Unser Versammlungs- und Speisesaal war groß, so das viele Menschen hier platz fanden. Einige von ihnen saßen an den Tischen, unterhielten sich oder spielten mit ihren Kindern, außerhalb der Essenszeit. Es war das Einzige, das wir tun konnten, solange wir auf eine neue Aufgabe warteten. Neben mir saß mein Bruder Jason und blickte, wie ich, gelangweilt in den Raum. Ich ließ mich in meinem Stuhl zurück sinken und faltete die Hände in meinem Schoß.
Gerade hatte ich die Augen geschlossen, als auf dem Gang Tumult ausbrach.
Sofort waren alle Gespräche verstummt und die Blicke richten sich auf die Stahltür, von dem blanken Stahl hob sich lediglich ein kleines Fernster oberhalb des Türgriffs ab.
Jason stand als Erster auf und warf einen Blick durch das Fenster. Sofort bemerkte ich, wie er sich versteifte. Lediglich einen schnellen aber bedeutungsvollen Blick warf er mir zu, schien wie erstarrt zu sein.
Der Tumult auf dem Gang wurde immer lauter, die Metallwände, die uns umgaben, klirrten laut. Es schmerzte bereits in meinen Ohren, Gemurmel bildete sich als dicke Luft um uns.
Schnell stand ich auf, wobei ich den Stuhl auf dem ich vorher gesessen hatte fast umwarf. Meine Hände presste ich mir auf die Ohren, denn das Geräusch von Metall auf Metall war unerträglich. Jason neben mir war ein Kopf größer als ich, weshalb ich mich auf die Zehenspitzen stellen musste, um durch das Türfenster sehen zu können.
Meine nächsten Gedanken hatte ich noch nicht ganz zu Ende gedacht, als ich bereits den Riegel der Tür zur Seite schob. Die Tür ächzt und ich hetzte auf den Gang, dicht gefolgt von Jason der nach meinem Arm griff, allerdings nicht, um mich aufzuhalten.
Durch die geöffnete Tür war der Blick frei, auf das, was sich im Gang abspielte.
Eine kleine Traube aus Menschen hatte sich vor uns gebildet. Sie gingen aufeinander los, schrien und schimpften. Und dann sah ich meine Mutter, die sich schützend die Hände vor das Gesicht hielt, ihr lief Blut aus der Nase. Neben ihr war mein Vater, der versuchte sie vor den Schlägen zu schützen, dachte dabei nicht eine Sekunde an sich.
„Hey!“, schrie Jason und stürmte auf die Meute zu. Doch die schienen ihn gar nicht wahrzunehmen. Jason packte sich einen der Angreifer meiner Eltern und ein Kampf zwischen den beiden brach los. Der Mann hielt eine Eisenstange in der Hand und schlug damit nach Jason, dieser jedoch tauchte ab und rammte seinem Gegner im Gegenzug seine Faust in den Magen. Der Mann keuchte und versuchte Jason zu packen, als er langsam in die Knie ging. Mein Bruder war schneller, entriss dem Mann die Eisenstange und holt zum Schlag aus.
Doch er kam gar nicht dazu, da nun die anderen auf ihn aufmerksam geworden waren. Er stand nun drei weiteren Männern gegenüber und hinter ihnen tauchte ein weiterer auf. Es ging alles sehr schnell, beinahe zu schnell, als das ich die Bewegungsabläufe richtig sehen konnte. Meine Eltern versuchten nun meinem Bruder zu helfen.
Allerdings war meine Mutter genau so zierlich wie ich, weshalb sie einen Schlag nach dem anderen einstecken musste. Tränen stachen in meinen Augen und erst da wurde mir bewusst, dass ich handeln musste, auch wenn es aussichtslos schien. Immerhin hatten die Männer Eisenstangen in der Hand. Das darf mich nicht aufhalten! Ich schnaubte und stürmte ebenfalls auf die Meute zu.
Einer der Männer stand mit dem Rücken zu mir und hielt die Eisenstange erhoben, vor ihm kniete bereits mein Bruder, er hatte eine Platzwunde am Kopf. Die Schreie meiner Mutter hallten über den Gang, als ich nach der Stange griff und sie mit einem festen Ruck nach hinten zerrte. Der Kerl wurde herum gewirbelt und blickte sich zuerst erschrocken um, bis er mich erkannte.
Doch bevor er reagieren konnte, zog ich ihn mithilfe der Stange zu mir heran und hob rasch mein Knie, so dass es auf seinen Ellenbogen traf. Es gab ein widerliches Knacken von sich und die Eisenstange war Mein. Ich holte aus und schlug dem Mann die Eisenstange in die Seite.
Er verzog das Gesicht und ging keuchend zu Boden.
Plötzlich brachte ein Schuss die Angreifer zum Stillstand. Mein Bruder entriss einem von ihnen gerade eine der Stangen als ein weiterer Schuss ertönte. Meine Augen fixierten zwei Personen, die zu Boden gingen, sie bleiben regungslos liegen. Jemand hatte ihnen in den Kopf geschossen.
