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Der Anfang

Der Anfang

 

Wenn Du das Unbekannte auch nicht fürchtest, so sei stets auf der Hut. Die Tiefen des Berges enthalten viele Gefahren.

(Satz aus dem Lehrbuch der Bergmeister)

 

 

1. Östliches Nordland

 

Da war es wieder. Ashen schreckte hoch. Seit den mittlerweile fast drei Jahren, die er hier schuftete, hatte er es immer wieder gehört. Anfangs war es sehr selten, leise, kaum wahrnehmbar gewesen. Seine Mitgefangenen und die Wächter hatten das Geräusch sogar erst Wochen später bemerkt. Seinem feinen Elbengehör war es von Anfang an nicht entgangen.

Als die Zwerge es bemerkten, versuchten sie dem Geräusch auf den Grund zu gehen. Einige Bergmeister und vier Wächter stiegen in die Tiefen des Berges hinab. Nach sechs Tagen kehrten sie ergebnislos zurück. Sie holten sich neue Vorräte, mehr dieses Mal, und stiegen erneut hinab. Man hatte nie wieder etwas von ihnen gehört. Ein Suchtrupp wurde losgeschickt. Dann noch einer und noch einer. Sie alle kehrten nach zehn Tagen zurück. Aber gefunden hatten sie nichts. Die Bergmeister und ihre Begleiter blieben für immer verschollen.

Seit dem ersten Tag ist es immer lauter geworden. Es schien fast, als ob es näher kam - das hämmernde Pochen tief im Berg.

 

Fast drei Jahre schon, jeder Tag wie eine Ewigkeit und dennoch nur eine kurze Zeitspanne in Ashens langem Leben. Fast drei Jahre war es her, seit jenen Ereignissen, die ihn an diesen verdammten Ort gebracht hatten.

Damals war er durch die Länder gezogen, um sich sein Brot auf eine für einen Elben ungewöhnliche Art und Weise zu verdingen. Als Söldner und Leibwächter im Dienste von reichen Herrschaften – verpönt in den Augen seiner eigenen Landsleute. Aber er hatte es genossen, fremde Lebensweisen kennenzulernen, die Freiheit weiterzuziehen, wenn sein Dienst beendet war, den Respekt, den die Menschen vor seiner Körpergröße und Kraft hatten. Ja, er mochte dieses Leben in den fremden Ländern.

Aber dann kam der Tag, dieser eine verfluchte Tag. Er hatte die Tochter seines Herrn – einen reichen Kaufmann – in die Taverne begleitet. Eigentlich durfte sie nicht fort, aber er hatte sich von ihr überreden lassen und begleitete sie als Aufpasser.

Sie wollte sich mit ihrem Verehrer treffen, einem jungen aufstrebenden Leutnant der Garde des Königs.

Dann war alles schief gelaufen. Der Leutnant hatte mit Freunden ein Saufgelage veranstaltet und alle waren betrunken. Er wollte Jenna zum Gehen bewegen, aber wie immer setzte das verzogene Gör ihren eigenen Kopf durch und ließ ihn spüren, dass sie im gesellschaftlichen Rang über ihm stand.

Als der Leutnant schließlich zudringlich wurde, wollte sie dann doch nicht mehr bleiben – aber da war es bereits zu spät. Der Offizier gab vor seinen Freunden an. Irgendwann drehte er sie ihnen zu und entblößte mit einem Ruck ihre wunderschönen Brüste.

Das war der Zeitpunkt, an dem Ashen eingriff. Es gab eine Schlägerei, bei der zwei Arme und mehrere Nasen brachen – nicht die von dem Elb. Dann traf ihn ein Stuhl am Hinterkopf und er ging zu Boden.

Dunkel konnte er sich erinnern, wie die Menschen auf ihn eintraten, um sich für ihre Demütigung zu rächen. Es gelang ihm schließlich nicht mehr, sich wirksam zu schützen. Sie ließen überraschend von ihm ab, als ein scharfer Befehl durch die Taverne hallte. Obwohl seine Gegner Offiziere waren, bemerkte er, das sie vor einem großen alten Feldwebel zurückwichen – im Rang eigentlich unter ihnen. Das war erstaunlich und er konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen, auch wenn ihm das Blut aus seinen aufgeplatzten Lippen lief.

Der alte Soldat hatte sich zu ihm runter gebeugt. Verschwommen nur konnte er ihn wahrnehmen, da sein Schädel vor Schmerzen zu bersten drohte.

„Ich glaube, da hast du dich wirklich tief in die Scheiße geritten!“, waren die letzten Worte, die der Elb hörte, bevor er sein Bewusstsein verlor.

 

Der Feldwebel sollte Recht behalten. Ashen hatte drei Söhne von hochrangigen Persönlichkeiten zusammengeschlagen und verletzt, sieben andere hatten Blessuren davongetragen – von ihrem gedemütigten Stolz ganz zu schweigen.

Sein Dienstherr ließ ihn schließlich fallen, weil er seine Tochter nicht zurückgehalten hatte. Aber er musste fairerweise eingestehen, nicht nur deswegen. Seine Gegner waren einfach zu mächtig. Kein Kaufmann kann etwas gegen einen Grafen, den Innenminister und den Marshall der schweren Reiterei ausrichten – den Vätern seiner Gegner. Einzig der Kommandeur der Offiziersschule verzichtete darauf, ihn anzuklagen. Er kannte die verzogenen Schnösel zu gut, mit denen Ashen gekämpft hatte.

Die Gerichtsverhandlung war nur eine Formalität. Auch Jenna wagte nicht, ihn zu verteidigen. So wurde er schließlich zu fünf Jahren Zwangsarbeit in den Minen der Zwerge verurteilt. Eine seit vielen Jahrzehnten gängige Praxis der Menschen, mit ihren Gefangenen Geld zu machen, denn sie ließen sich diese billigen Arbeitskräfte bezahlen.

 

Die Reise war lang und entbehrungsreich. Sie führte über die endlosen staubigen Straßen nach Nordland. Nicht alle Verurteilten überlebten diese Strapazen. Es war eine erste harte Prüfung, denn den Menschen waren ihre Gefangenen ziemlich egal. Und wenn es kein Geld für sie gegeben hätte, wären sie wahrscheinlich noch nicht einmal verpflegt worden. Sie wären alle verreckt. Ein Umstand, der die menschliche Rasse in Ashens Ansehen hatte tief sinken lassen.

 

Anders war es in der Mine der Zwerge. Sie waren strenge aber gerechte Herren. Für sie war einzig wichtig, dass man gute Arbeit leistete.

Dann war die Verpflegung ordentlich und es gab keinerlei Schikanen zu fürchten. Ließ man in der Arbeitskraft jedoch nach, wurde man schmerzhaft angetrieben. Gleichwohl war dies ein ehrlicher Umgang mit den Gefangenen. Ashen, der zuvor nur von der Gier der Zwerge gehört hatte, konnte das respektieren.

Dabei war er etwas Besonderes unter den ganzen Verurteilten, die nicht alle Verbrecher waren. Er war der einzige Elb, der je in eine Mine abgeurteilt worden war. Seine Mitgefangenen fürchteten ihn, denn für die meisten war er ein unbekanntes Wesen.

Die Zwerge mochten ihn zwar nicht, respektierten aber seine Art hart zu arbeiten, ohne dabei zu klagen. Damit konnte er leben.

Eine Flucht aus der Mine war unmöglich – zu viele Ketten, zu viele Wächter und nur ein schwer bewachter Ausgang aus dem Berg im nördlichen Tianshan-Gebirge.

 

Heute war es anders. Das hämmernde Pochen – noch nie schien es so nah. Es war fast als schlug etwas an die Wand der Zelle und immer mehr der Mitgefangenen erhoben sich. Unruhe machte sich breit. Die Minuten vergingen und dann hallte der Alarm der Zwerge durch die Gänge.

Sofort war im Flur Bewegung. Laufende Wächter, fluchende Soldaten. Wieder quälten sich die Minuten dahin.

Ein Rasseln an der Zellentür sorgte schließlich dafür, dass er sich erhob und die zwei Schritte zur Tür ging. Seine Bewegungen waren dabei geschmeidig wie die eines Raubtieres auf der Jagd. Er hatte immer schon kraftvolle Muskeln gehabt – aber nun waren sie zusätzlich gestählt durch die harte Arbeit mit Pike und Schaufel. Jedem, der ihn sah, war klar, dass er ein unangenehmer Gegner sein musste. Auch mit den Ketten um die Gelenke, die seinen Bewegungsspielraum einengten.

Es war ungewöhnlich, dass um diese Zeit jemand zu ihnen kam. Der Grund konnte nur der Alarm sein.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Es war Gemron, einer der Wächter. Er ging Ashen kaum bis über die Hüfte. Dennoch wäre Ashen nicht auf den Gedanken gekommen, ihn anzugreifen.

Er wusste, trotz der kleinen Statur und seinem fortgeschrittenen Alter war Gemron ein gefährlicher Gegner. Der breite Brustkasten und die dicken Oberarme flößten Respekt ein. Mit seiner schweren doppelklingigen Streitaxt hantierte er wie mit einem Spielzeug herum. Viele der Menschen hätten sie kaum tragen können.

Gemron war in voller Rüstung. Ein Helm schützte seinen Kopf und seine Haltung verriet Vorsicht. „Versprichst Du mir, mich nicht anzugreifen?“, sein Blick war ernst und eindringlich auf Ashen gerichtet. Der Elb nickte zögernd.

„Gut!“ Gemron reichte Ashen die Schlüssel für die Kette, mit der die Gefangenen dieser Zelle aneinander gefesselt waren.

Ashen stellte keine Fragen, sondern begann sich sofort am Schloss zu schaffen zu machen. Es war gut geölt und somit konnte er es ohne Schwierigkeiten öffnen. Als er wieder zu dem Zwerg blickte, sah er erstaunt eine weitere Axt in dessen zweiter Hand. Er hätte nicht sagen können, wo der Zwerg sie hergeholt hatte. Gemrons Beine waren zu einem festen Stand gespreizt. Instinktiv nahm der Elb eine Kampfstellung ein, bereit der Axt auszuweichen und sein Leben teuer zu verkaufen. Beide blickten sich einen Augenblick abschätzend an.

 

Unterdessen war im zweihundert Schritt entfernten Hauptgang der Mine Gebrüll zu hören, in das sich das Klirren von Waffen mischte. Auch die anderen Zellentüren waren geöffnet und aus den Verließen entwichen die ersten Gefangenen. Einige Wächter rannten zwischen ihnen herum.

„Nun?“, fragte Gemron. Hinter Ashen waren die Mitgefangenen in ihren Bewegungen erstarrt. Gebannt blickten sie auf die beiden Gestalten, deren Angespanntheit den Raum beherrschte.

„Du hast mein Versprechen!“, antwortete der Elb.

 

Gemron hielt nicht viel von den Langohren – welcher Zwerg tat das schon – aber aus den Mythen und Geschichten seiner Vorfahren wusste er, dass Elben sowas wie Ehre besaßen und bei diesem hier hatte er es sogar schon beobachtet.

Ohne weiteres Zögern reichte er Ashen die Axt. „Ich weiß, Du kannst damit umgehen.“ Dann wandte er sich um und begann in Richtung des Hauptganges zu laufen.

„Heute kämpfen wir alle für dasselbe.“, rief er über die Schulter zurück. „Unser Leben!“

Und keiner bemerkte, dass das hämmernde Pochen verstummt war.

 

 

 

 

2. Südkaukasien

 

Die Landschaft war öde und die Wüste schien unendlich weit. Lediglich im Osten wurde sie begrenzt durch die hohen Gipfel des Tianshan-Gebirges. Sie war trocken und lebensfeindlich. Wer sich nicht auskannte, überlebte hier keinen Tag ohne Wasser.

Aus diesem Grund hielt sich die Karawane dicht angelehnt an das Gebirge. Hier gab es hin und wieder Bäche und unterirdische Seen, die sich einen Weg aus den Gipfeln bahnten, um dann in der Wüste zu versiegen.

Ohne dieses Wasser würde auch eine so riesige Karawane den Weg nicht schaffen. Niemand konnte so viel von dem kostbaren Nass transportieren, wie man benötigte, um die Wüste von Nord nach Süd zu durchqueren.

