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Prolog

Der Mond schien hell heute Nacht. Fast ein wenig zu hell für ihren Geschmack. Doch auch das würde sie nicht aufhalten. Denn was auch passieren sollte, sie würde alles tun um ihren Auftrag  zu erfüllen und erfolgreich abzuschließen - nichts und niemand würde daran etwas ändern. Und jene die es versuchten, würden es schon bald bereuen. Denn tagsüber mochte sie vielleicht das liebe und brave Mädchen sein, welches ihren Eltern im kleinen Restaurant der Familie half, doch nachdem die Sonne unterging und die letzten Strahlen vollends verblassten war ihre Zeit gekommen. Denn der Familienbetrieb, dem sie angehörte war mitnichten das Familienrestaurant - auch wenn es für viele so scheinen mochte, vor allem da sie eine hervorragende Köchin war, wie nicht nur ihre Eltern immer wieder beteuerten. Doch sie wusste nur deshalb so gut Bescheid über die Zutaten und Gerichte weil das Wissen dazu zu ihrer Ausbildung gehörte. Besonders das erkennen von Giften und Schlafmitteln. Welche sie wann am besten anwendete um es ganz natürlich aussehen zu lassen. Ebenso das verwenden von eleganten Katana und Dolchen. Wobei sie letztere allerdings vorzug, da man sie besser verstecken konnte. Auch wenn Katana ihre eigene Vorteile hatten, musste man doch immer bedenken, dass es nur Samurai erlaubt waren offenen Schwerter zu tragen. Mein, ein Samurai war sie nun wirklich. Und würde es sicher auch nie sein, was nicht nur daran lag, dass ausschließlich Männer diesem Beruf nachgingen. Nein. Denn sie war quasi die Feindin aller Samurai von Edo. Sie war eine Ninja. Und zwar eine stolze noch dazu.
 
»Hast du das gehört?«, erklang auf einmal eine Männerstimme unten im Hof.
 
Sie erstarrte. Hatte jemand sie gehört? Aber das konnte nicht sein, oder? Sie war nämlich nicht nur so beweglich, sondern auch so leise wie eine Katze. Also musste noch jemand anderes hier sein. Aber wer?
 
»Mach dir keine Sorgen, das war bestimmt nur der Wind. Hier, trink lieber noch eine Schale Sake mit mir«, antwortete eine zweite etwas jüngere Stimme.
 
Erleichtert atmete sie aus. Sie wusste, und mit Sicherheit auch die beiden Wachen im Hof, dass es verboten war im Dienst zu trinken. Wurde man erwischt konnte man ordentlichen Ärger bekommen. Das allerdings war nicht ihr Problem. Sondern das, der beiden Männer. Zumindest wenn sie erwischt wurden. Sie tastete nach einem ihrer Dolche. Er befand sich genau dort, wo er sein sollte. Gut zu erreichen in ihrem linken Stiefel. Und in ihrerer inneren Brusttasche waren wie immer ihre Wurfsterne. Alles war so wie es sein sollte. Und zudem der Weg nicht mehr weit, dort wo sie hin wollte und sich ihr Ziel für heute Nacht befand. Sie ließ ihren Blick über das Dach, auf dem sie sich befand hinüber zu dem Fenster nach unten wandern. Es waren vielleicht zwei Meter. Maximal drei. Mit Anlauf und einem guten Sprung konnte sie es schaffen. Sie stand auf aus ihrer gehockten Position und lockerte ihre Schultern und Beine ein wenig, dann rannte sie los und sprang.
 
 
Die Landung auf dem Fensterbrett verlief nicht ganz so elegant, wie sie es sich erhoffte aber leise genug um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Und das war schon eine ganze Menge wert. Sie sah sich noch einmal nach allen Seiten um, dann kletterte sie in das Innere. Obwohl sie noch nie hier drinnen gewesen war, kannte sie sich dennoch ohne Probleme aus. Denn bevor sie los gegangen war hatte sie den Grundriss des Hauses studiert und sich in allen Einzelheiten eingeprägt bis sie ihn auswendig kannte. Daher wusste sie auch, dass sie sich in dem Ankleidezimmer der Person, die zu töten ihr beauftragt wurde, befand. Wie man es ihr und anderen Attentätern nur so leicht machen konnte, verstand sie immer noch nicht. Reichtum und Verstand gingen wohl wirklich nicht Hand in Hand miteinander. Vorsichtig schob sie die Tür, die mit verziertem weißem Papier bespannt war, zur Seite.
 
Erneut erstarrte sie. Die Person, die ihr befohlen wurde zu töten war es bereits. Irgendjemand hatte ihr, ob nun absichtlich oder nicht, ihren Auftrag unter Nase weg geschnappt. Und lange konnte es noch nicht her sein. Auf jeden Fall aber war es, diesem Gemetzel nach zu urteilen, kein Weg eines oder einer Ninja. Diese würden niemals ein solches Schlachtfeld hinterlassen. Hier war jemand am Werk gewesen welcher die Person, die nun tot war, abgrundtief hasste. Anders war das alles nicht zu erklären. Und auch wenn die Nacht ihr Verbündeter sein mochte, so war es doch auch für sie am besten, dass sie so schnell wie möglich von hier verschwand. Sie trat an die Verbindungstür, durch die sie gerade zuvor kam, dann nahm sie denselben Weg um nach Hause zurück zu gehen.
 
 Den Mann, der ihr aus einer anderen Ecke des Zimmers, grimmig lächelnd hinterher sah bemerkte sie nicht.

Kapitel 1

Luka gähnte. Er war jetzt schon den ganzen Tag unterwegs, so wie die letzte Nacht und das zu Fuß. Nicht, dass das seine persönliche Entscheidung war, denn auch wenn er vom Aussehen sicher mit Leichtigkeit einem armen Wanderer glich, mal abgesehen von dem Katana, welches er auf seinem Rücken trug, er war alles andere als das. Doch wenn man, so wie er, schon seit fast drei Wochen unterwegs war, konnte man einem das wohl kaum übel nehmen. Und was den Grund anging, dass er zu Fuß ging: In einem Moment der Unachtsamkeit hatte man ihm sein Pferd gestohlen. Ein neues zu erstehen, dazu hatte er zur Zeit nicht ausreichend Geld. Zumindest dann, wenn er sich nicht gerade einen Klepper kaufen wollte, der vermutlich nach einem Eintagesritt den Geist aufgab. Also musste er nun wohl oder übel zu Fuß gehen und sich außerdem möglichst bald eine Arbeit suchen. Denn ja, mit seinem Pferd war auch sein Proviant weg. Der befand sich nämlich in den Satteltaschen. Ebenso seine Wanderkarte. Glücklicherweise jedoch konnte er von sich behaupten, ein gutes Gedächtnis zu haben und sich Dinge leicht merken zu können. Daher wusste er, dass er nach zwei, maximal drei Stunden ein kleines Dorf hier erreichen würde. Und die Preise für Unterkünfte waren erfreulicherweise deutlich weniger horrend, als in Städten. Immerhin ein kleiner Lichtblick.
 
