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1 Fahrende Spielleute

Es war ein wundervoller erster Maitag im Jahre unseres Herrn und Heilandes 1436.

Über dem Zürichsee lag ein hellblauer Duft, wie der Schmelz eines taubestäubten blauen Dornzwetschgleins, wie der entstehende Traum im Blauauge eines erwachenden Mägdleins. Man wußte nicht, wäre es schöner, als ein seliger Engel in den heitern Himmel hineinzutauchen oder in den lautern See als ein unseliger Nix. Das ganze Seetal sah so frisch und fein aus, als hätte sich der Liebgott aus Sehnsucht nach dem zerstörten Paradiese ein kleines Abbild davon gemalt und ließe nun durch die strahlende Morgensonne die taufrischen Farben trocknen.

Heute, am ersten Maitag, als dem Feste der Heiligen Philipp und Jakob des mindern, sollte in der freieidgenössischen Stadt Zürich ein großer Spielmannstag zu Ehren U. L. Frauen abgehalten werden. Zugleich gedachte die große fahrende Bruderschaft der Spielleute, einen neuen Pfeiferkönig zu erwählen, denn der alte war vor kurzem gestorben. Da sollte nun heute der Münsterhof ein großes Stelldichein des fahrenden Pfeifervolkes werden.

Ungewöhnlich viele und mannigfache Schiffe fuhren den See hinab; ungelenke Nauen und Fischerkähne aller Art, aber auch das große Marktschiff von Rapperswil und das Johanniterschiff von Wädiswil, denen ein ganzer Schwarm von kleinen, unansehnlichen Bauernkähnen nachfluderten, wie die jungen den alten Wildenten.

Die meisten Leute wollten zum gewohnten Maienjahrmarkt nach Zürich, um dort ihre Waren unter den Dielenen und anderwärts feilzuhalten oder sich sonstwie am Jahrmarkttreiben und am ausgekündigten Spielmannstag nach bestem Vermögen zu vergnügen.

Fast zuletzt, weit hinter dem Horgener Marktschiff, das den Fischkasten voll Rotforellen, die Zinspflicht vom Ägerisee für die Abtei am Fraumünster, mitführte, schwamm noch der schwere Nauen des klösterlichen, mit Zürich verburgrechteten Hofes Pfeffikon daher.

Er war vollgepfropft, schier überladen mit allerlei Waren und Gerümpel. Die Mitte beherrschten ein paar Fässer, gefüllt mit dem blutroten Leutschenwein des Gotteshauses Einsiedeln ab seinem Weinberge zu Freienbach. Des Klosters Spichwart zu Pfäffikon sandte in Geratjahren gegen gute Bezahlung stets einige Fässer dem Schenkhof der Probstei am großen Münster, wo er immer höchst willkommen war und von wo ihn alle Gotteshäuser und wohlhabenden Leute der Stadt, als besondern Tropfen, als Heiligtagwein, herzubeziehen pflegten. Neben der Tranksame lag in einem Wirrwarr von Sachen, auch ein gewaltiger Tuchballen, den ein prächtiges, braungekräuseltes Bärenfell bedeckte. Und auf dem Fell, in Tücher eingeschlagen, befand sich noch ein duftiges Backwerk, ein Osterfladen. Der Ballen Leinwand war Weberarbeit der Waldschwestern in der Au bei Einsiedeln, wo die Äbtissin von Zürich weben ließ. Das Bärenfell darüber aber ein Geschenk des Fürstabtes Burkhard von Wißenburg an seine Freundin am Münster, die gnädige Frau Anna von Hewen, und der wohlriechende Osterfladen auf dem Bärenfell eine Leckerei für seine, als Tischtöchterlein in der Abtei weilenden Bäschen, die beiden Elsbeth von Wißenburg.

Aus dem Durcheinander der Ladung schnatterte von Zeit zu Zeit eine eingepferchte Entenschar, wie auf Kommando, in den Morgen hinein.

Die Ruderknechte schliefen, denn ein ausgiebiger Südwind trieb das Fahrzeug langsam, aber sicher den See hinunter.

Auf dem Schiffsschnabel saß ein junger, braunhaariger Bursche und ließ seine bloßen Füße vom gischtenden Wasser umspielen. Auf seinem abgelegten Schuhwerk lag eine Fidel.

Aber in der Mitte des Nauens befanden sich noch drei wunderliche alte Gesellen. Einer schnarchte auf dem Schiffsboden. Aus den herumliegenden weißen Rüben guckte der Kelch einer Posaune, die also bresthaft aussah, als wäre der Beulentod darüber gegangen. Der zweite, ein buckliger Zwerg, hockte rittlings auf einem Weinfaß, als wäre er der Patron der Weinleute, und blies seelenvergnügt auf seiner Sackpfeife. Der dritte aber kauerte auf einem mächtigen Käsleib, den auch die verliebtesten Arme nicht zu umschlingen vermocht hätten. Er hielt die Baßgeige im Arm und beäugelte trübselig sein glänzendes Nasentröpflein.

