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Karl Storck: Mozart

Karl Storck



Mozart


Sein Leben und Schaffen

1908




verlag.bucher@gmail.com

Widmung

 

Portrait: Wolfgang Amadeus Mozart

 

Meinem Freunde
dem Bildhauer Ernst Müller
zu eigen

 

Es ist mir eine tiefe Freude, Ihnen, lieber Freund, dieses Buch in Ihre römische Werkstatt schicken zu können. Außer der Selbstbeglückung, die in dem Bewußtsein liegt, einem lieben und verehrten Menschen eine Freude zu bereiten, veranlassen diese Widmung auch in der Sache liegende Gründe. Der wichtigste darunter ist die Wesensverwandtschaft Ihres künstlerischen Schaffens mit dem mozartischen in dessen wunderbarster Eigenschaft: der harmonischen Schönheit. Tiefe Harmonie verdankt sich nicht einem leichten, kampflosen Erleben, sondern dem völligen Durchkämpfen des Erlebnisses bis zum Friedensschlusse in und mit sich selbst. Dann erst tritt die künstlerische Gestaltung ein, die als solche bereits das Ergebnis des Lebenskampfes ist und deshalb in ihrem Erzeugnis – dem einzelnen Kunstwerke – vom Kampfe nichts mehr verrät, sondern nur sieghafte Harmonie ausstrahlt.

In dieser Eigenschaft liegt für mich vor allem die beglückende Kraft der mozartischen Kunst; im geistigen und seelischen Erarbeiten dieser Lebens- und Kunstharmonie beruht die Herrlichkeit des Menschen Mozart. Mein Buch möchte den Leser zu dieser unversiegbaren Quelle schönen Menschentums hinführen.

Dann dachte ich bei der Widmung an die vielen Abende, an denen wir am Flügel und – gerne sei's gestanden – beim gehaltvollen Tropfen musiziert, gesprochen, gestritten, gelacht und geschwärmt haben. Es war der Tafelrunde stillschweigendes Übereinkommen, vor keiner Frage die Ohren zu verschließen und keinem Problem aus dem Wege zu gehen. Ich habe es auch bei meinem Buche so gehalten, bei dem mir oft war, als entstände es im Gespräch in unserem Kreise. Es mag auf diese Weise mancherlei in das Buch gekommen sein, was nicht unbedingt darin nötig wäre. Aber als alte Alpenwanderer wissen wir beide, daß man oft auf Umwegen am sichersten zum Ziele gelangt und auch auf ihnen wertvolle Ausblicke genießt.

Dieses Ziel war für mein Buch: die Erkenntnis der Persönlichkeit Mozarts als der Quelle seiner Kunst. Es scheint mir unleugbar, daß die Gesamterscheinung eines Künstlers nur mit den Mitteln einer aus den geschichtlichen, kulturellen und sozialen Verhältnissen seiner Zeit in ihn eindringenden Psychologie zu erkennen ist; daß aber die Liebe zu einem Künstler vor allem in seinen lebendigen Gegenwartswerten beruht. Wir erleben bei großen Künstlern wohl immer, daß mit der Erkenntnis auch die Liebe wächst. Das ist das wunderbar Beglückende des Umgangs mit den Großen. Ich habe für meine Person dieses Glück bei Mozart erfahren und versuchte nun, andere daran teilnehmen zu lassen. So war mein stetes Bestreben, die geschichtlichen Grundlagen von Mozarts Leben und Schaffen aufzudecken, dabei aber alles Geschichtliche nur als Mittel zur Entdeckung von Gegenwartswerten zu nützen.

Wenn es wahr ist, daß vieler Liebe viel vergeben wird, ist mir für die Aufnahme meines Buches trotz seiner Schwächen nicht bange. Denn ich habe es mit wahrhafter Liebe geschaffen, die um so mehr wuchs, je schwerer ich mir die Muße dafür einer reichbemessenen Berufsarbeit abgewinnen mußte. So hoffe ich, daß etwas von dieser Liebe in dem Buche wirken möge auf seinen Leser und ihn dann mitreiße zur Liebe für Mozart, für edle Schönheit in Leben und Kunst.

z. Zt. Ettingen, im August 1908

Karl Storck, Berlin Präludium

 

Erster Teil

Kinder- und Lehrjahre

1. Die Eltern und das Kind

Die Mozarts stammen aus Augsburg. Schon im 17. Jahrhundert sind sie dort als einfache, meist im Handwerkerstande und immer in bescheidenen Verhältnissen lebende Bürger nachzuweisen. Des Komponisten Großvater war Buchbinder. Als das jüngste seiner Kinder wurde Johann Georg Leopold Mozart am 14. November 1719 geboren. Wir verehren ihn heute als den Vater des größten Musikers; aber auch um seiner selbst willen verdient er als Mensch aufrichtige Verehrung und als Musiker die Beachtung des Historikers.

Wir müssen uns in die kläglichen Verhältnisse des deutschen Stadtbürgertums in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückversetzen, um richtig schätzen zu können, was es hieß, wenn einer durch eigene Kraft, ohne fremde Beihilfe sich diesen Verhältnissen zu entwinden vermochte. Das geistige Leben des deutschen Volkes war damals stumpf; noch hatte kein belebender Hauch über den einst so fruchtbaren Garten der deutschen Volkskultur geweht, der im Dreißigjährigen Kriege so schrecklich verwüstet worden war. Für die Literatur, nach der man ja gewöhnlich den Geisteszustand eines Volkes einzuschätzen gewohnt ist, braucht man nur auf die wichtigsten Jahreszahlen zu verweisen, auf das bekannte Jahr des Heils 1748, in dem Klopstocks »Messias« wie ein Messias einer neuen deutschen literarischen Kultur sein Befreiungswunder für die deutsche Seele vollbrachte. Wir Musiker freilich wollen nicht vergessen, daß vor dieser literarischen Auferstehung ein starkes Leben in Musik bereits erwacht war. Und wenn auch die beiden gewaltigen Riesen unserer Kunst, Händel und Joh. Seb. Bach, in ihrer hehren Größe nicht erkannt wurden; wenn der eine in die Fremde ziehen mußte, wie so viele Deutsche nach ihm, um Anerkennung zu finden, wenn der andere unerkannt, in seelischer Einsamkeit den unerschöpflichen Hort seiner Kunst aufhäufte, aus dem man erst ein Jahrhundert später so recht zu schöpfen begann, so war doch die Musik gerade in der trübsten Zeit die Kraft gewesen, in der wenigstens das seelische Leben und Empfinden auch der breiten Masse des Volkes eine Heimat gefunden hatte. Was die Kantoren in den evangelischen, die Organisten und Kirchensänger in katholischen Gegenden schufen und arbeiteten, war auch dem Geringsten zugänglich, und der künstlerische Lebensschmuck, den die wenig geachteten, aber meist ganz tüchtigen Stadtmusikanten ins weltliche Leben hineintrugen, war auch ein Wert, der wenigstens vor aller Verkümmerung schützte.

Denn sonst war alles elend genug. Die schwere Prüfungszeit hatte ja keineswegs bloß die dreißig Jahre des schrecklichen Krieges gedauert; diesem war schon eine lange Periode kleinerer Händel vorangegangen. Dadurch waren alle geistigen und materiellen Verhältnisse des Bürgertums so erschüttert, daß es schon viel heißen wollte, wenn man es überhaupt vermochte, wieder die äußeren Lebensbedingungen eines erträglichen Daseins zu schaffen. Konnte das allmähliche Gelingen dieser Absicht schon leicht zu einer stumpfen, engen Weltauffassung führen, der ein bescheidenes äußeres Behagen als höchstes Lebensziel erschien, so lastete auf dem ganzen Dasein aufs schwerste der jegliche Selbständigkeit unterdrückende Despotismus der Fürsten, die ihre Völker verachteten, sie ausschließlich als Steuerobjekte behandelten und ihre Gunst nur Fremdlingen oder unter den eigenen Landeskindern den charakterlosen Söldlingen der Fremdsucht zuwandten.

Im deutschen Süden und vor allem in jenen Landstrichen, die das heutige deutsche Österreich bilden, sah es im Grunde noch viel schlimmer aus, als im Norden. Allerdings, die behaglichen und auskömmlichen Verhältnisse des äußeren Lebens hatten sich hier früher eingestellt, dank der Fruchtbarkeit des Landes und seiner ergiebigeren Hilfsquellen; aber um so leichter wurde hier ein äußeres Behagen zum Lebensziel und Lebensinhalt, als der Volkscharakter die kleinen Freuden und leicht zugänglichen Genüsse ohnehin gern zu stark bewertet. Dann aber war zweifellos das stärkere geistige Leben im Norden. Allenfalls, daß die Schweizer ein gewisses Gegengewicht durchhielten. Der deutsche Süden und Österreich lagen dagegen in selbstzufriedenen Schlummer, während sich in Gewittern und Frühlingsstürmen das neuerwachte geistige Leben im Norden ankündigte. Sogar in musikalischer Hinsicht liegen für diese Zeit die starken Keime und Triebfedern der Entwicklung im nördlicheren Deutschland. Denn die katholische Kirchenmusik des Südens verfiel immer mehr demselben Welschtum, das das Theater und alle offizielle weltliche Musik beherrschte, während im Norden von der evangelischen Kirchenmusik aus auch die ganz weltliche Instrumentalmusik mit deutschem Geiste erfüllt wurde. Das literarische Leben erhielt seine starke Neubefruchtung ganz von nordischen Kräften. Klopstock, Lessing, Herder erstehen hier. Wieland, den der deutsche Süden als erste geniale Begabung vorschickt, ist bezeichnenderweise seiner ganzen Art nach unvolkstümlich und hat seinen tiefen Wert darin, daß er Vorzüge der Fremde der Heimatliteratur zuführt. Dann freilich, als erst die Kräfte des Südens geweckt sind, entsprießt dem fruchtbareren Boden auch ein üppigeres Blühen. Immerhin müssen wir bedenken, daß auch Goethe und Schiller nordwärts ihren Weg nahmen, und es ist eine glückliche Fügung, daß dieser Zug nach Norden nicht zu weit hinaufführte, daß zur deutschen Musenstadt die kleine Residenz an der Ilm, in der Mitte der deutschen Lande wurde, wo norddeutsches und süddeutsches Wesen am meisten zu einer glücklichen Harmonie verschmolzen erscheinen. Des ferneren wurden für den deutschen Norden und die Mitte des Landes Friedrichs des Großen Siege fruchtbar, deren höchster erzieherischer Wert darin lag, daß in den Männern echter Mannesgeist, Gefühl für Verantwortung und Bewußtsein des Wertes männlicher Tatkraft geweckt wurde.

Wenn wir uns mehr daran gewöhnen würden, die Kulturentwicklung unseres Volkes von zusammenfassenden Gesichtspunkten aus als die große Entwicklung seines gesamten geistigen und seelischen Lebens aufzufassen, so würde auch die eigentümliche Erscheinung längst schärfer hervorgehoben worden sein, daß für den deutschen Norden und eigentlich auch für das ganze Westdeutschland die Musik als treibende Kulturmacht hinter der Literatur zurücktritt, trotzdem in Bach und Händel eben dieses Land zwei Riesenkräfte und zwei wunderbare Genialitäten hervorgebracht hatte, die ihr ungeheures Lebenswerk geschaffen haben, bevor auch nur eine lebensfähige literarische Erscheinung entstanden war. Die Wirkung der Literatur ist aber immer auch eine stark geistige und setzt eine geistige, verstandesmäßige Veranlagung voraus. Zumal unsere deutsche Literatur hat von vornherein ein riesiges Gedankenmaterial mit verarbeitet und wurde allsogleich zum heftigen »Sturm und Drang«, der sich keineswegs bloß mit der scharfen Kritik und Aufwühlung des künstlerischen Lebens begnügte, sondern in der Kunst die schärfste Waffe sah zur geistigen Kritik der gesamten Weltauffassung, zur Revolutionaller sozialen Begriffe. Gerade wenn wir erkannt haben, daß auch das größte Genie innerhalb der Leistungskraft der Volksseele ersteht, wird es schier unbegreiflich, daß eine so wunderbare Gestalt wie J. S. Bach so gut wie ohne alle Wirkung bleibt. Man halte nur dagegen, wie alle unsere großen Dichter gewirkt haben, trotzdem der Volksgeschmack das Starke in ihnen auch nicht, wenigstens nicht künstlerisch, zu erfassen vermochte; aber ihre bedeutenden Werke haben doch jene bedeutsame Folge gehabt, daß die Nachahmung derselben sich bemächtigte. Der »Messias«, »Minna von Barnhelm«, »Werther«, »Götz«, »Die Räuber«, »Kabale und Liebe« – um jedes dieser Werke schart sich eine fast unübersehbare Masse gleich eingestimmter Epigonenarbeit. Zu der Musik spüren wir von Bachs oder Händels Lebensarbeit so gut wie gar keinen seelischen oder geistigen Einfluß auf das Volk, und selbst die Künstler gewinnen davon kaum etwas, was sie nicht auch in der Vorbereitungsliteratur dieser beiden Riesen hätten finden können.

Es ist nun außerordentlich bezeichnend, daß im Gegensatz dazu der deutsche Süden, die ganzen österreichischen Lande durch die Musik ihre geistige und seelische Erweckung erfahren. Das liegt natürlich nicht bloß an den äußeren Verhältnissen, sondern vor allem auch an der Charakterveranlagung. Jene Teile unseres Volkes, die stets den Wert des Gemüts gegenüber dem verstandesmäßigen Erkennen dargetan haben, mußten von der Musik ganz anders ergriffen werden als der Norden, konnten wohl überhaupt nur auf diese Weise den Fesseln der seelischen und geistigen Enge, die so lange schwer auf Deutschland gelastet hatte, entrissen werden.

Aus der gleichen kleinbürgerlichen Volksschicht wie für den Norden die ersten wahren Dichter, erstehen dem Süden die Musiker Haydn und Mozart. Als dann der Garten wieder im Blütenflor steht, als die lange zurückgehaltenen Kräfte tausendfältig sich regen, da entwickelt sich gegenüber dem literarischen Zentrum Weimar (mit dem steten kritischen und gesellschaftlichen Rückhalt Berlin) das musikalische Zentrum Wien, das eine ebenso starke Anziehungskraft auf die musikalischen Geister des übrigen Deutschlands ausübt wie jenes auf die literarischen. Das gilt nicht nur für die Höhen unseres geistigen Kulturlebens, sondern auch für die breite Volksmasse, die allerdings weder hier noch dort mit der Entwicklung der großen Kunst Schritt zu halten vermochte. Der Ausbildung literarischer Gesellschaften und einer starken Popularliteratur im Norden entspricht für das deutsch-österreichische Gebiet eine außerordentlich hohe Pflege der Hausmusik, an der das ganze Volk, das Kaiserhaus, der Adel bis in die untersten Schichten des Bürgertums teilnahm. –

Für die Jugendzeit Leopold Mozarts, des Vaters unseres Komponisten, kann man noch nicht von einem Aufschwung des geistigen und seelischen Lebens des Volkes sprechen. Gerade das einst so glänzende Augsburg der Fugger war besonders hart mitgenommen worden, erst im Dreißigjährigen Krieg, dann 1703 durch die Plünderung der bayrischen und französischen Armee. Er selber hat für den Stumpfsinn und die Begrenztheit des heimatlichen Lebens zeitlebens ein bitteres Gefühl bewahrt, und als sein Sohn 1777 nach Augsburg reiste, schrieb er ihm: »So oft ich an Deine Reise nach Augsburg dachte, so oft fielen mir Wielands ›Abderiten‹ ein: man muß doch, was man im Lesen für pures Ideal hält, Gelegenheit haben in natura zu sehen«. Um so bezeichnender ist es, daß auch ihm die Musik die Mittel und den Weg gab, aus dem allgemeinen Elend herauszukommen. Denn wenn er auch nach Salzburg gekommen war, um Jurisprudenz zu studieren, so hatte er doch schon in Augsburg seine musikalische Begabung als Kirchensänger gründlich nach allen Seiten hin ausgebildet und sich hier, wie später in Salzburg, durch musikalische Betätigung den Lebensunterhalt verdient. Die Musik sollte auch zu seinem Lebensberuf werden. Da es ihm nicht gelungen war, eine andere Stellung zu erhalten, trat er als Kammerdiener in den Dienst des Grafen Thurn, eines salzburgischen Domherrn. Der Ruf von seinen musikalischen Fähigkeiten verbreitete sich schnell, und so wurde er 1743 vom Erzbischof als Hofmusikus in Dienst genommen. Hier stieg er allmählich zum Hofkomponisten und Konzertmeister, bis er 1762 vom Erzbischof Sigismund zum Vizekapellmeister ernannt wurde.

