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Vorwort

Meinen lieben Lesern lege ich eine neue Erzählung vor. In den tiefern Schichten der Gesellschaft und der Geschäfte entsteht und wickelt die Geschichte sich ab, und zwar hauptsächlich schattenhalb. Ich entschuldige mich deshalb nicht, möchte bloß meinen geneigten Lesern in Erinnerung bringen, was hier wie in andern Schriften mein Streben ist. Ich möchte inneres und äußeres Leben aufrollen für jedes menschliche Auge, zur Selbstschau alle veranlassen. Hauptsächlich aus den unbekannten Schichten hebe ich dieses Leben aus. Ich möchte zur Erkenntnis bringen, daß das Leben der Luft gleicht: oben und unten ist die gleiche Luft, nur oben und unten ein wenig anders, gröber oder feiner gemischt; daß von Natur in sittlicher Beziehung die Menschen sich viel näher stehen, als man ihrem Äußern nach glauben sollte. Ich möchte zeigen, daß Schattenseite und Sonnenseite im menschlichen Leben nicht von äußern Umständen, sondern von etwas Höherem abhängen. Je nachdem die Welt im Gemüte der Menschen sich abspiegelt, wird Schatten oder Licht aufs Leben geworfen, verklären oder verdunkeln sich die Verhältnisse. Der Grund, warum die einen Gemüter lichtstrahlend werden, die andern dunkle Körper bleiben, ist in dieser Erzählung vielleicht weniger nachgewiesen, als mancher Leser wünschen möchte und der Verfasser es gerne getan hätte. Alles will in einen Rahmen sich nicht fügen. So der Herr will, soll, was hier vermißt wird, bald in einem andern Bilde befriedigend ergänzt werden.

Der Verfasser glaubt die wahren Bedürfnisse der Zeit zu kennen, und sein Streben ist, daß die, welche Mut und Willen haben, diesen Bedürfnissen abzuhelfen, zufrieden bleiben mit

 

Jeremias Gotthelf

Lützelflüh, den 27. Juni 1850

 

1 Der Ratschluß

Es dunkelte unter dem Himmel. Hier und dort guckte ein Sternlein auf die Erde nieder, als beschaue es das Treiben der Menschenkinder und prüfe ihr Tagewerk. Wer weiß, ob es nicht so ist? Wer weiß, ob die Sterne nicht die Augen Gottes sind, welche tragen zum Throne der Majestät im Allerheiligsten, was sie sehen auf der Erde, was sie lesen in den Herzen? Wer weiß, ob sie nicht Warten sind, von welchen die geschiedenen Geister niederschauen müssen auf das Tun ihrer Kinder, und wie ihr eigen Tun aufgeht und sich verschlingt zu einem Gewebe, welches keines Menschen Auge sieht, am allerwenigsten übersieht? Dann mögen die Kometen, die hohlen, neblichten, unfruchtbaren, so gleichsam die himmlischen Dampfschiffe in Drachengestalt, die Warten schlechter Regenten sein, Demagogen und Demagöglein, Jakobiner und Jesuiten, welche der liebe Gott durch den Himmel kutschieren läßt auf Drachenschwänzen, damit sie in beständiger Höllenangst, an irgend einem festen Sterne zerschellt zu werden, betrachten müssen allerwärts, was sie getan und wie das Unkraut, welches sie ausgesäet, sich verflichtet zu Höllengewändern für sie, wenn einmal Himmel und Erde zusammenbrechen und in Himmel und Hölle das All sich scheidet. Nun, was für uns die Sterne sind, wir wissen es nicht, und kein Baumeister, nicht einmal ein obrigkeitlicher, wird zu finden sein, welcher den Neugierigen eine Brücke schlägt von einem Stern zum andern Stern. Das wissen wir, daß wenn wir so ein schlecht zu einem Regenten geratenes Demagöglein wären, wir, wie so viele andere Sünder, kriegten das Zittern, wenn so ein Drachengebilde am Himmel erschiene, wir müßten denken, ob vielleicht das der Schwanz sei, auf dem wir reiten müßten, der gekommen sei, uns wegzufegen und aufzunehmen zum rasenden, schauerlichen Ritt. Die Brille täten wir weg, und auf den Straßen ließen wir uns nicht sehen, solange er am Himmel wäre.

Am Abend, von welchem wir sprechen wollen, stand kein Komet, keine Zornrute Gottes oder ein demagogischer Drachenschwanz am Himmel, sondern freundliche, klare, runde Sterne ohne Schwanz. Allen voran funkelte der prächtige Jupiter, so alt schon und immer noch in ungeschwächtem Glanze. Man hätte fast glauben können, er hätte seine alten Streiche auch noch nicht vergessen, belausche irgendwo in dunklem Haine an süßer Quelle ein badend Mädchen, sende ihm Liebesblicke, bahne durch sie einen Weg sich in den dunklen Hain an die sprudelnde Quelle. Doch diesmal hätte man sich übel getäuscht, mit Unrecht dem alten Papa Schalkhaftes zugemutet, denn kein schönes Mädchen war zu sehen weit und breit. Neugierig war er vielleicht, sah gespannt zur Erde, aber auf ein Dorf, welches sicherlich schon mehrere hundert Jahre auf dem gleichen Flecke gestanden war. Es war stattlich angeschwollen, hatte über Hügel und Löcher, auf denen und in denen Häuser standen, sich ausgedehnt, bestand aus großen und kleinen Häusern, ansehnlichen Mistlachen, geleckten Misthaufen, verwahrlosten, aber saftigen Straßen und riegeldicht stehenden Bäumen, welche eine ziemlich ungebundene Freiheit zu genießen schienen.

Mitten drin, das heißt im Dorfe, nicht in einer Mistlache, obgleich man es beinahe auch sagen konnte, stand auf schlechten Füßen, durchsichtig, mit borstigem Dache und flatternden Strohwischen ringsum, kurz ganz wie ein ungekämmtes Bettlermädchen im Winter, ein mittelgroßes Haus. Über dieses Hauses wenigstens zwei Fuß hohe Schwelle stolperten Menschen mühselig einer nach dem andern. Sie glichen aber auch nicht von ferne schönen, schlanken Mädchen: sie hatten Mannskleider an und Rücken drin wie halbe Tennstore, Pfeifen im Gesichte und trappeten vor dem Hause gleichgültig und schwerfällig alle Pfützen aus. Viele stellten sich nicht weit von gedachtem Hause vor einem andern, stattlicheren auf, vor welchem ein freier Platz war und in welchem ein sterbend Lichtlein mühsam sein Leben fristete. Hinter den stehenden Haufen ging eine schwarze Gestalt, stellte sich aber nicht, sondern ging vorbei. Die Meisten suchten sie nicht zu sehen, einige Wenige, welche es nicht vermeiden konnten, lüpften an ihren Kappen, als ob sie zweizentnerige Käse wären. Die schwarze Gestalt nahm keine Notiz davon. »Er ist taub«, sagte einer. »Mira«, antwortete ein Anderer.»Er hät dr Wyl, wieder zfride zwerde«, meinte ein Dritter. Doch gaben alle ihre Meinung halblaut ab; recht wäre es ihnen nicht gewesen, wenn die Gestalt es gehört hätte.

Zwanzig Schritte hinter dieser kam eine andere Gestalt mit einer dunkeln Anglaise angetan, mit beiden Händen über der Brust sie zusammenziehend. Im Gesichte, unter der Nase durch, schwebte ein Schatten, im Lichte des Jupiters konnte man nicht recht unterscheiden, wars etwas Ungewaschenes oder der Anflug eines Schnäuzchens. Diese stellte sich bei einem Haufen, zog die Anglaise noch enger zusammen und sagte: »Loset, ihr Manne, was ihr erkannt habt, ist nit recht, nit recht, soll dann euer Lehrer immer in einem Schweinestall wohnen? Solange er nicht auch zu einer rechten Wohnung kommt, kommt er nie zur rechten Anerkennung und Achtung. Und ich weiß doch, ich weiß, daß ihr Männer seid, welche begreifen, was ein Lehrer ist und was er verdient, was er verdient. Ich weiß das. Dabei wird es nicht sein Verbleiben haben. Einstweilen tröstet mich nur eins, und das freut mich, ich muß es sagen: der Pfaff hat so an ein neues Haus gesetzt, und er ist schuld, daß ein solches befohlen worden ist von oben herab, obschon es für den alten Hundestall nicht schade wäre, und das wärs nit, ich muß es sagen. Aber was der Pfaff mit seinem Treiben wollte, das begreif ich nicht, begreif ich nicht – der Krebsgänger, der Jesuit und Aristokrat, der er ist, ist, ja ist! Das ists, was mich freut und tröstet bei der heutigen Erkenntnis, daß der Pfaff sieht, daß er nichts zwängen kann und wieviel er giltet in der Gemeinde, daß man so auf Jesuiten und Pfaffen nüt meh het, nüt meh het, ja nüt meh het!« Auf diese schöne Rede antwortete niemand geradezu. »Wey mr hey oder hey mr e Schoppe?« hieß es.

Das Haus, vor welchem man stand, war das Wirtshaus, welches nach einer Gemeindeversammlung auf Gäste hoffen darf, darum brannte auch Licht darin; die vorsichtige Stubenmagd hatte es angezündet und war deswegen vom Wirt geschnauzt worden. Der duldete nicht, daß man Licht zUnnutz brauche; war kein Gast da, warum sollte man Licht brennen in der Gaststube? Der Wirt hatte gar kein teilnehmendes Herz; um die Leiden eines Gastes, welcher unter der größten Lebensgefahr erst die Gaststube suchen und, hatte er sie gefunden, in Pein und Not eine halbe Stunde im Trocknen sitzen mußte, bis man Licht gemacht, kümmerte er sich gar nicht. »Die können zum Pintenwirt oder zum Speisewirt gehen, wenn sie nicht warten mögen«, sagte er. Warum sagte er so? Darum, weil er eben nicht von einem Schoppen oder zweien leben mußte und weil er guten und reellen Wein hatte, so daß, wer den Unterschied kannte, lieber eine Stunde wartete als weiterging. Das fremde Gesindel kümmerte ihn nicht, ja es war ihm am liebsten, er mußte nichts davon sehen. »Was hey mr drvo, he?« pflegte er zu sagen.

Die schwersten der stehenden Männer lenkten dem Wirtshause zu, machten diesmal den Vortrab, einige leichtere deckten ihnen den Rücken; die Mehrzahl verschwand in den hier sich kreuzenden Gäßlein. Alleine blieb stehen der Redner, der Schulmeister des Ortes. Kein Mensch hatte ihm gesagt: »Komm, ich zahle einen Schoppen!« Steif stand er da; endlich fuhr er einem korallnen Uhrenbändchen nach herab in die rechte Westentasche, kriegte seinen neusilbernen Bräter (Uhr) beim Schopf, und nach andächtig angestellten Betrachtungen stieß er den Bräter wieder an den alten Ort und marschierte wild links ab. Was er dachte, wissen wir nicht, und was wir nicht wissen, darüber schweigen wir, werden uns daher auch nie zum entschiedenen schulmeisterlichen Fortschritt erheben. Nach den eilenden Schritten und den fliegenden Händen zu schließen, muß es jedoch etwas sehr Wichtiges gewesen sein, was sein Gemüt bewegte.

Das Dorf, über welchem Jupiter längst weitergeschritten war (denn an derlei Kreaturen, wie da sich ihm darboten, hatte er nie großes Interesse gezeigt), hieß die Vehfreude und hatte einen großen Tag erlebt. Den Vehfreudigern hatte die Regierung befohlen gehabt, ein Schulhaus zu bauen, und sie hatten soeben beschlossen, keins zu bauen; dessen waren sie stolz, denn solches Trotzbieten war nicht gefährlich, und daß es je Folgen gehabt, kennen wir kein Beispiel, wären begierig, eins zu vernehmen. Der Bau wäre sehr dringlich gewesen um der Kinder und des Lehrers willen, den man hätte sollen an die Wand kleben können, weil er nicht Platz zum Stehen hatte in der Schulstube. Wie der Lehrer den Beschluß auffaßte, haben wir gehört, wieviel die Bauern ihm darauf hielten, haben wir gesehen. Ihn ging ihr Beschluß gar nichts an, er zahlte nichts daran, sie hatten ihn auch nicht seinetwegen gefaßt, denn sie liebten ihn nicht. Für ume son es Schumeisterli wollte er wohl viel zwänge. Sie wollten sich so gleichsam en famille freuen, daß sie es den Fötzeln (Lumpen) drinnen, wo man zehn auf den Kopf stellen könnte, ehe ein Taler aus einer Tasche fiele, gezeigt, wer eigentlich Meister sei im Lande. Sie freuten sich darauf, was für eine Miene die Regenten in der Stadt drinnen jetzt ziehen und welche Manövers sie jetzt machen würden, um die Pfeife einzuziehen, doch so, daß es niemand merke. Sie lachten über den Pfarrer, der nicht merke, wie gut das Schulmeisterkrötli es mit ihm meine; und weil sie von reinem Interesse an einer Sache nichts wußten, so meinten sie, er wüßte jetzt, was er den Jagdhund von seinen gnädigen Herren und Obern zu machen habe und wieviel die Bauern ihm darauf hielten. Er solle sehen, daß er es mit ihnen, den Vehfreudigern, wohl könne, den Andern hätte er nichts nachzufragen, sie seien jetzt Meister.

