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Die Geschichte ist urheberrechtlich geschützt. Das Kopieren, Vervielfältigen oder auszugweise Verwenden der Texte ist nicht gestattet.

Dieser Text und in ihm enthaltene Protagonisten sind frei erfunden.

 

Danke!

Die Autorin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.

Blutverschmiert kauere ich mich in den hintersten Winkel des Felsvorsprunges und bete, dass sie mich nicht finden. Hart drückt sich der kalte Stein in meinen Rücken, während ich versuche mein Gesicht vor dem peitschenden Wind zu schützen. Es dämmert bereits und mit etwas Glück ist es in ein bis zwei Stunden so dunkel, dass ich unauffindbar bin. Zumindest für die heutige Nacht. Mein ganzer Körper zittert vor Anspannung und der Anstrengung der letzten Tage. Ob es die anderen wohl geschafft haben? Nein! Das ist jetzt das Letzte worüber ich nachdenken darf. Ich muss mich konzentrieren! Nicht, dass ich noch durch leichtsinnige Bewegungen oder Geräusche auf mich aufmerksam mache. Und so sitze ich hier und warte. Warte auf den Tod, auf einen Kampf, auf's Davonschleichen. Hätte mir das jemand vor ein paar Wochen erzählt, hätte ich ihn  wahrscheinlich schallend ausgelacht. Dabei fing es so harmlos an. Bei einem Mittagessen mit meiner Mom...

Ich war fünfzehn Minuten zu spät im Restaurant und trotzdem als Erstes da. Wieso wunderte mich das nicht? Ich beschloss, mir schon einmal einen Platz auf der großzügigen mit Marmorimitat ausgelegten Terrasse zu suchen. Mit den alten, antik wirkenden, aber gut erhaltenen Tischen und Stühlen und den vielen Blumen fühlte man sich dort wie im Urlaub und obendrein war er ein echter Geheimtipp. Dort war es bei Weitem nicht so überfüllt wie bei manch anderen Italienern hier in der Stadt. Ich wählte einen Tisch in der Sonne und genoss es sie endlich wieder auf der Haut zu spüren. Gott sei Dank, war endlich der Frühling eingekehrt. Ich war einfach kein Wintermensch. 

Kurz schloss ich die Augen und genoss diesen Moment, um dann auf die Uhr zu Blicken. Wo blieb sie nur? Das war typisch meine Mom. Aber da sah ich sie auch schon über die Straße hetzen. Im Aussehen waren wir uns beide recht ähnlich, zumindest auf den ersten Blick, und doch unterschieden wir uns wie Tag und Nacht. Wir hatten beide die gleiche kleine, zierlich Statur, auch durfte ich ihren südländischen Teint und ihre satten braunen mit Naturwellen versetzten Haare mein Eigen nennen. Nur den schmalen, aber durchaus schön geschwungenen Mund und die grünen Augen hatte ich von meinem Erzeuger geerbt, der bevorzugte, sich in Amerika mit immer wechselnden jungen und hübschen Touristinnen zu umgeben, anstatt sich um mich und meine Mom zu kümmern.

Nun wurde mein Blick liebevoller. Sie hatte so viel für mich getan. So oft zurückgesteckt. Sie war noch so jung, als sie mich bekam und hat es geschafft mich ganz alleine groß zu bringen. Sie besaß eine  solche Ausstrahlung, die jedes noch so hochumjubelte Topmodel alt aussehen lies. Neben ihr, auch wenn ich mich durchaus als hübsch bezeichnen würde, kam ich mir immer wie eine graue Maus vor. Auch wenn das natürlich das letzte war, was sie wollte. Sie besaß einfach dieses innere Strahlen.

Wie ein Wirbelwind kam sie angerauscht und nahm mich sofort mit ihrer Präsenz ein. Der schweres süßes Duft ihres Parfums wurde durch ihre quirligen Bewegungen in durch die Luft gewirbelt. Sie warf einen Blick auf die Uhr und grinste sie mich spitzbübisch an. „Naja, das kann man direkt noch als pünktlich durchgehen lassen“. Ich verdrehte die Augen. Dadurch wurde ihr Grinsen nur noch breiter. Dumme Kuh, dachte ich und musste lächeln.

