Gott hat uns verlassen. Ich spüre die Schrift unter meinen Fingern mehr, als dass ich sie lese. Aber ich weiß, Gott hat uns nicht verlassen. Denn wenn er das wirklich getan hätte, würde es ihn zu etwas reduzieren, das kaum mehr wert wäre als ein Menschenleben. Wenn Gott wirklich so mächtig wäre, wie sie sagen, hätte er uns hier nicht zum Sterben zurückgelassen. Aber wer weiß? Vielleicht war das alles nicht mehr als ein Spiel für ihn. Ein Spiel, das nun verloren und uninteressant geworden war.
Ich hebe den Kopf, greife nach dem Glas, ertränke meine Gedanken ein weiteres Mal im Bier, dann knalle ich es zurück auf den Holztisch und stehe auf. Ich wanke, doch meine Sicht bleibt klar, schon lange hat sich meine Leber an den Alkohol gewöhnt.
Schweren Schrittes steige ich über die Holzbank, auf der ich saß, und gehe hinaus, ohne einen Blick auf die anderen traurigen Gestalten um mich herum zu werfen. Sie sind nur Krüppel, Schatten der Kreaturen, die Gott angeblich einst nach seinem Ebenbild schuf. Mit buckligen Rücken kauern sie über ihren Krügen, das schwarze, zottige Haar wie bloßer Filz in die ausgeblichenen Augen hängend. Ein jeder von ihnen sah aus, als wäre er jederzeit zu einem Mord fähig, egal, ob Frau oder Mann. Kinder gab es hier schon lange nicht mehr.
Die Sonne sticht in meine Augen, als ich endlich das Drecksloch hinter mir lasse. Einen Moment bleibe ich stehen, da ich merke, wie meine Knie nachgeben wollen, doch ich lasse es nicht zu. Mein Blick schweift durch die rote Gasse. Festgebackener, roter Boden, schwarze, verkohlte Mauern, bei denen man sich nicht länger sicher sein kann, dass sie den nächsten Kreislauf noch überstehen. Auch hier Krüppel überall, unter schwarzen Mänteln am Boden kauernd. Doch es sind keine Bettler. Es sind alles Menschen, die auf ihren Tod warten, nicht länger fähig, Nahrung oder Wasser zu sich zu nehmen.
Mein Gesicht verzerrt sich in Abscheu. Ich werde nie so enden, kriechend, sabbernd, ausgemergelt. Doch ich weiß, dass das eine Lüge ist. Meine Zeit läuft ebenso ab, mit jedem Tag schneller. Es ist ein grausames Los, jung zu sein heutzutage, denn umso länger währt die Qual, die uns an diese Erde fesselt. Ich glaube nicht an Gott und die letzte Kugel, um es in Würde zu Ende zu bringen, wie ich damals immer prahlte, ist längst aufgebraucht. Kein Gebäude hoch genug, um zu springen, keine Klinge scharf genug, um sich wie ein Mädchen zu schneiden. Selbst die Stricke scheinen nicht mehr kräftig genug zu sein, um einem ausgewachsenem Mann das Genick zu brechen. Und was hat uns hierher gebracht? Es war die Hoffnung. Hätten wir doch nur aufgegeben, als es uns noch möglich war. Doch wir warteten, warteten, bis wir nur noch darauf hoffen konnten, endlich auszubluten – in zehn, zwanzig Jahren.
Meine Füße tragen mich nach außen, an den Rand der Stadt. Jeder Schritt ist eine Qual, als würde ich durch meterhohen Schlick waten, und doch ist der Boden hart und glatt unter mir. Mein Körper ist so schwer wie ein nasser Sack, fast so, als wäre ich bereits tot und versuchte, meine Überreste vorwärts zu schleppen. Aber ich weiß, dass es noch lange nicht zu Ende ist. Es geht jeden Tag so, bis ich selbst eines Tages dazu zu schwach bin.
Ich hebe das Gesicht zur Sonne, ignoriere die wandelnden Leichen um mich herum, keiner von ihnen wirklich zu mehr fähig, als von einem Ort zum nächsten zu schleichen.
Ich habe endlich die Stadtgrenze erreicht. Eine eineinhalb Meter hohe Wand aus Sandsäcken umsäumt die kleine Siedlung, die wir noch halten konnten. Ich streiche mit den Fingern über das grobe, feuchte Leinen. Es ist kein Sand, es ist Erde, frische Erde. Wir haben kein Wasser mehr, doch wir graben tief in die Erde, verletzen unsere Mutter noch mehr, die uns die Pest auf den Hals schickte, um sich zu rächen. Immer weiter, immer tiefer, es scheint mir, wir würden bald glühende Lava hervorholen. Und das ganze Wasser, das wir finden, verschwenden wir auf die Sandsäcke. Jede Woche wird die ganze Barriere gegossen, damit die Erde frisch bleibt und nicht stirbt wie das Land darum herum.