 

Ihr Ziel war Katmanur, die Schreckliche. Eine Stadt am Südmeer, die von ihren Diamantengruben und dem Handel mit den Wüstenstämmen lebte. Rund vierhundert schwer bewaffnete Söldner auf Kamelen bewachten diese Karawane, die Nahrungsmittel, Nutztiere, Werkzeuge und Waffen, aber auch Sklaven und Huren transportierte. Sie erstreckte sich über eine Länge von mehr als vier Meilen in zwei Kolonnen.

Baldur war der Führer dieser Karawane. Er war ein mittelgroßer Mann von muskulöser Gestalt, ein Sohn der Wüste. Es war seine zwölfte Reise und nach dieser würde er sich zu Ruhe setzen können, mit genügend Geld für seinen eigenen Harem.

Sein Blick glitt in die Ferne – nach Westen über die langgezogenen Dünen. Das Einzige was er hier fürchtete, war ein verzweifelter Angriff von ein oder zwei vereinten Stämmen, die versuchen könnten ein paar voll beladene Kamele oder Wagen zu entführen. Aber eigentlich waren sie viel zu groß und die Bewachung viel zu schwer. Kein Stamm war stark genug, es mit ihnen aufzunehmen.

Die Sonne neigte sich bereits dem Horizont im Westen entgegen. Für das Nachtlager hatte er eine höher gelegene Ebene zwischen zwei Berghängen vorgesehen, wo er schon mehrfach Rast gemacht hatte. In zwei Stunden würde die Spitze der Karawane das Plateau erreichen, welches er in der Ferne schon sah.

Der Platz war ideal. Er hatte einen Zugang von wenigen Metern Breite, der nur über einen ansteigenden Weg erreicht werden konnte. Dieser Ort war leicht zu verteidigen. Ein paar verdorrte Dornenbüsche und vertrocknete Baumstämme würden es Angreifern zusätzlich erschweren, hier an sie heranzukommen. Im östlichen Berghang war eine große Höhle, die einen klaren See beherbergte. Wasser gab es hier also im Überfluss – Wasser, das wertvoller war als Gold und Diamanten.

Dennoch erschauerte Baldur leicht bei dem Gedanken an diese Höhle. Vor drei Jahren bei seiner neunten Tour hatte er dort etwas gehört. Es klang wie ein Hämmern tief im Bergmassiv. Sein Aberglaube ließ ihn an die Dämonen und Trolle aus den Geschichten seines Vaters denken. Die Geschichten, die er ihm abends nach der Jagd am Lagerfeuer erzählt hatte. Die Geschichten, die er liebte. Die Geschichten, die ihn erschreckten.

Aber natürlich ließ Baldur sich den Schrecken niemals anmerken. Er, der Sohn des großen Häuptlings des gefürchtetsten Stammes der Südwüste, durfte schließlich keine Angst zeigen. Trotzdem war die Höhle ihm unheimlich.

 

Nachdem das erste Kamel das Plateau erreichte, dauerte es mehr als eine Stunde bis die letzten Karren der Karawane angekommen waren.

Baldur betrachtete wie immer jeden einzelnen der Wagen und die Menschen, die einzogen. Seine Miene war dabei reglos. Seine vier Hauptleute standen an seiner Seite und warteten auf ihre Befehle.

Die lange Reihe der rund tausend zerlumpten Sklaven war ihm dabei ebenso gleichgültig, wie alle anderen Mitglieder seines langen Zuges. Was kümmerte den Karawanenführer ihr Schicksal? Jeder schmiedet es schließlich selbst. Er war sich sicher, sie hatten das ihrige verdient. Nur dass sie heil ankommen würden, interessierte ihn, denn das bedeutete sein Geld.

 

Die vier Wagen mit den Huren weckten allerdings ein anderes Interesse in ihm. Heute Nacht würde er sich eine Entspannung gönnen, wie immer vor der letzten Etappe der Reise.

Er hatte sie sich schon vor Tagen ausgesucht. Eine hellhäutige hochgewachsene Frau, die so ganz anders aussah, als die dunklen Weiber, die er sonst kannte. Ein Lächeln umspielte sein Gesicht. Ja, heute Nacht würde er eine Nordländerin vögeln.

Mal sehen, ob sie so eisig war wie ihre Heimat, die er nur aus Erzählungen kannte oder ob die heiße Sonne des Südens sie zum Schmelzen bringen würde. Oh ja, er war wirklich gespannt.

 

„Jemal, stell Wachen ab, die die Wasserverteilung am See überwachen und teile Streifen ein, die zwischen den Wagen und Zelten patroulieren! Ich will keinen Ärger mehr zwischen den Kaufleuten. Shem, Du und Deine Hundertschaft überwacht den Zugang! Die anderen haben frei, sollen aber ihre Lagerbereiche nicht verlassen. Zehn Peitschenhiebe für denjenigen, der sich bei den Kaufleuten und ihren Töchtern rumtreibt. Lagert hier nahe des Zugangs.“, gab er die Befehle an seine Hauptleute aus. Auch wenn scheinbar keine Gefahr drohte, wollte Baldur jedes Risiko vermeiden. Er hatte den Ruf, ein besonnener und strenger Karawanenführer zu sein. Beides war wichtig, wenn man in diesem harten Beruf alt werden wollte. Alt genug, um den guten Verdienst schließlich mit seinem Harem zu verprassen.

 

Die Sonne stand bereits dicht über dem Horizont. In weniger als einer Stunde würde es so dunkel sein, dass man seine Hand kaum vor den Augen erkennen könnte. Zwischen den Wagen wurden die ersten Lagerfeuer aus Kameldunk entfacht.

Aus dem Süden näherte sich indes eine Staubwolke, die seine Aufmerksamkeit erregte.

„Die Späher sind spät dran.“ Shem spuckte aus. „So ein scheiß unnötiges Risiko! Ich werde sie in ihre dämlichen Ärsche treten!“

Seine Wut war begründet. In dem unwegsamen Gelände war es riskant, nachts zu reiten.

„Wenn sich ihre Kamele im Dunkeln die Beine zwischen dem Geröll brechen, können sie zu Fuß gehen.“, zischte Baldur. Das war keine leere Drohung. Er war ebenfalls ungehalten.

Das Leben eines Reittieres war in diesem Land mehr wert, als das Leben eines unbesonnenen Reiters. Alle wussten das. Darum war dieses Risiko nicht zu dulden.

 

Die Staubwolke schien sich jedoch immer langsamer zu bewegen. Im Dämmerlicht war zunächst nicht zu erkennen, was der Grund dafür war. Dann wurde es aber immer deutlicher. Es waren mehr als die ursprünglich zehn Späher und es waren keine Kamele, die sie ritten. Alle sahen es. Es waren nicht die Kundschafter.

Baldur kniff die Augen zusammen, um seinen Blick zu schärfen. Wer oder was kam da auf sie zu? Und wie gefährlich war es?

Unruhe brandete auf, als die ersten Waffen ergriffen wurden. Die Männer am Zugang hatten die ungewöhnlichen Kreaturen bemerkt und ein Unterführer begann die Wachen anzubrüllen. Die Dornenbüsche und zwei große Stämme wurden auf den Weg gezerrt.

 

Und dann begann es. Baldurs Nackenhaare stellten sich auf, als er das laute Dröhnen aus der Höhle hörte. Er schnellte herum und sah die ersten Gestalten den Berghang hinunter rennen. Es waren die eingeteilten Wachen für die Wasserverteilung.

„Ihr Götter steht uns bei!“, stöhnte er auf und griff nach seinem Schwert. Offensichtlich gab es die Dämonen und Trolle aus den Geschichten seines Volkes tatsächlich.

 

 

 

 

3. Ostprovinz

 

Die aufgehende Sonne färbte den Himmel blutrot – passend zu den Geschehnissen der Nacht.

Auf der Tiefebene vor den Ausläufern des Tianshan-Gebirges waren vier Rauchsäulen zu sehen, die sich von den Überresten der Dörfer der Ostprovinz erhoben. Um diese Siedlungen erstreckten sich weitläufige Felder, die in Parzellen unterteilt waren. Große Staubwolken hingen über ihnen, die von sich bewegenden Truppenteilen aufgewühlt wurden.

Im Osten war ein großer Wald als dunkle grüne Fläche zu erkennen und dahinter erhoben sich die Berge mit ihren schneebedeckten Gipfeln, die rötlich in der Sonne schimmerten. Lange galten diese Berge als unüberwindlich, die Länder jenseits als unbewohnt. Doch mit der heutigen Nacht war klar, dass dem nicht so war.

 

„Mindestens sechszehn Regimenter“, sagte Kerim zwischen zwei Nüssen, die er ständig zu kauen pflegte.

„Und in den Wäldern scheinen noch mehr zu sein“, antwortete Kaya auf ihren Bogen gestützt. Beide Menschen hockten zwischen den Bäumen auf dem westlichen Hügel und versuchten aus der Szenerie zu ihren Füßen schlau zu werden.

Sie hatten ihre grünen Umhänge umgelegt und waren auch für den geübten Beobachter kaum zu erkennen. Beide waren erfahrene Kämpfer und die Ruhe mit der sie verharrten, ließ darauf schließen, dass sie nichts so leicht erschüttern konnte. Ihre Gesichter ließen keine Gefühlsregung erkennen.

Unter ihren Umhängen verbargen sie ihre Waffen. Kerim war groß und massige Muskeln bedeckten seinen Körper. Er trug ein Kettenhemd und über den Rücken geschnallt ein langes Breitschwert, dessen Griff aus dem Umhang über der Schulter hervorschaute – schnell erreichbar, wie es in diesen unsicheren Zeiten von Vorteil war. Ein zweischneidiger Dolch hing an seiner Seite und ein weiteres Messer war an seinem linken Unterarm befestigt.

Kaya war fast so groß wie Kerim, schlank, muskulös und trotzdem eine Schönheit – sah man von ihren kurzgeschorenen Haaren ab. Neben dem Bogen trug sie zwei Kurzschwerter über dem Rücken. Darüber war der Köcher mit ihren Pfeilen befestigt. Ein Wurfdolch an jedem Arm und in den Schäften ihrer Stiefel komplettierte ihre Ausrüstung.

Etwas Bedrohliches ging von den Beiden aus.

 

„Sie formieren sich zum Marsch!“ Der Wind trug aus der Ferne den Klang von Hörnern und Trommeln herauf. „Solche Hörner hab ich noch nie gehört.“ Kaya sprach die Worte leise, als wolle sie die Geräusche nicht unterbrechen. „Wir müssen wissen, wer sie sind, bevor wir weiterziehen!“

Kerim nickte nur und schob sich die letzten Nüsse in den Mund. Eines war klar. Hier konnten sie nicht mehr tun, als Informationen zu sammeln und die Bewohner der Nachbarstädte warnen.

 

„Dort!“ Kayas Arm schnellte hoch und zeigte zum Weg, der aus einer Lücke zwischen den Wäldern entsprang, die in ungefähr einer Meile gegenüber dem Hügel lagen.

Ein Pferd galoppierte den Weg entlang. Es trug auf dem Rücken ein Bündel, das zu klein für einen normalen Reiter war.

Einige wenige Herzschläge später erschienen vier weitere Gestalten, die offensichtlich das Pferd jagten. Die Reiter waren auf diese Entfernung noch nicht zu erkennen, aber der Lauf der Reittiere war charakteristisch und unverwechselbar. Es sah fast wie Humpeln aus, so wie die beiden verkürzten Hinterläufe hinterher gezogen wurden. Aber das täuschte, denn der Lauf war ausdauernd und schnell, dazu geeignet, Beute bis zur totalen Erschöpfung zu jagen.

„Hyänen!“, sagte Kaya fassungslos. Als Südländerin kannte sie diese Steppentiere. „Aber so groß und in diesem Land?“

Sie schauten sich an. Und dann war Beiden klar, wer die Reiter waren. Als Meister der Kriegerkaste kannten sie die Bilder des Buches.