Luka hatte Glück. Er erreichte das Dorf gerade als der Himmel begann sich langsam von Rosa nach Blau zu färben. Hätte er ein wenig länger gebraucht, hätte er auch diese Nacht auf freiem Feld unter einem Baum schlafen müssen. So aber war er gerade darum herum gekommen. Und das Gasthaus selbst, vor dem er jetzt endlich stand, war auch sehr leicht zu finden gewesen. Wie in den meisten Fällen befand es sich am Dorfplatz. Auf dem hölzernen Schild, welches direkt über dem Eingang hing, stand Shiawasena tsuki – glücklicher Mond. Obwohl Luka doch sehr bezweifelte, dass dieser zu Gefühlsregungen fähig war. Er atmete noch einmal tief durch, stieß Eingangstür auf und trat ein.

Der Innenraum des Gasthauses war rustikal eingerichtet. Es standen Holztische im Raum, vor diesen wiederum lagen Sitzkissen, auf welchen man es sich bequem machen konnte. Zudem kam Luka nicht umhin, diesen köstlich duftenden Essensgeruch zu bemerken, der in der Luft hing. Wenn das Essen so gut schmeckte, wie es roch, würde er definitiv auf seine Kosten kommen. Jetzt merkte er endlich, wie viel Hunger hatte. Was kein Wunder war, denn er hatte schon eine ganze Weile nichts mehr gegessen. Selbst eine Schale Reis würde ihm reichen, solange er jetzt nur etwas zwischen die Zähne bekam. Luka trat an einen der Tische und ließ sich auf einem Sitzkissen nieder. Sein Katana legte er neben sich ab. Kaum hatte er das getan, schob schon jemand den Vorhang zur Seite, die den Gastraum zur Küche trennte und herein trat ein junges Mädchen, welches nicht älter als siebzehn oder achtzehn sein konnte. Auf ihren Händen balancierte sie geschickt ein Holztablett mit drei Schalen Reis, Ramen und etwas, das ganz nach Okonomiyaki aussah. Allein bei dem Anblick lief ihm schon das Wasser im Mund zusammen.
 »Ich komme gleich zu Euch«, sagte sie, bevor sie an einen anderen Tisch ging, um die Speisen abzustellen.


 Luka nickte. Er hatte heute ohnehin nichts mehr vor als jetzt etwas zu essen und dann zu schlafen. Endlich wieder auf einem Futon. Das letzte Mal, dass er das tat, war gefühlt schon eine Ewigkeit her. Auch wenn es genau genommen nur zehn Tage waren. Doch diese kamen ihm eher wie Jahre vor. Was besonders daran lag dass ...
 »So, da bin ich. Entschuldigt bitte, dass Ihr kurz warten musstet«, riss das Mädchen ihn aus seinen Gedanken, bevor diese vollends abdriften konnte. »Was kann ich für Euch tun?«
 »Also erstmal würde ich gerne etwas essen«, antwortete Luka. »Und außerdem-« Weiter kam er nicht.
 »Ist das etwa ein echtes  Dōtanuki, welches Ihr habt?«, fiel sie ihm nämlich ins Wort, als sie sein Katana bemerkte. »Ich habe noch nie eines gesehen, aber das ist es, oder? Es ist wunderschön!«
Luka blinzelte irritiert ob ihres begeisterten Ausbruchs, mit dem er nicht gerechnet hatte. Ebenso wie es ihn überraschte, dass sie sich mit Schwertern auskannte. Dann nickte er. »So ist es.«
 »Das erscheint Euch wahrscheinlich seltsam aber: Darf ich es mal halten?«
 Luka runzelte die Stirn. »Es ist aber schwer.«
 »Ihr müsst Euch keine Sorgen um mich machen«, sagte sie und lächelte.
 »Mache ich nicht.« Luka seufzte, dann reichte er es ihr.
 Sie nahm es mit einer Verbeugung an, wog es kurz in der Hand und zog es mit einer eleganten und geübten Bewegung aus der Scheide. Nur um es dann mit Bewunderung zu betrachten. »Wirklich schön«, sagte sie noch einmal.
 Luka war verwirrt. So wie sie mit dem Dōtanuki umging, erschien es ihm, als hätte sie nicht zum ersten Mal ein Katana in der Hand. Aber das machte keinen Sinn. Denn Samurai waren die einzigen, welche diese benutzten. Wie sollte ein Mädchen aus einem kleinen Dorf den Umgang damit gelernt haben? Vielleicht war sie einfach nur geschickt.
 »Es ist gar nicht so schwer wie ich dachte«, meinte sie in diesem Moment. »Trotzdem aber mehr als ein gewöhnliches Katana.«
 »Tsukiko!«
 Das Mädchen zuckte von dem Ruf überrascht zusammen, ebenso wie Luka, und murmelte einen leisen Fluch. Dann drehte sie sich um, zu dem Mann, der mit deutlich verärgerter Miene zu ihr trat. »Vater.«
 »Tsukiko, ich habe dir schon mindestens hundertmal gesagt, dass du unsere Gäste nicht belästigen sollst«, tadelte er sie. Doch der Blick, mit dem er sie anblickte, schien deutlich mehr zu sagen als das.
 »Verzeihung.« Tsukiko schob das Katana zurück in das Saya, die Schwertscheide, und reichte es mit einer Verbeugung Luka.
 Der nahm es ebenfalls mit einer Verbeugung an und legte es dann wieder neben sich. »Ich würde jetzt gerne etwas zu essen bestellen. Und danach wäre es großartig, wenn ich hier eine Unterkunft für ein paar Tage erhalten könnte.«
 »Oh, natürlich.« Tsukiko nickte. »Es tut mir Leid. Mit mir ist es vorhin einfach kurz durchgegangen. Ich wollte Euch gegenüber  keinesfalls respektlos oder aufdringlich sein.«
 »Schon gut.« Luka winkte ab. »Ich würde jetzt einfach nur gern was essen.«
 »Meine Tochter wird sofort Eure Bestellung aufnehmen, Herr«, meldete sich Tsukikos Vater zu Wort. »Ihr werdet sehen, dies ist das beste Gasthaus im ganzen Dorf!«
 »Logisch. Es ist ja auch das einzige«, hörte Luka Tsukiko leise vor sich hin murmeln und konnte sich nur gerade so noch ein Grinsen verbeißen.
 »Tsukiko! Mach endlich und lass den jungen Herrn nicht länger warten«, wies ihr Vater sie tadelnd an.
 Tsukiko seufzte. »Also was darf ich Euch bringen?«, wollte sie von Luka wissen. 