Warum wir das tun? Weil es sie abhält. Wir haben Angst vor dem Tod, doch sie fürchten das Leben wie ihren Henker, ein seltsamer Widerspruch. Sie können nicht gut springen, schaffen die eineinhalb Meter hohe und die 50 Zentimeter breite Barriere nicht, obwohl sie so kräftige Hinterbeine haben. Manchmal versucht es doch ein einzelner, wenn der Hunger zu groß ist, doch er schafft es nicht, stürzt ab und verbrennt mit furchtbaren Schreien der Agonie. Sogar durch die Leinensäcke hindurch ist die frische Erde wie ein Scheiterhaufen, der Tod des Lebens ist grausam für sie, es dauert Stunden, manchmal sogar Tage, bis sie endlich verenden. Und währenddessen schreien sie, sie schreien die ganze Zeit. Aber es ist wie Musik in unseren Ohren, denn ihre Höllenqualen bedeuten für uns einen Toten weniger.
Rache an den Wesen, die uns auszehren und vernichten, an unseren Knochen nagen, auch wenn sie gar nicht hier sind, und das, obwohl sie vielleicht selbst nur Opfer des Virus, Opfer der Natur, Opfer unser eigenen Fehler geworden sind.
Wenn wir klug wären, würden wir Wasser und Erde nicht länger auf diese Barriere verschwenden, die sowieso irgendwann nicht mehr haltbar wäre. Wir würden ein Feld anlegen, ein Feld, dass zwar nicht hoch wäre, aber breit, und sie somit ebenso von uns abhalten würde. Die Nahrung würde uns stärken, vielleicht würden wir sogar Land zurückgewinnen können. Doch der Lebenswille in uns ist schon vor langer Zeit erloschen. Und für so eine Tat braucht man Lebenswillen, vor allem aber Kraft, und die hat keiner von uns mehr.
Ich hebe den Kopf und sehen etwa hundert Meter in der Ferne einen schwarzen Kadaver am Boden liegen. Vermutlich leiden diese grässlichen Kreaturen genauso, wie wir, sie können selbst keine Nahrung mehr finden, da kein Mensch unsere von einem Erdwall umschlossene Stadt mehr verlässt. Sie essen sich gegenseitig, wenn der Hunger zu groß wird, doch das macht sie nur noch kränker, deswegen versuchen einzelne manchmal verzweifelt, doch die Stadt zu erreichen. Aber wenn die Sonne über den Himmel steigt, verbrennen sie. Es ist ein ebenso schmerzvoller Tod wie der, wenn sie Leben berühren, doch es geht viel schneller. Nur ein einzelner Schrei hallt über die Erde im Morgengrauen, fast, wie der eines Hahnes, wenn ich mich recht erinnerte, nur viel qualvoller, und dann ist es zu Ende.
Aber wenn sie die Erde berühren, gibt ihnen diese Kraft und saugt ihnen gleichzeitig das Leben aus, sodass sie auch die Sonnenstrahlen ertragen müssen und tagelang verenden. Es ist fast komisch, diese Ironie in der Sache, die Grausamkeit in meinen Gedanken begreife ich aber nicht mehr. Wir sind abgestumpft, bereits vor Jahren gestorben, nur noch unsere Hüllen sind am Leben. Mir kommt in den Sinn, dass sie, wenn die Nacht über das Land fällt, zurückkehren werden und den Kadaver aufzerren werden. Das ganze Rudel wird über ihn herfallen, vermutlich wird es ein Fest des Kannibalismus werden, wenn sie um einen kleinen Bissen ihre Brüder und Schwester in Stücke reißen.
Verbrannte Erde unter einer blutenden Sonne. Verkrüppelte Gerippe, Schatten von einst blühenden Bäumen, die sich im verzweifelten Ringen nach Leben unter dem staubigen Firmament krümmten. Doch es war nicht das strahlende Licht, das ihnen den Tod gebracht hatte und ihnen langsam aber sicher das Leben aussaugte.
Ich stehe hier in der Kälte eines nebligen Wintermorgens und stelle mir erneut die Frage, die mir im Kopf klebt wie eine hungrige Zecke: Wo ist Gott?
Die Sonne steigt über das Firmament und durchleuchtet den blassen Nebel mit glühend-kalten Fingern, auch die letzten heulenden Schatten verschwinden in die Löcher, aus denen sie vor langer Zeit gekrochen kamen. Und ich habe genug gesehen – genug von der leblosen Wüste jenseits des Erdwalls. Es ist Zeit für mich, zu gehen.
Wir wussten nicht, ob es überall auf der Erde so war, wie hier. Vielleicht gab es sichere Orte, vielleicht war es irgendwo anders sogar lebenswert, vielleicht gab es die Monster jenseits der Wüste nicht, aber vielleicht erstreckte sich die Wüste sogar über die ganze Erde und wir waren die letzten Überlebenden, wir wissen es nicht. Tatsächlich hätte es einen Weg gegeben, zu reisen. Tagsüber trauten die Kreaturen sich nicht aus ihren Erdlöchern. Es gibt sogar noch ein, zwei Esel in der Stadt, die zwischen uns Menschen hatten überleben können. Wir könnten Erdsäcke mitnehmen, am Tag reisen, in der Dämmerung ein Lager bauen und uns dort in der Nacht zusammenzukauern und ertragen, wie die Wesen kreischend um uns herumschlichen, frustriert, dass sie nicht an die Festtagsbeute herankamen. Aber das hätte ebenso vorausgesetzt, dass jemand von uns noch Mut hatte.