„Aus den blutenden Bergen werden sie kommen, jedwedes Leben der geeinigten Völker zu nehmen, auf dass nie wieder Elben, Menschen und Zwerge über die  Erde wandeln - Die Ankunft der Dunkelvölker.“, zitierte Kaya mit kaum merklichen Zittern in der Stimme.

Kerim hätte nie gedacht, dass irgendetwas die Kriegerin je erschrecken könnte. Und so bedeckte eine Gänsehaut seine Arme, die nicht von dem aufkommenden Wind herrührte.

„Ja, es hat begonnen.“

Waffengefährten

Waffengefährten

 

Ein Kamerad an Deiner Seite ist wertvoller als ein Schwert in Deiner Hand.

(Elbische Kriegerweisheit)

 

4. Östliches Nordland

 

Auf dem Hauptgang herrschte absolutes Chaos. Der Weg war verstopft mit Gefangenen, die dem Ausgang entgegen strebten von der einen Seite, sowie Trupps von Wächtern, die ins Berginnere strömten von der anderen Seite. Gemron blieb kurz vor dem Gang abrupt stehen, so dass Ashen ihn fast umgerannt hätte. Instinktiv drückten sich beide an die Wand, um den nachrückenden Gefangenen auszuweichen. Gemron schaute um die Ecke und versuchte zu erkennen, wie die Lage war.

Nur knappe fünfzig Schritt entfernt kämpften sieben Wächter mit dem Mut der Verzweiflung gegen eine Horde von Eindringlingen.

Sie schienen aus der Tiefe der Hölle zu kommen. Nicht viel größer als die Zwerge, waren es menschenähnliche Gestalten mit dunkler Haut und zähen sehnigen Muskeln, fliehender knochiger Stirn und hervorstehenden Reißzähnen. Bekleidet waren sie mit Lederharnischen, Helmen und Beinschützern. In ihren Händen hielten sie kurze Äxte oder breite gerade Schwerter mit Wiederhaken an der Spitze. Waffen, die geeignet waren für den Kampf in beengten Räumen, so wie es diese Höhle war. Jeder Einzelne von ihnen war grässlich anzusehen, aber das beängstigendste an ihnen war ihre Anzahl. Es mussten Hunderte sein. Der Hauptgang ins Innere des Berges war, soweit man sehen konnte, voll von diesen waffenschwingenden Unholden und zwischen ihnen türmten sich bereits viele Tote.

„Orks!“, zischte Gemron wutendbrand zwischen seinen Zähnen hindurch und stürzte sich in Richtung der Kämpfenden.

Ashen erschrak bei diesem Namen, den er schon lange nicht mehr gehört hatte. Danach betrachtete er die Geschehnisse nüchterner. Sofort war ihm klar, dass die Angreifer die wenigen Wächter überrennen würden. Auch wenn sich die schwere doppelklingige Axt in seinen Händen gut anfühlte, wusste er, dass er ohne Rüstung ein Handgemenge in dieser Enge nicht lange würde durchstehen können.

Er musste hier raus. Aber wie? Der Gang war immer noch verstopft von den Fliehenden und die Orks würden sie bald einholen und von hinten niedermetzeln. Die paar Zwerge würden sie nicht lange genug aufhalten können.

Auch wenn sie wie die Berserker kämpften, waren nur noch drei übrig und die ersten Eindringlinge strömten bereits an ihnen vorbei.

Gemron wehrte den Angriff des Ersten mit seinem linken gepanzerten Arm ab und spaltete ihm mit der Axt den Schädel. Sofort duckte er sich weg, drehte sich halb um die Achse und rammte dem nächsten seine Waffe in den Bauch. Dieser Ork ließ jedoch sein Schwert fallen, umklammerte die Axt und riss sie mit sich zu Boden. Der Zwerg reagierte blitzschnell, ließ seine Waffe los und ergriff das Schwert des Orks. Über dem Boden gleitend durchtrennte er die Beine eines weiteren Angreifers und mit dem Rückschwung rammte er ihm den Wiederhaken in den Schädel.

Ashen war bereits losgerannt und so kam er noch rechtzeitig, um einen der Angreifer den Kopf von den Schultern zu trennen, bevor er Schaden anrichten konnte. Einen Gegner traf der Speer eines neuen Wächters, der ihnen zur Hilfe eilte.

Ein Trupp Zwerge hatten sich seinen Weg durch die Gefangenen gebahnt und stürzte sich ebenfalls in den Kampf. Das gab Gemron die Zeit, sich wieder seiner Axt zu bemächtigen. Das schwarze Blut der Angreifer war überall an ihm verteilt und er war ein erschreckender Anblick. Sofort wandte er sich wieder dem Kampf zu und wollte seinen Kameraden zu Hilfe eilen.

„Gemron“, Ashen fasste ihn an die Schulter „dort wirst du nur sterben. Es sind zu viele. Wir müssen hier raus!“

Der Zwerg wirbelte herum und einen Augenblick lang dachte Ashen, er würde ihn angreifen. Aber Gemron zögerte, senkte kurz den Blick, nur um ihn dann voller Enttäuschung und Scham anzusehen.

Leider war es vernünftig, was der Elb sagte. Aber das würde bedeuten, dass er seine Kameraden im Stich lassen musste. Er kämpfte kurz mit sich selbst, dann gab die Hoffnungslosigkeit des Kampfes den Ausschlag.

„Ja, du hast recht,“ seine Stimme klang trocken. „Komm.“

Dann rannte er ungefähr zwanzig Schritte zurück und bog den nächsten Tunnel nach rechts ab. Ashen folgte ihm.

Es ging erst geradeaus, dann wieder nach rechts und kurz darauf nach links. Der Elb erkannte einen Versorgungstunnel, der von den typischen Öllampen erhellt wurde. Er führte zu einem der unterirdischen Bäche, an denen die Zwerge ihre Küchen aufstellten.

Der Kampflärm hinter ihnen war unterdessen verstummt. Jetzt hallten nur noch laute Schreie durch die Gänge. Der Ursprung war ihm klar. Das Gemetzel hatte begonnen. Die Gefangenen würden ohne Waffen in den engen Tunneln nicht die geringste Chance gegen die Angreifer haben.

Ashen hatte keine Ahnung, ob sie verfolgt wurden oder nicht. Hören konnte er nichts.

 

Dann kamen sie in eine große Höhle. Hier waren ein paar Öfen aufgebaut und Kessel hingen über den Feuern, die noch brannten. In ihnen blubberte der feste nahrhafte Brei, der den Gefangenen zweimal am Tag gereicht wurde. Es roch angebrannt.

Ein Bach floss durch die Höhle. Er wurde aus einem kleinen Wasserfall genährt und erfüllte den Raum mit einem wilden Rauschen.

Ashen schaute sich um. Sein Blick suchte nach Gegenständen, die sie gebrauchen konnten. Auch wenn er noch nicht wusste, wohin Gemron ihn führen würde – Waffen und Nahrungsmittel wären sicher hilfreich. Der Zwerg schien ähnlich zu denken und bediente sich bereits zielstrebig. Er warf Ashen einen Trinkschlauch zu, den dieser mit der linken Hand auffing.

„Pack Trockenfleisch, Yackkäse, Yamswurzeln und Nüsse ein. Das hält sich am längsten. Du findest das hinter der Tür dort.“, sagte Gemron, während er sich zwei kurze Äxte in seinen Waffengürtel schob.

Von der Hakenleiste an einer Wand nahm er zwei Rucksäcke, für die seine Vorbesitzer keine Verwendung mehr haben würden, ebenso zwei Umhänge.

Ashen machte sich kurz an der von Gemron bezeichneten Tür zu schaffen, nahm sich dann einen Schürhaken von der Wand und brach das Schloss auf. Entgegen der Zellenschlösser war dieses in einem schlechten Zustand und schnell zu brechen. Die Holztür ließ sich leicht aufdrücken und offenbarte eine Vorratskammer. Sie enthielt alles, was sie brauchen konnten.

Die Rucksäcke hatte er schnell gefüllt. Einem Instinkt folgend verstaute Ashen auch noch einen Beutel mit Pfeffer. Der Zwerg sah ihn fragend an.

„Sie werden die Höhlen absuchen. Wenn sie dazu wie die Menschen Jagdhunde benutzen, können wir hiermit unsere Spuren verwischen. Das Pfeffer blendet die Nasen der Tiere.“

Gemron zuckte die Schultern. Ihm war nicht bekannt, was der Elb meinte. Es war auch egal. Dieser kleine Beutel mehr oder weniger würde keine Last sein, zumal Ashen ihn trug. Er schwang sich seinen Rucksack über den Rücken.

In diesem Augenblick stolperten zwei ehemalige Gefangene in die Höhle – Menschen. Sie hatten Panik in den Augen und waren blutbeschmiert. Beim Anblick des Zwergs und des Elbs stockten sie kurz.

„Lauft … schnell … sie sind uns dicht auf den Fersen“, keuchte der Erste und lief in die Höhle hinein.

Da flog etwas aus dem Gang und traf den hinteren der Beiden in den Rücken. Er stürzte auf alle Viere und ein erstickender Schrei quoll über seine Lippen – eine kurze Wurfaxt steckte zwischen seinen Schultern.

Aus dem Tunnel erscholl so etwas wie ein Triumphschrei und kurz darauf erschienen fünf Orks im Eingang. Zunächst war ihr Blick nur auf den übrig gebliebenen Flüchtling gerichtet, der beim Ertönen des Schreis herumgewirbelt war. Es gab aus dieser Höhle scheinbar keine Fluchtmöglichkeit.

Da er keinen Ausweg sah, griff der Mann nach einem Schürhaken und einem großen Fleischermesser. So wie eine Ratte in der Falle, würde er sein Leben bis zum letzten Blutstropfen verteidigen. Seine Haltung verriet jedoch, dass er kein Kämpfer war. Hilfesuchend sah er zu Ashen und Gemron. Durch den Blick gewarnt, drehte sich der Anführer der Verfolger um, während er ganz nebenbei sein Schwert in den Kopf des am Boden knieenden Opfers rammte.

„Roark!“, gellte sein Ruf, als er die beiden neuen Feinde sah. Doch diese handelten bereits. Ein Messer blitzte im Schein der Öllampen auf und bohrte sich in die Brust des Anführers. Ashen hatte ein scharfes Fleischermesser geworfen und es drang mühelos durch den Lederwams. Die Kreatur sackte zusammen. Dann waren er und der Zwerg heran und wirbelten unter den Unholden.

Der Kampf war kurz. Ashen und Gemron fällten die nächsten beiden Gegner noch ehe sie sich umgedreht hatten. Der Elb wich einem Gegenangriff aus und sein Konter zertrümmerte einen weiteren Schädel. Der vierte Angreifer hieb nach Gemron, doch dieser parierte das Schwert mit der Axt und der hochgerissene Schaft stieß den Unhold in Richtung Mensch. Dieser zog ihm den Schürhaken über den Schädel und rammte ihm das Messer in den Hals. Blanker Hass blitzte dabei in seinen Augen auf.

„Was zum Teufel sind das für elende Kreaturen?“ Sein Atem ging keuchend von der Verfolgungsjagd.

„Ich danke euch. Ich bin Erik.“

„Orks“ Gemron presste das Wort zwischen den Lippen hervor. „Bewohner aus den Tiefen der Erde. Unholde des Tianshan-Gebirges. Unsere Mythen und Geschichten über diese Berge sind voll von ihnen.“, fügte er erklärend hinzu, als er den fragenden Blick von Ashen bemerkte. „Ich hätte nicht gedacht, dass es sie noch gibt. Wenn es stimmt, was in den Geschichten geschrieben steht, steht uns Schlimmes bevor – sie dulden keine fremden Rassen neben sich.“

„Ich hab von ihnen gehört, davon erzähl ich euch später. Wir müssen weiter. Erik, nimm dir auch einen Rucksack und such dir ein paar Waffen.“ Ashen zeigte auf die Orks. „Wenn sie die finden, werden sie wissen, dass es Überlebende gibt. Wo müssen wir lang, Gemron?“

Die Sachen für Erik waren schnell gepackt und das seltsame Trio machte sich auf dem Weg. Ein kleiner kräftig gewachsener Zwerg in Rüstung, ein hochgewachsener Elb mit schlanken ausdauernden Muskeln, der einen viel zu kurzen Umhang über den breiten Schultern trug, sowie ein Mensch, der weder groß noch klein war, aber mit starken Armen und einem gebeugten Rücken, der ebenfalls einen zu kurzen Umhang trug. Alle hatten sie eine Waffe in der rechten Hand, dazu eine Öllampe in der linken. Nur die von Gemron brannte, die anderen würden sie sich aufsparen.