„Nein!“, schrie ich und stürzte los, um meine Eltern zu beschützen. Der dritte Schuss löste sich und bohrt sich in meine Schulter.
„Lass die Waffe fallen!“, rief jemand, blendete es aber aus und schien weit weg von all dem zu sein. Als würde ich mich in einem unendlich langem Tunnel befinden. Der Schmerz in meiner Schulter, hinderte mich an meiner Konzentration. Jason hockte sich neben mich und half mir auf, als ich es nicht allein konnte.
„Sie haben uns zuerst angegriffen, in dem sie an die Vorräte gegangen sind.“
Ein dumpfer Schlag war zu hören und ich sah gerade noch, dass der Schütze zu Boden ging.
Die anderen vier schleppten sich schnell davon, so dass wir fast allein auf dem Gang waren.
Ich weinte, vergaß den Schmerz in meiner Schulter, weil ein noch schlimmerer Schmerz sich in meinem Brustkorb ergoß, wie Säure.
„Nein!“, schluchzte ich und versuchte zu meinen Eltern zu gelangen aber Jason hielt mich fest.
„Bring sie zur Krankenstation, Jason.“, hörte ich, bevor mein Bruder mich hinter sich her zerrte, vorbei an den leblosen Körpern unserer Eltern. Er würdigte sie keines Blickes.
Die Gänge erstreckten sich lang vor uns und ich hörte immer noch die hitzigen Diskussionen hinter uns. Jason blieb still, während er mich immer noch hinter sich her zerren musste. Ansonsten wäre ich sofort den Rückzug antreten. Mein Hirn war immer noch benebelt von dem was geschehen war. Ich konnte nicht ganz begreifen, was gerade passiert war. Das einzige was ich im Moment spürte war eine unangenehme Taubheit, die sich in Sekundenschnelle ausbreitete. Ich schob es auf die Schusswunde.
In der Krankenstation wurden wir von Betty empfangen die mich sofort besorgt musterte. Ich sah sie nicht an, war mit dem Schmerz in meiner Schulter beschäftigt der immer intensiver wurde und setzte mich schließlich auf eines der Feldbetten.
„Was ist passiert?“, wollte Betty wissen, sah dabei allerdings Jason an.
Ich blickte seine Gestalt an. Jeder seiner Muskel schien zum zerreißen gespannt. Er stamd kurz davor die Fassung zu verlieren. Normalerweise war er es, der ruhig bleibt. Ich hatte ihn noch nie so gesehen. Seine Platzwunde an der Stirn hatte bereits aufgehört zu bluten. Doch ich bezweifelte, dass er keine Schmerzen hatte.
„Sie haben unsere Eltern angegriffen. Wir haben versucht, sie zu beschützen.“ Jason warf einen Blick in meine Richtung, doch ich sah stur auf meine Schuhe.
„Wer?“
Mit zusammengebissenen Zähnen tastet ich meine Schulter ab. Betty machte sich daran, Verbände zu besorgen.
Meine Hand war bald nass und rot, als ich von meiner Schulter abließ. Ich hatte Glück. Das Glück, das meinen Eltern zugestanden hätte. Warum hatte er diese Waffe? Warum hatte er geschossen?
„Sam und seine Kumpanen, sie haben unsere Eltern mit Eisenstangen bearbeitet.“
Betty gab ein merkwürdigen Laut von sich. Ein unterdrücktes Schluchzen.
„Sam hat auf sie geschossen, sie waren sofort tot.“
Nein! Wie konnte er das sagen? Jetzt, da Jason es ausgesprochen hatte zerbrach etwas in mir. War es der kleine Hoffnungsschimmer, der in mir verankert war, dass meine Eltern vielleicht doch noch lebten? Womöglich.
Wieder stachen die Tränen in meinen Augen, die Trauer vertrieb das betäubende Gefühl des Schocks.
Ich ergriff Jasons Hand, doch er entzog mir seine und trat einen Schritt zurück, ließ mich in meinem Kummer und meiner Angst ertrinken. Ich wagte es nicht, aufzusehen. Wollte nicht wissen, wie er mich ansah, wenn er denn zu mir sah.
Er wollte im Moment nicht für mich da sein.
„Ich muss mit William sprechen.“
„Aber deine Wunde muss behandelt werden!“, rief Betty empört und zugleich klang sie, als wäre sie kurz davor zu weinen
Jason verließ die Krankenstation und ließ mich bei Betty zurück, die mit einem Skalpell, ich glaubte dass es eines war, auf mich zukam. Ich wusste bereits, was mich erwarten würde. Es war ja nicht das erste Mal, dass ich die Krankenstation aufsuchen musste. Allerdings war es das erste Mal, dass ich wegen einer Schusswunde herkam.
„Es wird weh tun aber ich muss die Kugel heraus holen.“, sagte Betty sanft und strich mir die Haare auf der rechten Seite hinter das Ohr. Ich nickte nur und biss mir auf die Unterlippe. Bettys Hand war kalt, als sie meinen Arm festhielt, damit ich ihn so wenig wie möglich bewegen konnte.