Aber die viel simplere Antwort darauf, warum wir uns hier zum Sterben niedergelassen haben, ist der Virus. Ich erinnere mich noch daran, wie es angefangen hat, doch es scheinen mir seitdem Jahrhunderte vergangen zu sein. Wer weiß, vielleicht ist es ja auch so? Es gibt kein Zeitgefühl und ebenso wie die frische Erde den Kreaturen Leben aussaugt und ihnen Kraft gibt, ist es bei uns der Virus. Vielleicht leben wir schon lange über unsere Zeit hinaus.
Wir kämpften, wir flohen, wir hofften. Es kam so plötzlich, ich kann mich nicht mehr an ein Leben vor der Katastrophe erinnern, alles ist ausgelöscht, aber ich weiß, dass wir es Alltag nannten. Vielleicht hatte ich sogar jemanden, der mir etwas bedeutet hatte. Familie? Freunde? Diese Worte klingen so lächerlich in Anbetracht dessen, was passiert ist. Keiner weiß, was passiert ist, aber die allgemeine Meinung war, dass es die Hunde, Löwen und Raubtiere waren. Der Virus befiel sie als erstes, lange, bevor wir überhaupt etwas ahnten. Wie die Tollwut begann es langsam, aber plötzlich fielen sie wie die Heuschrecken über uns her. Mutierte Kreaturen, nicht mehr als das erkennbar, was sie einmal waren. Sie zehrten alle anderen Tiere auf, innerhalb von nur wenigen Tagen, und dann waren wir an der Reihe, während sie sich immer weiter verbreiteten. Dann gab es nur noch uns – und sie.
Es gab Möglichkeiten, sie zu bekämpfen. Im Grunde waren sie schwach, ausgezehrt von dem Virus, der sie zu Monstern machte, und das einzige, was sie wollten, war Fressen, um nicht in ihrer Schwäche dahinzusiechen. Das machte sie aggressiv. War man in einer Gruppe unterwegs, am besten bewaffnet mit Maschinengewehren oder – in selten Glücksfällen sogar Granaten – konnte man auch ein ganzes Rudel vernichten. Sie waren schwach und starben schnell, das einzige Problem war, dass Schmerz sie nicht aufhielt. Solange sie sich noch bewegen konnten und ihr Herz nicht aufgehört hatten, zu schlagen, griffen sie weiter an, selbst, wenn man ihnen im Kampf Gliedmaßen abtrennte.Wir suchten nach Unterschlupf, nach Heilmitteln, nach Lösungen. Doch jeder medizinische Ansatz lief ins Leere, jeder Unterschlupft wurde früher oder später überrannt – es dauerte lang, bis wir erkannten, dass nur Leben sie aufhalten konnte, frische Erde, Pflanzen, Wasser. Aber da war es schon zu spät, alles war ausgedörrt, wir versammelten uns in dieser womöglich letzten Bastion der Menschheit, die nun ihr stinkendes Grab wurde.
Doch wir hatten noch lange nicht aufgegeben. Weiter ging der Kampf, weiter hielt uns die Hoffnung am Leben. Zu spät wurde uns klar, dass eben diese uns in eine grausame Falle locken würde. Aber dann... kam dieser schleichende Verdacht ins uns auf. Der Verdacht, der uns spaltete, uns misstrauisch machte, den keiner glauben wollte. Bis es nicht mehr zu leugnen war: Wir waren krank, längst genauso infiziert wie die Monster, vor denen wir flohen. Wir konnten kämpfen, so lange wir wollten, doch die wahre Bedrohung kam nicht von den Kreaturen, sie war längst überall, in der Luft, in der Erde, im Wasser. Ich weiß nicht, ob man es einen Virus nennen kann, aber was es auch war, es fiel über alles her, es dörrte den Boden aus, vernichtete die Lebewesen und machte die Überlebenden zu Monstern. Und als wolle sich Mutter Natur dafür rächen, wie wir sie über Jahrzehnte hinweg langsam, aber sicher zerstört hatten, erhielten wir Menschen das grausamste Los. Wir werden kränker und kränker, aber wir sterben einfach nicht, wir siechen dahin, bis es irgendwann dann doch zu Ende ist, aber das kann noch Jahre dauern.
Meine Schritte haben mich weiter durch die Stadt getragen. Es ist jeden Tag so, wir bewegen uns immer weiter, halten niemals still, als wollten wir uns selbst Beschäftigt sein vorgaukeln, doch es ist klar, das schon lange nichts mehr zu tun ist.
Ich klopfe gegen die Holztür, die sich vor mir auftut, ein unwilliges Grunzen, dann Schritte. „Wer ist da?“, höre ich eine Stimme rufen. „Wer schon.“, grunze ich zurück und sie macht auf. Vermutlich ist sie ziemlich hässlich, aber ich finde sie schön. Sie hat goldblonde Haare, die ihr bis zu den Brüsten reichen, vermutlich sind sie strohig und verfilzt, doch das sehe ich nicht. Ich bin mir nicht sicher, vermutlich ist ihr Gesicht genauso aufgedunsen und deformiert, wie das von uns allen, ihre Haut trocken, aber eigentlich sieht ihre Nase ganz hübsch aus zwischen den Wassersäcken unter ihren Augen. Ach ja, und da sind eben noch die Augen: Sie strahlen für mich wie ein sprudelnder Gebirgsbach, doch in Wahrheit sind sie blass und leer wie meine. Es ist eine seltsame Vorstellung, dass die Augenfarbe verblasst, umso länger man hier lebt.
