Cover

Vorbemerkung

Halloween

 

Das Fest der Geister und Dämonen, gleichzeitig auch die Nacht, in der die Toten auferstehen und sich unter uns begeben, war bisher immer ein Fest, für das ich mich nicht besonders interessiert habe. Oder eines, in dem ich irgendeinen Sinn gesehen habe. Denn was war Halloween schon anderes als eine Erfindung der amerikanischen Industrie um mit Kostümen von Hexen, Zauberern, Vampiren, Geistern und ähnlichen Wesen möglichst viel Geld zu verdienen? Doch dann kam das Jahr 2015 und brachte mich zum Umdenken. Denn in diesem Jahr brachte ich meine erste Kurzgeschichte „Geisterkuss an Halloween“ heraus. Und zwar mit den Federschwingern (damals noch Lyx Storyboard Autoren) in der Anthologie „Halloween Tales - we treat you read“. Eine Anthologie, die ich überdies nur jedem empfehlen kann. In diesem Moment fiel mir etwas auf, was mir längst hätte auffallen müssen und können: Halloween ist doch für etwas gut. Es ist wie geschaffen um sich Gruselgeschichten zu erzählen. Denn wie oft jammert man denn über diese „Glitzervampire“? Da hilft nur eines: Man nimmt es selbst in die Hand. Genau dazu habe ich mich hiermit entschlossen. Mit dieser kleinen Halloweengeschichtensammlung werde ich euch versuchen zum Schmunzeln, zum Gruseln und vielleicht sogar zum Fürchten zu bringen.

 

Happy Halloween!!!!

 

Eure

 

Lilian Dark

 

 

Auch zu finden bei:

https://www.facebook.com/Lilian.Dark.Autorin/

instagram.com/dark.lilian

liliandark.de

Wenn Fledermäuse unruhig flattern ...

 

Wenn Fledermäuse unruhig flattern,

Sargdeckel gespenstisch knattern,

Geister über ‘n Friedhof schleichen,

auferstehen blasse Leichen;

 

Wenn feuchtes Laub dämonisch knirscht,

der Totengräber lautlos pirscht,

Hexen mit dem Besen fliegen,

Vampire ihre Nahrung kriegen;

 

Wenn Menschenfressers Mägen knurren,

schwarze Katzen leise schnurren,

Wölfe heulen in der Nacht,

der Tod aus seinem Schlaf erwacht;

 

Wenn Skelette klapprig schreiten,

Kobolde auf Knochen reiten,

der Satan laut nach Gnade schreit,

dann ist Halloween nicht weit.

 

Lyrics by Norbert Van Tiggelen

Geisterkuss an Halloween

Es war spät am Abend, als Helena die alte, aber dennoch sehr beeindruckende Villa ihres Großvaters erreichte. Zehn Jahre war es her, seit sie das letzte Mal hier gewesen war. Nur in Bruchstücken konnte sie sich daran erinnern. Allerdings war sie damals auch erst sechs Jahre alt gewesen. Und jetzt stand sie also hier in der Auffahrt zu der Villa. Helena atmete tief durch. Normalerweise wäre sie im Stadthaus bei ihren Eltern. Normalerweise würde sie sich genau jetzt zu Bett begeben. Aber es war nichts mehr normal seit dem Unglück, nicht seit ihre Eltern bei dem Hausbrand gestorben waren. Nur dem Zufall war es zu verdanken, dass Helena dem Feuer entkommen war, denn zu diesem Zeitpunkt war sie bei einer Freundin und nicht zuhause gewesen. Helena seufzte, als sie daran dachte. Noch immer hatte sie nicht richtig realisiert, dass dies tatsächlich passiert war. Zu schnell war das alles gegangen. Sie konnte von Glück sagen, dass sie noch einen Großvater hatte, bei dem sie von nun an leben würde. So war sie zumindest nicht obdachlos. Abermals seufzte Helena, dann riss sie sich zusammen und ging die restlichen Meter zu dem Eingang der Villa.

Der Eingang, welcher aus zwei großen Flügeltüren bestand, war mindestens zwei Meter hoch und jeder einzelne Flügel genauso breit. An beiden Türen befanden sich zwei faustgroße und mattgoldene Knöpfe, um sie zu öffnen. Außerdem waren, ebenfalls an beiden Türen, zwei große Türklopfer in Form eines Pferdekopfs über den Türknöpfen angebracht. Helena runzelte die Stirn. An diese Türklopfer konnte sie sich gar nicht erinnern ... Sie atmete noch einmal tief durch und klopfte dann mit drei entschlossenen Schlägen an. Dann schlug sie dreimal gegen die Tür. Erst geschah nichts und einen Moment lang fragte sie sich, ob vielleicht niemand da war. Dann aber hörte sie jemanden von drinnen fluchen und fast im selben Moment öffnete sich die Tür.

