Ein ganz dickes Dankeschön an Eyrisha Summers und Judith Soul ohne die ich hier nie angefangen hätte zu schreiben.
Am Himmel über Inverness zog drohend der angekündigte Sturm auf.
Blitze jagten sich gegenseitig und der starke Wind glich fast einem Orkan.
Junge Bäume wurden entwurzelt und flogen, wie gefährliche Wurfgeschosse, über die Landschaft.
Autos, sowie Häuser wurden von herumliegenden Gegenständen zerstört.
Der Regen peitschte in dieser Silvesternacht gegen die Fenster des Gebäudes.
Untote schlurften langsam durch den Regen auf das Anwesen zu.
Er stand auf der Anhöhe eines Hügels und beobachtete das Spektakel. Neben ihm eine schwarz gelockte junge Frau. Der Wind zerrte an ihren Haaren und an ihren Kleidern.
„Endlich! Nach so langer Zeit ist es soweit. Die Rache wird mein sein!“ Er stieß ein kaltes Lachen aus, das in dem Sturm unterging.
Zwischen dem Donnergrollen hörte man aus dem Anwesen schon seit Stunden laute Schreie – und dann, ganz plötzlich, - ein Babyschreien.
***
„Ein Mädchen, ein wunderschönes Mädchen“, rief Ruby und übergab das Baby Elisa Cameron, die es säubern sollte.
Claire Lindsey lag schweißüberströmt in einem großen Himmelbett. Ihr Mann Keno saß an ihrer Seite und hielt ihre Hand.
„Wir haben eine Tochter“, flüsterte sie erschöpft. Dann verkrampfte sie sich, als die Wehen erneut einsetzten.
Sie drückte Kenos Hand so fest, dass er dachte, sie würde sie ihm brechen.
Die Wehe ließ nach. Schnell untersuchte Ruby sie.
„Bei der nächsten Wehe, möchte ich, dass du kräftig presst. Ich kann schon das Köpfchen sehen“, sagte sie zu Claire.
Die Wehe kam und Claire presste so fest sie konnte. Sie schrie vor Schmerzen auf. Und dann kam die Erleichterung. Das zweite Baby erblickte das Licht der Welt.
„Noch ein Mädchen“, rief Ruby.
„Wie wollt ihr sie nennen?“, fragte Elisa und legte die gebadeten Zwillinge in Claires Armen, die sie sofort zum Trinken an die Brust legte.
Claire sah ihren Mann an und lächelte.
„Brianna und Maggie! Willkommen auf der Erde!“, sagte sie und strich zärtlich über die Köpfe ihrer Babys.
„Sie sehen aus, wie ihre Mutter“, sagte Keno stolz und betrachtete die flammend roten Haare seiner Töchter. Im selben Moment öffneten die Babys ihre Augen und es schien so, als würden sie ihren Vater intensiv beobachten.
Beide hatten sie strahlend grüne Augen. Nur bei Maggie war in der Mitte der Iris ein kleiner brauner Punkt zusehen.
Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen und Zaira Cameron betrat das Zimmer.
„Entschuldigt, dass ich so hereinplatze, aber wir werden angegriffen“, sagte sie nach Luft japsend.
Drei Monate vorher
Claire saß mit ihrer besten Freundin und Schwägerin Zaira im Garten und genoss die letzten Sommertage. Es war sehr warm und das Zwitschern der Vögel ließ Claires Herz höherschlagen. Sie liebte diese Jahreszeit.
Sie beobachteten ihre Männer dabei, wie sie mit zwei kleinen Jungs versuchten Fußball zu spielen. Das war schwieriger als erwartet. Die Jungs rannten lieber herabfallenden Blätter, als dem Fußball hinterher.
„Jetzt kommt schon Jungs, das ist doch nicht schwer. Einfach den Ball treten“, rief Luke zu den Kindern. In diesem Moment hob der jüngere der beiden die Arme und ein großer Schwung Blätter erhob sich in die Luft.