Schubart rühmt von Leopold Mozart, daß er die Musik in Salzburg »auf einen trefflichen Fuß gestellt habe«. Die rastlose Energie und der unermüdliche Pflichteifer, die ihm allein ja aus den heimischen Verhältnissen herausgeholfen hatten, beseelten ihn eben auch in seinem kärglich entlohnten Dienste (er bezog jährlich 504 Gulden). Seine Stellung heischte von ihm eine ziemlich ausgedehnte Kompositionstätigkeit, zumeist als Kirchenkomponist. Es haben sich hier eine ganze Reihe seiner Arbeiten erhalten, die einen wissensreichen, formgewandten und alle praktischen Bedürfnisse geschickt erfüllenden Musiker zeigen. An seiner Kirchenmusik, die sich innerhalb des besseren Durchschnitts der damaligen Musik behauptet, mag man am ehesten einen gewissen »altväterischen Zug«, den auch Schubart betonte, hervorheben, weil der doch auf einem gründlichen Studium der alten Meister des strengen Satzes beruht, außerdem in Gegensatz trat zur theatralischen Behandlung der katholischen Kirchenmusik, die immer mehr einriß. Eigenartiger sind Leopold Mozarts Klaviersonaten, die neben den Werken Phil. Em. Bachs als Vorläufer der Sonaten des großen Mozart zu gelten haben. Auch in kleineren Formen der Klaviermusik schuf er Ansprechendes. Ein derartiges Stücklein gefiel derart, daß es auf das große Hornwerk übertragen wurde und so durch Jahrzehnte täglich zweimal von der Feste Hohensalzburg in die Stadt hinabklang. Außerdem hat er eine lange Reihe von musikalischen Bedürfnissen, die sich gelegentlich einstellten, befriedigt. Neben Oratorien hat er manche theatralische Sachen geschrieben, und eine ganze Anzahl jener Gelegenheitsmusiken, die mit ihrem etwas einfältigen programmatischen Inhalt doch nicht so sehr nur als Spielerei aufgefaßt werden sollten, wie wir es nach dem riesigen Aufschwung aller Gattungen unserer Musik zu tun uns gewöhnt haben. Es tritt hier zweifellos in einfachster, oft kindischer Äußerung das deutsche Verlangen nach einer geistigen Entwicklung eines musikalischen Gedankens zutage gegenüber dem bloß auf sinnliche Wirkungen abzielenden Musizieren der Italiener, gegenüber ferner der nicht mehr verstandenen formalen Kontrapunktik der älteren Zeit. Als Beispiel für den Charakter dieser Gelegenheitsmusiken sei hier das Programm der »musikalischen Schlittenfahrt« mitgeteilt, wie es Leopold Mozart selbst am 29. Dezember 1755 in Druck gegeben hat.

Musikalische Schlittenfahrt

»Den Anfang macht eine Intrada von einem artigen Andante und prächtigen Allegro. nach diesem folget alsogleich EineIntrada mit Trompeten und Pauken. auf dieses Kommt die Schlittenfart mit dem Schlittengeläut und allen andern Instrumenten.

Nach geendigter Schlittenfahrt hört man wie sich die Pferde schütteln. auf welches eine angenehme Abwechselung der Trompeten und Pauken mit dem Chor der Hautboisten, Waldhornisten und Fagotisten folget. Da die erstern ihren Aufzug, die zweyten aber ihren Marche wechselweise hören lassen.

Nach diesem machen die Trompeten und Pauken abermal eine Intrada und die Schlittenfart fängt sich wieder an. Nach welchem alles stille schweiget; denn die Schlittenfarts Campagnie steigt ab und begiebt sich in den Tanzsaal.

Man hört ein Adagio, welches das vor Kälte zitternde Frauenzimmer vorstellt.

Man eröffnet den Ball mit einem Menuett und Trio.

Man sucht sich durch Teutsche Tänze immer mehr zu erwärmen; es kommt endlich der Kehraus und letztlich begiebt sich die ganze Compagnie unter einer Intrada der Trompeten und Pauken auf ihre Schlitten und fahren nach Hause.«

Für diese in der Form natürlich recht bescheidene Programmmusik boten sich die Vorbilder vor allem in der französischen Klaviermusik. Aber auch die deutsche Klaviermusik hatte sich längst in derartigen Werken versucht; neuerdings wieder mehr bekannt geworden sind die 1700 erschienenen »Musikalischen Vorstellungen einiger biblischen Historien in sechs Sonaten« von Johann Kuhnau; aber auch der große Joh. Seb. Bach hatte wenigstens einmal in dem »Capriccio auf die Abreise seines geliebten Bruders« etwas ähnliches geschaffen.

Die geschichtliche Bedeutung Leopold Mozarts beruht auf seinem 1756, also im Geburtsjahr seines großen Sohnes erschienenen » Versuch einer gründlichen Violinschule«. Das war der erste gelungene Versuch einer Violinschule; sie blieb auf lange Zeit hinaus, wie die vielen Auflagen und Übersetzungen beweisen, die verbreitetste Anweisung des Violinspiels. Noch Zelter urteilt in einem Briefe an Goethe: »Seine Violinschule ist ein Werk, das sich brauchen läßt, solange die Violine eine Violine bleibt; es ist sogar gut geschrieben.« Dieses Lob der guten Schreibart ist wohl verdient und wiegt um so schwerer, als in der damaligen Zeit es sicher nur verschwindend wenige Musiker gab, die über einen so gewandten Ausdruck der deutschen Sprache verfügten, wie der stets von literarischen Interessen erfüllte Salzburger Kapellmeister. Die textlichen Ausführungen sind aber nicht nur gut geschrieben, sondern, was schließlich noch mehr wert ist, von einem edlen, echt künstlerischen Geiste erfüllt. Dieser Mann strebt nirgends nach Blendwerk. Die technische Ausbildung in dem einen Instrument steht für ihn hinter der gründlichen Ausbildung im allgemeinen. Herzhaftigkeit und männliche Empfindung verlangt er vom Spieler. Gesangsmäßigkeit sei das Ziel des Vortrags; »wer weiß denn nicht, daß die Singmusik allzeit das Augenmerk aller Instrumentisten sein soll, weil man sich in allen Stücken dem Natürlichen, soviel es immer möglich ist, nähern muß.« Geradezu verhaßt ist ihm alles äußerliche Virtuosentum; die Technik sei nur Mittel des Ausdrucks. So zeigt das ganze Werk einen gründlichen, aller Halbheit und Untüchtigkeit abholden Mann, der sich von aller nur musikalischen Weichheit fernhält und gründliche Durchbildung des gesamten geistigen Lebens, klares, vernünftiges Denken als unentbehrlich für den wahren Künstler erkannt hat. Wir erkennen, welch vorzüglicher Lehrer dieser Mann für sein geniales Kind sein mußte, um so mehr als er mit aller Hochschätzung des durch Arbeit und Studium zu Erlangenden eine geradezu rührende Ehrfurcht, eine fast heilige Scheu vor dem göttlichen Wunder der wahren Genialität verband. Das offenbart sich am beredtesten in der prachtvollen Bescheidenheit, mit der er selber das Komponieren aufgab, seitdem er bei seinem Sohn erkannt hatte, wie der wahrhaft schöpferische Geist im Menschen schaltet.

Vielleicht war es aber in dieser Zeit geistiger Schläfrigkeit und sittlicher Verlottertheit noch viel wertvoller, daß die Eigenschaften des Musikers Leopold Mozart auch den Menschen auszeichneten. Der Grundzug seines Wesens ist auch hier die unerschütterliche Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue in großen und kleinen Dingen. Das Leben hatte ihn nicht umsonst in eine so harte Schule genommen, hatte ihm aber auch nicht umsonst gezeigt, daß der Mann sein Schicksal selber schmiedet. Er ist unnachsichtlich streng in seinen Anforderungen, gegen sich noch mehr als gegen andere. Er ist abhold allem Scheinwesen und läßt sich durch äußeren Prunk niemals beirren. In dieser Zeit der Knechtseligkeit bewahrt er sich einen aufrechten Sinn, wenn er auch Lebensklugheit genug besitzt, sich äußerlich so weit den Verhältnissen zu fügen, wie es sich mit der Mannesehre verträgt. In Wirklichkeit bedeutete ihm aber vornehme Geburt und hohe Stellung an sich nichts, und er schätzte jeden nach dem ein, was er konnte. Die ruhige Kritik seines klaren, gesunden Menschenverstandes bewahrte er sich auch gegenüber den Vertretern der Kirche, trotzdem er ein kernfrommer, glaubenstreuer Katholik war; oder vielleicht gerade deshalb, denn er hätte sich sonst kaum bei den damaligen kirchlichen Verhältnissen mit seinem scharfen Verstande, der überall die Gebrechen sah, diese völlige Freiheit von allem Aberglauben und diese echte Religiosität und strenge Kirchlichkeit zu bewahren vermocht. Von Natur aus war sicher auch er Humorist und eine echte Frohnatur. Die schwere Lebensentwicklung, die vielfachen Unterdrückungen, die er hatte erfahren müssen, dann die gesamten elenden Zeitverhältnisse haben dieser ursprünglichen Anlage eine andere Richtung gegeben. Er hatte die Menschen zu sehr von ihrer schlechten Seite kennen gelernt und fand nun als Waffe dagegen einen scharfen Sarkasmus; es entwickelte sich in ihm überhaupt die Neigung zum Spott. Er hatte die Überzeugung gewonnen, daß Eigennutz und Selbstsucht die wahren Triebfedern alles menschlichen Handelns seien und erkannte es als Hauptaufgabe der Lebensklugheit, sein Benehmen danach einzurichten. In seinem Sohn hatte er dauernd genau die entgegengesetzte Natur zu bekämpfen, und man geht trotz des scheinbaren Widerspruchs nicht fehl, wenn man sagt, daß der Sohn trotzdem auch darin dem Vater verwandt war, nur daß er vom äußeren Leben in seiner Kindheit nicht in eine so schroffe Schule genommen war, daß vielmehr gerade seine vom Vater so sorgsam behüteten Kinderjahre in ihm die Meinung wachrufen konnten, die Menschen seien eitel Güte, und, was sie sagen, immer die lautere Wahrheit. Der Vater hat in seinen Briefen an den Sohn immer und immer wieder ihm die selbst mühsam gewonnene Lebensüberzeugung vorgetragen, der Sohn war auch des besten Willens voll, danach zu handeln. Wir begegnen in seinen Briefen immer wieder den Stellen, in denen er als getreues Echo diese Lebensanschauung des Vaters verkündet. Danach gehandelt hat er nie, und er ist in seinem Leben immer wieder das Opfer seiner kindlichen Vertrauensseligkeit und seiner guten Meinung von den Nebenmenschen geworden. Er ist eben in dieser Hinsicht zeitlebens ein Kind geblieben, während der Vater sehr früh ein Mann geworden war. Trotzdem beruht auch des Vaters Menschenverachtung mehr in der Theorie; in der Wirklichkeit war auch er selbst jenen, die er nicht achtete, gegenüber immer gern bereit zu wohlwollendem Rat und tatkräftiger Hilfe. Daß er sich nicht blenden ließ, hat auch sein Verhältnis zum heißgeliebten und bewunderten Sohn fruchtbar gemacht. Er hat die Schwächen seines Kindes nie verkannt oder verdeckt, sondern alles aufgeboten, aus dem genialen Jüngling auch einen pflichttreuen, zuverlässigen und tüchtigen Bürger zu erziehen.

So ersteht vor uns Leopold Mozart als edler, tüchtiger und gescheuter Mann, als gediegener Meister in seinem Beruf, als vorzüglicher Lehrer. Er ist auch ein trefflicher Gatte gewesen; der höchste Ehrentitel aber, den wir ihm geben können, ist, daß er wirklich in jeder Hinsicht und im idealsten Sinne des Wortes sich als Vater seines großen Sohnes bewährt hat. Wir haben bei Mozart den seltenen Fall, daß ein genialer Mann dem Vater viel näher steht und viel mehr verdankt, als der Mutter. Mit diesem Urteile soll keinerlei Geringschätzung der schönen Anna Maria Pertl, des Pflegekommissärs vom Stifte St. Gilgen Tochter, ausgesprochen werden, die Leopold Mozart am 21. November 1747 als sein Eheweib heimgeführt hat. Ohne geistig hervorzuragen, war sie eine kluge, und vor allem eine gute Frau. Ihrem Gatten, dem sie sich willig unterordnete, war sie in echter Herzensneigung zeitlebens treu ergeben, ihren Kindern ist sie eine liebevolle, zu jedem Opfer bereite Mutter gewesen. Die beiden Ehegatten haben im schönsten Verhältnis gelebt, sie gingen ganz auf in der Erziehung ihrer Kinder, und »das schönste Salzburger Paar«, wie man die beiden zu ihrer Hochzeitszeit gern nannte, strahlte durch das reine und brave Familienleben noch weit leuchtender aus der ganzen Umgebung der Berufs- und Standesgenossen hervor. Die Kinder haben in aller Liebe an der Mutter gehangen, zumeist Wolfgang, der von ihr die Neigung zu heiterem, gelegentlich auch vor derber Komik nicht zurückscheuendem Lebensgenuß geerbt hatte. Diese Art wird den Salzburgern oft nachgesagt, wenn auch nicht immer in der schroffen Form wie Schubart an ihnen tadelte, daß sie »äußerst zum niedrig Komischen« gestimmt sind. Aber es ist sicher, daß Leopold Mozart sich in Salzburg ziemlich vereinsamt fühlte, trotzdem er mit einer Reihe besserer Familien ausgiebigen Verkehr hatte. Er konnte eben für seinen stets auf Weiterbildung bestrebten Geist keinerlei Nahrung finden. Am wenigsten mochte er mit seinen Kunstgenossen zu tun haben, die, zumeist ohne alle tiefere Bildung, rein aufs Technische gedrillte Musikanten, außerdem aber infolge ihres liederlichen Lebenswandels um alles Ansehen gekommen waren.