»Ja«, sagte ein alter, gewaltiger Bauer,»das haben die Alten eigentlich begriffen, daß wenn wir wollten, wir eigentlich Meister wären, und haben uns nichts Ungattliches zugemutet und haben noch Mitleid gehabt mit den armen Schuldenbäuerlein, welche so ein Hausbau fast zBode macht, welche mich auch immer so beelenden, wenn man ihnen immer Neues zumutet« (von diesem Beelenden wollten die armen Schuldenbäuerlein, welche ihm was zu zahlen hatten, eben auch nicht viel wissen).»So haben die Aristokraten noch zuweilen Verstand gehabt, aber die jetzigen das ganze Jahr durch keinen. Die Leute, welche aus dem Bettel kommen und in einem Tage siebenmal mehr verfressen und versaufen, als sie ihrer Lebstag geerbt, wissen nicht, wie es dem Bauer ist auf einem magern Höfli, wo er Zinse haben muß, die halbe Zeit nur halb genug essen kann und doch bei Ehren und seiner Sache bleiben möchte. Sie wissen wohl, daß man ihnen nichts nehmen kann und jeder Gläubiger die Kosten scheut und die Gefahr, welche der läuft, der sie auf den Kopf stellen will.«

Der gute Mann war dem Weinen nahe vor Mitgefühl und Elend. Was ihm zu Herzen ging, war aber eigentlich das, daß noch jemand anders den armen Schuldenbäuerlein ihren Schweiß erpressen wollte als er allein, ihm so gleichsam in sein Recht pfuschte. Denn wenn er der Gemeinde zu einem Prozesse verhelfen und denselben unter tapfern Taggeldern und sonstigen Kosten verfechten konnte, so sparte er es nicht, zudem wußte er es so einzurichten, daß er von der Hälfte seines Vermögens keine Steuern und Tellen zahlte; was er zuwenig zahlte, mußten die Ärmern zuviel zahlen, begreiflich. So war sein Kummer ums arme Volk beschaffen. Und wie viel Kummer ums arme Volk wäre von gleicher Farbe, wenn man mit der Laterne ihm ins Gesicht leuchten würde! Die Rede ging immer rascher hin und her, je mehr der herrliche Dotziger, und zwar Schattenseite gewachsener, den guten Leuten die Zunge löste. Was oben war, kam übel weg, und gewaltig wurde gelacht, als einer sagte: »Der Schinder hätte sie längst genommen, wenn er nicht unter der gleichen Decke wäre.«

Endlich klopfte einer seine Pfeife aus, machte ein ernsthaftes Gesicht dazu und sagte: Wegen dem Schulhaus sei er ganz der gleichen Meinung gewesen, hätte dazu gestimmt und zwar mit beiden Händen, wenn es nötig gewesen wäre; was hätte das abgetragen und was hätten sie nötig, jemanden einen Gefallen zu erweisen so für nichts und wieder nichts! Aber etwas sollte doch geschehen, um zu zeigen, daß sie keine Fötzel seien und wüßten, was Trumpf sei zu dieser Zeit. Er komme weit umher und möge sich nicht allenthalben vorhalten lassen, sie seien hundert Jahre zurück und wüßten nichts von Aufklärung und Bildung, ihren Namen würden sie nicht umsonst haben. Er hülfe eine Käserei errichten und eine bauen, so eine rechte, daß man daran sehe, es fehle ihnen weder an Geld noch an Bildung. Ringsum hätte man Käsereien, und wer keine habe, werde ausgelacht; da seien die Weiber Meister, heiße es, oder es fehle den Mannen am Einsehen, was nützlich sei. Von großem Nutzen aber seien solche Käsereien, das Geld komme wie durch ein Stiefelrohr herab, und alles für Sachen, welche man sonst gar nicht ästimiert oder habe zuschanden gehen lassen und zUnnutz verbraucht. So ein Käshüttli sei doch bald gebaut, wenn man einander helfe, müsse doch Mancher allein ein Haus bauen, und ihr Lebtag wollten sie sich nicht nachsagen lassen: zmitts im Dorfe seien die Weiber Meister und außen im Dorfe kein Mann, und ihre Kühe gäbten nur abgenommene Milch, aus welcher sie bloß zNot anken könnten, geschweige dann käsen. Milch hätten sie sicherlich mehr als genug, zum Allerwenigsten von hundert Kühen brächten sie sie zweg. Er frage nun, was sie meinten, und ob die Sache nicht recht wäre?

Der schattenhalb gewachsene Dotziger hatte bereits gewirkt, Courage und Kühnheit krochen (wir können nicht sagen brausten) durch alles Gebein; die Rede tat Wirkung, wie keine vollständigere je eine Flachssamenrede hatte, tat Wirkung wie ein Blitz, der in ein Strohdach fährt, sie war zeitgemäß, traf den rechten Punkt im rechten Augenblick. Keine Einwendung wurde gemacht, einhellig der Beschluß gefaßt, eine Käserei zu errichten, eine Käshütte zu erbauen und zwar eine rechte. Da war Keiner, der nicht mit noch einem Schoppen den Beschluß weihte und seine Begeisterung steigerte, so daß die Zeit, wie es in glücklichen Stunden zu gehen pflegt, unbemerkt verrann und Mitternacht nahe war, als endlich die Männer aufbrachen. Jeder schien wenigstens einen halben Zentner schwerer geworden, so gewichtig traten sie auf, so gravitätisch schritten sie weiter. Wenn einmal Kraft und Mut im Schweizerherzen flammen, kommt das blanke Schwert schwer wieder zur Ruhe. Als die Schweizer bei Prattelen gesiegt hatten, wurden sie erst hitzig, stürzten nach Muttenz in die zweite Schlacht, und als die geschlagen war, da waren sie gar nicht mehr zu halten, sondern rannten in die Birs St. Jakob zu in die dritte Schlacht; da wohl, da kriegten sie endlich genug, und mit dem Leben verloderte der tolle Mut.

Die Vehfreudiger hatten Ähnlichkeit mit den alten Eidgenossen. Im Schulhause hatten sie der Obrigkeit einen Schnipps unter die Nase geschlagen, ein neues Schulhaus aberkannt. Im Wirtshause hatten sie sich zu einem zweiten Beschlusse erhoben am gleichen Tage, was unerhört war in der Vehfreude, hatten was ganz Neues erkannt, was ebenfalls noch nicht erlebt worden war. Jetzt schritten sie ans Dritte: sie zogen heim, wo die Weiber ihrer harrten und wissen wollten, was es gegeben, daß sie so spät heimkämen, die Männer ihnen also verkünden sollten, das Schulhaus sei aberkannt, dagegen eine Käserei abgeredet worden. Da kam es doch Manchem, der dritte Strauß möchte der härteste sein und es könnte ihm ergehen wie den Eidgenossen zu St. Jakob, denn die Vehfreudiger kannten zwei Dinge vortrefflich: erstlich ihr Vieh, zweitens ihre Weiber, und die waren handlich. Den Käsereien waren sie nicht grün, das wußten die Männer, und was sie anstellen würden, wenn es zu ihren Ohren kam, daß die Männer was Neues erkannt unerwartet, ohne daß die Weiber es einige Monate oder Jahre gehechelt, das konnte man sich nicht vorstellen, denn es war noch nicht erlebt worden.

Indessen, die Vehfreudiger besaßen auch Eigenschaften, und unter anderen die, daß was sie nicht im Kopfe hatten, das hatten sie nicht im Kopfe, was sie aber im Kopfe hatten, das hatten sie nicht in den Füßen. Sie gehörten zu den sehr interessanten Figuren, auf welche man zwei bis drei Stunden so eindringlich und inbrünstig einreden kann, daß es einem dünkt, man hätte Nagelfluh weich reden sollen, daß sie geworden wie Mehlbrei, und man will nun, da die Zunge den Dienst versagt, die Sache zu Ende ziehen und fragt: »Ists nit so, meinet ihr nit, und weyt dr?«, so kriegt man, wenn es höflich geht, zur Antwort: »Es kann sein, aber pressieren wird es allweg nicht. Man muß öppe mit einander reden, derweilen kann man sich besinnen, gut Ding will Weile haben. Allweg gibt es noch Sachen, welche auch gemacht sein sollten und mehr pressieren; es ist lange so gewesen und doch gegangen usw.« Sie gingen heim, entschlossen, fest zu bleiben, doch rannten sie eben nicht wie die Eidgenossen nach St. Jakob, sondern gingen langsam und immer langsamer, und wer die Vehfreudiger nicht genau gekannt hätte, wäre in den Wahn gefallen, als seien sie sentimental, zögerten, unter ihr finsteres Strohdach zu kommen, um so lange als möglich an dem Anblick der Sterne sich zu laben und dem Gedanken, wie es dort oben sein möchte, wie schön das Wohnen dort und auf welchem wohl am schönsten; oder sie möchten noch niedergehen sehen das herzliebe Möndlein in sein himmelblaues Bettlein, wie ein feuriger Liebhaber auch nicht vom Fenster seiner Liebsten weg kann, bis sie das Licht ausgelöscht und schnarcht, daß die Fenster klirren. Wer die Vehfreudiger besser kannte, wußte, daß sie sich um Mond und Sterne am Himmel durchaus nicht kümmerten, sondern bloß um Mond und Sterne im Kalender. Den Stand der Planeten betrachteten sie im Kalender wegen einer Menge landwirtschaftlicher Geheimnisse, und um den Mond kümmerten sie sich wegen Kropfsalben und Kabisbschütten, wegen Laxieren und Purgieren, welches Erstere bekanntlich im abnehmenden, das Letztere aber im steigenden zweckentsprechender unternommen wird.

Die Männer sammelten sich nun, mit aller Besonnenheit vor ihre Weiber zu treten, ungefähr wie gute Katholiken, wenn sie dem Beichtstuhle sich nahen. Unstreitig sind die Weiber die allertüchtigsten Beichtväter, woher es kommen wird, daß die meisten Männer, wie gut reformiert sie im ledigen Stande sein mögen, in der Ehe nachgerade katholisch werden oder wenigstens es werden möchten. indessen, wie langsam man auch vorrückt, rückt man am Ende doch weiter und weiter und endlich ans Ziel: jeder der Männer vor seine Türe. Weiter wollen wir ihnen nicht folgen, die Bücher würden gar zu dick, welche die daherigen Beichten und Bußreden fassen sollten, und gar zu strub wären was wir von hier und dort zu berichten hätten. Einen Einzigen wollen wir begleiten, den Peterli im Dürluft, den magersten der Bauern.

Im Dürluft (und der Hof trug seinen Namen nicht umsonst) liegen selten triftige Gründe zum Fettwerden. Der Hof lag auf einem kleinen Hügel, allen Winden zweg, es war, als nehme die Luft den Dünger, daher gähne der Boden fast aus Magerkeit. Daneben war er groß, fast wie es am schlimmsten ist: viel Jagens und wenig Fangens. Viele Leute speisen und wenig ernten macht nicht reich. Zudem war Peterli auch der Mann nicht, dem Hof recht unter die Arme zu greifen; er war arbeitsam, aber die Tage, an welchen ihm was einfiel, hätte er rot zeichnen können im Kalender, und gar zu viele Feiertage hätte es nicht gegeben. Daher konnte er nie Gänge ersparen und in einem Gange zwei Geschäfte abtun, konnte die Arbeit nicht so verflechten, daß die Zeit gehörig zu Ehren gezogen worden wäre, so daß er mit der Landarbeit gewöhnlich so im Rückstande war, daß er ein sogenanntes Werk, das heißt Heuet, Ernte usw. erst anfing, wenn die Andern damit fertig waren. Dazu besaß er viel Schulden und wenig Mist, hatte viele Dienstboten, aber nur halbbatzige; alles Dinge, welche eben nicht geeignet sind, einem magern Hof auf die Beine zu helfen. Eisi, seiner Frau, kam zuviel in Sinn, was ihrem Manne zuwenig; sie schoß von einer Arbeit zur andern, machte keine aus, fing siebenmal an, ehe sie einmal fertig wurde. Sie wollte die Bäuerin machen, die gute Frau sein, gab unverständig mit vollen Händen am Morgen und konnte am Abend, um der Sache einzukommen, einer armen Frau ein halbes Pfund Anken einen Batzen zu teuer geben oder ihr die Milch zumessen, als stamme sie von einem Elsässer Juden ab. Neben der guten Frau wollte sie auch die sein, welche Meister im Hause sei. Peterli durfte ihr das Geld nicht bloß nicht einschließen (von Aufschreiben war begreiflich keine Rede), sondern sie nahm Geld, gab es aus ohne Verstand, nur um zu zeigen, daß sie über das Geld könne, wann und wie sie wolle. Sie sei nit niene (nirgends) daheim gsi und nit blutti (nackt), so pflegte sie zu sagen; sie brauche von ihrer Sache und so viel, als sie gut dünke, potz Blitz! Ob bei solcher Verwaltung Zinse gegeben würden, ob es rückwärts oder vorwärts gehe mit dem Haushalt, das kümmerte Eisi so wenig, als es jene Beamtenweiber kümmert, welche alle Monate einen neuen seidenen Rock und alle Tage sonst was Neues begehren und nie fragen: wo nehmen und nicht stehlen? Wie es in solchen Weibsköpfen aussieht, begreift ein verständiger Mensch hell nicht; daß es im Kopfe einer Eisi so aussehen kann, das anfällig fasset er, aber in den Köpfen von Professorentöchtern zum Exempel, he?

Dieses Eisi nun erwartete seinen Peterli mit steigendem Zorne, nicht weil ihns die Eifersucht plagte oder die Angst, Peterli vertue Geld, sondern weil es einen Gwunder im Leibe hatte, der ihns ärger quälte als das strengste Bauchweh. Eisi hatte Peterli klare Instruktionen mitgegeben, und auf dem Halten der Instruktionen hielt es wie die Urner, welche einen Gesandten, der es nicht tat, um einen Kopf kürzer machten. Die Urner werden nämlich sich als frei und nicht die Herren Gesandten als ihre gestrengen Herren und Obern betrachtet haben. So ein Urner war Eisi und hatte seinem Peterli gesagt, er solle sehen, was sie machen. Werde ein Schulhaus erkannt, so täte er besser, er ließe sich so bald nicht mehr zum Hause, denn sobald es ihn erlängen möge, haare es ihn, bis er einen Kopf habe wie eine geschorene Rübe, darauf könne er zählen. Eisi haßte den Pfarrer sehr; so oft es zur Kirche gegangen, habe er auf ihns gestichelt. Da hätte es gedacht: Warte, dir will ichs zeigen, und sei an einen andern Ort gegangen, und was hätte ihm da der schwarze Hagel angemacht! Hätte der sich nicht die Mühe nehmen mögen und hätte ihns beim andern Pfarrer angemalet, daß es keine Art gehabt! Kaum sei es in der Kirche abgesessen, so hätte der auch angefangen zu sticheln, daß es fry gsurret heyg und alle Leute es angesehen, daß es hätte mögen durch den Boden hinunterschlüpfen so weit als möglich. Aber da hätte es sich hoch und teuer versetzt, in einer Kirche sehe es niemand mehr; wenn sie einen Narren haben wollten, könnten sie sich einen eisernen machen lassen. Es nehme ihns wunder, ob denn die Kirche da sei, um die Leute auszuführen, oder wo das Gesetz sei, daß man gehen, anehocke und selber hören müsse, wie man da ausgeführt und heruntergemacht werde, als ob man in keinen Schuh gut sei?

Doch noch bitterer haßte Eisi den Schulmeister. Erstlich weil derselbe einmal den Kindern gesagt, ihre Mutter müsse doch e fule Hung sy, weil sie immer zu spät in die Schule kämen und dann noch selten gewaschen und gekämmt; zweitens weil er so vornehm und herrschelig umeschnäuzle.

