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1

Oh mein Gott, ist Hannas erster Gedanke, als sich die Tür zum Pfarrhaus öffnet. Sie hat mit einem älteren Mann gerechnet, aber vor ihr steht ein sehr attraktiver junger Mann. Wer mag das wohl sein? Hanna geht schon seit mehreren Jahren nicht mehr zur Kirche. Daher kommt ihr das Gesicht auch nicht bekannt vor und an dieses Antlitz würde sie sich hundertprozentig erinnern.

“Guten Morgen, wie kann ich Ihnen weiterhelfen?” Der Mann begrüßt sie lächelnd, wodurch seine blauen Augen noch mehr strahlen.

“Guten Morgen.” Hanna war noch immer ganz überwältigt. “Ich habe ein Vorstellungsgespräch bei dem neuen Pfarrer als Haushälterin.”

“Dann müssen Sie wohl Hanna Flemming sein.”

“Genau.”

Er lässt sie hinein und schließt die Tür hinter sie.

“Folgen Sie mir ins Büro!”

Ihm würde sie wahrscheinlich überall hin folgen. Zuerst war Hanna wenig begeistert, dass ihre Mutter ihr ausgerechnet hier ein Vorstellungsgespräch besorgt hat. Doch da wusste Hanna nichts von diesem heißen Typen. Vielleicht ist er Sekretär hier oder arbeitet als Hausmeister. Allein wegen ihm würde sie beim Gespräch alles geben, um den Job zu bekommen.

Sie gehen den dunklen Flur entlang bis zum Büro. Als sie eintreten, staunt Hanna erneut. Das Büro ist hell und modern eingerichtet. Vor einigen Jahren sah es hier noch total altmodisch aus. Wie zur DDR Zeit. Was aber noch modern für den alten Pfarrer aussah. Dieser hatte wohl Theologie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg studiert gehabt.

“Setzen Sie sich doch!” Der Mann deutet mit einem Kopfnicken zu dem Sofa an der Wand, während er ihr Wasser in ein Glas eingießt.

“Dankeschön.” Hanna nimmt das Glas und setzt sich.

“Und mit wem habe ich das Vergnügen?”, fragt sie und trinkt ein Schluck Wasser.

“Ich bin zufällig der neue Pfarrer, Elias Lembke.”

Hanna erschreckt sich so sehr, dass sie sich an ihr Wasser verschluckt und husten muss.

“Alles in Ordnung?” Er setzt sich zu ihr und klopft sanft auf ihren Rücken.

“Ja.” Sie räuspert sich. “Ich habe mich nur verschluckt.”

“Okay. Sie wollen den Job als Haushälterin auch wirklich?”

“Unbedingt.” Erneut muss sie husten. Der Reiz verschwindet einfach nicht. Hanna trinkt noch ein Schluck Wasser und dann lässt der Hustenreiz allmählich nach.

“Ich dachte schon, ich wäre so erschreckend als Pfarrer.” Er schmunzelt und nimmt einen Kugelschreiber und ein Notizbuch vom Couchtisch. Lächelnd gibt sie ihm ihre Bewerbungsunterlagen.

“Ehrlich gesagt habe ich mir den Pfarrer viel älter vorgestellt.”

“Ich bin vor kurzem erst zum Priester geweiht worden. Es war pures Glück, dass ich gleich eine Kirchengemeinde übernehmen konnte.”

Während er ihre Daten notiert, beobachtet Hanna ihn. Für einen Mann hat er ein sehr schönes Schriftbild. Auch seine kräftigen Hände sind gepflegt und sauber. Die Vorstellung, von ihnen berührt zu werden, jagt einen angenehmen Schauer durch ihren Körper. Seine dunkelbraunen Haare sind ein perfekter Kontrast zu seinen leuchtend blauen Augen.

“Wieso möchtest du den Job denn so unbedingt?” Fragend sieht er auf und schaut ihr direkt in die Augen. Hannas Herz beginnt zu rasen. Sie lehnt sich sicherheitshalber zurück, bevor sie noch über ihn herfällt.

"Weil ich wie geschaffen dafür bin. Ich habe bereits Erfahrungen als Köchin, Hotelfachfrau und Bürokauffrau. Ich könnte mich auch um Ihren Schriftkram kümmern.”

“Aber jede Ausbildung wurde nach einem Jahr abgebrochen”, sagt er, als er ihren Lebenslauf liest.

“Das war einfach alles nicht das Richtige für mich.” Hanna wird es plötzlich ziemlich heiß. Vermutlich läuft sie gerade rot an. “Mein Lebenslauf hört sich echt miserabel an.”

“Kann man so sagen.” Misstrauisch zieht er eine Augenbraue hoch, was ihn noch unwiderstehlicher macht. Wieso muss so ein Adonis katholischer Pfarrer werden? Der könnte jede Frau haben, die er wollte.

“Eine passende Alternative habe ich bisher nicht gefunden. Am liebsten würde ich mein Hobby zum Beruf machen. Aber das ist nicht so einfach.”

“Was ist denn Ihr Traumberuf?”

“Sängerin.”

“Vielleicht Musik studieren?”

“Ohne Abi? Ich habe bloß den Realschulabschluss.” Nun zieht Hanna die Stirn kraus. Sind wir hier bei der Berufsberatung?

“Egal. Ich möchte auf jeden Fall sehr gerne Ihre Haushälterin werden. Und die Musik bleibt mein Hobby.”

“Du kannst auch gerne im Kirchenchor singen.”

Ja, klar. Da ich auch so gerne Kirchenlieder trällere.

“Vielleicht. Ich überlege es mir.”

“Die Haushälter Wohnung befindet sich hier im Dachgeschoss”, sagt der Pfarrer und steht dann auf. Galant hält er die Bürotür auf. Hanna steht auf und folgt ihm weiter den Flur entlang, bis sie zu einer Treppe kommen. Mit jeder weiteren Stufe schlägt Hannas Herz schneller. Nicht weil es an Ausdauer mangelt, sondern vor Aufregung. Der Gedanke, mit Mr Adonis in einem Haus zu wohnen, steigert die Vorfreude umso mehr.

Als sie oben angekommen sind, schließt der Pfarrer eine Tür auf und sie treten ein. Plötzlich befindet sich Hanna in einem komplett eingerichteten Wohnzimmer wieder. Danach zeigt er ihr die Küche, das Schlafzimmer und das Bad. Alles befindet sich auf derselben Etage und ist wie das Wohnzimmer bereits möbliert.

“Falls Ihnen die Einrichtung nicht gefällt, können wir auch etwas ändern lassen.”

Unsicher sieht Hanna zu ihm auf. “Heißt das, dass ich den Job habe?"

“Ja, vor allem erst einmal auf Probe.”

“Keine Sorge! Ich werde Sie definitiv nicht enttäuschen.”

“Das will ich doch hoffen. Zwei Tage haben Sie in der Woche frei und die Urlaubstage regeln wir im Arbeitsvertrag.”

“Okay. Wann kann ich anfangen?”

“Von mir aus sofort. Aber du musst sicherlich noch einiges klären.”

“Nein, ich kann sofort anfangen. Ich suche dringend einen Job und ich brauche ja nur meine Klamotten aus Hotel Mama abholen.”

“Na gut. Dann machen Sie das und ich mache Ihren Vertrag fertig.”

Lächelnd überreicht er ihr die Schlüssel zur Haushälter Wohnung.

 

Am späten Nachmittag ist Hanna fertig geworden mit Packen. Ihre Klamotten und die nötigsten Sachen, die sie braucht, hat sie in Kartons und Tüten verstaut. Zusammen mit ihren Eltern fährt sie ihr Gepäck zum Pfarrhaus.

Hannas Mutter ist noch immer sehr stolz auf ihre Tochter, dass sie den Job bekommen hat. Aus der gesamten Familie ist Hannas Mutter die größte Kirchen Fanatikerin. Zudem lobt sie sich nun auch selbst, dass sie ihrer Tochter den Job verschafft hat.

Hannas Vater hingegen ist irritiert. Schließlich war Hanna gestern nicht begeistert gewesen von der Idee und hatte ihre Mutter dafür verflucht, dass sie ihr das Vorstellungsgespräch besorgt hatte.