Die später so unglücklichen oder doch das ganze Leben verbitternden Beziehungen zu ihrem Brotherrn haben dann das weitere dazu beigetragen, der Familie Mozart die Salzburger und Salzburg zu verleiden. Vor allem finden sich bei Wolfgang, der ja allerdings am meisten unter der Enge der Heimat zu leiden hatte, recht scharfe Aussprüche. Und doch könnte man Mozarts ganze Kunst mit seinem Geburtsort in Beziehung bringen. Die »schönstgelegene Stadt der Welt«, wie Alexander von Humboldt es nannte, wirkt Salzburg wie ein Stück italienischen Südens in deutschen Landen. Eine wunderbar weiche, aber großzügige Linienführung in der Profilierung der Landschaft vereint sich mit höchster Farbigkeit des Bildes; die Gewalt der Alpenwelt wirkt nur erhebend, nicht drückend, da sie gemildert ist in der lächelnden Fruchtbarkeit der umliegenden Felder und Weinberge. Die hohe Naturfreude, die sich Mozart zeitlebens bewahrte, die fruchtbare Anregung, die er für seine Kunst aus dem Naturgenuß gewann, lassen darauf schließen, daß auch die schöne Umgebung, in der er seine Jugend verbringen durfte, von großem Einfluß auf seine Entwicklung gewesen ist.

Von den sieben Kindern, die Mozarts beschieden waren, blieben nur zwei am Leben: die Tochter Maria Anna (geb. am 30. Juli 1751) und der als letzter am 27. Januar 1756 geborene Sohn Wolfgang, dessen vollständiger Name nach dem Kirchenbuch lautet Johannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus. Der Vater übersetzte den letzten Namen zunächst mit Gottlieb, der auch auf den frühesten Werken steht, dann trat das französische Amadee an die Stelle, darauf Amade, zuletzt Amadeus. In der Familie hieß die Tochter das Nannerl, die Koseform für den Jungen war Wolferl.

Über die früheste Kindheit Wolfgangs sind wir weit besser unterrichtet, als bei den meisten andern großen Künstlern. Die Schwester, die als Freiin v. Sonnenberg ihn lange überlebte (gest. 29. Oktober 1829), gab nach des bewunderten und geliebten Bruders Tode Friedrich Schlichtegroll in Gotha für seinen »allgemeinen Nekrolog, enthaltend Nachrichten von dem Leben merkwürdiger, in diesem Jahre verstorbener Personen«, ungebeten, was sie an Erinnerungen sorgfältig bewahrt hatte. Sie selber konnte für einen großen Teil derselben einen Brief benutzen, den der Salzburger Hoftrompeter Johann Andreas Schachtner (gest. 1795), ein warmherziger Freund des Mozartschen Hauses, ihr über die Kindheit ihres Bruders geschrieben hatte.

Die Tochter hatte ein so ausgesprochenes Talent zur Musik bewiesen, daß der Vater sehr früh ihren Unterricht am Klavier begann. Das machte auf den damals dreijährigen Knaben einen sehr starken Eindruck. »Er zeigte schon da sein außerordentliches Talent. Er unterhielt sich oft lange beim Klavier mit Zusammensuchen der Terzen, welche er dann immer anstimmte und seine Freude darüber bezeigte, diese Harmonie gefunden zu haben. Im vierten Jahre seines Lebens fing sein Vater gleichsam spielend an, ihn einige Menuetts und andere Stücke auf dem Klavier zu lehren, freie Sachen, die demLehrer ebenso leicht wurden als dem Lehrling. Zu einem Menuett brauchte er eine halbe Stunde, um es zu lernen und es dann mit der vollkommensten Nettigkeit und mit dem festesten Takte zu spielen. Von nun ab machte er solche Fortschritte, daß er in seinem fünften Jahre schon kleine Stücke komponierte, die er seinem Vater vorspielte und von diesem zu Papier bringen ließ.« (Schlichtegroll.) Der Vater schrieb diese Kompositionen in Mariannes Klavierbuch ein und vermerkte dabei genau das Datum des Entstehens. Dieses Klavierbuch befindet sich im Mozarteum zu Salzburg. Das früheste Stück Wolfgangs trägt die Jahreszahl 1761. Ein kleines Menuett; zur zierlichen Melodie spielt die Linke die zur Dezime gedehnte Terz als Begleitung. Die Formgebung dieser Schöpfung eines Fünfjährigen ist untadelig; nicht einmal als Kind hat Mozart formale Schwierigkeiten gekannt; schon jetzt fand er die vollgültige Ausdrucksform für das, was er sagen wollte. Bezeichnend ist auch, daß, wie der Benediktinerpater Scharl erzählt, schon des Kindes »Passion« das Phantasieren war. Es ist uns vielfach berichtet, daß das freie Phantasieren auf Klavier oder Orgel noch in späteren Zeiten Mozarts unvergleichlichste Leistung geblieben ist und die höchste Offenbarung seines Genies. Wie ernst schon das Kind Musik aufnahm, bezeugt der Vater 1778 dem Sohne in einem Brief vom 16. Februar: »Als Kind und Knabe warst Du mehr ernsthaft als kindisch, und wenn Du beim Klavier saßest oder sonst mit Musik zu tun hattest, so durfte sich niemand unterstehen, Dir den mindesten Spaß zu machen. Ja, Du warest selber in Deiner Gesichtsbildung so ernsthaft, daß viele einsichtsvolle Personen wegen dem zu früh aufkeimenden Talente und Deiner immer ernsthaften und nachdenkenden Gesichtsbildung für Dein langes Leben besorgt waren.«

Wir können im übrigen für die Schilderung dieser ersten Entwicklungszeit des Kindes nichts Besseres tun, als den durch seine Treuherzigkeit und die Unmittelbarkeit des Ausdrucks überzeugenden Brief Schachtners hier vollständig wiederzugeben.

»Hochwohledelgeborene gnädige Frau! Deroselben sehr angenehmes Schreiben traf mich nicht in Salzburg, sondern in der Hammerau an, wo ich eben bei meinem Sohne, dortigen Mitbeamten beim Oberverwesamt, auf einem Besuch war. Aus meiner sonstigen Willfährigkeit gegen jedermann und besonders gegen das Mozartsche Haus können Sie schließen, wie sehr leid mir war, daß ich nicht auf der Stelle Ihren Auftrag befriedigen konnte.

Zur Sache also!

Auf Ihre erste Frage, was Ihr seliger Herr Bruder in seiner Kindheit, NB. außer seiner Beschäftigung in der Musik, für Lieblingsspiele hatte? – auf diese Frage ist nichts zu beantworten: denn sobald er mit Musik sich abzugeben anfing, waren alle seine Sinne für alle übrigen Geschäfte soviel als tot, und selbst die Kindereien und Tändelspiele mußten, wenn sie für ihn interessant sein sollten, von der Musik begleitet werden. Wenn wir, er und ich, Spielzeuge zum Tändeln von einem Zimmer ins andere trugen, mußte allemal derjenige von uns, so leer ging, einen Marsch dazu singen oder geigen. Vor dieser Zeit aber, ehe er die Musik anfing, war er für jede Kinderei, die mit ein bißchen Witz gewürzt war, so empfänglich, daß er darüber Essen und Trinken und alles andere vergessen konnte. Ich ward daher ihm, weil ich, wie Sie wissen, mich mit ihm abgab, so äußerst lieb, daß er mich oft zehnmal an einem Tage fragte, ob ich ihn lieb hätte, und wenn ich es zuweilen auch nur zum Spaß verneinte, stunden ihm gleich die hellichten Zähren im Auge, so zärtlich und so wohlwollend war sein gutes Herzchen.

Zweite Frage, wie er sich als Kind gegen die Großen benahm, wenn sie sein Talent und Kunst in der Musik bewunderten?

Wahrhaftig, da verriet er nichts weniger als Stolz oder Ehrsucht: denn diese hätte er nie besser befriedigen können, als wenn er Leuten, die die Musik wenig oder gar nicht verstanden, vorgespielt hätte, aber er wollte nie spielen, außer seine Zuhörer waren große Musikkenner, oder man mußte ihn wenigstens betrügen und sie dafür ausgeben.

Dritte Frage, welche wissenschaftliche Beschäftigung liebte er am meisten?

Antw. Hierinfalls ließ er sich leiten, es war ihm fast einerlei, was man ihm zu lernen gab, er wollte nur lernen und ließ die Wahl seinem innigst geliebten Papa, welches Feld er ihm zu bearbeiten auftrug. Es schien, als hätte er es verstanden, daß er in der Welt keinen Lehrmeister noch minder Erzieher wie seinen unvergeßlichen Herrn Vater hätte finden können. Was man ihm immer zu lernen gab, dem hing er so ganz an, daß er alles übrige auch sogar die Musik, auf die Seite setzte. Z. B. als er Rechnen lernte, war Tisch, Sessel, Wände, ja sogar der Fußboden voll Ziffern mit der Kreide überschrieben.

Vierte Frage, was er für Eigenschaften, Maximen, Tagesordnung, Eigenheiten, Neigung zum Guten und Bösen hatte?

Antw. Er war voll Feuer, seine Neigung hing jedem Gegenstand sehr leicht an; ich denke, daß er im Ermangelungsfalle einer so vorteilhaft guten Erziehung, wie er hatte, der ruchloseste Bösewicht hätte werden können, so empfänglich war er für jeden Reiz, dessen Güte oder Schädlichkeit er zu prüfen noch nicht imstande war.

Einige sonderbare Wunderwürdigkeiten von seinem vier- bis fünfjährigen Alter, auf deren Wahrhaftigkeit ich schwören könnte.

Einsmal ging ich mit Herrn Papa nach dem Donnerstagsamte zu ihnen nach Hause, wir trafen den vierjährigen Wolfgangerl in der Beschäftigung mit der Feder an.

Papa: Was machst du?

Wolfg.: Ein Konzert fürs Klavier, der erste Teil ist bald fertig.

Papa: Laß sehen.

Wolfg.: Ist noch nicht fertig.

Papa: Laß sehen, das muß was Sauberes sein.

Der Papa nahm's ihm weg und zeigte mir ein Geschmiere von Noten, die meistenteils über ausgewischte Tintendolken geschrieben waren, NB. der kleine Wolfgangerl tauchte die Feder aus Unverstand allemal bis auf den Grund des Tintenfasses ein, daher mußte ihm, sobald er damit aufs Papier kam, ein Tintendolken entfallen, aber er war gleich entschlossen, fuhr mit der flachen Hand darüber hin und wischte es auseinander und schrieb wieder darauf fort, wir lachten anfänglich über dieses scheinbare Gallimathias, aber der Papa fing hernach seine Betrachtungen über die Hauptsache, über die Noten, über die Komposition an, er hing lange Zeit steif mit seiner Betrachtung an dem Blatte, endlich fielen zwei Tränen, Tränen der Bewunderung und Freude aus seinen Augen. ›Sehen Sie, Herr Schachtner,‹ sagte er, ›wie alles richtig und regelmäßig gesetzt ist, nur ist's nicht zu brauchen, weil es so außerordentlich schwer ist, daß es kein Mensch zu spielen imstande wäre.‹ Der Wolfgangerl fiel ein: ›Drum ist's ein Konzert, man muß so lange exerzieren, bis man es treffen kann; sehen Sie, so muß es gehen.‹ Er spielte, konnte aber auch just so viel herausbringen, daß man erkennen konnte, wo er aus wollte. Er hatte damals den Begriff, daß Konzertspielen und Mirakelwirken einerlei sein müsse.

Noch eins.

Gnädige Frau! Sie wissen sich zu erinnern, daß ich eine sehr gute Geige habe, die weiland Wolfgangerl wegen ihrem sanften und vollen Ton immer Buttergeige nannte. Einmal, bald nachdem sie von Wien zurückkamen (zu Anfang 1763), geigte er darauf und konnte meine Geige nicht genug loben, nach ein oder zwei Tagen kam ich wieder, ihn zu besuchen, und traf ihn, als er sich eben mit seiner eigenen Geige unterhielt, an, sogleich sprach er: ›Was macht Ihre Buttergeige?‹ geigte dann wieder in seiner Phantasie fort, endlich dachte er ein bißchen nach und sagte zu mir: ›Herr Schachtner, Ihre Geige ist um einen halben Viertelton tiefer gestimmt als meine da, wenn Sie sie doch so gestimmt ließen, wie sie war, als ich das letztemal darauf spielte.‹ Ich lachte darüber, aber Papa, der das außerordentliche Tönegefühl und Gedächtnis dieses Kindes kannte, bat mich, meine Geige zu holen und zu sehen, ob er recht hätte. Ich tat's, und richtig war's.

Einige Zeit vor diesem, die nächsten Tage, als Sie von Wien zurückkamen und Wolfgang eine kleine Geige, die er als Geschenk zu Wien kriegte, mitbrachte, kam unser ehemaliger sehr guter Geiger Herr Wenzl sel., der ein Anfänger in der Komposition war; er brachte 6 Trio mit, die er in Abwesenheit des Herrn Papa verfertigt hatte, und bat Herrn Papa um seine Erinnerung hierüber. Wir spielten diese Trio, und Papa spielte mit der Viola den Baß, der Wenzl das erste Violin, und ich sollte das zweite spielen. Wolfgangerl bat, daß er das zweite Violin spielen dürfte, der Papa aber verwies ihm seine närrische Bitte, weil er noch nicht die geringste Anweisung in der Violin hatte, und Papa glaubte, daß er nicht im mindesten zu leisten imstande wäre. Wolfgang sagte: ›Um ein zweites Violin zu spielen, braucht man es wohl nicht erst gelernt zu haben‹; und als Papa darauf bestand, daß er gleich fortgehen und uns nicht weiter beunruhigen sollte, fing Wolfgang an bitterlich zu weinen und trollte sich mit seinem Geigerl weg. Ich bat, daß man ihn mit mir möchte spielen lassen; endlich sagte Papa: ›Geig mit Herrn Schachtner, aber so stille, daß man dich nicht hört, sonst mußt du fort.‹ Das geschah, Wolfgang geigte mit mir. Bald bemerkte ich mit Erstaunen, daß ich da ganz überflüssig sei; ich legte still meine Geige weg und sah Ihren Herrn Papa an, dem bei dieser Szene die Tränen der Bewunderung und des Trostes über die Wangen rollten; und so spielte er alle sechs Trio. Als wir fertig waren, wurde Wolfgang durch unsern Beifall so kühn, daß er behauptete, auch die erste Violin spielen zu können. Wir machten zum Spaß einen Versuch und wir mußten uns fast zutode lachen, als er auch dies, wiewohl mit lauter unrechten und unregelmäßigen Applikaturen doch so spielte, daß er doch nie ganz stecken blieb.

Zum Beschluß. Von Zärtlichkeit und Feinheit seines Gehörs!

Fast bis in sein zehntes Jahr hatte er eine unbezwingliche Furcht vor der Trompete, wenn sie allein, ohne andere Musik, geblasen wurde; wenn man ihm eine Trompete nur vorhielt, war es ebensoviel, als wenn man ihm eine geladene Pistole aufs Herz setzte. Papa wollte ihm diese kindische Furcht benehmen und befahl mir einmal, trotz seines Weigerns, ihm entgegen zu blasen; aber mein Gott! hätte ich mich nicht dazu verleiten lassen. Wolfgangerl hörte kaum den schmetternden Ton, ward er bleich und begann zur Erde zu sinken, und hätte ich länger angehalten, er hätte sicher das Fraise (Krämpfe) bekommen.

Dieses ist beiläufig, womit ich auf die gestellten Fragen dienen kann, verzeihen Sie mir mein schlechtes Geschmier, ich bin geschlagen genug, daß ich's nicht besser kann. Ich bin mit geziemend schuldigster Hochschätzung und Ehrfurcht

Salzburg, den 24. April 1792.

