Die folgende Geschichte ist ein rein fiktives Werk. Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen sind als Zufälle zu betrachten und nicht beabsichtigt.
Wenn ich dir etwas sagen könnte, dann würden die Worte in deinen Ohren vermutlich niemals so klingen, wie in meinem Kopf.
Unbeschwertes Leben existiert nur noch hinter verschlossenen Augen, in einer Zeit, die schon längst vergangen und nur noch durch blasse Bilder bestehen bleibt. Ich möchte dir so viel sagen, doch mit gebundenen Händen lässt sich nichts schönes formen. Ich könnte dir durch Erinnerungen und fast vergessenen Emotionen nahebringen wie wir uns fühlen. Wie er sich fühlt, wie ich mich fühle. Hättest du wenigstens deinen Schatten hiergelassen, so könnte ich ihn anschreien, Tag für Tag. Ich würde ihm sagen dass wir im Leben nicht nur für uns selbst die Verantwortung tragen, in der Hoffnung dass wenigstens er mich versteht. Ich würde ihm sagen, dass wir nicht einfach gehen und nicht einfach machen können was wir wollen, schließlich bewegen wir uns auf den Gefühlen unserer Mitmenschen durch ein Leben, dass sich niemand von uns ausgesucht hat. Ich würde ihm sagen, dass wir verkettet sind, manifestiert und verwurzelt und ein Ganzes bilden und es schier ein Verrat an allen Geheimnissen und Wundern dieser Erde ist, dies mit einem glatten Schnitt zu durchtrennen – schließlich blutest du nicht allein.
Ich glaube nicht an vieles, doch bin ich überzeugt davon dass du spürst, fühlst und es dich bewegt, was in unser aller Leben geschieht. Und ganz gleich wo und mit wem du bist, ich weiss dass deine letzten Worte wiederkehrend auf deinen Lippen verharren und dich tagein und tagaus daran erinnern, dass auf der anderen Seite der Welt ein angebrochenes leben darauf wartet von dir vollendet zu werden.
Ich wünsche dir kein Glück und auch keine Freude, denn sie sind vergänglich (und du verabscheust Vergängliches) deshalb wünsche ich dir Kraft zu wachsen, um eines Tages begreifen und verstehen zu können warum in einem anderen Leben kein platz mehr für dich ist. An deiner Stelle wird ein Baum stehen, der wie ein Mahnmal daran erinnert, dass Sympathie eigentlich Mitleid bedeutet und Liebe ein zerbrechlicher Kristall ist, der im geklebten Zustand hässlicher ist, als ein einfacher Stein vom Straßenrand.
Vincent
Wenn die Leute fragen was man jemanden schenken soll, der schon alles hat, dann muss ich die Richtigkeit dieser Frage bestätigen. Wer alles Materielle besitzt oder besitzen könnte, braucht keinen weiteren Kugelschreiber oder die 100. Krawatte, das x-te Hemd. Schreibt den Leuten einen aufrichtigen Brief, oder komponiert ihnen ein Lied – mag es noch so schräg klingen, es ist besser als das x-te Hemd – das in jedem Fall... Dennoch gibt es keine Garantie. Für nichts.
Mein Vater grübelte für einen Moment, blickte zu mir und legte den Zettel auf einen Stapel alter Prospekte. „Danke Sohn,“ murmelte er kaum hörbar und widmete sich wieder dem Modellflugzeug, dass meine Schwester und meine Mutter ihm gekauft hatten. Als ich abends den Müll rausbrachte, fand ich den Brief samt der Prospekte in einem Meer aus Eierschalen und Paprikastumpen. Wie gesagt: ein Brief ist besser als das x-te Hemd, aber es gibt keine Garantie dafür dass er auch gefällt, aber dafür dass einem solche Erfahrungen für immer in Erinnerung bleiben.