„Nein, Jamie! Lass das sein“, rief Luke.
Zu spät! Die Blätter wirbelten in der Luft herum und flogen geradewegs auf die Männer zu … und trafen ihr Ziel.
Claire und Zaira konnten nicht mehr vor Lachen.
„Ich kann nicht glauben, dass Jamie schon drei Jahre alt ist. Du musst mächtig stolz auf deinen Sohn sein“, sagte Claire zu ihr.
„Du glaubst ja gar nicht, wie stolz ich auf ihn bin. Letzte Nacht, hat er Luke mit einem Strahl eiskalten Wasser geweckt. Ich war nur froh, dass ich zu diesem Zeitpunkt in der Küche war, um mir ein Glas Wasser zu holen“, lachte Zaira.
„Das hätte ich zu gern gesehen. Ich wäre froh, wenn unsere Babys schon da wären. Ich fühle mich jetzt schon wie ein Pinguin, der nur am watscheln ist.“
„Habt ihr euch mittlerweile sagen lassen, was sie werden?“
„Ich weiß doch was sie werden, sie werden zwei wundervolle Babys.“
„Ha ha, du weißt genau, wie ich das meine.“
„Ich weiß. Aber nein, darin sind Keno und ich uns einig. Wir möchten uns überraschen lassen.“
„Ich wäre zu neugierig. Bei Jamie wollte ich es so schnell wie möglich wissen.“
Claire lachte. „Du warst ja noch nie die Geduldigste.“
In diesem Augenblick hörten sie hinter sich jemanden kommen.
Sie drehten sich um und sahen Joe McKenzie über die Wiese rennen. Sein Blick wirkte gehetzt.
„Was ist passiert?“, fragte Claire besorgt und erhob sich schwerfällig.
„Ruby ist zurück. Sie ist schwer verletzt und möchte Roy sehen, bevor …“, sagte Joe verzweifelt.
„Papaaaaa!“, rief der kleine, schwarzhaarige Junge und lief erfreut auf seinen Vater zu.
„Hey, mein großer. Sollen wir Mami besuchen?“, fragte er seinen Sohn liebevoll.
„Lass mich erst zu ihr, vielleicht kann ich ihr helfen“, sagte Claire.
„Du kannst in deinem Zustand nicht heilen, Claire. Du brauchst deine Energie für die Babys“, sagte Joe niedergeschlagen.
Keno kam mit Luke, der seinen Sohn auf seiner Schulter gesetzt hatte, zu ihnen.
„Was ist los?“, fragte Keno.
„Ruby ist zurück. Ich muss ihr helfen“, sagte Claire.
„Ich habe dir eben gesagt, dass es wegen der Babys nicht geht“, warf Joe heftig ein.
„Aber ich könnte es versuchen“, sagte Luke.
„Du hast es doch noch nie alleine geschafft“, wandte Claire ein.
„Ich muss mich nur besser konzentrieren.“
„Lasst es uns versuchen. Ich bringe schnell die Kinder zu Elisa und Roger, dann komme ich zu euch“, sagte Zaira.
„Ich möchte zu meiner Mami“, nörgelte Roy.
„Wir werden deine Mami gleich besuchen. Aber zuerst gehen wir zu Tante Elisa“, beruhigte Zaira ihn.
„Dann los, sonst ist es zu spät“, rief Joe und rannte den anderen voraus zum Haus zurück.
„Was glaubst du ist passiert?“, fragte Claire Keno.
„Ich weiß es wirklich nicht. Aber sie wird es uns bestimmt gleich erzählen.“
Sie liefen die Treppe hoch und als Claire das abgedunkelte Zimmer betrat, erschrak sie beim Anblick von Ruby.
Sie lag leichenblass im Bett und hatte die Augen geschlossen. Zu den Schürf- und Platzwunden zierten viele blaue Flecke ihren Körper. Sie muss schwer misshandelt worden sein.