Als Eisi Peterli seine Instruktionen gegeben hatte, hatte Peterli gesagt: Er wisse nicht, wie es gehe, es sei ein Befelch von der Obrigkeit da. »Und ih schyß druf«, hatte Eisi gesagt; »lue du, was du machst!« Peterli hatte mit seinem untertänigen Bescheid sich Eisi sehr verdächtig gemacht; das lange Ausbleiben steigerte von Minute zu Minute den Verdacht in ihr bis zur Gewißheit. »Wart«, sagte Eisi, »bleib aus, so lange du willst, das soll dir nichts nützen; dir solls eine Weile nicht mehr einfallen, in den Haaren zu kratzen.«

Peterli fiel es nicht ein, daß seine Frau denken könne, sie hätten das Schulhaus erkannt. Er setzte gewöhnlich voraus, was er wisse, das wisse die ganze Welt; aber er fürchtete sich wegen dem späten Heimkommen und wegen der Käserei, hoffte sehr, Eisi schlafe und Erläuterungen blieben bis am Morgen verschoben. Der gute Peterli dachte nicht daran, daß eine Frau, welche voll Gwunder auf den Mann wartet, so wenig schläft als ein Mädchen, welches voll Liebe seines Schatzes harret. Als Peterli so leise als möglich ans Haus trappete und nach der Türe suchte (denn das liebe Möndlein lag längst im himmelblauen Bettlein), sprang diese plötzlich auf und Eisi fuhr heraus. Die meisten Weiber hätten gewartet, bis sie den Mann innerhalb den vier Wänden gehabt hätten; aber Eisi war zu zornig geworden und war überhaupt der Meinung, im Dürluft sei es Meister, frag keinem Hung was nach, mache, was ihns ankomme. Zornig schrie Eisi seinen Peterli an: »Was Donners hast du machen helfen, daß du nicht heimkommen darfst wie üblich und bräuchlich und einem Hausvater wohl ansteht?« Peterli, der nie zwei Sachen mit einander im Kopfe behielt, hatte begreiflich das Schulhaus längst vergessen, dachte bloß an die Käserei und glaubte, die Frau wisse längst, was diesen Abend sich zugetragen hätte; er sagte daher ganz kleinlaut: »Tue doch recht nit wüest, lue, gscheh ist gscheh; und wenn man sich recht berichten läßt und die Sache nicht übertreibt, so ist es doch eine rechte Sache und steht dem ganzen Dorfe wohl an.« »Dreck steht es an!« schrie Eisi; »und Brichten hin, Brichten her, ich will dich anders brichten; du weißt dann ein anderes Mal, ob du dich von Pfaffen und Fötzeln sollst brichten lassen!« Somit fuhr Eisi Peterli mit allen zehn Fingern in die Haare, daß er wußte, was es heißt, fremde Hände im Haar haben, faßte ihn an Haar und Ohren und schüttelte, daß Peterli das Feuer im Elsaß brennen sah.

Peterli hielt einen Augenblick dar, um die Buße alsbald abzutun. Als es ihn endlich dünkte, es sollte genug sein, faßte er Eisi bei den Armen und sagte: »Setz ab, sonst mach ich auch, was ich kann. Es ist sich doch dr wert, so wüst zu tun, wo es doch nichts abträgt, denn erkannt ist erkannt, und dann habe ich ja nur für viere unterschrieben und wir haben sechse.« »Sechsmal Lümmel, das du bist, an einem ists zu viel! Meinst, man wisse nicht, daß du sechse hast, und das siebente wird nicht weit sein. Oder willst sie etwa verleugnen, meinst etwa, sie seien nicht dein? Wohl, beim Hagel, das soll doch niemand besser wissen als du! Aber wart, dir will ich -« so schrie Eisi, biß Peterli in den Arm, riß sich vom andern los und teilte Ohrfeigen aus, daß Peterli vors Dachtrauf hinausfuhr und schrie: »Bist sturm, oder fehlt es dir sonst im Kopf? Küeh, nit King; nit King, Küeh!« »Was, jetzt sagst du den Kindern Küeh, ja, wenn es nur deine wären! Aber es ist himmelschreiend, Küeh und nit King u de no myni King!«schrie Eisi und fuhr frisch darauf los. Peterli war eigentlich nicht an beiden Händen links, wie man zu sagen pflegt, hatte sich von der Überraschung erholt, hielt Eisi vom Leibe und sagte: »Was ist doch mit dir, seit wann schreibt man die Kinder auf wegen einer Käserei, das nimmt man nach den Kühen, denn da kommt es auf die Milch an, die man liefern kann.« »Was geht mich die Käserei an«, schrie Eisi,»ich rede vom Schulhaus, du Sturm, welches ihr erkannt habt kuhmäßig!« »Sturm selber«, sagte Peterli; »das Schulhaus ist ja dr Bach ab gschickt, und für zu zeigen, daß wir doch auch an einem Orte daheim seien, haben wir eine Käserei erkannt.« »Warum sagst das nicht?« sagte Eisi. »Habe gemeint, du wissest es«, antwortete Peterli. »Die Narrn meine«, entgegnete Eisi. »Wie hätte ich wissen sollen, daß solchen Knubeln was in Sinn käme.«

Indessen sagte Eisi dieses ganz sanftmütig. Die Nachricht, daß dem Pfarrer und dem Schulmeister ein Schnipps unter die Nase gemacht worden und daß sie jetzt wüßten, daß sie die Sache nichts anginge, hatte Eisis Zorn nicht bloß zersetzt, sondern sogar in große Freude verwandelt. In dieser Freude erschien Eisi eine neue Käserei ganz rosenrot. »Meinerhalben«, sagte Eisi, »aber da kannst du dann aufpassen, daß du nicht betrogen wirst von den Andern. Du hast erfahren, was die können. Nur das will ich dir sagen, einschränken und so ganz eintun lasse ich mich nicht; Geld gnue und Milch gnue, selb will ich, solange ich lebe.« »Persche«, sagte Peterli.

Ach Gott, persche ist so leicht gesagt, und Milch genug und Geld genug ist eine so schöne Sache. Wenn man jedem mit einem Persche dazu verhelfen könnte, in wie viel bessern Hosen stünde so Mancher!

 

2 Naturgeschichte der Käsereien

Einem großen Teile der geehrten Leser wird das Wort Käserei nicht ein ungehörtes sein, aber den vollen Klang desselben in seiner ganzen Bedeutung werden die meisten kaum fassen; eine Erörterung desselben wird daher nicht am unrechten Orte sein.

Vor alten Zeiten, das heißt vor etwas mehr als dreißig Jahren (unsere Zeit, wo man alle Tage was Neues will, um morgen es rein zu vergessen, läuft auf gar raschen Beinen, man wird in einem Tage alt, geschweige in dreißig Jahren) käsete man bloß auf den Alpen den Sommer durch, solange das Vieh zur Weide ging; zog im Herbst der Küher zu Tale und fütterte er bei einem oder einigen großen Bauern seine sechzig bis achtzig Kühe, so machte er wohl auch einige Käslein für den Hausbrauch oder für einen Wirt, der durch recht räßen Käs seinen sauern Steffisburger versüßen wollte. In allen Landesteilen machte man auf den daselbst gelegenen Alpen eine eigentümliche Käseart von Ur-Ur-Ur-Vater her und glaubte diese Käseart durch den Boden und die darauf wachsenden Kräuter bedingt. In den Tälern machte man keine Käse, man glaubte die Grasarten der Täler dazu untauglich; bloß hie und da wurde eine kecke Hausfrau, deren Großmutter eine Küherstochter gewesen, durch die Familienanlage dazu getrieben, oder ein vermessener Bauer tanggelte einen zweg für einen ruchlosen Pintenwirt, dem am Leben seiner Gäste wenig gelegen war. Daß man überall käsen, im Siebental Emmentaler Käse machen könne, daß vom Käser so viel abhänge als von der Alp, daran dachte man nicht.

Schon sehr lange wurde Schweizerkäs ausgeführt als eigentlicher Luxusartikel, und als Luxusartikel gilt er im Lande selbst, und ein eigentliches Fest ist es für Herrenkinder zum Beispiel, wenn sie einmal zu Käs kommen, und doch wird im Lande selbst der mindere Käs gegessen, der beste ausgeführt. Der gute Käs von Oberländer, Emmentaler, ja Greyerzer Alpen, welcher nach Rußland und Deutschland ausgeführt wird, heißt Emmentaler Käs. Fordert man in Deutschland Käs, so fragen die gnädigen Herren Kellner zumeist, ob man Emmentaler oder nur Schweizerkäs wolle? Wahrscheinlich waren es Emmentaler Handelshäuser, welche dieses Fabrikat zuerst auf den Markt brachten und es daher auch tauften. Dagegen heißt aller gute Käs, welcher nach Frankreich geht, Greyerzer, komme er woher er wolle, und wahrscheinlich aus dem gleichen Grunde.

Zu Ende des verflossenen Jahrhunderts und im Anfang des gegenwärtigen fand eine große Revolution in der Landwirtschaft statt. Bis dorthin weidete man viel im Feld auf der Brache, in Wald und Weide, zog Rinder und Pferde auf, handelte stark, besonders mit den Letztern, nach allen Weltgegenden. Da ward das sogenannte Kunstgras erfunden, das heißt Klee, Esparsette, Luzerne kamen ins Land, die Stallfütterung ward möglich, die Brachwirtschaft hörte auf, die Wälder wurden geschlossen, die Weiden urbar gemacht und Kartoffeln massenhaft gepflanzt, nicht bloß so gleichsam zum Dessert. Sobald das Vieh im Stalle war, gab es Dünger, dicken und dünnen, fleißig und verständig ward er angewandt, die Felder trugen alle Jahre mehr ab. Das urbare Land erweiterte sich auch in dem Maße, als man mehr Dünger hatte, ebenso mehrte sich der Viehstand und namentlich die Kühe, welche Nutzung gewährten, während mit den verminderten Weiden die Zucht und namentlich die Pferdezucht abnahm. Mit den Kühen mehrte sich die Milch, denn es greift alles ineinander und eines entsteht aus dem Andern auf gar seltsame Weise und oft so fein, daß das menschliche Auge die Fäden nicht einmal sieht, viel feiner als Kühe und Milch. Man butterte auf Leib und Leben; aber die Butter wurde damals nicht wie jetzt nach Holland ausgeführt, eingesalzen als Schiffsanken gebraucht. Wie wenig die Butter galt, bezeugt der Vers an einem Türli: »O Mensch, fass in Gedanken, drei Batzen gilt ds Pfund Anken!« Man hatte Milch bis über die Ohren, manches Weib ertrank fast darin, manches Weib schüttete so viel ins Mistloch, daß wenn es sie im Fegefeuer hätte, es manches Jahr seinen Durst ziemlich löschen könnte. Händel wie damals von Michelstag bis Fastnacht, wo die anständigern Schweine aus bessern Häusern fast von lauter Nidle (Sahne) lebten, werden sie kaum mehr kriegen, solange das Pfund Anken mehr als drei Batzen gilt.

Nun hat der liebe Gott dem Menschen einen Verstand gegeben, welcher in jeder Not, sei es in einer des Mangels oder des Überflusses, eine Abhülfe sucht wie eine Maus in der Falle ein Loch zum Entrinnen. Man kam auf den Gedanken, ob die Milch von Kühen, welche mit Gras in Ställen gefüttert würden, nicht ebenso gut zum Käsen tauge als die Milch von Kühen, welche auf Alpen zur Weide gingen. Da Gedanken unsichtbar sind, so kann man nicht sagen, wem er zuerst kam. Es ist übrigens ein Wunderbares mit den Gedanken und der Ausdruck »Es kam mir ein Gedanke« herrlich. Es ist mit den Gedanken wie mit den Winden: wer kann mir sagen, woher sie kommen und wohin sie gehen?

Oberst Rudolf von Effinger von Wildegg, Bauer, Soldat, Aristokrat, Oberamtmann, Ratsherr, schön und stark von Gesicht und Gestalt, in Gesetzen und Theorien nicht sonderlich bewandert, aber praktisch durch und durch, kurz ein Berner vom reinsten Korn, errichtete die erste Käserei zu Kiesen, wo er Gutsbesitzer und auch Oberamtmann war, und die zweite zu Wangen, wohin er als Oberamtmann versetzt wurde; Käsereien waren ihm Herzenssache. Dies geschah im Anfange der zwanziger Jahre. Wie üblich im Bernbiet, wo man ehedem nicht auf jede neue Rarheit versessen war, betrachtete man anfangs die Sache mit großem Mißtrauen, es fand sich wenig Nachahmung. Mit gerümpften Nasen ging man um die in Käsereien gemachten Käse herum und tat, als ob man ihren Geruch kaum ertragen möge. Die Händler gaben zu, daß die Dinger aussähen wie Käs, seien aber doch nicht Käs, könnten nicht in den eigentlichen Handel gebracht werden, wolle man nicht Ruf und Kredit der Emmentaler Käse gefährden in alle Ewigkeit hinaus; sie seien höchstens gut für Buchiberger, deren Hälse an siebenjähriger Ankenmilch erhärtet seien, oder für Züribieter, die ihren Wein überstanden und ihr Leben bis in die Zwanzigerjahre gebracht.

Indessen, die Käshändler sind sozusagen auch Menschen und dazu eben nicht dumm. Sie meinten nicht, daß man das, was man aushöhne, als könnte man Misthaufen und Jauchelöcher vergiften damit, ja selbst junge Zürcher unter zwanzig Jahren, ganz von der Hand weisen müsse, wenn irgendwie Vorteil daraus zu ziehen sei. Sie bohrten hier und da mit ihren Instrumenten einen der Käse vorsichtig an, betrachteten, ob er Löcher hätte, kosteten unter schrecklichen Gebärden ein kleines Stücklein, spuckten es dann klafterweit vom Leibe, liefen eilends zum nächsten Brunnen, um das Leben zu retten, und überließen den Käsbauern die Mühe, den Zapfen sorgfältig wieder ins Loch zu schieben. Um die Käse zu probieren, bohrt man nämlich einen Zapfen heraus, an demselben sieht man Farbe und Löcher, die Spitze haut man ab und versucht den Geschmack, den Rest stößt man wieder ins Loch, so daß der Käs wieder ganz wird. Die Käsehändler haben ihre eigenen Bohrer und bohren, wo sie wollen, denn sie kennen den Kniff gar zu gut, in magern Käse Löcher zu bohren, sie dann mit Zapfen von fettem Käse auszufüllen, beim Verkauf dann mit kundiger Hand die fetten Zapfen aus den magern Käsen zu ziehen und sie auf diese Weise für fett zu verkaufen, wie es von den mit Käs im Lande Herumhausierenden oft zu geschehen pflegt. Hier und da nahmen sie fast wie um Gottes willen und um schlechten Preis einzelne Käse ab, etwas wurde mit Angst und Not Wirten im Lande abgesetzt, den Rest konnte man selbst essen.

