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Kurzgeschichte

Ich wartete auf den Zug. vierundfünfzig Minuten Verspätung, zeigte die Tafel an. Na toll! Ich zog meinen Wintermantel noch etwas enger, als ob mir dadurch auch nur etwas wärmer werden würde. Naja, vierundfünfzig Minuten länger, die ich auf dieser Erde verbringen würde, dachte ich ironisch. Die Schachtel mit den Tabletten fühlte sich plötzlich sehr schwer an in meiner Jackentasche. Automatisch legte ich meine Hand darauf.

Ein alter Mann kam ans Gleis. „Oh vierundfünfzig Minuten Verspätung:“ Stellte er lauthals fest und stellte sich neben meinen Sitz. Da ich nun einmal eine gute Kinderstube genossen hatte, stand ich auf und bot  ihm mit einer Handbewegung meinen Sitzplatz an. Er lächelte dankbar. Ich nickte das kurz ab, um danach wieder ins Leere zu starren und meinen Gedanken nachzuhängen.

Wie leid ich Das hier alles hatte. Ich war jetzt vierzig, geschieden. Die gemeinsame sechzehnjährige Tochter bekam ich nur nach mehrmaligem Bitten zu Gesicht. Leider zeigte sie auch dann kein Interesse an mir. Ich will mir gar nicht vorstellen, was ihr meine Ex alles über mich erzählt hat. Ich erschauerte kurz bei dem Gedanken. Ich wusste nicht was mehr schmerzte, dass ich sie so selten sah, oder das sie nicht das Geringste mit mir zu tun haben wollte. Sie war doch schon immer meine Kleine Prinzessin. Ich unterdrückte die Tränen, die langsam in mir empor krochen. Maja, meine Freundin hatte sich von mir getrennt, weil ich angeblich nur noch für meinen Beruf lebte. Ich dachte wirklich sie wäre die Frau mit der ich mein restliches Leben verbringe. Aber auch diese ach so glänzende Karriere ging, dank einiger Fehlentscheidungen von ganz Oben, auch den Bach runter. Bei dem bloßen Gedanken an sie, stach mein Herz schmerzhaft  und jetzt war vor zwei Wochen auch noch meine Mutter gestorben. Meine Mom. Mein Fels in der Brandung. Die immer ein offenes Ohr für mich hatte. Mich aufgefangen hat. Mich motiviert hat. Und was war an ihrer Beerdigung? Anstatt den geliebten Menschen zu betrauern, stritt sich die Familie lieber ums Erbe. Wer bekam das Auto. Und wer den neuen TV? Mir wurde ganz schlecht, wenn ich daran dachte. Nichts als Geldgier, Hass und Egoismus auf dieser Welt. Was wollte ich hier noch? Niemand brauchte mich, niemand würde mich vermissen.

Eine neue Durchsage verriet mir, dass der Zug weitere 15 Minuten zu spät kommen würde. Konnte man denn nicht einmal in Ruhe sterben? Ein gezischtes „Fuck!“ entkam meinen Lippen, während ich vor Wut gegen den Mülleimer trat.

Der Alte grinste mich verschmitzt an. „Ihre Frau wartet zu Hause wohl schon mit dem Essen auf Sie?“  Es war verrückt, was diese kleine Frage in mir auslöste. Ja, so sollte es sein. Eine liebende Frau, geliebte Kinder und alle warten sie auf den schwer arbeitenden Papa bis er nach Hause kommt. Völlig niedergeschmettert von dieser Erkenntnis antworte ich nur knapp: „Nein. Niemand wartet auf mich. Ich bin ganz allein.“