Am Pfarrhaus angekommen, tragen sie die Kartons und Tüten hinauf. Plötzlich stößt Hanna mitten auf der Treppe auf einen Widerstand. Stirnrunzelnd sieht sie an ihrem Karton hinüber und blickt in die hellen blauen Augen des Pfarrers. Vor Nervosität rast ihr Herz und sie merkt, wie die Röte ihr ins Gesicht schießt.

“Ich nehme Ihnen das mal ab”, sagt er. Als er ihr den Karton abnimmt, berühren sich zufällig ihre Hände. Bei der Berührung strömt ein angenehmer Schauer durch ihren Körper und lässt die Schmetterlinge in ihren Bauch noch mehr flattern.

“Dankeschön.” Hanna folgt ihm die Treppen hinauf. In ihrem Wohnzimmer angekommen, stellt er den Karton ab.

“Danke, dass du meiner Tochter die Chance gibst. Ich wusste bald schon nicht mehr weiter. Sie war auch gar nicht bemüht gewesen, etwas Neues zu finden”, wandte sich ihre Mutter an den Pfarrer.

Seufzend setzt sich Hanna auf die Couch und schämt sich. Wieso plaudert sie hier Privatsachen aus? Was soll er denn nun von ihr halten?

“So überzeugend, wie sie war, hat sie die Chance auch verdient”, antwortet der Pfarrer.

“Die erste Miete und den Strom müssen wir dann wohl bezahlen, bis Hanna ihr erstes Gehalt bekommt. Mit wie viel müssen wir rechnen?”, fragt ihr Vater.

“Mit nichts. Die Miete und den Strom bezahlt die Kirche für sie.”

“Also wohne ich umsonst hier? Und für ein bisschen Haushalt führen und kochen, werde ich noch bezahlt? Einen besseren Job kann man doch nicht haben”, sagt Hanna staunend.

“Den Arbeitsvertrag können Sie sich in Ruhe durchlesen und dann unterschreiben”, wendet sich der Pfarrer an Hanna und überreicht ihr den Arbeitsvertrag. Danach verabschiedet er sich auch wieder.

Während Hanna sich den Vertrag durchliest, tragen ihre Eltern die restlichen Sachen hinauf. Nachdem sich ihre Eltern den Vertrag sicherheitshalber auch noch durchgelesen haben, setzt Hanna ihre Unterschrift darunter. Daraufhin verabschieden sich auch ihre Eltern von ihr und Hanna beginnt mit dem Einräumen. Zuerst sortiert sie ihre Klamotten in den Kleiderschrank im Schlafzimmer ein. Im Wohnzimmer stellt sie ihr Keyboard auf und platziert ihre Gitarre daneben. Zum Schluss stellt sie etwas Deko auf. Der religiöse Kram wie Jesus am Kreuz kommt ab und sie ersetzt es durch ihre Bilder, Vasen, Blumen und Teelichthalter.

Doch als sie Abends frisch geduscht vor dem Fernseher Platz nimmt, kommt Einsamkeit auf. Es ist ihre erste eigene Wohnung. Ganze zwanzig Jahre hatte sie mit ihren Eltern zusammen gewohnt und nun steht sie alleine da. Normalerweise würden sie jetzt Abendbrot essen und es sich dann in der Stube vor dem Fernseher gemütlich machen. Aus Einsamkeit wird allmählich Heimweh. Ganz heimlich sucht eine Träne sich ihren Weg über ihre Wange. Seufzend streicht sie diese weg. Hör auf wie ein Baby nach Mama und Papa zu weinen!, ermahnt sich Hanna selbst.

Sie steht auf und geht zu ihrem Keyboard hinüber. Es gibt auch gar keinen Grund zum Heulen. Schließlich wohnt sie noch immer in Haldensleben. Ihre Eltern wohnen nur ein paar Straßen weiter und sie könnte sie jeden Tag in ihrer Freizeit besuchen. Gedankenverloren setzt sich Hanna an ihr Keyboard, als ihr Blick plötzlich auf eine Jesus-Statue in der hintersten Ecke ihrer Kommode fällt. Wie von selbst beginnen ihre Hände das Lied “Hallelujah” auf den Tasten zu spielen. Im richtigen Moment setzt sie auch ihre Stimme dazu ein und singt das Lied bis zum Ende. Als sie und ihr Keyboard schließlich verstummen, klopft es an ihrer Tür.

"Herein!"

Die Tür öffnet sich und der Pfarrer kommt herein. In der Hand hält er zwei Packungen Pizza.

“Ich hoffe, ich störe nicht.”

“Nein, ich bin gerade fertig geworden.”

“Schade eigentlich.” Er setzt sich auf die Couch und reicht Hanna eine Packung.

“Wieso?”, fragt sie und setzt sich neben ihn. Sie nimmt die Verpackung und öffnet sie. Ihre Nase hatte sich nicht geirrt. Es ist wirklich eine Salami Pizza.

“Ich hätte dich gerne noch weiter singen hören. Du hast wirklich Talent.”

“Dankeschön.” Verlegen senkt Hanna den Blick, nimmt ein Stück Pizza und beißt ab. Hatte er sie gerade wirklich geduzt? Freude macht sich breit. Vielleicht ist das ein nächster Fortschritt.

“Am besten singst du mal morgen Felix etwas vor.”

“Wer ist Felix?”

“Der Küster. Er leitet auch den Kirchenchor.”

Hanna verdreht die Augen. Der Kirchenchor ist nicht gerade die Erfüllung. Am liebsten würde sie Konzerthallen oder Arenen füllen und mit ihrem Gesang begeistern; aber keine Kirche.

“Morgen wirst du ihn sicherlich kennenlernen”, erzählt er weiter.

“Schon wieder!”

“Was?” Verdutzt schaut er Hanna an. Dieser verwirrte Ausdruck in seinen blauen Augen ist verdammt sexy.

Hanna schmunzelt. “Sie haben “du” zu mir gesagt.”

Nun errötet der Pfarrer. “Ich dachte jetzt, wo wir auch zusammen wohnen, können wir zum DU übergehen. Aber wenn du auf SIE bestehst.”

“Nein, alles gut. Ich bin Hanna.”

“Elias.”

Sie geben sich die Hand, was Hannas Herzschlag wieder beschleunigt. Am liebsten würde sie sich an ihn anlehnen und von ihm umarmt werden. Aber das wird wohl auf ewig ein Wunschdenken bleiben. Hanna musste ihr Herz unbedingt verbieten, sich zu verlieben. Erstens ist er ihr Chef und zweitens steht ihnen das Zölibat im Weg. Als katholischer Pfarrer muss er ein eheloses Leben in Keuschheit und sexueller Abstinenz führen.

“Morgen ist mein freier Tag. Dann werde ich dir alles zeigen und ab Mittwoch geht es dann richtig los für dich.” Elias steht auf, als er seine Pizza aufgegessen hat. Er nimmt seine leere Packung mit und geht zur Tür. “Um 7 Uhr treffen wir uns unten in meiner Küche.”

“Alles klar, Chef.”

Nachdem er sich verabschiedet hat, schließt er hinter sich die Tür. Hanna legt sich entspannt auf die Couch und zappt durch das Fernsehprogramm. Bei einem Liebesfilm von Nicholas Sparks blieb sie hängen. Jedoch fielen ihr dabei irgendwann die Augen zu.

 

 

2

 

Pünktlich um 7 Uhr traf sich Hanna mit Elias in der Küche. Sie stellt ihm ein Frühstück aus Kaffee, Toastbrot und einem Wurstteller zusammen. Als sie in seinem Kühlschrank und Küchenschränke gesehen hatte, erschrak sie ohnehin. Entweder fand sie nur Tiefkühl - oder Fertiggerichte. Ein Wunder, dass Bananen in der Obstschale liegen und Staubwischen ist dringend angesagt. Eine Haushälterin ist hier wirklich notwendig und das Einkaufen steht auch mit auf Hannas Tagesplan. 