Luke stand neben Ruby und legte vorsichtig seine Hand oberhalb ihrer Brust auf. Er schloss die Augen und konzentrierte sich. Doch nichts geschah.
Da kam Claire eine Idee.
„Luke, ich selber kann dir nicht helfen, aber was ist mit meiner Kette? Leg sie um und versuche es erneut.“
Er legte sich die Kette um und konzentrierte sich wieder. Plötzlich erstrahlten sein Ring und Claires Kette in einem wunderschönen Licht.
Die Anwesenden sahen, wie das Licht seine Hände erreichte und von dort in Rubys Körper geleitet wurde.
Nach ein paar Sekunden, war alles vorbei. Das Licht erlosch und Luke wischte sich mit dem Handrücken die Schweißperlen von der Stirn.
Alle beobachteten gespannt Ruby. Sie schlug mit einem leisen Stöhnen die Augen auf. Sie blickte alle an, und dann sagte sie unter großer Anstrengung: „Aaron … flieht … Armee … sie kommen …“
Dann schloss sie die Augen und fiel in einem tiefen Schlaf.
„Aaron? Ich dachte, er hat seine Macht verloren? Wie kann das sein?“, fragte Luke.
„Ich weiß es nicht! Aber wir müssen so schnell wie möglich Eron informieren“, sagte Joe aufgebracht.
„Das wichtigste ist jetzt, das Haus zu sichern. Ich werde den Wachen Bescheid sagen. Wenn wir alle verschiedene Schutzzauber aussprechen, dann dürfte Aaron erstmal nicht durchkommen.
Er ist hinter Claire her. Sie und die Kinder müssen in Sicherheit gebracht werden“, sagte Keno.
"Ich gehe nirgendwo hin. Ihr braucht jede helfende Hand“, widersprach Claire.
„Sei doch vernünftig und denk an unsere Babys. Sobald Eron zurück ist, fliegen wir nach Inverness. Aber solange bleiben du, Ruby und die Kinder im Schutzraum“, sagte er bestimmt.
Zaira betrat leise das Zimmer. „Die Kinder sind bei Elisa. Was ist eigentlich los? Ruby war doch nur einkaufen. Hatte sie einen Unfall oder ist sie überfallen worden?“, fragte Zaira besorgt.
„Aaron“, sagte Joe nur grimmig.
„Bitte was?“, rief Zaira laut.
„Sei doch leise, oder möchtest du Ruby wecken?“, zischte er.
„Tut mir leid. Aber kann mich jemand mal aufklären?“, fragte sie jetzt leiser.
„Wir wissen selber nichts Genaues. Als Ruby kurz wach war, sagte sie etwas von Aaron und Armee, dass wir fliehen sollen, weil sie kommen. Wir werden jetzt erstmal das Dion sichern und Ruby, Claire und alle Kinder, die noch nicht alt genug sind, in Sicherheit bringen. Dann sehen wir weiter.“
„Oh mein Gott! Warum jetzt? Warum nach sieben Jahren?“
„Ich weiß es nicht. Ich muss Eron Bescheid sagen. Er ist unterwegs um einen Neuzugang abzuholen. Das wird ja ein schöner Start für das Kind. Sagt mir bitte sofort Bescheid, falls sie aufwacht“, sagte Joe und eilte aus dem Zimmer.
„Ich bringe alle Kinder in den Speisesaal und warte dort auf weitere Anweisungen“, sagte Zaira und ging ebenfalls raus.
***
„Das kann doch nicht wahr sein, wie, verdammt noch mal, konnte sie entwischen?“
„Mein Herr, bitte vergebt mir. Es war nicht meine Schuld. Diese Idioten haben sich überrumpeln lassen.“
„Überrumpeln lassen? Von einer Frau, die auch noch verletzt war? Ihr habt meinen ganzen Plan vernichtet. Jetzt sind sie gewarnt worden.“
„Und was habt ihr jetzt vor?“
„Das einzig Sinvolle. Wir werden uns zurückziehen und auf eine bessere Gelegenheit warten müssen.“ Wutentbrannt verließ er das Zimmer und ließ die junge Frau alleine zurück.
