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federleicht geht mein atem, meine füsse sind in höchster bereitschaft, mein körper schmiegt sich gegen den vorhang und meine ohren und nase erfassen jede vibration der luft, nur meine hände sind ruhig, sie fassen in den stoff, nur sacht, bereit sich vorzutasten .... weiter ...

in den theaterräumen sind ein paar menschen, sie haben alle ihre aufgaben und kümmern sich nicht darum, wer noch hier herumgeht.

ich kann schnell quer über die bühne gleiten und springe hinunter, neben der bühne sind paravents ...

wenn die putzfrau mit den sitzen durch ist, ist der weg frei. sie sammelt programme, kaugummipapier und taschentücher ein ... dann wird sie die sitzbeleuchtung ausschalten ...

blitzschnell fliege ich in sanften katzensprüngen zwischen die vorderen sitze und kauere mich nieder ...

heut nacht probt er wieder, er probt immer am originalort, sein flügel ist schon aufgestellt und im richtigen winkel positioniert ...

ich hasse vorstellungen, ich liebe proben. mein traum ist es, mit ihm gemeinsam etwas zu erschaffen. er soll spielen, ich will singen und tanzen - frei, nur wir zwei - niemand dabei, keine zeugen, keine störungen ...

er kennt mich überhaupt nicht, ich ihn auch nicht, kennt man einen öffentlichen künstler, musiker, nur weil seine musik als ton-erinnerung kaufbar ist? weil seine fotos und plakate und biografie leicht aufspürbar sind? ja und nein. ich weiss es nicht.

ich riskiere alles, aber jetzt bin ich sicher in den stuhlreihen, ich lege mich hin und schaue an die decke. ich habe noch einen aktenkoffer dabei, neben dem rechten bühnenzugang versteckt, weil ich ja von hinten reingekommen bin. meine kleidung ist enganliegend, schwarzer stretch und meine füßlinge sind weich, super zum schleichen und tanzen ... lächelnd atme ich tief durch und fühle in mir das orchester in der brust und im bauch, die hitzewogen die meine aufregung erschafft ...

es ist mein größter herzenswunsch und ich habe mich vorbereitet ... alles habe ich über ihn recherchiert, mich tief eingefühlt, jeden kommentar seines teams aufgesogen ... ich weiss, was er gern hat, isst, trinkt, was ihn launisch macht, was ihm wichtig ist ... zumindest scheinbar ... :-)

ich bin auf ihn eingestimmt ... er müßte in ca. 1/2 std. kommen, die lärmigen arbeiten sind abgeschlossen, der letzte bühnenarbeiter wird bald gehen. er will immer allein sein, wenn er probt. sein manager oder jemand seines teams warten draussen auf ihn, lesend ... es ist genug zeit für uns ... ich hole den seidenen rock raus, aus meiner bauchtasche, er ist nur ein farbiger hauch und ziehe ihn über meine leggins, dann noch den seiden schal und es sieht aus, wie ein opernoutfit ... es wird immer ruhiger, zwei weitere leute sind gegangen ...
ich bin wahnsinnig aufgeregt ...

Zwei meiner freunde wissen, dass ich mich in die probe einschleichen will, um mich hier auszuleben, alle anderen würden doch nur lachen und kein verständnis haben, ist das wie ein einbruch? ich sammle meine gedanken und bilder und atme bewusst ruhig und spiele mit den händen, ganz auf mich konzentriert und den raum, der aus so vielen nischen, gängen und der bühne besteht.

eine tür knallt, feste zielgerichtete schritte kommen näher aus dem bereich hinter der bühne, oh so schnell! schon steht er neben dem flügel, knallt eine mappe auf den sitz und streift sich die jacke ab und wirft sie auf den boden. er scheint voller energie und focussiert, oh je! man hat für ihn eine flasche stilles wasser und ein glas bereitgestellt, er schenkt sich stürmisch ein glas ein und leert es auf einen ansatz. dabei war sein rücken zum zuschauerraum der sowieso stark abgedunkelt ist, da nur von der bühne ein kleines licht zum flügel eingestellt wurde. ich setze nich vorsichtig in einen stuhl und versinke darinnen.

er dreht sich den stuhl zurecht, setzt sich, klappt den tastenschutz auf und beginnt. mittendrin stopt er, greift zur mappe und richtet sich noten ein und spielt weiter. am ende des lieds klatsche ich. er schaut ruhig und erstaunt auf. ich gehe zum reihengang und gehe zum bühnenrand. mein haar ist jetzt offen und die bunten seidigen stoffe schimmern weich und fallen flauschig. ich grüße ihn, ganz klar-kurz und melodiös. ich habe eine überraschung für ihn, er steht auf, verneigt sich kurz, schweigt und ich hole den aktenkoffer. er enthält 3 rosen, eine flasche köstlichen inhalts und ein paar erlesene schleckereien. während ich hantiere sage ich ihm, ob ich sein stiller, diskreter gast in dieser probe sein dürfe, es sei mein herzenswunsch und niemand wisse, dass ich hier sei, dabei schaue ich ihn an, wie ein erschrockenes reh ... und schweige in höchster anspannung und größter innerlicher hitze und irgendwie muss ich lächeln, er hat so schöne augen und ist so ruhig-warm-gütig. er kommt auf mich zu, bleibt vorsichtig vor mir stehen, als hielte er mich für eine erscheinung ...