Nach dem Frühstück säubert Hana die Küche. Danach geht sie in das Schlafzimmer des Pfarrers und bezieht sein Bett neu. Zusammen mit der Dreckwäsche betritt sie dann das Badezimmer. Eilig stopft sie Buntwäsche in die Waschmaschine. Plötzlich fällt ihr Elias sein Hemd in die Hände. Unbewusst schmiegt sie ihre Wange daran und riecht genüsslich daran. Ein wenig Weihrauch und ein dezentes blumiges Parfüm kann sie erschnüffeln. Als ihr bewusst wird, was sie macht, steckt sie das Hemd schnell in die Maschine, gibt Waschmittel und Weichspüler hinzu und stellt sie schließlich an. Auch hier wischt sie Staub und säubert die Toilette, das Waschbecken und den Spiegel. Im Anschluss wird der Staub in Elias sein Wohnzimmer entfernt und der Teppich gesaugt. Auch dem Spinnengewebe in seinen Räumlichkeiten wird ein Ende gesetzt. 

Gegen 10 Uhr gönnt sich Hana eine Pause und macht sich auf die Suche nach Elias. Sie hat nämlich vor, bald einkaufen zu gehen, damit das Mittagessen rechtzeitig auf dem Tisch steht. Doch von ihm fehlt jede Spur. Weder in seinen Räumlichkeiten, noch in seinem Büro ist er anzutreffen. Sie braucht unbedingt seine Handynummer für den Fall, falls mal etwas passiert.

Seufzend verlässt sie das Haus und betritt den Pfarrhof. Auch dort ist der Pfarrer nicht anzutreffen. Dann durchdringen gedämpfte Orgelklänge das Schnattern der Zugvögel, die gen Süden fliegen. Hanna sieht zur Kirchentür, woher die Klänge kommen. Vielleicht steckt er dort. Sie geht zur Tür und öffnet sie. Volltreffer. Elias sitzt ganz vorne in der ersten Reihe. Ansonsten ist die Kirche leer. Nur der Küster spielt wahrscheinlich oben die Orgel. Hanna schließt die Tür und geht nach vorne. Neben dem Pfarrer Platz. 

“Ich dachte, du hättest heute frei”, flüstert sie ihm zu. 

“Ich bin ja auch nicht als Pfarrer hier.”

Erst jetzt sieht Hanna, dass er mit gefalteten Händen da sitzt. Sie hat ihn wohl beim Beten gestört. 

“Sorry, ich wollte fragen wegen Einkaufen.” Verlegen lächelt sie ihn an, sieht dann nach vorne zum Altar und faltet ebenfalls die Hände. “Aber wir können auch erst beten.”

Seine Anwesenheit ist wie eine Droge. Jedes Mal, wenn er nicht da ist, ist es wie auf einem Nikotinentzug. Hanna hatte beim Saubermachen immer wieder gemerkt, wie ihre Augen ihn suchten. Umso befriedigender ist nun seine Nähe. Normalerweise hält sie nicht viel vom Beten, weil sich noch nie etwas erfüllt hatte. Aber nur um bei ihm sein zu können, macht sie diesen Zirkus mit. 

Nach drei weiteren Liedern hört die Orgel auf zu spielen. Die Stille, die nun entsteht, ist für Hanna beinahe unheimlich und unangenehm zugleich. Schnell flüchtet Hanna sich gedanklich in ihre Erinnerung. Das letzte Mal, als sie in der Kirche war, war zu ihrer Firmung und das sind nun schon über sechs Jahre her. Die Kirche hat sich überhaupt nicht verändert. Alles sieht noch aus wie früher. Bis auf das Personal.

Plötzlich taucht eine weitere Gestalt neben ihr auf. Groß, gebräunt, muskulös, braune Augen und schwarze Haare. Er könnte glatt als Werwolf bei “Twilight” mitmachen. Unsicher rutscht Hanna auf der Bank hin und her. Der Unbekannte muss es wohl mitbekommen haben, denn er sieht mit krauser Stirn zu ihr hinunter.

“Bist du die neue Haushälterin?”, fragt er sie.

“Ja und wer bist du?”

“Ich bin Felix der Küster:”

“Ich bin Hanna.”

Aus dem Augenwinkel sieht sie, wie sich Elias erhebt. Dann steht sie ebenfalls auf und folgt ihm und Felix aus der Kirche.

“Was ist nun mit einkaufen?”, wendet sie sich noch mal an Elias.

“Für dich? Ich habe doch noch so viel da.”

"Ja, so viel ungesundes Zeug. Davon wirst du auf Dauer fett und krank.”

“Tja, Herr Pfarrer das kommt davon, wenn man sich eine Frau ins Haus holt”, erwidert Felix schmunzelnd.

Elias zuckt mit den Schultern. “Ich brauche ja zum Glück bloß Geld ausgeben und nicht kochen.”

“Soll ich mitkommen und beim tragen helfen?”, fragt der Küster.

“Meinetwegen”, antwortet Elias. 

Genervt trottet Hanna den beiden Männern hinterher. Sie wäre am liebsten mit Elias alleine gefahren. Zu allem Übel setzt sich Felix im Auto auch noch auf den Beifahrersitz. Hanna verdreht die Augen und steigt hinter Elias ein. Mit verschränkten Armen nimmt sie auf der Rückbank Platz. 

 

Im Supermarkt ändert sich alles. Elias nimmt den Einkaufszettel und läuft mit dem Einkaufswagen vor. Hanna schlendert währenddessen mit Felix hinter ihm her. Bis zu den Backwaren denkt Hanna noch an nichts Böses und plaudert ungehalten mit Felix. Doch bei den Brötchen verstummt sie. Denn dort trifft sie auf ihren Exfreund und auf ihre ehemals beste Freundin. Mit hoch erhobenem Kopf schreitet sie an den beiden vorbei. Hinter sich hört sie die beiden tuscheln. Es macht Hanna erst zornig. Die beiden haben Hanna damals betrogen und es tut heute noch immer weh, die beiden zusammen zu sehen. Jedoch beruhigt sie sich schnell wieder. Hoffentlich denken sie, dass Felix ihr neuer Freund wäre. Er sieht zwar nicht so heiß aus wie Elias, aber dafür um Längen besser als ihr Ex-Freund Jason. Damit es den Eindruck noch mehr erweckt, lässt sich Hanna endlich auf Felix seine Flirtversuche ein und albert mit ihm herum, als wären sie ein frisch verliebtes Paar.

 

Als sie wieder zuhause ankommen, geht Hanna ins Pfarrhaus und packt den Einkauf aus. Danach bereitet Hanna schnell einen Salat und eine Lasagne für Elias zum Mittagessen zu. 

Nach dem Essen räumt Hanna den Geschirrspüler ein und schaltet ihn an. Danach fegt und wischt sie die Laminatböden und Fliesen. Als letztes stehen noch Fenster putzen auf ihrem Arbeitsplan. 

Gegen 17 Uhr macht sie Feierabend. Erschöpft legt sich Hanna auf ihre Couch. Doch vorher hatte sie sich noch ein Cappuccino zubereitet. Dazu knabbert sie ein paar Kekse. Als ihre Kräfte zurückkehren, setzt sie sich auf und nippt an ihrem heißen Getränk.  

Dann säuberte sie ihre Räumlichkeiten und singt unbewusst ihre Lieblingslieder.

Nachdem das Lied "Because of you" von Kelly Clarkson endet, klopft es an der Tür. Hanna öffnet sie. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Denn es ist Elias.

"Was ist mit dem Abendessen?", fragt er sie.

"Vom Mittagessen ist doch noch so viel übrig. Das kannst du dir warm machen."

"Das ist mir schon klar. Ich meinte ja auch dich damit. Wollen wir zusammen zu Abend essen?"

"Gerne." Hannas Herz macht vor Freude Luftsprünge. 

Strahlend folgt sie ihn hinunter in sein Wohnzimmer. Im Fernseher lief irgendeine Liebeskomödie und auf dem Wohnzimmertisch hat er bereits zwei Teller mit Lasagne drauf und Getränke serviert.

“Wäre das nicht meine Aufgabe gewesen?”, fragt sie ihn und zieht verdutzt eine Augenbraue hoch.

