor dem bedenklichen Moment wird das Gefecht also abgebrochen!«

»Zu Befehl, Herr General!«

Während Knobloch mit Steuben und Romanai abschwenkten und an den linken Flügel des Regiments ritten, kommandierte Oberst von Kaminsky »Trab« und führte den Rest des Regiments rasch vorbei, dann formierte er zur Attacke, zumal das Schießen und Scharmützeln reger wurde. Bald darauf trabten die Reiter in Schlachtfront ihren schon engagierten Vortruppen zu.

»Was noch weiter, Romanai? Wenn Sie gestern Abend entkamen, weshalb sieht man Sie jetzt erst?«

»Dem Regen entschlüpft, komme ich unter die Traufe. Zu General Platen zu gelangen war unmöglich, ich wendete mich nordöstlich in der Richtung nach Kolberg zu, um zu sehen, ob der Anschluß an den Prinzen möglich sei.«

»Von Treptow aus ist das vorbei, Leutnant. Was sahen Sie denn, und wie kamen Sie an den Feind?«

»Etwa nach ein Uhr, zwei Meilen nordöstlich der Schanzen an der Passarge, begegnete ich einem zweiten noch größeren russischen Korps, das mir parallel zur Persante von Norden her entgegenmarschierte.«

»Wie erklären Sie das, Steuben?«

»Das erste russische Korps, was Romanai erblickte, ist das von der Flotte gelandete, bestehend aus Kosaken, das gestern Greifenberg sah. Es marschiert zweifellos Treptow zu, um die Stadt im Osten zu umschließen. Das zweite Korps aber ist von Romanzow wahrscheinlich östlich über, die Persante oberhalb der Schanzen dirigiert worden, und seine südliche Bewegung gilt Platen. Man will ihn von Kolberg und uns von ihm absperren, und es ist gelungen!«

»Haben Sie noch etwas zu sagen, Adjutant?«

»Daß Herr von Steuben recht haben muß, denn beide feindlichen Korps in ihrem divergierenden Marsche hatten sich mit den Flanken berührt, und Truppen dieser ihrer Flankendetachements sind mir auf den Fersen, Dragoner und Kosaken – vielleicht als Gros auch Infanterie!«

»Dann ist unsere letzte Disposition sachgemäß, Steuben!«

»Gewiß, Exzellenz. Lassen Sie sogleich rückwärts mit Treptow Verbindung nehmen, Witzleben aber ein Bataillon im Osten vor die Stadt schicken. Wenn wir genau wissen, wir drücken weder gegen Platen noch nach Kolberg hin durch, dann müssen wir zurück, sonst kommt das bei Deep gelandete Korps uns in den Rücken!«

»L'Enfant! Kochs zweites Bataillon bleibt stehen und formiert sich zum Gefecht; das erste folgt zu Kaminskys Unterstützung. Sie aber reiten nach Treptow zurück. Witzleben führt die Bewegung aus, welche Steuben vorschlägt und gewinnt Anschluß an das zweite Bataillon Koch. Steht die Sache wirklich so, wie es scheint, dann müssen wir vor der Dämmerung in Treptow wieder eingetroffen sein! Lassen Sie Romanai ein anderes Pferd geben, Steuben, sein Tier ist hin. In einer halben Stunde sind wir über die Physiognomie klar, die der Feind gegen uns macht.«

In der Dämmerung ward Kriegsrat gehalten, der zu der Resolution führte: die westlichen und nördlichen Wälle der Stadt möglichst stark zu verteidigen, mit den übrigen Truppen aber auf der östlichen und südlichen Seite vor der Stadt stehenzubleiben. Dem Regiment Kaminsky wurde der Vorpostendienst übertragen.

Obwohl die Stärke der russischen Truppen, welche jetzt zwischen Persante und Rega zu operieren schienen, etwa 13 – 15 000 Mann betragen mochte, waren die gesamten innerhalb derselben Region befindlichen Streitkräfte der preußischen Korps immerhin doch 13 000 Mann stark. Die etwa 3000 Mann Russen westlich Treptows und die 9000 Mann Romanzows, östlich Kolbergs, vermochten vorläufig in keine weitere Aktion einzutreten, als daß sie beide Plätze bedrohten. Die Entscheidung preußischerseits lag also immer noch ostwärts von Treptow, und dorthin mußten seine Bewegungen sich neigen, während das russische Interesse die entgegengesetzte Richtung erheischte. Die einzige, obwohl schwache Hoffnung Knoblochs bestand in der Annahme, daß dem zwischen den Flüssen agierenden Feinde keine Artillerie zu Gebote stand, er diese vielmehr allein für Kolbergs Belagerung und gegen den Prinzen von Württemberg in Anwendung zu bringen schien.

War bei dem General und seinen Kommandeuren wirklich noch ein Schimmer von Hoffnung vorhanden, sobald der nächste Tag vorgeschritten genug war, um übersehen zu lassen, was es zu sehen gab, wich jegliche Einbildung der niederdrückenden Wirklichkeit. Die Brigade Knobloch war von einer über 8000 Mann starken russischen Armee umschlossen, von Platen und von dem Prinzen von Württemberg abgesperrt. Lediglich darauf beschränkt, Treptow zu halten und sich mannhaft der Übermacht zu erwehren, konnte das Los der Brigade Knobloch nur Vernichtung sein, oder das verzweifeltste aller Auskunftsmittel, die Kapitulation!!

Die vier Tage vom 21. bis 25. Oktober waren für die brave Brigade in Treptow Höllentage, eine Kette von Enttäuschungen und vernichteten Hoffnungen. Wir unterlassen die Schilderung der Kämpfe, mittels welcher General von Knobloch sich der eisernen Umarmung seines unerbittlichen Gegners zu entziehen suchte; es war nur eine verlängerte Todesqual. Nach mehrfach höchst blutigen Versuchen bei Tage und Nacht, sich östlich, südlich oder nördlich durchzuschlagen, zog Knobloch seine Truppen ganz in die Stadt zurück, auf eine Belagerung gefaßt. Der Feind brachte von seinen Schiffen bei Deep inzwischen auch Artillerie heran, und die Beschießung des Städtchens begann.

Bald genug brannte Treptow an verschiedenen Stellen, und zwei Breschen im Norden und Osten begannen zu klaffen, die preußische Artillerie aber hatte keine Munition mehr, um den ungleichen Kampf ausfechten zu können. –

In der Nacht vom 24. zum 25. ist es, und dasselbe Zimmer des Schlosses zu Treptow wieder, welches General von Knobloch vorher bewohnt hatte, in dem die Kommandeure sich das letztemal um ihn versammelten.

»Meine Herren,« sagte er bleich, aber gefaßt, »wir haben getan, was möglich war, uns mit General Platen und dem Prinzen zu vereinigen. Mehr als der vierte Teil der Brigade ist tot oder verwundet. Noch einen Tag ein solches Bombardement, und die Stadt ist ein Schutthaufen! Der Sturm, die völlige Vernichtung unserer Brigade, Plünderung und schlechte Behandlung der Einwohnerschaft ist gewiß, denn wir stehen einem Romanzow gegenüber, einer Vandalenseele! Es fragt sich, ob wir's bis zu diesem Schlusse treiben wollen oder durch ehrenvolle Übereinkunft mit dem Feinde wenigstens Sr. Majestät unsere wackeren Leute erhalten, das bald genug dem Feinde preisgegebene Treptow aber vor fernerem Brand und der Plünderung bewahren. Was ist Ihre Meinung, lieber Koch?«

»Ich muß sagen, daß jeder fernere Kampf gegen unser Gewissen ist. Es wäre ein Verbrechen, und es verstößt gegen den allgemeinen Kriegsbrauch, einen so schlecht befestigten Platz wie diesen mit kaum 1500 Kombattanten gegen eine fast sechsfache russische Übermacht behaupten zu wollen. Ich stimme für Kapitulation!«

»Mit anderen Worten, Herr General,« sagte Oberst von Witzleben, »wir sollen mit diesem Akte der Schmach unsere bisherige kriegerische Ehre vernichten, unsere Namen auslöschen und dem Herzen des Monarchen eine neue Wunde schlagen? Wissen Sie, was unser Los in Rußland sein wird? – Sibirien!!«

»Ich hege die Ansicht, daß man noch einen Durchbruch versuche!« rief Kaminsky. »Ich will mich an die Spitze desselben stellen und vor der Front meines Regiments fallen!«

»Wenn es sich um uns handelte, unser Los die Hauptsache wäre,« erwiderte Steuben, »dann hätte Oberst von Kaminsky zweifellos recht. Nutzloses Abschlachten der eigenen Leute halte ich aber für ruchlos und töricht! Meinen Sie, meine Herren, daß dem von uns, welcher das Unglück hat, diesen neuen Durchbruch zu überleben, etwa Sibirien erspart bleibe, daß Graf Romanzow uns nicht mit noch wilderer Barbarei behandeln wird? Was aber ist dann das Schicksal der Mannschaften? Es ist gegen meinen Eid als Offizier, gegen mein preußisches Gefühl und meine Religion, in dieser unglücklichen Lage zu anderem zu raten als zu einer Übereinkunft mit dem Feinde!«

Ein langes Schweigen erfolgte. Jeder in dieser kleinen militärischen Versammlung ging nochmals mit sich zu Rate.