Die Käshändler machten nach und nach die Erfahrung, daß auch die feinsten Berliner und Petersburger Nasen den Unterschied zwischen Alpen- und Talkäs nicht merkten, daß der Käsereikäs ohne Kreditschwächung prächtig ins Ausland zu gebrauchen sei. Sie ließen es sich nicht merken, taten spröde, rümpften die Nase über solchen Käs wie siebenzehnjährige Mädchen über einen siebenzigjährigen hagern Hagestolz, aber sie taten doch immer mehr dr Gottswillen, das heißt sie kauften immer mehr solchen Käs so wohlfeil als möglich und suchten unter der Hand für die vermehrte Produktion größern, erweiterten Absatz. Ihre Reisenden besuchten nicht mehr bloß die großen Hauptstädte und in denselben die berühmtesten Gasthöfe und Restaurationen, wo nichts zu haben ist als Austern, Champagner und Emmentaler, sondern sie hielten sich zuweilen auch in geringern Städten und Städtchen auf, in Darmstadt zum Beispiel, in Magdeburg, in Nürnberg und Leipzig, und verschmähten Wirtshäuser und Speisewirtschaften zweiten und selbst dritten Ranges nicht. Die Wirte legten sich Emmentaler als Luxusartikel bei, wie bei uns Wirtinnen Sofa und Spiegel, und lockten damit Gäste, wie man die Krebse zieht mit Rinderleber.

Nun sind die Bauern in ihren Lieblingsfächern: Kühen, Kälbern, Pferden, Land und Geld, eben auch nicht dumm. Sie merkten, daß die Käse mehr und mehr zogen, die Spycher der Händler immer wieder leer wurden, wie viel dieselben auch kauften. Sie schlugen nach und nach mit dem Preise auf, die Händler fuhren darob aus der Haut; aber die Bauern hatten so was schon mehr erlebt, blieben kaltblütig. Als die Händler das sahen, fuhren sie sachte wieder in die Haut, zahlten so wenig als möglich, kauften, so viel sie konnten, schärften aber allerwärts ein, ja den Preis nicht zu sagen, um den sie gekauft; wenn es nicht sie, und wenn es ihnen nicht um ein andermal zu tun gewesen, sie hätten nicht so gekauft, sie verspielten das eigene Geld. Nach und nach kam immer größerer Vorteil in die Käsereien; desselben freuten sich die, welche solche hatten, das merkten aber auch die, welche keine hatten. Nun gab es in den Dreißigerjahren trockene Jahre; groß ward manchmal der Futtermangel, der Preis des Kubikklafters Heu erreichte zuweilen die Höhe von zwanzig bis fünfundzwanzig Kronen oder fünfzig Schweizerfranken, ja der Zentner Tannkries wurde um fünfunddreißig Batzen verkauft (muß ein strub Fressen sein, selbst für Kühe). Da zwang die Not, alle Kunst dem Grasbau zuzuwenden. Im Emmental namentlich wurde da erst recht heimisch die Esparsette, ja auch der Klee ward zu bauen angefangen, wo man früher gar nicht glaubte, daß er gedeihen könne. Von 1838 an war das Wetter dem Gras günstig, Überfluß an Futter erzeugte auch Vermehrung des Viehstandes. Von da an mehrten sich die Käsereien stündlich, hätten wir bald gesagt, sie schossen aus dem Boden herauf fast über Nacht wie die Pilze, trotz den großen Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hatten.

Die Schwierigkeiten kamen, wie alles Übel, mehr von innen als von außen, zeigten sich aber äußerlich in allen möglichen Gestalten. Bekanntlich ist beim Käsen die Hauptsache die Milch, ohne Milch ists ausgekäset, und um Milch zu bekommen, sind Kühe die Hauptsache. Nun rechnet man für einen Zentner Käs zwölf Zentner oder drei Säume Milch und durchschnittlich von einer Kuh täglich einundeinviertel Pfund Käs, so daß man also von hundert Kühen täglich einen Käs machen kann, welcher hundertfünfundzwanzig Pfund schwer ist. Man macht am liebsten schwere Käse von hundertundfünfzig bis zweihundert Pfund, ja man macht sie bis auf zweihundertfünfzig Pfund. Sie haben zwar ihre Nachteile; mißrät ein Käs von zwei Zentner, so geht ein kleines Kapital verloren. Und da er anfangs täglich, später seltener vom Gestell gehoben, mit Salz eingerieben und wieder hingestellt werden muß, so ist das eine Pflicht für einen einzelnen Mann, diese Käse mit Leichtigkeit und Sorgfalt, daß sie auch nicht im Mindesten verletzt werden, hin- und herzuheben. So für einen zarten Kaffeejunker von Mainz oder von Köln am Rhein oder von Murten am Murtensee hätte so was eine Nase. Indessen, und das ist die Hauptsache, werden sie am teuersten bezahlt, nicht weil man sie für die besten hält, sondern weil in gewisser Herren Länder der Eintrittzoll nicht per Pfund, sondern per Stück berechnet wird. Die gehörige Anzahl Kühe in einem nicht zu großen Reviere zusammenzubringen, so daß die Milch nicht zu weit getragen werden muß, im Sommer nicht von der Hitze leidet, jedenfalls höchstens eine halbe Stunde, hält so schwer nicht. Hundert und hundertzwanzig Kühe finden sich leicht in gehöriger Nähe. Auch der Ort zum Käsen findet sich leicht. Sehr gern gibt ein Bauer ein altes Haus oder ein Ofenhaus dazu her und scheinbar wohlfeil. Je näher er die Käserei hat, desto lieber ist es ihm. Er muß die Milch nicht so weit tragen, es heißt, die Schweine würden fett bloß vom Riechen der Käsmilch, und dumm müßte der Käser oder Senn sein, wenn er nicht riechen würde, wann die Bäuerin Kaffee macht, und merken, ob sie gerne Nidle dazu hätte und ein Stücklein guten Zieger, oder nicht. Und findet sich kein solches Haus, so findet sich Platz genug, um eine Käserei abzustellen, und Geld, eine zu bauen. Es ist noch nie erhört worden, wie es so oft bei Schulhäusern der Fall ist, daß aus Mangel an Platz oder Geld die Errichtung einer Käserei unterblieben wäre. Man sieht solche Käsereigebäude, die Herrenstöcken gleichen, deren Bau mehrere tausend Gulden gekostet hat, und kein Mensch beklagte sich über den teuren Bau und die Mühe, welche er verursachte, an solchen Orten, wo man vorgab, aus Armut kein Schulhaus bauen zu können.

Hat man Haus und Milch, bedarf man auch jemand, welcher aus der Milch den Käs macht, einen Käser oder Senn, wie man zu sagen pflegt. Dies ist die Hauptperson, denn von diesem hängt der Käs ab. Ein schlechter Senn kann eine ganze Sommernutzung von hundert Kühen vielleicht im Wert von fünf- bis sechstausend Gulden fast wertlos machen, und was noch mehr ist, den Kredit einer Käserei auf Jahre hinaus zerstören. Leute, welche sich für Sennen ausgaben, fand man immer, denn besserer Verdienst ist selten im Lande. So ein Senn verdient während ungefähr sieben Monaten hundertvierzig bis hundertsechzig, ja zwei- bis dreihundert Gulden nebst freier Station, Nidle, Butter, Zieger usw., so viel er mag, daß die meisten, wenn sie Liebhaber von solchen Sachen sind, gegen Herbst so fett wie Dächse werden oder wie die Bären, ehe sie an den Tatzen zu saugen anfangen, wozu er die fünf übrigen Monate des Jahres befähigt und berechtigt ist; da nimmt ihn die Käsereigesellschaft nicht in Anspruch, er ist frei, kann machen, was er will, es sei denn, daß Winterkäse gemacht werden, was aber selten ist und besonders bezahlt wird. Es finden sich daher Leute genug, welche sagen, sie könnten das Käsen: Küherssöhne, Küherknechte, nach und nach auch Hüttenknechte, das heißt Knechte der Sennen in den Käshütten. Es legt sich nämlich so ein Senn zumeist einen Knecht zu, welcher ihm bei dem Reinigen der Geschirre, beim Salzen und Käsen zur Hand sein muß. Diese avancieren begreiflich auch gerne zur Meisterschaft wegen der Ehre und dem Gelde. Ob dann aber auch alle, welche es sagen, es wirklich auch können, ist eine andere Frage, welche bloß durch das Probieren zu lösen ist.

Die Schwierigkeiten liegen also nicht in äußerlichen Dingen, nicht im Mangel des Stoffes oder des Personals, die Schwierigkeiten liegen im Inwendigen. Sie liegen erstlich im gegenseitigem Mißtrauen. Jeder fürchtet, vom Andern betrogen zu werden, wahrscheinlich weil so Viele denken: was man machen könne, ohne daß es an Tag käme, dem habe niemand viel nachzufragen, sei also auch mehr oder weniger erlaubt. Ich mache, was ich kann, machs auch, denken wohl die Schlauern. Den Andern ists aber doch nicht recht wohl bei der Sache, sie fühlen wohl, daß sie bei diesem Grundsatze den Kürzeren ziehen müssen; denn da kann auf alle mögliche Weise mit der Milch betrogen werden, und zwar so, daß entweder der Käs ganz verdorben oder aber desto magerer, also desto schlechter wird. Das Erste geschieht, wenn man ungesunde Milch, Milch von ungesunden Eutern, ungesunden Kühen oder auch Käsmilch zur guten schüttet, das Zweite, wenn man in die frischgemolkene Milch, welche alsobald von der Kuh weg in die Käserei zu tragen ist, Wasser oder ältere Milch schüttet, von welcher man die Nidle weggenommen hat. Das Erstere zeigt sich bald und läßt, wenn man ernstlich will, sich ausmitteln, von wem der Schaden kommt. Das Letztere ist viel schwerer zu entdecken, auch jetzt, wo man Milchproben hat wie Weinproben. Da sie bloß anzeigen, ob die Milch fetter oder magerer ist, die Kühe aber gar verschiedene Milch geben, bessere und schlechtere, so zeigen sie die Verfälschungen doch nicht mit Sicherheit an; es kann einer lange sein Wasser teuer verkaufen, wenn man ihm nicht auf andere Weise über seine Schliche zu kommen weiß.

Allen diesen Fatalitäten soll nun ein Reglement vorbeugen, welches die Gesellschaft sich selbsten gibt. Jeder Anteilhaber wird zum Gesetzgeber, und jeder sucht nun das Gesetz so einzurichten, daß er ein Loch zum Entschlüpfen für sich behält, während er damit alle Andern beschränken oder fangen, den Donners Schelmen das Betrügen verleiden will. Das Ding ist nun ein schweres Kunststück, und wir glauben nicht, daß es irgendwo gelungen ist, daß eine Käserei zu finden ist, wo es von A bis Z lauter und redlich zugeht wegen Gesetz und Reglement. Und weiß auch manchmal der Bauer nicht um die Schelmerei, so kennt sie doch die Frau, und treibt sie die Frau nicht, so treibt sie der Melker, der mit irgend einer Frau unter der Decke steckt, oder manchmal aus ganz einfachem Hochmut, um von der gleichen Zahl Kühen mehr Milch zu liefern als ein anderer Melker. Ja, so ein Reglement zu machen, welches ein wahrer Trost ist für die Einfältigern und Mindern und ein Zaum für die Mächtigern und Schlauern, selb hat eine Nase; auch für ein solches wäre der Niggel (Gesetzfabrikant) zu kurz, denn ein Gesetz ohne Loch kann der eben nicht machen.

Die zweite große Schwierigkeit bietet der Senn dar. So, wie man Milch genug kriegt, aber nicht immer die beste, so kriegt man wohl immer einen Senn, aber was für einen! Auch hier macht nicht die Kunst die Hauptsache, sondern die Ehrlichkeit. Die Kunst ist zwar nicht unbedeutend. Der Senn muß sich auf die Milch verstehen, muß in seinen Armen den Thermometer haben, welcher ihm unmittelbar die rechten Wärmepunkte angibt für die verschiedenen Verrichtungen; alles muß er mit der größten Pünktlichkeit, nichts obenhin verrichten, muß im Geschirr die größte Reinlichkeit bewahren, muß der Besorgung der gemachten Käse mit großem Fleiße obliegen, darf der Mühe des Salzens und Kehrens der Käse sich nicht leichtfertig überheben. Aber da kann man Vorsicht anwenden bei der Auswahl, Aufsicht üben im Verlauf des Sommers, aber bei der Ehrlichkeit? Nach dem schönen Grundsatze: Dem Ochsen, der da drischet, sollst du das Maul nicht verbinden! darf der Senn und auch sein Knecht vom gelieferten Stoffe für ihre Personen brauchen, was sie mögen, aber mehr nicht. Verschleipfen sollen sie nicht, weder aus Liebe noch ums Geld, weder kaufs- noch tauschsweise. Nun hat der Senn nicht bloß alle gelieferte Milch in seinem Verschluß, sondern es ist auch ein bedeutender täglicher Handel in einer Käsehütte. Da jeder Anteilhaber sich verpflichtet, alle Milch über seinen Hausbedarf in die Käserei zu geben, so würden die, welche keine Kühe haben, besonders die Armen, um alle Milch kommen. Diese können nun ihre Milch in den Käsereien holen. Freilich geht es da nicht bloß spitzer zu mit Messen als ehedem, wo so eine Bäuerin, welche in der Milch flotschete wie Enten in einem Weiher, keinen Unterschied machte zwischen einer Maß und einem Kessel, sondern das gegenwärtige Milchmaß enthält bloß vier Pfund Milch statt wie ehedem fünfe. Man verkauft an einigen Orten auch Käsmilch, das heißt die Flüssigkeit, welche übrig bleibt, wenn der Käs gemacht ist, wenn die Anteilhaber nicht alle heimnehmen oder die Gesellschaft nicht eigene Schweine hat, welche sie mit der übrig bleibenden Käsmilch mästet. Es wird an einigen Orten auch Nidle verkauft. An allen Orten wird gebuttert, die gemachte Butter heißt Vorbruchanken. Es schließt sich nicht alle Fettigkeit im Kessel dem Käse an: erneuertes Wärmen bringt den Rest obenauf; sie wird abgenommen, man läßt sie vertropfen, gießt dann gute Nidle dazu und buttert die Mischung zusammen, bis man ihr Butter sagen kann, ists aber doch nicht recht. Sie wird akkordweise Händlern geliefert und geht pfundweise weg. Es ist also in einer Hütte nicht bloß ein täglicher, sondern fast ein stündlicher Handel, welcher dem Senn durch die Hand geht und der unmöglich beaufsichtigt werden kann, man mag es anstellen, wie man will. Und wenn man alles getan zu haben glaubt, was Menschen möglich war, so ersinnet der Senn neue Kniffe und lacht seine Bauern, welche sich klug dünkten und waren es doch nicht, weidlich aus. Sie stecken zum Beispiel Bleikügelchen in die Stricke der Wage, welche die Schale mit den Gewichten hält, schreiben weniger auf, als geliefert wird usw. usw. Steckt der Senn mit Kassier oder Sekretär unter der Decke oder gar mit dem Hüttenmeister, so ist vollends nichts zu machen.