Sie legt den Kopf schief, ich lasse den Blick über ihren ausgemergelten Körper schweifen, der sich hinter zu großen Jeans und einer weißen Kinderbluse versteckt. „Was willst du?“, fragt sie. Ich zucke die Schultern. „Dich sehen.“ Sie seufzt – ihre Stimme klingt kratzig – dann tritt sie zur Seite, um mich doch hineinzulassen. Es gibt in dem Zimmer nichts, was einer Beschreibung wert wäre. Ein Bett, es sieht unbenutzt aus, wahrscheinlich hat sie schon lange nicht mehr geschlafen. Genau genommen ist es nur ein unförmiger Kasten, zusammengezimmert aus fünf Brettern, eines davon dient sowohl als hinteres Bein, als auch als Kopfstütze. Darauf liegt ein wenig Stroh, die Bettwäsche ist ausgestopft mit trockenem Laub, besser, als nichts, aber es zerbröselt sowieso, deswegen könnte man auch gleich nur die leere Decke benutzen. Es ist tatsächlich schwer, Ruhe zu finden, die Erschöpfung wird mit jedem Tag größer, doch Schlaf ist uns nicht vergönnt. Am Boden liegt ein verfilzter, grauer Teppich, vielleicht hat sie mal erzählt, dass sie den mit auf die Reise genommen hat, weil er im Haus ihrer Eltern lag, aber ich weiß es nicht mehr.
An einer Wand hängt ein Brett, auf dem ein paar Dinge stehen, aber sie sind so verstaubt, dass man nicht mal mehr erkennen kann, was es eigentlich ist, offensichtlich bedeuten sie ihr nichts mehr. In einer Ecke stapelt sich ein Haufen mit Klamotten, aber ich bezweifle, dass sie sich überhaupt noch umzieht, es sind wohl ebenso nur Relikte aus einer vergangenen Zeit.
Ja, und da sehe ich sie, eine mittelalterliche Kochstelle, so, wie sie verstaubt in der Mitte des Zimmers steht, ist es, als würde sie uns auslachen, denn Essen gab es schon lange nicht mehr. Anfangs hofften wir, dass wir verhungern oder verdursten würden, doch obwohl unsere Körper immer schwächer wurden, war uns das nicht vergönnt. Wir lebten weiter, vielleicht waren wir doch schon tot und das war gar nicht mehr die Erde, sondern eine Hölle, und wir waren verdammt, hier auf ewig unser Dasein zu fristen, unser Stoffwechsel im Stillstand, nur noch das Herz schlug, während sich das Gehirn auf die primitivsten Dinge beschränkte.
Ich setze mich auf den Bettkasten, sie geht in das einzige weitere Zimmer des Hauses. Ich weiß nicht, was es dort gibt, aber vermutlich ist es leer und sie hat bloß keine Lust, mit mir in einem Raum zu sein, was weiß ich.
Ich hebe eine Scherbe auf, die ich auf dem Boden liegen sehe, wische sie sauber und betrachte mich darin. Ich habe mich schon lange nicht mehr gesehen, deswegen erschrecke ich ein wenig. Meine schwarzen Haare sind kurz. Ich weiß nicht, wieso, aber meine Haare wachsen nicht, im Gegensatz zu den verfilzten Mähnen der anderen Leute. Aber dafür sehen sie verstaubt aus, grau. Mein Gesicht ist feist, meine dicken Wangen scheinen die kleinen, schwarzen Augen fast zu erdrücken. Ich denke an eine Hüpfburg. Wenn man sich darauf fallen lässt – wenn ich das versuchen würde, würde sie sicher platzen – sinkt man tief in die Plastikpolster ein und sie schließen sich über einem. So sieht mein Gesicht aus. Meine Augen sind die Kinder, die sich auf die Polster fallen lassen, die meine Wangen sind.
Genauso eigenartig, wie das meine Haare nicht wachsen, ist, dass meine Haut ganz weich ist. Ich bin fett und aufgedunsen wie eine Wasserleiche, doch meine Haut sieht aus wie die eines Babys. Bartstoppeln habe ich auch nicht. Die Farbe meines Gesichtes ist ganz hell, wie Pastell, nicht verbrannt durch die Sonne. Mein zusammengekniffener, wohl ungehobelter Mund sieht aus, wie die Augen, ebenso eingeschlossen von dicken Polstern über einem Doppelkinn. Aber obwohl ich so groß und breitschultrig und schwer bin, sind meine Ohren auch ganz klein, beim linken ist das Ohrläppchen gespalten – ich kann mich nicht erinnern, wieso, im rechten steckt ein Ring aus falschem Gold, doch ich glaube, er ist im Fleisch festgewachsen, das Loch ist knallrot, eitrig und entzündet, kugelförmiger Knorpel und Schorf wölbt sich darum auf.