Kapitel 2

Luka lächelte. Er sollte Recht behalten. Das Essen hier, war so gut, wie der Geruch es versprach. Zudem wurde es schnell gebracht und nun saß er vor einer großen köstlich duftenden Schale von Udon Nudeln. Schon vorhin als er den ersten Löffel probierte, war er sich vorgekommen, als sei er im Himmel. Es gab doch wirklich nur wenig Besseres als eine hervorragend zubereitete Nudelsuppe. Und dazu etwas Fleisch und Gemüse. Die einfachen Gerichte waren eben doch immer die besten. Nach diesem großartigen Essen würde er nachher sicher gut schlafen können. Und das hatte er sich verdient, besonders wenn er an das dachte, was in den letzten Tagen alles passierte.
»Schmeckt es euch?«, wollte Tsukiko wissen, die, ohne dass er es bemerkte, zu ihm getreten war.
 »Ja.« Luka nickte.
 »Das ist schön.« Für einen Moment sah sie aus, als wolle sie etwas sagen, doch stattdessen drehte sie sich um und ging zurück.
Luka runzelte die Stirn. Dieses Mädchen war schon seltsam. Wenn sie etwas wollte, sollte sie es ihm sagen. Es für sich zu behalten brachte schließlich keinen weiter. »Wie auch immer«, murmelte er und machte sich daran den Rest seiner Nudelsuppe zu essen.

»Verzeiht, Herr«, riss Tsukiko Luka, nachdem er sein Essen beendet hatte, erneut aus seinen Gedanken. »Aber ihr müsst Euch, wenn Ihr bei uns übernachten möchtet, noch eintragen.«
»In Ordnung.« Er nahm sein Katana und stand elegant von seinem Platz auf und folgte ihr zu dem Tresen. Dort lag eine zusammengerollte Schriftrolle. Daneben stand ein Federkiel und Tintenfass, welche Tsukiko vorhin vermutlich bereitgelegt hatte.
»Bitte tragt dort euren Namen ein«, bat sie ihn. »Und für wie lange möchtet ihr hier bei uns übernachten?«
»Vorerst nur ein paar Tage«, antwortete Luka.
Tsukiko nickte und notierte drei Tage. Dann reichte sie Luka den Federkiel.
Dieser nahm ihn an und schrieb in fein säuberlicher Schrift seinen Namen auf die Pergamentrolle.
»Also dann, herzlich willkommen Hikari-san«, meinte Tsukiko, als sie den Namen las.
Luka seufzte. »Mein Name ist nicht Hikari.«
 »Aber da steht doch-«
»Ich heiße Luka«, fiel er ihr ungeduldig ins Wort. »Das bedeutet Licht, deshalb wird wird das Kanji Hikari benutzt.«
»Einfach nur Luka?«, erkundigte Tsukiko sich und klang eindeutig verwirrt. »Und wie ist Euer Familienname?«
Luka zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Familie.« Er hoffte sehr, dass sie nicht weiterfragen würde.
»Hat nicht jeder eine Familie?« Natürlich fragte Tsukiko weiter. »Und seid ihr nicht ein Samurai? Oder irre ich mich und ihr habt das Katana gestohlen?«
»Ich habe das Dōtanuki in allen Ehren von meinem Meister erhalten«, sagte er und wollte damit jetzt endgültig das Thema abschließen. Was ging es sie schon an, wer er war? Nichts.


***


Tsukiko konnte nicht anders als Hikari, nein Luka, mit großen Augen anzusehen. Sie war fest davon ausgegangen, dass er zu den Samurai gehörte. Denn so weit sie wusste, war es niemand sonst erlaubt, Schwerter wie seines zu tragen. Allen anderen würden dazu wahrscheinlich auch gar nicht fähig sein.  Abgesehen von so Leuten wie ihr, nämlich Ninjas. Obwohl diese normal eher Dolche und Wurfsterne anstatt von Katana. Weil diese vor allem viel einfacher zu transportieren waren. Außerdem trug er vorhin, wenn sie sich recht erinnerte, sein Katana nicht an der Seite, wie es der Brauch war, sondern auf den Rücken geschnallt. Das war etwas, was sie noch bei niemand zuvor gesehen hatte. Jedenfalls nicht bei einem Samurai. Wenn sie seinen Worten trauen durfte, war er das gar nicht. Die Frage war nur: Was war er dann?
Ganz bestimmt aber kein Einsiedler oder irgendein mittelloser Wanderer. Das konnte und wollte sie nicht glauben. Auch wenn es vermutlich unhöflich war, so nahm sie sich dennoch die Zeit ihn näher zu mustern.

Lukas Haar war schwarz und fiel ihm ein wenig zerzaust, was ihn gleichzeitig verwegen aussehen ließ, ins Gesicht. Auch dass er sie mit einer kleinen Klammer an der rechten Seite zusammengesteckt hatte, änderte nicht viel daran. Seine Augen, die sie verhalten ansahen, waren kohakushokuno – bernsteinfarben. Nie zuvor, war Tsukiko jemanden mit einer derartigen Augenfarbe begegnet. Zudem schien ihr, als wäre da etwas, dass Luka umgab, was, so absurd es klingen mochte, nicht von der dieser Welt war.
»Würdest du bitte aufhören mich anzusehen, als sei ich ein exotisches Tier?«
Tsukiko zuckte zusammen. »Oh«, entfuhr es ihr und konnte quasi fühlen, wie knallrot ihr Gesicht vor Verlegenheit anlief. »Verzeihung.«
 »Ich bin es inzwischen gewohnt.« Es klang mehr resigniert als verärgert. »Was aber nicht heißt, dass es mir gefällt.«
»Ich wollte Euch nicht anstarren Luka-san. Es ist nur ... Ich bin noch nie jemanden wie Euch begegnet«, sagte Tsukiko wahrheitsgemäß.
 Er seufzte. »Glaub mir, dass höre ich nicht zum ersten Mal. Aber es gibt Dinge, die kann man nicht ändern.«
»Was meint Ihr damit?« Tsukiko verstand kein Wort, von dem, was er sagte.
»Nicht wichtig.« Er schüttelte den Kopf. »Jetzt zeige mir bitte endlich mein Zimmer. Ich bin müde.«


***


Obwohl Luka, genau wie er es Tsukiko sagte, müde war, lag er doch eine ganze Weile wach. Zu viel Sorgen zogen wie ein Wespenschwarm durch seine Gedanken. Was zum Beispiel war aus Kuroha geworden? Er hatte sie schon seit Tagen nicht mehr gesehen. Dabei hielt sie sich sonst immer in seiner Nähe auf. Doch war inzwischen fast eine Woche vergangen, seit sie sich zuletzt bei ihm blicken ließ. Andererseits, vielleicht war es gut, dass sie ihn nicht begleitete. Wäre das der Fall, hätte Tsukiko ihn sicher noch seltsamer gefunden, als ohnehin schon. Denn ohne Zweifel hatte sie hier in dem kleinen Dorf nie jemand gesehen, der mit einem Baumfalken reiste. Davon abgesehen war Kuroha auch nicht sein Haustier. Sondern vielmehr seine Begleiterin. Sie war eines Tages einfach da gewesen und von da an leistete sie ihm Gesellschaft. Zwischendurch ging sie ihrer Wege, wie jetzt zum Beispiel. Doch sie kehrte immer wieder zurück. Dass sie so lange fort blieb, konnte nichts Gutes bedeuten. Zudem genoss es Luka sie bei sich zu haben. Sie redete einem nicht mit unnötigen Nichtigkeiten das Ohr ab. Sie gab nie dumme Kommentare, wenn mal etwas schief lief. Und da Luka selbst niemand war der, gerne geschweige den viel sprach, waren sie für einander wie geschaffen. Den Namen Kuroha hatte er ihr gegeben. Eine passende Bezeichnung, wie er fand, denn die Kanji von Kuro standen für die Farbe schwarz und die von Ha für das Wort Feder. Und genau solche hatte sie. Schwarz wie die Nacht. Was sie quasi zu seinem Gegenpol machte. Denn immerhin schrieb Luka sich mit den Kanji Hikari, was für Licht stand. Dennoch waren sie beide Freunde. Zumindest soweit man mit einem Vogel befreundet sein konnte.
»Es gibt keinen Grund sich Sorgen zu machen. Sie wird mich finden«, flüsterte Luka in die Dunkelheit und löschte die Kerze, die neben seinem Futon stand. 