„Ach, was!“ gluckste der Alte. Was gab es da denn bitte zum glucksen? „No conditon is permanent, haben die Amis immer gesagt!“ Jetzt war ich platt. „Bitte was?“ Der Alte grinste nur wieder spitzbübisch. „Kein Zustand dauert ewig. Was glauben Sie wie alt ich bin?“ Ich zuckte lediglich mit den Schultern. Zwischen 75 -90 hätte alles dabei sein können.  Er wirkte abermals amüsiert, obwohl ihn lediglich seine Augen verrieten. „ Ich werde nächsten Monat 99 Jahre alt.“ Wow, war das Erste was mir in den Sinn kam. So lange werde ich hier nicht verweilen, gleich der nächste. „Wissen Sie“ , legte er gleich nach. „ Ich habe zwei Weltkriege und eine Besatzung meines Landes durch andere erlebt. Ich habe nicht nur erfahren was Leid und Elend, sondern auch Angst und Schmerz ist.“ So erzählte er lange aus seinem Leben. Vom ersten Weltkrieg, der Weimarer Republik, das dritte Reich und der „Befreiung“ des Landes durch die Amerikaner. Ich hing wie gebannt an seinen Lippen. Wahnsinn, was dieser Mann schon alles erlebt hatte! Und jetzt saß er hier mit fast 99 Jahren allein und wollte Zug fahren! Diesen Mann musste man einfach bewundern.

„Aber Alles in Allem kann man sagen habe ich eins in meinem Leben gelernt und zwar, dass es immer weiter geht. No condition ist permanent. Meinetwegen auch, nach jedem Regen folgt Sonnenschein. Ich bin dankbar für all das schlechte, dass ich gesehen habe und die dunklen Stunden in meinem Leben. Sie haben mich viel gelehrt und stärker werden lassen. Aber vor Allem haben sie mich den Wert der guten Tage erkennen lassen. Wie kostbar sie sind. Ich genieße jedes Quäntchen Glück. Und das können die Wenigsten heutzutage behaupten.“

Und wie aufs Stichwort fuhr bei seinen letzten Worten der Zug ein.  Natürlich war er hilflos überfüllt, also half ich dem Alten, Franz war sein Name, noch einen Platz zu ergattern und stellte mich dann in ein bisschen weniger überfüllten Platz, direkt neben dem Fenster, während der Zug bereits losrollte.

Daheim angekommen dachte ich noch kurz über den Alten nach. Schlenderte aber dann dennoch durch mein Wohnzimmer und versuchte mir noch einmal alle Eindrücke, Erlebnisse die ich hier hatte, einzuprägen. Bei der Bar angekommen goss ich mir Whisky in ein Glas und nahm einen Schluck. Ah! Herrliches Gesöff! Ein paar Schritte weiter blieb ich bei der HiFi Anlage hängen, nach kurzem Suchen hatte ich sie auch schon gefunden und legte meine lieblings-CD ein. Während ich den einfühlenden Klängen lauschte, ließ ich mich auf meinen Sessel fallen. Ich nippte wieder an meinen Whisky und begutachtete die Schachtel mit den Tabletten in meiner Hand, die ich nicht mehr losgelassen hatte, seit ich sie daheim aus meiner Jackentasche geholt hatte. Nach einem lauten Seufzer und einem weiteren Schluck aus meinem Glas, öffnete ich die Schachtel und lies so viele wie möglich in meine Hand fallen. Skeptisch begutachtete ich sie in meiner Hand. Wie harmlos sie wirkten. Wie ein paar Traubenzucker. Mit einem Achselzucken versenkte ich sie in meinem Mund und schaffte es, dank eines großzügigen Schlucks Whisky, sie alle auf einmal runter zu schlucken.

Ich schloss meine Augen und wartete auf den Tod, als neben mir mein Handy vibrierte. Konnte man nicht einmal in Ruhe sterben? Wiederstrebend blickte ich auf den Display des Smartphones. Eine SMS von Maja!

Ich habe das von deiner Mom gehört. Morgen Kaffe? Kuss Maja

Ich wollte das Handy nehmen, doch mein Körper gehorchte mir bereits nicht mehr. Der Alte hatte recht!, schrie mein Herz auf. Doch mein Geist konnte diese Erkenntnis nicht mehr verarbeiten, denn er schwand bereits in die tröstliche Leere, bis er von der stillen Finsternis gänzlich bedeckt wurde.

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Tag der Veröffentlichung: 19.06.2013

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