“Nicht mehr. Du hast schon Feierabend.”

“Wie gnädig.” Lächelnd nimmt sie auf dem Sofa Platz und Elias setzt sich neben ihr.

Während des Essens schweigen sie, was Hanna mal wieder nervös macht. Sie versucht sich jedoch nichts anmerken zu lassen und konzentriert sich auf den Film.

“Hast du eigentlich vor nächstes Jahr noch mal einen Beruf zu erlernen oder möchtest du auf ewig nur Haushälterin bleiben? Mit 20 Jahren kannst du noch eine Menge erreichen”, wendet sich Elias an sie und steckt den letzten Happen in seinem Mund.

Hanna zuckt mit den Schultern. “Wieso? Willst du mich schon wieder loswerden?"

“Nein. Nur müsste ich es vorher wissen, falls ich mir dann eine neue Haushälterin suchen muss.”

“Ich habe nicht vor dich zu verlassen. Es ist zwar noch nicht mal ein Tag rum, aber der Job macht mir trotzdem immer noch Spaß und ich fühle mich hier gut aufgehoben. Mein Traumberuf ist und bleibt Sängerin. Nur dafür würde ich den Job hier aufgeben.”

“Das freut mich zuhören.”

“Und bei dir? Wolltest du von Anfang an Pfarrer werden?”, fragt Hanna ihn, als sie ihren Teller geleert hat. 

“Eigentlich nicht. Die Entscheidung stand für mich erst kurz vor meinem Abi fest.”

“Darf ich auch den Grund dazu erfahren?”

“Mein Onkel war Pfarrer. Er war mein Vorbild und immer für mich da gewesen. Dann ist er an Krebs gestorben. An seinem Todesbett habe ich ihm versprochen, ebenfalls Pfarrer zu werden und in seine Fußstapfen zu treten.”

“Oh, ich hoffe, dass ich jetzt keine alten Wunden aufgerissen habe.”

“Nein hast du nicht. Wir glauben doch an die Wiederauferstehung. Mein Onkel hatte sich zum Schluss nur noch gequält. Aber Gott hat ihn erlöst und ihn in sein Himmelreich aufgenommen.”

Hanna glaubt nicht daran, sondern hofft darauf umso mehr. Die Vorstellung, dass es nach dem Tod wirklich nicht zu ende ist, nimmt etwas die Angst vor dem sterben. 

“Dann ist es ja wirklich eine Erlösung.” Sie muss schnell das Thema wechseln, damit es nicht noch zu Meinungsverschiedenheiten und zum Streit kommt. “Ich stelle es mir jedenfalls ziemlich schwer vor den rest meines Lebens enthaltsam zu leben.”

“Manchmal ist es das auch. Aber wenn man etwas wirklich will, kann man dem Verlangen auch widerstehen. Für mich ist die Arbeit des Pfarrers eine Bestimmung oder Berufung und dem bleibe ich treu.”

“Und da könnte dich keine Frau vom Gegenteil überzeugen?”

“Definitiv nicht.”

“Okay.” Nun sieht Hanna auch den letzten kleinen Hoffnungsschimmer davon fliegen.

“Wieso fragst du?” Misstrauisch blicken seine blauen Augen auf sie. Hanna merkt sofort, wie sie rot wurde. Hatte er sie ertappt.

“Ach, nur so. Reine Neugier”, lügt sie ihn an. Sie konnte ihm unmöglich ihre Gefühle gestehen. Nachher würde er sie kündigen und diesen Entzug seiner Nähe würde sie psychisch nicht überleben. Hanna merkt die Enttäuschung und Traurigkeit aufsteigen. Schnell steht sie auf, bevor sie noch in Tränen ausbricht.

“Ich dachte, wir schauen den Film noch zu ende”, hört sie Elias hinter sich sagen.

“Ich stehe mehr auf Horrorfilme. Liebesgedöns ist nicht so meins. Gute Nacht!” 

Ohne eine Antwort abzuwarten, verlässt sie sein Wohnzimmer. Sie musste ihn irgendwie aus dem Kopf bekommen. Oder besser gesagt aus ihrem Herzen verbannen.



3

 

Pünktlich um 7 Uhr traf sich Hanna mit Elias in der Küche. Sie stellte ihm ein Frühstück aus Kaffee, Toastbrot und einem Wurstteller zusammen. Als sie in seinem Kühlschrank und Küchenschränke gesehen hatte, erschrak sie ohnehin. Entweder fand sie nur Tiefkühl - oder Fertiggerichte. Ein Wunder, dass Bananen in der Obstschale lagen und Staubwischen war dringend angesagt. Eine Haushälterin war hier wirklich notwendig und das Einkaufen stand auch auf Hannas Tagesplan. 

Nach dem Frühstück säuberte Hana die Küche. Danach ging sie in das Schlafzimmer des Pfarrers und bezog sein Bett neu. Zusammen mit der Dreckwäsche betrat sie dann das Badezimmer. Eilig stopfte sie Buntwäsche in die Waschmaschine. Plötzlich fiel ihr Elias sein Hemd in die Hände. Unbewusst schmiegte sie ihre Wange daran und roch genüsslich daran. Ein wenig Weihrauch und ein dezentes blumiges Parfüm konnte sie erschnüffeln. Als ihr bewusst wurde, was sie machte, steckte sie das Hemd schnell in die Maschine, gab Waschmittel und Weichspüler hinzu und stellte sie schließlich an. Auch hier wusch sie Staub und säuberte die Toilette, das Waschbecken und den Spiegel. Im Anschluss wurde der Staub in Elias sein Wohnzimmer entfernt und der Teppich gesaugt. Auch dem Spinnengewebe in seinen Räumlichkeiten wurde ein Ende gesetzt. 

Gegen 10 Uhr gönnte sich Hana eine Pause und machte sich auf die Suche nach Elias. Sie hatte nämlich vor, bald einkaufen zu gehen, damit das Mittagessen rechtzeitig auf dem Tisch stand. Doch von ihm fehlte jede Spur. Weder in seinen Räumlichkeiten, noch in seinem Büro war er anzutreffen. Sie brauchte unbedingt seine Handynummer für den Fall, falls mal etwas passierte.

Seufzend verlässt sie das Haus und betritt den Pfarrhof. Auch dort ist der Pfarrer nicht anzutreffen. Dann durch drangen gedämpfte Orgelklänge das Schnattern der Zugvögel, die gen Süden flogen. Hanna sah zur Kirchentür, woher die Klänge kamen. Vielleicht steckte er dort. Sie ging zur Tür und öffnete sie. Volltreffer. Elias saß ganz vorne in der ersten Reihe. Ansonsten war die Kirche leer. Nur der Küster spielte wahrscheinlich oben die Orgel. Hanna schloss die Tür und ging nach vorne. Neben dem Pfarrer nahm sie platz. 

“Ich dachte, du hättest heute frei”, flüstert sie ihm zu. 

“Ich bin ja auch nicht als Pfarrer hier.”

Erst jetzt sieht Hanna, dass er mit gefalteten Händen da sitzt. Sie hat ihn wohl beim Beten gestört. 

“Sorry, ich wollte fragen wegen Einkaufen.” Verlegen lächelt sie ihn an, sieht dann nach vorne zum Altar und faltet ebenfalls die Hände. “Aber wir können auch erst beten.”

Seine Anwesenheit ist wie eine Droge. Jedes Mal, wenn er nicht da ist, ist es wie auf einem Nikotinentzug. Hanna hatte beim Saubermachen immer wieder gemerkt, wie ihre Augen ihn suchten. Umso befriedigender ist nun seine Nähe. Normalerweise hält sie nicht viel vom Beten, weil sich noch nie etwas erfüllt hatte. Aber nur um bei ihm sein zu können, macht sie diesen Zirkus mit. 

Nach drei weiteren Liedern hört die Orgel auf zu spielen. Die Stille, die nun entsteht, ist für Hanna beinahe unheimlich und unangenehm zugleich. Schnell flüchtet Hanna sich gedanklich in ihre Erinnerung. Das letzte Mal, als sie in der Kirche war, war zu ihrer Firmung und das war nun schon über sechs Jahre her. Die Kirche hatte sich überhaupt nicht verändert. Alles sah noch aus wie früher. Bis auf das Personal.