»Lassen Sie uns abstimmen, meine Herren«, sagte düster der General. »Auf mein Gewissen nehme ich die Ausführung dessen, was wir beschließen! Gott sei uns ein barmherziger Richter in dieser äußersten Not!«

Man stimmte ab. Knobloch, Koch, und Witzleben für, Kaminsky gegen die Kapitulation. Selbst dieser, nachdem er überstimmt worden war, erklärte, er sähe ein, daß der Abschluß einer Kapitulation die weisere, wenn auch unglücklichere Maßregel sei. Die eigene Ehre müsse hier der Wohlfahrt der Truppen weichen. Nachdem sie den gemeinsamen Beschluß zu Papier gebracht und unterzeichnet hatten, setzten sie die Kapitulationsbedingungen fest, und Steuben wurde beauftragt, mit dem Feinde zu paktieren. Demgemäß sandte General von Knobloch sofort die Adjutanten de l'Enfant und Romanai mit einem Billett zu den feindlichen Vorposten, welches, an den russischen Oberstkomandierenden gerichtet, den Wunsch aussprach, ihm seinen Generalstabsoffizier von Steuben behufs Unterhandlungen zu schicken, und daß während derselben die Feindseligkeiten eingestellt sein möchten. Nach Verlauf von anderthalb Stunden erschienen die Adjutanten wieder und händigten dem General das Antwortschreiben des Grafen Romanzow folgenden Inhalts aus:

»Exzellenz! Ich erwarte Herrn von Steuben und habe sofort Befehl zur Einstellung aller Feindseligkeiten gegeben. Lassen Sie, ich bitte, im eigenen wohlverstandenen Interesse Ihre Bedingungen derartig sein, daß ich sie anzunehmen vermag. Ich will, soweit meine Pflicht es gestattet, mich bemühen, Ihren Wünschen Rechnung zu tragen. Mein Adjutant wird Ihren Herrn Parlamentär bei Ihren Vorposten empfangen. Ew. Exzellenz ergebenster

von Romanzow

Kaiserl. Russ. Oberstkommandierender der Okkupations-Armee für Pommern.«

Friedrich von Steuben begab sich, mit Instruktion versehen, in Begleitung von Knoblochs Adjutanten in das feindliche Hauptquartier.

Romanzows Antwort war sehr entgegenkommend höflich, ja sogar verbindlich gewesen, ein Beweis, daß er gern auf eine Übereinkunft eingehen werde und sein bei Treptow gegen Knobloch stehendes Korps für andere Aktionen frei zu sehen wünschte. Was das für welche sein mochten, konnte man sich denken. Zunächst mußte Steuben also die Art basieren, in der er die Verhandlungen zu leiten hatte. Es war der schwerste Gang seines Lebens, den er mit l'Enfant und Romanai antrat. Bei den Vorposten von Romanzows Adjutanten Tscherbenow empfangen, wurden alle drei mit verbundenen Augen unter Bedeckung in das Zelt des russischen Generals geführt, wo ihnen die Binden abgenommen wurden.

Bald darauf trat Romanzow mit einem anderen hohen Militär ein, der sein Generalstabsoffizier zu sein schien. Steuben gefiel der Graf nicht, er hatte ein unangenehmes Wesen, das durch übergroße Freundlichkeit noch verdächtiger wurde.

»Ich mache Ihnen und Ihrem ausgezeichneten Korps mein Kompliment!« redete ihn derselbe in schlechtem Französisch an und reichte ihm die Hand. »Sie haben uns heiß genug gemacht, und bei einem Haar wären Sie zwischen meinen beiden Korps vorbei und durchgekommen, was mir sehr unangenehm gewesen wäre. Die Verluste, welche meine Leute in den letzten Kämpfen erlitten, haben bewiesen, daß wir ein Korps der besten preußischen Truppen, von den vorzüglichsten Führern geleitet, vor uns haben!«

»Gestatten Ew. Exzellenz,« erwiderte Steuben, »daß ich Ihnen die Beglaubigung meines Chefs überreiche und die Bedingungen nenne, unter welchen wir die Waffen niederzulegen keinen Anstand mehr nehmen würden.«

Romanzow legte die Beglaubigung auf des Tisch, ohne sie zu erbrechen. »Sie sind bereits durch das vorige Billett des Herrn Generals legitimiert. Ich bitte um Ihre Vorschläge.«

»Wir sind bereit, binnen zwölf Stunden die Waffen zu strecken und Treptow Ihnen zu übergeben, falls Sie folgende Punkte annehmen. Erstlich ist den Truppen des Generals von Knobloch gestattet, unbewaffnet aber mit ihren Fahnen und allen militärischen Ehren unter der Bedingung südlich nach der Mark abzurücken, daß sie eidlich geloben, in diesem Kriege nicht mehr gegen Rußland zu kämpfen!«

»Angenommen ohne weiteres! Das heißt, diese Bedingung bezieht sich nur auf die Mannschaften vom Feldwebel abwärts. Die Offiziere aller Grade sind ausgeschlossen!«

»Was haben Sie mit den Offizieren vor?«

»Sie behalten ihre Degen, aber sind Kriegsgefangene und werden nach Rußland transportiert!«

»Nach Sibirien mutmaßlich, mein Herr.«

Ein höhnisches Lächeln umspielte Romanzows breites, stark gerötetes Gesicht. »Hierüber habe nicht ich, sondern Ihre Majestät die Kaiserin zu verfügen.«

»Ich verstehe! Unter der Bedingung also, daß wir, die Offiziere, uns opfern, sind die Leute frei?«

»Ohne Waffen unbedingt frei!«

»Die Kavallerie behält ihre Pferde, die aufgespeicherten Mundvorräte bleiben den abziehenden Truppen zu ihrer Verfügung.«

»Gott bewahre!« rief Romanzow. »Wo denken Sie hin, Herr? Diese Vorräte, welche Sie nutzlos sammelten, werden uns selber sehr gute Dienste tun!«

»Dieser Punkt wäre abgelehnt?«

»Ein für allemal. Das kann nicht zugestanden werden, Pferde wie Vorräte sind unser Beuteteil!«

»Binnen zwölf Stunden soll ferner die Stadt Treptow den kaiserlich russischen Truppen unter der Bedingung übergeben werden, daß Leben und Eigentum der Bewohner nicht angetastet, noch Gewalt gegen sie angewendet werde.«

»Einverstanden. Wir werden uns übrigens mit Treptow gar nicht aufhalten, Herr von Steuben. Unsere Pflichten rufen uns woanders hin, und eine Einquartierung von einer Woche ist alles, was man den Leuten dort zumuten wird.«

»So wäre nur ein Punkt noch zu erörtern. Sobald die Kapitulation abgeschlossen ist, wird dem General von Knobloch gestattet, den Inhalt derselben seinem Chef, Herrn General von Platen und Sr. Durchlaucht dem Prinzen von Württemberg durch je einen Offizier mitteilen zu lassen. Diese beiden Offiziere kehren nach erfüllter Pflicht zu General von Knobloch zurück, um das Schicksal ihrer Kameraden zu teilen!«

»Hierzu verstehe ich mich nicht, mein Herr! Wenn diese preußischen Generale nicht auf anderem Wege die Kapitulation und ihre Gefangenschaft erfahren, brauchen sie es durch Sie nicht zu wissen, um nach dieser Nachricht ihre Dispositionen einzurichten!«

»Dann, Herr Graf, ist meine Mission hier unnütz! Die Generale, unter denen wir stehen, müssen wissen und Sr. Majestät melden können, wo wir geblieben sind und welche Gründe unser Pflichtgefühl gezwungen haben, diese Konvention abzuschließen! Falls Sie diesen Punkt nicht zugestehen, bleibt uns keine Wahl, als mit der Waffe in der Hand zu sterben!«

Romanzow warf einen wilden Blick auf den Sprecher, dann schritt er, die Hände auf dem Rücken, sinnend auf und ab.

»Darf ich mir eine Bemerkung erlauben?« fragte Romanai.

»Reden Sie!«

»Wäre ich russischer Offizier, so würde letztere Bedingung für mich gar nichts Anstößiges haben. Ich würde meine Dispositionen gegen General Platen wie den Prinzen schon so einrichten, daß es ihnen wenig nützen würde, zu wissen, daß die Brigade Knobloch ihnen nichts mehr helfen kann!«

»Haha, gut, junger Mann! – Wir wollen auch diesen Punkt zugestehen! Lassen Sie uns die Kapitulation aufsetzen.«

Der Wortlaut derselben wurde nun Punkt für Punkt festgestellt und den Adjutanten in die Feder diktiert. Das Instrument ward in doppelten Exemplaren ausgefertigt und von allen Anwesenden unterschrieben. Dann begab sich zur Überbringung derselben Steuben mit l'Enfant, Romanai und dem Adjutanten von Tscherbenow ins Quartier des Generals Knobloch zurück.