Als Helena den alten Mann in der Tür sah, schrak sie zusammen. Er hatte dünne graue, zerzauste Haare. Außerdem hatte er einen Buckel. Unter seinen Augen waren große und dunkle Ringe zu erkennen. Das alles war jedoch nicht das, was ihr Angst einjagte. Das, was sie erschrecken ließ, war dieser Blick, mit dem er sie ansah. Stechend war dieser Blick, als würde er sie durchbohren wie ein Schwert, und zugleich prüfend, misstrauisch und genervt. Von Freundlichkeit war da keine Spur zu sehen.

»Hallo, ich bin Helena«, stellte Helena sich so freundlich wie möglich vor.
 »Kenn ich nicht«, entgegnete der Mann und wollte schon die Tür schließen, doch Helena war schneller. Rasch stellte sie den Koffer so hin, dass es für nicht machbar war, die Tür zuzumachen.
 »Ich werde erwartet«, sagte Helena und versuchte, so überzeugend wie möglich zu klingen.
 »Seine Lordschaft gibt keine Audienzen. Nie. Schon seit langem nicht mehr«, stellte der alte Mann klar.
 »Na toll, das kann ja heiter werden. So nett wurdest du schon wirklich lange nicht mehr empfangen«, dachte sie. Dann fiel ihr ein, wie er ihren Großvater genannt hatte. Seine Lordschaft. Es stimmte zwar, dass ihr Großvater dem alten Landadel angehörte, aber das wussten die meisten Bekannten und Freunde ihrer Familie schon nicht mehr. Denn ihr Großvater war ein Mensch, der irgendwann in der Zeit stehen geblieben war. So hatte es zumindest ihr Vater sehr oft ausgedrückt.
 »Glauben Sie mir, mich wird er empfangen«, so langsam machte ihre Angst Ärger Platz. Sie wollte noch etwas hinzufügen, doch gerade als sie fortfahren wollte ertönte eine weitere Stimme.
 »Was ist hier los?«, fragte jemand schlecht gelaunt. »Lena? Bist du das?«. Nun erklang die Stimme noch einmal.
Helena atmete erleichtert aus. »Ja Großvater, ich bin es, Helena«, rief sie.
 »Unsinn! Meine Enkelin ist nicht Helena. Die lebt doch schon seit Jahrhunderten nicht mehr. Ganz davon abgesehen: Selbst wenn sie es täte, würde ich sie niemals in mein Haus lassen - dieses verräterische Weibsstück!«, schimpfte ihr Großvater.
Helena konnte sich nur schwer zusammenreißen. Gerade als sie etwas entgegnen wollte, redete ihr Großvater auch schon weiter. »Ich habe sowieso nie verstanden, warum mein Sohn dich so genannt hat. Wahrscheinlich war er betrunken«, grummelte er vor sich hin. Allerdings schien er jetzt beinahe belustigt. Ihr war nur zu klar, von wem ihr Großvater gerade redete. Nämlich von der schönen Helena. Die Helena, die der Auslöser des großen Krieges und Untergangs von Troja war. Es stimmte also wohl tatsächlich. Ihr Großvater lebte in seinen Büchern. Zumindest kam es einem so vor. Aber mit dem Namen Lena konnte sie genauso gut leben. Immerhin war das ihr Kosename.