Plötzlich tauchte eine weitere Gestalt neben ihr auf. Groß, gebräunt, muskulös, braune Augen und schwarze Haare. Er könnte glatt als Werwolf bei “Twilight” mitmachen. Unsicher rutschte Hanna auf der Bank hin und her. Der Unbekannte musste es wohl mitbekommen haben, denn er sah mit krauser Stirn zu ihr hinunter.

“Bist du die neue Haushälterin?”, fragte er sie.

“Ja und wer bist du?”

“Ich bin Felix der Küster:”

“Ich bin Hanna.”

Aus dem Augenwinkel sah sie, wie sich Elias erhob. Dann stand sie ebenfalls auf und folgte ihm und Felix aus der Kirche.

“Was ist nun mit einkaufen?”, wandte sie sich noch mal an Elias.

“Für dich? Ich habe doch noch so viel da.”

"Ja, so viel ungesundes Zeug. Davon wirst du auf Dauer fett und krank.”

“Tja, Herr Pfarrer, das kommt davon, wenn man sich eine Frau ins Haus holt”, erwiderte Felix schmunzelnd.

Elias zuckte mit den Schultern. “Ich brauche ja zum Glück bloß Geld ausgeben und nicht kochen.”

“Soll ich mitkommen und beim Tragen helfen?”, fragte der Küster.

“Meinetwegen”, antwortete Elias. 

Genervt trottete Hanna den beiden Männern hinterher. Sie wäre am liebsten mit Elias alleine gefahren. Zu allem Übel setzt sich Felix im Auto auch noch auf den Beifahrersitz. Hanna verdrehte die Augen und stieg hinter Elias ein. Mit verschränkten Armen nahm sie auf der Rückbank Platz. 

 

Im Supermarkt änderte sich alles. Elias nahm den Einkaufszettel und lief mit dem Einkaufswagen vor. Hanna schlenderte währenddessen mit Felix hinter ihm her. Bis zu den Backwaren dachte Hanna noch an nichts Böses und plauderte ungehalten mit Felix. Doch bei den Brötchen verstummte sie. Denn dort traf sie auf ihren Exfreund und auf ihre ehemals beste Freundin. Mit hoch erhobenem Kopf schritt sie an den beiden vorbei. Hinter sich hörte sie die beiden tuscheln. Es machte Hanna erst zornig. Die beiden hatten Hanna damals betrogen und es tat heute noch immer weh, die beiden zusammen zu sehen. Jedoch beruhigte sie sich schnell wieder. Hoffentlich dachten sie, dass Felix ihr neuer Freund wäre. Er sah zwar nicht so heiß aus wie Elias, aber dafür um Längen besser als ihr Ex-Freund Jason. Damit es den Eindruck noch mehr erweckte, ließ sich Hanna endlich auf Felix seine Flirtversuche ein und alberte mit ihm herum, als wären sie ein frisch verliebtes Paar.

 

Als sie wieder zuhause ankamen, ging Hanna ins Pfarrhaus und packte den Einkauf aus. Danach bereitete Hanna schnell einen Salat und eine Lasagne für Elias zum Mittagessen zu. 

Nach dem Essen räumte Hanna den Geschirrspüler ein und schaltete ihn an. Danach fegte und wischte sie die Laminatböden und Fliesen. Als letztes stand noch Fenster putzen auf ihrem Arbeitsplan. 

Gegen 17 Uhr machte sie Feierabend. Erschöpft legte sich Hanna auf ihre Couch. Doch vorher hatte sie sich noch einen Cappuccino zubereitet. Dazu knabberte sie ein paar Kekse. Als ihre Kräfte zurückkehrten, setzte sie sich auf und nippte an ihrem heißen Getränk.  

Dann säuberte sie ihre Räumlichkeiten und sang unbewusst ihre Lieblingslieder.

Nachdem das Lied "Because of you" von Kelly Clarkson endete, klopfte es an der Tür. Hanna öffnete sie. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Denn es war Elias.

"Was ist mit dem Abendessen?", fragte er sie.

"Vom Mittagessen ist doch noch so viel übrig. Das kannst du dir warm machen."

"Das ist mir schon klar. Ich meinte ja auch dich damit. Wollen wir zusammen zu Abend essen?"

"Gerne." Hannas Herz machte vor Freude Luftsprünge. 

Strahlend folgte sie ihm hinunter in sein Wohnzimmer. Im Fernseher lief irgendeine Liebeskomödie und auf dem Wohnzimmertisch hatte er bereits zwei Teller mit Lasagne drauf und Getränke serviert.

“Wäre das nicht meine Aufgabe gewesen?”, fragte sie ihn und zog verdutzt eine Augenbraue hoch.

“Nicht mehr. Du hast schon Feierabend.”

“Wie gnädig.” Lächelnd nahm sie auf dem Sofa Platz und Elias setzte sich neben ihr.

Während des Essens schwiegen sie, was Hanna mal wieder nervös machte. Sie versuchte sich jedoch nichts anmerken zu lassen und konzentrierte sich auf den Film.

“Hast du eigentlich vor nächstes Jahr noch mal einen Beruf zu erlernen oder möchtest du auf ewig nur Haushälterin bleiben? Mit 20 Jahren kannst du noch eine Menge erreichen”, wandte sich Elias an sie und steckte den letzten Happen in seinem Mund.

Hanna zuckte mit den Schultern. “Wieso? Willst du mich schon wieder loswerden?"

“Nein. Nur müsste ich es vorher wissen, falls ich mir dann eine neue Haushälterin suchen muss.”

“Ich habe nicht vor dich zu verlassen. Es ist zwar noch nicht mal ein Tag rum, aber der Job macht mir trotzdem immer noch Spaß und ich fühle mich hier gut aufgehoben. Mein Traumberuf ist und bleibt Sängerin. Nur dafür würde ich den Job hier aufgeben.”

“Das freut mich zuhören.”

“Und bei dir? Wolltest du von Anfang an Pfarrer werden?”, fragte Hanna ihn, als sie ihren Teller geleert hatte. 

“Eigentlich nicht. Die Entscheidung stand für mich erst kurz vor meinem Abi fest.”

“Darf ich auch den Grund dazu erfahren?”

“Mein Onkel war Pfarrer. Er war mein Vorbild und immer für mich da gewesen. Dann ist er an Krebs gestorben. An seinem Todesbett habe ich ihm versprochen, ebenfalls Pfarrer zu werden und in seine Fußstapfen zu treten.”

“Oh, ich hoffe, dass ich jetzt keine alten Wunden aufgerissen habe.”

“Nein hast du nicht. Wir glauben doch an die Wiederauferstehung. Mein Onkel hatte sich zum Schluss nur noch gequält. Aber Gott hat ihn erlöst und ihn in sein Himmelreich aufgenommen.”

Hanna glaubte nicht daran, sondern hoffte darauf umso mehr. Die Vorstellung, dass es nach dem Tod wirklich nicht zu Ende war, nahm ihr etwas die Angst vor dem Sterben. 

“Dann ist es ja wirklich eine Erlösung.” Sie muss schnell das Thema wechseln, damit es nicht noch zu Meinungsverschiedenheiten und zum Streit kommt. “Ich stelle es mir jedenfalls ziemlich schwer vor den rest meines Lebens enthaltsam zu leben.”

“Manchmal ist es das auch. Aber wenn man etwas wirklich will, kann man dem Verlangen auch widerstehen. Für mich ist die Arbeit des Pfarrers eine Bestimmung oder Berufung und dem bleibe ich treu.”

“Und da könnte dich keine Frau vom Gegenteil überzeugen?”

“Definitiv nicht.”

“Okay.” Nun sah Hanna auch den letzten kleinen Hoffnungsschimmer davon fliegen.

“Wieso fragst du?” Misstrauisch blicken seine blauen Augen auf sie. Hanna merkte sofort, wie sie rot wurde. Hatte er sie ertappt.