es sei umgekehrt, nicht er sei mein gast, mit blick auf die Schätze aus meinem koffer, sondern ich solle SEIN gast sein, ich könne mir den stuhl da heranziehen und zuhören. wie ich hiesse? Lea, sagte ich und ich verneigte mich, während ich schnell den stuhl heranzog und ihn im rechten winkel zu ihm plazierte, dahin wo er mit der hand hingewiesen hatte, brav saß ich pfeilschnell und war tief-klar-dankbar-froh-ruhig, sehr brav, scheinbar. er lachte jetzt, sehr leise, dann schüttelte er sich, als wenn es nasse tropfen geregnet hätte, nahm sich was von den köstlichkeiten in den mund und spielte weiter ... schaute immer wieder zu mir rüber ... ganz versunken.

sachte, vorsichtig erhebe ich mich und beginne zaghaft aber mit viel leidenschaft tänzerische bewegungen, er nickt und spielt weiter, ich erobere die fläche auf der bühne und bewege mich, so wie ich es mir immer vorgestellt habe, nur viel schöner, lebendiger, in der dichten süßen heissen geilen substanz die in der luft zwischen uns lebt.

unsere anwesenheit und stillschweigende spontane freundschaft schafft eine dichte köstliche atmosphäre, die mich beflügelt und antreibt eine freie wildheit möglich macht. er sieht kaum auf, läßt sich ganz in die tasten fallen und wird auch wilder, jeder ist für sich und wir reiten die wellen unserer lust ab ... das schafft energie und wirkt wie ein adhoc virus, der uns hinwegrafft ... ich lache und beginne zu singen, melodiös, meist ohne worte, laute und klänge kommen aus meiner kehle, die raus wollen, laut in die musik eingeschmiegt oder aus ihr herausragend ...
er spielt und spielt, ich schwitze und vibriere, ich tanze und schüttele mich und singe dabei in lauten, manchmal worten, die mehr klingen als sprechen ...
er hört plötzlich auf, hustet und geht zur wasserflasche, ich komme, er reicht sie zuerst mir, ich trinke aus der flasche und reiche sie ihm zurück, er saugt das nass in sich ... dann schaut er, wie ein wilder, der etwas neues entdeckt. ich erwidere das lauschende schweigen und öffne meine sinne, eine große spannung entsteht, ich trete einen schritt zurück, ganz tastend, um der spannung platz zu machen, er breitet seine arme aus, um dem ungeheuerlichen raum zu schenken ... wir staunen über diese dichte prickelnde kraft zwischen uns ... wie ein geheimnis, das ungeschehen sein wird, bevor es bekannt wurde ...

er dreht sich um, nimmt wieder leckerein in den mund und setzt sich zum spielen. ich drehe mich auch wieder in die mitte und öffne die arme, bereit auf den tönen zu reiten, sie mit leben zu füllen ...

in der nächsten pause, lehnt er seinen kopf an den flügel und läßt sich absinken. meine aufmerksamkeit ist ganz bei ihm, wir schweigen und halten alle sinne offen, bereit. in gedanken berühre ich ihn zärtlich und flüstere ihm dankesworte und wie schön das ist, in sein ohr. ich streichle sein haar, sanft, absichts-frei, den moment einfach geschehen lassen ...
wir atmen in der stille ganz leise, damit nichts die sinne verstopft mit unwichtigem. jede regung des anderen nehmen wir tief auf. meine zärtlichkeit muss er fühlen, weil seine haltung wird weicher, wie in geborgenheit und wärme eingefangen. das ermutigt mich, ich gehe leicht unhörbar zu ihm hin und berühre ihn wirlich, an der schulter, tastend zärtlich leicht reibend und er kommt mir entgegen und ich nehme beide hände zu ihm. er genießt das ... dann plötzlich nimmt er meine beiden hände und führt sie zu seinem mund und küßt sie. ich lächele und mache ein hörbares hmmmmmmmmmh ... er zieht mich ganz ran an seinen rücken und schmiegt seinen kopf an mir. wir bleiben eine weile so kuschelig und dann spielt er weiter, den rest des planeten ignorierend oder integrierend?

hah! mir ist es egal, ich bewege mich, erst hinter ihm, dann löse ich mich zärtlich und tanze wieder, sehnsüchtig singend ...

irgendwann, hört er plötzlich auf, steht abrupt auf, schließt den deckel und sammelt die mappe zusammen.
er kommt auf mich zu, ganz energisch, öffnet die arme, wir umarmen uns. lange, er küßt mich auf das haar, die wange, und ich erwidere diese süße. dann löst er sich, ruhig wartend ...
ich packe meinen aktenkoffer und bin auch bereit. gemeinsam gehen wir zum bühnenausgang, schweigend, klar, bewußt, ohne erwartungen ... erfrischt und in hochstimmung gehen wir in die eingangshalle, er nickt mir noch kurz zu, und wendet sich zum nebenraum, wo er erwartet wird, und ich geh einfach zum Gebäude-ausgang, ich drehe mich nocheinmal um ...

er schaut auch über die schulter zurück, kurz, staunend, wie träumend ...
dann bin ich allein und in meiner hochstimmung, alle sinne offen, träume ich meinen weg nach hause zurück.

ich habe keine worte ... ich bin einfach seelig ... staune ... mächtig ...


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Tag der Veröffentlichung: 02.10.2010

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