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Titel

Steinseele

 

von

 

Achim F. Sorge

 

 

 

 

 

ELVEA

  

Achim F. Sorge

 

Mein Pseudonym Achim F. Sorge steht für einen Mann, der im bürgerlichen Leben Software-entwickler ist. Geboren wurde ich 1961 im Kölner Raum und zuerst verfasste ich lediglich Fach-literatur. Meine Vorliebe zu kafkaesken Kurzgeschichten zeigte sich nahezu zufällig.

 

Um einen ungebundenen Schreibstil zu kultivieren, schrieb ich ohne festes Konzept die Gedanken auf, die sich ohne mein bewusstes Zutun entwickelten. Später entdeckte ich meine Liebe zu Kriminal- und Gruselgeschichten, die meist auch in einer bizarren, kalten Umgebung spielen.

Keine Scheidungsfälle!

 Krimi

 

Ich sitze in meinem kleinen Wohnzimmer-sessel, schaue in Richtung der kahlen, weiß getünchten Wand, höre über einen Kopfhörer eines meiner Lieblingsstücke. Lange habe ich nicht mehr zu leben, nur noch eine ganz kurze Zeit bleibt mir. Mit Mühe versuche ich, mich an die schönen Momente in meinem jungen Leben zu erinnern, versuche, den Gedanken an das Ende aus meinem Gehirn zu verbannen. Gestern noch dachte ich an meine Zukunft. Ich schmiedete Pläne und wünschte mir vor meinem Tod ein beschauliches Leben als Rentner in einem schönen, ruhig gelegenen Haus im Wald.

Vor knapp einer Woche begann das Unglück. Ich war nach einem langen Gespräch mit einem Sachbearbeiter meiner Hausbank erst spät in mein Büro gekommen. Es war sehr heiß an diesem Tag. Die Wände schienen zu glühen, die Luft in dem Zimmer war stickig und roch alt, wie abgestanden. Ich öffnete ein Fenster und schaltete den Ventilator ein. Wie betäubt ging ich zu meinem alten, wackeligen Schreibtisch, setzte mich auf den ebenso alten und wackeligen Schreibtischstuhl. Der Ventilator blies heiße Luft zu mir herüber, ich dachte an die Stromrechnung und stand rasch auf, um das Gerät wieder abzuschalten. Zurück auf meinem Stuhl angekommen hörte ich, wie aus der Ferne, die Türglocke läuten. Ich erschrak, das Geräusch hörte ich nur sehr selten, viel zu selten. Meistens klingelten schleimige Vertreter oder scherzende Kinder, wenn überhaupt einer den Klingelknopf beachtete. Doch diesmal betrat eine junge Dame meine Detektei. Ich bat sie höflich Platz zu nehmen, doch sie schaute nur verächtlich auf den staubbedeckten Stuhl für meine Besucher. Geradewegs erklärte sie mir stehend, dass sie einen diskreten Ermittler benötige. Ihr Ehemann hatte zu einer anderen Dame eine innige Beziehung aufgebaut und sie benötige Beweise, um sich scheiden lassen zu können, so der Konsens ihrer Ausführungen.

Auf meinem Büroschild stand in großen Buchstaben das Wort „Detektiv“, mein Name, der Tätigkeitsschwerpunkt meines Ermittlungsbüros und der unmissverständliche Satz »Keine Scheidungsfälle!« Der Gedanke an meinen Kontostand ließ mich den Satz vergessen und ich fragte beflissentlich nach weiteren Details. So erfuhr ich von einem Apartment, bekam ein paar Fotos und die übliche Anzahlung. Kaum war der blonde Schopf der Frau aus meinem Büro verschwunden, rief ich die Telefongesellschaft sowie die Stadtwerke an. Ich versprach eine Anzahlung auf die ausstehenden Summen und hatte bei beiden Gesellschaften Erfolg. Bis Ende des Monats wollten sie mir weder Strom noch Telefon abstellen. Zufrieden schaltete ich den Ventilator wieder ein, Geld ist sprudelndes Leben und Bargeld ist erquickend wie kühles Wasser in der Wüste. Den Rest des Bürotages verbrachte ich damit, den Vermieter des Apartments ausfindig zu machen, was mir endlich auch gelang. Über dessen Büro erfuhr ich, dass die Wohnung tatsächlich von dem besagten Ehemann angemietet war. Zufrieden mit meiner Arbeit verließ ich mein Büro. Auf dem Heimweg besuchte ich noch einen Fachhandel für Diebstahlsicherung, wo ich bei einem Freund gegen den üblichen Beitrag, eine Flasche trinkbaren Whiskeys, eine Überwachungsanlage auslieh.