Es zeigte sich endlich eine ganz eigene Schwierigkeit: eine fast durchgängige Opposition der Weiber gegen die Käsereien, welche allerdings großen Einfluß auf das Haus haben und die Betreibung des ganzen Milchgeschäftes durchaus verändern. Die Milch war bis dahin durchgängig unter der Obergewalt des Weibes gestanden. Das Weib führte Milch- und Butterhandel, wenn nicht zufällig der Mann so ein Märitmannli war, welches sein Körbchen gerne regelmäßig nach Bern oder Langenthal trug und das erlaubte Schöpplein sich selbst zu Gemüte führte. Das Weib nahm das Geld ein und händigte dem Manne ein, was ihm gut schien. Wenn ihm hier und dort ein Kreuzer durch die Finger schlüpfte, so brauchte es denselben nicht immer dem Manne zu bekennen, und einem Weibe aufzupassen ist noch etwas ganz anderes als einem Senn. Es konnte einen Kaffee machen und ihn trinken mit goldgelber Nidle, wie kaum ein König sie hat, es brauchte der Mann es nicht allemal zu wissen; und wenn er auch an allen Kachelen und Schüsseln roch und griff, um zu wissen, ob in seiner Abwesenheit ein Kaffee gemacht worden sei oder nicht, so wars doch leicht, ihm schlau genug zu sein, daß weder ein Kacheli nach Kaffee roch oder noch warm war. Es konnte einer armen Frau helfen in der Not, brauchte nicht genau zu zählen oder zu messen. Und wäre auch dies nicht gewesen, so war es doch immerhin eine Freude, im Milchkeller zu stehen, Milchkacheln ringsum ein oder zwei Dutzend, bedeckt mit fingerdicker Nidle, geduldig auf die Bäuerin harrend, bis sie käme, den weichen, appetitlichen Pelz ihnen abzustreifen. So eine reiche Milchbäuerin hatte was zu bedeuten und Grund zu bedeutendem Selbstbewußtsein. Käsereien ändern dieses ganze Verhältnis durchaus. Die Bäuerin erhält nur das Nötigste für den Haushalt, die Milch wandert geradenwegs in die Käserei, leer bleibt der Keller und leer die Hand der Bäuerin, welche nun nichts mehr zu verkaufen hat. Das Geld kommt in einem oder zwei sogenannten Stößen dem Manne zu, der erste Stoß gewöhnlich bei der Ablieferung, der letzte im März oder Mai, auch im März die ganze Summe auf einmal, also massenweise, was früher batzenweise einging und ebenso wieder ausging. Der Vorteil ist ersichtlich, aber bitter übel trugen es anfangs die Weiber. Abbruch an der Herrschaft geht allenthalben übel. In bitterer Milchnot schmachtete manche Haushaltung und ebenfalls in bitterer Geldnot, und schmachtete nach dem ersten Stoße wie die Israeliten nach dem ersten Regen, nachdem es drei Jahre nicht geregnet hatte.

Trotz allen diesen Schwierigkeiten mehrten sich die Käsereien rasch, und wieviele dato bestehen, steht sicherlich in den Tabellen des Direktors des Innern, aber ob es jemand weiß, das ist deswegen doch die Frage. Was das Merkwürdigste ist: je mehr Käse man machte, desto höher stiegen sie im Preise, desto rascher gingen sie ab. Der Zentner stand durchschnittlich auf fünfundzwanzig Gulden, die Maß Milch zahlt sich, die Käsmilch nicht gerechnet, über fünf Kreuzer; eine Käserei, das Hüttengeld, das heißt das Geld vom täglichen Handel eingerechnet, kann bis auf achttausend Gulden einbringen. Und ob eine oder zwei Millionen Gulden jährlich durch den Käs ins Land gebracht werden, weiß vielleicht das Handelsministerium. Es ist jedenfalls der bedeutendste Ausfuhrartikel des Kantons Bern in diesem Augenblick und ein Beweis, daß mit gesteigerter Produktion der Fleiß im Absatz sich steigert, die Preise des Produkts sich erhalten können. Einstweilen ist ein Käsgeschäft eins der besten, darum schießen alle Jahre neue Käsehändler auf, und wer nicht zu durstig dabei wird, kann reich werden. Aber es ist Geld nötig dazu, denn aufs Geld warten die Bauern nicht gerne. Geld scheint diesen Händlern aber auch nicht zu fehlen. Es soll welche geben, welche jeden Herbst zehntausend Zentner kaufen, tut die Kleinigkeit von zweihundertfünfzigtausend Gulden. Wird aber auch viel renommiert dabei; Großköpfe reden von fünftausend Zentner und verkehren nicht zweitausend.

Ob noch jetzt ein Unterschied besteht zwischen Alpen- und Talkäs, ist so genau nicht bekannt, wenigstens spricht man bloß davon: die Käse in den sogenannten Dörfern, das heißt im flachen großen Aartale, wo meist Kunstgras gefüttert wird, seien nicht so gut als die aus den Käsereien mehr den Bergen zu, wo der größte Teil der Fütterung Naturgras ist. Jedenfalls wird kaum ein Moskowite den Unterschied merken und prächtig an seinem Emmentaler leben, komme er nun von den Siebentaler Bergen oder aus einem Lehmloch oder gar vom Schüpfenmoos.

 

3 Der Ratschluß wird ausgeführt, die Käsgemeinde bildet sich, die Käsehütte entsteht

Acht Tage lang blickten keine freundlichen Sterne über der Vehfreude. Die Männer gingen umher wie wandelnde Brummelsuppen und hatten Gesichter, als ob man sie flüchtig mit einem Besenwurf beschmissen. Die Weiber glichen verstopften Schlüsselbüchsen, sprühten Funken wie glühendes Eisen unter dem Hammer, und die Kachelträger behaupteten, niemals so gute Geschäfte gemacht zu haben in der Vehfreude als in selber Woche. Indessen ging die Sache doch nicht hinter sich. Da die meisten Männer beteiligt waren, so schämte sich jeder, zurückzustehen. Kühe fanden sich mehr als genug, denn an solchen ist gottlob selten Mangel im Bernbiet. Die sämtlichen Anteilhaber, von denen jeder so viel Rechte hatte an der Käserei als Kühe, von denen er die Milch versprach, bildeten die Käsgemeinde, eine ganz eigentümliche Art von Gemeinden, deren in keinem Gesetzbuche gedacht ist. Diese Gemeinde entwirft sich ihre Statuten und ein daheriges Reglement souverän, und eine der schönsten Bestimmungen, welche fast allenthalben gilt, ist die, daß zwischen den Anteilhabern keine Prozesse stattfinden, sondern alles durch die Gesellschaft bald in dieser, bald in jener Form ohne alle Appellation zu Tod und Amen entschieden werden soll. Solche Bestimmungen wären noch anderwärts kommod anzubringen.

Die Statuten enthalten die Bestimmungen über die Bildung der Gesellschaft, die Rechte und Pflichten der Gesellschaftsglieder zu einander und namentlich auch die, daß kein Glied der Gesellschaft seine Rechte willkürlich veräußern kann, an wen es will. Will oder muß einer seine Rechte verkaufen, muß er sie der Gesellschaft selbst anbieten. Das Reglement befaßt sich mit den Behörden, Angestellten und der Verwaltung überhaupt. Während die Statuten stabil bleiben, kann man das Reglement immer verändern oder mit Zusätzen vermehren, denn man lernt nie aus und Erfahrung bringt Wissenschaft. Der beste Artikel im Reglement, namentlich in Beziehung auf Milchlieferung, ist und bleibt jedoch immer ein tüchtiger Senn mit Ehre im Leibe, der weder mit einem Bauer noch einer Bäuerin noch deren Töchtern unter einer Decke steckt. Ein guter Senn hat eine feine Nase, kennt genau die Milch, weiß ziemlich, woher gute kommt, woher schlechte. Nun ist einem guten Senn an seiner Ehre gelegen. Weit und breit werden die Käshütten bekannt, aus welchen die teuersten Mulch verkauft wurden (Mulch heißen nämlich die sämtlichen Käse, welche in einer Saison, das heißt von Mai bis Oktober, aus einer Hütte kommen). Ebenso weit erzählt man sich von den Mulchen, welche am schlechtesten oder gar nicht verkauft werden. Je teurer das Mulch, desto besser der Senn, je besser der Senn, desto höher sein Lohn, desto größer das Verlangen, oft von weither ihn zu erhaschen und wegzulocken.

Es ging eine große Zeit über Vehfreudigen auf, als ein bedeutender Teil seiner Bürger zu Gesetzgebern geriet und Statuten und Reglement ersinnen sollte. Nun, man half sich, wie man sich hilft, wenn man Verfassungen machen soll und selbst nichts davon versteht: man ließ sie von andern Orten her kommen. Aber nun war doch nichts gut genug; jeder wollte noch was hineinschmuggeln und erlisten, von dem es ihn düechte, es wäre kommod für ihn und ein Lätsch (Strick) um den Hals für Andere. Sehr interessant und belehrend wären die daherigen Verhandlungen, aber leider wurden sie durch keinen Stenographen der Mit- und Nachwelt überliefert. Das Ding wollte gar nicht vom Fleck. Redete man von A, sprang einer über zu Z, und hatte man B gemacht, so ergab sich, daß der B zu A gar nicht paßte, man bei A wieder anfangen mußte. Endlich fiel jemanden ein, im Verfassungsrate hätten sie Ausschüsse gemacht und Vorberatungen angestellt, und was Sellig getan, werde hier auch gut sein. Also geschah es, und endlich brachte man was zweg, und zwar etwas, von dem die Vehfreudiger sagten. Wes das nit heyg, su heygs de nüt meh uf Gottes Erdboden. Aber es war eine schwere Zeit, diese Geburtszeit; die Weiber klagten immer bitterer, daß die Manne nie heimkämen, und kämen sie endlich, so röchen sie nichts, schmöckten sie nichts, sie wüßten nicht einmal, sei man da oder nicht, und wenn die Weiber sich hinaus in den Schweinestall betreten, sie frügen nicht einmal, wo sie wären.

Darauf kamen die Wahlen: Hüttenmeister, Kassier und Sekretär. In der Vehfreude wohnte ein Kerl, der aus einem Pädagogen zu einem Schreiber geraten und dann auch leider Gott zu einem Amt gekommen war. Er gehörte unter die Sorte von Amtsbesitzern, welche allerdings am meisten aus dem Schreibervolk gespiesen wird, welche meinen, um volkstümlich zu sein, müsse man ein Saukerl sein und als Saukerl renommieren, um als liberal zu gelten, müsse man göttlichen und menschlichen Gesetzen Hohn sprechen, um sich beliebt zu machen, müsse man vorangehen im Bruch der Gesetze, welche zu handhaben man geschworen hat, müsse, wie ein Seiltänzer auf dem Seil, auf dem Meineid tanzen, mit täglich wiederholtem Meineid sich bei Brot erhalten. Von Anstand, Ehrgefühl, Rechtlichkeit oder gar Religion war bei diesem Kerl auch nicht die blasse Spur. Er besaß leider Gott ein Amt, machte damit Geld, ward dabei ein immer ärgerer Saukerl, bis endlich der Tag kam, wo man ihn wie ein altes, stinkendes Pfeifenröhrchen auf den Ghüderhaufen warf. Wahrscheinlich wußte er nicht, wo Paris war, sonst wäre er dort als Lumpensammler und Schelmenfreund am besten an seinem Platze gewesen. Dieser Mensch, welchen man Eglihannes nannte, hatte ein Gut gekauft in der Vehfreude, welches der Volkswitz Saubrunnen getauft. Dieser Mensch hatte nämlich einen Freund, Schützenbock genannt, sie hatten lange neben einander gearbeitet und liebten die Egli sehr. In dem Raume zwischen zwei Zwischentüren, welche ihre Stuben schieden, hatten sie sehr oft ein Gericht Egli, Beiden zu Diensten, je nachdem sie die Lust ankam. Im Brunnen, einer Art von Springbrunnen bei Eglihannese Gut, sollen mehrmals Hosen ausgeschwenkt worden sein von Solchen, welche so besoffen heimkamen, daß sie nicht wußten, waren sie in den Hosen oder außerhalb denselben. Obs der Schützenbock tat oder der Eglihannes, wußte man nicht, aber von da an ward das Gut der Saubrunnen genannt.

Diesen Eglihannes hatte man nicht gern in die Gesellschaft aufgenommen; es hatten eigentlich alle einen Abscheu vor ihm, aber Einige waren ihm Verbindlichkeiten schuldig, Einige fürchteten sich vor den Worten: Der Tag, wo er wieder obenauf komme, sei nicht weit, dann wohl, dann sollten es alle erfahren, was der Eglihannes könne. Nun wäre derselbe gerne Hüttenmeister oder Kassier geworden, aber obgleich ihm alle gute Worte gegeben, brachte er es doch nur zum Sekretär, weil niemand stark war in der Feder, sonst wäre er auch dieses nicht geworden. Wo es um den Geldseckel, versteht sich um den eigenen geht, haben die Bauern Takt, besonders bei nüchternem Leibe. Hüttenmeister wurde der Ammann, welcher die meisten Kühe hatte, und Kassier der Krämer, welcher das Geld am besten kennen und etwas vom Rechnen verstehen sollte.

Nun handelte es sich um Hütte und Platz. In Beziehung auf die Hütte war man einig. An der Hütte sollte nichts gespart, sondern gezeigt werden, daß man auf der Vehfreude sich nicht an tausend Gulden mehr oder weniger kehre, wenn die Sache was abtrage und nicht bloß so ein Gestürm sei für nichts und wieder nichts, als um etwas zu zwängen, zum Beispiel einen Schulhausbau. Es sollte die beste und kommodeste Hütte werden ringsum, mit Keller, Spycher, Holzschuppen, Wohnung, kurz was kommod sei und wohl anstehe. Ganz anders war es mit dem Platze, da war die Auswahl schwer. Man hatte Plätze zum Auslesen unter den günstigsten Bedingungen. Die Nähe war jedem bequem; je näher man dem Anrichtloche ist, desto sicherer ist man, daß man seinen Teil bekommt und die Andern unter Augen haben kann. Eglihannes hätte für sein Leben gerne die Käserei auf seinem Boden gehabt, bot ein altes Haus an fast ohne Zins, oder zu einem neuen Hause den Boden unentgeltlich, nur solle man ihm Fuhrungen schenken. Aber der Ammann, der keine Verbindlichkeiten gegen ihn hatte, bemerkte spöttisch, das Anerbieten wäre schön, aber er scheue das Wasser dort, er fürchte, das Milchgeschirr möge es nicht ertragen, und die Käse könnten eine Abchust (Beigeschmack)erhalten. Das war starker Schnupf, aber Eglihannese Fell war gut gegerbt; schon als er noch im Amte war, konnte man ihn Hurenhund, Schelm, Spitzbub heißen, er machte sich nichts daraus, begreiflich aus guten Gründen. Eine solche Stellung eines Beamteten trägt gar sehr zum Ansehen und zur Befestigung einer Regierung bei, welche solche Beamtete anstellt. Hat es aber auch erfahren!