»Ich bitte dich bei den Hühneraugen deiner Urgroßmutter, hör' auf, Glückhütlein!« schimpfte brummend der dicke Baßgeiger, »du machst mich mit deiner Sackpfeife noch also trübsinnig, daß mir alle Blutegel und Schröpfköpfe der Welt die Schwermut nicht mehr aus dem Leibe zu ziehen vermögen. Du bist doch bei Gott kein Regenpfeifer.«

»O Lamphütlein,« antwortete der bucklige Faßreiter, »du bist noch schier ungeduldiger als meine Herren von Zürich und Schwyz, die so sehnlich auf des Toggenburgers Ende warten, obwohl es ihnen mit dem Erbe auch gehen könnte wie Hund und Katze, als sie um die Wurst stritten, daß sie nämlich zuletzt der österreichische Pfau davonträgt. Sowieso, was kümmert's dich, wenn ich mir gerne eins vorpfeife! Letzte Nacht, wie wir im Speicher zu Pfäffikon auf dem Stroh lagen, mußten wir doch auch die ganze Nacht zuhören, wie du durch die Nase pfiffest, so daß wir in der Dunkelheit nichts anderes dachten, als du habest dich in ein wachestehendes Grattier oder in ein wild gewordenes Wiesel verwandelt.«

Damit setzte der Glückhütlein die Sackpfeife wieder an den Mund und blies mit vollen Backen nach herzenslust drauflos.

»Ei, du willst dich wohl auf das Pfeiferkönigtum einüben,« knurrte hönisch der Lamphütlein.

»Wer weiß wie's Gott fügt,« machte, geschwind die Pfeife vom Mund nehmend, der Glückhütlein. »Würde ich gar König des heiligen römischen Reichs, ich tät' auf keinem andern Thron regieren als auf einem Weinfaß, und der Bürgermeister von Zürich müßte mein Mundschenk und der größte Raufbold unter den Zunftmeistern mein Bartscherer werden. Nun, wie Gott will, sagte des Schulmeisters Weib, ich bin die Zeit meines Lebens guter Hoffnung. Also ich sage dir: die Vorsehung, die mich einmal einen Hafen voll Goldgulden ausgraben ließ . . .«

»O du Prahlhans! Es waren ja bloß elende Silberlinge und einiges Pfannenkupfer.«

»Ich sage dir, die nämliche Vorsehung, die mich jenen Schatz graben ließ, weiß schon was sie noch für gute Dinge für mich in ihrem Glückshorn verborgen hat. Mein Stern ist im Aufgang!« lärmte er eifrig. »Frag den Lumpenhütlein, der da in den Rüben liegt und wie ein Bär nach dem Winterschlaf seinen Sommerschlaf zu tun anfängt, frag ihn, ob es nicht urchiges, spiegellauteres Gold war; er half es mir verputzen.«

»Ei freilich,« machte jetzt eine hochgeschraubte Fistelstimme, »es waren, genau gezählt, sechs Stücke weniger als Judas bekam, wie er seinen Herrn und Heiland verriet, macht vierundzwanzig Silberlinge, und einige lützle Kupferhanse waren auch noch dabei.«

Also sprach der lange, glatzköpfige Posaunenbläser, der sich eben halbwegs aufrichtete und mit seiner roten Nase den eingekerkerten Leutschenwein auswitterte.

»Lumpenhütlein,« sagte der gekränkte Glückhütlein, »du bist undankbarer als Judas. Silberlinge oder Goldfische, du hast die meisten durch deine Gurgel schwimmen lassen. Doch davon im zweiten Teil, sagte der Pfarrer und machte sich flink in die Küche, einen halbgebratenen Kalbsfuß aus der Pfanne zu schnappen. Wäre ich nicht in deine schlechte Gesellschaft geraten, so hätte ich das Schaf allein fressen können, sagte der Wolf zum Tiger. Sowieso: Ich pfeif dir! Du bist weder mein Gott noch mein Richter.«

Da giguxte auch schon wieder seine Sackpfeife in den Morgen hinein.

Flink tauchte der Posaunist seinen roten Kopf über den Rand des Nauens ins Wasser, fuhr dann blitzgeschwind und triefend wie ein Besen, der in den Brunnen gefallen ist, wieder heraus und gurgelte: »Bist du des Teufels, du Geizkragen! Weißt du denn nicht was geschrieben steht: Sammelt euch nicht Schätze, die der Rost und die Motten verzehren! Und da hältst du mir den dürftigen Rausch vor, den ich mir aus deinem Kupfer mit Ach und Krach anschaffen konnte. Schäme dich! Er langte nicht einmal zu einem landesüblichen Katzenjammer. Ich pfeif' und rülps' dir künftig auf das Schatzgraben.«

»So, warum hast du denn letzthin doch wieder mit mir und dem Lamphütlein nach den goldenen Kegeln im Ruchenbergtobel gesucht?«

»Der Gauch soll künftig nach Schätzen graben,« brummte jetzt auch der dicke Baßgeiger und tat einen schwermütigen Schluchzer. »Ich fand wohl einmal einen Schatz und ärgerte mich über ihn zwanzig Jahre lang also, daß ich immer grasgrün auf einer Seite anlief wie deine vertrunkenen Kupferheller. Ich sage euch, dieser Schatz setzte mir Hörner auf wie Jakobsleitern. Ich lief immer im Lande herum, wie ein Sechszehnender, der das Geweih nicht abbringt. Endlich versenkte man mir den teuern Schatz wieder ins Erdreich. Er ruhe sanft! sagte der Kappenhans, ich werde mich wohl hüten, ihn wieder auszugraben.«

»O du Hansnarr!« lachte der Lumpenhütlein auf, »da warst du doch selber schuld an deinem Geweih, denn hättest du den Kopf nicht dazu gehabt, so wären dir auch keine Hörner daraus hervorgewachsen. Juhuu! Ich pfeif' dir drauf, schön ist die Welt!«

»Ein stinkendes Sandloch ist sie,« seufzte der Lamphütlein.