Wenn es in diesem großen Kriege Friedrichs gegen ganz Europa höchst selten vorgekommen war, daß preußische Truppen gezwungen wurden, die Waffen zu strecken, so war dieser Fall, wenn er einmal eintrat, desto erschütternder, gramvoller für die Beteiligten, um so gravierender für das Selbstgefühl des Königs und der Nation. Daß die Kapitulation von Treptow ungewöhnlich milde ausfiel, nicht auch die Mannschaften noch Kriegsgefangene und ihrer Fahnen beraubt wurden, war nur ein sehr schlechter Trost für die Gewißheit, daß nunmehr Kolberg und die Korps von Württemberg und von Platen um so bedrohter seien. Um sie eben warnen zu dürfen, war auf den letzten Punkt der Konvention bestanden worden, und kaum war dieselbe unterzeichnet, als zwei berittene Offiziere vom Regiment Kamimsky die Abschriften derselben zu dem bestürzten Prinzen nach Kolberg und dem geradezu entsetzten Platen brachten.

Am Abend des nächstes Tages, vor Sonnenuntergang, nachdem General von Knobloch den Truppen wie den Einwohnern die Kapitulation verkündet hatte, ließ er seine Braven auf dem Markte die Waffen ablegen. Wohl floß so manche Träne, wohl tönte so mancher Fluch – Kapitän Vandry vom Regiment Witzleben schoß sich, um nicht russischer Gefangener zu werden, durchs Hirn –, im allgemeinen aber bewahrten die preußischen Soldaten ihren bewährten Ruf der Disziplin und Würde. Der gemeine Mann hatte das lebendige Gefühl, daß seine Offiziere für seine Freilassung sich selber und ihre Ehre eingesetzt, sich ihrem Wohle geopfert hatten. –

Die bleiche Sonne eines schneeigen Oktoberabends schien auf die bewegte Szene des letztes Abschieds nieder. Die Zugbrücke des Osttors von Treptow fiel. General Knobloch an ihrer Spitze, traten Steuben, Romanai, l'Enfant, die Obersten von Koch, von Witzleben und Kaminsky, mit vier Majoren, dreizehn Hauptleuten und die Leutnants heraus auf die weiße Ebene, auf welcher die Russen zur Parade aufgestellt waren. Graf Romanzow mit seinem Stabe erwartete sie hier. Wie abgemacht worden, trugen sie sämtlich ihre Degen.

»Herr Graf,« sagte Knobloch, »Ihrer Ehre und der Gnade Ihro Majestät der Kaiserin übergebe ich mich und diese meine Kameraden. Das einzige, was uns trösten kann, ist, daß wir uns erst nach schwerstem Kampfe und harten Verlusten der Übermacht beugten.«

»Ich fühle mich geschmeichelt, Exzellenz,« entgegnete Romanzow, »so tapfere Gegner besiegt zu haben! Ich werde Ihre Verdienste, meine Herren, gegen meine kaiserliche Herrin offen bekennen, und es wird mich glücklich machen, wenn mein geringer Einfluß bei ihr zu Wege bringt, Ihr künftiges Los zu mildern. Lassen Sie zum Zeichen der Hochachtung die Truppen vor diesen Herren präsentieren, Tscherbenow!«

Der Adjutant sprengte davon und überbrachte den verschiedenen russischen Obersten den Befehl. Trommelwirbel erklang, die Truppen Romanzows präsentierten, die Musikkorps fielen mit schmetterndem Marsche ein. Das war das Zeichen für die entwaffneten preußischen Soldaten, ihren Abmarsch anzutreten. Da kamen sie durchs dunkle Stadttor heraus zu vier und vier, in Mäntel gehüllt, ihr Bündelchen in der Hand oder aus dem Rücken. Langsam zogen sie die russische Linie entlang. Als sie an Knobloch und ihren ehemaligen Offizieren vorüberkamen, strömten manchem alten Knaben die Augen über. Schluchzend riefen sie die Namen ihrer Führer zum Abschiede und so manches heißes Dankeswort. Gar mancher eilte rasch aus der Reihe, seinem Oberst oder Kapitän die raue Hand zu bieten und Gottes Segen auf ihn herabzuflehen. Mit dumpfer Resignation sahen die Offiziere diese Wackeren, von russischen Piketts eskortiert, südlich in der Ebene verschwinden.

»Nunmehr, ihr Herren,« rief Romanzow heransprengend, »haben Sie sich nicht mehr als preußische Offiziere, sondern als Gefangene zu betrachten, deren Schicksal in der Kaiserlichen Majestät Händen liegt. Das Regiment Kutusow nehme Sie in die Mitte; morgen machen Sie eine Schlittenfahrt nach Petersburg!« Der Ton des Grafen war jetzt so höhnisch lustig geworden, so drohend und so gemein, daß die Gefangenen nicht länger im Zweifel sein konnten, ihre Zukunft werde, wenn nicht geradezu schrecklich, so doch mindestens höchst bemitleidenswert sein.

General von Knobloch trat geröteten Angesichts vor. »Gefangene mögen wir sein, schmähliche Behandlung und Beschimpfung mögen wir wohl erdulden, aber Preußen und Offiziere unseres großen Königs bleiben wir bis in den Tod!« Er zog den Hut und schwang ihn ums Haupt. »Se. Majestät Friedrich II., König von Preußen, Vivat hoch!«

»Hoch, hoch! Hurra!« und im patriotischen Aufjauchzen vergaßen diese Männer, daß Elisabeths von Rußland fanatischer Preußenhaß in Petersburg sie schon erwarte, um ihnen Schmach und Elend zu bereiten. Romanzow, von Knoblochs Erwiderung erst verblüfft, geriet in Wut. Durch betäubenden Trommelwirbel und Musik ließ er das Vivat ersticken, die Offiziere sofort von dem Regiment Kutusow in die Mitte nehmen und hielt nunmehr seinen Einzug in die Stadt.

Am anderen Mittag wurden die Gefangenen in den inneren Schloßhof gerufen, wo Romanzow mit einem Hetman und dreißig Kosaken ihrer warteten.

»Iwan Grischow,« sagte er zu dem Hetman, »den Brief, den ich dir gab, und diese zweiunddreißig gefangenen Preußen lieferst du unserer großen und erhabenen Kaiserin ab, die befehlen wird, was mit ihnen geschehen soll! Tust du deine Pflicht, dann erwartet dich in Petersburg großer Lohn! Läßt du einen nur von ihnen entschlüpfen, dann wirst du es mit dem Tode bezahlen! Vorwärts, ihr Herren, laßt euch den russischen Winter wohl bekommen!« Mit diesem zweideutigen Wunsche wendete Graf Romanzow den Rücken und überließ die Gefangenes ihrem Schicksal.

»Iwan Grischow,« General von Knobloch wendete sich in gutem Russisch an den Kosakenhauptmann, »ein so tapferer Krieger wie du weiß, wie man wackere Feinde im Unglück behandelt. Hätte Gott dich in meine Hand gegeben, wie ich in deiner bin, ich würde dich wie einen Bruder behandeln. Bedenke, daß nicht nur die Zarin, sondern auch Gott dich belohnen und strafen kann. Tu an uns deine Pflicht als ein gerechter Mann.«

Der Hauptmann grinste fröhlich und legte die braunen behaarten Hände auf die Epauletten des Generals. »Väterchen, sei ruhig, du und die Deinen sollen es so gut haben, als wäret ihr Prinzen! Kommt, laßt eure Sachen bringen; es muß sein.«

Die Gefangenen folgten, von den Kosaken umgeben, dem Hetman, der sie durch die Stadt wiederum zum Osttor führte. Unterwegs begann es sehr stark zu schneien. Auf der Ebene standen etwa zwanzig teils von Bauern, teils in der Stadt aufgetriebene Schlitten, deren jeder etwa zwei Mann mit dem Gepäck faßte; die Burschen mußten meistens auf dem hinteren Trittbrett stehen. Hetman Grischow beorderte den General in den größten, bestgebauten und stellte ihm die Wahl seiner Gefährten frei. Er bestimmte Oberst Koch und Steuben hierzu. Die übrigen bestiegen nach freier Wahl ihre Gefährte, und nun glitten sie über die weiße Ebene durch die graue, flockenerfüllte Landschaft ostwärts in den Winter hinein, der russischen Grenze und St. Petersburg zu, wo sie der triumphierende Grimm einer allgewaltigen Frau erwartete, die nichts tiefer haßte als alles Deutsche, unter allem Deutschen aber nichts tiefer als Preußen!

Gefangene Rußlands

Eine Reise im offenen Schlitten, bei etwa zwölf und mehr Grad Kälte von der Rega bis zur Newa zurückgelegt, gehört gewiß nicht zu den Annehmlichkeiten. Wird sie aber in Begleitung von Kosaken und mit der gewissen Aussicht unternommen, von Petersburg alsbald in die sibirischen Einöden weitertransportiert zu werden, so möchten selbst die stärksten Nerven und trotzigsten Mannesherzen einer solchen Aussicht erliegen. Der Beginn von Knoblochs und seiner Gefährten Reise erfolgte mithin unter allgemeiner, trostlosester Niedergeschlagenheit! Sie erklärten sich sämtlich für langsam Sterbende, deren Todespein noch erschwert werde durch die nur zu gewisse Brutalität einer ebenso verhaßten wie grausamen Siegerin.