Ich schüttelte den Kopf und lasse die Scherbe zu Boden fallen, sie kommt zurück, bleibt mit in die Hüften gestützten Händen vor mir stehen und sieht auf mich herab. Manchmal habe ich das Gefühl, sie hat mehr Kraft als die anderen in der Stadt, weil sie immer so zornig aussieht, aber vermutlich interpretiere ich das nur in sie hinein, weil sie mein Engel ist. Mir kommt nicht mal der Gedanke, wie kitschig das klingt, aber sie erleuchtet mein Blickfeld, in ihrem Zorn, in ihrem Hass auf mich, obwohl sie mich doch nicht hasst. Sie hat mir nie gesagt, was sie für mich empfindet, aber ich ihr auch nicht. Vielleicht hassen wir uns sogar beide, vielleicht lieben wir uns.
„Willst du ficken?“, fragt sie mich ohne eine Emotion in der Stimme. Aber sie fragt mich schließlich, nicht ich sie, also ist es ihre Entscheidung. Ich nicke. Sie schubst mich an den Schultern, sodass ich ganz auf das Bett krieche und mich mit einem Ächzen hinlege. Sie krabbelt hinterher, setzt sich rittlings auf mich und öffnet den Reißverschluss meiner Hose, die ganze Zeit verändert sich ihr Gesichtsausdruck dabei nicht. Sie zieht ihre Kinderbluse aus und ihren weißen BH, an dessen Seiten gelbe Flecken sind, was ich irgendwie eklig finde. Rasiert ist sie auch nicht, aber das wundert keinen, schließlich sind alle Klingen stumpft geworden. Außerdem sehen auch ihre vollen Brüste aus wie die einer Wasserleiche, aber es ist trotzdem das Schönste, was ich seit langem gesehen habe.
Sie muss blasen, damit sich bei mir etwas tut, ziemlich lang sogar, und ich merke, dass sie ungeduldig wird, sie will es wahrscheinlich schnell hinter sich bringen. Dann, endlich öffnet sie auch ihre Hose und setzt sich ganz auf mich. Es ist ziemlich schnell vorbei, dauert vielleicht nur zwanzig Sekunden, doch irgendwie machen wir trotzdem noch eine Weile weiter, bewegen uns asynchron zueinander, sie stöhnt halbherzig, aber wir wollen beide nicht aufhören, es ist immer so anstrengend, von vorne anzufangen. Ich schließe die Augen, warte auf eine Empfindung – ich will nur eine körperliche Empfindung, kein Gefühl - doch selbst das ist zu viel verlangt. Ich will ihre Hängetitten berühren, aber meine Arme liegen nur schlaff neben mir und sie ist zu weit oben, ich habe keine Kraft.
Dann hat sie keine Lust mehr. Sie steigt von mir herab, steht auf und sammelt BH und Bluse auf, die sie hinter sich geworfen hat. Ich sehe ihr zu, wie sie sich anzieht und wieder aus dem Raum geht, ohne mir auch nur einen Blick zuzuwerfen. Ich glaube, ich liebe sie.
Es ist Mittag, als ich gehe, damit sie keine Gelegenheit bekommt, mich hinauszuwerfen. Das würde ich wohl nicht ertragen. Es ist Zeit für das Mittagessen, deswegen gehe ich zurück zu der Bar, in der ich den Tag begonnen habe und bestelle einen Topf Schnaps.
Am Anfang war die Stadt vollgestopft mit Vorräten gewesen. Den Alkohol, den wir mitgebracht und gefunden hatten, teilweise aus Plünderungen auf unserer Reise, hatten wir bis zum Schluss aufgehoben, da es uns nicht richtig erschien, Genüssen nachzugeben, während wir eigentlich um unser Leben kämpfen mussten. Deswegen war es das Letzte, was übrig blieb. Alles in rauen Mengen, Fässer voll mit Bier, Wein und Schnaps, wobei der Wein als erstes aufgebraucht wurde. Als wir nach der langen Zeit des Durstes begannen, immer tiefer in der Erde zu graben und schließlich Wasser fanden, verdünnten wir den Alkohol damit, sodass wenigstens diese Vorräte nicht verschwanden. Manchmal gehen noch Männer hinaus, um seltsame, vertrocknete Früchte zu sammeln, die man manchmal am Boden findet. Keiner weiß, was es ist, doch sie brennen bitteren Schnaps daraus, um wenigstens ein bisschen Beschäftigung zu haben. Der Alkohol bringt uns um, aber nicht wegen unserer Leber, sondern weil wir so den Virus nur umso schneller in uns aufnehmen. Der Schnapstopf, der aber aufgrund des Wassergehalts sogar weniger Prozent als Bier hat, schmeckt bei dem Gedanken noch köstlicher.