Die Auswahl harzete, wollte nicht vom Fleck. Es war jeder Mann eigentlich nichts als das Mundloch seiner Frau und hatte seine bestimmten Instruktionen, und kam etwas Neues, so durfte er es nicht anders als ad referendum nehmen und seinem Weibe vortragen. Die Weiber waren aber ungeheuer kitzelig und mißtreu, sie hatten gehört, was es könne, wenn eine Bäuerin darnach zu nahe bei der Käserei wohne, nur die eine fett werde, alle andern dagegen ermagern müßten. Wegen dem Fettwerden hätte Keine protestiert, aber ermagern wollte Keine. Jede wollte also die Käserei bei ihrem Hause haben oder aber so gelegen, daß keine Andere den Vorteil hätte und man rundum dazu sehen könne, wer hineingehe und wer herauskomme.

Der passendste Platz war offenbar im Nägeliboden, und der Besitzer hätte ihn gar zu gerne und wohlfeil gegeben. Der Nägeliboden war ein mittelgroßes Heimwesen, lag zwischen dem Dürluft und dem Dorfe, ungefähr in der Mitte der Käsgemeinde. Über klaren Kiesgrund floß das schönste Quellwasser; der Hof sah mager aus, baufällig das Haus, doch lag es mitten in sauber gehaltenen Bäumen von üppigem Wuchse; es gehörte einem jungen Ehepaare, welches, wie man zu sagen pflegt, chum tun mußte bei vielen Schulden und verwahrlostem Besitz. Diese Eheleute hatten jedoch ihre unangenehme Lage nicht selbst verschuldet; Sepp, so hieß der Bauer, hatte sie von seinen Eltern geerbt. Nicht bloß Gut und Geld erben die Kinder von den Eltern, sondern auch Sünden und Schulden. Sepps Eltern hatten zu den Leuten gehört, von denen die Änderungen in der Welt nicht herkommen, zu der behaglichen Sorte, welche viel auf ihrer Sache halten, daneben nur tun, was sie müssen, das Übrige schlitten lassen; so bauten sie den Hof, so erzogen sie die Kinder. Sepp war der älteste Knabe; er schlug aus der Art, war rasch, tätig, ward früh die Seele des Hauswesens, und die Alten ließen ihn gewähren. Da kam als Magd Bethi ins Haus. Bethi war guter Leute Kind, welche aber herabgekommen und vergeltstagt waren. Bethi war, wie alle Mädchen sein sollten, hübsch und gut, schmuck und fleißig. Sepp gewann Bethi lieb, diese hatte nichts dagegen, sondern tat ebenso. Desto weniger anständig war es Sepps Eltern und seinen Geschwistern. Sie hatten die Rechnung gemacht, Sepp solle reich heiraten und so wieder einbringen, was sie vertan. Dies ist eine Rechnung, welche sehr häufig von Eltern gemacht wird. Sepp hätte dieser Rechnung genügen können, aber er wollte nicht, die Liebe zu Bethi gabs nicht zu. Das nahmen die Eltern übel, taten wüst, die Geschwister noch wüster, bis Bethi den Dienst verließ und einen Platz als Stubenmagd in einem Wirtshause annahm, des größern Lohnes wegen. Darauf verließ auch Sepp das Haus, er glaubte besseren Lohn verdient zu haben als solch unbegründetes Wüsttun. Bethi und Sepp dagegen verließen einander nicht, arbeiteten und schafften, um zu einem Boden unter den Füßen zu kommen, auf den ein freundliches Dasein sich erbauen ließe. Diesen Boden unter den Füßen sucht die jetzige Jugend in ihrem Leichtsinn und ihrer Liederlichkeit gar zu selten, daher so viele Arme unter uns und so Viele, die nichts sind als faul wie Mist. Mit den Beiden war aber auch der Segen aus dem Hause gewichen. Die Eltern hatten keine Macht über die andern Kinder; diese machten sich berühmt durch Faulheit und Liederlichkeit, verkegelten und verhoffärtleten, was noch da war, so daß, als die Eltern starben, das Bedenken groß war, ob das Erbe auszuschlagen oder anzutreten sei. Sepp hing an seiner Heimat, er war noch von dem alten Schrot und Korn und hätte auch geantwortet: Das lasse der Herr ferne von mir sein, daß ich der Väter Erbe sollt geben! Aber so ein verwahrlostes Wesen zu übernehmen, ist etwas Heilloses, es gleicht einem bodenlosen Sumpf, der alles verschlingt und dabei immer der gleiche Sumpf bleibt. Bethi und Sepp hatten ein recht schönes Stück Geld verdient; aber als sie anfingen auszulösen, was in Gläubigershänden war, anzuschaffen, was fehlte, zu bezahlen, was alsbald bezahlt sein mußte, da war ihr Geldlein wie nichts, wie Wasser auf heißen Stein gegossen. Wie groß eine verdiente Summe auch scheinet, sie ist, wenn man einen Haushalt errichtet und noch dazu einen mit Kühen und Pferden, wie Schnee, auf den im März die Sonne scheinet. Beide hatten den Grundsatz, nicht vorzufressen, wie man sagt, das heißt nicht auf die Hoffnung besserer Einnahme hin Sachen zu kaufen oder machen zu lassen, sie wußten, wie man auf diese Weise immer die Rechnung ohne den Wirt macht; sie wollten so allgemach vorwegräumen, je nachdem sie dazu die Mittel in Händen hätten, unterdessen sich leiden so gut als möglich. Sie hielten fest an diesem Grundsatze, obgleich dies unendlich schwer ist, wenn es in Haus und Ställen überall fehlt, wenn das Dach schlecht ist, der Hof zu mager, kein rechtes Eingericht irgendwo. Wenn zum Beispiel eine reiche Flachsernte zu erwarten war, kam es sie an, daraufhin etwas Neues anzuschaffen, etwas bauen zu lassen, der Ertrag schien ihnen so sicher; indessen sie überwanden sich. Es kam ihnen eine unerwartete Ausgabe, die Röße fehlte, der Flachs fiel beim Brechen unter die Breche; hätten sie sich verführen lassen, auf den Flachs hin vorzufressen, so wäre ihnen eine neue Schuld entstanden, um so viel wären sie in Krebs gekommen. Sie hatten mehre Jahre so ausgehalten, aber sie vermochten es bloß, weil sie einander so treu waren und sich gegenseitig so lieb hatten. Ihre Lage kam ihnen oft akkurat vor wie eine Bettlerkutte, welche mürbe ist um und um; rührt man sich, so gibt es ein Loch, flickt man links, so kracht es rechts, macht man dort zu, so platzt der Rücken, fertig wird man mit Flicken nie, und vom Flicken hat man nichts als alle Tage eine ärgere Bettlerkutte. Sepp und Bethi verzagten aber nicht, sie dachten, der alte Gott lebe noch, der mit den Treuen und Fleißigen sei, und einmal werde doch der Tag kommen, wo der Sumpf Boden gewinne und über der Oberfläche sichtbar würden die Steine, welche man in denselben geworfen.

Als Sepp, der nicht beim Beschluß zur Errichtung einer Käserei war (denn er ging im Laufe des Jahres nicht sehr oft ins Wirtshaus ohne seine Frau oder ohne besondere Veranlassung), aufgefordert wurde, an der Käserei teilzunehmen, schüttelte er anfangs den Kopf dazu. Er hatte viel Schlechtes davon gehört, wie sie Ehestreit mache und die meisten Bauern darob verarmten. Er behielt sich Bedenkzeit vor und wollte dies auch seiner Frau vorstellen. Seine Nachbarn lachten und sagten: Wenn sie es so hätten machen wollen, sie hätten ihr Lebstag keine Käserei zustande gebracht. Er glaube es, hatte darauf der Sepp gesagt, es komme darauf an, was man daheim für Weiber habe. »Du wirst auch keinen Engel haben«, hatten die Männer gesagt. »Lauf das Land auf, das Land ab, du findest keinen Kittel, wo dr Tüfel nit Haar drinnen hat.« Sie erzählten aber doch daheim, was der Sepp gesagt und wie es sie wunder nehme, was da beschlossen werde.

Sepp war seines biedern Wesens wegen und weil er trotz seiner beschränkten Lage dienstfertig war wie der reichste Bauer, den Meisten lieb, und auf seine Frau hielten die Männer große Stücke, weil sie so brav schaffte und so wenig brauchte, so schmuck immer war und doch so durchaus nicht hoffärtig. Die Männer hatten sie gar oft vor ihren Weibern gerühmt und sie zum Exempel gegeben. Wer die Weiber kennt, weiß, wie so was angeht und wie es wirkt ärger als Teufelsdreck und Höllenstein. Sie hatten Bethi von Anbeginn gehaßt, und alle Tage war der Haß größer geworden. Bethi war eine Fremde, und wenn Sepp schon nicht reich war, so war er doch ein schöner Bursche, von guter Familie, besaß ein Heimwesen, gehörte also zu den Bauern. »Dem wäre es wohl angestanden, ein Mädchen aus dem Dorfe zu nehmen, und einen Kreuzer Geld dazu hätte er brauchen können; jetzt kann er sehen, wie er mit dem Mensch fährt, das Stubejungfere gsi ist, und was so eine ist, weiß man ja zu Stadt und Land«, so räsonierten die Weiber. Als es aber ging, Bethi am Angstkarren zog und schwitzte unermüdet, nie über den Mann klagte, wohlgemut schien, keine Schlampe ward, sondern ein schmuckes, schönes Weib, dem alles wohl anstand, da ward Bethi noch bitterer gehaßt. Wenn irgend einer der Männer sich beigehen ließ, ein Wort darüber fallen zu lassen, wie ihm dies oder jenes an Bethi gefalle, wohl, da ward er angebrüllt: Wenn man den halben Tag vor dem Spiegel wäre und das Beste vorabfressen täte, so nehmte sie wunder, ob sie nicht auch fett und schön würden; aber wohl, da könnte man dann sehen, wie es der Haushaltung ginge! War der Mann klug, so schwieg er, war er etwas angetrunken, so sagte er wohl: Oh, Sepps Haushaltung ginge es so übel nicht, man sehe ihr keinen Mangel an, und so tief, wie er drin sei, müsse die Frau ihre Sache machen, sonst wäre er längst über Bord. Wohl, da ging dann das Donnerwetter noch schrecklicher los, und alle Männer im ganzen Dorfe mußten schuld daran sein, daß die Nägelibäuerin so schmuck und schön sei und Sepp noch nicht über Bord. Aber ein schlechter Kerl müsse Sepp auch sein oder dumm, sonst hätte er der Sache längst ein Ende gemacht; aber warte er nur, wenn er nichts merke, wolle man es ihm mit der Saukelle einschütten, bis es ihm über dem Hemliskragen herauslaufe.

Die Weiber samt und sonders, von Stüdi weg bis zur Viktoria, halten sich für makellose Göttinnen, welche unbedingt angebetet sein wollen, von ihren Männern wenigstens. Daher kommt es, daß man unter den Weibern mehr Göttinnen findet als Christinnen. Das kommt eben von der Eva her, welche Gott gleich werden wollte.

So stand Bethi zu den andern Weibern in der Vehfreude; aber wir müssen sagen, es kümmerte sich wenig darum. So eine rechte Bäuerin hat keine Zeit zu Visiten, und hat sie einmal Zeit, ordentlich abzusitzen, so nimmt sie gern ein gutes Buch zur Hand und erbaut sich darin. Es gibt aber leider auch solche, welche jahraus, jahrein kein Buch zur Hand nehmen, kein weltliches, geschweige denn ein geistliches, welche keine andere geistige Nahrung haben als die, welche Klapperweiber ihnen zutragen. In solchen Köpfen muß es doch höllisch aussehen!

Sepp brachte also die Sache Bethi vor, äußerte seine Bedenken, wie er denn doch nicht möchte, daß so eine Käserei ihnen den Unfrieden ins Haus brächte oder gar sonst noch größere Verlegenheiten. Darauf sagte Bethi: »Wie mans treibt, so hat mans. Es wird kein Gesetz sein, daß es allenthalben gleich gehen, allenthalben man sich damit plagen müsse. Ich hülfe probieren mit Verstand, vielleicht daß wir hierin Glück haben. Mit Butter- und Milchverkauf kommen wir nicht weit, es ist hier der Absatz nicht, und das Geld kommt gar verstümpelt ein und oft gar nicht, daß man wenig damit machen kann.« Beide rechneten nun, wenn sie täglich von vier Kühen die Milch abgeben würden, so behielten sie immer noch genug für sich und dürften am Ende des Käsjahres bei den üblichen Preisen auf wenigstens zweihundert Gulden hoffen, ein großes Stück Geld zu den Zinsen, welche sie jährlich zu entrichten hatten. Bloß die Bau- und Einrichtungskosten plagten sie. Wenn sie den Bauplatz, der so schicklich wäre, der Gesellschaft verkaufen könnten, so wäre ihnen gut geholfen, wie wohlfeil sie ihn auch anschlugen, dachten sie.

So friedlich ward getaget im Nägeliboden, und wohlgemut und unversehrt im Gesichte unterschrieb Sepp für vier Rechte. Das mehrte begreiflich die Zuneigung der Vehfreudigerinnen zu Bethi nicht, als die Männer ihnen vorhielten, wie verständig Bethi sich benommen und wie mit der doch noch ein vernünftiges Wort zu reden sei. Das vermehrte aber auch nicht die Hoffnung, die Käserei auf den Nägeliboden zu bekommen; viel lieber hätten die Weiber dieselbe oben im Dürluft gesehen, wenn nicht die meisten, um zum Dürluft zu kommen, beim Nägeliboden hätten vorbeigehen müssen.