»Eine frischgewichste Tanzdiele ist sie,« lachte der Lumpenhütlein.

»Wer weiß, was noch für Freuden auf uns warten,« sagte der Glückhütlein und krähte überlustig: »Wohlauf, mein glückhaft Schiff, fahr zu, Fortunen woll'n wir jagen!«

Der Nauen bog um das weidenbestandene Zürichhorn. Nun tauchte bald die Stadt mit ihren Türmen, Ringmauern und Grendelpfeilern aus dem See und um die Türme des großen Münsters war ein weißes Blitzen wie von Taubenflügeln.

Da sprang vorne im Nauen der braune Bursche auf, stellte sich bolzgrad auf den Schiffsschnabel, schwang seine Fidel gegen die aufsteigende Stadt und sang hellauf in den schönen Morgen hinein:

Nun hat der lichte Maientag
Sein blau Panier gelüftet,
Und was da lebt in Haus und Hag
Zum Heerbann angestiftet.

Welch ein Gejaid und Freudgeding
An allen Ort und Enden!
Kein Hermelin ist so gering,
Sein Wämslein will es wenden.

Schafwölklein ziehen sonnenwärts
Und Taubenflügel blitzen.
Wie könnt die Seel im dunklen Herz
Mir jetzo ruhig sitzen!

Wär ein Gedanke mir im Kopf
So schwer wie Blei geronnen,
Heut tanzt er wie ein Maidleinzopf
Um Kirchweihzeit am Bronnen.

Hellauf, mein Geiglein, fahr voran!
Mag niemand länger warten.
Geleit' des Sommers Heeribann
Durch diesen Gottesgarten.

Und wo ein grauer Nebeldunst
Noch kreucht im tiefen Tale,
Gieß aus, o Mai, die Sonnenbrunst
Aus deiner goldnen Schale!

Und wo im Herzen eine Klag'
Nicht weichen will und schwinden,
Fleug hin mein Lied, wie Lerchenschlag
Aus maienfrischen Winden!

Bevor der Gesang verhallte, hatte der Bursche die Fidel im Arm und begann ein Tänzlein aufzuspielen. Die erwachten Ruderknechte pfiffen und trampten dazu.

Aufjauchzend ließ er sich nieder.

Die Knechte des Turmspeichers von Pfäffikon brüllten Beifall.

»Spiel' noch einen auf, Lützelpfeifer!« rief einer.

»Jaha, gib noch so einen Gestobenen zum besten!« heischte ein anderer. »Es tut einem wohl bis an den Herzbart herauf.«

Die drei alten Spielleute aber hatten ihm aufmerksam, mit kunstverständigen Mienen zugehört.

»Der Lützelpfeifer, der hätte das Holz zum Pfeiferkönig,« meinte der Glückhütlein. »Ein Spielmann ist er, das ist gewiß und zum König hat er das Zeug. Schaut nur wie er den Scheitel trägt, als hätte er eine unsichtbare Krone darauf. Denn ich sage euch: Wie der Kopf, so die Kappe und umgekehrt.«

»Er ist ein Künstler, so wahr mich die Vorsehung zum Posaunenbläser berufen hat,« machte der Lumpenhütlein. »Aber er wird wissen, warum er die Fidel spielt. Für die Posaune hätte er den Ansatz ewig nicht aufgebracht. Gott kennt seine Leute.«

»Ja, ja, das Fideln versteht er,« meinte der Lamphütlein, »aber zu einem rechten Aufstrich, den alle Leute zu hören vermögen, auch die alten Gehörübel auf der Bauerntanzdiele und nicht nur die Geheimniskrämer, Horchbasen und Ohreulen, bringt er's nie und nimmermehr. Im Handgelenk muß es der Spielmann haben. Und zudem,« brummte er verdrossen, »trinken kann er auch nicht.«

»Laßt ihn gehen,« sagte der Lumpenhütlein. »Er spielt seine Fidel wie ein gemaltes, splitternaktes Engelein an der Kirchendecke in der heiligen Nacht. Und was das Trinken anbelangt, so hat er gewiß Talent. Wer weiß, ob er uns nicht eines Tages unter den Tisch säuft.«

Der Lamphütlein tat wieder einen trockenen Schluchzer und ließ seine Weinäuglein betrübt nach den Leutschenfässern wandern.

»Ich wollt', wir könnten das Wettsaufen gleich jetzt abhalten,« knurrte er seufzend. »Mir hockt der Durst im Magen, wie eine Kröte in einer ausgetrockneten Brunnenstube. Ich glaube alleweil, mein Urahne hat mit den Juden den vierzigjährigen Durchzug durch die Wüste mitgemacht und dabei solch einen Durst bekommen, daß er ihn durch alle Generationen hindurch bis auf mich herab noch nicht zu löschen vermochte, denn mit meinem Brand im Leib könnte ich mich an allen Jahrmärkten als wandelndes Fegfeuer sehen lassen.«

Der Lumpenhütlein brach in ein schadenfreudiges Gewieher aus.