Der Zwerg ging zu dem Wasserfall und schritt ohne Zögern hindurch. Vorsichtig folgten die beiden Anderen - erst Erik und Ashen bildete den Schluss.

 

 

 

 

5. Südkaukasien

 

Die Berghöhle spie hunderte der gruseligen Gestalten aus. Auch wenn der Schreck Baldur tief traf, handelte er instinktiv. Er war ein erfahrener Führer und Kämpfer. Während Panik unter den Mitgliedern der Karawane ausbrach und alle in Richtung Ausgang des Plateaus stürzten, gab er seine Befehle.

„Shem, halte den Zugang um jeden Preis. Fünfzig deiner Männer sollen mit den Karren einen Schutzwall gegen die Höhle bauen. Die Bogenschützen sollen ihre Pfeile losschicken! Aber schießt nur, wenn ihr sicher seid zu treffen. Wir werden jeden Schaft brauchen. Jemal, deine Hundertschaft soll sich einen Weg zu den Sklaven durchschlagen. Befreit sie. Unter ihnen sind einige Kämpfer. Gebt ihnen die Waffen aus dem Schmiedewagen. Wir werden sie brauchen. Der Rest folgt mir. Wir müssen erst einmal so viele Leute wie möglich hierher holen und eine Verteidigung organisieren.“

Mit diesen Worten sprang er vom Rücken des Kamels, welches zwischen den ganzen Wagen nur hinderlich war. Im Handumdrehen hatte er seinen Schild zur Hand.

„Kommt, ihr Hunde! Wir werden sie in ihre Hölle zurückschicken, aus der sie gekrochen kommen. Iiiiiiiiiiiiiieeeeeeh!“

Sein Kampfschrei und sein entschlossenes Auftreten ließ die Männer ihren Schock überwinden und sie fielen mit ein. Schnell formierten sie sich an seiner Seite und gemeinsam griffen sie in Richtung der Höhle an.

 

Es war absolut chaotisch. Kaufleute, ihre Familien und Angestellten kamen den Söldnern entgegen und behinderten sie. Das nahm viel von dem Schwung ihres Angriffs. Dabei kamen aus der Richtung der Feinde bereits gellende Schreie, die die Flüchtenden noch mehr antrieben. Es war aber auch das Klirren von Waffen zu hören. Ein paar Leibwächter und die abgestellten Wachen für die Wasserausgabe standen in einem Halbkreis mit dem Rücken zu einem der großen Karren und kämpften um ihr Leben.

Irgendwo ging ein erster Wagen in Flammen auf.

Pfeile schwirrten durch die Luft und fanden Ziele. Merkwürdige Schreie, die fast wie das Quieken eines Schweines klangen, zeigten, wenn einer der Angreifer getroffen wurde.

Aus Richtung der Sklaven war lautes Brüllen und Flehen zu hören. Sie bettelten ihre Wächter an, sie zu befreien. Diese jedoch waren unentschlossen.

Das Leben der Sklaven kümmerte sie nicht, aber der Befehl ihres Arbeitgebers. Und dieser – Baldur wollte es kaum glauben – stand mit der Peitsche in der Hand auf seinem Wagen und brüllte Befehle. Ein fetter skrupelloser Kaufmann, dem der Ernst der Lage offensichtlich nicht bewusst war.

In diesem Moment erreichte Jemal mit seinen Leuten die Sklavenkarawane und die ersten Unholde waren schnell niedergemacht. Baldur sah aus den Augenwinkeln gerade noch, wie Jemal auf den Wagen zum Kaufmann sprang, dann hatte er selber den ersten Angreifer erreicht. Er blockte dessen Axt mit dem Schild und stach ihm in den Bauch. Wieder ertönte dieses Quieken und ein ekelerregender fauliger Gestank schlug ihm entgegen. Angewidert stieß er die Kreatur mit dem Schild um, zog sein Schwert aus dem Bauch und hieb nach rechts, wo ein weiterer Angreifer sich auf seinen Nebenmann stürzte. In den Rücken getroffen, fiel er in das Schwert von Baldurs Söldner.

Aber es blieb keinerlei Zeit für einen Triumph. Immer mehr Kreaturen bedrängten sie und bald war der Angriff der Söldner nur noch ein Versuch, die Linien zu halten.

Nur vierzig Schritte entfernt kämpften unterdessen die Leibwächter und noch zwei seiner Männer. Baldur versuchte zu ihnen durchzukommen, aber es war unmöglich. Der Angriff der hässlichen Wesen ließ nicht nach. Überall lagen inzwischen gefallene Unholde und Menschen.

 

Baldur kämpfte wie ein Besessener. Blockte, hieb mit seinem Schwert, wich aus, trieb seine Männer an. Nichts half. Ihre Reihen begannen zu wanken.

Er sah links und rechts Kameraden fallen, sah wie eine Axt einen Schädel spaltete und wie eines dieser Schwerter mit Widerhaken in die Schulter von einem seiner Soldaten drang. Der Mann ließ daraufhin schreiend seinen Schild fallen und im nächsten Moment trafen ihn weitere Schwerthiebe von anderen Gegnern und zerfetzten seinen Oberkörper. Spätestens jetzt war dem Karawanenführer klar, dass sie keine Gnade zu erwarten hatten.

Da erklang ein dumpfes Horn, wie er es noch nie gehört hatte und plötzlich war alles vorbei. Die Angreifer ließen von ihnen ab, wandten sich um und rannten Richtung Höhle zurück.

Er konnte es kaum glauben. Seine Männer waren ebenfalls verdutzt und sahen sich nur an. An Verfolgung dachte keiner. Alle waren erschöpft und viele bluteten aus irgendwelchen Wunden.

„Los schnell, sucht nach Überlebenden, Waffen, Wasser und Nahrungsmitteln. Dann zurück zum Zugang.“ Baldur fasste sich als Erster. Er blickte sich um. Tatsächlich hatten drei der Leibwächter überlebt. Sie kamen angerannt und er wies sie in Richtung des Plateauausganges. Dort konnte man sehen, das Shem und seine Männer die Zeit genutzt hatten. Dutzende Wagen waren zusammengeschoben worden und gemeinsam mit Dornenbüschen, Baumstämmen und diversen anderen Gegenständen bildeten sie einen Wall. Bogenschützen knieten auf und hinter ihm. Durch eine Lücke wurden die Überlebenden eingelassen.

Ein Blick in Richtung der Sklaven zeigte, dass Jemal ebenfalls Erfolg hatte. Sklaven, Wärter und Söldner bewegten sich auf sie zu. Wer keine Waffe hatte, nahm sich auf dem Weg eine von den Toten.

„Es ist noch nicht vorbei.“ Kenan, einer der Unterführer aus der dritten Hundertschaft deutete in Richtung Höhle. Dort sammelten sich die Angreifer. Auch Bogenschützen waren zu erkennen. Es waren immer noch Hunderte. Genug für weitere Angriffe. „Wo ist Tarek?“, erkundigte sich Baldur nach dem Hauptmann der dritten Hundertschaft.

„Tot.“ Kenan spuckte aus. „Genau wie zweiundzwanzig andere von uns.“

„Scheiße.“ Baldur sah Kenan an. „Du übernimmst die Hundertschaft. Seht zu, was ihr an brauchbaren Sachen finden könnt. Beeilt euch. Sie werden nicht ewig warten. Gleich ist es ganz dunkel.“

Dann drehte er sich dem Wall aus Wagen zu. Jemal kam zu ihm gelaufen. „Wer zum Teufel sind die? Dämonen aus der Hölle?“ Jemal schien unversehrt.

„In den Geschichten meines Stammes wurden sie Orks genannt. Ich hätte nicht gedacht, dass es sie wirklich gibt.“ Baldurs Kehle brannte, was ihn in Richtung Höhle blicken ließ. „Wir werden Wasser brauchen. Was hast Du mit dem fetten Kaufmann gemacht?“

„Er wollte nicht vernünftig sein. Meinte mich schlagen zu können wie seine Leibeigenen. Ein großer Fehler – sein letzter.“ Sein Daumen fuhr vielsagend über seine Kehle. „Wenn wir hier lebend rauskommen, könnte ich Probleme bekommen.“ Er blickte Baldur fragend an.

„Jedes Problem zu seiner Zeit. Erst mal müssen wir hier rauskommen.“

So schritten sie in die kleine Wagenburg. Shem war sofort bei ihnen. „Oguz ist tot.“, waren seine ersten Worte. Also hatte es auch den Hauptmann der vierten Hundertschaft erwischt.

„Es gibt aber genug Sklaven und Kaufleute, um die Hundertschaften wieder aufzufüllen. Es sind viele Kämpfer dabei. Im Schmiedewagen waren genug Bögen und dazugehörige Pfeile. Damit könnten wir die ausstatten, die nicht mit dem Schwert umgehen können. Überhaupt gibt es genug Waffen.“ Damit zeigte er in Richtung der Toten.

Baldur schaute sich im Lager um. Er versuchte zu erfassen, was als nächstes notwendig war. Überall saßen oder lagen die Leute, einige waren verwundet. Viele der Frauen weinten. Vor einem der Wagen sah er die hellhäutige Hure wieder. Sie verband eine der anderen Frauen. Was auch immer sie heute Nacht machen würde, es wäre nicht das, was er sich noch vor zwei Stunden vorgestellt hatte.

Baldur war bemüht Gelassenheit auszustrahlen. Er wusste, dass er beobachtet wurde. Nur die totale Erschöpfung der Leute verhinderte eine Panik.

„Ich brauche die Zahl der kampffähigen Männer sowie überhaupt die Anzahl der Überlebenden. Kenan, organisiere das. Jemal, du besorgst die Bestände an Wasser und Nahrungsmittel. Dann holt mir Yavus. Er soll die vierte Hundertschaft übernehmen. Shem, was ist mit den Gestalten aus der Wüste?“

Die Männer eilten davon. Nur Shem blieb. „Man kann sie nicht mehr erkennen. Es ist schon zu dunkel. Es waren aber nicht mehr als fünfzig. Der Zugang hierher ist ausreichend bewacht.“ Er drehte sich um und spuckte aus. „Ich hätte nie gedacht, das es Orks wirklich gibt.“ Auch er kannte also die alten Geschichten. Er blickte Baldur fest an. „Du kennst die Geschichten auch, oder?“ Baldur nickte. „Wenn es die Orks gibt, dann waren das da draußen Wolfsreiter. Und die da oben“, er zeigte zur Höhle „haben womöglich auch noch Trolle dabei.“

„Ja, der Gedanke kam mir auch schon. Wir sitzen tief in der Scheiße!“ Mit diesen Worten blickte Baldur in Richtung Westen, wo nur noch ein grauer Schleier vom letzten Licht des Tages zeugte. „Und wenn mich nicht alles täuscht, sind sie alle Geschöpfe der Nacht.“

 

 

 

 

6. Ostprovinz

 

Das Pferd galoppierte auf dem Weg in Richtung der baumbedeckten Hügel. Niemand brauchte es anzutreiben. Die vier Hyänen hatten alle Urinstinkte in dem Tier geweckt und es würde bis zur totalen Erschöpfung rennen, die Augen in Panik verdreht.

Es war kein besonderes Pferd. Es war stark genug, einen Pflug oder Baumstämme zu ziehen, aber es war nicht gewohnt über weite Strecken zu rennen. Dennoch war es der ganze Stolz seines ehemaligen Besitzers. Eines alten Bauern, der früher einmal Kavallerist in des Königs leichter Reiterei gewesen war.