Sie atmete tief durch und wischte sich den Angstschweiß von der Stirn.
„Wann können wir hier wieder raus?“, fragte Lilli, ein sechsjähriges Mädchen.
„Sobald wir sicher sind, dass keine Gefahr mehr droht“, sagte Claire und strich über die langen, blonden Haare des Mädchens.
Sie saßen schon seit fast vier Stunden im Schutzraum fest. Ruby lag auf einer provisorischen Liege und war noch immer nicht erwacht. Der kleine Roy saß an der Seite seiner Mutter und hielt ihre Hand. Claire wünschte sich, sie könne Ruby helfen, aber die anderen hatten Recht – sie musste an ihre Babys denken.
Was ihr aber am meisten Sorge bereitete, war, dass Aaron zurück ist. Warum hat er sieben Jahre gewartet? Hat er erst jetzt seine Kräfte wieder? Und wenn ja, wie hatte er das geschafft? Oder war es jetzt, weil sie Zwillinge bekam? Wollte er an ihre Babys? Es lief ihr eiskalt den Rücken runter. Im Stillen schwor sie sich ihre Babys mit allen Mitteln zu beschützen – und wenn es mit ihrem Leben wäre.
Ein leises Stöhnen riss sie aus ihren Gedanken.
„Sie wacht auf“, sagte die kleine Lilli.
Sofort war Claire an Rubys Seite.
„Ruby! Gott sei Dank, du bist aufgewacht“ sagte sie erleichtert.
„Mami, alles wieder gut?“, fragte Roy.
„Mir geht es gut, mein Schatz. Mami ist nur noch ein bisschen müde“, beruhigte Ruby ihren Sohn mit leiser Stimme.
„Wo sind wir hier?“, fragte sie an Claire gewandt.
„Wir sind im Schutzraum. Die Männer sichern das Dion und die Umgebung. Ich weiß nichts Genaues. Was war eigentlich passiert?“
„Das erzähle ich später“, sagte Ruby mit einem Seitenblick auf Roy. In diesem Moment betrat Joe den Raum.
„Ruby, mein Herz, du bist wach“, rief er erleichtert.
„Onkel Joe, wann können wir hier wieder raus?“, fragte Lilli.
„Jetzt Kleines. Ich wollte euch gerade holen.“
„Habt ihr ihn? Sind wir außer Gefahr?“, fragte Claire.
Müde schüttelte er den Kopf. „Nein! Er muss sich aus irgendwelchen Gründen zurückgezogen haben. Wir haben im Umkreis von zehn Kilometern alles mit Schutzbannen geschützt. Deswegen hat es auch so lange gedauert. Wenn er noch mal versuchen sollte uns anzugreifen, werden wir früh genug gewarnt. Aber lasst uns jetzt erstmal alle nach oben bringen. Kannst du aufstehen?“, fragte er Ruby.
„Ich bin noch ein wenig erschöpft, aber es wird schon gehen.“
„Ich helfe Mami!“, kam es von Roy.
„Er ist nicht einmal von deiner Seite gewichen. Ihr könnt stolz auf ihn sein“, sagte Claire.
„Das sind wir auch. Unser kleiner Junge ist ein junger Mann geworden.“
Bei diesen Worten sah Claire, wie Roy die Brust anschwellte und er sich nach oben reckte.
Mit unterdrücktem Lachen, führten sie die Kinder nach oben und schickten sie auf ihre Zimmer ins Bett.
***
„Fühlst du dich soweit imstande, dass du uns alles erzählen kannst?“, fragte Joe Ruby.
Sie saßen alle im Gemeinschaftsraum.