Gleich am anderen Tag stand ich recht früh als Handwerker verkleidet vor dem Apartmenthaus. Ich läutete bei den Nachbarn, erklärte ihnen, ich müsse wegen der Heizungsanlage einige Messungen vornehmen. Ich hatte Glück, einer der Nachbarn war eine zugewanderte Familie, in der nur das Mädchen die Landessprache verstand. Ich erklärte ihr freundlich, was ich zu tun hatte. Also Löcher bohren, Messstäbe einführen, ein Gerät auf-stellen und noch öfter wiederkommen. Sie übersetzte alles ganz brav und ihre Eltern nickten verwundert. Aber sie nickten. Und so konnte ich in aller Ruhe die kleinen Kameras installieren, mit ihnen hatte ich das fragliche Apartment gut im Blick. Das Aufzeichnungsgerät hatte ein Magazin für insgesamt vier Kassetten. Jede Kassette konnte bis zu einen Tag lang die Bewegungen vor den Kameras aufzeichnen. Ich überprüfte noch einmal die Funktion des Gerätes, streichelte dem Mädchen über den Kopf und verabschiedete mich freundlich. Mit dem Verlassen des Hauses sah ich in einem Augwinkel wie der fragliche Mann in Begleitung auf das Haus zukam. Ich sah nicht hin, ich wusste ja um die Kameras. Den restlichen Bürotag verbrachte ich in bester Laune und in Vorfreude auf das leicht verdiente Honorar. Abends zeichnete ich mit meinem Tonband, ich hatte es gebraucht aus dritter Hand erworben, ein Klavierkonzert meines Lieblingskomponisten auf. Im Radio wurde ein selten gespieltes Stück von ihm übertragen und ich war froh, dass ich das Stück nun öfter hören konnte. Nach den Nachtnachrichten duschte ich mich kalt ab und ging zu Bett.

Am Morgen danach schlief ich länger als üblich, fuhr anstelle zu meinem Büro zu dem besagten Apartmenthaus. Ich klingelte an der Wohnung der Einwanderer, wie erwartet öffnete mir das Mädchen. Ich hatte eine kleine Tüte Süßigkeiten mitgebracht und erwärmte so das Herz der Kleinen. In der Wohnung tat ich sehr beschäftigt. Ich kontrollierte die Anlage, entnahm die erste Kassette und verabschiedete mich mit dem Hinweis auf meinen Besuch in den nächsten Tagen. Rasch fuhr ich zu mir nach Hause, um mir die Aufnahme anzusehen. Meine Mandantin hatte recht. Sie hatte allen Scheidungsgrund der Welt. Gleich von meiner privaten Wohnung aus rief ich sie an und wir vereinbarten einen Termin am gleichen Tag in meinem Büro. Obwohl ich den Besucherstuhl sauber abgewaschen hatte, setzte sie sich nicht, nahm stehend die Kassette entgegen und überreichte mir den ausgemachten Gesamt-betrag. Bei sparsamer Lebensführung konnte ich fast vier Wochen von dem Geld leben, sehr viel Geld für einen armen Mann wie mich.