 

Seit vielen Jahren war es die Politik des Königs, ausgedienten Soldaten, die ihre Militärzeit hinter sich hatten, ein Stück Land an der Ostgrenze zu vermachen. Das hatte den Vorteil, dass man diesen Soldaten keine Abfindung zahlen musste. Gleichzeitig besiedelte man das karge harte Land mit Bewohnern, die sich durchaus zu verteidigen wussten. Dieses System hatte sich bewährt. Aber auf das, was letzte Nacht über sie kam, konnten sich die wenigen Bewohner nicht vorbereiten. Die Angreifer kamen zu Hunderten, ja zu Tausenden.

Auch wenn die Einwohner ihre Palisaden besetzt hatten und sich mit dem Mut der Verzweiflung verteidigten, so waren sie ohne Chance. Sie wurden ohne Ausnahme niedergemacht.

Und so war einer der letzten Taten des alten Soldaten, dass er seine Kinder auf den Rücken des Pferdes setzte und ihm einen Klaps auf den Hintern gab.

Daraufhin trabte es träge los. Spätestens nachdem aber das erste Heulen der Hyänen zu hören war, begann es zu galoppieren.

 

 

Als das Pferd sich nun dem Waldrand näherte, ging es zu Ende mit ihm. Es war völlig erschöpft. Und so kamen die Verfolger immer näher. Kaum tauchte es in den Wald auf dem Hügel ein, da schnappte die führende Hyäne nach dem Hinterlauf der Beute, während der schwertschwingende Reiter triumphierend aufheulte.

Der Gaul stolperte und überschlug sich, so dass das Bündel auf seinem Rücken im hohen Bogen über den weichen Waldboden kullerte. Als es zum Stillstand kam, flog der Umhang zur Seite. Zum Vorschein kamen zwei Kinder. Es waren ein Junge, ungefähr zehn Jahre alt, und seine kleine Schwester.

 

Das Mädchen schrie kurz auf, stützte sich ab und versuchte auf die Beine zu kommen, um wegzulaufen. Der Junge war schneller und wirbelte herum. An seiner Wange lief eine Träne hinab und in der rechten Hand hielt er ein kleines Jagdmesser. Das Messer, das ihn sein Vater geschenkt hatte. Das Messer, das sein größter Besitz war. Er war bereit sich und seine Schwester zu verteidigen – aber er hatte keine Hoffnung.

 

Die führende Hyäne stoppte ebenso abrupt wie das Pferd, stürzte fast und wirbelte zum Opfers herum. Sofort stießen seine kräftigen Reißzähne zu und gruben sich in den Hals der Beute. Sein Reiter fluchte, weil er den Jagdinstinkt des Tieres nicht hatte aufhalten können, hielt sich aber immerhin im Sattel. Die nachfolgenden Hyänen wurden besser unter Kontrolle gehalten und umrundeten den Leichnam des Pferdes. Sofort nahmen sie den Jungen und das Mädchen in die Mitte.

Beim Anblick des Messers kam ein krächzendes Grummeln über die Lippen der Reiter und sie zeigten ihre Eckzähne – sowas wie ein Lachen. Dann ließen sie die Zügel fallen. Ein Zeichen für die Hyänen, dass sie sich frei bewegen konnten und dass die Beute ihnen gehörte. Und so senkten die Raubtiere ihre Köpfe und fletschten die Zähne, bereit für den Angriff, bereit sich ihre Belohnung zu holen. Aber es kam alles ganz anders.

 

Plötzlich heulte das dem Jungen am nächsten stehende Tier auf und der Kopf schnellte herum, während es auf die Seite fiel.

Der Reiter war geübt in den plötzlichen Bewegungen seines widerspenstigen Tieres und so sprang er fluchend von dessen Rücken.

Die Hyäne lag noch nicht einmal, als bereits die nächste aufheulte und die gleiche Reaktion vollzog. Erst da wurde den Unholden bewusst, dass Pfeile aus beiden Tieren ragten und sie angegriffen wurden.

Der dritte und vierte Angreifer rissen ihre Reittiere herum und orientierten sich geduckt nach der Herkunft der Attacke. Da traf ein drittes Geschoss die nächste Hyäne in den Kopf, während aus dem nahen Gebüsch rechts am Waldrand ein großer Mann hervorsprang.

Damit hatten sie ein Ziel und der Ork, dessen Reittier als erstes gefallen war, griff an. Er hieb voller Hass mit seinem Schwert nach dem Feind. Aber sein Angriff ging ins Leere.

 

Kerim duckte sich blitzschnell unter dem Schwert des Orks hinweg und der Dolch in seiner linken Hand schlitzte ihm den Bauch auf. Sein Schwung trug ihn schnell weiter und schon war er beim zweiten Reiter. Dieser konnte zwar seinen Schwerthieb parieren, aber seinem Dolch entging er nicht. Mit klaffender Halswunde sank er zu Boden. Den dritten Reiter streckte ein Pfeil nieder.

Der letzte noch übrig gebliebene Unhold trieb seine Hyäne zum Angriff, aber es war zu spät.

Kerim hatte ihn erreicht und das Schwert spaltete dem Vieh den Kopf. Mit dem Rückschwung trennte er den erhobenen Arm des Reiters vom Rumpf und sein Dolch beendete den Kampf.

 

Kaya trat hinter den Bäumen hervor, den Bogen in den Händen und einen weiteren Pfeil aufgelegt.

Nachdem sie sich vergewissert hatte, das die Arbeit getan war, eilte sie zu ihren Opfern und holte sich ihre Pfeile zurück. Sie waren zu wertvoll, um sie hier zu lassen.

Kerim betrachtete die Orks und ihre Reittiere.

„Sie stinken“, sagte er und bückte sich, um sie nach brauchbaren Gegenständen zu durchsuchen.

Kaya kümmerte sich unterdessen um das tote Pferd. Sie entnahm dem Sattel einen Beutel mit Wasser und ein Bündel mit etwas Brot und Käse. Eine karge Ration.

 

Das Schluchzen des Mädchens ließ beide sich zu den Kindern umdrehen. Der Junge starrte sie an. Er hatte noch immer das Messer umklammert. Seine Hand zitterte. Aber als Kerim seinen Blick von ihm zum Mädchen wandern ließ, stellte sich der Junge vor seine Schwester. Er streckte ihm das Messer entgegen.

„Er ist tapfer.“, sagte Kaya und ging auf den Jungen zu. Halbherzig stach dieser nach ihr. Sie wich seitlich aus und im Handumdrehen hatte sie ihn entwaffnet. Der Junge versuchte sich zu wehren und begann in seiner Verzweiflung zu weinen. Da schrie das Mädchen sie laut an. „Lass Jonathan in Ruhe!“ Ihre Hand umklammerte einen Stein.

„Und sie auch – beide haben ein Kämpferherz.“, antwortete Kerim. Er ging zwei Schritte auf das Mädchen zu und schaute auf sie nieder. Sie war ein verängstigtes kleines Bündel - er ein großer, überaus muskulöser Krieger, dessen Schwert größer und schwerer als das Mädchen zu sein schien.

Dann kniete er sich vor ihr nieder. Das Mädchen schluchzte auf und hob ihre Hand mit dem Stein. Langsam streckte er ihr seine rechte Hand entgegen. Die Handfläche war offen und nach oben gewandt. Obwohl es eine einladende Geste sein sollte, war sie ein schrecklicher Anblick. Sie war groß und verschmiert mit schwarzem Orkblut.

„Komm, Mädchen. Wenn ihr zwei leben wollt, müsst ihr mit uns gehen. Euer Pferd ist tot.“

 

 

Überleben I

Überleben I

 

Auch wenn eine Ratte noch so klein und unscheinbar ist - dränge sie niemals in eine Ecke, denn sie wird auch gegen einen übermächtigen Feind um ihr Leben kämpfen.

(Aus „Unsere Tierwelt“, unbekannter menschlicher Verfasser)

 

 

 7. Östliches Nordland

 

Hinter dem Wasserfall befand sich ein Tunnel. Er war nicht besonders hoch und Ashen als größter des Trios musste gebückt gehen. Das Wasser stand etwa kniehoch in dem Gang und die Steine auf denen sie gingen waren glatt.

Gemrons Lampe verbreitete genug Licht, so dass sie sich orientieren konnten. Dennoch war das Vorwärtskommen mühsam. Schon nach wenigen Metern befestigte Ashen seine Axt in der Schlaufe des Rucksacks, um wenigstens eine Hand frei zu haben. Mit ihr stützte er sich an den Wänden ab, da er immer wieder auszugleiten drohte. Erik erging es nicht besser und auch er hatte sein Schwert, das er einem der Orks abgenommen hatte, in das Seil geschoben, was seine Hose hielt.

Einzig Gemron hielt seine Axt in der Rechten. Er benutzte den Stiel fast wie einen Gehstock und man sah ihm an, dass er es gewohnt war, sich in diesen Tunneln zu bewegen. Trotz seiner geringen Größe hatten die anderen beiden Mühe, seinem Tempo zu folgen.

So wateten sie mehrere Stunden voran. Ashen hätte nicht sagen können, ob sie weiter ins Berginnere wanderten oder ob sie sich einem Ausgang näherten. Der Tunnel bog immer wieder nach rechts oder links ab. Überall gab es kleinere Spalten, Risse oder Öffnungen, in denen nur Dunkelheit zu sehen war. Man hätte nicht sagen können, ob dort weitere Tunnel verliefen. Es war wie ein düsteres Labyrinth.

 

Ashen machte die gebückte Haltung zu schaffen. Zusätzlich drückte das Wissen über die millionen Tonnen von Stein über ihnen auf seine Stimmung. Er war ein disziplinierter Kämpfer und deswegen ertrug er die Strapazen. Trotzdem sehnte er sich nach frischer Luft, einem klaren Himmel und der Sonne.

Zu hören war jedoch nur das Platschen ihrer Schritte im Wasser. Erik vor ihm atmete zwar schwer, aber auch er beschwerte sich nicht. Ashen fragte sich, ob Gemron wirklich wusste, wo sie der Tunnel hinführte. So verging Stunde um Stunde.

 

Irgendwann kamen sie in eine Höhle. Hier ragten größere Felsen aus dem Wasser und der Schein der Lampe erreichte gerade noch die Wände und Decke.

Mit einem Stöhnen reckte sich Ashen in die Höhe und saugte tief die feuchte Luft ein. Sein Rücken schmerzte.

„Von mir aus können wir eine Pause machen.“ Gemron wandte sich ihnen zu. „Meine Lampe wird bald zu Ende sein. Dort auf dem Felsen ist es weniger nass.“

Ashen konnte nicht umhin, den Zwerg für seine Ausdauer und offensichtliche Ruhe zu bewundern. Immerhin trug er auch noch ein Kettenhemd und war damit wesentlich schwerer belastet als er und der Mensch. Auch wenn in den Geschichten der Elben nicht viel Gutes über die Zwerge stand, hier war er dem hochgewachsenen Krieger deutlich überlegen.

 

Sie setzten sich auf den Felsen und nahmen die Füße aus dem Wasser. Gemron verteilte etwas Trockenfleisch und für jeden eine Yamswurzel aus seinem Rucksack. Schweigend aßen sie.

„Wer sind diese Orks?“ Es war Erik, der die Stille brach.

„Früher, als unsere Ahnen noch tief in die Berge eindrangen, um nach Gold und Edelsteinen zu suchen, trafen sie den Geschichten nach immer wieder auf menschenähnliche Kreaturen. Diese waren dunkelhäutig, klein, zäh und hässlich anzusehen. Sie schienen direkt aus der Hölle zu kommen. Es gab immer wieder Kämpfe mit ihnen, da sie sehr feindselig waren. Sie selbst nannten sich Orks. Zum Glück waren sie nicht sehr zahlreich und sie schienen sich auch gegenseitig zu bekriegen. Deswegen verschwanden sie irgendwann. Seit vielen, vielen Jahrzehnten hat kein Zwerg mehr einen zu Gesicht bekommen. Bis gestern.“ Einem Elb würde sich nie erschließen, woher der Zwerg hier unten wusste, dass ein neuer Tag angebrochen war.