Kaum hatte sie sich gesetzt, stand auch schon der Kellner an unserem Tisch. Komisch, mir hatte er bisher keine Beachtung geschenkt. „Darf ich die Bestellung aufnehmen, meine Damen?“ Ich schaute von der Karte auf und musterte ihn. Mit der schlanken, aber doch athletischen Figur und dem markanten Gesicht, konnte man ihn durchaus als attraktiv durchgehen lassen. Er sprach zwar im Plural, ignorierte mich aber weiterhin. Aber verschlang meine Mom praktisch mit den Augen. Ich wollte ihm schon ein Taschentuch anbieten, um den Sabber aufzufangen, aber es war auch so schon eine blöde Situation für mich. Da ihn meine Mom aber überhaupt nicht beachtete, suchte er nach der Bestellungsaufnahme schnell das Weite. Ich konnte mir gerade so ein Grinsen verkneifen.

Kaum war er hinter der Tür des Restaurants verschwunden, fing sie schon wieder an mich auszuquetschen. „So mein Schatz, wie läuft es in der Arbeit?“, „Mom, ich habe einen Job in der Stadtbibliothek, da passiert nicht wirklich viel Aufregendes, an dem ich dich jedes Mal teilhaben lassen könnte.“ Ich entließ ein Schnauben, als ich sie ansah. Sie wirkte wie ein junger Hund, dem man gerade den schönen, neuen Ball vor der Nase weggenommen hat. „Gut, ich soll heute Nachmittag jemand neues anlernen. Mal sehen, ob sie es dieses Mal geschafft haben jemanden mit etwas Hirn einzustellen.“ Das funkeln in ihren Augen kehrte augenblicklich zurück. Leider konnte sie nicht weiter auf das Thema eingehen, da der Kellner mit unserem Essen kam. „Wie läufts eigentlich mit deinem Artikel?“ schaffte ich einzuwerfen, bevor sie sich wieder auf mich und vor allem mein nicht vorhandenes Liebesleben stürzen konnte. „Hmmhm?! Wie läuft es eigentlich zwischen dir und Jason?“ Augenblicklich gingen bei mir alle Alarmglocken los. „Das zwischen mir und Jason ist aus und da wird es auch nichts mehr geben, Punkt! Aber das weißt du auch. Vor was willst du ablenken??“ Stille. „Mom?!“ ich schenkte ihr einen strengen Blick. Sie war eine freie Journalistin. Ihr wurden also fertige Artikel von Zeitungen, oder Magazinen abgekauft und sie hatte ein Händchen dafür sich bei ihren Recherchen in blöde Situationen zu bringen. „Ach nichts weiter, Schätzchen!“ Ihr nervöses Lächeln hätte sogar dem dümmsten Mensch auf der Welt ihre fette Lüge verraten. Mein Blick wurde noch strenger, das reichte meistens aus. Da fiel auch schon ihre Fassade und ich war fast ein bisschen erschrocken, wie müde und angestrengt sie wirkte. „Ich kann dir darüber leider nichts sagen, mein Liebling. Mach dir keine Sorgen, es ist nichts schlimmes.“ Und schiebt ihr Essen bei Seite. Ich blickte auf ihren Teller mehr als 2-3 Bissen hat sie wohl nicht gegessen.Ich versuchte sie zur Vernunft zu bringen. "Mom, wenn du mir sagst um was es in diesem Artikel geht, dann kann ich dir vielleicht dabei helfen. Bitte bring dich nicht wegen einer vermeindlich guten Story in Schwierigkeiten!"Doch sie tätschelte nur aufmunternd mein Gesicht. Sah sie schon jemals so müde aus? Als könnte sie meine Gedanken lesen, veränderte sich augenblicklich ihre Mimik und sie schaute mich wieder mit diesen bettelnden Hundeaugen an. "Können wir nicht einfach unser Mutter Tochter Mittagessen genießen? Wir sehen uns zur Zeit doch sowieso so selten." Ich wägte kurz ab, ob ich weiter auf sie einreden, oder es dabei belassen sollte. Ich entschied mich für letzteres, auch wenn das Thema noch nicht vom Tisch war. Nach einem mehr als üppigem Essen und dem Austausch von Belanglichkeiten, versuchte ich mich noch einmal vor zu tasten. "Mom, noch mal, wegen dieser Story. Versprich mir, dass du keinen Unsinn machst. Okay?"  In dem Augenblick stand sie auf und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. „Ich muss jetzt leider los! Ich liebe dich über alles, vergiss das nie!“ Mir wurde flau im Magen. „Mom, du machst mir Angst!“ Aber sie war bereits im gehen und ich erhielt lediglich ein sehr angestrengtes, aufmunterndes Lächeln. Lange schaute ich ihr noch nach. "Ich liebe dich über alles, vergiss das nie!" Das klang wie eine Verabschiedung. Was war das nur für ein Artikel, der sie so mitnahm? Aber wahrscheinlich steigerte ich mich da jetzt nur in etwas rein und es war eigentlich gar nichts.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich sowieso keine Zeit mehr zum Grübeln hatte, sondern schleunigst auf den Weg zurück in die Arbeit machen sollte. Ich hetzte die belebten Straßen zurück zur Bibliothek, während meine Gedanken immer wieder zu meiner Mom abschweiften. Wäre ich nicht beinahe gegen ein abgestelltes Fahrrad gerannt, wäre ich wohl an der Biblitothek vorbeigelaufen. Obwohl sie eigentlich nicht zu übersehen war. Es war ein Prachtvolles, gut renoviertes, altes Gebäude, das mit seinem sandsteinfarbenen Äußerem zeitlos maiestätisch wirkte. Oft tumelten sich hier die Hobbymaler der Stadt, um dieses würdeausstrahlende Haus zu zeichnen.