Anderntags schlug das Wetter um, es zogen Wolken auf, ein Gewitter kündigte sich an. Ich hatte nichts Besseres zu tun als mich erneut zu der Wohnung aufzumachen, um das geliehene Aufzeichnungsgerät abzuholen. Auf dem Weg wurden die Wolken immer dichter und dunkler, erste Blitze schnellten durch den Himmel. Das Haus war auf einem flachen Hügel gelegen, ich fuhr in eine dunkle Wolkenschicht ein. Es regnete heftig, kaum sah ich die Straße vor mir. Unvermittelt stand neben meinem Wagen eine feurig gleißende blaue Lichtsäule. Mit dieser Säule kam ein Donner, der mich fast auf den Beifahrersitz warf. Ein Glück, dass ich mich am Lenkrad festgehalten hatte. Dann war die Lichtsäule verschwunden, der Donner auch. Ich stellte erstaunt fest, dass der Wagen unbeirrt weiter fuhr. Mein ganzer Körper zitterte und ich war nicht mehr alleine. In meinen Kopf war noch ein anderer Mensch, er sprach wortlos das Wort »Ende«, bevor er verschwand und ich wieder alleine in meinem Auto saß. Neben der Angst, nun hoffnungslos verrückt zu sein, blieb ein stechendes Brennen auf meiner Haut zurück.

Schweißgebadet erreichte ich endlich mein Ziel. Einer der Blitze hatte die Stromversorgung in dem Viertel zum Erliegen gebracht, so musste ich lange klopfen, bevor mir das Mädchen öffnete. Gleich begann ich mit der Arbeit und demontierte die Anlage samt Kameras. Das Mädchen wich nicht von meiner Seite, schaute mir bei der Arbeit genau zu und stellte unentwegt neugierige Fragen. Ich antwortete ihr gerne, es lenkte mich von meinen Schrecken ab. Meine Haut brannte immer noch, fühlte sich so an, als ob eine Armee Ameisen über ihr liefe. Bald hatte ich die Ausrüstung beisammen und verabschiedete mich von der Familie. Während ich der Kleinen den Kopf tätschelte versicherte ich ihnen, dass alle Messwerte bestens seien. Auf der Rückfahrt überlegte ich mir, dass ich, bevor ich das Gerät zurückgab, die Kassetten entnehmen sollte. Auch wenn man mit meinem Freund Pferde stehlen konnte, solche intimen Aufnahmen von sich liebenden Pärchen waren bei ihm garantiert in den falschen Händen. So fuhr ich zu meiner Wohnung, um das Gerät dort an den Strom anzuschließen und die Kassetten entnehmen zu können. Doch das Gerät war mehr in Leidenschaft gezogen worden, als ich es gehofft hatte. Trotz aller Mühen bekam ich die Kassetten nicht mehr aus dem Schacht heraus. Es war wohl ein wichtiges Teil durch den Blitz zerstört worden. So blieb mir nichts anderes übrig, als eine besonders gute Flasche Whiskey zu kaufen und zu hoffen, dass die Reparatur nicht zu aufwendig war. Im Geiste sah ich mein gerade erworbenes Geld schon in den Händen des Reparaturdienstes, sah mich obdachlos und bettelnd im Park sitzen.

Mit schuldigem Blick betrat ich das Geschäft, in dem mein Kumpel lustlos hinter der Theke Zeitung las. Er lächelte mich an, hörte schweigsam meinen Bericht, ahnte gleich was passiert war. Fachmännisch nahm er sein Werkzeug und binnen fünf Minuten war das Gerät wieder funktionsfähig. Eigentlich hätte ich die durchgebrannte Sicherung auch selber wechseln können. So aber freute er sich über die gute Flasche und ich fühlte mich wieder einmal wie ein drittklassiger Komiker. Wir scherzten ein wenig, beklagten das heiße Wetter, schimpften über die Politik und tranken zwei kleine Gläser von der braunen Köstlichkeit. Dann fuhr ich in mein Büro und tat das, was ich die meiste Zeit dort tat. Ich wartete, wartete auf einen Auftrag und auf das Ende des Tages.

 

Mit Schrecken fiel mir ein, dass die Kassetten immer noch in dem Gerät steckten, ich hatte sie tatsächlich vergessen. Das alleine war nicht schlimm, aber eine Kassette war zum Teil bespielt. Ich versuchte mich zu beruhigen. Es war zwar ein Vertrauensbruch, intime Aufnahmen Unbefugten zu überlassen. Aber mein Freund wusste nicht, was ich aufgenommen hatte und so hoffte ich, dass er die Kassetten in dem Gerät belassen würde.