„Warum hast Du uns befreit?“ Ashen sah Gemron an. „Du wärst zweifelsohne aus dem Berg herausgekommen.“

„Mein Trupp sollte erforschen, wo das nahe Hämmern herkam. Wir waren zu zehnt. Als wir im östlichsten Minenende ankamen, trafen wir auf zwei Wärter, die sich bereits besorgt umsahen. Und dann brach plötzlich die Hölle los. Aus mehreren Stollen griffen uns diese Viecher an. Die Wärter hatten keine Chance. Wir konnten den schmalen Hauptstollen zunächst verteidigen. Unser Truppführer befahl mir dann, Alarm zu schlagen. So bin ich zurück gelaufen, alarmierte die Garnison und kehrte mit der ersten Verstärkung zurück.

Aber die Orks hatten meinen Trupp bereits niedergemacht und waren auf dem Weg zum Ausgang. In der großen Osthöhle kam es zu einem Kampf mit der Verstärkung. Da wurde mir klar, wie viele Orks es waren und dass sie kein Erbarmen kennen. Wenn wir sie aufhalten wollten, brauchten wir auch die Gefangenen.

Unser Hauptmann erkannte das ebenso und schickte mich und zwei Kameraden zurück. Also befreiten wir euch. Aber unsere Leute wurden schneller überrannt, als wir dachten. Es blieb keine Zeit, euch zu bewaffnen und eine Verteidigung zu organisieren. Den Rest kennt ihr.“ Gemron spuckte aus.

„Ich bin kein Kämpfer.“ Erik senkte den Kopf. „Mein Vater war Bauer, ich ebenfalls. Bis heute hatte ich noch nie ein Schwert in der Hand. In einem Kampf werde ich keine große Hilfe sein.“ Er betrachtete seine Hände.

In dem schummrigen Licht der Lampe erkannte Ashen die Schwielen. Der gebeugte Rücken des Menschen verstärkte den Eindruck eines Lebens voller harter Arbeit und Entbehrungen.

„Wenn du nicht kämpfen kannst, wirst du auf unseren Rücken achten.“ Ashen legte die Hand auf die Schulter des Menschen. Er wollte nicht, das sein neuer Weggefährte sich als Last für ihn und den Zwerg betrachtete. Sie würden jede Hand brauchen.

„Weshalb bist Du hier?“ Er konnte sich den Menschen nicht als Verbrecher vorstellen. Dennoch sollte er auf seinen Rücken achten und da wollte er schon wissen, was er für einen Charakter hatte.

Gemron blickte ebenfalls interessiert. Ashen würde er vertrauen. Der hatte ihm bereits im Kampf geholfen. Den Menschen kannte er nicht.

„Mein Land warf nicht genügend Erträge für die Steuern ab. Da mein Lehnsherr aber unbedingt Geld für seine Soldaten brauchte, schickte er mich in die Mine. Er verkaufte mich an die Zwerge. Was aus meiner Frau und meinem Sohn geworden ist, weiß ich nicht.“ Eriks Stimme klang hoffnungslos.

Als Elb war Ashen es unbegreiflich, wieso die Menschen Ihresgleichen verkauften. Sowas gab es bei seiner Rasse nicht. Es war barbarisch. Genauso wie das Kaufen der Menschen, um sie in den Minen schuften zu lassen. Er sah den Zwerg an. Dieser schien zu ahnen, was er dachte. „Wir alleine können die Schätze der Berge nicht ans Tageslicht bringen. Dazu sind wir zu wenige. Und sowohl die Menschen wie auch ihr Elben liebt es, euch mit Gold und Edelsteinen zu umgeben.“ Damit gab er den stummen Vorwurf zurück.

„Ja, das stimmt wohl.“ Ashen war einmal im prunkvollen Palast des Elbenkönigs gewesen. Damals als er seinen Militärdienst leistete und lange bevor Erik geboren war. Dort gab es Tonnen von Gold und Edelsteinen.

„Gemron, kennst Du den Weg hier raus?“, stellte er endlich die Frage, die ihn und den Menschen am meisten beschäftigte.

 

Gemron sah Ashen an. „Ob ich den Weg kenne?“ Er senkte den Blick und schob sich einen kleinen Streifen Trockenfleisch in den Mund. „Hm, ich bin seit vierzehn Jahren in dieser Mine stationiert. Seit dem Ende der Grenzkriege. Ich habe viele Bergmeister in die Stollen und Tunnel begleitet. Da ich schreiben kann, hab ich bei der Erstellung von Karten mitgeholfen, auch wenn ich nur Soldat bin. Hier unten in den Bergen fühlen wir Zwerge uns wohl. Vielleicht will ich hier gar nicht raus?“

Er hob den Blick und sowas wie ein Lächeln war in seinem Bart zu erkennen. „Ja, ich kenne einen Weg. Er führt zu den Tunneln der Südmine von Morshet. Dort können wir einen Weg zurück nach draußen finden.“

„Wie weit ist das weg? Ich würde gerne wieder frische Waldluft atmen.“ Ashen, der sich nicht in Nordland auskannte, streckte sich lang in die Höhe. Der Gedanke an weitere Märsche in den Tunneln war ihm unbehaglich.

„Gewöhnlich ist es ein zwei Tagesmarsch, wenn man die Nord-Süd-Straße nutzt.“ Ashen verzog sein Gesicht gequält. „Aber hier unten ist es beschwerlicher und die Tunnel verlaufen nicht gerade. Dazu weiß ich den Weg nicht mehr so ganz genau. Wir werden sicherlich mal falsch laufen, irgendwann wieder umkehren müssen und einen anderen Tunnel ausprobieren. Ich schätze, wir werden fünf bis sechs Tage brauchen.“

Ashens Laune erreichte mit einem Schlag den Nullpunkt. Es fiel ihm schwer, seine Ruhe zu bewahren. Auch Erik ließ einen Seufzer hören.

„Die Lampen werden nicht so lange brennen.“, warf er ein.

„Ja, das ist mir bewusst.“, antwortete Gemron. „Die Lampen halten nur jeweils ungefähr einen Tag. Also haben wir noch für zwei Tage und ein paar Stunden Licht. Wir werden die mir bekannten Tunnel im Dunkeln marschieren. Die Lampen werden wir nur benutzen, wenn ich eine Abzweigung suche.“

„Ist es nicht vielleicht besser zurück zu kehren, uns zu verstecken und darauf zu warten, dass die Orks die Mine verlassen?“ Erik schien die Orks weniger zu fürchten als den langen Marsch in den dunklen Tunneln.

„Die Aussicht auf den Tod in einem anständigen Kampf mit den Kreaturen scheint mir plötzlich gar nicht mehr so unsympathisch.“ Ashen strich über die Schneide seiner Axt.

„Nein! Das kommt nicht in Frage. In der Mine gibt es viel zu holen. Gold sowie ausreichend Nahrungsmittel, Werkzeuge und Waffen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Orks sie so schnell wieder verlassen werden. Und es müssen hunderte, wenn nicht tausende von ihnen gewesen sein. Bis eine Armee kommt, die stark genug ist diese Unholde wieder zu vertreiben, werden Wochen vergehen. In Morshet gibt es keine Garnison mehr, da die Mine versiegt ist. Die nächste liegt in der Festung von Madan. Das ist sieben Tagesmärsche entfernt. Und seit Frieden zwischen den Menschen und den Zwergen ist, ist die Festung stetig verkleinert worden. Es kann sein, dass die Truppen dort nicht stark genug sind. Und selbst wenn, müssten sie die Festung fast komplett ungeschützt zurücklassen. Das wiederum wird der Kommandant nicht verantworten können. Also muss man erst auf Verstärkung warten.

Nein, es würde bestimmt zwei Wochen dauern, bis die Truppen da sind. Zwei Wochen, die wir uns in der Nähe der Orks verstecken müssten, die sich zudem umsehen werden, weil sie Überlebende beziehungsweise Beutegut suchen. Unsere Vorräte werden außerdem nicht so lange halten. Es wäre unser sicherer Tod.“

 

„Wenn wir uns in den Tunneln verirren, ist er es auch.“ Erik gab noch nicht auf.

„Aber es ist eine Chance.“, gab Ashen widerwillig zu. „Ich will in Elbenland sterben. Nicht hier in diesem Loch.“

„Ja, ich möchte auch mein Weib und meinen Sohn wiedersehen.“, flüsterte Erik.

Damit war die Entscheidung getroffen.

„Wir werden noch drei Stunden in diesem Tunnel marschieren, dann sollten wir eine Nachtruhe machen.“. Gemron zeigte nach rechts. „Wir müssen uns gegenseitig anfassen, damit wir nicht übereinander stolpern. Ich werde jetzt die Lampe löschen. Einen Feuerstein hab ich dabei.“ Er packte seine Sachen zusammen und nahm den Rucksack und seinen Umhang auf. „Können wir?“, er blickte fragend in die Runde.

Seine beiden Gefährten machten es ihm nach und nickten ihm zu. Dann drehte er die Lampe runter. Die Dunkelheit war vollkommen.

 

 

 

 

 

8. Südkaukasien

 

Obwohl es zur Zeit ruhig war und alle vor Erschöpfung kaum die Augen offen halten konnten, schlief keiner im Inneren der Wagenburg. Die meisten der Soldaten standen am provisorischen Wall und starrten in die Dunkelheit. Viele der Kaufleute, Leibwächter und Sklaven ebenso.

Einige Fackeln und zwei brennende Karren beleuchteten spärlich das Plateau in Richtung der Höhle. Innerhalb des Schutzwalls brannten ein paar Lagerfeuer. Einige der Frauen gingen umher und verbanden die Wunden der Männer.

 

Baldur saß mit dem Rücken an eine großen Kiste gelehnt. Seine Hauptleute waren um ein kleines Feuer versammelt. Ihre Gesichter waren angespannt. Jeder hatte seine Waffe griffbereit.

„… das macht für jeden ungefähr eineinhalb Liter Wasser.“, schloss Jemal seinen Bericht.

„Das heißt, wir brauchen spätestens morgen Mittag frisches.“, überlegte Baldur laut. „Somit müssen wir erst mal die Nacht überstehen und morgen versuchen, einen Ausfall in Richtung Höhle zu machen.“

„Das sollten wir gleich nach Sonnenaufgang versuchen.“, antwortete Shem. „Gegen Mittag werden wir bereits zu geschwächt sein.“

„Und wenn wir es gleich probieren? Vielleicht überraschen wir sie dann.“ Kenan sagte es ohne viel Überzeugung.

„Das halte ich für keine gute Idee.“, zweifelte Jemal. „Wenn die Geschichten wahr sind, die Baldur erzählt, sind unsere Gegner Geschöpfe der Nacht. Wir hingegen sind ein gemischter Haufen, der es nicht gewohnt ist in der Dunkelheit zu kämpfen. Und Scheiße man, es steht kein Stern am Himmel. Es ist finster wie in einem Kamelarsch. Wir werden uns gegenseitig die Kehlen aufschlitzen. Vielleicht sollten wir einen Boten nach Katmanur schicken. Auf einem schnellen Kamel könnte er die Stadt morgen Abend erreichen und Hilfe holen.“

„In dem Gelände wird sich das Kamel nachts die Beine brechen und wir sind nur einer weniger zum kämpfen.“, antwortete Yavuz. „Zudem haben sie unsere Kundschafter auch erwischt. Ich glaube nicht, dass man es schaffen kann.“

„Wir müssen wissen, mit wie vielen Angreifern wir es zu tun haben. Sonst rennen wir in den Tod. Vor Sonnenaufgang unternehmen wir nichts.“, beendete Baldur die Diskussion. „Geht jetzt und teilt Wachen ein. Der Rest soll was essen und sich schlafen legen. Wir werden die Kraft noch brauchen.“

Wie zur Bestätigung dröhnte ein dumpfes Horn über das Plateau und eine Trommel begann einen unregelmäßigen Takt zu schlagen. Alle erhoben sich.

„Bei den Göttern. Das ist nicht gut!“ Es war Shem, der es als Erster bemerkte. Aus der Wüste war ebenfalls ein Horn und eine Trommel zu hören.

„Geht zu Euren Männern. Shem. Ich möchte das deine zwei besten Bogenschützen noch einen Wagen in Brand schießen. Das zusätzliche Licht wird die Männer beruhigen und die Angreifer vielleicht abschrecken. Zwei weitere Männer sollen ein Feuer auf dem Zugangsweg zum Plateau machen. Such dir dafür zwei Sklaven, die nicht mit dem Schwert umgehen können. Sie sollten entbehrlich sein, falls dort draußen jemand auf sie wartet.“

„Da werden wir sicher einen Haufen Freiwillige haben.“, grinste Shem freudlos. Dann verschwand er in Richtung seiner Männer.