»Lach' nicht so dumm,« machte verdrossen der Lamphütlein. »Es kommt ja ein Gelächter aus deinem Weintrichter, als ob man einen Barren voll Esel mit Disteln kitzelte.«

Der Glückhütlein aber jauchzte eins in den Morgen hinein.

Nun fingen auf einmal alle Glocken der nahenden Stadt zu läuten an und bald trieben die Schloßknechte von Pfäffikon ihren Nauen durch die Grendel in den Stadtring.

Viel Volk, besonders fahrende Spielleute, Buben und Mägdlein, standen am Ufer, die ankommenden Fahrzeuge zu beaugenscheinigen.

»Allheil zum Spielmannstag!« lärmte der Glückhütlein auf seinem Faß, wie sie gegen den Finkenstad fuhren.

Jetzt legte das Schiff an.

Flink sprang der junge Spielmann ans Land und verlor sich im Volke.

Nun bemühten sich auch die drei alten Gesellen, über Säcke, Körbe und allerhand andern Gerümpel kletternd, aus dem Schiff zu kommen.

»Ei, seht da!« rief am Port ein junger fahrender Lautenschläger. »Da kommen die drei Spielleute und Schatzgräber von Einsiedeln, der Glückhütlein, der Lamphütlein und der Lumpenhütlein. Sag' an, Glückhütlein, was für eine Ritterschaft hast du dir damals gekauft aus deinem vollen Schatzhafen?«

»Die Ritterschaft zum grünen Affen,« antwortete der Glückhütlein prompt.

Ein tolles Gelächter ringsum.

Verwundert streckten einige fremde Herren die Köpfe aus den Fenstern der Herberge zum Raben.

Jetzt waren die drei alten Knaben am Gestade. Sie verschüttelten sich wie Hühner, die ab den Eiern kommen und der Lamphütlein tat noch einen mißfälligen Blick auf das viele Wasser der Limmat. Dann machten sie sich hurtig, unbekümmert um das gaffende, spottlustige Volk, in ein Stadtgäßlein davon zu einer kühlen Herberge.

2 Der Spielmannstag

Die Fähnchen auf dem Einsiedlerhof knarrten im Morgenwind und die drei hohen bunten Fenster auf der Rückseite des Fraumünsters leuchteten in der Sonne.

Die obere Brücke, die Vorhalle vor der Wasserkirche, das Helmhaus genannt, und die Ufer bis unter die Schwibbögen, »die Dielenen« an der Wühre, waren mit Marktleuten und ihren Sachen besetzt. Laut wurden die Waren ausgerufen und Gaukler und andere Marktschreier trieben sich, umkreist von Kindern, in der Menge herum, die nach dem Münsterhof in die mindere Stadt drängte, wo der Spielmannstag abgehalten werden sollte.

Es war ein buntes, lärmendes Treiben. Nicht nur über die obere Brücke, sondern von allen Seiten, durch das Wollishofer Türlein und vom Rennweg her strömte das Volk in den Hof. Bürger und Bürgerinnen, Landleute von den Höfen um den See, mit ihren Vögten und Pfarrherren, aber vor allem allerlei Pfeifervolk, als Sackpfeifer, Lautenschläger, Fidler, kurzum Spielleute jeder Art und Landfahrerinnen aller Gattung drängten dem Münsterhofe zu. Der erste Maitag war allzeit ein freier Tag für alles fahrende Volk; heute aber sollte es ein hochzeitlicher Tag werden.

Schon begannen die Glocken der Abtei zu läuten, und vom Hofe unter den Linden ließen die Bogenschützen die große Büchse über die Stadt donnern.

Aber im Münsterhofe selber ward das Gedränge immer größer, besonder um die Marktgäden im Münster.

Schimpfend und fluchend in allen Tonarten, versuchten die Stadtknechte und die hier pflichtigen Leute von der Gremplerzunft den Raum für die Spiele freizubekommen und einige Ordnung in die Wirrnis zu bringen. Doch wären sie kaum so rasch zum Ziele gelangt, hätte sie nicht ein Teil der Bogenschützengilde, die eben vom höher gelegenen Hofe herab kam, mannlich Püffe austeilend, unterstützt.

Aber auch die Häuser um den Hof waren mit Leuten voll gepfropft. An den Bogenfenstern der Frau von Schännis saßen einige zu Gast gekommene Konventfrauen und aus den Pfrundhäusern guckten die schwarzen Kappen der alten Chorherren und Kapläne. Die Schule der Abtei war bis unter das Dach hinaus besetzt von schreienden, sich balgenden Schülerknaben und andern Jungen, die sich einen bequemen Ausguck mutig errauften. Es gab keine Sitzgelegenheit im Hofe, wo sich die Jugend nicht zu postieren versuchte, mochte sie noch so halsbrecherisch aussehen.

Vor der Leineweber Zunfthaus zur Wage hatten sich auf einer weitumlaufenden Tribüne die Herren der Stadt mit ihren Frauen, die allerhand wunderliche Hauben trugen, niedergelassen. Die Mitte nahmen, einem bisherigen Vorrecht gemäß, die alten adeligen Geschlechter und die Herren des Rats ein, in dem nun freilich seit kurzem die neuern Geschlechter am einflußreichsten geworden waren. Es bestanden schon lange in der Stadt die zwei sich offen und noch mehr im Geheimen befehdenden Parteien der altadeligen und der emporgekommenen neuen Geschlechter, deren Kraft in den regierungsfähig gewordenen Zünften steckte. Diese Parteiung zeigte sich auch jetzt im Münsterhofe wieder. Die Gefolgschaft der neuern hatte sich, ohne es verabredet zu haben, seitwärts auf und um die Tribüne gemacht, die Mitte sorglich meidend.