Kapitel 3

»Tsukiko, was sollte das vorhin? Kannst du mir das bitte mal erklären?« Natürlich war es ihr Vater, der sie zur Rede stellte, nachdem für diese Nacht das Gasthaus endlich schloss.
»Es tut mir leid.« Tsukiko biss sich auf ihre Unterlippe. »Mit mir ist es durchgegangen. Es kommt nicht wieder vor.«
»Das will ich doch hoffen. Dir ist hoffentlich klar, dass du sonst riskierst, dass wir alle auffliegen. Du weißt selbst was das bedeutet. Ganz besonders jetzt.«
»Natürlich.« Sie seufzte. »Ich verspreche mir wird so etwas nicht noch einmal passieren.« Tsukiko verneigte sich kurz vor ihrem Vater.
»Sehr schön.« Er schenkte ihr ein Lächeln. »Jetzt mach dich auf den Weg. Berichte mir morgen beim Frühstück was passiert ist.«
»Ja.« Tsukiko nickte. »Selbstverständlich. Bis morgen.«

Nachdem sie sich umgezogen hatte und dann wie eine Katze aus der Hintertür huschte, war das Erste, was sie tat auf das Dach zu klettern. Sie mochte hohe Plätze wie diese. Man konnte von oben alles überblicken, was geschah, ohne selbst dabei gesehen zu werden. Denn kaum einer sah ohne einen Grund dafür zu haben hinauf auf die Dächer. Zu sehr waren alle mit sich selbst oder ihrem Tagwerk beschäftigt. In der Nacht, wie jetzt, befanden sich zudem die meisten Menschen in ihren Betten. Zumindest jene, die nichts im Schilde führten.
»Ich habe mir schon gedacht, dass du hier sein wirst«, riss auf einmal eine Stimme sie aus ihren Gedanken.
Blitzschnell wirbelte Tsukiko herum, während ihre Hand zu einem der Dolche in ihrem Stiefel glitt. Wenige Momente später erkannte sie jedoch, dass ihr keinerlei Gefahr drohte.
»Bist du wahnsinnig? Irgendwann schneide ich dir noch die Kehle auf, wenn du dich jedes Mal so an mich heran schleichst«, keifte sie ihren Gegenüber an.
Der aber lachte nur. Was sich in der Nacht unnatürlich laut anhörte. »Das glaubst du doch nicht wirklich?«
»Was suchst du überhaupt hier?«, erkundigte Tsukiko sich, ohne sich die Mühe zu machen auf seine Frage zu antworten. »Mein Vater hat dich mir wohl kaum hinterher geschickt.«
»Stimmt«, sagte Ryuji, denn niemand anderes als ihr Kindheitsfreund war es. »Aber allein ist es doch oft langweilig. Also dachte ich, ich sehe mal nach dir.«
»Nachdem du das getan hast, kannst du jetzt ja wieder gehen. Ich komme besser alleine klar«, entgegnete sie spitz. Auch wenn sie wusste, dass das nicht gerecht war. Denn Ryuji gehörte zu denselben Ninja, welchen sie angehörte. Zudem war er, auch wenn sie es ungern zugab, talentiert.
»Also? An was für einem Auftrag bist du heute? Irgendwas spannendes?«, erkundigte Ryuji sich bei ihr.
»Nein. Nichts besonderes. Nur mein üblicher Kontrollgang. Mein letzter Auftrag wurde mir unter der Nase weggeschnappt.« Sie seufzte, als sie daran dachte, was wenige Nächte zuvor passierte.
»Oh, das ist eine Überraschung. Ein anderer Ninja?«, wollte Ryuji wissen und trotz der Dunkelheit konnte Tsukiko gut sehen, wie sich seine Augenbrauen nachdenklich zusammen zogen.
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall.« Sie wollte etwas hinzufügen, ließ es jedoch sein. Denn am Rande der Straße rührte sich irgendetwas.
»Was ...?« Weiter kam Ryuji nicht, dem ihre plötzliche Anspannung nicht entging.
»Still!«, zischte Tsukiko ihm zu. »Da vorne ist etwas«, ergänzte sie im Flüsterton. Wieder glitt ihre Hand an ihren Stiefel, um diesmal wirklich ihren Dolch zu ziehen. Damit kletterte sie das Dach hinunter.