Selbst nach dem Geschenkdisaster hielt ich an dem Gedanken fest: Die schönsten Dinge auf dieser Welt gibt es nicht für Geld; sie kosten Glück und das hatte ich, laut der Kartenlegerin meiner Mutter, en masse. Ich konnte mir zwar nicht erklären weshalb sich meine Eltern kurz nach dem besagtem Geburtstag trennten und ich Vater nie wieder sah, oder warum ich auf dem Schulhof gemobbt und von den größeren Jungs verhauen wurde. Ich erklärte es mir einfach so: Wenn die guten Dinge dieser Welt kein Geld, dafür aber Glück kosteten, es aber nichts umsonst gab, dann war das wohl die Art und Weise wie ich für die Guten Dinge im voraus bezahlen musste.
Oft saß ich allein und wehmütig am Rand des Fußballfelds und schaute den anderen beim Spielen zu. Na ja – wenigstens hatte ich Glück und konnte zusehen. Nicht so wie Max von nebenan. Der hatte noch nie einen Sonnenauf- oder -untergang gesehen, geschweige denn seine eigene Mutter. Er lief immer mit diesem dämlichen langen weißen Stock herum und so oft ich konnte, half ich ihm über die Straße, damit er nicht von einem Van zermatscht wurde.
Ich hätte es also schlimmer treffen können, sagte ich mir und beschränkte mich auf einen einzigen Wunsch, an dem ich bis heute eigentlich festhalte: Das einzige was ich mir schon immer gewünscht hatte, war der Vater, der am Tischende mit kritischem Blick saß und mich fragte wie die Schule war und wie es um meine Noten stand. Mein Vater fehlte mir an allen Ecken und Enden und in meiner Not, schusterte ich mir in all den Jahren das perfekte Bild der Vaterfigur zusammen: Zu einem bestand sie aus meinem Therapeuten, den ich übrigens sehr schätzte und mittwochs immer im Cafe Lotti zum Plausch traf, Billie Wilder und Jack Lemmon. Jack Lemmons Vaters letzte Worte an seinem Sterbebett waren: „Spread some Light.“ Das tat Jack und das wollte ich auch. Aber zwischen meinem Leben und dieser Erkenntnis, liegt ein langer Weg. Ein Weg auf dem ich ziemlich am Anfang Lilith traf.
Zugegeben – sie sah ein wenig seltsam aus: Die Brillengläser ihrer Brille waren dicker als die Biergläser meines Großvaters und das linke Auge war so gut wie immer von einem großen hautfarbenen Pflaster verdeckt. Ich wusste nicht was dieser fürchterliche Außenboge sollte, der an ihren Zähnen festgemacht wurde, er war aber praktisch, wenn sie mal wieder trödelte – ein leichter Zug reichte aus um sie in die Gänge und pünktlich zum Unterricht zu bringen. Ihre Mutter zog ihr ausschließlich Cordhosen an, die selbstverständlich weder zu Pullover noch zu Schuhen passten, geschweige denn zu den roten Haaren, die sie ihr tagtäglich zu zwei polange Zöpfe pflocht, an denen die größeren Jungs sie regelmäßig zogen. Irgendwann wurde es Lilith, bzw. vll eher ihrer Mutter, zu bunt und eines Tages tauchte einer ihrer Brüder in der Schule auf. Von dem Tag an ließen sie Lilith in Ruhe und richteten ihr Merkmal wieder verstärkt auf mich, denn ich hatte keine großen Brüder. Vll war das der Grund, dass Lilith eines Tages neben mir auf dem Schulhof stand und ihr Pausenbrot mit mir teilte. Die Großen sahen nur skeptisch zu uns rüber, trauten sich aber nicht mir meine täglichen Arschtritte zu verpassen, oder meine Mütze als Fußball zu benützen. Das war der erste Tag an dem ich nicht mit blutender Nase nach Hause kam. Ich hatte eben Glück und ein angebissenes Erdnussbuttersandwich in der Tasche.
Texte: ©Jana Seton Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten einschließlich der Vervielfältigung, Übersetzung, Mikroverfilmung sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Tag der Veröffentlichung: 20.07.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Youandi – die ging und es auch so meinte. Für Scarlett weil sie weiss wie es ist und Hanne, weil man uns Kleidung gestohlen hat... und Feenstaub.