“Ach, nur so. Reine Neugier”, log sie ihn an. Sie konnte ihm unmöglich ihre Gefühle gestehen. Nachher würde er sie kündigen und diesen Entzug seiner Nähe würde sie psychisch nicht überleben. Hanna merkte die Enttäuschung und Traurigkeit aufstiegen. Schnell steht sie auf, bevor sie noch in Tränen ausbricht.

“Ich dachte, wir schauen den Film noch zu Ende", hörte sie Elias hinter sich .

“Ich stehe mehr auf Horrorfilme. Liebesgedöns ist nicht so meins. Gute Nacht!” 

Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ sie sein Wohnzimmer. Sie musste ihn irgendwie aus dem Kopf bekommen. Oder besser gesagt aus ihrem Herzen verbannen.

 

 



4

 

Die restliche Woche ging Hanna Elias aus dem Weg. Irgendwie musste sie schließlich Abstand von ihm nehmen, um ihn zu vergessen. Wenn sie ihn ständig sehen müsste, würde es wahrscheinlich nicht klappen. Oder sie würde andererseits vielleicht irgendwelche Macken an ihm entdecken, die sie total widerlich findet. Jedoch hatte sich Hanna erst einmal für Abstand entschieden. Nur wenn wirklich etwas Wichtiges zu sagen oder zu fragen war, suchte sie ihn auf. 

Stattdessen suchte sie immer mehr Nähe zu Felix auf. Er lebte zum Glück nicht im Zölibat und sah zudem auch nicht schlecht aus. Als Ablenkung war er jedenfalls eine gute Partie. Und dass er mit ihr immer versuchte zu flirten, machte die ganze Sache auch noch viel einfacher. 

Am Samstagabend hatte Hanna sich doch entschlossen, zur Probe des Kirchenchors zu gehen. Es kann ja nicht schaden, neue Kontakte zu knüpfen. Außerdem liebte sie das Singen. Und zugegeben… Hatte sie damals bei einigen Kirchenlieder auch mal einen Ohrwurm bekommen.

Als sie gerade den Flur unten entlang ging und die Haustür ansteuerte, kam Elias aus seinem Büro. Hanna lief ihm geradewegs in die Arme. Sie genoss kurz den Augenblick und löste sich schnell wieder aus seiner Umarmung.

“Hast du es eilig? Ich dachte, wir könnten mal wieder zusammen Abendessen.”

“Eilig, ja. Zusammen Abendessen, nein”, antwortete sie knapp und steuerte die Haustür an.

“Kann es sein, dass du mir aus dem Weg gehst?” 

“Nein, ich bin auf dem Weg zum Kirchenchor.” 

“Das freut mich wirklich, dass du doch da mitmachen möchtest. Mit deiner Stimme lässt du die anderen nachher im Schatten stehen.”

“Danke, aber ich muss jetzt wirklich los.”

“Na gut.” Ein tiefer Seufzer verließ seine Lippen. “Viel Spaß!”

Als er den Satz beendet hatte, war sie schon aus der Tür gegangen. Ohne einen weiteren Gedanken an Elias lief Hanna zum Gemeindesaal hinüber. Von weitem hörte sie bereits Klavierklänge und als sie den Flur betrat, hörte sie gedämpfte Männer und Frauengesang. Plötzlich wurde Hanna doch nervös. Ihr Herz hämmerte schnell in ihrer Brust. Sie atmete noch einmal tief durch und klopfte an der Tür des Saals. Dann öffnete sie die Tür und ging hinein. 

Wie nicht anders zu erwarten war, sahen sie alle an. Hanna schluckte, während sie zu Felix an das Klavier ging. Die Chormitglieder waren schon etwas älter. Sie schätzte sie zwischen 40 und 80 Jahren. Felix und sie schienen die jüngsten zu sein.

“Entschuldigung für die Verspätung. Ich möchte doch gerne im Kirchenchor beitreten.”

Felix reichte ihr lächelnd einen Papierstapel mit Kirchenlieder. Das erste Lied hieß “Fest soll mein Taufbund stehen”. 

“Dann hätten wir gerne eine Kostprobe. Kennst du das Lied? Wir haben Sonntag eine Taufe und ich finde das Lied sehr passend.”

“Ich kann mich daran erinnern.”

Ohne lange zu warten, begann Felix das Lied auf dem Klavier zu spielen und Hanna sang mit dem richtigen Ton mit. Ganz textsicher war Hanna doch nicht mehr und musste vom Blatt absingen. Doch aus dem Augenwinkel sah sie, wie Felix immer wieder zu ihr aufblickte. Hanna ahnte schon, dass er vielleicht Interesse an ihr hatte. Aber dieses Strahlen in seinen braunen Augen ließ vermuten, als würde er sie maßlos bewundern. Als das Lied endete, erfüllte reger Applaus den Raum. Lächelnd drehte sich Hanna zu den anderen Chormitgliedern um.

“Ganz klar hat sie die Gesangsprobe bestanden”, sagte eine ältere Frau und applaudierte weiterhin.

“Ich bin echt sprachlos”, sagte Felix. “Ich dachte, der Pfarrer hätte übertrieben, was deine Gesangsstimme angeht. Aber diese Leistung entschuldigt dich, dass du zu spät gekommen bist sofort." 

“Also ich wäre dafür, dass wir ein paar Solos für sie mit einbauen. Mit so einer Stimme in unserem Chor müssen wir doch angeben”, erwiderte einer der Männer.

“Da bin ich ganz deiner Meinung”, stimmte Felix ihm zu.

“Jetzt macht ihr mich aber ganz verlegen.” Hanna wurde es plötzlich ganz warm. Sie war garantiert ziemlich rot im Gesicht.

Die restliche Chorprobe verlief weiterhin sehr gut. Mit den ganzen Komplimenten konnte sie noch schwer umgehen und sie hatte noch Probleme, im Mittelpunkt zu stehen. Daher war der Chor zum Proben ganz gut. Als Sängerin auf einer großen Bühne würde sie schließlich vor weitaus mehr Publikum im Mittelpunkt stehen. Dennoch fühlte sich Hanna dort pudelwohl und geborgen, auch wenn es nur Kirchenlieder im Angebot gab.

Am Ende der Chorprobe holten sich noch einige Mitglieder Tipps von Hanna. Wie sie die hohen Töne oder die ganz Tiefen so perfekt traf. Oder durchlöcherten sie mit vielen anderen Fragen. Als der letzte gegangen war, atmete Hanna tief durch. Das nächste Mal würde sie wahrscheinlich nicht mehr so gefragt sein. Jedenfalls hoffte es Hanna. Heute war sie schließlich die neue und niemand kannte sie. 

“Du hast wirklich Talent. Mit der Stimme könntest du das Singen zum Beruf machen”, sagte Felix.

“Dankeschön. Sängerin wäre auch mein Traumberuf. Aber was ist aus mir geworden? Die Haushälterin von einem Pfarrer.”

“Das wundert mich schon die ganze Zeit, warum du diesen Job machst.” Er schloss das Klavier und stand auf. “Du bist jung, intelligent, hübsch. Dir müssten doch sämtliche Türen offen stehen.”

“Nur leider die Türen, die mich nicht interessieren.” Seufzend half sie Felix, die Gesangbücher zusammen zu räumen. “Und der Job ist hier doch ganz easy.  Für ein bisschen sauber machen und kochen, Geld verdienen und dazu noch mietfrei wohnen. Besser kann es einem doch nicht gehen.”

“Das stimmt allerdings.”

Nachdem sie aufgeräumt hatten, verließen sie den Gemeindesaal. Felix brachte Hanna noch zum Pfarrhaus hinüber. Elias schien zum Glück schon zu schlafen. Jedenfalls brannte im Haus kein Licht mehr.

“Hast du eigentlich schon jemals versucht, öffentlich mit deiner Stimme aufzutreten?”, fragte Felix, als sie vor der Haustür standen. 

“Nein. Noch nicht. Ehrlich gesagt traue ich mich auch nicht.”

“Du brauchst keine Angst haben. Die Leute werden deine Stimme lieben.”

Gerührt und unsicher zugleich sah Hanna zu Felix auf. “Aber es gibt immer irgendwelche Hater.”