 

Einen langen heißen Tag lang passierte nichts Besonderes. Am nächsten Morgen, ich war gerade wieder in meinem Büro angekommen, klingelte auch schon das Telefon. Es war der Anwalt meiner Mandantin. Er fragte mich, ob ich das Band ganz gesehen habe. Ich verneinte dies und er berichtete, dass in den frühen Morgenstunden noch Besuch in dem Apartment gewesen wäre. Viel hätte er auf dem Band nicht gesehen. Eine Gruppe stadtbekannter Kerle seien mit Koffern und Aktentaschen in das Zimmer gekommen, hätten den Tisch freigeräumt, die Koffer dort abgelegt und geöffnet. Dann aber war das Band leider zu Ende. Was in den Koffern war, konnte er mir auch nicht sagen. Ich tippte auf Rauschgift und Geld, was den Anwalt zu einem Lachanfall zwang. Clown hätte ich werden sollen, dachte ich nicht zum ersten Mal in meinem Leben.

Die Tragweite des Berichts erkannte ich nur langsam. Erst gegen Mittag kam es mir in den Sinn, dass mein Freund die Bänder nun wohl auch gesehen haben könnte. Ich rief ihn an und tatsächlich, er war neugierig geworden und hatte sich die Aufnahmen angesehen. Ausführlich erzählte er mir, wer und was auf den Bändern gesichert war. Nach seinem Bericht bat ich ihn die Bänder sofort zu vernichten, die Aufnahme von dem Geschäft der Ganoven hatte in unseren Händen nichts zu suchen.  Er druckste und wand sich, fand eine Ausrede nach der anderen um die Bänder nicht zu zerstören oder zu löschen. Ich versuchte ihm die Konsequenzen für ihn und mich zu verdeutlichen, falls die Ganoven je von der Existenz der Aufnahmen erführen. Dann endlich beichtete er mir, dass er wegen der Bänder schon mit den Schurken Kontakt aufgenommen hatte. Mir stockte das Blut in den Adern, aber es war schon zu spät. Er versuchte die Organisation zu erpressen, wollte so das Studium seiner beiden Kinder finanzieren. Langsam ließ ich den Hörer auf die Gabel zurücksinken, langsam spürte ich, wie sich eine Schlinge um meinen Hals zog. Ich nahm meine Pistole aus der Schublade, betrachtete sie kurz und legte sie wieder zurück. Gewalt verabscheute ich seit meiner Jugendzeit zutiefst, Blut machte mir Angst und selbst Steaks aß ich nur durchgebraten.

Meinen Freund konnte wohl nichts mehr retten, die Jungs hier in der Stadt waren wegen ihrer Brutalität bekannt. Ich beschloss ihn noch einmal zu besuchen, um ihn zur Flucht aus der Stadt zu überreden. In dem Laden angekommen, suchte ich ihn im Verkaufsraum vergeblich. Erst in der kleinen Küche fand ich ihn, er war noch warm. Man hatte ihn mit dünnem Draht an den Stuhl gebunden, der sich an vielen Stellen tief in die Haut eingeschnitten hatte. Den alten Spüllappen hatte man als Knebel verwendet, er steckte immer noch in seinem blutigen Mund. Auf dem Boden lagen einige ausgebrochene Zähne, etliche Blutspritzer, ein blutiges Küchenmesser. Wieder brauchte ich einige Zeit, um zu verstehen, warum man sich so viel Arbeit mit ihm gemacht hatte. Foltern ist ja kein Zuckerschlecken, für beide Seiten nicht. Nur Stückchen für Stückchen erfasste ich den Zusammenhang. Dann endlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Sie wollten von ihm wissen, wer sonst noch von den Bändern wusste. Und das war zweifelsfrei ich!

Mit Höchstgeschwindigkeit fuhr ich zu meiner Wohnung. Ich dachte nur noch an Flucht, wollte weg, weit weg von hier fahren, nie mehr wieder zurückkommen, immer nur weiter und weiter

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Elvea
Bildmaterialien: Elvea
Tag der Veröffentlichung: 31.07.2017
ISBN: 978-3-7438-2579-6

Alle Rechte vorbehalten

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