Etwas außer Puste setzte ich mich abgehetzt, verwirrt, einfach komplett durcheinander an meinen Schreibtisch, um mich der noch liegen gebliebenen Arbeit zu widmen. Ich atmete einmal tief durch und ließ die Ruhe und den beruhigenden Geruch der Bücher auf mich wirken. Ich liebte meine Arbeit einfach. Der Umgang mit den Büchern, der Literatur. Die Gespräche mit den Verlägen und den Autoren und den Kontakt zu den Lesern.  "Chmpchm" räuspert es sich plötzlich hinter mir. Ich sties vor Schreck einen kurzen Aufschrei aus, während ich schon dabei war mich umzudrehen. "Es tut mir leid Mam, ich wollte sie nich erschrecken! Ich bin Felix Fridus. Mir wurde gesagt, sie würden mich heute anlernen." Mit noch schreckgeweiteten Augen sah ich ihn an. Das erste was mir in den Sinn kam, war einfach nur "Wow!". Er war nicht einer dieser typischen Schönlingen, die man auf jedem Magazincover sah. Aber er hatte eine wahnsinnige interessante und anziehende Aura. Seine dunkelbraunen, ja fast schwarzen Augen zogen mich in ihren Bann. Und der ungebändigte blonde Wuschelkopf, der sein markantes Gesicht einzurahmen schien, tat sein übriges. Ich  musste mich richtig zuammenreißen und hörte auf ihn anzustarren, als wäre er ein Außerirdischer! "Ähhm, ja. Entschuldigen Sie! Es war heute Vormittag etwas stressig und ich hatte Sie kurzzeitig vergessen. Ich bin Emma Pope." Ich streckte ihm meine Hand entgegen und merkte wie mir die Röte ins Gesicht schoss, was nicht umbedingt förderlich gegen die roten Wangen war. Er schenkte mir ein keckes Lächeln. "Dann bin ich ja froh, dass sie sich jetzt an mich erinnern." Konnte man noch röter werden? Dieser Kerl brachte mich gerade total aus dem Konzept! Ich versuchte meine Fassung wieder zu erlangen, während ich vorgab einige Papiere zu sortieren. Gut, mehr Verschnaufzeit konnte ich mir nicht geben. Er hielt mich ja jetzt schon für nicht mehr ganz knusper. Ich wollte gerade anfangen ihm mein Bücherkonzept vorzustellen, als Mrs. Marsons uns unterbrach. Ich blickte hoch, wie fahrig und angespannt, diese eigentlich immer ruhe ausstrahlende, nette alte Dame wirkte. "Mrs. Marson. Was gibts? Ich arbeite gerade unseren neuen Mitarbeiter ein. Das ist Felix Fridus." Ich schenkte ihr ein 100 Watt Lächeln und hoffte sie so aus der Reserve locken zu können. Doch sie spielte nur weiterhin nervös mit ihren grauen, schulterlangen Naturlocken, die ihr immer wieder ins Gesicht fielen. Felix stand auf und reichte ihr die Hand. "Hallo, Mam. Ich freue mich in Zukunft mit ihnen zusammen zu arbeiten." Doch sie wimmelte ihn nur fahrig ab. Was war denn los? Langsam wurde ich nervös. War heute Tag des komischen Verhaltens?