Dort saß das Haupt der alten Geschlechter, Herr Bürgermeister und Ritter Rudolf Meiß, ein hochgewachsener, gereifter Mann mit offener Stirne. Er galt als der schönste und reichste Bürger der Stadt.

Eben schaute er auf, und ein freudiges Lächeln, das er nur ungern zu verbergen schien, ging über sein Gesicht. Auf der Tribüne aber und im Hof ward das laute Getue mit einemmale zu einem Murmeln und Zischeln. »Sie kommt, sie kommt! Seht ihr, wie hochmütig sie aufzieht! Gewahrt ihr, wie vornehm sie die Nase rümpft!« tönte es im Volke. Aber unter den fahrenden Spielleuten hieß es: »Seht ihr die schöne Frau! Das ist die Beschützerin U. L. Frauen Spielleutenbruderschaft, die Äbtissin am Fraumünster, die Nachfolgerin der vormaligen Fürstinnen von Zürich.«

Es war wirklich die junge Äbtissin Anna von Hewen, die jetzt leichten Fußes, nach rechts und links die Geschlechter grüßend, mit ihren Herren und Frauen die Mitte der Tribüne erstieg.

Jetzt erhob sich Herr Meiß, dessen enge Freundschaft mit der Äbtissin jedes Kind kannte, und begrüßte sie mit leichtem freudigem Zunicken, das Anna von Hewen mit einem ungenierten, liebreizenden Lächeln erwiderte.

Anna von Hewen war ein feiner Blondkopf mit etwas scharf geschnittenem Gesicht und einer hochmütigen Bogennase. Aber ein Paar sinnliche volle Lippen und zwei dunkelblaue Augen wußten ihren Zügen alle Schärfe zu nehmen. Denn wenn diese Augen lächelten, waren sie wie zwei Bergseelein, die in ihren blauen Wassern ein verführerisches Nixenvolk zu bergen schienen. Sie mochte jetzt kaum sechsundzwanzig Jahre zählen; war schon in ihrem zwanzigsten Jahre Äbtissin geworden. Ein gar weit ausgeschnittenes, reich mit Gold und Silberfäden durchwirktes Brokatgewand mit langer Schleppe vollendete das Fürstliche ihrer Erscheinung.

Sie setzte sich, ihren langen »Pfauenschweif« mit graziöser Fußbewegung seitwärts schiebend, neben Bürgermeister Meiß und sagte halblaut zu ihm: »Ich hätte gern auch meinen Bruder, den Freiherrn Friedrich mitgebracht, aber da uns von der Schattenburg schlechte Nachrichten zukamen, schickte ich ihn vor einigen Tagen nach Feldkirch, denn der alte Freund unserer Familie, Graf Friedrich von Toggenburg soll im Sterben liegen.«

Unterdessen hatte sich auch der Äbtissin Gefolge niedergelassen. Neben ihr saßen die greise Frau Mutter des Klosters Seldenau vor der Stadt und Uli Edlibach, der Schüchzer geheißen, ihres Gotteshauses Ammann, mit dem alten Custoden. Ihre übrigen Chorherren und Kapläne hatten da und dort in ihrer Nähe Platz gefunden.

Ihr zu Füßen aber saßen ihre Tischtöchter, Kinder aus ihr befreundeten adeligen Häusern.

Da waren die beiden Elsbeth von Wißenburg, die flachshaarigen Schwestern; die braune, allzeit auflachende Anna von Thengen und Verena von Monsax, ein weiches, von tiefschwarzen Haaren umrahmtes Gesichtchen, mit heimweherischen, dunklen Augen und einem reizenden Stülpnäschen. Sie war die jüngste der Tischtöchter. Trugen alle zierlich geflochtene Kränze von Schneeglöcklein in den Haaren.

Aller Augen hafteten auf der schönen Äbtissin und ihren Tischtöchtern.

Die Äbtissin schien es aber kaum zu beachten. Sie hatte sich in ein angelegentliches halblautes Gespräch mit Herrn Meiß verloren. Jetzt tat sie einen flüchtigen, fast mißfälligen Blick nach der linken Seite der Tribüne. Dort saßen und standen einige Häupter der Partei des Volkes, Herren des Rates und Zunftmeister; unter ihnen auch eine Anzahl Chorherren der Probstei und Predigerherren in ihren weißen Kutten. Aber weder ihr eigentliches Haupt, Bürgermeister Rudolf Stüssi, noch seine rechte Hand, den Stadtschreiber Stäbler, der Graf genannt, bemerkte sie unter ihnen.