Euer Gnaden
ergebenster Diener
Andreas Schachtner,
Hochfürstl. Hoftrompeter.«

Daß ein so hervorragender Musiker wie Leopold Mozart diese wunderbaren Anlagen des Kindes hätte übersehen können, ist natürlich ausgeschlossen. Aber es fehlt das zweite Beispiel für den geradezu heiligen Ernst, mit dem der Vater nun die Ausbildung dieser Gaben in die Hand nahm. Daß die Erziehung dieses Kindes sein wahrer Beruf sei, erfaßte er in einer tiefen Religiosität, in der sich das freudigstolze Dankempfinden des Erzeugers dieses »Wunders Gottes« mit einem schweren, Entsagung und Opfer heischenden Verantwortungsgefühl verband. Nur dem glücklichen Umstand, daß ein so seltenes Gut in eine ebenso seltene treue Hut gegeben war, danken wir die wunderbare Entfaltung Wolfgang Mozarts.

2. Die Weltreise des Wunderkindes

»Das größte Naturwunder des Jahrhunderts darf nicht unbeachtet im Salzburger Winkel bleiben; meine Pflicht ist es, der Welt das Wunder Gottes zu zeigen.« In dieser Gesinnung entschloß sich der Vater, als Wolfgang sechs, die Schwester elf Jahre alt war, sein ruhiges Salzburger Leben aufzugeben und in die Welt hinauszuziehen, die ihm bis dahin auch unbekannt geblieben war. Wir sind auch über diese Kunstfahrten, trotzdem die ganze Familie Mozart daran teilnahm, gut unterrichtet durch die Berichte des Vaters an den Kaufmann Lorenz Hagenauer, in dessen Hause er damals wohnte. Hagenauer war mit seiner ganzen Familie den Mozarts in echter Freundschaft zugetan und unterstützte den Vater vor allem in Geldangelegenheiten. Daraus erklärt es sich, daß der äußere Erfolg in diesen Briefen mehr Erwähnung findet, als es sonst wohl in des alten Mozart Art gelegen hätte. Im übrigen hat auch hier die Schwester sorgsam eine Fülle von Erinnerungen aufbewahrt, die sie in ihrem bereits erwähnten Bericht an Schlichtegroll gegeben hat. (Gedruckt in Nottebohms »Mozartiana« 1880.)

Die erste, im Januar 1762 unternommene Reise führte nach München, wo sie drei Wochen blieben und erreichten, daß die Kinder vor dem Kurfürsten spielen konnten. Der große Erfolg ermutigte den Vater zur Reise nach Wien, die am 18. September desselben Jahres angetreten wurde.

Schon unterwegs brachten die Aufenthalte allerlei Erfolge. In Passau, wo sie auf Veranlassung des Bischofs fünf Tage blieben, bekamen sie auch bereits einen Vorgeschmack von der Noblesse deutscher Edler in pekuniären Dingen, denn das Honorar betrug einen ganzen Dukaten. Im Kloster Ips spielte der Knabe auf der Orgel zum Erstaunen der Mönche; in Wien bezauberte der kleine Orpheus mit seinem Geigerl die Zollbeamten derart, daß sie der ganzen Familie keinerlei Schwierigkeiten machten. Von Wien aus konnte der Vater bald rasche Erfolge melden; auch seinen Hauptzweck, an den kaiserlichen Hof zu gelangen, erreichte er überraschend schnell, denn fast alle Mitglieder der kaiserlichen Familie waren sehr musikalisch. Bereits am 13. September konnte der Vater seine Kinder in Schönbrunn vorstellen, und zwar im engen Familienkreise. »Hauptsächlich erstaunt alles ob dem Buben, und ich habe noch niemand gehört, der nicht sagte, daß es unbegreiflich sei.« Das kaiserliche Paar und die Prinzessinnen behandelten die Familie geradezu freundschaftlich, und der Wolferl fühlte sich in ihrem Kreise wie zu Hause. Er hat von dieser Zeit an in seinem liebevollen und dankbaren Herzen dem Kaiserhause eine geradezu persönliche Treue bewahrt, die auch dann nicht vermindert wurde, als er vielfache Zurücksetzungen erfahren hatte. Doch das widerfuhr erst dem Meister. Das Kind fand eitel Liebe. In einzelnen Kunststücken, wie zum Spielen mit einem Finger oder bei verdeckter Klaviatur reizte der Kaiser den kleinen Hexenmeister selber an. So gern dieser aber auch auf alle Scherze einging, so ernsthaft blieb er, sobald es darauf ankam, ernst zu musizieren. Er wollte nur vor Kennern oder wahrhaften Liebhabern spielen, ein Charakterzug, den er zeitlebens behalten hat, wie ihm ja auch niemals ein Lob deshalb Eindruck gemacht hat, weil der Spender desselben eine hohe Stellung in der Welt einnahm, wogegen er sich auch als vollkommener Meister noch herzlich freute über jede Anerkennung, die ihm von Menschen zuteil wurde, bei denen er echtes musikalisches Empfinden gefunden hatte. So beharrte er auch einmal darauf, als er beim Kaiser Franz spielte, daß der treffliche Klavierspieler und Komponist Georg Christ. Wagenseil (1715–1777) an seine Seite treten mußte. Im übrigen war er ein echtes Kind, das sich unbefangen benahm und durch seine Kindereien natürlich erst recht die vornehme Gesellschaft bezauberte. »Alle Damen waren in den Buben verliebt«, und man riß sich in der vornehmen Welt um die Mitwirkung der kleinen Künstler bei gesellschaftlichen Veranstaltungen. Auch die pekuniären Erfolge stellten sich bald ein. Die glückliche Zeit erfuhr erst eine unliebsame Unterbrechung dadurch, daß Wolfgang Ende Oktober vom Scharlachfieber befallen wurde; doch erholte sich der Knabe bald wieder, und sie kehrten erst in den ersten Tagen des Jahres 1763 wieder nach Salzburg zurück.

Der große Erfolg in Wien hatte Mozarts Mut gemacht. Nach kurzem Aufenthalt in Salzburg entschlossen sie sich zu einer großen Konzertreise nach Paris. Noch galt dieses ja als Mittelpunkt der gebildeten und künstlerischen Welt, und man konnte annehmen, daß ein Erfolg in der französischen Hauptstadt überall anerkannt werden würde, vielleicht am allermeisten in der deutschen Heimat. Allerdings gerade auf musikalischem Gebiete war die Stellung von Paris nicht unangefochten. Die Musikgeschichte, die der Oper zumal, beurteilt sie leicht zu günstig, weil in Paris der Kampf wider die Alleinherrschaft der italienischen Opernmusik am entschiedensten ausgefochten wurde. Hier hat ja auch Gluck seinen endgültigen Sieg errungen. Aber man darf nicht verkennen, daß die Gegnerschaft Frankreichs gegen die italienische Oper doch letzterdings auf einem Mangel an musikalischer Veranlagung beruhte, und es ist bezeichnend, daß die französische Oper gegenüber der italienischen stets die Rechte der Dichtung oder, da dieses Wort meistens zu hoch gegriffen ist, wollen wir lieber sagen des Textes wahrgenommen hat. Deshalb haben auch gerade die Mozarts, Vater und Sohn, über die französische Musik recht gering gedacht, weil sie wohl spürten, daß die wirklich musikalische Kraft fehlte.

Auf dem Wege nach Paris gab man Konzerte, wo sich die Gelegenheit dazu bot. Das öffentliche Konzertleben Deutschlands war damals noch sehr wenig entwickelt. Eigentliche Konzerte in unserem Sinne hat es damals fast noch nicht gegeben. Doch fällt Mozarts Auftreten in die Übergangszeit, so daß der Knabe auch in Deutschland mehrere öffentliche Konzerte geben konnte. Wo ein Fürst residierte, war der Hof der natürliche Mittelpunkt aller gesellschaftlichen Veranstaltungen, und als solche erschien dann auch das Konzert, wie im Grunde ja auch jede Opernaufführung. Wo kein Hof war, schlossen sich die Patrizierkreise und die wohlhabendere Kaufmannschaft zu einer Gesellschaft zusammen. Das Honorar des Künstlers hatte in beiden Fällen den für unser heutiges Gefühl recht unangenehmen Beigeschmack des Geschenkes. Den Ausländern gegenüber mögen sich unsere Fürsten und städtischen Gesellschaften viel nobler bewiesen haben. In Mozarts Biographie sind es nur ganz vereinzelte Fälle, bei denen die nachherige Belohnung nicht hinter den meist recht bescheiden gehaltenen Erwartungen zurückblieb. Daß außerdem sehr oft an Stelle des Geldes Schmuckstücke gegeben wurden, war für den Künstler auch dann ein Schaden, wenn diese Schmuckstücke an sich einen höheren Wert darstellten. Das Ergebnis war also im ganzen immer ein recht ungünstiges. Großen Gewinn ernteten eigentlich in dieser Zeit nur Sänger und Sängerinnen, obwohl der Höhepunkt ihrer Vorherrschaft bereits überschritten war. Die italienische Oper war eben eine Gesangsoper, und die Geschichte der italienischen Musik ist viel mehr eine Geschichte der Gesangskunst und des Gesangsvirtuosentums als eine solche der Komposition. Die Sänger leiteten im Grunde den Komponisten. Auch die selbständigsten Naturen unter diesen strebten vor allem danach, ihren Sängern es recht zu machen. Sie rechneten mit ganz bestimmten Gesangsgrößen, und ihr Bestreben war, diesen ihre Arien auf den Leib zu schreiben.

Alles das setzt natürlich ganz andere Verhältnisse voraus, als wir sie heute kennen. Man muß diese aber berücksichtigen, um auch für die Komposition einen Maßstab zu gewinnen. Der Komponist arbeitete für ein festes, von vornherein vereinbartes Honorar die Oper für eine bestimmte Stadt. Eine Weiterverbreitung derselben, die nicht allzu häufig war, kam in der Regel nur dem Kopisten zugute, und es findet sich in Mozarts Briefen die Stelle, daß dieser sich oft viel besser stand als der Komponist. Bei den Sängern war das eigentlich selbstverständlich. Übrigens ist es ja heute in unseren Opernhäusern auch noch so, ja fast noch schlimmer, wenigstens für den Fall, daß ein Werk keinen Erfolg hat. Nur so ist es zu erklären, daß der Vater Leopold Mozart auch in dieser Zeit, als seinem Sohne allerorten die schönsten Erfolge bereitet wurden, für den kaum den Knabenschuhen Entwachsenen bereits überall nach einer festen, sicheren Stelle suchte. Nur aus diesen allgemeinen Musikverhältnissen heraus erklärt es sich auch, daß es dem doch sehr sparsamen und geschäftskundigen Vater nicht gelang, trotz der außerordentlichen Erfolge seines Sohnes solche Ersparnisse zu machen, daß für einen dauernd günstigen Vermögensstand der Grund gelegt worden wäre. In pekuniärer Hinsicht brachte allerdings gerade diese erste Reise verhältnismäßig den größten Gewinn.

Wiederum sind wir durch die Briefe Leopold Mozarts an seinen Freund Hagenauer, zu denen noch die Erinnerungen der Schwester und anderer und endlich auch die kurzen Reisenotizen des Vaters kommen, instand gesetzt, den Verlauf der Reise mit einer Genauigkeit zu verfolgen, wie sie sonst in dieser Zeit der wenig entwickelten Presse bei keinem zweiten Künstler zu erreichen ist.

Am 9. Juli 1763 begab sich die ganze Familie auf die Reise. Schon in Wasserburg gab's einen Wagenunfall, der die Reisenden zu einem eintägigen Aufenthalt zwang. »Das Neuste ist,« schreibt der Vater, »daß um uns zu unterhalten wir auf die Orgel gegangen und ich dem Wolferl das Pedal erklärt habe, davon er dann gleich stante pede Probe abgeleget, den Schemel hinweggerückt und stehend präambuliert und das Pedalband getreten, und zwar so, als wenn er schon viele Monate geübet hätte. Alles geriet in Erstaunen, und es ist eine neue Gnade Gottes, die mancher nach vieler Mühe erst erhält.« Es wirkt in der Tat als eine ganz besondere Gnade, der sich Mozart erfreute, daß ihm nicht nur die geistige Erkenntnis aller musikalischen Dinge so unbegreiflich leicht fiel, sondern daß ihm auch die Umsetzung dieser Erkenntnis ins Technische, ins rein Körperliche, denn auf das läuft doch dieser Pedalgebrauch schließlich hinaus, ohne jegliche Übung gelang. Mozart hat die Orgel dauernd geliebt. Noch 1777, als er zum erstenmal allein eine große Kunstreise unternahm, hat er dem berühmten Klavierfabrikanten Stein in Augsburg auf dessen Einwendung, daß die Orgel ein Instrument sei, »wo keine Douceur, keine Expression, kein Piano noch Forte stattfindet, sondern immer gleich fortgeht«, erklärt: »Das hat alles nichts zu bedeuten, die Orgel ist doch in meinen Augen und Ohren der König aller Instrumente.« Allerdings fühlte er, im Gegensatz zu manchem berühmten Orgelvirtuosen seiner Zeit, daß das Orgelspiel auch einen besonderen Stil erheische. Jedenfalls ist er von den Zeitgenossen als Orgelspieler oft noch mehr bewundert worden, denn als Klavierspieler.

In München und Augsburg hatten die Reisenden die gewohnten Erfolge. Dagegen gelang es ihnen in Ludwigsburg nicht, vor Herzog Karl zu Gehör zu kommen. Allerdings war wohl kaum der Italiener Iomelli, einer der bedeutendsten Meister der italienischen Oper, daran schuld, wie der Vater Mozart glauben wollte. Denn eine so kleinliche Mißgunst würde mit dem großzügigen Charakter dieses Mannes, der sich vor seinen musikalischen Volksgenossen nicht nur durch seine ganze Lebensführung, sondern auch durch wahre Hochschätzung der musikalischen Anlagen des deutschen Volkes auszeichnete, nicht übereinstimmen.

Schwetzingen, Heidelberg, Mainz brachten dann wieder die gewünschten Erfolge. Von hier aus führte sie ein Ausflug nach Frankfurt, wo im ganzen vier Konzerte stattfanden, in deren einem auch Goethe als Vierzehnjähriger den um sieben Jahre jüngeren kleinen Wundermann hörte. Er erinnerte sich noch Eckermann gegenüber deutlich des kleinen Mannes in seiner Frisur und Degen. Um einen Begriff davon zu geben, was dem Publikum in solchen Konzerten geboten wurde, sei die uns erhaltene Anzeige des Konzerts vom 30. August 1763 hier mitgeteilt.