Was die Härte der Reise aber von vornherein milderte, war Iwan Grischows, des Hetmans, Benehmen, und daß General Knobloch ihn geschickt zugunsten aller Leidensgefährten ausbeutete. Grischow war nicht bloß von sehr viel besserem, wenn auch ebenso rohem Gemüte wie Romanzow, er war auch einer jener listigen Naturen, die, gegen ihre Gebieter kriechend und gehorsam, dennoch auf eigene Hand Politik treiben, den veränderten Umständen sofort sich zu bequemen wissen und innerhalb ihrer Pflichterfüllung so ungehorsam zu sein verstehen, daß sie einen Befehl in einer Weise ausführen, der gerade die entgegengesetzte Wirkung hat als die, welche derselbe beabsichtigte. General von Knobloch wie Steuben hatten sein Herz durch das vortreffliche Russisch völlig erobert, in dem sie ihn anredeten und mit ihm verkehrten. Der General war ferner reich und hatte sich für den Marsch nach Pommern mit bedeutenden Geldmitteln, namentlich offenen Wechselbriefen, versehen, und so herb es für ihn war, in seinem Alter von Weib und Kind mutmaßlich für immer zu scheiden, war es ihm doch eine große Beruhigung, seine Familie in guten Glücksumstände zu wissen, was in damaligen Zeitläuften beim preußischen Militäradel als ein sehr seltener Fall galt. Die Freundlichkeit des Hetmans, mit der er den General wie dessen Genossen behandelte und ihnen jede mögliche Erleichterung und Bequemlichkeit gewahrte, vergalt Knobloch mit klingenden Belohnungen. Ein oder zwei Kosaken waren stets bereit, seine Wünsche betreffs erwärmender Getränke, Speisen, Nachtlager und dergleichen zu erfüllen, so daß die kleine Karawane stets einen Proviantschlitten von Genüssen mit sich führte, welche ihnen ihr Los doch etwas weniger grau erscheinen ließ. Da die preußischen Offiziere klug genug waren, von ihren Vorräten einen Teil den Kosaken selbst abzutreten, um diese bei gutem Humor zu erhalten, so wurde für die rohen Kinder der Steppe diese Eskorte zum reinen Vergnügen, und sie sprachen laut aus, daß sie ihre guten, armen Väterchen gerne so bis nach Sibirien und in alle Ewigkeit begleiten möchten.

Natürlich war dieser fromme Wunsch nicht gerade nach dem Geschmack aller Beteiligten. Jedenfalls hatten die freundlichen Beziehungen, welche Knobloch und die Seinen mittels Tabak, Wodka und etlichen Pfunden Speck zwischen sich und ihren Wächtern hergestellt hatten, eine treuherzige Intimität der Kosaken zur Folge, welche erst ihre höheren Zinsen in dem Augenblick trug, als sie russischen Boden betraten.

Dies Ereignis fand am 1. Januar deutschen Stils statt und war überaus merkwürdig. Eine Meile vor der Grenze ritt der Hetman dicht an des Generals Schlitten.

»Väterchen,« sagte er zu ihm, »bald wird es besser mit uns. Wir haben etwa nur sechs Werst bis zum Grenzpfahl, jenseits aber sind wir die Herren und können euch mehr Liebe beweisen als bisher. Vergiß nicht,« er blinzelte listig, »ihr seid geheiligte Leute, denn ihr seid der Kaiserlichen Majestät Gefangene! Freilich kann sie euch nach Sibirien in die Bleigruben schicken, euch auch totprügeln lassen oder als Gemeine in irgendein Regiment in Moskau, Twer oder Tobolsk stecken, aber nur Sie allein kann es. Jeder Russe verliert Hand oder Hals, der euch oder was euer ist, anpackt! Seid deshalb stolz, grob, ruhig; fürchtet euch nicht. Du, Väterchen General, aber sprich ja kein Russisch mit den Beamten oder den anderen, wenn ich es dir nicht rate, denn die große Zarin hat Aufpasser überall, und dem armes Iwan möchte es schlecht bekommen, wenn sie erführe, er sei euer Freund!«

»Verlaß dich darauf, Freund Hetman, daß ich schweige. Was sollte uns auch geschehen, wenn du uns bewachst?«

»Gut denn, Väterchen. Ich werde jetzt zwei Leute vorausschicken, die uns anmelden.«

Er instruierte die beiden Verläßlichsten seiner Truppe, und die Kosaken ritten ab. Etwa eine Stunde später tauchten die grüngestreiften Pfähle mit den kaiserlichen Adlern und die Gebäude der Grenzstation am flachen Horizont auf. Bald hielten sie vor denselben. Russische Infanterie mit geladenem Gewehr, Offiziere und Beamte empfingen sie. Hetman Grischow saß ab, erstattete, so schien es, einem feisten Major Bericht und übergab ihm die Liste der Gefangenen.

Gedankenvoll hatte dieser Mann Iwans Bericht angehört und den Kopf nachdenklich geschüttelt. Gedankenvoll hatte er die Liste durchgelesen, und noch viel gedankenvoller, noch viel sonderbarer den Kopf geschüttelt, als ihm der Hetman Romanzows Brief an die Kaiserin vorzeigte. Es schien, daß er etwas mißbilligte oder bedauerte, ob nun den Brief, ob das Eintreffen der Gesellschaft, war unklar. Darauf gab er dem Hetman einen Wink und verschwand, die Liste in der Hand, mit ihm im Innern des kaiserlichen Amtshauses. – Während beide längere Zeit daselbst beschäftigt schienen, war es verzeihlich, daß sich die Aufmerksamkeit der Ankömmlinge der Umgebung zuwendete, Leuten, deren Sitten, Tracht und Art dem Lande angehörten, das ihnen fortan eine unfreiwillige und wahrscheinlich sehr harte Heimat werden sollte. – Das Militär stand steif und regungslos wie Mauern, lebhafte Neugier aber spiegelte sich sowohl auf den Gesichtern der Beamten wie in den Mienen der russischen Bauern des nahen Dorfes, die vielleicht das erstemal in ihrem Leben preußische Offiziere sahen. Noch hatten letztere ihre Studien und die melancholischen oder sarkastischen Bemerkungen, welche diese Umgebung ihnen aufnötigte, nicht beendet, als der russische Major mit dem Hetman und verschiedenen Beamten wie männlichen und weiblichen Dienstboten heraustrat.

Den Gefangenen ward eine unerklärliche Überraschung zuteil. Erstlich zeigte das breite, stutznasige Gesicht des Hetmans Iwan Grischow namenlose Bestürzung, und er nahm gegen die Gefangenen eine so blöde und ängstliche Unterwürfigkeit an, wie man sie bei ihm bisher nicht bemerkt hatte. Der Major aber, die Mütze ziehend, trat tiefgebückt zu dem Schlitten des Generals und richtete in gebrochenem Deutsch an ihn folgende Anrede:

»Exzellenz, mögen Sie die Gnade haben, zu gestatten, daß Ihr Diener, Major Labadin, Sie und Ihre Herren Begleiter ehrfurchtsvoll in Rußland willkommen heißt. Er hofft, Sie mögen gesund in Petersburg eintreffen und hochgeehrt vor die geheiligte Kaiserliche Majestät treten. Damit dies geschehe, bitte ich mir dir Ehre aus, Pelze und Decken wie Erfrischungen anzubieten, und Sie wollen gestatten, daß Ihr Diener für Ihr Wohlbefinden und glückliche Ankunft sorgt. Der Herr General und seine Offiziere sollen in der Residenz wenigstens sagen können, daß nichts von mir versäumt worden ist, was Devotion gegen Sie und Bewunderung gegen Se. Königl. Majestät von Preußen irgend nur erwarten kann!« Damit winkte er, und Beamte und Dienerschaft beeilten sich in übereifriger Höflichkeit, die Gefangenen mit Pelzdecken, Wildschuren und Fußsäcken zu versehen. Dann offerierte man ihnen ein ziemlich großes Fäßchen Rum, einen Samowar mit Teebechern, etliche Pfunde Tee und Zucker und eine ziemliche Quantität russischer Pfeifen und Tabak. Eine kleine dicke Dame, die Majorin augenscheinlich, ließ es sich nicht nehmen, ihnen noch Wein, Schinken und andere kalte Speisen aufzunötigen.

General von Knobloch war in großer Verlegenheit, wie er dies aufnehmen und inwiefern er sich erkenntlich zeigen sollte. Von Bezahlung oder Dank wollte aber Major Labadin nichts wissen. Er wendete sich kurz um, zog den Degen und ließ die Soldaten vor den Gefangenen präsentieren, der Hetman aber, um jede Erörterung abzuschneiden, kommandierte »marsch«, und die Schlitten flogen wieder davon, durchs Dorf hin ins weite, russische Reich hinein.

Die Gefangenen konnten sich von ihrem Erstaunen über die Zuvorkommenheit der Rußen und Iwans nunmehriges Gebaren gar nicht erholen. Es mußte etwas vorgegangen sein, was eine günstigere Wendung ihres Geschicks zur Folge hatte, sonst, dessen hielten sie sich überzeugt, wäre die Veränderung im Gehaben ihrer Wächter unmöglich gewesen. Knobloch rief, nachdem er mit Steuben und Koch den sonderbaren Fall vergebens erörtert hatte, den Hetman zu sich heran.