Wieder unten auf dem Boden angekommen, sah Tsukiko sich um. Auf den ersten Blick war niemand hier zu entdecken. Doch sie wusste, dass sie sich nicht darauf verlassen durfte. Denn wenn sie sich in einem sicher war, dann darin, dass sie ihren Sinnen vertrauen konnte. Also blieb sie weiterhin aufmerksam. Ihr Bewusstsein bis aufs äußerste gespannt. Sie konnte sich auch nicht genau erklären warum, doch ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf einen der kleinen Rosenbüsche, welche am Wegrand standen. Den Dolch immer noch in der rechten Hand, trat sie zu den Büschen und schob ihn vorsichtig zur Seite. Was zum Glück mit ihren Handschuhen kein Problem war.
Das, was ihr als erstes auffiel war das Pferd, welches sich mit den Zügeln in den Dornen verfangen hatte. Ohne viel zu überlegen, griff Tsukiko nach ihnen und befreite sie. Dann redete sie beruhigend auf das Tier ein und führte es zurück auf den Weg.
»Warte kurz hier«, wisperte Tsukiko ihm zu. »Ich sehe mal nach, wo dein Herr ist.«
Die einzige Entgegnung, die sie daraufhin erhielt, war ein Schnauben. Doch das reichte ihr schon. Mehr konnte sie nicht erwarten.
»Also... Wo bist du?«, flüsterte sie, nachdem sie erneut hinter den Rosenbusch trat. Sie bückte sich, um nach Fußspuren zu suchen. Was bei Nacht, sogar im Schein des Vollmonds nicht leicht war.
»Kunoichi«, hörte sie plötzlich jemanden murmeln.
Zuerst glaubte sie, es sei, Ryuji. Doch der nannte sie nur so, wenn er sie ärgern wollte. Abgesehen davon, klang seine Stimme auch nicht so tief und keuchend. Tsukiko blickte sich um, die Richtung suchend, aus der die Stimme kam.
»Kunoichi«, erklang die Stimme erneut, diesmal deutlich brüchiger. »Hilf mir.«
Tsukiko sah sich um. Dann entdeckte sie eine Gestalt, die hinten an einem der Bäume lehnte. Bevor sie zu ihr trat, zog sie ihren Schal noch einmal etwas tiefer ins Gesicht. Als sie bei dem Mann an kam, der dort lag musste sie kurz schaudern. Er war von oben bis unten Wunden übersät. Verwundungen, die sich nicht einfach mal eben heilen ließen. Anscheinend hatte er erst vor kurzem einen schlimmen Kampf gehabt und es nur mit Mühe hierhin geschafft. Und ob er es überlebte, war nicht abzusehen. Selbst wenn sie ihn ins Gasthaus brachte, bestand immer noch die Möglichkeit dass-
»Du musst mir helfen ... Kunoichi«, seine Stimme klang fordernd, doch auch dieses Mal wieder brüchiger. »Greif bitte ... In meine Manteltasche«, forderte er sie auf.
Tsukiko zögerte einen Moment. Dann aber gab sie sich einen Ruck. Kurz darauf hielt sie einen Brief in der Hand.
»Such für mich Hikari. Ich habe gehört dass er hier in der Nähe sein soll. Gib es ihm. Er wird wissen, was zu tun ist.« Die eine Hand des Mannes klammerte sich mit aller Kraft um die ihre. »Schwör es mir!«
»Ich schwöre es Euch«, sagte Tsukiko. Jedoch mehr aus Reflex.
»Dann ist alles gut«, war das Letzte, was er sagte, bevor ihn seine Kraft verließ und er starb.
Tsukiko seufzte. Schwüre waren bindend. Gerade von Leute wie ihr, wurde es verlangt, sie zu erfüllen, denn schließlich gehörte das zu der Arbeit, die sie tat. Klar, keiner würde davon erfahren, wenn sie es geheim hielt. Doch sie kannte sich gut genug, dass sie wusste, dass all das hier ihr dann keine Ruhe lassen würde. Was hatte sie sich da nur wieder für Ärger eingehandelt?

Kapitel 4

 »Du willst ihn doch nicht etwa einfach  so hier liegen lassen?«, erkundigte Ryuji sich bei ihr, nachdem er endlich bei ihr ankam, als hätte sie den Verstand verloren. »Das wird nur für unnötigen Aufruhr sorgen.«
Tsukiko verschränkte die Arme vor der Brust. »Was soll ich denn tun? Ihn wiederbeleben kann ich nicht. Und weit weg bringen auch nicht. Immerhin geht bald wieder die Sonne auf.«
»Dein Vater wird alles andere als begeistert sein«, prophezeite er ihr.
»Ich weiß.« Tsukiko seufzte. »Aber darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Wenn ich nur wenigstens wüsste wie unser Freund hier heißt ...« Fahrig tastete sie die Kleidung des Toten ab. Dann entdeckte sie etwas. Und zwar ein Zeichen, dass ihr sämtliches Blut in ihren Adern zum Erfrieren brachte und nur wieder deutlich machte, dass sie bis zum Hals in Schwierigkeiten steckte. Dort auf seiner Jacke waren sie aufgestickt: Drei Malvenblätter in einem Kreis. Das Kamon, Familienwappen, von keiner anderen Familie als die des berühmten Tokugawa-Clans.
Ohne ein weiteres Mal nachzudenken, griff Tsukiko danach und riss es ihm mit einem Ruck von der Jacke ab. Ryuji hatte Recht. Wenn sie ihn hier liegen ließ, würde es genug Ärger geben. Doch sollte heraus kommen, dass es sich um einen Angestellten der Tokugawa handelte, was auch immer er für ein Amt innehaben mochte, würde der Ärger und all die Probleme ein ungeahntes Maß annehmen.
 »Ich werde langsam nochmal zurück gehen«, teilte sie Ryuji dann mit. »Mein Vater wird wissen wollen, was hier passiert ist. Außerdem geht bald die Sonne auf. Und ein wenig Schlaf will ich noch bekommen. Immerhin haben wir auch einen Gast.«
»Echt jetzt?« Ryuji sah sie mit großen Augen an. »Jemanden den ich kenne?«
 »Nein.« Tsukiko schüttelte den Kopf. »Er nennt sich Luka und ist heute Abend kurz vor Sonnenuntergang bei eingetroffen. Aber von wo er genau kommt, weiß ich nicht.«
»Luka? Ein ungewöhnlicher Name.« Ryuji runzelte die Stirn. »Ist er ein Samurai?«
Tsukiko zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Ein Katana besitzt er auf jeden Fall.« Sie seufzte. »Aber irgendwas ist seltsam an ihm.«
»Das hört sich nicht gut an«, meinte Ryuji. »Soll ich doch mit zu euch? Was wenn er etwas im Schilde führt?«
Tsukiko winkte ab. »Nein. Das denke ich nicht. Er wirkt auf mich als würde er sich lieber nicht um die Angelegenheiten anderer kümmern wollen, sondern nur um sich selbst.« Sie dachte an Luka. Er war ihr so vorgekommen, als ob er nichts weiter wie in Ruhe gelassen werden wollte. Auch gesprochen hatte er nicht viel. Sondern lediglich das Nötigste. Doch wie ein Plünderer oder ähnliches zwielichtiges Gesindel war er ihr nicht erschienen. Sie musste sich eingestehen, dass sie das nur noch neugieriger machte.

»Du hast dir den Brief wirklich nicht schon durchgelesen?«, erkundigte sich ihr Vater am nächsten Morgen bei Tsukiko.
»Selbstverständlich nicht. Es gibt immerhin so etwas wie ein Briefgeheimnis«, erinnerte diese ihn. »Außerdem war es schließlich ein Auftrag und-« Weiter kam sie nicht.
 »In diesem Fall hättest du eine Ausnahme machen können«, meinte ihr Vater. »Immerhin ist das hier eine ernste Angelegenheit. Und es geht uns durchaus etwas an, wer dieser Mann genau war.«
Tsukiko seufzte. »Ich weiß nicht. Irgendwas ist seltsam.«
»Gerade dann, hättest du den Brief auf jeden Fall öffnen sollen. Immerhin verdienen wir zu wissen, worum es bei dieser ganzen Sache geht. Ansonsten-« Ihr Vater hielt inne, als die die Tür zur Gaststube aufging.
Auch Tsukiko blickte nun auf. Nun sah sie auch den Mann, der eintrat.