Ich denke an Goldlöckchen zurück, die nicht einmal etwas zu mir gesagt hat, als ich ging. Der Virus löscht alles Leben aus, außer das Alte und Kranke, deshalb gibt es auch keine Kinder mehr. Ich erinnere mich vage an eine Schwangere, die am Anfang hier gelebt hat, als wir uns noch nicht eingestanden haben, dass wir längst infiziert sind. Sie war im neunten Monat. So dick sie war, musste sie sogar Zwillinge erwarten. Sie wartete und wartete, bis der zehnte Monat herankam und dann der elfte. Das ist eines der wenigen Dinge, an die ich mich genau erinnern kann: Wie sie immer sagte, dass das durchaus möglich war. Eine Spätgeburt, noch gab es keinen Grund zur Sorge, schließlich ginge es ihr auch gut. Sie sagte keinem, dass sie die kleinen Füßchen schon lange nicht mehr treten spürte.
Und dann geschah das Unglaubliche: Ihr Bauch schrumpfte. Er wurde immer kleiner, es dauerte genau neun Monate, dann war sie flach wie ein Brett. Und die Babys? Sie waren einfach verschwunden. Keine Fehlgeburt, sie hatten sich einfach in ihr aufgelöst. Vielleicht hatte sogar ihr Körper sie aufgezerrt, weil er die Kraft brauchte. Vielleicht gab es so ein Phänomen ja.
Seitdem gibt es überhaupt keine Kinder mehr. Selbst, wenn der Virus plötzlich verschwinden würde, wären die Menschheit dem Tode geweiht, da wir alle unfruchtbar sind. Deswegen können wir auch vögeln, so viel wir wollen, es hat sowieso keine Konsequenzen.
Ich kann nicht lange in der Bar bleiben, in mir wächst mit dem Gefühl der Trägheit auch die Unruhe, es will mich auf Trab halten, obwohl da keine Kraft ist. Ich stehe auf, schlurfe zum zweiten Mal hinaus. So vergeht ein Tag nach dem anderen, jeder gleich und doch anders, weil mir jeden Tag andere Gedanken durch den Kopf schwirren. Manchmal habe ich sogar Ideen, man könnte es fast Träume nennen, ich denke über Goldlöckchen nach – ich weiß nicht einmal ihren Namen, obwohl wir jetzt schon seit vielen Jahren zusammen sind – und stelle mir vor, dass wir heiraten. Manchmal stelle ich Theorien über den Virus auf und entwickle Gedanken über ein Heilmittel, aber dabei bin ich nicht mal Arzt. Was bin ich eigentlich? Ich kann mich nicht erinnern.
Die Stadt ist nicht groß und trotzdem dauert es bestimmt Stunden, bis ich sie einmal durchquert habe, jede Straße einmal abgegangen bin, da jeder Schritt sich anfühlt, als schleppe ich Gewichte mit mir mit.
Aber dann sehe ich etwas und begreife plötzlich, dass sich an diesem Tag zum ersten und zum letzten Mal in meinem Leben etwas ändert. Denn ich sehe sie. Sie lehnt an der Hauswand, vor ihr ein Typ mit langen schwarzen Haaren und sie knutschen. Ich fasse es nicht, sie knutschen, sie hat nie mit mir geknutscht, sie hat sich nur von mir ficken lassen.
Ich stehe da, sehe ihnen zu, doch sie sind so damit beschäftigt, sich gegenseitig mit den Lippen aufzufressen – es sieht eklig aus, wie sie sich abschlabbern und aneinander herumkauen, wie er mit der Hand an ihrem Arsch und sie mit den Fingern in seiner Hose ist – dass sie mich nicht bemerken. Ich bin ein Voyeur, ich liebe sie, aber sie mich nicht, wieso tut sie mir das an? Ich werde so reduziert zu einem Spanner, einem Perversen, der nur zusieht, aber ich liebe sie doch! Ich mache einen Schritt vor, betrachte das Gerümpel in der Gasse zu meiner Rechten und entscheide mich für einen Spaten. Dann trete ich vor, obwohl ich mich nicht bemühe, leise zu sein, bemerken sie mich immer noch nicht – als wollten sie es gar nicht – aber vielleicht liegt das an seinem schwarzen, lockigen Haarvorhang, der über beide Gesichter fällt und so eine Höhle um sie baut, während sie sich weiter aufessen.
Dann hole ich aus und schlage zu. Wie geplant erwische ich nur ihn, genau am Kopf mit der flachen Seite, er stöhnt und geht zu Boden. Sie schreit, weicht vor mir zurück, wagt es jedoch nicht, davon zu laufen. Eigentlich rechne ich damit, dass sie nicht mehr übrig hat für mich als Hohn, da ich nun endlich erkannt habe, dass sie mich nicht liebt, aber da ist tatsächlich Schuld in ihrem Blick, Reue. Doch das macht es nur noch schlimmer. Trotzdem habe ich vor, ihr zu vergeben.
Der Typ, ebenso hässlich wie ich, aber nicht ganz so fett, wehrt sich nicht, als ich mit dem Spaten auf ihn einschlage, bis sein Gehirn zu Brei wird und Blut aus Mund und Ohren läuft. Er bewegt sich nicht mehr, ich gebe mich zufrieden, will sie nicht auch bestrafen, sondern versuchen, sie wieder für mich zu gewinnen. Doch da sehe ich das, was sie nicht gesehen hat. Seine milchigen Augen sind verdreht und aufgerissen vor Panik in seinen Höhlen, doch als ich mich neben ihn hinknie, kann ich es trotzdem erkennen. Der unscheinbare, goldene Ring um seine Pupille, der nun bereits langsam verblasst.