“Ach, da kannst du drüber stehen. Meistens sind das nur Neider. Oder die haben halt einen anderen Musikgeschmack.”

“Ich weiß nicht so Recht”, stammelte Hanna herum und holte den Haustürschlüssel aus ihrer Jackentasche. 

“Und wenn ich dir dabei helfen würde?”

Sie runzelte die Stirn. “Wie denn?”

“Ich filme dich während du singst und dann laden wir es bei den sozialen Netzwerken hoch. Vielleicht entdeckt dich mal jemand, wenn du dort viele Fans hast.”

“Das würdest du wirklich machen?”

“Na klar.”

Überglücklich umarmte sie ihn. “Das wäre supi.”

“Wollen wir uns morgen bei dir treffen, wenn wir Feierabend haben?”, fragte Felix strahlend. Über die Umarmung schien er sich zu freuen. 

“Gerne. Ich freu mich drauf.”

“Und ich mich erst mal.” Er umarmte Hanna noch einmal zum Abschied und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. “Gute Nacht und schlaf schön!”

Hanna merkte, wie warm ihr plötzlich wurde. Mit dem Kuss hatte sie überhaupt nicht gerechnet. Sie spürte, wie die Röte in ihr Gesicht schoss und wagte es kaum aufzublicken.

“Dankeschön. Dir auch eine gute Nacht!” Mit rasenden Herzen ging Hanna zur Haustür und schloss sie auf. Sie drehte sich nicht noch einmal um, denn sie spürte Felix seine Blicke hinter sich. Als die Tür hinter sie ins Schloss fiel, atmete sie erleichtert auf. Wieso machte er sie so nervös?

Als sie in ihrer Wohnung war, beruhigte der Gedanke an Felix sie. Sollte sie sich in ihn verlieben, hätte sich das Problem mit Elias von alleine gelöst. 

 

Zuerst konnte Hanna nicht einschlafen. Zu sehr kreisten ihre Gedanken um Felix und die Vorfreude, zusammen mit ihm Musik zu machen, war riesig. Am nächsten Tag erledigte sie ihre Aufgaben in Windeseile. In der Mittagspause traf sie sich mit Felix auf dem Pfarrhof. Sie aßen zusammen Döner und meldeten Hanna auf sämtlichen sozialen Netzwerken an, auf denen sie ihre Videos veröffentlichen konnte. Sie alberten zusammen herum und schossen gegenseitig Fotos. 

Plötzlich gesellte sich Elias zu ihnen. Heute gelang es Hanna nicht, auf Abstand zu ihm zu gehen. Ständig verfolgte er sie auf Schritt und Tritt. Es kam ihr beinahe vor, als suche er ihre Nähe, denn er kam immer wieder mit neuen Aufgaben an. Sie sollte sogar Staub in seinem Büro wischen, obwohl es bereits blitzblank war und sie erst vor zwei Tagen dort Staub gewischt hatte. Aber um ihn glücklich zu machen, tat sie ihm den Gefallen.

“Schon fertig mit dem Mittagessen?”, fragte Hanna Elias stirnrunzelnd.

Er nickte. “Und was veranstaltet ihr hier für ein Fotoshooting?”

“Ich brauche Profilbilder für meine sozialen Netzwerke.”

“Und ich helfe ihr dabei”, antwortete Felix. “Ich hatte gedacht, du hättest übertrieben. Aber mit Hannas Talent würde sie es wirklich schaffen als Sängerin.”

“Und Felix hilft mir dabei, entdeckt zu werden.”

“Übers Internet?”, fragte Elias. 

“Genau. Heute Abend drehen wir unser erstes Musikvideo”, antwortete Hanna. 

“Da bin ich ja mal gespannt. Ihr beide scheint euch ja blendend zu verstehen.”

“Ja, das könnte man so sagen”, bestätigte Felix.

Hanna legte lächelnd ihren Kopf auf Felix Schulter und schoss ein neues Foto. “Leidenschaft verbindet. Ich glaube, wir könnten unzertrennlich werden.”

Elias riss seine Augen weit auf, was Hanna irritierte. War er darüber so erschrocken?

“Ich hoffe, du vernachlässigst aber nicht deine Arbeit und drehst nur noch Musikvideos”, sagte Elias, nachdem er seine Stimme wiederfand. 

“Keine Panik, das machen wir in unserer Freizeit”, versicherte Felix ihm. 

Während Hanna ihren Döner aß, herrschte verkrampfte und peinliche Stille. Niemand sagte mehr ein Wort. Hanna fragte sich immer wieder, was Elias überhaupt wolle? Passt er auf, dass sie und Felix sich nicht noch näher kamen? 

Seufzend steht Hanna auf, als sie fertig war. “Ich muss nur noch Wäsche machen und das Abendessen vorbereiten und dann habe ich Feierabend”, wandte sie sich an Felix.

“Ich bekomme zum Abendessen Besuch. Also bitte eine Portion mehr machen”, entgegnete der Pfarrer ihr.

“Okay. Wer kommt denn zu Besuch?”, wollte Hanna wissen. 

“Ein befreundeter Pfarrer. Wir haben zusammen studiert.”

“Alles klar. Ich werde mir etwas Leckeres einfallen lassen.” Dann sah Hanna zu Felix hinüber und umarmte ihn. “Ich schreibe dir, wenn ich mit allen fertig bin.”

Sie hauchte ihm einen Luftkuss entgegen, während sie zurück ins Pfarrhaus ging. 

 

Während Hanna die Wäsche abhängt und bügelt, leistet Elias ihr wieder Gesellschaft. Er fragte sie regelrecht über Felix und sie aus. Außenstehende würden denken, er wäre eifersüchtig. Doch allmählich ging er ihr langsam auf die Nerven mit seiner Fragerei. 

Als sie sein letztes Hemd gebügelt hatte, stellte sie das Bügeleisen aus und legte das Hemd zusammen und dann in den Wäschekorb hinein. Danach ging sie in sein Schlafzimmer und stellte den Korb auf sein Bett. Wieder folgte Elias ihr. Genervt drehte sich Hanna um.

“Musst du heute nicht arbeiten? Ich komme mir langsam verfolgt von dir vor.”

Elias' Blick glitt zu seinem Radiowecker auf seinem Nachttisch. “Doch ich muss noch eine Trauerrede schreiben, bevor Sven kommt.”

Als er verschwunden war, atmete Hanna erleichtert auf. Sie ging in die Küche und checkte den Vorrat. Dabei stellte sie fest, dass sie noch dringend einkaufen musste. Sie entschied sich, als Vorspeise einen Salat zu machen, als Hauptspeise gefüllte Paprika und Reis und Erdbeer Tiramisu als Dessert.

Eine Stunde später kam sie mit dem Einkauf zurück und begann das Abendessen vorzubereiten. Sie wurde auch pünktlich fertig, als es an der Haustür klingelte und Elias sein Freund eintraf. Daraufhin schrieb Hanna Felix eine Nachricht, dass sie fertig sei und er rüber kommen kann. 

Es dauerte auch nicht lange und er war da. Zusammen gingen sie in Hannas Wohnung. Sie entschuldigte sich bei Felix und verschwand ins Badezimmer. Zuerst zog sie sich ein enges und kurzes, dunkelblaues Kleid an, schminkte sich und flechtete ihre langen braunen Haare zu einer verführerischen Frisur. 

Hanna geht zurück ins Wohnzimmer und dreht sich einmal im Kreis. 

"Geht das so oder sieht es zu billig aus?", fragte sie unsicher und setzte sich neben ihn.

"Nein, du siehst perfekt aus." Felix starrte sie regelrecht an, als könne er die Augen nicht von ihr lassen. In ihnen schimmerte ein warmer Glanz wieder. Hanna ließ sich davon jedoch nicht ablenken und checkte ihre Online- Plattformen. Ihre Freunde und Follower haben sich mittlerweile schon verdoppelt. Vor allem durch Freunde und Familie ihrer Freunde und Familie. 

"Weißt du schon, was du singen möchtest?"

Hanna überlegte kurz. "Wie wäre es mit Shallow von Lady Gaga?"

"Ja. Ich denke, damit könntest du alle Facetten deiner Stimme zeigen."