Sie legte das Skalpell an und ein unerträglicher Schmerz zuckte durch meinen Arm.
Ich schrie, weinte und wollte mich am liebsten aus Bettys Griff winden, aber ich wusste, dass es sein musste. Auch wenn der Schmerz mich an den Rand des Wahnsinns trieb. Wieder und wieder spürte ich den pochenden Schmerz aufflammen, der für einen Augenblick alles andere überdeckte und beinahe war ich sogar dankbar dafür.
Ich keuchte, als Betty mit dem Skalpell von mir abließ. Bevor ich mich aber von dem Schmerz erholen konnte, versuchte sie an die Kugel heran zu kommen. Blut lief über meine Schulter und sickerte langsam in mein Shirt. Erneut durchdrang der Schmerz mein innerstes, doch ich biss nur fest die Zähne aufeinander, um nicht schreien zu müssen.
Urplötzlich war es vorbei, auch wenn der Schmerz nur langsam abflachte.
Betty beugte sich zu mir hinunter, ihr Gesicht war meinem ganz nahe. Ihre warmen braunen Augen sahen mich mitleidig an.
„Es tut mir leid.“
Mir war bewusst, dass sie nicht meine Schulter meinte. Ich wollte es nicht hören. Niemals! Ich ignorierte ihre Worte und lehnte mich etwas zurück, um ihrem mitleidigen Blick zu entkommen. Alles was ich im Moment brauchte, war Jason, meinen großen Bruder. Aber er schien selbst erschrocken, dass war mir klar. Seine abweisende Art sprach Bände. Allerdings hatte ich nie darüber nachgedacht, wie es sein würde, wenn selbst Jason nicht mehr weiter wusste.
Er hatte mich allein gelassen und er wusste, wie sehr ich litt. Aber ich dufte nicht vergessen, dass auch er ein Mensch war. Auch Jason musste verarbeiten, was passiert war. Auch wenn ich beinahe auflachte, bei dem Gedanken daran, dass ich jemals nur in Erwägung ziehen konnte, es zu verarbeiten. Die Hölle würde erst über uns herein brechen, mit der Zeit. Ganz langsam würde es sich in mir einbrennen. Niemals würde ich diese Bilder vergessen können.
„Ich werde deine Wunde jetzt reinigen und dann muss es genäht werden. Du solltest dich vielleicht auf das Bett legen.“ Ich gehorchte wie mechanisch und legte mich mit dem Rücken auf das Feldbett. Meine Schulter brannte, auch wenn ich versuchte es zu ignorieren. Es war beinahe unmöglich den Schmerz zu ignorieren.
Betty tupft mit einem Tuch auf die Wunde, was mich an ein Krankenhaus erinnert. Zumindest so, wie ich es mir vorstellte. Ich biss die Zähne erneut fest aufeinander und lenkte meine Gedanken fort von der schmerzhaften Prozedur. Meine Mutter hatte oft davon gesprochen, wie es vor vielen Jahren war, vor meiner Geburt. Menschen kamen, Tag ein Tag aus in Krankenhäuser und wurden dort behandelt. Doch heute waren alle Krankenhäuser verlassen. Wir waren die einzigen Menschen, in dieser Umgebung. Meiner Meinung nach hatten wir eine große Portion Glück, denn Betty war Krankenschwester.
„Nimm dass.“, sagte Betty und reichte mir ein gefaltetes Tuch. Es war sehr dick und ich wusste nicht, was ich damit tun sollte, also sah ich die dickliche Frau an.
„Beiß' drauf, es wird weh tun.“ Ich nickte und wandte meinen Blick ab.
„Auf drei.“
„Eins, zwei, drei!“
Ich spürte den Einstich und stöhne vor Schmerz. Allerdings schaffte ich es jeden weiteren Laut zu unterdrücken.
Ich blickte mich um, doch ich traf niemanden auf den Gängen. Wäre mir jemand begegnet, wüsste ich nicht, was ich tun sollte. Und dann noch, wenn es Sam gewesen wäre. Allein bei dem Gedanken an ihn, zog sich mein Magen zusammen. Ich blieb unvermittelt stehen und lehnte mich an die Wand, ließ mich hinunter auf den Boden sinken. Aus den Rohren, die mich umgaben kamen leise Geräusche. Mal knackte und mal zischt es.
Durch diese Rohre lief Wasser und über diese Rohre wurde auch unsere Heizöfen belüftet, sonst würden wir womöglich erfrieren. Das Wasser wurde in den Rohren erhitzt, weshalb diese soweit oben an der Decke hingen, dass niemand mit ihnen in Berührung kam. Ich schauderte bei dem Gedanken, mich an einem dieser Rohre zu verbrennen.
Kurz blickte ich den Gang hinunter. Ein Stück weiter war der Speisesaal. William hatte eine Versammlung angeordnet. Sicherlich war ich die Einzige, die noch fehlte. Aber mir sollte es recht sein. Ich wusste nicht, ob ich es ertrug, in all diese Gesichter zu sehen. In die Gesichter derer, die mir meine Eltern genommen hatten. Und ich konnte auch nicht denen in die Augen sehen, die nur da gestanden hatten. Niemand hatte uns geholfen. Niemand, bis auf William.