»Die allgemeine Bewunderung, welche die noch niemals in solchem Grade weder gesehene noch gehörte Geschicklichkeit der 2 Kinder des Hochfürstl. Salzburgischen Kapellmeisters Hrn. Leopold Mozart in den Gemütern aller Zuhörer erweckt, hat die bereits dreimalige Wiederholung des nur für einmal angesetzten Konzerts nach sich gezogen. Ja, diese allgemeine Bewunderung und das Anverlangen verschiedener großer Kenner und Liebhaber ist die Ursache, daß heute Dienstag den 30. August in dem Scharsischen Saal auf dem Liebfrauenberge abends um 6 Uhr aber ganz gewiß das letzte Konzert sein wird; wobei das Mägdlein, welches im zwölften, und der Knab', der im siebenten Jahr ist, nicht nur Konzerten auf dem Klavessin oder Flügel, und zwar ersteres die schwersten Stücke der größten Meister spielen wird, sondern der Knab' wird auch ein Konzert auf der Violine spielen, bei Sinfonien mit dem Klavier akkompagnieren, das Manuel oder die Tastatur des Klaviers mit einem Tuch gänzlich verdecken, und auf dem Tuche so gut spielen, als ob er die Klaviatur vor Augen hätte; er wird ferner in der Entfernung alle Töne, die man einzeln oder in Akkorden auf dem Klavier oder auf allen nur denkbaren Instrumenten, Glocken, Gläsern und Uhren u. anzugeben imstande ist, genauest benennen. Letzlich wird er nicht nur auf dem Flügel, sondern auch auf einer Orgel (solange man zuhören will, und aus allen, auch den schwersten Tönen, die man ihm benennen kann) vom Kopf phantasieren, um zu zeigen, daß er auch die Art, die Orgel zu spielen versteht, die von der Art, den Flügel zu spielen, ganz unterschieden ist.«

Über Koblenz, Bonn und Köln führte der Weg nach Aachen, Hier wollte Friedrichs des Großen Schwester Amalie Mozart bereden, mit seinen Kindern nach Berlin zu gehen, aber ohne Erfolg. »Sie hat kein Geld«, schreibt Vater Mozart; »wenn die Küsse, die sie meinen Kindern, zumal dem Meister Wolfgang gegeben hat, Louisdor wären, so hätten wir froh sein können, aber weder der Wirt noch die Postmeister lassen sich mit Küssen abfertigen«.

Nach längerem Aufenthalt in Brüssel langten sie endlich am 18. November 1763 in Paris an und fanden hier in des bayrischen Gesandten Grafen Eyck Hause freundlichste Aufnahme. Als geschäftigster und erfolgreichster Freund bewährte sich Friedrich Melchior Grimm (1723–1807), der als »Baron Grimm« aus der Geschichte der französischen Enzyklopädisten auf literarischem und ganz besonders auf musikalischem Gebiete durch seine leidenschaftliche Parteinahme für die italienische Musik gegenüber der französischen bekannt ist. Ein geborener Regensburger, lebte er seit 1749 in Paris und hatte es verstanden, seine Stellung als Sekretär des Herzogs von Orleans zu sehr einflußreichen Beziehungen zu allen europäischen Fürstenhöfen auszunutzen. Wir werden erfahren, daß Wolfgang vierzehn Jahre später, als er allein in Paris sich durchzusetzen versuchte, sich in seinen Erwartungen, die er auf den Freund des Vaters gesetzt hatte, stark enttäuscht sah; jetzt erwies er sich als der wichtigste Förderer seiner Landsleute. Soviel Empfehlungsbriefe Mozarts von gesellschaftlich hervorragenden Leuten mitgebracht hatten, sie waren nach Leopolds Worten alle nichts. »Der einzige Monsieur Grimm, an den ich von einer Kaufmannsfrau in Frankfurt einen Brief hatte, hat alles getan. Er hat die Sache nach Hofe gebracht. Er hat das erste Konzert besorgt. Er allein hat mir 80 Louisdor bezahlt, also 320 Billetts abgesetzt, und noch die Beleuchtung mit Wachs bestritten; es brannten über 60 Tafelkerzen. Nun, dieser Mann hat die Erlaubnis zu dem Konzert ausgewirkt und wird nun auch das zweite besorgen, wozu schon 100 Billetts ausgeteilt sind. Sehen Sie, was ein Mensch kann, der Vernunft und ein gutes Herz hat!« Bald konnte Mozart auch bei Hofe spielen, und wenn die altgewordene Pompadour jetzt sogar vor den Küssen des Knaben zurückschreckte, so waren die legitimen Mitglieder der königlichen Familie um so freundlicher zu ihm. Mit dem Königshause wetteiferten die vornehmen Familien, und schließlich gewann man auch die schwer zu erlangende Erlaubnis, zwei große öffentliche Konzerte zu veranstalten. Der Erfolg überstieg auch die kühnsten Erwartungen.

Am lebendigsten wirkt der Brief, den Grimm selber am 1. Dezember 1763 in seiner »Correspondance literaire«veröffentlichte. »Die wahren Wunder sind selten genug, daß man davon reden mag, wenn man Gelegenheit hat, eines zu sehen. Ein Salzburger Kapellmeister namens Mozart ist soeben angekommen mit zwei Kindern von der hübschesten Erscheinung der Welt. Seine Tochter, elf Jahre alt [Sie war im Juli 12 gewesen], spielt in der brillantesten Weise Klavier, sie führt die größten und schwersten Stücke mit einer staunenswerten Präzision aus. Ihr Bruder, der nächsten Februar sieben Jahre alt wird [in Wirklichkeit wurde er im Januar 1764 acht Jahre alt], ist eine so außerordentliche Erscheinung, daß man das, was man mit eigenen Augen sieht und mit eigenen Ohren hört, kaum glauben kann. Es ist dem Kinde nicht nur ein leichtes, mit der größten Genauigkeit die allerschwersten Stücke auszuführen, und zwar mit Händchen, die kaum die Sexte greifen können; nein, es ist unglaublich, wenn man sieht, wie es eine ganze Stunde hindurch phantasiert und so sich der Begeisterung seines Genies und einer Fülle entzückender Ideen hingibt, welche es mit Geschmack und ohne Wirrwarr aufeinander folgen läßt. Der geübteste Kapellmeister kann unmöglich eine so tiefe Kenntnis der Harmonie und der Modulationen haben, welche es auf dem wenigst bekannten, aber immer richtigen Wege durchzuführen weiß. Es hat eine solche Fertigkeit in der Klaviatur, daß wenn man sie ihm durch eine darüber gelegte Serviette entzieht, es nun auf der Serviette mit derselben Schnelligkeit und Präzision fortspielt. Es ist ihm eine Kleinigkeit, alles, was man ihm vorlegt, zu entziffern; es schreibt und komponiert mit einer bewunderungswürdigen Leichtigkeit, ohne sich dem Klavier zu nähern und seine Akkorde darauf zu suchen [also schon damals die völlige Unabhängigkeit von der sinnlichen Unterstützung]. Ich habe ihm ein Menuett aufgesetzt und ihn ersucht, den Baß darunterzusetzen; das Kind hat die Feder ergriffen, und ohne sich dem Klavier zu nahen, hat es den Baß daruntergesetzt. Sie können wohl denken, daß es ihm nicht die geringste Mühe kostet, jede Arie, die man ihm vorlegt, zu transponieren und zu spielen, aus welchem Ton man es verlangt. Allein folgendes, was ich gesehen habe, ist nicht weniger unbegreiflich. Eine Frau fragte ihn letzthin: ob er wohl nach dem Gehör und ohne sie anzusehen eine italienische Kavatine, die sie auswendig wußte, begleiten würde? Sie fing an zu singen. Das Kind versuchte einen Baß, der nicht nach aller Strenge richtig war, weil es unmöglich ist, die Begleitung eines Gesangs, den man nicht kennt, genau im voraus anzugeben! Allein sobald der Gesang zu Ende war, bat er die Dame, von vorn wieder anzufangen, und nun spielte er nicht allein mit der rechten Hand das Ganze, sondern fügte zugleich mit der linken den Baß ohne die geringste Verlegenheit hinzu; worauf er zehnmal hintereinander sie ersuchte, von neuem anzufangen, und bei jeder Wiederholung veränderte er den Charakter seiner Begleitung. Er hätte noch zwanzigmal wiederholen lassen, hätte man ihn nicht gebeten, aufzuhören. Ich sehe es wirklich noch kommen, daß dieses Kind mir den Kopf verdreht, höre ich es noch ein einziges Mal; und es macht mir begreiflich, wie schwer es sein muß, sich vor Wahnsinn zu bewahren, wenn man Wunder erlebt. Herrn Mozarts Kinder haben die Bewunderung aller derer erregt, die sie gesehen haben, der Kaiser und die Kaiserin haben sie mit Güte überhäuft. Dieselbe Aufnahme haben sie in München und Mannheim erfahren. Schade, daß man sich hierzulande so wenig auf Musik versteht! –«

Es war das Paris vor Gluck. Und wenn durch dessen Wirksamkeit der Geschmack und das Verständnis des Volkes natürlich nicht im innersten verändert worden sind, so hätte man sich doch später nicht mehr über die geringe Teilnahme an musikalischen Dingen zu beklagen brauchen, denn durch den Streit der Gluckisten und Piccinisten wurden musikalische Fragen in den Vordergrund alles Interesses geschoben. Jetzt aber teilte auch Leopold Mozart diese geringe Einschätzung der Pariser Musikverhältnisse seines Freundes. Von allem, was er an eigentlicher Musik hörte, ließ er nur die Chöre gelten. Stets bemüht, seinem Sohn jede nur mögliche Anregung zu verschaffen, versäumte er mit ihm keine Gelegenheit, diese Chöre zu hören, die ja in der Tat gegenüber der kärglichen Verwendung des Chores in der italienischen Oper bedeutsam hervorstachen. Übrigens hat der kleine Mozart in gewisser Hinsicht Gluck den Weg in Paris bereitet. Er hat den Franzosen gezeigt, daß auch Deutschland musikalische Genies hervorzubringen imstande sei. In Paris erschienen zuerst Kompositionen Mozarts im Druck. Es waren vier Sonaten für Klavier und Violine, deren zwei erste der königlichen Prinzessin Victoire, die andern der Gräfin de Tessé, einer Ehrendame der Dauphine gewidmet waren. Im übrigen fühlte sich der alte Mozart, trotz der Ehrenbezeugungen und der Geschenke, mit denen sie überhäuft wurden, in Paris nicht wohl. Seinem scharfen Blick entging weder die sittliche Verderbtheit des ganzen Lebens noch die Unterwühlung aller sozialen Verhältnisse, wie er sich auch durch den glänzenden äußeren Prunk nicht darüber täuschen ließ, daß in Wirklichkeit eigentlicher Wohlstand nicht vorhanden war.

Am 10. April 1764 reisten sie von Paris ab nach London, wo sie nach zwölftägiger Reise anlangten. Hier waren die Verhältnisse für sie besonders günstig, denn sowohl der König Georg III., der ein leidenschaftlicher Verehrer Händels war, wie auch die Königin Sophie Charlotte waren im besten Sinne musikalisch und fühlten sich in ihrer deutschen Gesinnung zu deutschen Musikern besonders hingezogen. Das hat später ja auch Haydn erfahren. So gelang es den Mozarts schon am 27. April, sich bei Hofe hören zu lassen, und der Vater berichtet frohlockend: »Die uns von beiden hohen Personen bezeugte Gnade ist unbeschreiblich, ihr freundschaftliches Wesen ließ uns gar nicht denken, daß es der König und die Königin von England wären. Man hat uns an allen Höfen noch außerordentlich höflich begegnet, allein was wir hier erfahren haben, übertrifft alles andere.« Die musikalischen Veranstaltungen bei Hofe wiederholten sich bald, und vor allem der junge Wolfgang versetzte alle Welt in Erstaunen, so daß man ihn bald als »das größte Wunder, dessen sich Europa und die Welt überhaupt rühmen kann«, pries. In der Tat verursachte das Reisen und das vielfache öffentliche Auftreten keinerlei Hemmnis in des Knaben musikalischer Entwicklung. Der Vater selber sagt davon: »Es übersteigt alle Einbildungskraft. Das, was er gewußt hat, als wir Salzburg verließen, ist ein purer Schatten gegen das, was er jetzt weiß.« Bald darauf schreibt er in vollberechtigtem Stolze: »Genug ist es, daß mein Mädel eine der geschicktesten Spielerinnen in Europa ist, wenn sie gleich nur 12 Jahre hat; und daß der großmächtige Wolfgang kurz zu sagen alles in diesem seinem achtjährigen Alter weiß, was man von einem Manne von 40 Jahren fordern kann. Mit kurzem, wer es nicht sieht und hört, kann es nicht glauben. Sie selbst, alle in Salzburg wissen nichts davon, denn die Sache ist nun etwas ganz anderes.«

Man geht wohl nicht fehl, wenn man die Ursache, daß die Kinder – auch für Marianne gilt es – unter dem Reisen und durch den Aufenthalt in der Fremde nicht litten, vor allem darin sieht, daß die Eltern stets bei ihnen waren und ihnen überall eine Heimat zu bereiten wußten. Freilich werden wir ja bald und später immer wieder von nicht unbedenklichen Erkrankungen der Kinder, zumal Wolfgangs, zu sprechen haben, die doch wohl zumeist auf diese große und rasche Entfaltung der geistigen Kräfte zurückzuführen sind. Aber das wirkt als unabänderliches Schicksal. Denn bei Mozart vollzieht sich das alles so selbstverständlich und natürlich, daß man nicht das Recht hat, die geistige Entwicklung alswillkürlich beschleunigt hinzustellen. Der Genius waltet und schaltet eben nach seinem Belieben mit dem Körper, dem er verbunden ist. Man denke doch, daß Franz Schubert, der niemals auf solche Reisen geführt worden ist, der obendrein von der Natur mit einem gewissen körperlichen Phlegma begnadet worden war – denn es war eine Gnade gegenüber seiner unendlich regen Phantasietätigkeit –, ebenso rasch von dem Feuer verzehrt wurde, das in ihm lohte. Wolfgang war schon als Kind nachts nur mit Gewalt vom Klavier zu entfernen, und wenn man den Kranken auch vom körperlichen Musizieren fernhalten konnte, so ließ sich doch sein Geist nicht zwingen.

Unter den Freunden, die die Künstler in London gewannen. war auch Joh. Seb. Bachs zweitjüngster Sohn, Johann Christian (1735–1782), der sogenannte Mailänder oder englische Bach. Von dem Riesenerbe, das sich die Söhne des die ganze Musik besitzenden Bach teilten, fiel diesem lebenslustigen Manne das leichteste und gefälligste Gebiet zu: er ist ein bedeutender Vertreter der italienischen Oper und verdienter Förderer des leichten, gefälligen Klavierspiels geworden. Dem kleinen Mozart ist er mit väterlichem Wohlwollen entgegengekommen und hat viel mit ihm gemeinsam musiziert. Fleischer (Moz.-Biogr. S. 27) weist mit Recht auf eine gewisse Wesensverwandtschaft zwischen Bach und Mozart hin. Sicher ist, daß der letztere den Londoner Musiker auch als Komponisten sehr hochstellte. »Wer mir den Bach verachtet, der ist ein Narr«, heißt es vierzehn Jahre später in einem Briefe. Die Neigung zum modernen, »galanten« Klavierstil ist freilich noch mehr durch Philipp Emanuel Bach gefördert worden, dessen 1753 erschienenen »Versuch über die wahre Art, das Klavier zu spielen«, der Vater Mozart nicht ohne Nutzen studiert hatte, wie auch seine Violinschule beweist.

Am 5. Juni, einen Tag nach dem Geburtstag des Königs, gaben die Mozarts ihr erstes öffentliches Konzert, das nicht nur einen künstlerischen Triumph, sondern auch eine glänzende Einnahme von über 100 Guineen brachte. Bald darauf erkrankte der Vater an einer heftigen Halsentzündung, und so zog die Familie aufs Land. In der erzwungenen Muße komponierte der Knabe seine erste Sinfonie. Noch drei weitere hat er in London komponiert, so daß in den folgenden Konzerten die Instrumentalmusik fast immer von der Komposition des Knaben war. Sechs Sonaten für Klavier und Violine kamen auch im Stich heraus und trugen eine vom 18. Januar 1765 datierte Widmung an die Königin. Musikgeschichtlich wichtiger ist, daß der neunjährige Knabe eine neue Gattung in die Klaviermusik einführte: die Klaviersonate für vier Hände. Bislang hatte man vielfach auf zwei Flügeln oder auf den zwei – zuweilen an verschiedenen Seiten des Flügels angebrachten – Klaviaturen gespielt. Wolfgang empfing durch das Zusammenspiel mit der Schwester die Anregung, beide Spieler an dieselbe Klaviatur zu setzen. Die so entstandene Kompositionsart gewann rasch Beliebtheit und Verbreitung.