»Fällt es dir nicht auch auf, mein Freund,« raunte sie Meiß zu, »daß weder Stüssi noch der Stadtschreiber dort drüben stehen? Ich sehe nur die beiden Schwenden, den Joggi Schwarzmurer, und dort unter dem Trüpplein der Schildner z. Schneggen, den Götz Escher. Ich denke, Herr Stüssi und sein böser Geist, der Graf, werden unsern Spielmannstag wohl für Kinderspielerei und Süßfeilerei halten. Seit die Herren in Rom von Kaiser Sigismund zu Rittern geschlagen wurden, ist ihnen das Haar gar lang geraten. Und ich veranlaßte doch ihretwegen diesen Festtag für die große Spielleutenbruderschaft. Gedachte ihnen hiebei wieder einmal die alten Geschlechter so recht vor Augen zu führen.«

»Wie boshaft!« machte Bürgermeister Meiß, den Schalk in den Augen. »Und nun sind die, denen es zumeist vermeint war, weggeblieben! Übrigens,« setzte er ernster bei, »haben jetzt Bürgermeister Stüssi und sein Schreiber allweg Wichtigeres zu tuen. Wie du eben selbst sagtest, liegt Graf Friedrich von Toggenburg im Ende. Er besitzt, wie du auch weißt, schon seit sechsunddreißig Jahren in Zürich das Burgrecht. Da er nun keine erbfähigen Kinder hat, richtete unsere Stadt schon lange ihr Augenmerk auf die Herrlichkeiten seines vornehmen Bürgers, und ich darf es wohl sagen, es sehnen sich hier viele gar sehr nach seinem Ende. In letzter Zeit entfremdete sich aber Stüssi, dessen Sohn sich auf der Schattenburg recht unfein und anmaßend benommen haben soll, den Grafen. So näherte er sich dem ebenfalls ländergierigen Schwyz und ließ sich auch von diesem Land ins Landrecht aufnehmen. Nun werden dann die Schwyzer auch erben wollen. So können wir's erleben, daß unsere Stadt und Schwyz um des Grafen Länder willen, arge Spähne und Stöße miteinander bekommen. Ich kenne Stüssi und die Schwyzer. Stüssi und Graf haben dabei aber Neben- oder vielleicht sind es ihre Hauptabsichten, gegen uns, die ihnen verhaßten, zu hochstehenden Stadtjunker. Sie gedenken mit des Toggenburgers Erbschaft den letzten Einfluß der Fürstäbtissin und das Ansehen der Geschlechter zu vernichten und sich allmächtig zu machen.«

»Ich weiß es nur zu wohl, mein Lieber,« machte Anna von Hewen halblaut. »Aber so Gott will, soll mir dieser Bauer aus dem Glarnerlande mit seinem groben Schuh nicht zu rasch auf den Fuß treten.«

»Ich nähme den Fuß jedenfalls in Acht,« meinte er ernst. »Ach sieh da!« setzte er aufschauend hinzu, »welch ein Duft um diese Jahreszeit!«

Die Äbtissin wollte sich ebenfalls umschauen, da kniete vor ihr, im kleidsamen Pagengewand, ein Schüler ihrer Abtei. Der trug auf einem schwarzsamtenen Kissen, in feuchtes Moos gebettet, einen Kranz blutfarbener Rosen.

»Ach!« machte Anna von Hewen. »Welch ein Wohlgeruch!« Sie steckte ihr Adlernäschen in die Blumen und fragte dann: »Woher die Rosen?«

»Welsche Kaufleute, Lamparter, die soeben mit Seidenstoffen im »roten Schwert« abgestiegen sind, haben sie Euer Frauen Gnad als Zeichen ihrer brennenden Verehrung und ihrer Sehnsucht, Euch bedienen zu dürfen, aus Mailand über den stiebenden Steg mitgebracht.«

»Wie prächtig!« sagte erfreut die Äbtissin. Sie legte ihre herzförmige Haube der alten Frau Mutter von der Seldenau in den Schoß und setzte den Rosenkranz ohne weiteres auf ihr goldenes Haar. »Geh' jetzt! Ich lasse mich bei den Kaufleuten bedanken, sie seien mir nachher zu Hause willkommen.«

Sie zupfte den Knaben am Kinn. Hurtig ging er davon.

Die Trommeln rasselten.

Jetzt erhob sich Bürgermeister Meiß, den die Äbtissin als Festveranstalterin, zum Spielregenten ernannt hatte und verkündete unter lautloser Stille, daß die Fürstin am Fraumünster, als Protektrix der Spielleute, den heutigen Spielmannstag angesetzt habe, um den erledigten Thron des Pfeiferkönigtums neu zu besetzen, wie gebräuchlich von altersher. Und da trage sie nun an, daß derjenige Spielmann zum Pfeiferkönig erhoben werden möchte, der den süßesten Sang oder das trefflichste Spiel auf seinem Instrumente zum besten gebe. Den Sieger werde eine ihrer Maienfrauen, die da in so anmutigem Büschel zu der gnädigen Frauen Füßen beisammen seien, mit ihren Maiglöcklein krönen. Zudem werde der Stadtläufer dem erkorenen Pfeiferkönig, alter Übung gemäß, einen versilberten Spielmannsschild mit dem reich vergoldeten Bilde U. L. Frau Maria, als der Patronin der großen Bruderschaft, übergeben. Die Herrin an der Abtei, Bürgermeister und Rat hätten ihn für diesen Anlaß besonders herstellen lassen.

Der ganze Hof, vor allem die fahrenden Spielleute, brachen in lauten Jubel aus.