Ich seufzte und ignorierte das wilde Pochen in meiner Schulter, als ich aufstand. Wenn ich mir noch länger Zeit gab, würden sie ohne mich beginnen. Das konnte ich Jason nicht antun. Ich war zwar enttäuscht, weil er sich einfach von mir angewendet hatte aber er war ja immer noch mein Bruder, alles was mir geblieben war. Seine Reaktion konnte ich nachvollziehen. Ich bewegte mich wie in Zeitlupe, jedenfalls kam es mir so vor, denn der Gang wollte nicht enden.
Was würde mich erwarten?
Eigentlich konnte ich es mir denken. William würde das tun, was er eben musste. Jeder der gegen unsere Regeln verstieß, gehörte bestraft. Und unsere Strafe war, der Ausstoß aus der Kolonie. Und genau das hatten Sam und seine Kumpanen, wie Jason sie nannte, verdient.
Es brachte mir meine Mum und auch meinen Dad nicht wieder. Ich musste stark sein. Für Jason, auch wenn er der ältere war, und für mich. Wenn ich nicht stark war, zwürde ich noch daran zerbrechen.
Ich erreichte den Gang, auf dem alles statt gefunden hatte. Nun zeugte nichts mehr davon, was für eine schreckliche Tat hier begangen wurde. Sam hat meine Eltern umgebracht aber nichts deutet darauf hin. Einerseits war ich froh. Aber andererseits zeigte es mir, wie leicht es die anderen vergessen konnten.
Aber was hatte ich erwartet?
Ich stand vor der Tür, konnte durch das kleine Fenster in den Raum blicken. Alle saßen sie an den Tischen. Abgesehen von William der vor den Tischen, hinten im Saal stand. Hinter ihm befand sich Sam. Und jetzt, da alle neben oder hinter ihm standen, wusste ich, wer noch beteiligt war. Jamie, Stan und Gregory.
Ich schloss die Augen als die Tränen in ihnen stachen. Ganz ruhig, du schaffst dass.
Ich sah nicht zurück, überlegte nicht wie ich reagieren oder was ich sagen sollte und öffnete die Tür zum Saal.
Die Tür quietschte, wie immer und alle drehten sich zu mir um. Doch mein Blick war auf Jason gerichtet, der weiter vorne, in der Nähe von William saß. Neben ihm war ein Platz frei. Versucht die Blicke der anderen zu ignorieren ließ ich mich auf den Stuhl sinken, wagte es allerdings nicht aufzusehen. Ich wollte niemandem in die Augen sehen, damit sie direkt wussten, was in mir vorging. Sie wussten es ja auch so schon. Jason neben mir sagte kein Ton, nahm nur stumm meine Hand in seine und drückte sie. Ich drückte seine Hand ebenfalls. Und in diesem Moment fühlte ich mich etwas besser. Er sagte nichts aber das brauchte er auch nicht. Er war für mich da.
„Da alle anwesend sind, können wir beginnen.“, sagte William. Einige begannen zu flüstern, was mich unruhig werden ließ.
„Jason, willst du sprechen?“
Ich spürte, wie mein Bruder sich verspannte. Plötzlich war es still im Saal, bis auf das Surren der Rohre über unseren Köpfen.
Jason ließ meine Hand los und stand auf. Er stellte sich neben William und ich konnte nicht anders, als ihn anzusehen. Allerdings nur, damit ich niemanden sonst ansehen musste.
Was tat er nur?
Alle warteten gespannt, darauf das er sprach, aber er sagte kein Ton, weshalb William wieder das Wort ergriff.
„Heute beklagen wir den Tod von Miranda und Jacob. Leider muss ich euch mitteilen, dass sie ermordet wurden.“ Nun ging ein Raunen durch den Saal und es breitete sich ein erdrückendes Gefühl in mir aus, als hätte ich Steine geschluckt. Doch dieses mal musste ich nicht weinen, verspürte nur den Drang dazu, den Mördern meiner Eltern dasselbe anzutun, wie sie ihnen.
„Seid bitte ruhig!“, bat William und wieder wurde er ruhiger.
„Wie ihr seht, stehen hinter mir Gregory, Sam, Jamie und Stan. Nun...“ Es ist das erste Mal, dass ich sehen konnte, wie William um Worte rang.
„Die vier werden angeklagt wegen des Mordes an Miranda und Jacob. Jedoch weiß ich, dass es nicht allein meine Entscheidung ist.“
Jason ließ seinen Blick über die Anwesenden wandern, schaute sich jedes Gesicht genau an.
„Warum habt ihr dass getan!“, hörte ich eine schrille Kinderstimme.
Sam trat vor, in seinem Gesicht war zu lesen, dass er alles andere als Reue zeigte.
Meine Eltern standen mit ihm schon immer auf Kriegsfuß, warum auch immer.