 

Baldur sah sich um. Viele Augenpaare waren auf ihn gerichtet. Von ihm erwartete man, dass er die Karawane retten würde. Als ob er mit seinem Schwert alle Angreifer würde besiegen können.

Trotzdem machte er, was man von ihm erwartete. Er stand mit erhobenem Haupt da und strahlte Zuversicht und Kraft aus. Dabei war ihm eher nach Weinen zumute. Wenn er die Lage nüchtern betrachtete, waren ihre Aussichten mehr als schlecht. Ein Feind in unbekannter Stärke hatte sie in der Zange, das Wasser war knapp und damit war ihre Zeit begrenzt. Wenn es ihnen nicht gelang Zugang zum Wasser zu bekommen, würde es keinen Feind mehr brauchen. Sie würden elendig verdursten.

Das aber bedeutete, sie mussten morgen ihre Wagenburg verlassen und den Hang hoch die Höhle angreifen. Wenn der Gegner nur halb so stark war, wie er vermutete, würde es viele Tote geben. Und dann waren da noch die Truppen in der Wüste. Zwar hatten sie nur wenige Dutzend Reiter erkannt, aber das Horn und die Trommel aus dieser Richtung ließen Schlimmes erahnen.

Ein Tumult bei Shems Hundertschaft ließ ihn aufhorchen. Mehrere Männer hatten ihre Waffen gezogen und bedrohten ein paar dunkle halbnackte Sklaven. Ihm war klar, worum es ging. Es gab Widerstand gegen seinen Befehl, ein Feuer am Plateauzugang zu machen. Er konnte es den Sklaven nicht verdenken. Es war zweifelsohne ein gefährliches Unterfangen, dort rauszugehen. Aber es war notwendig. Sie mussten eventuelle Angreifer so früh wie möglich erkennen. Sonst würden sie schnell überrannt werden.

 

Shems Männer bewegten sich zum Zugang. Zwischen ihnen gingen zwei hochgewachsene Schwarze, die eine brennende Öllampe und zwei Fackeln trugen. Das war gut. Eine Lampe würde länger Licht spenden, als ein normales Holzfeuer.

Interessiert ging er ebenfalls zum Zugang. Er wollte sehen, ob der Feind reagierte.

Unterdessen bezogen mehrere Bogenschützen Position, um den Sklaven zumindest etwas Deckung zu geben. Trotzdem beneidete mit Sicherheit keiner diese armen Schweinehunde.

Dann wurde ein großer Dornenbusch zur Seite gezogen und die Schwarzen praktisch nach draußen gestoßen. Schnell wurde die Lücke wieder geschlossen und alle starrten in die Finsternis jenseits des Lichtkegels der Lampe und Fackeln.

Vorsichtig bewegten sich die beiden den Weg hinab. Die Fackeln hatten sie nach vorne gestreckt, um weiter in diese Richtung sehen zu können. So entfernten sie sich Schritt für Schritt.

Baldur bemerkte, dass das Horn aus Richtung der Wüste nicht mehr zu hören war. Dafür schlug die Trommel umso schneller. Die Männer um ihn herum umklammerten ihre Waffen und die Bogenschützen hatten bereits Pfeile aufgelegt.

Nach etwa fünfzig Schritt begannen die Sklaven plötzlich in die Wüste zu laufen. Nach weiteren zwanzig Schritt rammten sie die Fackeln links und rechts des Zugangs in den harten Boden und stellten die Lampe in die Mitte. Schnell drehten sie sich um und hasteten in Richtung Wagenburg zurück. Und dann geschah es.

Plötzlich begann der hintere Mann zu schreien.

Aus der Dunkelheit hinter den Lampen lösten sich sechs gigantische Hyänen und hetzten den Sklaven nach. Die Soldaten hinter dem Wall begannen zu brüllen, spornten die Fliehenden an. Jedem war sofort klar, dass sie viel zu langsam waren.

Baldur fielen zwei der Bogenschützen auf, die blitzschnell reagierten, als das erste Tier in den Lichtschein lief. Sie hoben ihre Bögen, zielten schnell und schossen. Sie legten bereits den jeweils dritten Pfeil an, als die anderen Bogenschützen erst ihre Waffen hoben.

Die vordere Hyäne brach jäh zusammen und überschlug sich. Zwei Pfeile ragten aus ihrem Körper. Die Zweite wurde ebenfalls getroffen und ihre Hinterläufe versagten den Dienst. Sie knickte ein, erhob sich aber schnell wieder um weiter zu humpeln. Die anderen Tiere jagten an ihr vorbei und dann hatten sie ihr Ziel erreicht. Vierzig Schritte vor der scheinbaren Sicherheit der Wagenburg wurde der hintere Sklave erwischt. Ein Biss in seine Beine ließ ihn stolpern und schon waren die Jäger heran. Sie schlugen ihre Reißzähne in das schreiende Opfer und zerrten es in Richtung Dunkelheit davon. Weitere Pfeile fanden ihre Ziele. Eine Hyäne brach tödlich getroffen zusammen und eine andere verschwand heulend in der Nacht.

Dann waren die Tiere mit ihrem Opfer aus dem Sichtfeld verschwunden.

Während der überlebende Sklave den Zugang erreichte, hallten gellende Schreie aus der Finsternis zu ihnen herüber. Er sprang mit einem Satz den Wagen rechts der Dornenbüsche empor und umklammerte den oberen Rand. Mehrere Hände streckten sich ihm entgegen und halfen ihm in die rettende Burg. Dort angekommen ging er auf die Knie und begann zu weinen. Draußen war ein letzter Schrei zu hören, der schlagartig erstarb.

Baldur bemerkte, wie die Männer sich betroffen ansahen. Das schaurige Schauspiel hatte sie zutiefst erschüttert und einige schienen einer Panik nahe.

„Der Erste, der seinen Posten verlässt, wird seinen Kopf verlieren.“ Mit diesen Worten zog er sein Schwert und starrte die Männer entschlossen an. Shem trat an seine Seite, sein Schwert ebenfalls gezogen. „Wir werden diese scheiß Viecher in die Hölle zurückschicken, aus der sie gekommen sind. Ihr habt gesehen, wir können sie töten!“ Er drehte sich in Richtung Wüste und hob sein Schwert. „Hört ihr mich? Seht ihr dieses Schwert? Wir werden Euch kalten Stahl zu fressen geben! Kommt und holt ihn euch. Holt euch eine blutige Schnauze, denn das ist das einzige, was es hier für euch gibt.“

Ein Ruck schien durch die Männer zu gehen und der Nächste hob wutentbrannt seinen Bogen. „Ich hab eines von euch erwischt und es werden noch viele werden. Ja, kommt her. Versucht mich zu holen.“

Einer nach dem anderen der Männer fiel ein. Sie drohten in Richtung Wüste und Angst und Panik wichen blanker Wut. Überall im Lager begannen die Menschen in Richtung der Feinde zu rufen, ihnen zu drohen oder aber auch sie zu verhöhnen.

 

Baldur war Shem dankbar. Ja, sie würden ihr Leben teuer verkaufen. So lange wie sie noch ein Schwert heben konnten, war noch Hoffnung.

 

 

 

 

9. Ostprovinz

 

Den Ort des Kampfes hatten sie vor vier Stunden verlassen. Da sie die Kampfspuren nicht verwischen konnten, waren sie eiligst aufgebrochen. Zusammen mit den Kindern liefen sie zu ihren Pferden. Dann waren sie in südwestliche Richtung bis zu einem Bach geritten. Nachdem sie zwei Scheinfährten gelegt hatten, wateten sie nun in diesem Bach entlang. Damit hofften sie den Spürnasen der Hyänen zu entkommen.

Kerim und Kaya führten ihre Reittiere jeweils am Zügel. Kerim ging voran. Die Kinder saßen zusammen auf dem Rücken von Kayas Pferd. Sie ließen sich nicht trennen. Kerim hatte es versucht, aber ihr Geschrei hatte ihn schließlich davon abgebracht. Die Waffen trugen die beiden Kämpfer griffbereit, auch wenn Kayas Bogen am Sattel hing. Sie beobachteten den umliegenden Wald sorgsam. Kein Wort kam über ihre Lippen.

Die Kinder schauten sich ebenfalls ängstlich um. Dabei ging ihr Blick immer wieder auch zu den beiden Kriegern. Jonathan konnte die Situation nicht einschätzen. Die Frau hatte ihm zwar sein Messer weggenommen, aber sie hatte ihm nicht wehgetan. Sie war die stärkste Frau, die er kannte. Dabei kamen keine Worte über ihre Lippen. Auch nicht, als der Mann ihn und seine Schwester trennen wollte. Er fühlte sich das erste Mal seit dem die Kreaturen das Dorf angegriffen hatten fast sicher.

 

Bei dem Gedanken an den Angriff musste er schluchzen. Vater und Mutter lebten nicht mehr. Auch seine Freunde aus dem Dorf nicht. Das war ihm klar. Elena saß still vor ihm im Sattel. Ihr Kopf wog im Takt des Pferdegangs hin und her. Sie war eingeschlafen. Er war ebenso erschöpft, aber er musste aufpassen, dass sie nicht vom Pferd fiel. Eine Träne rann ihm über die Wange und vermischte sich mit dem leichten Nieselregen, der vor kurzem eingesetzt hatte.

 

Irgendwann hing ein großer Baum umgestürzt über den Bach. Sie kamen nicht daran vorbei. Also gingen sie ans Ufer.

„Vielleicht ist es besser, wenn wir jetzt im Wald weiterlaufen. Wir sind dann schneller.“ Kerim sprach leise. Kaya nickte zur Antwort. Er blickte zum Himmel. „Mittag ist vorbei. Noch eine Stunde, dann machen wir Rast, Essen etwas und die Kinder müssen das Pferd wechseln.“ Mit diesen Worten schob er sich seine letzte Nuss in den Mund.

Nach einer Stunde hielten sie in einem Tannendickicht. Es gab eine kleine Lichtung und die Pferde fraßen von dem spärlichen Gras, das dort wuchs. Kaya verteilte etwas Brot und Hartkäse. Danach setzte sie sich den Kindern gegenüber und betrachtete sie. Ihr Bogen lag in Griffweite.

Kerim drehte in der Zeit eine Runde um das kleine Lager. Er prägte sich die Umgebung ein und sammelte dabei eine paar Waldbeeren. Anschließend kehrte er zurück, verteilte die Früchte an die Kinder und ließ sich auf einen kleinen Baumstumpf nieder. Er saß an der Seite der Kleinen, Kaya gegenüber. So konnte er beobachten, was sich hinter ihrem Rücken tat und umgekehrt.

 

„Danke.“, murmelte Jonathan zwischen zwei Bissen. Kaya sah ihn an und nickte. Sie war kein Mensch von vielen Worten. Genauso wie Kerim.

„Mama und Papa sind tot, oder?“ Elena sah sie mit großen Augen an.

„Ja, wahrscheinlich.“ Kaya sah keinen Sinn darin zu lügen. Je eher die Kinder den Tatsachen ins Auge sahen, um so eher akzeptierten sie ihr Schicksal und waren bereit für ein neues Leben. Elena schluchzte leise.

„Kriege ich mein Messer wieder?“ Jonathan sah sie fragend an.

Kaya betrachtete ihn nachdenklich. Dann griff sie mit einer schnellen Bewegung in ihren Umhang und ihr rechter Arm schnellte hervor. Das kleine Messer stach zwischen den Beinen des Jungen in der Erde. Er erschrak und sah erst das Messer und dann sie an.

„Es ist ein gutes Messer. Soll ich dir zeigen, wie man damit kämpft?“ Sie schob sich etwas Käse in den Mund.

„Vater wollte mir das auch zeigen. Mutter wollte es nicht. Jetzt sind beide tot.“ Trauer lag in seiner Stimme. Er sah sie fest an. „Ich will lernen, wie man sich wehrt. Ich will diese Tiere töten.“ Er wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht, um den Nieselregen abzutrocknen. Aber es war auch eine Träne dabei.