Herr Meiß lächelte und fügte dann noch bei: »Laut eines besondern Wunsches der gnädigen Frau sollen aber an diesem Spielmannstage einmal alle und ein jeglicher, ob fahrender Spielmann oder nicht, zu den Wettspielen zugelassen werden, wie vordem in der Stadt schon ausgekündigt worden.«

Wie das die fahrenden Pfeifer hörten und als sie sahen, daß auch einige Herren aus der Pfaffheit an den Spielen teilzunehmen gedachten, machten sie zwar recht sauersüße Gesichter. Doch wagten sie keinen lauten Widerspruch. Sie erinnerten sich beizeiten des trefflichen Sprichwortes, daß mit großen Herren nicht gut Kirschen essen sei. Zwar schimpfte Itelschalk, des Pfeiferkönigtums Marschalk, halblaut weidlich unter den Spielleuten herum, ihnen bedeutend, daß sich die hohe Frau und die Stadt, auf Kosten der Fahrenden, doch nur einen guten Tag mit dem Wettspiel um das sonst von ihnen so gering geschätzte Heckenkönigtum zu machen gedächten. Aber auch er wagte nicht laut zu werden. Dafür stachelte er sie allerwärts auf, alles dranzusetzen, daß die Spielleutenbruderschaft nicht zum bloßen Spotte würde. Dann rief er laut: »Ja, bei sankt Felix und Fridolin und allen fahrenden Heiligen, wir lassen es draufankommen. Hie allzeit fahrend' Spielleut'!«

Der Donner der großen Büchse vom Hofe unter den Linden ließ die Häuser um den Münsterhof erzittern.

Herr Meiß winkte. Die Wettspiele begannen.

Einige Pfaffen und Laienbrüder machten Ehren halber den Anfang. Sie versuchten es beharrlich mit Marienlob. Einige sangen zu ihrer Lautenbegleitung einen gar langen Text, der wie der Schnee im Bergland kein Ende nehmen wollte. Der Beifall, den sie einheimsten, klang aber auch recht dünn, denn das bärenmäßige Schnarchen einiger übernächtiger alter Zünfter durfte nicht zum Applaus gerechnet werden. Doch spielte ein alter Chorherr aus den Pfrundhäusern, zu seinem sehr langen seraphischen Lobgesang, die Harfe nicht übel. Doch als er mitten im Liede dreimal gewaltig nießen mußte und es noch gewaltiger aus der Schule der Abtei lärmte: »Helf Euch Gott, Herr Magister, zu einem seligen Ende!« – packte er sein Spielzeug zusammen und rief schelmisch lächelnd, da man ihm reichlichen Beifall spendete, daß er gleichwohl auf die Kränzlein der Maienfrauen nicht zu hoffen wage.

Nun war die Zuhörerschaft heiter gestimmt und wäre gewiß in guter Laune verblieben, hätte sich Exuperantz, der Küchenbruder bei den Barfüßern nicht einfallen lassen, auch öffentliche Lorbeeren ernten zu wollen. Er bearbeitete aber das »hölzerne Gelächter« so betrübend, daß ein Wickelkind in der Dachlucke des Berenbergischen Hauses Himmel und Erde mit seinem mörderischen Wehegeschrei anzufüllen anfing, worauf ein solches Echo aus allen Kinderstuben und von allen Straßenecken kam, daß man den Münsterhof für einen verhagelten Kleinkinderteich nehmen konnte. Da drückte sich der Bruder und ward nicht mehr geseh'n. Als nun gar der glatzköpfige Pförtner von den Augustinern auf dem Zürichberg, auf einem selbstgedrehten Waldhorn das letzte Gericht vom Himmel herabzututen versuchte, rief ihm ein Schwertfeger die ungesalbten Worte zu: »Macht Euch nach Hause, lieber Bruder! Man soll Euch brav Tranksame verabreichen, denn nach dem Blasbalg zu schließen, müßt Ihr ein gehöriges Feuer in der Esse haben.«

Da erhob sich ein dröhnendes Gelächter, und der verschimpfierte Konversus zog verdrossen ab.

Nun kam allerlei weltliches Pfeifervolk auf den Plan. Es war auch nicht immer ein Labsal, ihm zuzuhören. Sonderlich der Sackpfeifer war alles übersatt. Ein pockennarbiger Tuchscherer rief laut, man könnte meinen, sämtliche Mäuse im Stadtring hätten sich in Sackpfeifen verwandelt.

Kaum aber war es etwas stiller geworden, traten drei wunderliche Gesellen, wovon einer eine mächtige Baßgeige mitschleppte, in den Kreis. Sie wurden mit lautem Auslachen bewillkommt, denn das Kleeblatt der Spielleute und Schatzgräber von Einsiedeln war weitum bekannt.

Die drei alten Knaben ließen sich durch die Spötteleien und das übermütige Gelächter nicht anfechten. Der Lamphütlein richtete sich an seiner Baßgeige bedächtig auf, blinzelte dirigierend über sein melancholisches Nasentröpflein hinweg nach seinen Genossen und begann dann auf einmal mit dem Fidelbogen seine Baßgeige also zu streichen, als wäre sie ein wilder Esel und müßte für die Kultur zurechtgestriegelt werden.

Aber strahlenden Antlitzes blies der Glückhütlein seine Sackpfeife drein und jetzt schmetterte auch der Lumpenhütlein die Töne also aus seiner Posaune, daß sie wie das heilige Donnerwetter mit allen Winden davonstoben.

Gottlob, dachte Kaiser Carolus auf seinem hohen Sitz im Karlsturm des großen Münsters, gottlob bin ich von Sandstein, es möchte einer sonst des Teufels werden und in die Limmat hinunterspringen.

Ein wildes Hohngelächter ging im Hofe um.