„Sie haben Vorräte gestohlen und wir haben sie auf frischer Tat ertappt. Jacob und Miranda waren nicht kooperativ und griffen uns an. Wir haben uns lediglich verteidigt.“
Glaubte er das wirklich?
Meine Eltern sollten gewalttätig gewesen sein?
Und warum hätten sie Vorräte stehlen sollen?
Ich sprach die Worte schneller, als dass ich sie noch mal überdenken konnte.
„Du hast mit einer Pistole auf sie geschossen!“, schrie ich und sprang auf. Sam verzog kurz das Gesicht zu einer merkwürdigen Grimasse.
„Du hast sie erschossen!“
Jason hielt mich auf, als ich mich auf Sam stürzen wollte. Wieder blieb mir nichts anderes übrig, als die Augen zu schließen.
„Carrie, bleib ruhig. Die anderen werden sonst gegen uns entscheiden.“
Aber vielleicht war es bereits zu spät. Ich warf einen Blick über die Schulter und sah in einigen Gesichtern Unglaube. Warum sollten sie auch jugendlichen Erzählungen Glauben schenken?
William räusperte sich und würdigte uns nicht eines Blickes. Sam war währenddessen wieder ein paar Schritte zurück getreten und stand nun neben Jamie.
„Ich hoffe auf eure Entscheidung und dass sie gut durchdacht ist.“, sagte er.
Ich drückte mich an Jason, hielt ihn fest, obwohl die Wunde in meiner Schulter anfing zu schmerzen. Sam hatte auch auf mich geschossen. Ich hob den Blick und bemerkte, dass er mich ansah. Warum hatte er dass getan? War seine Abneigung gegen meine Eltern so viel ernster, als ich immer glaubte?
„Wir haben uns entschieden.“ Es ist die Stimme von Rafael, er arbeitete in der Küche und kam immer sehr gut mit meiner Mutter aus, die auch dort gearbeitet hatte.
„Ich höre.“
„Sam, Jamie, Gregory und Stan dürfen bleiben.“
Sam verzog keine Miene, sah mich nur weiterhin an, während die anderen drei sich angrinsten. Nur er schien nicht so erfreut wie sie. Ich löste mich schnell von Jason, riss mich von Sams Blick los und stellte mich William in den Weg der gerade auf dem Weg zu Sam war. Gespräche erfüllten den Raum. Ich spürte, das mir schlecht wurde. Sie hatten sich falsch entschieden.
„William.“, sagte ich und merkte erst jetzt, wie leise und traurig ich klang. Aber im Moment war es mir egal.
„Carrie, ich kann nichts für dich tun. Wir entscheiden gemeinschaftlich.“ Ich nickte und zwang mich zu einem Lächeln, wusste allerdings nicht wieso.
Williams braune Augen strahlten mich an. Er war einer der aufrichtigsten Menschen, die ich je kennen gelernt hatte. Aber hier konnte er nichts mehr für mich und Jason tun.
„Wenn Sam bleibt, gehen wir.“, sagte ich und hatte damit Jasons Aufmerksamkeit.
„Was!“, stieß er aus und sah mich erschrocken an.
William schien nicht minder erschrocken zu sein. Ich wandt mich um und ging an Jason vorbei, der mich ungläubig ansah. Immer noch hingen die Gespräche schwer in der Luft und machten mir das atmen schwer.
„Hört ihr bitte zu!“ Niemand drehte sich zu mir um, alle waren weiterhin in Spekulationen vertieft, was wirklich vorgefallen war.
Ich schnaube, wie leicht es ihnen fiel über den Tod hinweg zusehen. Und dann auch noch über einen Mord.
„Jason und ich verlassen die Kolonie!“, schrie ich beinahe, als mir der Kragen platzte. Jason und ich wären besser dran, wenn wir fort gingen. Dann konnte uns niemand etwas mehr anhaben. Niemand konnte mir dass nehmen, was mir geblieben war.
Die Köpfe schnellten herum und ich erntete viele verwirrte und skeptische Blicke.
Aber ich würde meine Entscheidung nicht ändern. Ich würde es nicht ertragen, weiter in der Kolonie zu leben, mit dem Gedanken, dass ich es hingenommen hatte, mit dem Mörder meiner Eltern zusammen zu leben.
„Carrie, was ist nur in dich gefahren?“, fragte Jason. Ich spürte seinen Blick in meinem Rücken. Ich konnte ihn verstehen, denn ich hatte ihn vor vollendete Tatsachen gestellt. Wer würde ihm also seine Reaktion verdenken?
„Keine Sorge, ich bin nicht übergeschnappt.“, gab ich zurück und ignorierte ihn, während ich in einem riesigen Wanderrucksack alles unterbrachte, was wichtig war. Oder zumindest dass, was meiner Meinung nach wichtig war.
Ich hatte nicht viele Dinge, das meiste war Kleidung, auch wenn selbst diese sich in Masse in Grenzen hielt. In diesen Zeiten war vieles nur spärlich abrufbar. Aber genau so war ich aufgewachsen. Ich kannte es nicht anders.