»Es ist schön, dich zu sehen, Kind«, hieß ihr Großvater sie schließlich willkommen. »Wenn auch die Umstände nicht besonders glücklich sind.« Helena nickte zögernd. Sie wusste nicht genau, was sie sagen sollte. Es war das erste Mal, dass sie allein hier war. Der Besuch mit ihren Eltern hier war ebenfalls schon einige Jahre her. Auch ihrem Großvater schienen für einige Momente die Worte zu fehlen. Was nur verständlich war, da ihr Vater, wie Helena wusste, sein einziger Sohn war. Was dies für ihn hieß, konnte sie sich vermutlich gar nicht richtig vorstellen.
 »Nun, wie dem auch sei. Hier bist du jedenfalls willkommen. Außerdem haben wir uns schließlich seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen.« Ihr Großvater räusperte sich und umarmte sie dann, sehr zu ihrer Überraschung, kurz.
 »Du bist hier willkommen. Ich muss dir allerdings sagen, dass es hier wichtige Regeln gibt, die du unter allen Umständen zu befolgen hast«, stellte er klar.
 »Das ist kein Problem«, entgegnete Helena.
 »Sei still, Lena. So etwas sagt man nicht, bevor man überhaupt weiß, worum es geht!«, wies ihr Großvater sie zurecht.
 »Tut mir Leid«, sagte Helena, und fragte sich im selben Moment, warum sie sich eigentlich entschuldigte. Sie hatte doch nichts falsch gemacht, oder?
 »Also«, begann ihr Großvater, »der große Westflügel und der hintere Bereich der Bibliothek sind für dich absolut tabu, verstanden? Deine Sachen werden in dein Zimmer gebracht und haben auch dort zu bleiben. Ich mag es nicht besonders, wenn jeder seinen Kram in der ganzen Villa verstreut. Außerdem möchte ich nicht, dass du in meinen Sachen herumschnüffelst oder überhaupt in Sachen, die dich nicht betreffen, verstanden?«
 »Ja«, erwiderte Helena pflichtbewusst, doch in Wahrheit fragte sie sich nur, was ihr Großvater für ein komischer Kauz war. Das konnte ja heiter werden. Doch sie hatte im Moment keine Lust, darüber nachzudenken. Dazu war sie einfach zu müde. Ihrem Großvater schien dies nun auch aufzufallen. Er lächelte sie zum ersten Mal an diesem Abend freundlich an.
 »Den Rest klären wir morgen. Dann werde ich dir auch die anderen Angestellten vorstellen. Bernd kennst du ja schon. Er wird dich auf dein Zimmer bringen.«

Wäre Helena nicht so erschöpft gewesen, hätte sie sich darüber gewundert, dass der letzte Satz fast wie ein Befehl geklungen hatte. Zudem hätte es sie amüsiert, dass ein solch furchterregender Mann Bernd hieß. Doch der Tag und erst recht der Abend waren einfach zu anstrengend gewesen. Morgen konnte sie sich genauso gut noch Gedanken über alles machen.

Obwohl sie todmüde war, konnte Helena lange nicht einschlafen. Zu viel ging ihr durch den Kopf. Diese komischen Regeln ihres Großvaters, die eher Verbote waren, und dann war da noch Bernds seltsames und abweisendes Verhalten. Es war nicht zu übersehen gewesen, dass er sie lieber nicht hereingelassen hätte. Helena seufzte. Sie verstand es einfach nicht. Er war doch nur ein Angestellter! Was nahm er sich heraus? Was konnte ihn dazu veranlasst haben, so mit ihr zu reden? Sie kannte diesen Mann noch nicht einmal!

Es war punkt sechs Uhr früh, als die Tür zu Helenas Zimmer mit Schwung geöffnet wurde.
 »Na, hast du gut geschlafen?«, erkundigte sich ihr Großvater überraschend gut gelaunt.
 Helena stöhnte leise. »Nein«, brummte sie.
 »Ist ja auch nicht wichtig. Machst du dich fertig? Ich will dir die anderen vorstellen«, erklärte ihr Großvater. Helena nickte. »Gib mir zehn Minuten, dann bin ich in der großen Halle«, versprach sie. »Zehn Minuten«, wiederholte er streng.

Als Helena in der Eingangshalle ankam, staunte sie nicht schlecht. Am Fuße der Treppe hatten sich außer ihrem Großvater noch fünf Personen eingefunden. Ihre besondere Aufmerksamkeit erregte dabei ein junger Mann, der nicht viel älter sein konnte als sie selbst. Also vielleicht neunzehn oder zwanzig. Sehr viel älter aber auf keinen Fall. Er sah ungewöhnlich blass aus und lehnte sich lässig an eine der Kommoden in der Halle. Sein Haar war kurz geschnitten und beinahe weiß. »Eine mehr als ungewöhnliche Haarfarbe für jemanden in seinem Alter«, überlegte Helena und betrachtete ihn nun eingehender. Sein Gesicht war schmal und durch das kurze Haar wirkte es beinahe hohlwangig. Überhaupt war der junge Mann sehr schlank. Dennoch konnte Helena seine Muskeln durch seine Kleidung erkennen. Diese war mehr als nur seltsam. Er war komplett in grau gekleidet. Es ließ ihn beinahe durchscheinend wirken. Und dann waren da noch seine Augen. Jetzt, da Helena ihn direkt ansah, und er mit einer Mischung aus Verwirrung und Erstaunen ihren Blick erwiderte, konnte Helena sie genau sehen. Sie waren blaugrün, und einen Moment lang fühlte es sich für Helena an, als würde sie komplett darin versinken. Versinken wie in einem unendlich tiefen See. Doch es war kein unangenehmes Gefühl. Im Gegenteil. Jetzt lächelte er sie an, was sie beinahe noch mehr irritierte. Denn es war ein merkwürdiges Lächeln, es wirkte traurig und glücklich zugleich. Melancholisch. »Ja«, dachte Helena, »dieses Wort beschreibt es am besten«.