Zum ersten Mal kommt Bewegung in meinen massigen Körper Ich fahre herum, eine Bewegung, die ich mir schon lange nicht mehr zugetraut hätte, und starre sie an. Das Blut, dass sich auf ihren leicht geöffneten Lippen mit dem Speichel vermischt und langsam an ihr heruntertropft.
„Nein!“, brülle ich, ich klinge, wie ein verzweifelter Affe, springe auf und dresche mit dem Spaten noch dreimal auf den Toten ein. Sie wimmert, aber das höre ich gar nicht, deswegen wirble ich nur zu ihr herum und schlage mit der Faust in ihr Gesicht, sodass sie zu Boden geht und reglos liegen bleibt, doch ich packte sie an den Haaren und schleife sie mit mir, den Spaten in der anderen Hand. Die Wut scheint mich zum Platzen zu bringen. Mein schwarzes Blut gerät in Wallung, schießt durch meinen Blutkreislauf wie Lava aus einem Vulkan. Wieso ich so fett sein kann, wenn es kein Essen gibt? Es ist der Virus. Es lässt mich aufquellen, wie ein abgestochenes Schwein im Wasser, vollgesaugt und hässlich. Wenn wir nicht an etwas anderem sterben, dann daran, dass wir irgendwann platzen. Die Haut, die eh schon so dünn und spröde ist, wird irgendwann reißen und dann fließe ich auseinander wie ein Schneemann in der Sonne, meine toten Gedärme werden hervorquellen und die Knochen zerbröseln. Ich will schreien! Doch meine Stimme erlaubt es mir nicht.
Wenn wir uns aus dem falschen Schutz der Stadt begeben, werden wir von den infizierten Monstern gefressen. Deswegen mutieren wir nicht, weil sie uns mit Haut und Haar zerreißen und verschlingen. Aber ich kenne ihre Augen. Schwarze Höhlen, in denen nur dieser goldene Lichtschimmer zu sehen ist, wie ein Heiligenschein, als wolle uns Mutter Natur noch einmal darauf aufmerksam machen, dass wir die Bösen sind, nicht sie, und dass sie die Engel sind, die sie retteten. Vor unseren Schandtaten. Aber was soll's, ich glaube nicht an Gott, nicht an Esoterik, nicht an Mutter Natur, die uns bestrafen will! Ich glaube nur daran, dass wir Spielzeuge sind für eine höhere Macht, die nun nicht länger gewillt ist, sich mit uns herumzuschlagen und uns fallen gelassen hat!
Denn wenn der Virus in unser aller Blut den Wirt übermannt, bevor er stirbt – was äußerst selten geschieht – mutiert er. Aber bevor er mutiert, infiziert er alle anderen. Und er hatte sie infiziert! Das Blut in ihrem Mund, der goldene Ring um seine Augen, der nun auch bald bei ihr erscheinen würde. Und ist sie wirklich so dumm, es nicht bemerkt zu haben? Oder hat sie es nicht bemerken wollen?
Ich zerre sie an den Haaren weiter, ohne ihr Schreien und Wimmern auch nur wahrzunehmen. Ich weiß, dass ich nicht viel Zeit habe, bevor der Virus sie mit sich nimmt. Und bei Gott, das will ich nicht mit ansehen müssen. Ich kann mich nicht einmal erinnern, wie ich sie über die Sandsäcke bekommen habe. Vermutlich habe ich ihren ausgemergelten, zerfressenen Körper einfach hinüber geschleudert.
Als ich sie weiter mit mir schleppe, immer weiter hinaus in die Wüste, die jetzt bei Tageslicht noch ungefährlich ist, ist sie wieder bewusstlos, aber ich weiß, dass das nicht lange anhalten wird. Wenn der Typ infiziert war, kann es sogar sein, dass, wenn ich zurück kehrte, mich bereits ein Haufen Monster erwartet.
Endlich habe ich das Gefühl, weit genug draußen zu sein, hier stehen die ersten verkrüppelten, schwarzen Bäume. Ich werfe sie auf den Boden und schlage einmal mit dem Spaten zu. Sie ist nicht tot, aber so kann ich sicher sein, dass sie nicht aufwacht, bis ich fertig bin. Ich stoße mit dem Spaten in die verbrannte Erde und werfe sie hinter mich. Ich grabe, ich grabe immer tiefer, und endlich verraucht die Wut in mir. Ich werde ruhiger, ich verrichte meine Arbeit und merke nicht einmal mehr, was ich tue. Es ist Nachmittag, doch es wird bereits dunkler, aber auch das fällt mir nicht auf. Schweiß perlt auf meiner Stirn, ich habe das Gefühl, dass sich mein aufgedunsener Körper bereits aufzulösen beginnt. Das Wasser strömt aus meinen Poren, mein Körper zieht sich zusammen, die Kraft verlässt mich nicht. Ich frage mich, ob die Erde um mich herum jetzt wieder fruchtbar wird. Es ist insgesamt vielleicht nur ein Quadratmeter, aber die Erde bekommt Wasser, aber mir ist klar, dass das ein bescheuerter Gedanke ist.