„Ich rede noch mal mit William.“, tönte Jason ärgerlich. Ich glaubte, dass er kurz davor war zu platzen. Seine Stimme klang rau, als würde er sich anstrengen ruhig zu sprechen. Und womöglich war es auch so.
Als ich einen Blick über die Schulter warf war Jason nicht mehr da. Natürlich ließ es mich nicht kalt, dass er sich nicht für meine Idee begeistern konnte. Allerdings war auch das verständlich. Ich seufzte und zog nun den Rucksack zu, als ich fast alles zusammen hatte. Der Verschluss des Rucksacks knackte laut als ich ihn in das Gelenk schob.
Es klopfte hinter mir an der Tür, weswegen ich wieder über meine Schulter hinweg sah. Da stand William und sah alles andere als begeistert aus.
„Können wir reden?“, fragte er und ich nickte. William trat ein. Wir befanden uns im Saal in dem die Frauen und Kinder schliefen. Die Männer belegten einen eigenen. Auch wenn die Räumlichkeiten groß erscheinen, reichten sie für unsere Verhältnisse gerade aus. Vielleicht war es gut, wenn zwei Menschen weniger hier waren. William setzte sich auf eines der Feldbetten. Genau solche standen auch auf der Krankenstation.
Der Blick des Schwarzhaarigen lag auf mir, ich fühlte mich unwohl. Aber dennoch hatte es etwas vertrautes. Er war der beste Freund meines Vaters. So absurd das ganze auch war, musste ich ihm hoch anrechnen, dass er gegen seine eigene Meinung entschieden hatte. Ich wusste, dass er Sam gerne verstoßen hätte. Aber wie er bereits gesagt hatte. Wir entscheiden gemeinschaftlich. Und dass hatten sie.
Uns hatte man außen vor gelassen.
„Willst du es dir nicht vielleicht anders überlegen?“ William sah mich durchdringend an. Sein Blick hatte etwas väterliches, was ich im Moment einfach nicht ertragen konnte. Deshalb wendete ich mich von ihm ab und hievte den schwereren Rucksack von meinem Bett und stellte ihn ächzend daneben. Ein pochender Schmerz lief durch meinen Arm bis in mein Schulterblatt. Beinahe hatte ich es vergessen.
„Nein William. Ich habe mich entschieden.“, verkündete ich, mir war aber klar, dass er damit bereits gerechnet hatte.
Ich warf ihm einen kurzen Blick zu. William wollte etwas erwidern doch ich kam ihm zuvor.
„Es ist mir unbegreiflich, warum du noch hier bist.“ Seine dunklen Augen funkelten mich an. Er schien zu wissen auf was ich hinaus wollte.
„Ich meine Mia ist ja schließlich-“, jetzt unterbrach mein Gegenüber mich schroff.
„Sei still!“ Es war plötzlich still zwischen uns. Sein Ausbruch sagte mir jedoch, dass er daran gedacht hatte, als Sam... geschossen hatte.
Ich konnte leider im Moment nicht abstreiten, dass ich mich getadelt fühlte. Aber ich war es selber schuld, ich hatte ihn provoziert.
„Du hast keine Ahnung, wie es ist. Ich muss Zugunsten der Kolonie entscheiden und darf meine eigenen Bedürfnisse und Gedanken nicht mit einbringen. Was wäre ich denn für ein Mensch, wenn ich sie verstoßen würde?“ William schien ungehalten. Zuerst erwiderte ich nichts und setzte mich auf mein Bett. Hier, in diesem Teil der Station war es recht kühl. Deshalb besaß auch jeder mindestens zwei Decken.
Ich seufzte und sah William entschuldigend an.
„Du wärst ein Mensch der die Kolonie vor Mördern schützen will.“ Einen Augenblick halte ich inne. Ich war kurz davor in Tränen auszubrechen, als ich an meine Eltern dachte. Ich hörte immer wieder Schüsse, bildete sie mich aber nur ein.
„Und auch wenn ich vielleicht kein Urteil fällen darf. Selbst wenn meine Eltern, wie Sam behauptet, an den Vorräten waren. Sie haben es nicht verdient, zu sterben. Nicht einmal ein Angriff hätte es gerechtfertigt.“ Wild schüttelte ich den Kopf, so dass sich ein paar Strähnen aus meinem Zopf lösten.
„Du musst für die Kolonie entscheiden und Sam hat für sich entschieden.“ Nun zuckte ich die Schultern.
Ich hörte Schritte auf dem Gang, ansonsten war es still.
„Wann bist du so erwachsen geworden?“, fragte William und lächelte mich an. Es sah echt aus. Aber ich konnte es leider nicht erwidern.
Jason tauchte in der Tür auf und sah zwischen mir und William hin und her.
„Will, kann ich mit dir sprechen?“
Die Nacht war herein gebrochen. Die Kälte kroch immer weiter durch die Gänge, denn selbst unsere Konstruktion konnte sie nicht gänzlich ausschließen.
Jason schlief bereits, da er damit rechnete, dass wir am Morgen aufbrechen würden. Aber ich hatte meine Entscheidung geändert. Ich konnte mir selbst nicht erklären, was mich geritten hatte. Auch wenn Jason mich womöglich zum Teufel wünschen würde.