Sie schätzte ihn auf etwa Mitte bis Ende zwanzig Jahren. Er trug einen dunkelblau gefärbten Reisekimono aus einfachem Leinenstoff, an seiner Hüfte hingen ein Tachi und Wakizashi Katana, was ihn ohne Missverständnis als Samurai auswies. Seine dunkelbraunen und zerzausten Haare hingen ihm in die Stirn. Als er Tsukiko entdeckte, lächelte er.
 »Guten Morgen, junge Dame«, begrüßte er sie und verneigte sich kurz vor ihr. »Mein Name ist Yamagawa Taro und ich hätte da ein paar Fragen, wenn es gestattet ist.«
 Tsukiko blinzelte irritiert.
»Du brauchst auch wirklich keine Angst vor mir zu haben«, versicherte er ihr freundlich, in einem beinahe sanften Ton.
»Was gibt es denn?«, erkundigte Tsukiko sich, obwohl sie schon die Antwort zu kennen glaubte.
»Ich bin gerade auf Durchreise und ...« Er unterbrach sich. »Wie heißt du eigentlich?«
Tsukiko konnte fühlen, wie ihr Gesicht vor lauter Verlegenheit rot anlief. »Mein Name ist Tsukiko.«
»Schön dich kennenzulernen, Tsukiko-chan«, erneut verbeugte Taro sich vor ihr. »Ich bin ganz in der Nähe von eurem Gasthaus über einen toten Samurai gestoßen. Er kann noch nicht viele Stunden tot sein. Weißt du vielleicht etwas darüber?«
Also hatte ich doch Recht, schoss es ihr durch den Kopf. »Nein«, sagte Tsukiko und hoffte, dass er es damit bewenden ließ.
»Sicher?«, hakte Taro nach. »Dir ist sicher klarn, dass es ein schweres Verbrechen ist, jemanden zu töten. Vor allem dann wenn es sich um einen Samurai oder Daimyo handelt. Oder womöglich noch höher rangige Person.« Er blickte sich um. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier viel unbemerkt bleibt.«
»Trotzdem, es ist alles andere als unhöflich, wie Ihr mit Tsukiko-san sprecht«, erklang auf einmal eine verärgerte Stimme. »Wenn Ihr nichts anderes zu sagen habt, könnt Ihr wieder gehen.«
Tsukiko wirbelte herum. Nicht weit hinter ihr stand Luka.
»Wer seid Ihr, dass Ihr denkt, dass Euch das etwas angeht?«, wollte Taro, nicht mehr ganz so höflich wissen.
»Mein Name ist Luka«, stellte dieser sich vor. »Auch wenn Ihr es mir nicht glauben werdet: Ich bin um einige Ränge höher als Ihr.« Seine Stimme klang eisig. »Und ich sage Euch, lasst Tsukiko-san in Ruhe. Ansonsten werdet Ihr es noch bereuen. Das kann ich euch versichern.«
»Wollt Ihr mir drohen?« Taro blickte ihn herausfordernd an.
Luka schüttelte den Kopf. »Bis jetzt ist es lediglich eine Warnung. Was Ihr mit ihr macht, ist Eure Sache.«
Erst jetzt fiel Tsukiko auf, dass Luka wie am Tag zuvor, sein Katana auf dem Rücken trug. »Luka-san Ihr müsst wirklich nicht ...«
 »Ist schon gut. Mach dir keine Sorgen.« Luka lächelte ihr zu. »Es wird sich bestimmt alles klären.« Er sah hinüber zu Taro. »Nicht wahr, Yamagawa-san ?«

Kapitel 5

Um es kurz zu machen: Luka war unzufrieden. Eigentlich hatte er gehofft, dass er endlich mal ein wenig Ruhe finden und sich ausruhen konnte. Doch natürlich verfolgte ihn auch jetzt wieder Ärger auf Schritt und Tritt. Als ob er nicht längst genug davon hätte. Er hoffte wirklich, dass Yamagawa es nicht auf einen Kampf anlegen würde. Nicht weil er sich das nicht zutraute, sondern weil er heute eindeutig Besseres zu tun hatte, als so etwas Sinnloses zu tun. Doch er konnte auch nicht einfach darüber hinweg sehen, auf welche Art Yamagawa  Tsukiko ansprach. Das lag nicht nur daran, dass sie ein Mädchen war. Luka konnte es ganz allgemein nicht leiden, wenn andere einen von oben herab behandelten. Egal ob es sich um ihn handelte oder nicht. Kein einziger Mensch verdiente, dass man mit ihm umging, als wäre er nichts wert. Besonders diejenigen nicht, die sich nicht wehren konnten, gegen solch eine Ungerechtigkeit.
 »Tsukiko-san?« Er lächelte ihr noch einmal kurz zu. »Ich glaube es ist langsam Zeit fürs Frühstück, oder nicht?«
 Tsukiko sah ihn mit solch großen Augen, dass es ihn fast zum Lachen brachte. Dann blinzelte sie irritiert. »Oh. Ja, Ihr habt Recht Luka-san. Verzeiht bitte.«
 »Hey!«, rief Yamagawa empört. »Ihr könnt doch nicht einfach ...« Für einen Moment funkelte er Luka böse an. »Interessiert Euch denn gar nicht, was mit diesem Mann draußen geschehen ist? Und wer dafür verantwortlich ist?«
 »Nun«, setzte Luka an und erwiderte dessen Blick ungerührt. »Um wen es sich handelt, der diese Tat begangen wisst Ihr wohl auch nicht, nehme ich an. Ansonsten wäret Ihr nicht dermaßen anstandslos hier herein gestürmt, richtig?«
 »Was hätte ich denn sonst machen sollen?«, erkundigte Yamagawa sich bei Luka. »Einfach sagen: Verzeiht bitte, aber da vorne liegt ein toter Samurai. Könntet Ihr mir vielleicht freundlicherweise mitteilen, ob Ihr etwas gesehen habt?« Es klang sarkastisch.
 Luka schnaubte. »Wäre ein Anfang.«
 »Luka-san«, hörte dieser Tsukiko in diesem Moment neben sich sagen. »Bitte, Ihr müsst Euch nicht um mich sorgen. Es ist schon in Ordnung.«
 »Mach ich nicht«, entgegnete Luka. »Es gibt aber schließlich ein Mindestmaß an Manieren, über welches jeder verfügen sollte. Ich kann es nicht leiden, wenn Leute mit anderen reden als seien sie etwas besseres.«
 Tsukiko sah ihn überrascht an.

 

Vermutlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass er ihr eine solch ausführliche Antwort gab. Bisher hatte er sich mit Worten eher zurückgehalten.
»Ich denke, ich sollte mich wirklich mal um das Frühstück für Euch kümmern«, meinte Tsukiko, sehr zu seiner Erleichterung. Einen Augenblick sah sie aus, als wolle sie etwas sagen, ließ es dann aber bleiben.
Und er selbst sah keinen Grund, sie danach zu fragen. Wenn sie etwas von ihm wollte, konnte sie es tun. Er würde sich ansonsten nicht weiter in ihre Angelegenheiten einmischen. Luka drehte sich um, ließ Yamagawa stehen und setzte sich an den Tisch, an welchem er am vorherigen Tag Platz genommen hatte. Dann sah er sich um.