Als es bekannt ward, daß vom Nägeliboden die Rede sei und Sepp den Platz dazu wohlfeil angeboten, da gab es in der Vehfreude Geschrei und Lärm, wie nie erhört worden. Ein alter Küher hat erzählt: Einmal, als er auf der Alp gewesen, habe es geschneit, daß er die Kühe zwei Tage in der Hütte habe behalten müssen, und Futter hätte er keine Handvoll gehabt, den Kühen hätte er nichts geben können als zweimal des Tages die Milch, welche er ihnen ausgezogen. Nun hätten seine siebenzig Kühe gebrüllt, daß Boden und Hütte gezittert. Schrecklicheres habe er sein Lebtag nicht gehört, es hätte ihn fast zur Verzweiflung gebracht; er hätte den Kopf ins Bett gestossen, er sei durch den Schnee weitweg geflohen, aber dem Gebrülle habe er nicht entrinnen mögen, er habe es noch wochenlang nachher in den Ohren gehabt. Wäre aber der alte Küher zu selber Zeit in der Vehfreude gewesen, er hätte noch ein ganz anderes, viel schrecklicheres Getöse vernommen, welches die fünfzig bis sechzig Weiber in der Vehfreude verführt. Wenn der Teufel mit seinen schwarzen Engeln die fünfzig bis sechzig Männer dieser Weiber sichtbarlich durch die Lüfte davongeführt, es hätte sicherlich nicht so nötlich getoset. Manche hätte das Maul gehalten und gedacht: Mira! Wenn si ne ume nit leu falle vor dr Zyt! Daß die Männer alle das Recht haben sollten, alle Tage zur Käserei zu gehen, der Nägelibäuerin vor die Augen zu stehen, das kam ihnen unendlich schrecklicher vor, als wenn sie ihre Männer sehen täten im Fegfeuer an langen, langen Bratspießen über dem Feuer, als wären es Leipziger Lerchen. Es ging darum den Männern auch wie dem alten Küher, es war ihnen, wenn sie das Getöse nur loswären, die Weiber um Gottes willen nur wieder schwiegen und der Nägeliboden da wäre, wo der Pfeffer wächst.

Als endlich Käsgemeinde gehalten wurde, um einen Beschluß über den Platz zu fassen, da kriegten Fische Sprache, hielten Reden, die wie Stutzerkugeln durch dreizöllige Laden gegangen wären. Es lag in ihnen ein tiefes Bewußtsein, wenn es auch nicht um Leib und Leben gehe, so gehe es doch um Haut und Haar. Absonderlich der Eglihannes redete schön, denn er wäre nebenbei auch gerne Zahlmeister bei dem Bau geworden. Er hatte es wie ein Zägg, der, einmal in eine Schafhaut eingebissen, auch nicht wieder heraus will, bis er dick wie eine Kröte geworden. Eglihannes konnte nicht mehr vom Volke lassen; Eglihannes mischte Politik in seine Rede, warf hämische Blicke auf Aristokraten und Jesuiten. Mit dem wahren Grunde rückte, wie üblich, begreiflich niemand ins Feld. Endlich gab der Ammann den Ausschlag, der sagte: Mitten im Dorfe sei ein freier Platz, welcher niemanden gehöre, wenn ihn nicht etwa die Gemeinde in Anspruch nehme. Die werde aber kaum was sagen, er hülfe daher dort abstellen; der Platz sei gut und koste nichts. Die Gründe waren einleuchtend, und daß niemand Einwendungen machen werde im Namen der Gemeinde, da der Vorschlag vom Ammann selbst kam, das wußte der Ammann wohl am besten.

Eglihannes ward auch nicht Zahlmeister; er war stark im Verdacht, einen Naturfehler zu haben, welcher in Zahlen sehr irrt, nämlich zu lange Finger zu besitzen. Ein Verwandter des Ammanns, der ganz nahe bei dem erkorenen Platze wohnte, ward erwählt. Er war eben kein Hexenmeister im Rechnunggeben, und mit Beilagen machte er sich keine große Plage. Im Einnehmen hieß es entweder »Eingenommen« oder »Empfangen«; im Ausgeben »Ausgäben« oder »Geld gäben« und weiter nichts. Da er des Ammanns Vetter war und die Vehfreudiger den Grundsatz hatten, es sei gut, wenn Keiner dem Andern, das heißt kein Vehfreudiger dem andern (Eglihannes war Hintersäß) zu genau auf die Finger sehe, so ward seine Rechnung nach obigen Ansätzen sanktioniert ohne Beilagen, akkurat als wäre es eine Staatsrechnung, visitiert durch eine Staatswirtschaftskommission. Bei Privatrechnungen nimmt man es gewöhnlich genauer.

Nach langem Werweisen und Auslesen ward endlich ein Käser angestellt und ihr gegenseitiges Verhältnis auf einen Akkord abgestellt. Dieser war noch viel verfluchter als das Reglement, alle Vehfreudiger hatten darin ersinnen und erlisten helfen, bis sie endlich sämtlich erkannten, es müßte einer schlimmer als der Teufel sein, wenn er noch etwas machen wollte; sie wüßten nicht, was sie lieber wollten, als Senn einen solchen Akkord unterschreiben oder einen Strick sich um den Hals machen lassen. Der Senn aber unterschrieb ganz kaltblütig, daß es den Bauern katzangst den Rücken auflief. Entweder sei das ein Lappi wie Keiner oder der verfluchtest Spitzbub unter der Sonne, sagten sie.

Die öffentlichen Angelegenheiten wurden auf das Eifrigste besorgt, die Ausschüsse aller Art stellten sich tapfer, säumten mit nichts, und als endlich auch das Käskessi anlangte, schien das Düpfli auf das i gesetzt. Es war ein gewaltiges Ding, wog mit der Handhabe über dreieinhalb Zentner und hatte einen Bauch, daß man darin nicht bloß für die Arche Noah, sondern für die sämtlichen Kinder und Kindeskinder von Sem, Ham und Japhet die beliebten Linsengerichte kochen konnte.

 

4 Wie die Bauern für greisete Kühe sorgen

Die öffentlichen Angelegenheiten waren beseitigt; es war aber auch gut, denn Privatsachen nahmen nun jeden sattsam in Anspruch. Jetzt mußte in den Ställen dafür gesorgt werden, daß man greisete Kühe habe. Was das bedeutet, wissen sicher weise Leute nicht, und wenn einer den Weg unter die Füße nehmen würde und liefe den sieben berühmten Göttinger Professoren nach, was gilt die Wette, sie wüßten es alle sieben nicht! Daß das Wort reisen und greiset sich nicht auf Reisen über Land und Meer beziehen kann, wird den meisten Lesern sicherlich in die Augen fallen. Wirklich ist es in Beziehung auf die Nutzbarkeit einer Kuh gleichgültig, ob sie im nämlichen Stall geboren und geblieben oder die halbe Welt durchwandert habe, und in Beziehung auf Bildung möchte das Sprüchwort von der Gans auch auf die Kuh anwendbar sein: Kuh über Meer, Kuh wieder her. Ja wir haben Grund zum Glauben, je mehr eine Kuh auf der Straße sei, desto schlechter stehe es bei ihr mit der Milch.

Eine greisete Kuh ist eine solche, welche gerade zur gelegenen Zeit die meiste Milch gibt; eine für die Käserei greisete Kuh gibt während der Käszeit die meiste Milch. Die meiste Milch gibt aber eine Kuh gleich nach dem Kalben, besonders wenn sie zugleich mit grünem Futter gefüttert werden kann. Mit Beginn der grünen Fütterung beginnt man das eigentliche Käsen. Die am besten greisete Kuh ist also die, welche ihr Kalb beim Beginnen der Käszeit erhält. Nun hat man im Allgemeinen nicht ungern, wenn Kühe ins Grüne oder zum Grünen kalben, wie man poetisch sich auszudrücken pflegt. Indessen, wo man nicht käset und mehrere Kühe hat, hat man es am liebsten, wenn das Kalben sich verteilt, so daß man immer die gehörige Milch hat das ganze Jahr durch. Tritt also ein Bauer in eine Käserei, so scheint das die Hauptsache, daß er lauter greisete Kühe habe, das heißt solche, welche alle auf einen Tätsch als wie aufs Kommando kalben, und zwar ins Grüne und womöglich gerade fünf Tage vor Anfang des Käsens. Das mache einen Unterschied, heißt es, ob man ds Halb mehr oder ds Halb weniger Milch täglich liefern könne. Die Rechnung ist richtig und ds Halb mehr Milch wäre prächtig, wenn nicht jedes Ding wenigstens zwei Seiten hätte.

Wer also ungreisete Kühe hat und greisete will, muß kaufen oder tauschen und schweres Geld zusetzen, per Stück drei, vier und mehr Louisdor, wenn er sie von gleicher Schwere will; denn zur Zeit, wo man eben die Kühe zu reisen pflegt, sind im Verhältnis die ungreiseten viel zu wohl, feil, die greiseten viel zu teuer. Hat so ein Bauer seine zwanzig Dublonen zugesetzt und meint Hans oben im Dorfe zu sein mit seinem Stall voll greiseter Kühe, so fehlt es hier, fehlt es dort; die Zeit des Kalbens war falsch angegeben, die Euter finden sich schlecht, das Kalben geht bös, die Kuh gibt keine Milch; er milcht nicht halb so viel, als er gehofft, er ist beträchtlich angeführt, denn bekanntlich gibt es keinen betrogeneren Handel als den Kuhhandel. Will er, um dem Schaden beizukommen, die erhaltenen Kälber verkaufen, so will ihm niemand etwas dafür geben, sie sind unwert; denn bekanntlich blöken nie mehr Kälber in der Welt herum als im Frühjahr, wenn in den Städten die Vorlesungen, auf dem Lande die Käsereien ihre Arbeit beginnen.

Nun kann man sich denken, was das für Lärm und Läuf gibt, was das für Geld und Redens braucht, wenn eine ganze Dorfschaft die Kühe reisen und jeder Bauer sie noch verflüchter will greiset haben als der andere. Man kann sich denken, daß es da wieder sehr interessante Hausgeschichten gab, welche aufzufassen fast so viel Papier erfordern würde als die Ratsverhandlungen. Wir wollen uns daher wieder auf die zwei Haushaltungen beschränken, welche wir bereits etwas näher ins Auge genommen, vielleicht näher, als es ihnen selbst lieb ist.

Im Dürluft war große Verlegenheit; ungreisete Kühe und kein Geld – und greiset mußten sie sein, und sollte es Magdeburg kosten. Aber wie machen? Das war eben die Frage, deren Lösung über Peterlis und seines Eisis Verstand ging. Eisi schickte Peterli zum Kassier mit der Frage, ob es nicht zu machen wäre, daß man das Käsgeld vorausziehen könne oder wenigstens etwas auf Abschlag. Es dünke ihns, es sollte den Käsherren noch lieb sein, brauchten sie doch dann das Geld nicht zu hüten ein ganzes Jahr lang. Als aber Peterli mit der alten Antwort heimkam, das Fell lasse sich nicht eher verkaufen, als bis man den Bären hätte, begehrte Eisi schrecklich auf. Das sei ein verfluchter Zwang, sagte es; es sehe schon, es gehe hier auch alles nach Gunst. Für das Schyßhüttli hätte man zahlen können, es hätte keine Art gehabt, und jetzt, wo man auch was wolle, könne man nichts kriegen. Wenn es der Ammann gewesen wäre, jawolle, da wäre schon Geld dagewesen für dä Donnstigs Großgring, wo die Käserei auch seiner Frau unter das Gloschli erzwängt habe. Wohl, die und der Senn werden was können!

Eisi schickte Peterli aus, Geld zu leihen, tausend Gulden, oder so viel er könne. Tausend Gulden mehr oder weniger gingen in einem zu; könne man tausend Güldlein mehr nicht verzinsen, könne man das Wenigere auch nicht. Und wenn schon etwas vorschieße für die Notdurft, so sei es mehr als kommod, man sei ein ganz anderer Mensch, wenn man Geld im Hause habe, als wenn man keins habe, so kalkulierte Eisi. Aber Peterli fand in der ganzen Vehfreude, und so weit er sonst bekannt war, kein Geld. Es sei nicht, und was man habe, brauche man selbst, hieß es allenthalben. Das sei verfluchtet Verbunst (Mißgunst), sagte Eisi; man wolle sie plagen, daß sie nicht viel Milch liefern könnten. Peterli solle mit Gschriften laufen zum Amtschreiber, der wisse immer Geld, und es müsse kurios sein, wenn er nicht froh wäre, Geld auf den Dürluft zu geben, und dann noch mehr als tausend Gulden, und Peterli solle nehmen, so viel der Amtschreiber geben wolle.

Peterli lief ab, aber traurig kam er wieder. Der Amtschreiber habe gesagt, berichtete er, das Geld sei rar, und auf dem Unterpfand seien Vorgänger, und selbe liebe man nicht. »Jch glaube es«, schrie Eisi, »der alte Hagel hat die Vorgängerinnen lieber; wenn dere wären, dann hätte der schon Geld!« »Aber er hat mir gesagt, wenn ich mir die Mühe nehmen wollte, so fände ich in Bern Geld, so viel ich wolle. Es sei dort ein neues Eingericht, daß wer mit zwei guten Bürgen bezeugen könne, er sei von der neuen Meinung und habe den Glauben, die neuen Herren seien die rechten und keine Andern, Geld bekomme wie Heu, und an den Zinsen gehe das Kapital ab, es sei auf das Kommodeste eingerichtet«, berichtete Peterli.

»Lauf, Peterli, lauf, der Donner, lauf, so streng du magst, du könntest sonst zu spät kommen!«schrie Eisi.»Nimm Hansli mit im Schorgraben und Fritzli uf dr Blütti, sie sollen dir Bürg sein und auch nehmen, werden froh sein, und denen kannst du meinetwegen auch Bürg sein. Weniger als zehntausend Gulden nimm nicht; sag drinnen nur, die verfluchten Aristokraten und Patrioten, Jesuiten und Eidgenossen brächten uns sonst noch um den Dürluft!« Peterli lief ab, kam aber traurig wieder und ohne Geld. Ein kleiner, hässiger Mann, akkurat wie ein angekleideter Affe, hätte ihnen Bescheid gegeben und sie schrecklich ausgehöhnt; die Sache sei ihnen verleidet, hätte er gesagt, die Unterpfänder seien nichts wert gewesen, hätten alle die Auszehrung bekommen, wenn man sie habe fassen wollen, er solle zu den Berner Herren, die hätten Geld, wenn sie geben wollten, so erzählte Peterli. »So!« schrie Eisi, »sy das scho mutz Bese, kum es Jahr u scho nüt meh nutz. Es geht mit der Sach mit Schyn wie mit allen andern; es ist alls nichts mehr nutz, kaum hat man es in den Fingern, so ists nichts mehr wert, u mi mueß sih zUnnutz plage.« Das kam Eisi stotzig vor und fast vor den Atem. Und jetzt, was machen?