Sie ließ Mr. Fridus links liegen und trat noch einmal näher an mich heran."Emma, würden Sie bitte mal mitkommen? Ich muss dringend mit Ihnen reden! Allein." Jetzt wurde mir wirklich flau im Magen. Was konnte passiert sein, um diese sonst so routinierte Frau aus dem Konzept zu bringen? Nachdem ich dem Halbgott, mit dem ich ab jetzt zusammen arbeiten würde einen entschuldigenden Blick zugeworfen hatte, stand ich auf und folgte meiner liebgewonnenen Kollegin. "Was ist denn los? Sie machen mir langsam wirklich Sorgen Mrs. Marson!" Unsicher trat sie von einem Bein auf das andere, dann umfasste sie mit beiden Händen meine Schultern und sprudelte in einem wahnsinns Tempo hervor. "Emma. Die Polizei hat soeben angerufen. Sie wollten mir nichts genaueres sagen, aber sie sollen so schnell wie möglich zu dem Haus ihrer Mutter kommen." Mitfühlend blickte sie mich an, während ich erst einmal versuchte zu verstehen, was sie mir gerade gesagt hatte. Und plötzlich merkte ich, wie Übelkeit in mir aufstieg. "Kümmern sie sich um Mr. Fridus?" War das Einzigste was ich noch hervorpressen konnte. Nachdem sie genickt hatte, schnappte ich mir meine Jacke und stürzte aus dem Büro.

Im Laufschritt steuerte ich den nächsten Taxistand an. Auf den Bus zu warten würde mich jetzt wahrscheinlich einfach nur wahnsinnig werden lassen. Ich ignorierte einfach die blöden Kommentare der Leute, die meinten, ich solle etwas langsamer machen, oder besser aufpassen. Obwohl ich froh sein konnte  nicht überfahren worden zu sein, als ich einfach ohne einen Blick über die Straße zum ersten Taxi stürmte, die Tür aufriss und mich reinplumpsen lies. Verwundert schnellten die Augenbrauen, des molligen, etwas schmuddelig wirkenden mittvierzger in die Höhe. Doch für irgendwelche Höflichkeitsflosekln hatte ich jetzt keine Zeit. "Farwell Avenue". Er starrte mich immer noch an, als wäre ich ein pinker Elefant. Also nochmal. "Farwell Avenue". Seine Augenbrauen blieben oben, aber er drehte sich endlich wieder in Richtung Lenkrad und startete den Motor. Ich blickte aus dem Fenster. Die Wolken zogen zu und verschluckten meine so heiß ersehnte Frühlingssonne. Immer dichter und größer zogen die Wolken zusammen und nahmen eine gelb-lila Farbe an. Wie eine Armee die sich kurz vor der Schlacht sammelt. Was konnte nur passiert sein? Es hat mit Sicherheit was mit dieser Story zu tun! Wahrscheinlich ist Jemand bei ihr eingebrochen, um eben jene zu klauen. Hoffentlich ist ihr nichts passiert! Langsam näherten wir uns der Gegend in der ich aufgewachsen war. Ein typisches Wohnviertel in dem der Mann jeden Sonntag seinen Wagen wäscht und man akribisch darauf achtet, dass jeder Grashalm die gleiche Länge hatte. Die Häuser alle frisch gestrichen. Natürlich in Weiß. Im Garten spielten die Kinder, oder Bellte ein Hund. Und natülich blickte immer irgendwo eine neugierige Hausfrau aus dem Fenster, um den Rest der Gegend auf dem laufenden zu halten. Unser Haus stach da immer etwas raus. Es war gepflegt, aber nicht ganz so akribisch. Einfach einladend chaotisch.

Als er in die Farwell Avenue einbog wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Meine Augen weiteten sich erst vor Entsetzen, bevor mein Blick von den hochsteigenden Tränen vernebelt wurde. Was war nur passiert?

2.