Ich sah kurz zurück, doch niemand befand sich, außer mir, auf dem Gang. Ich erreichte den Vorratsraum. Er war üppig gefüllt. Hier stellte ich mir aber die Frage, wie lange dass noch so bleiben würde. Immerhin würden sich die Vorräte irgendwann dem Ende zuneigen und wir hatten nicht die Möglichkeit neue zu beschaffen.
Im Vorratsraum war es deutlich kälter als im Rest der Station. Was aber eher daran lag, dass die Vorräte sonst zu schnell verderben würden.
Ich wusste, dass das was ich machte, einem Verrat gleich kam und ich viel riskierte. Aber mir blieb nichts anderes übrig. Würde jemand erfahren, dass ich mich an den Vorräten vergriffen hatte, so würden sie mich womöglich verstoßen.
Einem Mörder gewährten sie weiterhin Obdach, aber mich würden sie ausschließen. Es war so absurd, dass ich beinahe lachte.
Der Rest der Kolonie glaubte, was Sam und seine Kumpanen erzählt hatten. Aber meine Eltern waren keine Diebe.
Am ersten Regal, durchsuchte ich die Kisten nach etwas, das weniger auffallen würde aber trotzdem brauchbar war.
Die Regale die sich vor mir auftürmten waren riesig und mir war unbegreiflich, wie es uns möglich gewesen war, sie zu füllen.
Als ich eine Kiste aus dem Regal zog und auf dem Boden abstellte hatte ich einen Blick auf eine weitere Kiste, weiter hinten im Regal. Deren Inhalt lachte mich schon beinahe aus. Es befanden sich nur ein Paar Äpfel darin. Die konnte ich unmöglich mitnehmen. Sie würden verderben, bevor ich irgendwo Unterschlupf gefunden hatte. Also zog ich auch diese Kiste heraus und stellte sie ebenfalls auf den Boden.
Die Letzte Kiste die sich in dieser Reihe ganz hinten befand schien schon vielversprechender zu sein. Es würde sicherlich auch nicht sofort auffallen, da es Spielereien waren. So nannte es zumindest William.
Die Kiste war voll mit Schocko- und Energieriegeln. Natürlich war es uns strickt untersagt einen zu essen. Denn diese Dinge waren am längsten haltbar und wurden nur zu besonderen Anlässen verteilt.
Plötzlich knackte etwas laut auf dem Gang.
Ich hetzte zum Eingang des Vorratraums und spähte durch die Tür. Der Gang war nur spärlich erleuchtet und so konnte ich auch niemandem auf dem Gang ausmachen. Vielleicht hatte jemand etwas mitbekommen. Oder eine der Frauen war aufgefallen, dass ich nicht in meinem Bett lag. Sollte mich einer erwischen, wäre es für mich nicht weiter schlimm. Ich ging sowieso. Aber ich hatte Angst, dass sie wegen meinem Verhalten auch Jason Verstoßen würden. Ich würde es mir nie verzeihen.
Doch auch einige Augenblicke später war nichts mehr zu hören oder gar zusehen. Deshalb wendete ich mich wieder meiner Arbeit zu und streifte mir den schweren Rucksack von den Schultern. Ich konnte ihn jetzt schon kaum noch tragen aber es gab nichts, dass ich zurücklassen konnte.
Die Wunde brannte als hätte jemand Säure darüber gegossen.
Achtlos nahm ich die Kiste mit den Riegeln und verfrachtete so viele wie möglich in meinen Rucksack.
Als der Rucksack so voll war, dass er schon aussieht als würde er platzen, stellte ich die Kiste wieder Zurück. Auch die anderen stellte ich wieder zurück an ihren Uhrsprungsplatz.
Mit festem Griff schnürte ich den Rucksack zu, auch wenn ich beinahe all meine Kraft aufbringen musste.
Das Schloss des Rucksacks rastete wieder mit einem Knacken ein.
Ich setzte mich auf den kalten Boden. Die Kälte des Metalls fraß sich sogleich durch meine Jeans. Auch wenn ich es gewohnt war, so war die Kälte immer noch mein größter Feind. Aber nicht nur meiner.
Ich lauschte, als ich wie aus dem Nichts etwas hörte.
Schritte!
Schnell war ich wieder auf den Beinen und Schnappte mir die Schwere Last von Rucksack und packte ihn auf meinen Rücken, auch wenn der Schmerz sogleich wieder aufflammte.
Mit schweren Schritten stolperte ich aus dem Vorratsraum. Das Licht auf dem Gang war so spärlich, dass ich beinahe fiel, aber im letzten Moment konnte ich mich wieder fangen.
Hoffentlich schliefen alle schon. Denn eigentlich war es schon sehr spät, so dass ich mir nicht denken konnte dass noch jemand wach war. Aber es waren eindeutig Schritte, die ich gehört hatte.
Und wie zur Bestätigung hörte ich wieder Schritte, nur dieses Mal hörte ich sie hinter mir, in einiger Entfernung.