Im Gegensatz zu letztem Abend befanden sich abgesehen von Yamagawa, Tsukiko, und natürlich deren Vater und ihm keinerlei Gäste hier im Raum. Kein Wunder, denn vermutlich gingen all die anderen Menschen hier im Dorf hier ihrem Tagwerk nach. Was ihn daran erinnerte, dass er sich auch nach Arbeit umsehen musste, um wieder etwas Geld zu verdienen. Vor allem dann, wenn er länger hierbleiben wollte. Wobei, von wollen konnte nicht unbedingt die Rede sein. Immerhin war er aus einem ganz bestimmten Grund hier.  Ganz besonders, wenn sich bewahrheitete, was er schon seit längerem befürchtete. In diesem Fall wäre es wohl doch besser, mal nach jenem toten Samurai zu sehen. Vielleicht machte es ihn ein wenig schlauer, als er es jetzt war. Schaden konnte es jedenfalls nicht.
 »Ihr seid wohl nicht gerade der redseligste, was?«
 Luka sah auf. Yamagawa hatte sich ihm gegenüber gesetzt. Na toll. Hoffentlich fragte der ihn jetzt nicht aus. Darauf hatte er nämlich wirklich so gar keine Lust.
 »Also gut ...« Luka hörte ihn seufzen. »Ihr seid also auch ein Samurai?«
 »Nein. Bin ich nicht.«
 »Aber ihr tragt doch ein Katana. Und es ist allen anderen bei Strafe verboten das zu tun.«
 »Mir ist es erlaubt. Das könnt Ihr mir ruhig glauben.« Nun war es Luka, welcher seufzte.
 »Außerdem sagtet Ihr, dass Ihr im Rang über mir steht«, fuhr sein Gegenüber fort. »Verzeiht, aber das kann ich kaum glauben.«
 Also gehörte er anscheinend zu einer der Daimyo-Familien. Vielleicht sogar zu einer, die Einfluss und wichtige Kontakte in Edo besaß.
 »Andererseits ... Tsukiko-chan schien vorhin auch nichts mit meinem Namen anfangen zu können und-«
 Luka funkelte ihn wütend an. »So mächtig Eure Familie auch sein mag. Manieren haben Euch Eure Eltern nicht beigebracht, wie?«
 »Es stört Euch wenn ich sie Tsukiko-chan nenne?«, erkundigte Yamagawa sich. »Was seid Ihr? Ihr Freund? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.«
 »Bin ich auch nicht«, stellte Luka ohne jegliches Zögern klar. Dennoch: Er konnte fühlen, wie sein Herz vor Aufregung etwas schneller zu schlagen begann, bei dem Gedanken, dass sie ihn gehört haben könnte. Besonder als er bemerkte, dass Tsukiko an den Tisch trat, um ihm sein Frühstück zu bringen. Gebratenes Gemüse mit Reis. Es duftete köstlich.
 »Genau das habe ich mir gedacht«, entgegnete Yamagawa und grinste ihn an.
 »Was habt Ihr Euch gedacht, Taro-san?«, erkundigte Tsukiko sich bei ihm, nachdem sie das Essen auf den Tisch stellte. »Oh... Oder sollte ich Euch vielleicht besser mit Eurem Familiennamen ansprechen?«
 »Du darfst mich nennen wie du willst«, bekam sie prompt zur Antwort.
 Luka schnaubte. Wie sich das alles zwischen den beiden hier zu entwickeln begann, gefiel ihm so gar nicht. Seiner Meinung nach verhielt Tsukiko sich viel zu naiv. Andererseits auch er kannte sie erst seit noch nicht einmal einem ganzen Tag. Doch trotzdem. Er war schließlich kein ...
 »Schmeckt es Euch Luka-san?«, riss Tsukiko ihn in diesem Moment aus seinen Gedanken. »Es tut mir leid, dass wir heute früh nicht mehr für Euch haben. Das meiste haben wir gestern verbraucht, als so viele Gäste da waren. Nachher gehe ich aber nochmal auf dem Markt einkaufen.«
 »Ich werde Euch begleiten«, beschloss Luka und legte seine Stäbchen zur Seite. Es war eine gute Idee, wie er fand. So konnte er sich auch unauffällig im Dorf umsehen, ohne verdächtig zu wirken und ...
  »Sehr verdächtig«, sagte Yamagawa in diesem Moment. »Ich denke, da ist es gleich am besten wenn ich mich euch beiden anschließe.« Er blickte Luka herausfordernd an. »Oder habt Ihr etwas dagegen?«
 Luka fiel gleich eine ganze Menge ein, warum er lieber mit Tsukiko alleine sein wollte. Wie zum Beispiel, dass es so einfacher für ihn wäre mit ihr zu reden. Oder sie Dinge zu fragen, die er, wenn sie zu dritt waren, definitiv nicht an sie stellen würde. Nicht nur weil Yamagawa das nichts anging, sondern alleine schon aus Rücksichtnahme an sie. Abgesehen davon: Er hatte definitiv beschlossen sich schlau darüber zu machen über das, was hier los war. Doch insgesamt schien das, was er fürchtete, einzutreffen. Wie hatte er sich glauben machen können, dass er vor der eigenen Bestimmung weglaufen konnte? Niemand konnte das. Mit einem Mal fühlte sich sein Katana auf seinem Rücken noch einmal etwas schwerer an. Außerdem wäre es vermutlich sicher auch keine schlechte Idee, wenn er sich den toten Samurai mal näher ansehen würde. Zudem war er schließlich noch ein paar Tage hier. Was hieß, das sollte er heute keine ruhige Minute finden, um mit Tsukiko zu sprechen, er noch andere Gelegenheiten dazu hätte.

»Hallo? Luka-san? Hört Ihr mir eigentlich zu?« Yamagawa wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum. »Ich habe Euch nämlich etwas gefragt.«
 Luka gestattete sich ein kurzes Aufseufzen. »Von mir aus.«
 »Von mir aus – was?«, irritiert blickte Yamagawa ihn an.
 »Wenn Ihr darauf besteht könnt Ihr uns begleiten«, meinte Luka. »Aber nur wenn es auch für Tsukiko-san in Ordnung ist.«
 »Ja klar.« Diese nickte. »Es gibt immerhin auch einige Dinge, die ich von euch beiden wissen möchte.« 