Der Taxifahrer blieb vor der Polizeiabsperrung stehen. Ich drückte ihm wahllos ein paar Scheine in die Hand und versuchte beim Aussteigen die Tränen aus meinen Augen zu blinzeln, um wieder eine klare Sicht zu erlangen. Im ersten Augenblick konnte ich kaum die verschwommenen Umrisse unseres Hauses erkennen. Diese wurden von den blauen, blinkenden Lichtern der Polizeiautos noch mehr verschwommen. Das Alles musste ein schlechter Traum sein.

Entschieden wischte ich mir mit meinem Ärmel über das Gesicht, um endlich sehen zu können, endlich vorwärts zu kommen. Wem nützte es schon, wenn ich hier rum stand, wie ein Reh im Scheinwerferlicht?

Es waren genau zwei Polizeiautos und ein Rettungswagen, die den Weg zu dem Haus meiner Mom versperrten. "Wegen eines Einbruchs würden sie bestimmt keinen Sanka rufen!", schoss es mir durch den Kopf. Meine Knie fingen bedrohlich an zu zittern, als ich auf zwei Polizisten, die sich gerade an ihrem Auto gelehnt unterhielten, zusteuerte. Die Zwei unterbrachen sofort ihr Gespräch.

„Hier gibt es nichts zu sehen! Und erzählen werden wir Ihnen auch nichts. Das können Sie später, wie alle Anderen, in der Presse nachlesen.“ Schnauzte mich der eine an. Er war der typische Polizist. Groß, mit breite Schultern, tiefe, autoritäre Stimme. Kurze, dunkle Haare, mit passendem Schnauzer im Gesicht und die Augen, trotz fehlendem Sonnenschein, hinter einer Flieger - Sonnenbrille versteckt. Ich fühlte mich wie ein kleines Schulmädchen, das etwas ausgefressen hatte.

„Emma Pope.“ sagte ich mit belegter Stimme, „Sie haben mich angerufen, wegen meiner…“ Und da verstummte ich auch schon. Denn  ich hatte genug damit zu tun gegen meine Tränen anzukämpfen.

Seine Mimik änderte sich schlagartig. Er nahm die Sonnenbrille ab und reichte mir die Hand.

„Officer Cooper. Es tut mir leid, dass ich sie so angefahren habe, Miss Pope.“ Ich ließ seine Hand los und bedeutete ihm mit einer Bewegung, sich darüber keine Gedanken zu machen. „Wo ist meine Mom? Geht’s ihr gut?“ Er atmete einmal tief durch. Man merkte ihm sein Unbehagen an. Und eben diese ließ mir eine Gänsehaut über den ganzen Körper laufen.

„Eine Nachbarin rief uns an, die sich Zucker von ihrer Mutter leihen wollte. Sie hat.“ Er unterbrach und legte mir verständnisvoll eine Hand auf die Schulter. „Ihre Mutter hat Selbstmord begangen.“ WAS?!

„WAS! Nein! Unmöglich! Meine Mom würde nie!“ Meine weiteren Bekundungen gingen in einem Schluchzen unter. Die Tränen, die ich zurückgehalten hatte seit ich aus dem Taxi ausgestiegen bin, liefen mir nun ungehindert über die Wangen, währen ich in die Hocke ging. Sie war tod. War sie wirklich tod? Am liebsten hätte ich mich wie ein Embryo zusammengekauert auf die Straße gelegt.

Officer Cooper kam nach eier Weile auf mich zu. Anscheinend meinte er mir jetzt genug Zeit gegeben zu haben, um den ersten Schock zu verdauen. Seine Berührung, als er mir beim aufstehen helfen wollte, rissen mich aus meiner Leere des Weinens. Mit einem Ruck riss ich mich von ihm los. „Sie hat nie im Leben Selbstmord begangen!" schrie ich ihm ins Gesicht und lief auf das Haus zu. Das Haus in dem ich aufgewachsen war. Das Haus, in dem ich immer nur Liebe und Geborgenheit erfahren hatte. Im Hintergrund hörte ich noch den Officer rufen: „Tun Sie sich das jetzt nicht an!“ Aber wie gesagt, Hintergrundgeräusch. Ich wusste nicht, was ich zu finden glaubte. Intuitiv wusste ich, dass ich in die Küche musste. Und da lag sie. Umgeben von zwei Sanitätern.