Hier in London bekam Wolfgang auch zum erstenmal die italienische Oper in ihrem Glanze zu hören. Freilich die alte Herrlichkeit, wie sie der gewaltige Händel geschaffen hatte, war längst vorbei. Um so mehr bemühte man sich durch Hinzuziehung einzelner glänzender Virtuosen die Teilnahme zu heben. In diesem Jahre war es der treffliche Sopranist und glänzende Schauspieler Giovanni Manzuoli, der durch Stimme und Vortrag den höchsten Enthusiasmus entfesselte. Bald befreundete er sich mit den Mozarts und gab dem Knaben Unterricht im Gesang. Unter seiner Anweisung und durch das Beispiel anderer hervorragender Sänger wurde das Kind vollendeter Gesangskünstler, wenn natürlich auch die Stimme die eines Knaben war. Das ist von hoher Bedeutung. Wir sehen auch hier wieder, wie ihm alles musikalische Material gleichsam natürlich zu eigen wurde, wie ihm die verschiedensten Formen und Stile aus dem Leben heraus zugingen, und das alles in einem Alter, in dem man noch gar nicht mit einem Erlernten als von außen Überkommenen zu kämpfen hat, sondern wo alles, was man gewinnt, zum natürlichen Eigentum wird.

Die Teilnahme der breiten Öffentlichkeit hielt natürlich auch in London nur so lange vor, wie die beiden Kinder als Sensation wirkten. Man macht sich heute, wo Konzertagenten, Journalisten, Interviewer usw. übereifrig für stets neue Reklame sorgen, nur schwer einen Begriff von der Arbeit, die der Vater Mozart zu leisten hatte, um der Öffentlichkeit immer neue Teilnahme abzugewinnen. So wirkt auch die Anzeige, die er im » Public advertiser« vom 11. Juli 1765 erließ, als kleines Kulturbildchen: »Allen Freunden der Künste! Das größte Wunder, dessen sich Europa, ja die ganze Menschenwelt zu rühmen hat, ist ohne Widerspruch der kleine deutsche Knabe Wolfgang Mozart; ein achtjähriger Junge, der – und wahrhaftig mit größtem Recht – die Bewunderung nicht allein der hervorragendsten Männer Europas, sondern auch der größten Musiker erregt. Es ist schwer zu sagen, was uns in größeres Staunen versetzen muß: sein Spiel auf demHarpsichord oder sein Vom-Blatt-lesen und -singen, oder seine Capriccios und Phantasien, oder seine Kompositionen für jeder Art Instrumente! Der Vater dieses Wunderknaben, der durch den Wunsch verschiedener vornehmer Damen und Herren genötigt ist, seine Abreise von London noch eine kurze Zeit zu verschieben, will eine Gelegenheit geben, daß man den kleinen Komponisten und seine Schwester, deren musikalisches Wissen auch über jedes Lob erhaben ist, noch hören kann. – Vorstellung jeden Tag der Woche von 12-3 Uhr in dem großen Saal des ›Swan and Hoop Hotels‹ in Cornhill. Eintrittsgeld 2 sh. 6 p. pro Person. – (Die beiden Kinder spielen auch vierhändig zusammen auf dem gleichen Harpsichord, und zwar auf von einem Taschentuch bedeckter Klaviatur, so daß sie die Tasten nicht sehen können.)« Der englische Veröffentlicher hat nicht ganz unrecht, wenn er diese Anzeige als »barnumartig« bezeichnet.

Standhafter war die Teilnahme der Fachleute, die vielfach vor allem Wolfgang einer genauen Prüfung unterzogen. Am gewissenhaftesten tat es der Rechtsgelehrte und Naturforscher Daines Barrington, der besonders Wolfgangs Fähigkeit der Improvisation untersuchte. Aus dem ausführlichen Bericht, den Barrington in wissenschaftlicher Form erstattete, ist besonders auffällig, daß diese improvisierten Kompositionen, wenn auch an sich nicht staunenswert, weit über das Gewöhnliche erhaben waren, auch ohne Rücksicht auf das Alter des Knaben; und für die künstlerische Veranlagung des Kindes bezeichnend ist, daß es sein Augenmerk vor allem auf die Charakteristik des Ausdrucks verlegte, wobei natürlich diese Charakteristik mehr von den Worten her als etwa aus den Charakteren der sie singenden Personen genommen war.

Am 24. Juli 1765 verließen Mozarts London, am 1. August England. Wolfgang hat dem Lande und dem Volke, das ihn so gastlich aufgenommen, dauernd die wärmste Sympathie bewahrt. Noch 1782 nennt er sich einen Erz-Engelländer und freut sich des britischen Sieges bei Gibraltar. Als später die Not so schwer auf seinem Hause lastete, dachte er wiederholt an eine neue Kunstreise nach England, die ihm die pekuniäre Erlösung wohl eben so sicher gebracht hätte, wie Haydn und Weber. Aber der als Knabe so leicht die Welt durchzog, hat es als Mann nicht gekonnt. Da fehlte eben für den zeitlebens Kind gebliebenen die so sorgsame und geschickte Hand, mit der der Vater alle Schwierigkeiten des äußeren Lebens aus dem Weg geräumt hatte.

Das Reiseziel war der Haag, wohin der holländische Hof sie dringend eingeladen. Nach einem unliebsamen, durch Erkrankung von Vater und Sohn veranlaßten Aufenthalt in Lille kamen sie über Gent und Antwerpen gegen Mitte September im Haag an, wo sie in der Ville de Paris, einem geringen Gasthofe, Quartier nahmen. Sie sind über sieben Monate in Holland geblieben, wo sie bei Hof und Volk eine sehr warme Aufnahme fanden, die auch dauerhafter war als anderswo. Leider wurde der Aufenthalt durch die lebensgefährliche Erkrankung erst Mariannens, dann Wolfgangs, zeitweise zu einer sehr schweren Prüfung. Schon am 30. September hatten sie am Hofe des Statthalters gespielt, zehn Tage später war das erste öffentliche Konzert. » De Liefhebbers kunnen na hun plaisir hem Muzick vorleggen, hy zal het zelve voor de vuyst speelen.« Mit diesen Worten rühmt die Anzeige des Knaben Fähigkeit im Vomblattspiel. (Nach Scheuerleer » M.s Verblyf in Nederland« 1883.) Erst am 22. Januar 1766 kam es zum zweiten Konzert; so lange währte die böse Krankheitsperiode. Bemerkenswert ist vor allem, daß der Knabe hier in Holland bereits als vollgültiger Komponist genommen wurde, wie seine Beteiligung an den Feierlichkeiten zur Volljährigkeit des Prinzen von Oranien beweisen.

Erst Mitte April reisten sie ab und kamen über Antwerpen, Utrecht und Mecheln Ende des Monats in Paris an. Es ist sehr bezeichnend, daß sich die Teilnahme des Publikums, trotzdem der Knabe gerade in geistig musikalischer Hinsicht so außerordentlich gewachsen war, nicht wieder in dem Maße einstellen wollte, wie vorher. Man hatte eben die Sensation gehabt, und das auffällig und äußerlich Wunderbare nahm ja mit jedem Tage ab, den der Knabe älter wurde. Einzelne natürlich bezeugten auch jetzt ihre hohe Teilnahme. So fanden zahlreiche Wettkämpfe mit den ausgezeichnetsten Künstlern auf der Orgel, dem Klavier und in der Improvisation statt, bei denen der Knabe zum wenigstens mit großer Ehre bestand. Der Prinz Ferdinand von Braunschweig sprach nur die allgemeine Meinung aus, »daß viele Kapellmeister stürben, ohne das gelernt zu haben, was der Knabe jetzt schon konnte«.

Von der Rückreise, die über Lyon, Genf, Bern, Zürich, Schaffhausen, Donaueschingen führte, ist nichts Besonderes mehr hervorzuheben. Wo sich der Knabe hören ließ, fand er auch die regste Bewunderung. Mitteilenswert ist noch, daß er in Biberach auf der Orgel einen Wettkampf mit Sixtus Bachmann (geb. am 18. Juli 1754 zu Kettershausen, gest. 1818), einem zwei Jahre älteren Wunderkinde, unternahm, der für beide ehrenvoll ausfiel. Ich erwähne das nur, weil Sixtus Bachmann trotz seiner bewundernswerten Wunderkindschaft, später kein über den Durchschnitt hervorragender Komponist oder Musiker geworden ist und somit, im Gegensatz zu Mozart, das gewöhnliche Schicksal der musikalischen Wunderkinder darstellt, die fast alle später im günstigen Falle tüchtige Durchschnittsmusiker geworden sind.

Endlich Ende November 1766 traf die Familie Mozart nach fast 3½ jähriger Abwesenheit wieder in Salzburg ein. Vater Mozart hatte alle Ursache, mit dem Erfolg der Reise zufrieden zu sein. Er brachte einen nicht unbeträchtlichen Gewinn nach Hause. Die Ehrenbezeigungen, die man seinen Kindern erwiesen, hätten auch den verwöhntesten erwachsenen Virtuosen vollauf zufriedenstellen müssen; am meisten aber wird sich der brave Vater darüber gefreut haben, daß er seine Kinder trotz der mehrfachen Krankheiten unterwegs gesund an Körper und Seele zurückbrachte. Der unverdorbene und echt kindlich gebliebene Sinn Wolfgangs betätigte sich in den heimatlichen Mauern wieder in der altgewohnten Weise. Er war eben kein Wunderkind im gewöhnlichen Sinne des Wortes, das die Frühreife des Geistes mit Blasiertheit büßt, sondern schlechthin ein Wunder.

3. Heimatliches Intermezzo

Kurz vor der Heimkehr hatte der Vater an Freund Hagenauer geschrieben: »Es kommt darauf an, daß ich zu Hause eine Existenz habe, die besonders für meine Kinder zweckgemäß ist. Gott (der für mich bösen Menschen allzu gütige Gott) hat meinen Kindern solche Talente gegeben, die, ohne der Schuldigkeit des Vaters zu denken, mich reizen würden, alles der guten Erziehung derselben aufzuopfern. Jeder Augenblick, den ich verliere, ist auf ewig verloren, und wenn ich jemals gewußt habe, wie kostbar die Zeit für die Jugend ist, so weiß ich es jetzt. Es ist Ihnen bekannt, daß meine Kinder zur Arbeit gewöhnt sind: sollten Sie aus Entschuldigung, daß eins oder das andere z. B. in der Wohnung und ihrer Gelegenheit sie verhindert, sich an müßige Stunden gewöhnen, so würde mein ganzes Gebäude über den Haufen fallen. Die Gewohnheit ist ein eisern Pfad (Hemd), und Sie wissen auch selbst, wieviel mein Wolfgang noch zu lernen hat. Allein, wer weiß, was man in Salzburg mit uns vor hat! Vielleicht begegnet man uns so, daß wir ganz gern unsere Wandelbündel über den Rücken nehmen. Wenigstens bringe ich dem Vaterlande, wenn Gott will, die Kinder wieder. Will man sie nicht, so habe ich keine Schuld. Doch wird man sie nicht umsonst haben.«

Es war nicht nur die Lebensklugheit, die Leopold Mozart verbot, in Salzburg die Gelegenheit, für seine Kinder etwas zu erwerben, ungenützt vorübergehen zu lassen, sondern wohl noch mehr die Überzeugung, daß in den kleinen Verhältnissen daselbst der rechte Boden für die künstlerische Entwicklung nicht vorhanden war. Dagegen konnte ihm ebensowenig verborgen bleiben, daß ein zeitweiliges Ausruhen in gefestigter Häuslichkeit für das Gedeihen der ihm anvertrauten Kinder – so faßte er ja seine Lebensaufgabe auf – nur von günstigem Einfluß sein konnte. Allerdings gehörte dazu, daß die Lebensverhältnisse daheim erträgliche waren, nicht nur in pekuniärer Hinsicht, sondern auch in den Anforderungen des Amts und in der ganzen Tonart. Gerade daß in dieser letzteren Hinsicht berechtigte Wünsche nicht erfüllt werden würden, daß es da viel zu Reibereien und peinlichen Verhältnissen kommen würde, konnte dem klugen Vater nicht verborgen bleiben. Nicht umsonst hatte er von seinen Reisen oft betont, daß er nur mit vornehmen und gebildeten Leuten zu tun habe, und er hatte da doch auch eine gesellschaftliche Behandlung erfahren, die weit von der Art abstach, wie sie in der kleinen Residenz daheim einem abhängigen Manne zuteil wurde. Er mußte vorausahnen, daß man nun zu Hause den weitgereisten Mann, der so viele Triumphe in der Fremde gefeiert hatte, in kleinlichem Neid erst recht seine Abhängigkeit würde fühlen lassen. Ebenso konnte er darauf gefaßt sein, bei der Bürgerschaft alles eher als verständnisvolle oder gar freudige Teilnahme für seinen Wundersohn zu finden. Wie sehr sich in späterer Zeit die Befürchtungen Leopold Mozarts als berechtigt erwiesen, werden wir noch hinlänglich erfahren. Es ist dahin gekommen, daß Wolfgang, der auf dieser Reise noch manchmal aus Heimweh nach der Vaterstadt in Tränen ausgebrochen war, keinen Ort auf der Welt so ingrimmig haßte, wie gerade das schöne Salzburg. Jetzt war es aber noch weit davon. Der Knabe war ja noch ein glückliches Kind, und der Vater war klug und geschickt genug, alles von ihm fernzuhalten, was ihm vorzeitig einen Blick in das gemeine Getriebe der Welt eröffnet hätte.

Beinahe ein ganzes Jahr haben sie nun ruhig in Salzburg verbracht. Des Vaters Lehrprogramm war, unter Beibehaltung der hohen Fähigkeiten im Technischen und Mechanischen, die gründliche Ausbildung in der Kompositionslehre. Er hatte des alten Fux » Gradus ad pernassum« gründlich durchstudiert und unterrichtete seinen Sohn nach diesem großen Vorbilde in den Regeln des strengen Satzes. Zunächst wollte man nun auch daheim einen Beweis davon haben, daß der kleine Wolferl, der als Klavierspieler weggegangen, inzwischen ein Komponist geworden sei. So wurde ihm für den Jahrestag der Inthronisation des Erzbischofs (21. Dez. 1766) die »Licenza« in Auftrag gegeben. Danach ließ ihn der Erzbischof eine Woche bei sich einschließen, ohne daß er jemand sehen durfte, und in dieser Abgeschlossenheit mußte er ein Oratorium komponieren. Das für die Fastenzeit 1767 bestimmte Oratorium, zu dem der Erzbischof selber den Text gegeben hatte, ist in Salzburg im Druck erschienen unter dem Titel »Die Schuldigkeit des ersten und fürnehmsten Gebotes, Mark. 12, V. 30. Du sollst den Herrn deinen Gott lieben von deinem ganzen Herzen, von deiner ganzen Seele, von deinem ganzen Gemüt und aus allen deinen Kräften. In dreien Teilen zur Erwägung vorgestellt von J. A. W.« (wahrscheinlich Jak. Ant. Wimmer, nicht Joh. Ad. Wieland, wie Köchel annahm). Wolfgang fiel der erste Teil zu, die beiden andern wurden von Michael Haydn und dem Organisten Adlgasser komponiert. Der Knabe bestand mit allen Ehren neben den beiden alterprobten Komponisten. Nur die Schrift der 208 Seiten fassenden, reichlich mit Tintenklexen gezierten Partitur verrät den Knaben. Die Formen des italienischen Oratoriums, in denen das Werk gehalten ist, sind dagegen mit vollkommener Sicherheit gehandhabt. Ja man kann sogar ein bewußtes Streben nach Charakterisierung des Wortes als über die Gewohnheit hinausgehend bezeichnen. Daß die Musik an sich keine Originalität zeigt, ist ganz selbstverständlich. Aber eine Stelle, eine Tenorarie, »Manches Übel will zuweilen«, ist doch schon da, die in der schönen Führung der innigen Melodie den späteren Mozart vorahnen läßt.