»Sage nur, Iwan, was dieser Willkommen, diese Geschenke des Majors Labadin bedeuten? Werden denn Gefangene immer so bei euch auf der Grenze behandelt?«

»Nein, großer, sehr gnädigster Herr General, man behandelt sie schlechter wie Hunde! Mit dir aber und deinen Herren Kameraden ist's etwas ganz anderes. Iß, trink und laß dir's wohlgehen. Ehe wir die Nachtherberge erreicht haben, darf dein armer Knecht nicht mit dir reden, dann aber sollst du hören, was dein Herz erfreuen wird.«

Damit ritt er hastig an die Spitze des Zuges, als fürchte er, weiter ausgefragt zu werden. – Als der Abend herabgesunken war, fuhren sie in ein Dorf ein, dessen elende Schenke sie aufnahm, nachdem der Hetman und etliche Kosaken ohne weitere Redensarten die zechenden Bauern mit dem Kantschu hinauskarbatscht hatten. Die Gefangenen wurden in das Haus geführt, den geringeren Offizieren die große Schenkstube, dem General, Steuben, l'Enfant und Romanai wie den drei Obersten aber das anstoßende Familiengemach des Wirtes eingeräumt. Bald knisterte ein helles Kienfeuer in dem großen Ofen, der Samowar dampfte, die geschenkten Vorräte wurden serviert und mit den Pelzen die Nachtlager hergestellt. Iwan Grischow war überall, und seine Sorgfalt schien sich heute zu verzehnfachen.

Als diese Vorbereitungen beendet waren und Knobloch sich mit den Offizieren um die brodelnde Tee- oder besser gesagt Grogmaschine niederließ, sagte der General:

»Hetman Iwan, du hast so freundlich für uns gesorgt und bist so artig seither gewesen, daß du verdienst, unser Gast zu sein. Setze dich her und lange zu, der Ritt wie der Frost werden dir Appetit gemacht haben.«

»Ich würde sehr töricht handeln, Herr, wenn ich deine Gnade annehmen wollte. Dein Knecht darf nicht mit dir zu Tische sitzen.«

»Plaudern aber mit uns und etwas von diesen guten Dingen annehmen, das darfst du doch? Zweifelsohne war es dein Einfluß bei Major Labadin, der uns solche Bevorzugung einbrachte?«

»Nein, gnädiger Herr General, das nicht. Ein so geringer Mann wie ich hätte das nicht vermocht. Wer Labadin kennt, weiß, daß er den Reisenden eher abnimmt, was er kann, denn der Himmel ist hoch, und der Zar ist weit, als daß er jemals einem schon etwas geschenkt hätte! Du und deine Herren Offiziere wären von ihm grob genug angefahren, geplagt und verspottet worden, wenn nicht – etwas sehr Großes geschehen wäre!«

»Etwas – sehr Großes, Iwan?! Doch ich vergaß, daß du uns ja was mitzuteilen hast. Freund, was ist geschehen?«

»Die Zarin Elisabeth ist am 25. Dezember gestorben! Zarewitsch Peter hat den Thron bestiegen!«

»Unerforschliche Vorsehung! Ist das wahr, Iwan?! Weißt du das ganz bestimmt?«

»Major Labadin hat es mir zugeschworen. Es muß wahr sein, sonst hätte der Major euch so große Geschenke nicht gegeben, vor euch gewiß nicht präsentieren lassen. Er sagte mir: wolle ich nicht den Hals verlieren, so solle ich euch ja höflich behandeln, und brächte ich's zuwege, daß du, großer General, des Majors Artigkeit vor dem Kaiser lobtest, so sollte ich auch sogar von ihm ein ganzes Fäßchen Wodka haben.« Damit warf sich Grischow auf die Knie und küßte des Generals Hand. »Habe Erbarmen mit mir und sage, daß ich immer gut zu euch war.«

Knobloch war im Augenblick starr. Dann rötete sich sein Gesicht von tiefinnerster Bewegung. Er knöpfte die Uniform auf, zog seine goldene Uhr mit der Kette und den Petschaften aus der Weste und reichte sie dem Kosakenhetman. »Nimm sie, mein Freund, zum Andenken an diese glückselige Stunde und als Zeichen, daß ich deine freundliche Behandlung wie deine Achtungsbezeigungen gegen uns überall loben werde und vor dem Kaiser zuerst!«

Der Hetman ergriff das schöne Geschenk mit lüsternen Blicken, küßte es und umfing, trotz allem Sträuben, des Generals Knie und Fuße. »Befiehl, was du willst, gnädiger Herr, Iwan tut alles!«

Die vorgefallene Szene war zu eigentümlich gewesen, als daß des Generals Gesellschaft nicht höchst gespannt auf das Resultat des Gesprächs hätte sein müssen, welches zwischen Knobloch und dem Hetman russisch geführt und außer ihnen nur von Steuben noch verstanden worden war. Aus den glücklich lächelnden Mienen ihres Chefs, und daß er mit seiner Uhr dem Grischow ein Geschenk gemacht hatte, entnahmen die übrigen, es müsse ein Ereignis auf ihr Geschick unmittelbar und höchst glücklich eingewirkt haben.

»Es scheint, wir sind, seitdem der russische Grenzpfahl hinter uns liegt, ins Land der Wunder gekommen!« rief Steuben, als sie allein waren.

»Das sind wir, meine Freunde. Doch nicht für uns allein wollen wir das Glück behalten, alle Kameraden sollen sich desselben freuen. Damit aber auch in der Freude Maß gehalten werde, damit wir das günstige Geschick beim Schopfe fassen und gemeinsam handeln, muß Vorsicht walten, denn noch sind wir Gefangene!« Damit erhob er sich, öffnete die Tür und lud die Majore von Saldern, von Schellborn, von Meyer und von Wurmb und den Kapitän de Valadie zu einer Besprechung ein.

Die Eingeladenen erschienen sogleich, und die Tür wurde verschlossen.

»Wissen Sie, meine Kameraden, welchem Umstände wir des Hetmans erhöhte Servilität und Major Labadins Freigebigkeit zu danken haben? Seit dem 25. Dezember ist Elisabeth II., die bitterste Feindin unseres Monarchen, tot, und Friedrichs Bewunderer, Zarewitsch Peter, ist Kaiser!«

Ein staunendes Ah, darauf ein freudiges Jauchzen war die Antwort.

»Unsere Befreiung, wenn wir in Petersburg eintreffen, wird die Folge sein!« rief Koch.

»Nein, das wäre nicht genug, meine Herren«, sagte Steuben lächelnd. »Wenn wir von Peters Zuneigung zu König Friedrich und seiner Vorliebe für preußisches Militär nicht mehr erlangten, so würden wir in Berlin sehr schlechten Dank verdienen, würden Sr. Majestät das Unglück von Treptow nicht vergessen machen, unsere Namen wären doch stets an die unselige Kapitulation geknüpft.«

»Was können wir sonst in unserer Lage tun«, rief Kaminsky.

»Als Gefangene Rußlands kommen wir nach Petersburg. Wir dürfen es aber nicht verlassen, ohne daß Preußen dort gesiegt hat und wir viel wertvollere Gefangene gemacht haben, als unsere Wenigkeit den Russen sein kann.«

»Sie sprechen wahrhaftig in Rätseln, Steuben!« sagte Witzleben.

»Wen wollen Sie dort gefangennehmen?« lachte Major von Wurmb.

»Wen? Den Kaiser, die Kaiserin, den ganzen russischen Hof!! Gefangennehmen mit Leib und Seele für das preußische Interesse! Wir müssen sie bestricken und zu Friedrichs Freunden sie machen, daß Rußland vom Bündnis mit Österreich und Frankreich alsbald zurücktritt, womöglich gar mit Preußen sich verbindet!«

»Donnerwetter!« rief General von Knobloch. »Das ist ein veritabler Gedanke, Steuben! Wenn es gelänge, Kameraden, würde sich unser großer König vor seinem Gewissen schämen müssen, treuen Offizieren länger zu zürnen, weil sie einmal im Leben unverschuldetes Malheur hatten.«

»Wie? Aber wie?« riefen drei oder vier.

»Ich hab's!« und Kapitän de Valadie lachte listig. »Meine Herren, ohne uns zu überheben oder unserer momentanen Lage uneingedenk zu sein, glaube ich doch, behaupten zu dürfen, wenn preußische Offiziere liebenswürdig sein, wenn sie verführen wollen, dann sind sie bezaubernde Kerle, und es gleicht ihnen kein Soldat der Welt! Vermochten wir die Russen in Pommern auch nicht zu schlagen, weil sie in der Übermacht waren, so lassen Sie sie uns in Petersburg durch die Übermacht unserer Bildung, unseres Witzes, unserer List und der anmutigen Künste des Salons besiegen! Hierin in brillantem Beispiele voranzugehen, ist aber niemand geeigneter als der, welcher diesen diplomatischen Feldzug ersonnen hat, unser Generalstabschef von Steuben selber!«

»Bravo, Bravo!« Gelächter und Händeklatschen erscholl ringsum.