Egal wer es war, er hatte mich auf jeden Fall entdeckt. Ich lief so schnell es mir möglich war und suchte die große Halle.
Angst kroch an die Oberfläche meines Denkens und schnürte mir die Kehle zu. Ich hatte Angst erwischt zu werden. Aber noch mehr vor den Konsequenzen die darauf folgen würden.
Die Schritte kamen immer näher! Der Rucksack war einfach viel zu schwer. Aber zurücklassen konnte ich ihn auch nicht!
Letztlich erreichte ich die große Halle in der sich das große Tor befand, dass uns vor der Witterung schützte.
Aber alle Bedenken warf ich über Bord. Hörte nicht auf die Stimme meines Vaters die sich in mein Hirn bohrte und mir sagte, dass ich umkehren sollte.
Mit so einem Ende hatte ich nicht gerechnet. Aber hätte ich gewusst, dass mich jemand erwischen würde, hätte ich mich ein wenig geschickter angestellt.
Ächzend stieg ich die Stufen hinauf, die zum Tor führten. Es war durch einen großen Riegel verschlossen, so dass niemand die Möglichkeit bekommen würde, herein zu kommen.
Ich erblickte den rot leuchtenden Knopf und sah über die Schulter. Jetzt sah ich meinen Verfolger. Mir blieb beinahe die Luft im Halse stecken.
Sam...
Ohne weiteres Umschweifen schlug ich auf den roten Knopf. Es ächzte und quietschte, als sich der schwere Riegel zur Seite schob. Es war lange her, dass das Tor das letzte Mal geöffnet worden war.
„Carrie!“, hörte ich Sam rufen. Aber als ich seine Stimme hörte läuft es mir eiskalt den Rücken herunter. Er dufte mich nicht erwischen. Ein schrecklicher Gedanke setzte sich in meine Kopf fest.
Vielleicht hatte er immer noch die Waffe. Ich schauderte.
Endlich war der Riegel verschwunden und ich drückte den Hebel am Tor mit all meine Kraft herunter. Er schien wie festgefroren, was nicht weiter verwunderlich war.
„Carrie warte!“, rief Sam erneut hinter mir und eilte nun die Stufen hinauf.
Erleichterung überschwemmte mich, als sich der Hebel löst und das Tor krachend aufsprang. Eisige Kälte empfing mich und raubte mir kurz den Atem. Mit unbeholfenen Schritten stürzte ich heraus und versuchte Abstand zwischen mir und Sam aufzubauen.
„Carrie!“ Wieder war es Sams Stimme. Dieses Mal schrie er sich beinahe die Seele aus dem Leib.
In einiger Entfernung blieb ich stehen und drehte mich um. Da stand er, zwischen hier und dort, im Tor. Seine Silhouette war bereits so klein geworden, dass ich ihn kaum noch erkennen konnte.
Lange blieb ich stehen und haderte mit mir. Auch wenn ich wusste, dass ich nicht mehr zurück konnte. Ich hatte mich entschieden und Sam würde nicht zögern. Das wusste ich. Zumindest glaubte ich das.
Entschieden wendete ich mich von Sam ab, der mir hinterher blickte und ließ mein Zuhause und meinen Bruder zurück.
Es fiel mir Schwer, Jason zurück zulassen.
Er würde aufwachen, wenn er es nicht bereits mitbekommen hatte, und sich fragen, was ich mir bloß dabei gedacht hatte. Aber sicherlich würde William ihn daran hindern, nach mir zu suchen. Denn das brauchte er gar nicht, denn ich würde nicht wieder kommen.
Mit diesem Entschluss fiel mir jeder weitere Schritt ins Nichts noch schwerer. Vor mir erstreckte sich eine endlose Eiswüste und es gab kein Entrinnen.
War es wirklich unsere einzige Möglichkeit gewesen zu überleben? Hier draußen, wo der sichere Tod mit uns im Bett schlief? Denn neben denjenigen, die wie Sam, zum Mörder wurden, gab es immer noch die verfluchte Witterung.
Ich schlug mir all die verwirrenden Gedanken aus dem Kopf. Ich konnte so etwas im Augenblick nicht gebrauchen.
Deshalb begann ich damit, mir selber Mut zuzusprechen.
Aber auch das brachte mich nicht wirklich weiter. Ich blieb stehen, der Rucksack trieb mich beinahe in die Knie und der pochende Schmerz in meiner Schulter gewann die Oberhand.
Mein Blick schweifte zurück. Aber die Station war nun nicht mehr größer als ein Staubkorn und ich konnte sie nur noch erahnen. Ich war verwundert über mich selbst, wie schnell ich sie doch hinter mir gelassen hatte.
Doch einen weiteren Augenblick gab ich mir nicht mehr und setzte meinen Weg fort. Auch wenn ich nicht genau sagen konnte, was mich erwartete. Eher regte sich in mir der Verdacht, dass ich vielleicht gar keinen Unterschlupf finde und erfrieren würde.
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Tag der Veröffentlichung: 25.10.2017
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