Außer diesem Oratorium hat der zehnjährige Mozart vom Dezember 1766 bis Mai 1767 noch zwei größere Werke geschaffen, darunter die lateinische Schuloper » Apollo et Hyacintus«, wozu er sich auch die Grundzüge des Lateinischen angeeignet hatte. Man weiß nicht, ob man die wunderbare produktive Veranlagung oder die Arbeitsleistung des Kindes mehr bewundern soll.

Im Sommer 1767 gewann dann die Absicht einer neuen Reise nach Wien greifbare Gestalt, und der Knabe schuf sich dafür vier Klavierkonzerte. Auch diese Kompositionen erwecken an sich keine weitere Teilnahme. Aber beachtenswert ist, daß der Knabe, trotzdem er mit diesen Werken als Virtuose glänzen sollte, alles nur Virtuosenhafte, alles auf Kunststück oder äußerliches Paradieren Zielende vermied, dagegen den Nachdruck auf die gesangreiche Melodie verlegte, daß er ferner das Orchester nicht als bloße Begleitungsmaschine ansah, sondern danach strebte, es künstlerisch in den Gesamteindruck hineinzuziehen. In diesen Zügen verkündet sich der echte, große Mozart. Anfang September 1767 reiste die ganze Familie Mozart nach Wien. Die Vermählungsfeierlichkeiten einer Erzherzogin mit dem König von Neapel berechtigten zu der Hoffnung, daß der Knabe Gelegenheit haben würde, von seinen glänzenden Fortschritten Zeugnis abzulegen. Das ganze Unternehmen war aber nicht vom Glück begünstigt. In Wien, auch am kaiserlichen Hof, herrschten die Blattern, und obwohl der Vater vor denselben mit seinen Kindern nach Olmütz flüchtete, wurden auch sie davon ergriffen. Der kleine Wolfgang hatte sie so heftig, daß er neun Tage blind dalag. Beim Domdechanten von Olmütz, einem Grafen von Podstatzky, hatte die ganze Familie Aufnahme gefunden. Auch die mehreren Wochen, während derer Wolfgang nach der Genesung seine Augen schonen mußte, brachten sie in diesem gastfreundlichen Hause zu. Die Mußezeit wurde von dem Knaben benutzt, um fechten zu lernen. Auch die Kartenkunststückchen, die ihm zur Unterhaltung von einem erzbischöflichen Kaplan vorgemacht wurden, eignete er sich schnell an. Mozart hat zeitlebens eine große Vorliebe für leichte körperliche und geistige Unterhaltung gehegt. Er hat später z. B. dem Billardspiel mit größtem Eifer gehuldigt. Ebenso war er in der Gesellschaft wie auch im Briefwechsel zur Spaßmacherei immer aufgelegt. Die kindischen Wortverdrehungen und Wortspielereien, die beim Knaben als ganz natürlich erscheinen mögen, verblüffen beim Mann. Alles das erscheint geradezu als Notwehr des an die realen Bedingungen des Lebens, an die Forderungen des Körpers gebundenen Menschen wider die Übermacht der in ihm wirkenden göttlichen Schöpferkraft. Jeder, der einmal wirklich mit Anspannung aller geistigen Kräfte gearbeitet hat, kennt die erlösende Wirkung von Kartenspielen, die freilich niemals ins stumpfsinnig Mechanische gehören dürfen, sondern in der Art wie etwa auch das Billardspiel eine geistige Anstrengung ganz anderer Art erfordern, und es ist bekannt, wie gerade in solchen Zeiten die derbe Spaßhaftigkeit des Zirkusclowns auf ästhetisch sehr fein eingestimmte Gemüter wirkt. Auch Beethovens Briefe bezeugen diese Gegenarbeit des Körpers wider die übermächtige Anspannung der geistigen Kräfte. Wenn er in seinen erschütternden, durch alle Welten hinreißenden Improvisationen sein Innerstes offenbart hatte, pflegte er aufzuspringen und entsetzte mit gellendem Lachen die ergriffene Zuhörerschaft. Für ihn war das eine Befreiungstat, ein Losschütteln jener gewaltigen Urkraft, die so geheimnisvoll ist, daß sie auch den schreckt, in dem sie waltet. Was sich so in gewaltmäßiger Art beim Titanen offenbart, das gewann bei dem schönheitsseligen Mozart, der im Paradiesestraum wandeln durfte, um seine göttlichen Lieder zu erlauschen, die heitere Form des harmlos spielenden Kindes.

Als sie im Januar 1768 in Wien eintrafen, mußten sie einsehen, daß die Verhältnisse sich gegenüber ihrer letzten Besuchszeit wesentlich verändert hatten. Zwar an sich bezeugte der kaiserliche Hof den Mozarts die alte persönliche Anteilnahme. Aber die Kaiserin Maria Theresia besuchte seit dem Tode ihres Gatten weder Theater noch sonstige Musikaufführungen; der Kaiser Joseph befleißigte sich in seiner ganzen Hofhaltung größter Sparsamkeit, die nach den schweren Opfern des siebenjährigen Krieges am Platze sein mochte, aber sich doch gerade in der Knauserei gegen die Künste schwer rächte, zumal auch der Adel dem Beispiel des Hofes folgte. Denn sicher liegt hier der letzte Grund dafür, daß das Wiener Publikum in seinem Vergnügungsgeschmack tiefer stand als je. Leopold Mozart erkannte das sehr wohl, wie seine Worte zeigen: »Daß die Wiener, in genere zu reden, nicht begierig sind, Ernsthaftes und Vernünftiges zu sehen, auch wenig oder gar keinen Begriff davon haben und nichts als närrisches Zeug: Tanzen, Teufel, Gespenster, Zaubereien, Hanswurste, Lippel, Bernardons, Hexen und Erscheinungen sehen wollen, ist eine bekannte Sache, und ihre Theater beweisen es täglich. Ein Herr auch mit einem Ordensbande wird wegen einer hanswurstlichen Zote oder einfältigen Spasses mit den Händen klatschen, lachen, daß er fast aus dem Atem kommt, hingegen bei der ernsthaftesten Szene, bei der rührendsten und schönsten Aktion und bei den sinnreichsten Redensarten mit einer Dame so laut schwatzen, daß andere ehrliche Leute kein Wort verstehen.«

Obendrein bot Wolfgang Mozart ja auch für Wien nicht mehr die Sensation des Wunderkindes. Er war jetzt immerhin zwölf Jahre alt; das war natürlich etwas ganz anderes, als wenn ein sechsjähriges Kind konzertierte. Sich über die großartige künstlerische Entwicklung des Knaben klar zu werden, hätte man bei der oberflächlichen Vergnügungssucht gar nicht versucht, selbst wenn man es vermocht hätte. Zu der Gleichgültigkeit des Publikums kam aber der Neid und die ängstliche Eifersucht der Berufsgenossen. Das Wunderkind hatte man zu seiner Zeit gelten lassen, das war eine Sache für sich; jetzt aber erkannten die Fachleute in dem zwölfjährigen Knaben den Konkurrenten, und da ließen sie es auch an den erbärmlichsten Mitteln nicht fehlen, ihn vom Kampfschauplatz zu verdrängen.

Da war es doch der Kaiser, der eine Gelegenheit herbeizuführen suchte, bei der der junge Künstler sein Können zu zeigen vermochte. Er forderte Mozart auf, eine Oper zu komponieren und äußerte dabei den Wunsch, ihn selber sie dirigieren zu sehen. Unter gewöhnlichen Verhältnissen hätte dieses Verlangen des Kaisers wohl alle Tore geöffnet. Nicht so jetzt. Denn die Theater wurden nicht von einer kaiserlichen Intendanz verwaltet, sondern waren an einen Unternehmer verpachtet, für den der Hof eigentlich nur Lasten bedeutete. Der Kaiser konnte also etwas weiteres nicht tun, als dem damaligen Unternehmer Afflisio, einem Erzgauner, seinen Wunsch auszusprechen. Der alte Mozart seinerseits suchte die Sänger zu gewinnen, was bei den damaligen Verhältnissen des Opernlebens am wichtigsten war, und so schloß denn auch Afflisio mit Wolfgang den Kontrakt ab, die Oper aufzuführen und mit hundert Dukaten zu honorieren.

Da die komischen Kräfte besser waren, entschied man sich für eine komische Oper, zu der Marco Coltellini den Text schuf. Es war »La finta semplice« (»Die verstellte Einfalt«), eine komische Oper in drei Akten. Soviel Schwierigkeiten sich auch gleich ergaben, der junge Komponist ließ sich nicht beirren, und bald hatte er die Partitur von 558 Seiten beendet. Da setzte ein tolles Intrigenspiel ein. Erst berief man sich mit verletzter Würdigkeit darauf, daß es unerhört sei, einen zwölfjährigen Knaben an der Stelle dirigieren zu lassen, an der ein Gluck gestanden habe. Dann hieß es, »die Musik seikeinen blauen Teufel wert, sie sei nicht auf die Worte und wider das Metrum geschrieben, indem der Knabe nicht genug von der italienischen Sprache verstehe.« Der kampfgerüstete Vater wußte dagegen Zeugnisse Hasses und Metastasios ins Feld zu führen. Nun behauptete man, die Musik sei gar nicht vom Knaben, sondern vom Vater, die ganze Sache laufe auf Betrügerei heraus. Auch diesen Streich wehrte der Vater geschickt ab, indem er seinen Sohn bei großen öffentlichen Gesellschaften beliebige Arien improvisieren ließ. Da machten sich die Gegner an die heimtückische Minenarbeit; sie hetzten die Orchestermitglieder auf, sie intrigierten bei den Sängern, so daß schließlich auch der Impresario kopfscheu wurde und an der Möglichkeit eines Erfolgs verzweifelte. Afflisio war eine Abenteurernatur, dem nichts ferner lag, als sich für irgend ein Kunstwerk einzusetzen, und als der erboste Vater nach ständigem Hinausschieben der Aufführung endlich auf die Erfüllung des Kontraktes drang, versprach ihm der Ehrenmann zwar diese Aufführung, aber gleichzeitig gab er ihm die Zusicherung, daß er dafür sorgen würde, daß das Werk ausgepfiffen werde. Da mußte denn auch Leopold Mozart die Sache aufgeben.

Für die Mozarts bedeutete das einen schweren Schlag. Dreiviertel Jahre war nun die ganze Familie in Wien und mußte hier von ihren Ersparnissen leben, denn dem Vater war das Gehalt von Salzburg aus nicht weiter nachbezahlt worden. Er konnte es auf die Kraftprobe nicht ankommen lassen, da er sich die Stellung in der Heimat sicherhalten wollte, und mußte sich also fügen. Was ihn stärkte, war die Überzeugung, daß es seine Pflicht sei, die Welt mit dem Wundergenie seines Sohnes bekanntzumachen. Das hatte sich bei ihm bis zu einer religiösen Überzeugung verdichtet, wie aus einem Briefe an den Erzbischof hervorgeht: »Wenn ich jemals schuldig bin, die Welt dieses Wunders halber zu überzeugen, so ist es eben jetzt, da man alles, was man ein Wunder heißt, lächerlich macht und allem Wunder widerspricht. Man muß demnach überzeugen; und war es nicht eine große Freude und ein großer Sieg für mich, da ich einen Voltairianer (Grimm) mit einem Erstaunen zu mir sagen hörte: Nun habe ich einmal in meinem Leben ein Wunder gesehen; das ist das erste. Weil nun aber dieses Wunder zu sichtbarlich und folglich nicht zu widersprechen ist, so will man es unterdrücken, man will Gott die Ehre nicht lassen. Man denkt, es kommt nur noch auf einige Jahre an, alsdann verfällt es ins Natürliche und hört auf, ein Wunder Gottes zu sein. Man will es demnach den Augen der Welt entziehen; und wie würde es sichtbarer als in einer großen, volkreichen Stadt durch ein öffentliches Spektakel!«

Im übrigen war gerade das etwas pessimistische Temperament des Vaters, der sich niemals trügerischen Hoffnungen hingab, zu diesem Kampf mit Bosheit und Scheelsucht geeignet. »So muß man sich in der Welt durchraufen; hat der Mensch kein Talent, so ist er unglücklich genug, hat er Talent, so verfolgt ihn der Neid nach dem Maße seiner Geschicklichkeit. Allein mit Geduld und Standhaftigkeit muß man die Leute überzeugen, daß die Widersacher boshafte Lügner, Verleumder und neidische Kreaturen sind, die über ihren Sieg in die Faust lachen würden, wenn man sich erschrecken oder ermüden ließe.«

In dem festen Vertrauen auf das Genie seines Sohnes konnte Leopold Mozart durch diese Oper » La finta semplice« jedenfalls nur bestärkt werden. Da die Handschrift des Werkes erhalten blieb, vermochte auch die Nachwelt sich davon zu überzeugen, daß es den Vergleich mit den komischen Opern der damaligen Zeit zum wenigsten aushält. Der Text ist freilich in jeglicher Hinsicht kläglich, wie Mozart überhaupt in seinen ersten italienischen Opern in der Hinsicht kein Glück gehabt hat. Um so offenkundiger zeigt sich die feine Natur des Knaben, der sich von seiner Vorlage nirgendwo ins Gewöhnliche, ins niedrig Komische und Burleske hinabziehen ließ, sondern immer nach Feinheit strebte. Auch Versuche musikalischer Charakteristik sind zahlreich vorhanden, die Technik verrät nirgendwo die Kinderhand, das angeborene Gefühl für jeglichen Bühneneffekt beweist sich an zahllosen Stellen. Alles in allem: die Oper durfte in der Tat rein durch ihre künstlerischen Eigenschaften, ganz abgesehen davon, daß sie das Werk eines Knaben war, innerhalb der damaligen Kunstverhältnisse den Anspruch erheben, auf die Bühne zu kommen. In Einzelheiten, so in der ersten Arie des einfältigen Polidoro, erhebt sie sich weit über den Durchschnitt. Die Schönheit dieser ruhig hinströmenden Melodie, die schöne Rundung der einzelnen Teile zum Ganzen ist mozartisch im späteren, hohen Sinne des Wortes.