 »Lena!«, erklang plötzlich die Stimme ihres Großvaters. Erschrocken zuckte Helena zusammen. »Entschuldige«, sagte sie schnell. Dann räusperte sie sich. »Großvater? Wer ist der junge Mann dort ...?« Sie wies in seine Richtung. Doch er war weg! Nichts deutete darauf hin, dass er vor wenigen Sekunden noch dort gestanden hatte!
 »Lena? Geht es dir gut?«, besorgt sah ihr Großvater sie an.

Helena nickte verwirrt. »Ja«, antwortete sie, doch selbst in ihren Ohren klang es kaum überzeugend. Ihr Großvater runzelte die Stirn und musterte sie.
 »Sicher? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen«, sagte er.
 »So ein Unsinn. Geister gibt es doch gar nicht«, Helena lachte. »Das stimmt allerdings«, entgegnete ihr Großvater. »Trotzdem möchte ich, dass du mir versprichst, dass du an Samhain hier in der Villa bleibst«, stellte er klar.
 »Samhain?«, fragte Helena verwirrt.
 »In zehn Tagen. Halloween nennt es eure Generation, glaube ich«. Es klang mehr wie ein Knurren.
 Helena nickte. Nun verstand sie, wovon ihr Großvater redete. »Kein Problem«, sagte sie.
 »Gut. Dann bin ich froh.« Er lächelte freundlich, was sich jedoch verflüchtigte, als er fortfuhr: »Sollte ich allerdings merken, dass du auch nur planst, in zehn Tagen das Haus zu verlassen, gibt es Ärger.«

Nach dem Frühstück hatte sie beschlossen zu lesen, konzentrieren jedoch konnte sie sich absolut nicht. Was ging in diesem Haus nur vor? Sie hatte damit gerechnet, dass das Zusammenleben mit ihrem Großvater nicht einfach sein würde. Aber dass es so war, das überraschte sie dann doch. Für einen Moment huschte wieder das Bild des jungen Mannes durch ihre Gedanken. Konnte sie sich ihn tatsächlich eingebildet haben? Das war doch nicht möglich. Noch nie hatte sie mit offenen Augen geträumt. Erst recht nicht von Männern. Aber nein, sie hatte sich ganz sicher nicht getäuscht. Sie hatte ihn deutlich gesehen und seine Präsenz war mehr als spürbar gewesen. Es war beinahe, als hätte er direkt neben ihr und nicht einige Meter entfernt an der Kommode gestanden. Das alles war wirklich sehr seltsam ...

Genau in diesem Augenblick klopfte jemand laut an die Tür zu ihrem Zimmer, und kurz darauf trat ihr Großvater ein.
 »Lena, erinnerst du dich daran, was ich dir gestern gesagt habe?«, erkundigte er sich und klang nicht gerade freundlich dabei.
 »Was meinst du?«, wollte Helena wissen. »Du sollst deine Sachen nicht überall im Haus verstreuen! Hier herrscht sowieso schon genug Unordnung. Dieses Mal sehe ich noch darüber hinweg, aber achte darauf, dass es dir nicht noch einmal passiert!« Es klang mehr wie ein Befehl, als eine Bitte.
 »Aber...«, setzte sie an, wurde jedoch mit einer harschen Geste von ihrem Großvater unterbrochen.
 »Gut, da dies nun geklärt ist, kann ich ja wieder zurück an meine Arbeit«, meinte er und stellte ein Kästchen, welches sie bisher nicht bemerkt hatte, auf ihr Bett.

Nachdem ihr Großvater raschen Schrittes ihr Zimmer verlassen hatte, sah Helena

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Lilian Dark
Cover: Renee Rott - Dream Design Cover&Art
Tag der Veröffentlichung: 24.10.2016
ISBN: 978-3-7396-8018-7

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die den Herbst lieben und die Geschichten, die er uns erzählt. Nun lasst uns ihm lauschen. Und die Magie erleben, die uns dabei begleiten wird.

Nächste Seite
Seite 1 /