 

Kerim lauschte dem Gespräch nur. Plötzlich verharrte er. Kaya bemerkte es sofort. Sie tauschten einen Blick aus.

Die Kriegerin legte einen Finger auf ihre Lippen und Jonathan, der zu weiteren Worten ansetzte, verstummte. Kerim erhob sich geschmeidig. Dabei zog er sein Schwert und schlich lautlos zwischen den Tannen davon.

Kaya bedeutete den Kindern sich hinzulegen. Während sie sich hinkniete, zog sie ihre beiden Kurzschwerter vom Rücken und steckte sie griffbereit in den Boden neben sich. Danach nahm sie den Bogen in die Hand und legte einen Pfeil auf. Sie schaute sich wachsam um.

Jonathan hatte Elena heruntergezogen und halb unter sich begraben. Beide zitterten. Dennoch waren sie ganz still.

Es vergingen einige Minuten. Der Wald war völlig ruhig, als hielte die Natur den Atem an. Das Verstummen der Vögel war es, was Kerim alarmiert hatte. Plötzlich war ein Scheppern zu hören, danach ein kurzer Aufschrei fast wie das Quieken eines Schweines.

Weitere Minuten verrannen. Dann stand Kerim wieder auf der kleinen Lichtung. Jonathan hatte ihn nicht kommen hören. Kaya schon. Sie senkte den Bogen.

„Späher – drei. Wir müssen weiter.“ Er wischte sein Schwert im Gras ab. Es war schwarz vom Orkblut. Gelassen schob er es in seine Scheide zurück. Dann packte er die Sachen zusammen. Kaya half ihm. Anschließend setzten sie die Kinder auf Kerims Pferd, nahmen die Zügel und verließen den Platz. Dieses Mal hatte Kaya den Bogen jedoch in der Hand und sie ging mit ihrem Pferd voran.

„Wo reiten wir hin? Ich bin müde.“ Elena sah Kerim an. Jonathan legte ihr von hinten eine Hand auf den Mund. „Wir müssen leise sein.“, flüsterte er. „Es ist gefährlich hier.“

 

 

10. Östliches Nordland

 

Das Vorankommen war anfangs wieder eine Katastrophe. Erik und Ashen stolperten mehrfach und fielen fluchend hin. Zudem mussten sie auf ihre Köpfe achten, um nirgends anzustoßen. Einzig Gemron schien sich halbwegs sicher in der Dunkelheit zu bewegen. Dabei half ihm natürlich seine geringe Körpergröße und durch den Helm, den er trug, brauchte er um seinen Kopf nicht zu fürchten.

Ashen war es ein Rätsel, wie sich der Zwerg hier orientieren konnte. Er wusste, dass er sich mit der rechten Hand an der Tunnelwand entlang tastete, weil er dort die nächste Abzweigung suchte. Seine eigene Hand verriet ihm aber, dass es dort viele Spalten und Ausbuchtungen gab. Immer wieder griff er ins Leere. Er wäre ständig rechts abgebogen, um dann gleich wieder vor einer Wand zu stehen.

Nach einiger Zeit hatten sich alle drei an diese Art der Fortbewegung halbwegs gewöhnt. Ashen bediente sich dabei eines einfachen Tricks. Er schloss die Augen. Das half ihm, sich auf all seine anderen Sinne zu konzentrieren. Damit ging es ihm besser.

Nach zwei Stunden – das sagte zumindest Gemron – kamen sie erneut in eine kleinere Höhle. Hier wollten sie rasten und die Nacht verbringen.

Gemron entzündete seine Lampe und sie suchten sich eine halbwegs trockene Stelle auf dem harten Gestein. Hier richteten sie sich für die Nachtruhe ein. Der Platz war zwar etwas beengt, aber es musste gehen.

Nachdem jeder so etwas wie ein Nachtlager für sich hergerichtet hatte, deckten sie sich mit den Umhängen so gut es ging zu. Gemron löschte das Licht.

„Müssen wir Wachen einteilen?“, fragte Ashen.

„Nein. Was immer sich hier unten im Wasser der Tunnel bewegt, werden wir lange im Voraus hören können. Zudem haben wir Zwerge einen leichten Schlaf. Uns überrascht man nicht so schnell. Hier unten kennen wir uns aus, hier sind wir zu Hause.“

Erik und Ashen waren im Stillen erleichtert, dass sie sich ungestört ausruhen konnten. Der Marsch in diesem ungewohnten Terrain unter diesen Umständen war sehr strapaziös gewesen.

Nach wenigen Atemzügen begann Gemron zu schnarchen.

„Einen leichten Schlaf, was?“, Erik begann zu kichern. „Kein Wunder, dass sie sich in ihren Höhlen verkriechen müssen. Jeder Feind in zehn Meilen Umkreis könnte sie hören und finden, wenn sie so unter freien Himmel schlafen.“

Ashen musste bei dieser Vorstellung grinsen. Es tat gut nach dem Erlebten. Und so fielen ihm die Augen zu.

 

Nach vier Stunden – Ashen hatte jedes Zeitgefühl hier unten verloren – weckte Gemron sie. Alle Glieder taten ihnen weh, aber sie mussten weiter. Die Lampe wurde wieder entzündet und eine kleine Ration Essen wurde verteilt. Dazu reichte ihnen der Zwerg seinen Trinkschlauch. „Hier, trinkt davon.“

Ashen nahm den ersten Schluck. Überrascht hustete er los. „Was ...“, er bekam keinen Ton heraus. Seine Kehle brannte.

„Honigschnaps.“ Gemron lachte. „Wasser gibt es hier unten genug, wie ihr sicher bemerkt habt.“

Ashen nahm vorsichtig noch einen Schluck. Das Getränk bahnte sich warm seinen Weg in den Magen und ließ ein irgendwie wohliges Gefühl zurück. Dann reichte er den Schlauch an Erik.

Auch er musste husten, obwohl er wusste, was auf ihn zukam. Der Mensch schüttelte sich, dann nahm er noch einen Schluck. „Teufel tut das gut. Ich bin wach.“

Gemron lachte laut auf und begann seine Sachen in dem Rucksack zu verstauen. „Ja, wir Zwerge verstehen was von gutem Schnaps. Darin macht auch ihr Elben uns nichts vor.“

Ashen zog eine Augenbraue hoch. „Hast Du denn schon mal unseren Schnaps probiert?“, fragte er mit gespieltem elbischen Hochmut.

„Jo, Elb. Euer Schnaps schmeckt wie Medizin.“ Der Zwerg starrte Ashen herausfordernd an. Dieser blickte ungerührt zurück. „Du täuscht dich nicht, Gemron. Es ist Medizin!“

Alle drei lachten.

Aber der Ernst kehrte schnell zurück. „Ich werde für die erste Stunde die Lampe wieder brennen lassen. So lange, bis wir uns wieder ans Gehen gewöhnt haben. Kommt, wir müssen weiter.“

„Wenigstens etwas.“ Seufzend erhob sich Erik. „Ich sehne mich fast nach der harten Arbeit in der beleuchteten Mine.“ Ashen konnte es ihm nachfühlen.

Und so gingen sie weiter.

 

Irgendwann erlosch die Lampe. Das Öl war zu Ende. Schweigend bewegten sie sich im Dunkeln voran.

Dann bogen sie ab. Erst wurde der Tunnel enger, dann verringerte sich seine Höhe. Schon bald musste sich sogar der Zwerg bücken. Und dann ging es nicht mehr weiter.

„Scheiße. Es muss der falsche Tunnel gewesen sein. Wir müssen umdrehen.“, fluchte der Zwerg.

Es war frustrierend. Aber ihnen blieb keine Wahl und sie kehrten um. Als sie wieder an der Abzweigung standen, sagte Gemron, „Ich schätze, es waren etwa drei Stunden, die wir verloren haben. Es wird nicht das letztemal gewesen sein, dass wir den falschen Weg nehmen. Es muss einer der nächsten Tunnel nach rechts sein. Er führt in eine gigantische Höhle. Auch wenn er erst wieder eng und niedrig wird.“

Mit diesen Worten ging er weiter.

„Wenn das hier vorbei ist, werde ich nie wieder eine Höhle betreten.“, sagte Erik und folgte ihm.

„Worauf du einen lassen kannst.“ Ashen bediente sich dieses Ausdrucks, den er vor langer Zeit von einem Menschen in einer Kneipe gehört hatte. Erik grinste, was in der Dunkelheit natürlich keiner sah.

 

Sie nahmen noch zwei weitere falsche Abzweigungen, bevor sie aus einem beengten Gang in eine weite Höhle traten.

„Endlich.“ Sogar Gemron war erleichtert. „Mensch, gib mir deine Lampe.“

„Erik“, kam es zurück.

„Bitte was?“, grollte der Zwerg.

„Erik – mein Name ist Erik und ich finde, wir sollten uns beim Namen nennen. Auch wenn wir alle unterschiedlich sind, sind wir in derselben Situation.“

Die Stille die auf diese Worte folgte war vollkommen. Da es nach wie vor dunkel war, bewegte sich auch keiner.

Ashen holte tief Luft. Elben waren bekannt für ihren Hochmut. Sie waren die älteste aller Rassen und sie waren der Bildung und Wissenschaft verschrieben. Durch den Umstand, dass ein Elb viele hundert Jahre alt werden konnten und somit praktisch unendlich viel Zeit hatte zu lernen, waren sie den anderen Rassen für gewöhnlich überlegen. Das galt auch für Ashen, der sein Leben dem Kampf verschrieben hatte.

Zwerge waren die zweitälteste aller Rassen. Sie hassten für gewöhnlich Elben, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Sie waren in jeder Beziehung anders. Zwar konnte auch ein Zwerg sehr alt werden, aber Lehre und Wissenschaft waren eher verpönt. Dafür waren Kampf, Gold und rauschende Feste ihr Lebensinhalt.

Die Menschen waren junge aufstrebende Geschöpfe. Im Vergleich zu den anderen hatten sie keine hohe Lebenserwartung. Sie hatten keine besonderen Stärken, aber auch keine besonderen Schwächen. Es schien fast, als seien sie eine Symbiose der alten Rassen.

Ja, sie waren in derselben Situation, aber sie waren eben auch ein Elb, ein Zwerg und ein Mensch.

Und so wusste Gemron mit dem Einwand des Menschen nicht viel anzufangen.

„Ja, wir sind in derselben Situation. Und es ist stockdunkel. Und eigentlich ist es mir egal, wie ich dich ansprechen soll.“

„Ok, Erik. Du hast recht. Auch wenn es Gemron sicher nicht so gemeint hat.“

Ashen wandte sich an den Zwerg. „Lass uns eine Pause machen. Wir sind schon lange unterwegs.“

Gemron überlegte nur kurz. „Ja, dann soll es so sein. Erik, gib mir deine Lampe bitte. In der Höhle verlieren wir sonst die Orientierung. Wir suchen uns einen geeigneten Platz.“

 

Die Höhle war unglaublich groß. Der Schein der Lampe erreichte weder die Wände noch die Decke. Überall lagen Felsen herum. Stalagmiten ragten vom Boden auf und Stalaktiten reckten sich ihnen von der Decke entgegen.

Ehrfürchtig schritten sie in der Höhle voran. Endlich hörte auch das Wasser auf und sie gingen über nackten Felsen. Auf der rechten Seite lag ein großer See, der sich in die Dunkelheit hinein erstreckte. Sie sahen sich staunend um.

„Halt.“ Erik und Gemron drehten sich zu Ashen um. Dieser war stehen geblieben. Er hatte die Augen geschlossen und legte einen Finger an die Lippen.

„Was ist los?“, es war Gemron, der die Stille brach.

Ashen öffnete die Augen. „Das Hämmern. Es ist wieder da!“

 

 

 

 

11. Südkaukasien

 

Baldur hatte nicht lange geschlafen. Vielleicht ein oder zwei Stunden. Dann war er hochgeschreckt. Wovon wusste er nicht. Er war sofort hellwach und sah

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 25.07.2017
ISBN: 978-3-7438-2471-3

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