Kapitel 6

 Was sie sagte, stimmte. Es gab so einiges was Tsukiko über Luka und Taro wissen wollte. Nur aus anderen Gründen, wie die beiden jungen Männer wahrscheinlich vermuteten. Immerhin wollte auch sie nur zu gerne wissen, was die beiden für Leute waren. Zumindest Taro schien keine Probleme damit zu haben, von sich und seiner Familie zu erzählen. Im Gegenteil. Schon jetzt, da sie noch nicht einmal ganze zehn Minuten unterwegs waren, redete er wie ein Wasserfall. Lukas Miene dagegen wurde mit jeder weiteren immer finsterer.
 »Meine Familie gehört also schon länger zu erfolgreichen Daimyo«, sagte Taro in diesem Moment. »Wir gehören nicht zu irgendwelchen dahergelaufenen Kriegerfürsten, die sich wer weiß wie ....«
»Also ich habe noch nie von dem Yamagawa Clan gehört«, sagte Luka. »Und ich bin schon oft in Kyoto gewesen.«
»Ihr könnt ja doch sprechen!«, rief Taro. »Ich habe schon fast gedacht Ihr seid taubstumm.«
Luka funkelte ihn an. »Dass ich nicht viel rede, heißt nich, dass ich nicht verstehe was um mich herum passiert.«
»Wie auch immer.« Taro winkte ab. »Was ist eigentlich Euer Beruf Luka-san? Ihr hattet ja gemeint, dass Ihr kein Samurai seid. Trotzdem aber höher im Rang steht, als ich. Was ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann.«
Genau das war etwas, worüber Tsukiko schon eine Weile nachdachte. Sie sah erwartungsvoll hinüber zu Luka.
Der war gerade stehengeblieben. Aufmerksam richteten sich seine Augen auf irgendeinen Punkt hinter ihnen. »Amanojaku ... Oder ist es vielleicht doch ein Enenra?«, murmelte er leise vor sich hin.


Tsukiko kannte beide. Bei dem Amanojaku handelte es sich um einen kleinen Dämon, der die Menschen dazu brachte, Böses zu tun. Enenra dagegen waren Monster aus Rauch. Sie blickte in die Richtung, in die Luka sah. Es war neblig. Allerdings war es auch noch recht früh am Morgen. Also war Nebel beim besten Willen nichts ungewöhnlich. Abgesehen davon: Monster, Geister und Dämonen gab es schließlich nur im Märchen.
»Hallo? Luka-san, ich habe Euch gerade etwas gefragt«, sagte Taro ungeduldig. »Habt Ihr mir überhaupt zugehört?«
 »Was?« Luka sah ihn mit einem Blick an, als sähe er ihn zum ersten Mal.
»Ich habe Euch gefragt, welch einen Rang Ihr innehabt«, erinnerte Taro ihn. »Ihr habt mir wirklich nicht zugehört, wie?«
»Ich blende Dinge die ich für unbedeutend erachte aus«, antwortete Luka und blickte noch einmal in dieselbe Richtung wie zuvor. »So kann ich besser den Überblick darüber behalten was wirklich wichtig ist.«
»Dinge, die unbedeutend sind ... Sagt mal, wollt Ihr mich beleidigen?« Taros Hand wanderte an den Tsuka, den Griff seines Katanas.
»Ihr seid wirklich viel zu laut«, meinte Luka, welchen diese Geste nicht im Mindesten zu beeindrucken schien. »Ich frage mich langsam wirklich ...«


Tsukiko konnte gerade noch so ein Grinsen unterdrücken. Ihr war schon aufgefallen, dass Luka eher zu den ruhigen Menschen gehörte. Das war nicht zu übersehen. Womit er Taro jeglichen Wind aus den Segeln nahm. Was ihr aber auch auffiel, war, dass Luka bisher nicht auf Taros Frage nach seinem Rang antwortete. Was sie sich nicht erklären konnte und sie nicht nur neugierig, sondern auch vorsichtig werden ließ. Warum sollte es ein Problem sein, dass er ihn verriet? War er ein verdeckter Ermittler? Aber das war Unsinn. Was sollte solch einer schon in ihrem Dorf wollen? Einem Dorf, in das sich sonst wirklich kaum jemand verirrte. Geschweige denn, von ihnen wusste. Genau aus diesem Grund waren ihre Eltern schließlich hierher gezogen. Weil es so abgeschieden von dem Rest der Zivilisation war und von allen anderen kaum beachtet. Und jetzt auf einmal gab es hier einen toten Samurai des Tokugawa-Clans. Nicht zu vergessen Luka, der sagte, dass er zwar kein Samurai war, aber trotzdem ein Katana tragen durfte. Was sich natürlich nur schwer überprüfen ließ. Dann auch noch Taro, der, wenn es stimmte, was er sagte, aus einem Daimyo-Clan stammte. Und dann war da immer noch dieser brutale Mord, auf den sie bei ihrem letzten Auftrag vor einigen Nächten stieß. Was war hier nur los?
»Ich dachte wirklich, dass unser kleiner Ausflug amüsanter sein würde«, wurde Tsukiko von Taro aus ihren Gedanken gerissen. »Aber anscheinend lag ich falsch.«
 »Mehr als Ihr ahnt«, meinte Luka in diesem Moment. Dann blickte er Tsukiko an. »Das erscheint dir jetzt vielleicht ein wenig seltsam, aber wir sollten wirklich weg von hier. Möglichst schnell sogar.« Seine Stimme klang drängend.
 »Was ist denn los?«, erkundigte sie sich.
 »Zum Glück noch nichts. Aber das könnte sich schnell ändern. Also bitte komm.« Jetzt lag sogar mehr Nachdruck in seiner Stimme als zuvor.
Tsukiko begann ernsthaft sich Sorgen zu machen. Was sie jedoch wieder ein wenig beruhigte, war, dass sie wenigstens einen Dolch in der Innentasche ihres Kimonos trug. Eine ihrer Angewohnheiten, falls, wie jetzt, doch etwas unerwartetes passierte. Zur Not konnte sie also ...
»Könnt Ihr uns nicht einfach sagen, was los ist?«, wollte nun Taro ungeduldig wissen. Auch er hatte jetzt die Hand auf den Schwertgriff gelegt und blickte sich aufmerksam um.


Tsukiko hingegen ärgerte sich darüber, dass sie zwar einen Dolch besaß, mit dem sie sich im Notfall schützen konnte. Wegen ihres Kimonos verfügte sie jedoch kaum über gute Möglichkeiten, sich schnell und geschickt zu bewegen, wie sie es sonst gewohnt war.
»Mach dir keine Sorgen. Wir werden dich beschützen«, sagte Luka, der ihr Schweigen falsch deutete. »Versuch einfach in Deckung und hinter uns zu bleiben.«
»Luka-san hat Recht«, pflichtete Taro ihm bei. »Das wird wahrscheinlich wirklich das beste sein.«
Das nächste, was Tsukiko hörte, war ein Fauchen, wie das einer wütenden Katze. Und zudem einer Großen. Einer, die sich ganz in der Nähe von ihnen befinden musste. Aufmerksam sah Tsukiko sich um. Dann schoss auch schon ein Wesen auf sie zu. Oder um genau zu sein, auf Luka, der nur unweit  von ihr entfernt stand.
 »Also doch«, hörte Tsukiko ihn sagen, bevor er in einer eleganten Bewegung sein Katana aus der Scheide zog und einen ersten Streich damit vollführte, was die Kreatur laut aufjaulen ließ.

»Schnell lauft!«, rief Luka kurz darauf und das musste er weder ihr noch Taro zweimal sagen.
















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Tag der Veröffentlichung: 27.08.2021

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