Endlich bin ich fertig. Ein großer Haufen trockener Erde liegt neben dem tiefen Loch, indem ich bis zur Brust stehe. Plötzlich fühle ich mich gut, ich bin glücklich, woher das kommt, weiß ich nicht. Meine Sicht ist wieder klar, zu meinen Füßen steht das Wasser fast knöcheltief, doch das wundert mich nicht. Ich wollte sie nicht töten, ich wollte einfach mit ihr zurück in die Stadt gehen. Vielleicht hätte ich sogar so einen Weg gefunden, den Virus zu bekämpfen, denn ich hatte bestimmt die Hälfte meines Körpers verloren und es war nur Wasser – aber auf einmal fühle ich mich gut. Als wäre ich gereinigt worden.
Aber als ich mit einem Lächeln auf dem Gesicht und mit klatschnassen, schlabbrigen Klamotten aus dem Loch krabbele, sehe ich, wie sie sich bewegt. Ein Stöhnen, nein, ein Knurren entringt sich ihren leicht geöffneten, immer noch blutigen Lippen, sie schlägt fast zaghaft mit den Armen um sich. Dann öffnet sie die Augen und ich sehe es.
Wenn Gott jetzt tatsächlich da oben ist uns zusieht, würde ich ihm gerne den Spaten über den weisen Kopf ziehen. Er hat uns alleingelassen, aber anstatt den Anstand zu haben, uns einfach zu vernichten und in Frieden gehen zu lassen, lässt er uns in Krankheiten dahinsiechen, bis alles Menschliche in uns gestorben ist und gönnt uns nicht einmal dann den Tod.
Der goldene Kreis um ihre blassblauen Pupillen, ihr Zähnefletschen. Dann plötzlich das Knurren und wie sie versucht, auch mich loszuspringen, um mich aufzuessen. Doch ich lasse sie nicht einmal aufstehen. Ein grauenhafter Schrei entringt sich meiner Brust, als sich meine Augen mit Tränen füllen. Ich hole aus und schlage zu, immer und immer wieder, sie rührt sich längst nicht mehr, aber ich kann einfach nicht ablassen, bis ihr Kopf zu Brei geschlagen ist. Selbst dann noch nicht. Erst, als mir der Spaten aus der Hand fällt und ich auf die Knie sinke, weil mich jede letzte Kraft verlassen hat. Zitternd strecke ich die Hände aus nach ihrem zerschlagenem Gesicht, versuche, ihre blutige Wange zu berühren. Jede Wut ist aus mir gewichen, selbst die Verzweiflung ist wie weggeblasen, da ist nur noch Leere in mir. Es ist fast dunkel und ich weiß, dass ich sie begraben muss, bevor die Kreaturen sie zerreißen. Ich steige in das Loch, jede Bewegung ist mechanisch und schwach. Vorsichtig hebe ich ihren viel zu leichten Körper in das Loch, lege den Spaten neben sie.
Dann klettere ich hinaus. Ich wäre am liebsten bei ihr geblieben, doch wer würde dann das Loch zuschaufeln? Die Monster würden kommen und das letzte, was von ihr noch übrig ist, mit ihren Kiefern zerreißen. Kraftlos schaufele ich die Erde Stück für Stück zurück in das Loch. Der braune Staub bedeckt ihre Brust, ihren Bauch, ihre Beine, schließlich auch ihr zerstörtes Gesicht. Dann schiebe ich den ganzen restlichen Haufen auf einmal hinab. Es ist vollbracht, doch die Sonne steht zu tief am Himmel. Ich weiß, dass ich es nicht mehr zurück in die Stadt schaffen kann. Aber das will ich auch gar nicht.
Ich zerre meinen schweren Körper hoch, kaum noch zu einer Regung fähig, schleife mich zu dem Baum neben ihrem Grab und lasse mich daran herabsinken, setze mich hin, den Rücken an die verdörrte Rinde gelehnt.
Ich lege meinen Kopf zurück, winkle das eine Bein an und stütze meinen Arm darauf ab. Es dauert nicht lange, bis ich die ersten schwarzen Schatten entdecke. Zunächst schleichen sie nur unschlüssig um mich herum, nicht sicher, ob mein Fleisch die Gefahr, die ich darstellen könnte, wert ist. Aber sie kommen näher, immer näher, umkreisen mich, hechelnd, ihr Atem klingt wie ein leises Kreischen in meinen Augen.
Weil der Größte von ihnen nur wenige Zentimeter vor mir stehen bleibt und an meinem Gesicht schnuppert, während es in der Ferne immer mehr werden, starre ich ihm direkt in die schwarzen Augenhöhlen mit dem goldenen Heiligenschein. Er stinkt. Nach Tod und Verwesung.
Doch erst, als ich die Augen schließe und er mit einem ohrenbetäubendem Brüllen auf mich zuspringt und mein Gesicht zerfetzt, sodass ich noch lange nicht tot bin, als sie über mich herfallen, weiß ich es. Gott ist tot. Und ich habe es verdient.
Tag der Veröffentlichung: 07.12.2013
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