Einstweilen predigte Eisi seinem Peterli von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, er sei der Allerleideste unter den Männern, dr dümmst Hung unter der Sonne. Jeder andere Mann wüßte sich doch zu helfen, aber er wisse nichts anzufangen, in aller lieben Gotts Welt nichts! Sie fragte, ob er nicht eine Base oder einen Vetter hätte, wo er erben könne. »Nicht daß ich wüßte«, antwortete Peterli. »Es müßte neuere sy, daß ich nicht wüßte.« »So«, sagte Eisi, »so, nichts zu erben, nirgends einen Vetter oder eine Base oder e Götti und Gotte?« »Sy gstorbe«, antwortete Peterli kleinlaut. »Hätte ich gewußt«, sagte Eisi, »wie das ist, nicht mit dem Hintern hätte ich dich angesehen! So eine schlechte Familie, wo auch gar nichts zu erben ist, nicht einmal Götti und Gotte mehr leben, ist mir doch auf der Welt noch nie vorgekommen.« »Und dann deine«, sagte endlich Peterli, wenn Eisi gar zu zornig ward, »was ist denn das für eine, was ist da zu erben?« »Die geht dich nichts an, weißt du es!« schrie Eisi, »hell nichts! Es ist eine Zeit gewesen, wo in meiner Familie geerbt wurde wie in keiner mehr das Land auf, das Land ab. Aber diese ist vorbei, für die bist du zu spät aufgestanden; wo etwas Gutes ist, da kommst du in Gottes Name hintendrein, du Trappi, was du bist, du Tschalpi!« Peterli hätte gerne gesagt, zu Eisi wenigstens sei er früh genug gekommen, werde aber eben nichts Gutes gewesen sein. Aber Peterli war gewohnt, an allem schuld sein zu müssen; er hätte es angenommen, wenn Eisi ihm vorgeworfen, er sei schuld daran, daß auf dem Dürluft der Wind gehe.

Die Zeit rann weiter, fragte nicht, ob im Dürluft die Kühe greiset seien oder nicht. Die greiseten Kühe wurden alle Tage teurer, die ungreiseten alle Tage unwerter. Eisi fuhr fast aus der Haut geradezu in Peterlis Haare. Das müßte aber wirklich zu den unangenehmsten Dingen auf der Welt gehören, so eine aus der Haut gefahrene Frau in den Haaren zu haben. Der Teufel weiß, wie lange man sie da haben müßte, besonders seit die Hintersäßgelder abgeschafft sind und freie Niederlassung in der ganzen Eidgenossenschaft! Da kam eines Abends der Polizeidiener mit einem Briefe. Man hat nämlich im Kanton Bern das sehr große Talent, allen Angestellten ein Nebentürlein oder mehrere zu eröffnen zu Privatverdienst oder Privatvergnügen, daß von der Hauptsache endlich gar nicht mehr die Rede ist. Dieses scheint ganz besonders mit der Polizei der Fall zu sein, wo man Angestellte hat zu allem Möglichen, aber wie viele sich um die eigentliche Polizei bekümmern, das möchten wir gerne einmal hören, so wie wir gerne einmal einen schriftlichen oder mündlichen Rapport vernehmen würden über das Maß der Liebe und der Achtung, welche der Polizeiminister im Lande genießt.

Also einen Brief brachte die Polizei, durch deren Hände demnach die meisten Briefe laufen; sechs Kreuzer sollte er kosten. Jä, sechs Kreuzer für ein Lumpenpapier, in welchem nichts ist, sondern bloß etwas steht, was man vielleicht gar nicht zu wissen begehrt, die lassen sich bedenken, besonders wenn man sie nicht übrig hat, sondern viele hundert Franken zu wenig. »Gehe damit wieder hin, wo du hergekommen; es könnte ein jeder Narr uns so einen Wisch schicken und sechs Kreuzer darauf machen, wenn wir einmal Narrs genug wären, sie zu bezahlen«, schneuzte Eisi. »Ja, Frau«, sagte die Polizei, »sieh, was du machst mit solchen Briefen läßt sich nicht narren; man hat Beispiele, daß es Leuten mehr als hundert Taler geschadet, weil sie sich Briefen nicht geachtet. Und wenn ich ein Bauer wäre, welcher sechs Kühe im Stalle hat und manchmal sieben, so würde ich mich doch schämen, wegen sechs Kreuzern einem armen Mannli, wie ich bin, den Brief an der Schatzig zu lassen.« »Sechs Kühe hin, sechs Kühe her«, sagte Eisi, »deswegen ist noch nirgends geschrieben, daß man dir für jedes Papier, welches du bringst, sechs Kreuzer geben müsse. Das Papier würde rar, wenn man jedem Halunken dasselbe so teuer abnehmen müßte.« »Rede du nur«, sagte die Polizei, »wenn ihr sechs Kreuzer hättet, ihr würdet den Brief nehmen, aber die habt ihr nicht, da fehlts!« Das ging Eisi nicht bloß ins Leder, sondern ins Fleisch. »Wirst meinen, wir hätten es wie du«, sagte es; »mit dir zähl uns nicht zusammen! Da hast deine sechs Kreuzer; aber jetzt wart und lue, was in dem Papier ist, und wenn es das ist, für was ich es halte, so sieh, wie es dir geht!«

Peterli machte den Brief auf, Eisi stand neben ihm, streckte seinen Kopf vor Peterlis Kopf, hinter ihnen stand der Briefträger und sah zu einer Lücke hinein. Eisi fuhr zurück und schrie: »Das ist ein Vexierbrief! Der ist nit gschribe, das ist ume Gehafel!« »Glaub nit«, sagte Peterli,»aber allem an ist es Welsch.« »Oh, neue nit«, sagte der Briefträger, welcher den Brief zur Hand nahm und vor die Augen hielt. »Allem an ist es die neue Gschrift, welche aufkommt in den Schulen, man nennt sie die deutsche. Ich verstehe mich auch nicht darauf, aber sie soll schöner sein als die alte.« »Dreck«, sagte Eisi, »und jetzt, willst ihn wieder nehmen und die sechs Kreuzer wieder geben, wohl und gut, sonst mußt du verklagt sein, und das mußt.« »He«, sagte der Briefträger, »ehe ich das Wüstest alles machen würde, wollte ich doch sehen, ob mir ihn niemand lesen könnte. Wir wollen zum Schulmeister gehen, der macht es akkurat auf diese Weise und wird es notti doch wohl lesen können.« Selb sei die Frage, sagte Eisi; kribeln und kratzen könnten alle Hühner, und noch nie habe es von einem gehört, welches habe sagen können, was sein Kribeln zu bedeuten hätte. »Zu wem dann?« fragte der Polizeimann.

Siehe, da half die Vorsehung! Eglihannes im Saubrunnen trappete daher einer Wirtschaft zu, welche ihm besonders anständig war, wo ihn oft am Morgen die Sonne fand, wo sie ihn am Abend gelassen, wo man gar nicht wußte, was ihn mehr festhielt, war es Spiel, Wein oder Wirtin. »Seh«, sagte Peterli,»bist fast wie ein Gelehrter, kannst das?« Mit verächtlichen Mienen riß Eglihannes das Papier an sich, und um zu zeigen, daß er es gleich vorweg könne vom Blatt, ohne es vorher zu studieren, begann er alsbald zu lesen. Später sagte er oft, in den Haaren kratzend, das Dümmste, was man machen könne, sei, wenn man so mir nichts, dir nichts den Leuten ablese, was sie einem zu lesen brächten. Sei man zu Hause, solle man ihnen sagen, sie sollten morgen wieder kommen und den Brief dalassen, jetzt hätte man nicht Zeit; kämen sie zu einem außer dem Hause, solle man den Brief nehmen und ebenfalls sagen, sie sollten morgen wieder kommen, man habe den Spiegel (Brille) nicht bei sich. Lese man gleich von der Hand weg, lese vorweg, ohne zu wissen, was nachkomme, könne man sich zwei- bis dreihundert Gulden schaden, er habe es erfahren. Er las nämlich, freilich unter Stammeln und Stottern, besonders gegen das Ende zu: Stampfimichel im Hühnerloche, an welchem Peterlis Vater dreihundert Gulden verloren, habe schön geerbt, und wer seinen Nutzen zu rechter Zeit bedenke, könne Schadens einkommen.

Wenn die Sonne um Mitternacht plötzlich am Himmel stände, sie könnte nicht mehr verrichten als dieser Brief. Was Peterli, Eisi und der Polizeier für Gesichter machten! Nur Eglihannes sah finster aus und grännete (schüli, würde ein Zürcher sagen). Es war aber auch kein Wunder, einen solchen Fisch vor dem Netz und so dumm sein, ihn selbst verjagen und nichts in Sinn kriegen, ihn wieder zur Hand zu bringen! »Ja, ja«, sagte Peterli, »dreihundert Gulden und von meiner Seit! Jetzt, Eisi, ist das Geld da, wir können uns helfen, und aus meiner Familie her kommt es.« »Hast es noch nicht, kannst sehen, wie du es kriegst«, sagte Eglihannes höhnisch und ging weiter. Das war Wasser auf Eisis Mühle. »Wenn du es nur schon hättest«, sagte es wieder und wieder.

Peterli war wirklich in Verlegenheit; er hatte einen Brief in der Hand, konnte ihn aber nicht lesen, wußte noch weniger, was er mit demselben anfangen sollte, um das Geld zu bekommen. Er trappete endlich dem Eglihannes in die Wirtschaft nach. Die Sache war so plötzlich über Peterli gekommen und erfüllte seine Seele so ganz, daß er das übliche Mißtrauen und die Vorsichtigkeit ganz vergaß und, sobald er seinen Schoppen vor sich hatte, die andern Gäste nicht scheuend, zu Eglihannes sagte: »Du hast gesagt, wenn ichs nur schon hätte; ich solle sehen, wie ich es kriege. Möchte dich fragen, ob du mir dazu verhelfen könntest? Es wäre mir jetzt gar anständig, wenn ich es bald bekäme, hätte es übel nötig.« Wohl, wie da Eglihannes ihn hässig anschnauzte! Er solle ihm vom Leibe bleiben, sagte er; mit solchen Lumpensachen gebe er sich nicht ab, und Geschäfte treibe er nicht im Wirtshause. Wer etwas von ihm wolle, könne in seine Schreibstube kommen, dort sei der Ort, wo er Bescheid gebe. »Nüt für unguet, fragen wird doch erlaubt sein?« sagte Peter halb erschrocken. Aber das Herz voll von der Sache, merkte er Eglihannes nicht, sondern spann weiter, sprach, wie doch ungesinnt einem was zur rechten Zeit kommen könne, zeigte den Brief, fragte, wer ihn lesen könne. Hannes da hätte ihn gelesen und wisse, was darin sei usw. Endlich klopfte die Wirtin Peterli auf die Achsel und sagte: »Komm, es ist jemand da, der dir was sagen will.«

Draußen sagte sie ihm, Hannes lasse ihm sagen, er solle doch das Maul halten. Wenn es bekannt werde, was im Briefe stehe, so solle er zusehen, ob nicht welche in der Nähe seien, welchen es anständig wäre, ausstehende Zinse endlich zu bekommen. Potz Türk, daran hatte Peterli gar nicht gedacht! Als er wieder in die Stube kam, war er ein ganz Anderer; es war, als wäre ihm ein Kübel kaltes Wasser über das Haupt gegossen worden, denn drinnen saßen wirklich Solche, welche mehr als einmal zu ihm gesagt hatten: »Peterli, ich nähms, wenns brächtest.« Er hatte die Sprache halb verloren, wußte über den Brief keine Auskunft mehr und machte, daß er fortkam so bald als möglich.

Am folgenden Morgen war Peterli früh auf, mochte nicht warten, bis Eisi das Morgenbrot zweg hatte, verbrannte das Maul am heißen Kaffee und machte sich halb hungrig dem Saubrunnen zu. Er hätte aber nicht so zu pressieren gebraucht, denn Eglihannes stand nicht früh auf. Wenn er nach Mitternacht halb oder ganz betrunken zu Bette kam, oft daß er nicht wußte wie, so lag er darin wie ein fettes Schwein im Mist, und wenn er endlich einmal aufstehen sollte, so grunzte er erst eine lange Weile, ehe er es vollbrachte, akkurat wie ein Schwein; erschien er endlich vor den Leuten, so hatte er zugepichte Augen, ein versalbtes Gesicht, gefiederte und borstige Haare; er sah wirklich nicht besser aus als ein verwahrlostes Schwein. Als derselbe endlich so versalbet und verpicht erschien, den Tag angrännend, als hätte er in saure Zwetschgen gebissen, grollte er den armen Peterli an wie ein Bär, der Bauchweh hat, nahm den Brief zur Hand, studierte aber darin herum wie einer, der erst mühsam seine fünf Sinne zusammenholen und zur Besinnung kommen muß. Endlich gab er verständliche Töne von sich, welche ungefähr also lauteten: »Also dreihundert Gulden hat dein Vater an diesem Michel verloren, und der Michel hat jetzt geerbt, aber es heißt nicht wieviel, und in welchem Range deines Vaters Forderung ist, steht auch nicht da. In einem Nachgeltstag geht gar viel vorab, ehe was an die Gläubiger kommt, meist hat man nichts als verfluchte Mühe und vergebliche Kosten. Vor allem mußt du deine Forderung gehörig eingeben, du wirst dafür Papiere haben, dann wird die Sache untersucht; kommt es bis an dich, so kriegst du eine Anweisung, dann erst kannst du sehen, was du damit anfangen kannst und was sie wert ist. Allweg geht es ein oder zwei Jahre, bis du einen Kreuzer siehst, und hast ausgegebenes Geld, es weiß kein Teufel wieviel.«

Da stand der Peterli wie ein Ölgötze, und all seine Träume zerrannen ihm wie Butter an der Sonne. So hätte er es, sagte er; wenn er glaube, es gucke ihm irgendwo was Süßes, und er greife zu, so sei es ein Sack voll Galle. Das Beste werde sein, er gehe zum Amtschreiber und sehe, wie es sei; laute es auch da nicht gut, so brauche er das Papier, wie es üblich und bräuchlich sei. »Nit, das mach nicht, der Amtschreiber ist ein verfluchter Aristokrat und Jesuiter, gar nicht volkstümlich, ds Conträri, er hasset das Volk, er putzte dich entweder aus oder beschummelte dich. Es kommt nicht gut, bis man diese verfluchten Jagdhunde und Volksschinder ganz zum Lande hinaus hat. Vielleicht, wenn es in die rechten Hände kommt, trägt es doch noch was ab, eine Laus im Kraut ist doch noch besser als gar kein Fleisch«, bemerkte Eglihannes. Er hätte nicht Zeit, der Sache nachzulaufen, und das Geld jetzt nötig, sagte Peterli. »Weißt was, du kannst mich dauern, mit dem

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Lektorat: verlag.bucher@gmail.com
Tag der Veröffentlichung: 29.04.2013
ISBN: 978-3-7309-2536-2

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