Nein! Das durfte alles nicht wahr sein! Ich rannte auf die Beiden, die gerade dabei waren eine Decke auf den leblosen Körper meiner Mutter zu legen, zu und stoß sie unsanft weg. Fort von meiner Mom. Sie ließen mich mit mitleidigen Blicken gewähren.

Wieder versuchte ich meine Tränen weg zu blinzeln, um meine Mutter besser sehen zu können. Bleich und schlaff hing sie da. Aber das war nicht das, was mich vollkommen aus der Fassung brachte. Sie hatte ihr Strahlen verloren. Ihr inneres Strahlen das sie so wunderschön gemacht hatte war weg. Ein einziges großes Nein! Hallte durch meinen Kopf. Ich taumelte ein paar Schritte rückwärts. Ich wollte fliehen. Einfach weg hier. Als würde sie wieder lebendig, wenn ich genug Raum zwischen mich und diesen Ort bringen würde. Als mich die Wand am anderen Ende des Raumes aufhielt, verfiel ich wieder dem Schluchzen und Weinen, während ich mich am  Boden kauerte, bis mir schwarz vor Augen wurde.

3.

Ich wachte im Krankenhaus auf. Ich war allein in dem sterilen weißen Zimmer mit den üblichen langweiligen Blumenbildern und den beigen Vorhängen. Skeptisch betrachtete ich die Nadel, deren angehängter Schlauch zu einem Infusionsbeutel führte. Was war passiert? Angestrengt versuchte ich meine Gedanken zu sortieren. Konnte das Alles wirklich wahr sein? Vielleicht hatte ich ja nur einen Unfall und mir den Rest einfach eingebildet.

Aber da kam bereits meine Tante durch die Tür. "Du bist wach!" ihr gütiges Lächeln und die Traurigen Augen vertrieben auch mein letztes bisschen Hoffnung. Keine Einbildung. Meine Mom war tod. Und mal wieder hatte ich mit den Tränen zu kämpfen. Wieviel konnte ein Mensch eigentlich weinen?

Ich war nahe dran, wieder in die friedliche Leere des Weinens und Schluchzens zurückzukehren, als ich von einer warmen und weichen Umarmung aufgefangen wurde. "Ssscchhh. Sssccchhh." raunte meine Tante, während sie ihren Kopf auf meinen legte und selbst leise anfing zu weinen. Als ich mich wieder etwas gefangen hatte, löste ich mich aus ihrer Umarmung und musterte sie. Sie wirkte traurig, aber nicht zerstört, so wie ich. Im Gegenteil sie strahlte eine solche Bodenständigkeit aus, die mich magisch anzog. Vielleicht suchte das Chaos in meinem Kopf einfach einen Fixpunkt, damit ich nicht total Irre wurde.

Ein junger Arzt betrat das Zimmer und warf noch einmal ein Blick auf seine Akte: "Also Mrs. Pope. Sie hatten einen Schock. Aber ansonsten fehlt Ihnen nichts weiter. Sie können nach Hause gehen." Ich nickte das stumm ab. Mir fehlte sonst nichts weiter? Da sah man mal, wie wenig Ahnung manche Leute hatten. Meine Tante bestand darauf, dass ich erst einmal zu ihr und meinem Onkel zog. "Ich werde dich doch nicht in deine Wohnung lassen, in der du dann alleine vor Trauer vergehst!" waren ihre Worte, als ich ihr Angebot ablehnen wollte. Ich stand mit gepackten Koffern vor Ihrer Tür und musste lächeln. Sie war ein herzensguter Mensch. Allein die Zeit, die ich zum packen benötigt hatte, allein in meiner Wohnung, hatten mich erschlagen. Die ganzen Erinnerungen, die Fotos! Nein, Sie hatte recht. Heir würde es mir vorerst besser gehen. Gerade wollte ich die Klingel betätigen, als sich die Tür öffnete und mich meine Tante mit ihrer warmen Herzlichkeit empfing und in das Haus zog.

Ich schaffte es gerade noch den Koffer abzustellen und mir meine Schuhe vpn den Füßen zu treten, als sie mich schon weiter drängte. "Ich muss dir etwas zeigen!" kicherte sie aufgeregt.  Etwas überrumpelt folgte ich ihr, auch wenn ich mir absolut nicht vorstellen konnte, was sie mir zeigen sollte.

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Tag der Veröffentlichung: 10.05.2013

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