»Steuben soll auch in dieser Beziehung unser Stabschef sein.«

»Wenn Sie der Meinung sind, hochverehrter Herr General, und wenn Sie, meine Herren Obersten und Majore, Sr. Exzellenz gute Meinung von mir teilen, so muß ich bei aller Selbstschätzung und Eitelkeit des Fleisches doch sagen, daß ich mich für den Bestrickendsten unter uns eben nicht halte, vielmehr Herr Oberst von Kaminsky, unser chevaleresker Reiter, Herr Hauptmann de Valadie und noch viele andere unter uns mich bei weitem übertreffen dürften. Aber da ich die Idee faßte, will ich den Plan auch entwerfen und Ihnen vorlegen. Dann wollen wir die Rollen oder vielmehr die Kommandos unter uns verteilen und die Art der Operation feststellen. Ich schlage vor, daß wir dies würdige Geschäft mit einem Glase vom Steifsten und einer Pfeife Russischem einleiten.«

»Einverstanden, einverstanden!«

»Baladie ist der Jüngste unter uns, er und l'Enfant mögen das Anfeuchtungsdepartement, Romanai dagegen soll das narkotische dirigieren. Nun aber schießen Sie los, Steuben, denn wir müssen mit unserer Handlungsweise im reinen sein, ehe wir die Kuppel der Newskikirche und die Sworzowaja Nabereschnaja sehen.«

»Gewiß müssen wir das, Exzellenz! Sie wissen, daß ein Feldzugsplan, noch dazu in einem fremden, uns noch feindlich gesinnten Lande unmöglich wird, wenn man keine gute Karte hat, also das Terrain nicht kennt. Zuerst müssen wir das diplomatische Terrain also kennenlernen, die Parteien des Hofes, die Einflußreichen und die, welche unsere Gegner sind. Wir lachen jetzt zwar noch lustig darüber, meine Herren. Die Hoffnung, anstatt Sibirien wieder die Heimat zu sehen, läßt uns die Sache mit zu vergnügten Blicken ansehen. In der Nähe dürfte sie aber doch ein verteufelt ernstes Gesicht machen.«

»Nur zu wahr, lieber Steuben«, fiel Knobloch ein. »Sowenig Einblick einem von uns auch in die augenblicklichen dortigen Verhältnisse gegönnt ist, das wissen wir doch, daß am Kaiserhofe eine deutsche oder besser preußische Partei herrscht, deren Führer Zar Peter selbst ist, daß es aber eine noch größere russische Partei gibt, die Preußen haßt, und ihr Haupt ist Peters Gemahlin, die Zarin Katharina.«

»Ganz gewiß«, setzte Steuben fort. »Wir müssen von den Verhältnissen und Personen die allergenaueste Kunde haben, bevor wir den Kaiser sehen und unsere Hebel ansetzen. Diese Kunde zu gewinnen, vermag nur unser geehrter General und allenfalls ich, denn wir sind allein des Russischen mächtig.«

»Ich unterziehe mich dem gern, und da ich als General der Hauptgefangene bin, so ziemt es sich, daß ich auch das Hauptrisiko in dieser Sache übernehme.«

»Vorausgesetzt nun, wir wissen alles, was zu unserem Zwecke tauglich ist,« warf Oberst Koch ein, »dann ist, wie bei jedem Kriegszuge, der Kostenpunkt nicht außer acht zu lassen, meine Herren. Wir müssen stramm und vortrefflich aussehen, um Eindruck zu machen, müssen unsere Toilette verbessern, Geld in den Taschen haben, um mit Sicherheit aufzutreten. Ich bezweifle, daß wir dazu jetzt imstande sind. Unser Auftreten unter den reichen Bojaren und an einem Hofe voll asiatischen Pomps wird etwas schwächlich ausfallen.«

»Dafür weiß ich Rat!« fiel der General ein. »Es handelt sich hier um eine sehr ernst Sache, um die Rehabilitierung unseres gutes Rufes etwa nicht bloß, sondern um einen Sr. Majestät von Preußen zu leistenden hochwichtigen Dienst. Tritt Rußland von dem Kriege zurück, dann sind Österreich wie Frankreich viel zu geschwächt, ihn lange noch auszuhalten. Tritt Rußland dagegen auf Preußens Seite, dann ist der Friede gewonnen! Angesichts einer solchen Aufgabe muß geopfert werden, was jeder hat. Zum Glück ist mein Portefeuille wohlversehen, etliche Monate können wir mit demselben also schon respektabel auskommen. Betrachten Sie mich also in Petersburg als Ihren Schatzmeister und bedenken Sie, daß jeder Friedrichsdor, jeder Rubel in Ihren Händen ein Kämpfer der List, eine Waffe der Anmut werden muß.«

»Wir sind Ihnen tief dankbar, Exzellenz,« sagte Oberst Kaminsky, »es soll an uns gewiß nicht liegen, wenn wir alle unsere Reize nicht keck entfalten.«

»Ich möchte hierbei nur bemerken,« sagte Steuben, »daß wir mit dem äußeren Brillieren dennoch vorsichtig sein müssen! Reich zu sein, von Diamanten zu blitzen, ist in Petersburg eine ziemlich gewöhnliche Sache. Zu rechter Zeit des rechten Luxus anwenden, dafür stimme ich gewiß. Lassen Sie uns aber als das auftreten, was wir sind, als Gefangene, die ihr Los von des Kaisers Gnade erwarten. Wir wissen wohl, daß der Zarewitsch Peter Preußen liebte und eine andere Politik als Elisabeth begünstigte, ob er das aber als Kaiser noch tun wird, wissen wir nicht. Die Menschen sind wandelbar in ihren Meinungen! Ich bitte Sie darum ernstlich, unser eigentliches Vorhaben für uns zu behalten, es von uns hier versammelten Zwölfen als ein gemeinsames, sehr ernstes Geheimnis zu betrachten. Unsere Leutnants und Herren Kapitäne im anderen Zimmer dürfen nichts wissen, als daß wir uns in Petersburg so interessant wie möglich machen wollen. Was wir anderen weiter erstreben, das lassen Sie uns Zwölfe auf unsere alleinige Gefahr und Verantwortung tun. Vergessen Sie nicht, ein einziges Glas Wein, das in Petersburg eines unserer liebenswürdigen Brauseköpfe zum renommistischen Plauderer macht, dürfte uns allerdings Sibirien weit gewisser machen, als unserem Herrn und König Peters Freundschaft!«

»Vivat dem Zar Peter III. von Rußland! Er lebe hoch!« erscholl es donnernd, und die Gläser klangen.

»Haha,« lachte Knobloch und rieb sich bis Hände, »sie fangen schon die Courtoisie an. Laßt uns ihnen folgen und dabei wünschen, daß die preußischen Gefangenen in Petersburg recht viel russische Gefangene machen mögen! Se. Kaiserliche Majestät Zar Peter III. soll leben!«

»Vivat! Vivat!« –

Preußische Invasion

Peter III. hatte schon hinlänglich seine Bewunderung für Friedrich II. bekundet, als er noch Zarewitsch gewesen war und die preußengrimmige Elisabeth noch die Zügel der Gewalt in ihren energischen Händen hielt. Es ließ sich darum mit großer Sicherheit erwarten, daß er als Selbstherrscher aller Reußen nunmehr seine freundschaftlichen Gesinnungen gegen den größten Kriegshelden seiner Zeit mit all der eigenwilligen Leidenschaftlichkeit betätigen werde, die er zu seinem Unglück besaß. Der Plan der preußischen Gefangenen, ihre eigentümliche Lage zu benutzen, um den Spieß der russischen Politik umzudrehen und dessen Spitze fortan gegen Österreich und Frankreich zu lenken, war also gar keine so große Narrheit, wie derselbe jedem anderen russischen Monarchen gegenüber gewesen sein würde. So klug ihr Vorhaben aber auch war, so gefährlich war es auch, ja erschien den ebenso kühnen wie leichtlebigen Offizieren, je näher sie der Ausführung desselben rückten und je mehr sie sich während der Reise über die zur Zeit obwaltenden Verhältnisse des Zarenhofes belehrten, doch viel halsbrecherischer, als sie sich dasselbe in der ersten Freude über Peters Thronbesteigung vorgestellt hatten. – In fast reißender Schnelligkeit, mittels untergelegter Pferde, eilten sie nunmehr ihrem Ziele zu. Als sie Riga erreicht hatten und der Hetman ihnen ein vertrauliches Gespräch mit dem dortigen preußischen Konsul verstattete, machte ihnen dieser gewiegte, mit den Petersburger Verhältnissen sehr vertraute Beamte derartige Eröffnungen, daß ihre Gesichter ziemlich lang wurden und sie sich zur äußersten Vorsicht veranlaßt fühlten. Nicht, daß sie daran gedacht hätten, ihren patriotischen Plan aufzugeben, aber die Art, wie sie denselben auf Rat des Konsuls angriffen, war weit weniger kriegerischkühn, als schlangenklug leisetreterisch zu nennen. Sie waren immerhin Gefangene, deren Los von der Laune ihres Besiegers abhing. Brauchten sie zwar auch nicht mehr des Transport nach Sibirien zu befürchten, so war doch immer noch sehr die Frage, ob der Zar oder dessen Umgebung sich eine diplomatische Hinterlist würden gefalle lassen, welche die bisherige russische Politik geradezu auf den Kopf stellen mußte. Sollte ihr Vorhaben trotz aller Schwierigkeiten gelingen, dann gehörte hierzu Kaltblütigkeit und eine todesverachtende Rücksichtslosigkeit der Gefangenen gegen ihre eigene Existenz. Auf welche schwanke Brücke sie hierbei traten, bewies, daß kaum ein halbes Jahr später Peter III. nicht ohne Mitwissen, oder doch mit Gutheißung Katharinas, seiner Gemahlin, von der ihr ergebenen stockrussischen Partei nicht nur entthront, sondern auch ermordet wurde. Dieser unglückliche Monarch wurde das Opfer seiner preußischen Politik und erduldete eigentlich das Los, welches die kecken preußischen Abenteurer für ihre in Petersburg gesponnenen selbstsüchtigpatriotischen Ränke verdient hätten! Die Art und die Gründe, weswegen sie demselben entgingen, sind um so sonderbarer und interessanter, als die Vorsehung sich ihrer geradezu als Werkzeug bedient zu haben scheint, um des schwerstes, längsten und allgemeinsten aller neueren Kriege fast wie durch einen Theatercoup zum Schlusse zu bringen.