Die drei Spielgenossen aber schienen von alledem nichts zu verspüren. Sie bliesen und geigten tapfer und unentwegt drauflos, ganz versunken in ihre Kunst. Der Lamphütlein bog sich so zärtlich und tief über seine Baßgeige, als wäre sie eine Bauchrednerin und täte ihm wahrsagen. Wie die Zuhörer eben verzweifeln und davonlaufen wollten, endigten die Gesellen mit einem Fortissimo, wovon die berühmte Mauer von Jericho zusammengeschmolzen wäre wie Maienbutter.

Als aber die drei fahrenden Altgesellen der Kunst statt des sicher erwarteten Beifallssturmes, nur ein greuliches Schimpfen und Höhnen zu hören bekamen, rüsteten sie sich, gekränkt wie Hühner, denen man die Eier immer wegnimmt, zum Abzug.

»Die Kunst ist bloß die Metze aller Herren und Pfaffen,« brummte, schwermütig den Baß schulternd, der Lamphütlein, »darum muß sie allzeit, wie der Sigrist, im bloßen Hemde herumziehen.«

»So müssen wir's eben wieder mit dem Schatzgraben versuchen,« meinte der Glückhütlein. »He, und ich wüßte wohl, wo noch ein rechtschaffener Schatz zu finden wäre.«

»Eija, bin auch dabei, aber erst morgen,« sagte der Lumpenhütlein, »heute wollen wir noch mit den Herren dieser musenleeren Stadt zu Vesper trinken.«

Sprach's, nahm die Posaune unter den Arm und machte sich, gefolgt von den andern, davon.

Es war unruhig geworden im Hofe und die Frauen auf der Tribüne begannen sich zu langweilen.

Aber auf einmal horchte alles auf. Der Hof widerhallte von dröhnendem, sich rasch näherndem Roßgestampf. Und jetzt ritten, in stolzer Gangart, ein Trupp Reiter, es mochten ihrer ein Dutzend sein, in den Kreis. Es waren prunkvoll und farbenfreudig gekleidete Burschen von der Bogenschützengesellschaft, Söhne wohlbestellter Zünfter. An ihrer Spitze ritt Hans Stüssi, Bürgermeister Rudolf Stüssis Sohn.

Stolz führte er seine Reiterschar in den Spielkreis, sah mit dreisten, begehrlichen Augen zur Äbtissin auf und grüßte mit einer blitzenden Kriegstrompete. Dann setzte er sie an, blies einige schneidige Reiterstücke und zuletzt ein schmetterndes Hallali zum Angriff. Die Pferde bäumten sich und der junge Stüssi führte vor den bewundernden Zuschauern mit seinen Freunden einen waghalsigen und doch zierlichen Reitertanz auf. Plötzlich aber hob er die Trompete hoch. Blitzgeschwind war die Truppe wieder in Reih und Glied, nochmals ein flottes Rückzugssignal, und fort ging's wie ein Hagelwetter zum Hofe hinaus.

Ein toller Jubel brach los im Münsterhofe. Die Zünfter und das einheimische Volk waren entzückt. Ratsherr Schwarzmurer tat einen schadenfreudigen Seitenblick nach der Tribünenmitte und rief: »Wen sollten wir denn zum Spielmannskönig wählen, wenn nicht Bürgermeister Stüssis Sohn, der mit seinem Trompetlein sogar die Rosse zum Tanzen bringt.«

Der Äbtissin war es schwarz geworden vor den Augen. Dies Ende hatte sie nicht geträumt. Bürgermeister Stüssi und seinen Anhang gedachte sie mit dem Aufzug der alten Geschlechter bas zu ärgern und der ihr meist ergebenen Pfaffheit und den vornehmen Söhnen der Stadt einen vergnügten Tag zu machen. Und nun kam unversehens und sicher nur, um sie herauszufordern, der junge Stüssi und holte sich das Kränzlein einer ihrer Tischtöchter. Denn nach dem Jubel, unter dem er abgezogen, zu urteilen, würden ihm Kränzlein und Spielmannsschild sicherlich nicht entgehen. Er hatte die Trompete wirklich meisterlich geblasen zu seinen Reiterkünsten, es war nicht auszureden. So sollte ihr der so vergnüglich begonnene Tag wieder von diesem Glarnerbauern verdorben werden. Sie hätte Schild und alle Kränzlein ihrer Tischtöchter lieber den drei Spielleuten aus dem Finsterwald gönnen mögen, als diesem hochfahrenden Fant, der, wie sie zu sagen pflegte, vom Alten nichts als die freche Gebärde erbte und der ihr so lange mit begehrlichen Augen und verfänglichen Reden nachgelaufen war, bis sie ihn auf einer Fahrt nach Baden, in der Nähe des Pilgerbrunnens im Hard, ans Land hatte setzen lassen. Sie begann leise, aber eifrig mit Bürgermeister Meiß zu reden.

In der Mitte der Tribüne, unter den Geschlechtern, war es allmählich recht ruhig geworden, während es rechts und links und im Hof allüberall von Gelächter und Lärm wiederhallte.

Das fahrende Volk der Spielleute aber war mäusleinstill, es schämte sich.

Da legte die jüngere Elsbeth von Wißenburg, ein Tischtöchterlein der Äbtissin, die Hand auf den Mund und winkte nach allen Seiten:

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Lektorat: verlag.bucher@gmail.com
Tag der Veröffentlichung: 10.05.2013
ISBN: 978-3-7309-2668-0

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