Daraufhin stand Hanna auf und ging zum Keyboard. Vorher gab sie Felix noch ihr Smartphone, damit er ein Video von ihr aufnehmen konnte. Sie setzte sich auf den Hocker und begann zu spielen. Es dauerte einige Stunden, bis sie das Lied fehlerfrei spielen konnte und textsicher war. Erst dann nahm Felix ein Video von Hanna auf.

"Und wie war ich?", fragte sie Felix, als sie geendet hatte. Aufgeregt setzte sie sich neben ihn und sah sich das Video an.

"Einfach nur Weltklasse."

Hanna war ebenfalls zufrieden. Sie schien jeden Ton mit Bravour getroffen zu haben und die Aufnahme war auch sehr gut.

"Ich hatte ja auch einen wunderbaren Kameramann."

"Danke für das Kompliment." 

Als das Video zu Ende war, lud Hanna es auf ihre sämtlichen Profile hoch. Dann legte Felix seine Hand auf Hannas und beugte sich näher zu ihr. Sie konnte ihn direkt in seine dunkelbraunen Augen blicken. Nur noch wenige Zentimeter trennten ihre Lippen. Fast wäre es zu einem Kuss gekommen, aber dann klopfte es an der Tür. Erschrocken rutschte Hanna weiter weg von Felix. 

"Herein!", sagte sie dann. 

Elias und der andere Pfarrer betraten ihr Wohnzimmer. Letzterer entsprach schon eher der Vorstellung eines Pfarrers. Schon älter, etwas mollig, einige Falten und vereinzelt schon graue Strähnchen zwischen seinen schwarzen Haaren. 

"Entschuldigung, aber ich musste die Person mit der wunderschönen Stimme mal sehen. Und natürlich die talentierte Köchin. Das Essen hat grandios geschmeckt", wandte sich der ältere Pfarrer an Hanna. 

"Dankeschön. Es freut mich sehr dass es Ihnen geschmeckt hat."

"Wir haben dir noch was übrig gelassen", sagte Elias. 

"Da hast du wirklich eine tolle Haushälterin gefunden." Freundschaftlich klopfte der Pfarrer ihm auf den Rücken. 

"Ich weiß." Räuspernd sah Elias auf die Wanduhr. "Schon so spät? Denk an die Beerdigung morgen früh, Felix! Nicht dass du wieder verschläfst."

"Ja, Chef." Seufzend gab Felix Hanna einen Kuss auf die Wange. "Gute Nacht Schönheit!"

"Dir auch eine gute Nacht", sagte Hanna, als er mit Elias und dem Pfarrer zur Tür raus ging.

Hanna legt sich auf die Couch. Als sie im Fernseher durchs Programm zappte,  stellte sie fest, dass es erst 20:30 Uhr war. Bis 22 Uhr hätte Felix ja noch bleiben können. Es dauerte nicht lange, dann klopfte es wieder an ihrer Tür. Stirnrunzelnd setzte sich Hanna auf.

"Ja?"

Es war schon wieder Elias, der herein kam.

"Ich denke, es ist schon so spät?", fragte sie irritiert. 

"Das hatte ich doch nur gesagt, weil ich lieber ein privates Live Konzert von dir wollte", antwortete er und setzte sich neben sie.

"Jetzt?"

Er nickte. "Sonst wäre ich wohl kaum hier."

"Lass das bloß nicht Felix wissen." Sie stand auf und setzte sich wieder an ihr Keyboard. Dann spielte Hanna erneut "Shallow" von Lady Gaga. Als sie anfing zu singen, merkte sie, wie sich eine lange braune Strähne löste und den Blick auf Elias verschleierte. Zum Glück, denn seine Anwesenheit machte sie wieder nervös und aufgeregt. Als sie mit ihm alleine war, kehrten die Schmetterlinge im Bauch zurück. Hanna sah starr auf ihr Keyboard und konzentrierte sich ausschließlich auf ihren Gesang und darauf, möglichst viele Gefühle reinzubringen, vor allem bei den hohen Tönen.

Erst als das Lied zu Ende war, sah sie zu Elias auf. Dieser schaute sie mit demselben Ausdruck an wie Felix, als sie vorhin aus dem Bad kam. So als würde er sie bewundern. Seine wunderschönen blauen Augen schimmerten, als würde er gegen Tränen ankämpfen. 

"Habe ich dich etwa sprachlos gemacht?", fragte sie und nahm wieder neben Elias Platz.

"Das kann man so sagen. Es war einfach atemberaubend und richtig Gefühlvoll."

"Mal sehen, ob es die anderen Leute auch so sehen." Hanna nimmt ihr Smartphone in die Hand und durchstöberte ihre Profile. Sie hatte bereits viele Likes, einige hatten ihr Video geteilt und vereinzelt waren schon positive Kommentare zu lesen.

"Felix kann sich wirklich glücklich schätzen", sagte Elias auf einmal. 

"Wieso?"

"Weil er eine Frau wie dich haben kann."

"Ach so. Aber wir sind nur..."

Weiter konnte Hanna nicht sprechen, als sie einen Kommentar von Lena unter ihrem Video sah. "Schlampenkonzert", prangte er unter den positiven Kritiken. 

"Was fällt dieser Bitch ein?", entfuhr es Hanna wütend. Irritiert sah Elias auf Hannas Smartphone. 

"Die spannt mir den Freund aus und bezeichnet mich dann als Schlampe? Der werde ich es zeigen." Hanna zog die Stirn kraus und hämmerte blitzschnell mit den Fingern auf den Buchstaben. 

"Ich glaube, das ist keine gute Idee", sagte Elias und hielt Hannas Hand fest.

"Warum? Ich lasse mir das von der doch nicht gefallen."

"Weil du ihr damit einen gefallen tust. Wahrscheinlich wollte sie dich extra provozieren, um deine Aufmerksamkeit zu bekommen."

"Du hast Recht." Hanna legt ihr Handy auf den Wohnzimmertisch und wandte sich dann voll und ganz Elias zu. "Auf ihrem Niveau lasse ich mich bestimmt nicht herab."

"Das hast du auch gar nicht nötig." Elias strich lächelnd ihre braune Strähne hinter ihr Ohr, wobei seine Hand auf ihrer Wange liegen blieb. Ein angenehmes Kribbeln wurde bei dieser Berührung ausgelöst und durchströmte ihren ganzen Körper. Hanna sah zu ihm auf und stellte fest, dass er sie lange und tief in ihre Augen blickte. Dabei lächelte er leicht. War es Sehnsucht in seinen Augen? Hannas Herz raste vor Aufregung und wünschte sich, dass er sie endlich küssen würde. Plötzlich spürte sie, wie Elias ihre Wange streichelte und sie dabei sanft näher zu sich zog. Hanna schloss die Augen und konnte seinen warmen Atem an ihren Lippen spüren. Die Vorfreude, von ihm geküsst zu werden, war unendlich groß. 

Bevor es zu einem Kuss kam, wich Elias zurück und stand hastig auf. 

"Es tut mir Leid!", entschuldigte er sich.

"Alles Gut. Das braucht dir nicht leid zu tun."

"Ich glaube, ich sollte lieber ins Bett gehen." Entschlossen ging Elias zur Tür.

"Du kannst mich doch nicht so stehen lassen."

"Das war gerade nur ein schwacher Moment und wird nicht wieder vorkommen." Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand er durch die Tür. Mit bebenden Lippen und Tränen in den Augen krümmte sich Hanna auf der Couch zusammen. Nachdem Elias außer Hörweite war, ließ Hanna ihren Tränen freien Lauf. Es fühlte sich an, als hätte Elias ihr ein Dolch ins Herz gerammt. Sie fühlte sich abgelehnt und hilflos. Hanna verfluchte sich wegen ihrer Naivität. Wie konnte sie nur glauben, Chancen bei ihm zu haben? Sie weiß nicht, wie lange sie dort weinend lag. Irgendwann schlief sie jedenfalls ein.



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Texte: Alle Rechte liegen beim Autor
Bildmaterialien: Bilder von Google
Tag der Veröffentlichung: 20.03.2023

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