Bevor die preußischen Schicksalsgenossen Riga verließen, richteten sie ein Schreiben an den Vizekanzler Michael von Woronzow, in welchem sie sehr höflich, aber auch ohne demütigende Floskeln ihre Gefangenschaft und die ungefähre Zeit ihres Eintreffens in der Hauptstadt anzeigten und diesen russischen Staatsmann baten, »bei Ihren Kaiserlichen Majestäten ihr Fürsprecher sein zu wollen, damit ihnen eine ehrenvolle Gefangenschaft in Petersburg selbst und damit die Möglichkeit verstattet werde, die großartigen Schöpfungen Sr. seligen Kaiserlichen Majestät des großen Peter wie seiner glorreiches Nachfolger zu bewundern!« Knobloch an der Spitze, unterzeichneten alle das scheinbar sehr bescheidene und unschuldig aussehende Papier, welches zwei Tage vor ihrer Abreise durch einen Kosaken, der auch Romanzows Brief an die tote Kaiserin mitnahm, vorausgesendet wurde. Der General machte in Riga ferner seine Gelder flüssig und stattete sich und seine Offiziere mit allem aus, was ihr Äußeres in vorteilhaftes Licht setzen konnte. So schafften sich unter anderem von Knobloch wie die Obersten von Koch, Witzleben und Kaminsky prächtige Schlitten mit breiten, russischen Gespannen an und mieteten eigene Kutscher; kurz das ganze Auftreten der Gefangenen war darauf berechnet, doch eine gewisse theatralische Wirkung hervorzubringen. Als sie sicher sein durften, ihr Kollektivschreiben sei bereits in des Vizekanzlers Händen, eilten sie der Zarenstadt zu, von den besten Ratschlägen des wackeren Konsuls begleitet, der sehr wohl begriff, welcher Vorteil seinem Vaterlande durch das mutige Beginnen dieser kriegerischen Patrioten erwachsen könne.

Auf der livländischen Straße bewegte sich in der Abenddämmerung des 19. Januar ein langer Zug Schlitten nordöstlich der Hauptstadt zu. Vorauf ritt Hetman Iwan Grischow allein, und wie es schien, etwas gedankenvoll. Er hatte seinen Auftrag beendet und war nun doch nicht ganz sicher, ob er einen Beutel voll Rubel oder einen Buckel voll Knutenhiebe zum Lohn erhalten werde. Eine ziemliche Strecke hinter ihm ritten der Oberst der kaiserlichen Garde zu Pferde, Generalleutnant Abergunow und Graf Rasumowsky, Chef eines Garderegiments zu Fuß. Ihnen folgte ein Beritt der Garde, dann General von Knobloch nebst Steuben und den beiden Adjutanten in großer Uniform und in des Generals eigenem Schlitten, hinter ihnen die übrigen Gefangenen, sämtlich links und rechts von Gardisten zu Pferde eskortiert. Grischows Kosaken aber machten den Schluß.

Man fuhr durch die livländische Vorstadt und die Wasnesenskaja hinab zur Admiralität. Durch das mittlere Haupttor derselben, durch die Werke und den großen Hof hindurch gelangte man zur Newa selbst, über deren festgefrorene weite Fläche es bis zur St.-Petersburg-Zitadelle ging. Melgunow richtete hier das erste Wort an Knobloch. Er befahl ihm französisch, mit seinen Gefährten auszusteigen und dem Hetman zu folgen. Steif vom harten Frost und langen Sitzen wickelten sich die Gefangenen aus ihren Umhüllungen und betraten unter Iwans Führung die Zitadelle, von ihren mit Gepäck beladenen Dienern gefolgt. Melgunow und Rasumowsky kehrten mit den Garden sogleich über die Newa zurück. Zwischen den Werken der Zitadelle empfing die Ankommenden jetzt ein anderer höherer russischer Offizier und führte sie unter Begleitung von Infanteristen in das Innere der Festung zur Kommandantur. Dort nahm sie im Oberstock ein weites, saalartiges Zimmer auf, das gut geheizt und ziemlich nobel eingerichtet war. Kaum hatten die Diener indes Zeit, das Gepäck abzulegen und die Offiziere von ihren Mänteln zu befreien, so flog die Tür auf, und ein stattlicher Militär mit schwarzem Haar und Schnurrbart und dunklem, funkelndem Blick nebst einem rotblonden, zweifellos echt russischen älteren Herrn trat ein, der die damalige Uniform höherer Beamten trug und dem der Stern des Alexander-Newsky auf der Brust erglänzte. Er hielt einen Brief in der Hand. Diesen beiden folgte ein Greis in Generalsuniform, den sein weißer dicker Schnurrbart und der Schnee seines Hauptes ehrwürdig machten.

»Sie sind zweifellos General von Knobloch?« sagte der Rotblonde im Beamtenrocke, sich an den General in leidlichem Deutsch wendend.

»Zu dienen, mein Herr!«

»Ich bin Michael Graf Woronzow. – Schrieben Sie diesen Brief an mich?«

»Gewiß, Herr Kanzler, die übrigen Unterschriften sind von diesen Herren, meinen Schicksalsgenossen.«

»Weshalb schrieben Sie an mich, statt an irgendeinen anderen?«

»Weil ich niemand aus der Umgebung Ihro Kaiserlichen Majestät kenne, Ew. Exzellenz Name aber mehrfach nennen und Ihren wohlwollendes Einfluß rühmen hörte. Wir erlaubten uns deshalb zu glauben, daß Ew. Exzellenz ebenso großmütig gesinnt als bei Hofe beliebt sein müßten.«

Der Rotblonde lächelte. »Nun, nun, es läßt sich halten. – Hier stelle ich Ihnen übrigens den Generalfeldzeugmeister Seiner Majestät, Baron de Villebois, Exzellenz, vor, der jedenfalls größeren Anspruch darauf hat, unseres gnädigsten Kaisers Vertrauter zu sein. Er ist der Kommandant der Zitadelle, die Ihnen als Aufenthalt angewiesen ist, also Ihr Vorgesetzter. Dieser General aber ist unser greiser Kriegsheld, Generalfeldmarschall Graf von Münnich, dessen Ruhm selbst bis zu Ihnen gedrungen sein wird!«

»Wir sind Ihnen für die Eröffnung höchst verbunden, daß uns verstattet ist, in Petersburg zu bleiben, und daß unser Los in die Hände eines Edelmannes gelegt ist, der mit dem Allerhöchsten Vertrauen beehrt wird. Wir sind überzeugt, Herr Generalfeldzeugmeister, daß Sie ebenso geneigt wie der Herr Vizekanzler sein werden, Ihro Kaiserlichen Majestäten Milde für unsere Lage zu erbitten.«

»Ich bedauere zwar, Herr General, daß kriegerisches Unglück Sie auf solche Art zu uns führte,« lächelte Villebois, »aber ich gratuliere uns dennoch, daß wir Ihro und Ihro Waffengefährten Bekanntschaft dadurch machen. Seine Majestät hat verfügt, daß Sie hier vorläufig bleiben sollen, bis Höchst-Selbst er Sie gesehen hat. Dies wird morgen Abend geschehen. – Haben Sie die Güte, uns nun Ihre Herren Kameraden vorzustellen, Exzellenz!«

»Mit Vergnügen«, sagte Knobloch mit höflicher Verbeugung. »Hier ist mein Generalstabsoffizier Leutnant Friedrich von Steuben; diese beiden sind meine Adjutanten –«

»Halt!« rief der alte Marschall Münnich und trat auf Steuben zu. »Bist du der Sohn meines alten Steuben, Junge? Der Sohn Augustins?«

»Jawohl, Exzellenz,« und Steuben schoß das Blut ins Gesicht, »Ihres alten Augustin. Sie können sich denken, Herr Graf, wie mein Herz erbebte, als ich Sie sah und Ihren Namen hörte.«

Den greisen Kriegshelden erfaßte tiefe Bewegung. Er legte seine zitternden Hände um Steubens Hals und sah ihm starr ins Gesicht. »Ja, ja, 's ist des Alten Gesicht, so muß er ausgesehen haben, bevor er nach Rußland kam. Sage, Junge, lebt er noch?«

»Als Platzkommandant und Major zu Landsberg an der Warthe!«

»Gott erhalte ihn! – Kann dann wohl auch Russisch, Steuben, wie er?«

»Ich kann es, Väterchen,« erwiderte der Stabsoffizier auf russisch, »aber ich kann's nur schlecht, denn mit siebzehn Jahren trat ich als Fähnrich in Dienst und habe seitdem nur einmal meinen Vater wiedergesehen.«

»Er redet wahrhaftig leidlich genug Russisch!« rief Münnich, sich zu Woronzow und Villebois wendend.