Als eine Art Entschädigung für den Ausfall der öffentlichen Opernvorstellung konnte man die Gelegenheit ansehen, wenigstens in einem größeren privaten Kreise die dramatische Begabung des Knaben offenkundig zu machen. Im reichen Hause des Mozarts befreundeten Dr. Meßmer – Nissen scheint recht zu haben, daß er der berühmte Magnetiseur war – wurde ein kleines, von Wolfgang komponiertes Singspiel » Bastien und Bastienne« aufgeführt. Damit trat Wolfgang, der die Gattung des »Singspiels« auf die höchste Stufe heben sollte, mit dem Beginn desselben in nächste Berührung. Denn der ihm vorliegende Text war die Übersetzung einer von Madame Favart 1573 auf den im Jahre zuvor erschienenen »Dorfwahrsager« (» Le devin du village«) Rousseaus geschaffenen Parodie. Rousseau ist durch sein Werkchen der Begründer der neuen französischen Spieloper und der Anreger des deutschen Singspiels geworden. Die Bezeichnung »Parodie« für die Arbeit der Favart bedeutet keineswegs Verspottung. Im Grunde brachte erst diese Parodie die Erfüllung von Rousseaus Ruf nach Natur. Denn hier war das Rokokoschäferspiel des Dorfwahrsagers zu einem »naturalistischen« Bauernstücklein geworden, das auch für die Theatergeschichte von Bedeutung wurde, indem hier zum erstenmal naturgetreue Bauernkostüme auf die Bühne kamen. Die bereits 1764 erschienene deutsche Übersetzung des Stückes, die Mozart vorlag, hat die französische »Parodie« in arger Verrohung wiedergegeben.

Um so reizender und bei aller Lustigkeit feiner ist Mozarts Musik, so daß das Werkchen mit einer neuen Textbearbeitung Max Kalbecks 1891 mit großem Erfolg in den Spielplan der Wiener Hofoper aufgenommen wurde. Vor allem für engere Privatfestlichkeiten sollte man dieses Singspiel im Auge behalten. Der Zwölfjährige beschämt damit fast alles, was für derartige Zwecke dargeboten wird.

Wunderbar ist die erstaunliche Produktionskraft dieses Kindes, das in einer immerhin sehr kurzen Zeit unter keineswegs günstigen äußeren Anständen zwei so große Werke trotz aller Zerstreuungen, die das Leben brachte, zu schaffen imstande war. Dann zeugt es von einem außerordentlichen künstlerischen Feingefühl, einer geradezu als Instinkt wirkenden Sicherheit in allen künstlerischen Fragen, daß es diesem Knaben gelang, Opera buffa und deutsches Singspiel nach ihrer nationalen und künstlerischen Verschiedenheit auseinanderzuhalten. Denn wie die » finta semplice« den Charakter der italienischen Opera buffa wahrte, traf Wolfgang mit »Bastien und Bastienne« die Art des deutschen Singspiels. Dieses wunderbare Stilgefühl konnte Mozart noch ein drittes Mal erweisen, als er aufgefordert wurde, zur Feier der Grundsteinlegung der neuen Waisenhauskirche am Rennwege die Messe zu schreiben. Auch sie hält sich – sei es nun, wie Jahn annimmt, die in G-Dur (Köchel Nr. 49), oder die in C-Moll (Köchel 139), wie Deiters meint – ganz in den überkommenen Formen der missa brevis bzw. wenn Deiters recht hat der missa solemnis, und wenn auch die Behandlung der Chor- und Solostimmen eine gewisse Unsicherheit verrät, so ist doch nicht zu verkennen, daß auch hier bereits beim ersten Versuch der Knabe deutlich fühlte, worauf es ankam. Am 7. Dezember 1768 wurde diese Messe unter des Knaben eigener Leitung »aufgeführt und mit der größten Richtigkeit dirigiert«, wie das »Wiener Diarium« vom 10. Christmond 1768 rühmt.

So war denn doch der Wiener Aufenthalt wenigstens noch einigermaßen erfolgreich zu Ende gegangen. Der Salzburger Erzbischof, dem die Auszeichnung seiner Künstler in der Kaiserstadt doch schmeicheln mochte, tat nach deren Rückkehr sogar ein übriges; er ließ die komische Oper in Salzburg aufführen und ernannte den nun dreizehnjährigen Knaben zum Konzertmeister, allerdings ohne Gehalt.

Das Jahr 1769 wurde nun in aller Ruhe in Salzburg verbracht. Es ist sowohl für die hohe Auffassung des Vaters, der keineswegs darauf ausging, die hervorstechenden Fähigkeiten seines Sohnes für die am meisten gewinnverheißende Opernkomposition einseitig auszubilden, wie auch für den Ernst des Sohnes bezeichnend, daß in diesem Jahre noch zwei Messen komponiert wurden. Wolfgang hatte in Wien wohl gefühlt, daß er dieses Stils noch nicht vollkommen Meister sei, und so gewann er sich im Ernst der Schularbeit die Herrschaft über ihn.

4. Italienische Reisen

Italien – das ist die deutsche Sehnsucht nach Schönheit. Es ist dem deutschen Volk schwerer als jedem anderen gemacht worden, den Ausspruch seines großen Dichters: »Ernst ist das Leben, heiter sei die Kunst« zur Wahrheit zu machen. Damit wir eine Kunst erhielten, die wirklich Leben bedeutete, mußte sie ernst werden. In den Erbärmlichkeiten des sozialen und der Kümmerlichkeit des politischen Lebens, wie es über uns bald nach der Reformation im Geleit endloser Kriege hereingebrochen war, wurde die Kunst das einzige Gebiet, in das die Größe des Erlebens sich flüchten konnte. Es hat lange gedauert, bis die Kunst dieser Aufgabe gewachsen war. Es waren zuerst Musiker, denen ihre Kunst zu diesem Mittel großen Erlebens wurde; aber weder Heinrich Schütz noch Joh. Seb. Bach wurden von ihrem Volke verstanden, und Händel mußte ins Ausland gehen. Sie wurden vergessen über jenen, denen die Kunst handwerkliche Geschicklichkeit war, später über jenen, denen sie ein »Vergnügen des Verstandes und Witzes« bedeutete. Danach ist unsere Kunst zur Problemkunst geworden, zum Mittel, jene Fragen des Menschenlebens zu ergründen, die sich selbst dem philosophischen Tiefblick verschließen. Selbst die Musik hat diesen Weg einschlagen müssen, und Beethoven verkündigte: »Musik ist höhere Offenbarung, als alle Weisheit und Philosophie.«

So ist unsere Kunst, wenigstens soweit sie auf Größe Anspruch machen kann, bis in unsere Tage hinein meistens ernster gewesen, als das Leben. Die einzige strahlende Ausnahme bildet Mozart. Bei ihm war das Leben, das äußere Erleben, meistens nicht nur ernst, sondern traurig, aber seine Kunst ist voll himmlischer Heiterkeit. Himmlisch ist diese Heiterkeit, weil sie eine Verklärung des Irdischen in sich schließt, weil sie nicht auf Leichtsinn und genußsüchtiger Oberflächlichkeit, sondern auf der Tiefe eines frohen Empfindens, auf der Überwindungskraft einer freudigen Seele beruht.

Italien wurde für uns Deutsche zum Land der Schönheit. Es ist ja doch auch unsere Natur – in der Gestaltung des Landes, im scharfen Wechsel seiner Jahreszeiten, im wilden Gegensatz zwischen Hochgebirge und Ebene, in der harten Arbeit mit dem Boden, – die auch für unser künstlerisches Erleben das Gefühl der Gegensätzlichkeit in der Welt großgezogen hat. Die Überwindung dieser Gegensätze, das Hindurchdringen zu dem höheren Standpunkt, der die Auffassung des Ganzen als Einheit ermöglicht, erheischt Kampf und Arbeit. Aber es lebt in jedem Menschen die Sehnsucht nach klarer Schönheit und nach sicherem, heiterem Genuß. Italien wurde für uns Deutsche dieses Paradies.

Wir haben es uns selbst dazu gemacht, nicht nur in der Phantasie, in der es uns zur Sonne wurde, nach der wir im Heimweh der nordischen Nacht verlangen, sondern auch durch die Tat. In keinem Lande, in keiner Kunst können wir die segensreiche Wirkung germanischen Blutes so beobachten, wie bei Italien. Von früher vorchristlicher Zeit an waren aus der »Scheide der Völker«, wie Jordanis den Norden nannte, zu den dunklen Südeuropäern Stämme der Latiner, Etrusker, Ambrer blutauffrischend und blutstärkend gekommen. Wieder waren es dann in der Völkerwanderung Germanen, die, indem sie das altrömische Reich zermorschten, dem Lande jene Kräfte zuführten, die es ermöglichten, daß aus den Ruinen neues Leben erblühte. Durch das ganze Mittelalter dauerte diese Zufuhr deutscher Kräfte. Die Forschung erweist immer sicherer, daß deutsches Blut in den Adern jener Männer floß, die die großen Umwälzungen im geistigen und künstlerischen Leben Italiens herbeiführten, von Dante, dem Enkel des Goten Aliger, an bis zu den Meistern der Hochrenaissance. Daher wohl auch unser inniges Verhältnis zur ganzen italienischen Renaissancebewegung, eine Liebe, die wir sonst zu romanischem Wesen nicht finden. Der Sieg des Individualismus gegenüber der Regel, der den Kern der Renaissancebewegung ausmacht, ist ja auch urgermanisches Streben.

Es ist, als ob wir in Italien die Schönheit uns schaffen könnten, die durch die Notwendigkeit des Kampfes in der Heimat zu erreichen uns unmöglich wird. Man denke an die Art, wie der auf germanischem Boden entwickelte kontrapunktische Stil, den auch in Italien selbst vorwiegend niederländische Meister gepflegt hatten, schließlich durch Palästrina die Ausgestaltung zur höchsten Schönheit und durchsichtigen Klarheit erfuhr. Man bedenke, daß ein Goethe nach Italien mußte, um die Abklärung zu erreichen, die er anstrebte; daß der urgermanische Böcklin erst in Italien die Gebilde seiner neuschöpfenden Phantasie, die er im nordischen Kampf der Elemente erschaut hatte, zu gestalten vermochte.

Und nun die neue Musik. Die begleitete Monodie war ihre eigentliche Errungenschaft; sie barg die Möglichkeit der freien musikalischen Aussprache eines persönlichen Empfindens. Rein musikalisch betrachtet bedeutet das den Sieg des melodischen Prinzips in der Musik, eine Kraft des Gestaltens, die sich zuvor nirgendwo so mächtig erwiesen hatte, wie in den Volksliedern der germanischen Völker. Es waren erst die eigentlichen Südländer, die Neapolitaner, die aus der Oper eine rein formale Virtuosenkunst, ein technisches Schönheitsspiel gemacht hatten. In Norditalien, bei Claudio Monteverdi, bei den Venetianern war die Oper charakteristische Verkündigung seelischen Erlebens gewesen. Der in der Form der italienischen Oper die höchste seelische Kraft zum Ausdruck brachte, war ein Deutscher: Händel. Aber bei ihm, wie bei so manchen anderen Deutschen, den die Italiener als caro maestra feierten (Hasse, Graun, Naumann, Gluck) kam dieser deutsche Charakter wider Willen zum Vorschein. Erst Mozart erreichte hier, was Goethe für die Dichtung, was Böcklin in der bildenden Kunst verwirklichten: bewußt deutsches Empfinden in höchster Vollendung auszusprechen durch bewußte Verwendung der im Süden zur sonnigen Schönheit vollendeten Formengebung. Bei Mozart tritt diese Entwicklung nicht so deutlich hervor, weil bei ihm von einer Sturm- und Drangperiode nichts zu merken ist. Aber man muß in Mozarts Briefen verfolgen, wie in ihm menschlich und künstlerisch das Deutschbewußtsein immer klarer und stärker wird. Außerdem bedenke man, wie er erst das deutsche Singspiel »Die Entführung aus dem Serail« und seine unitalienische Instrumentalmusik schuf, bevor er wieder, durch die äußeren Verhältnisse gezwungen, »italienische Opern« gestaltete. Aber warum empfanden die Italiener »Figaros Hochzeit« und »Don Juan« als gegnerische Musik? Sie fühlten also offenbar, daß hier eine deutsche Künstlerkraft gestaltet hat. In der Tat hat gerade Mozart den Einfluß des wirklich Italienischen auf die deutsche Musik endgültig gebrochen, indem er die sinnliche Schönheit der Form aus deutschem Geiste gewann, genau wie Goethes »Iphigenie« und »Tasso« den Bann des klassischen Altertums dadurch brachen, daß hier die klare Schönheit der Antike als natürlicher Ausdruck deutschen Empfindens gewonnen war. –

Immerhin, es bleibt als große Bedeutung Italiens für die deutsche Kunst bestehen, daß deutsche Künstler hier die höchste Schönheitsgestaltung fanden. Und das ist ein Verdienst Italiens und der Italiener. Denn wie man auch über die eigentlich schöpferische Kraft Italiens denken mag, eins muß man ihm lassen. Es hat zu verschiedenen Zeiten verstanden, die Kultur der Kunstempfänglichkeit zu einer Höhe zu steigern, wie sie sonst nur das klassische Griechenland gekannt hat. Dieses Kunst-Genießen-Können ist aber vom Kunstschaffen keineswegs so weit entfernt, wie man oft annimmt, jedenfalls ist eine genußfähige Welt der günstigste Boden für ein frohes künstlerisches Schaffen. Wie eine solche wahrhaft künstlerische Volkskultur zur Renaissancezeit für die bildenden Künste bestand, so im 18. Jahrhundert für die Musik. »Die Musik war in Italien nicht nur eine allgemein verbreitete und beliebte Kunst, sondern sie galt als die Kunst überhaupt. Alle Stände teilten die unersättliche Lust, überall, in der Kirche, im Theater, im Hause und auf der Gasse Musik zu hören; allgemein waren der angeborene feine Sinn für künstlerische Ausführung, durch verständige Übung gebildet, und der leidenschaftliche Enthusiasmus für alles Vortreffliche. So hatte sich in Italien eine nationale Tradition in der Produktion wie im Urteil gebildet, ein musikalisches Klima, in welchem zu leben dem Künstler leicht wurde. Er sah dort einen bestimmten Weg zu der Gunst des Publikums gewiesen, das ihn durch Aufmerksamkeit und Verständnis zu immer neuen Anstrengungen anspornte und für jedes Gelingen durch lebhaften Beifall belohnte« (Jahn, »Mozart«, 4. Aufl., I, S. 118).

Kirche und Oper waren die beiden Stätten, an denen die Kunst vorzüglich gepflegt wurde. Die eigentliche Hausmusik hat dagegen in Italien niemals eine hohe Bedeutung erlangt; auch das Musizieren in privaten Kreisen trug einen gesellschaftlichen und damit öffentlichen Charakter. Es liegt in der Natur einer solchen Kunst, daß das Formale das Übergewicht gewinnt. Darin liegt das, was den »Kenner« so entzückt, worüber am besten sich sprechen läßt; es ist das, was die Öffentlichkeit vor allem zu genießen vermag; es ist das, was die helle Heiterkeit des Genusses begünstigt. Für die Musik bedeutet diese einseitige Kultur der Form Virtuosentum. Ebenso ist leicht einzusehen, daß eine solche Kunst allmählich dem Formalismus und damit der Erstarrung verfallen muß, daß ihre Wurzeln nicht tief genug gehen, um ein langes Leben zu gewährleisten. Das alles wüßten wir jetzt aus der Geschichte der italienischen Musik, auch wenn wir es nicht aus ihrem Wesen erschließen könnten. Aber das darf uns nicht blind dagegen machen, daß es in der Geschichte der Musik am besten der italienischen Oper gelungen ist, in weitesten Kreisen, gewissermaßen in einem ganzen Volk eine musikalische Atmosphäre zu erzielen. In künstlerischer Hinsicht aber ist zu bedenken, daß an sich das Ideal der altitalienischen Gesangskunst einen Ewigkeitswert darstellt. Die vollkommene Beherrschung der menschlichen Stimme nach jeder

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Lektorat: verlag.bucher@gmail.com
Tag der Veröffentlichung: 28.08.2013
ISBN: 978-3-7309-4633-6

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