»Verzeihung,« lächelte General von Knobloch, »ein wenig können es andere Leute auch.«

Die russischen Offiziere waren höchlich überrascht.

»Da seid Ihr ja ordentlich Russen selber?« lächelte Münnich vergnügt. – »Die Preußen sind verdammte Kerle!«

»Wenigstens kann ich den Exzellenzen meine Kameraden auf russisch vorstellen!« entgegnete General Knobloch heiter und entledigte sich dieses Geschäfts nun in der Landessprache so gewandt, daß die Vertrauten des Kaisers mit dem Geständnis schieden, sie seien noch weit angenehmer überrascht worden, als sie es beim Empfang der Herren Preußen ohnehin schon erhofft hatten. Damit empfahlen sie sich und überließen die Gefangenen einem vortrefflichen Souper und etlichen Batterien Weinbouteillen, welche sogleich vor ihnen aufgepflanzt wurden.

Um dieselbe Zeit etwa stand Graf Rasumowsky im Winterpalais vor der Zarin Katharina, welche die Damen Buturlin und Daschkow bei sich hatte.

»Nun, Oberst,« fuhr sie auf, als er eintrat, »du hast die Preußen gesehen?«

»Ich habe sie gesehen, Majestät.«

»Ich weiß, daß du nie lügst, Oberst. – Du wirst mir auch jetzt die Wahrheit sagen? Wie?«

»Ich werde die Wahrheit wie immer sagen!«

»Gut. – Die Leute sind nun einmal hier, und Peter wird sie schwerlich wegschicken, vielmehr wird er seine preußischen Narrenspossen mit ihnen treiben. Sage mir, wie sehen sie aus?«

»Allergnädigste Frau, wenn preußische Offiziere, nachdem sie geschlagen und gefangen wurden, dann aber von Kolberg bis Petersburg 'ne Winterreise machten, schon so vortrefflich aussehen, so müssen die, welche siegreich gewesen sind, ganz unvergleichliche Leute sein!«

»Oho! – Also es sind schöne Männer unter ihnen?«

»Sehr schöne, und wie mir scheinen will – obschon ich noch mit keinem sprach –, sind es Männer von Bildung und Feinheit. General von Knobloch allerdings ist ein grauer Herr, die übrigen aber in den besten Jahren und viele noch jung; sie sehen ganz vorzüglich aus.«

»Wir wollen sie morgen Abend bei dem Zaren sehen. Wir sind neugierig, einige Exemplare dieser Preußen kennenzulernen, die sich sieben Jahre für ihren König wie die Bären geschlagen haben. Gefallen sie uns leidlich, so werden wir sie an uns ziehen, meint ihr nicht, Burtulin und Daschkow – vorausgesetzt, daß sie für russische Frauen traitable sind. Dies muß geschehen, um sie unter den Augen zu behalten, daß sie dem Peter nicht vollends den Kopf verdrehen. – Wo brachte man sie unter?«

»In der Zitadelle.«

Kaum hatte dies der Graf gesagt, als Vizekanzler Woronzow erschien.

»Das ist schön, daß du kommst, Michael, nun, ich habe es erwartet. Setze dich, lasse Wein bringen, Rasumowsky, er wird erfroren sein. – Du kommst auch von den Preußen, Michael?«

»Zu Befehl, Majestät.«

»Erzähle, aber ohne Winkelzüge, wie du es gemacht hast, sie herzubringen, was mit den Preußen nun geschehen soll, wie sie sich bei der Ankunft benahmen und was für Leute sie sind. Wenn du mich anzuführen Lust haben solltest, Michael, deiner dicken Nichte, deiner Privatpolitik und des Zaren wegen, bedenke, daß ich dahinter komme und – dann weder vergesse noch vergebe! – Rede!«

Woronzow, der zwischen den Parteien zu lavieren wußte, kam oft genug in den Fall, zwischen Tür und Angel zu stehen und in Verlegenheit zu geraten, wohin er eigentlich Front machen sollte. Seine Politik war aber so biegsam, sein Verfahren so schlau, er hatte für diesen besonderen Fall so richtig seine Position genommen, und die Sache ließ sich so gut an, daß ihn nichts aus dem Gleise zu bringen vermochte. Er kannte ferner seine Leute zu genau, um nicht auf ihre Leidenschaften zu spekulieren.

»Kaiserliche Majestät werden sich überzeugen, daß meine Handlungsweise nicht anders sein konnte, als sie es gewesen ist, sollte ich meine Pflicht nicht verletzen. Die Gefangenen hatten sich von Riga aus an mich schriftlich gewendet, ich solle Ihrer Majestäten Gnade ansprechen. Ich beeilte mich, Höchstihnen wie Sr. Majestät die Sache vorzulegen.«

»Wir stimmten dafür, sie nach Sibirien zu schicken, wenigstens doch nach Moskau, der Zar, wie gewöhnlich, befahl das Gegenteil und will sie hier haben. – Weshalb wendeten die Leute sich an dich?«

»Ich fragte sie soeben danach. General von Knobloch erklärte mir, sie hätten niemand gewußt bei Hofe, an den sie sich sonst wenden könnten, und da sie – so drückte er sich aus – von meinem wohltätigen Einflüsse gehört hätten, hätten sie mir ihr Gesuch gestellt.«

Katharina lächelte in eigentümlicher Art, dann versank sie in kurzes Sinnen. – »Diese Preußen hatten entweder einen klugen russischen Ratgeber unterwegs, oder sie sind sehr verschmitzt! Ich höre, der Zar will sie morgen Abend sehen. Wir werden dabei sein, Michael, und achtgeben, daß diese Milde Peters nicht in zu große Preußenvorliebe ausartet, welche auf den ferneren Gang des Krieges von Einfluß sein könnte. Das Äußere der Gefangenen ist passabel?«

»Ich denke, sie sind – leidlich. Doch hierüber wird der Blick meiner allergnädigsten Herrin ein entscheidenderes Urteil haben als meiner. Das Benehmen dieser Leute ist übrigens würdevoll, zugleich ehrerbietig, und sie sind dankbar, daß man ihnen die Zitadelle anwies. Es hat uns aber überrascht, daß sowohl General von Knobloch wie Herr von Steuben , sein Stabsoffizier, Russisch sprachen.«

»Russisch?« Das Auge Katharinas blitzte. »Diese Leute sprachen wirklich Russisch? Das ist ein seltener – für sie günstiger Fall! Das gefällt mir wohl! – Weißt du, wie sie als Preußen dazu kamen?«

»Betreffs des Generals kann ich das nicht sagen, bei Steuben aber ist die Ursache klar. General Münnich war der Neugier wegen mit Villebois gekommen. Als Steuben genannt wurde, fragte er ihn, ob er der Sohn seines alten Augustin sei. Der junge Mann bejahte es und schien sehr ergriffen, der General aber umarmte ihn, und sie sprachen Russisch. Auf dem Rückwege bat ich des Grafen um Aufklärung. Beim Ausbruch des polnischen Erbfolgekrieges trat der alte Augustin von Steuben nämlich auf Befehl König Friedrich Wilhelms I. in russische Dienste –«

»Ah! Das hätte ich Friedrichs Vater wirklich nicht zugetraut. Ich werde den Sohn fragen, wie das kam. – Nun?«

»Der alte Steuben zeichnete sich bei der Belagerung von Danzig aus, diente unter Münnich in der Krim, blieb im Frieden in Petersburg und half als Ingenieur Kronstadt befestigen, erteilte auch unseren Offizieren kriegswissenschaftlichen Unterricht.«

»Bei Peter und Paul, was so ein Preuße nicht alles kann!«

»Da ich mich kurz darauf beschränke, sie zu empfangen und laut Sr. Majestät Befehl dem Baron Villebois zu überweisen, vermag ich sonst Näheres über sie nicht mitzuteilen; kluge Leute sind es ganz gewiß!«

»Unzweifelhaft! Sie hätten sich sonst auch nicht an dich, sondern an einen der Vettern von Holstein oder den Sternberg gewandt. – Da die Herren durch dich gewissermaßen sich auch Unserer Gnade empfohlen haben, so bedeute ihnen, daß Unser Wohlwollen gegen sie von der Zurückhaltung abhängen wird, welche sie sich dem Kaiser gegenüber auferlegen. Sie haben nie zu vergessen, daß sie Gefangene sind, daß ihr König unser Feind ist! Wir sind nicht gewillt, daß in diesem Verhältnis eine Änderung eintritt, es sei denn durch einen Frieden, der den Philosophen von Sanssouci zahm macht!«

»Das soll ich ihnen deutlich sagen?«

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Lektorat: verlag.bucher@gmail.com
Tag der Veröffentlichung: 29.08.2013
ISBN: 978-3-7309-4655-8

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