„Ich wollte einkaufen. Mir gingen langsam die Medikamente und das Verbandszeug aus. Als ich auf dem Heimweg war, hörte ich auf dem Waldweg Geräusche hinter mir. Ich dachte es wären Tiere, aber plötzlich hielt mir jemand von hinten den Mund zu. Das Nächste was ich weiß, ist, dass ich in einer feuchten Zelle aufgewacht bin. Vor dem Gitter stand ein Mann. Ich dachte erst, dass du es bist, Eron aber dann sah ich seine Augen. Sie waren blutrot. Ich habe ihn angefleht, mich rauszulassen, aber er lachte nur und stellte ein Glas Wasser vor den Gittern. Ich war so durstig, dass ich das Glas in einem Zug leerte – was ein Fehler war – kurz darauf fühlte ich mich ganz komisch. Ich sah alles nur noch verschwommen. Dann fing er an Fragen zu stellen. Ich antwortete wie unter Zwang.“ Ruby schloss für einen Moment die Augen.
„Was für Fragen hat er dir gestellt?“, fragte Eron ruhig.
„Zuerst wollte er meinen Namen und meine Aufgabe im Dion wissen. Dann wie viele Erwachsene und wie viele Kinder hier leben … Eron … es tut mir leid, ich musste es ihm sagen. Ich wollte es nicht!“, schluchzte Ruby.
„Du kannst nichts dafür! Gib dir nicht die Schuld daran. Er hat dir ein Wahrheitsserum gegeben, da hätte jeder geantwortet. Was wollte er noch wissen?“
„Wie das Dion geschützt ist und wie man hineinkommt. Wie viele Wachen aufgestellt sind, wie oft und wann du unterwegs bist, und wie viele von uns kämpfen können. Dann fragte er nach den Namen aller Personen und ihren Tätigkeiten. Als er hörte, dass Claire hier ist, wurde er total aufgeregt. Als ich ihm dann sagte, dass sie im Moment nur unterrichtet, weil sie Zwillinge bekommt, war er richtig aus dem Häuschen. Er rief eine Frau zu sich. Ich konnte leider ihren Namen nicht verstehen. Sie war in einem schwarzen Umhang gehüllt und die Kapuze hing ihr tief ins Gesicht. Nur einzelne schwarz gelockte Strähnen lugten hervor. Auf jeden Fall wies er sie an, die Armee zurufen, und dass sie alles für den Angriff vorbereiten sollte. Sie nannte ihn Meister und irgendwie kam mir ihre Stimme bekannt vor. Nur weiß ich nicht woher.“ Ruby liefen Tränen an den Wangen hinunter. „Ich habe nur noch an Roy und Joe gedacht und bin ausgeflippt. Ich schrie und schlug mit den Fäusten gegen das Gitter. Aaron zog seine Hand nach oben und ich flog nach hinten gegen die Wand und wurde ohnmächtig. Als ich wieder zu mir kam, standen zwei Kreaturen – ich weiß nicht, wie ich sie sonst nennen soll – in meiner Zelle. Sie hatten eine graue Haut und waren mit komischen Beulen übersäht, es ging ein so starker Geruch nach Verwesung von ihnen aus, dass ich mich übergeben musste. Sie … sie schlugen mich. Ich dachte, ich müsse sterben. Ich hörte wie die Frau sagte, dass sie, wenn sie fertig mit mir sind, mich entsorgen sollten. Dann ließ sie mich mit diesen Dingern alleine. Sie schlugen und traten auf mich ein. Dann gerieten sie in einem Streit. Ich weiß nicht um was es ging, wahrscheinlich darum, wer von den beiden mich töten darf. Sie grunzten und brüllten so laut, dass es mir in den Ohren weh tat. Mich hatten sie vollkommen vergessen. Das rettete mir das Leben. Sie fingen an sich zu prügeln und dabei fiel der Schlüssel meiner Zelle aus der Tasche von dem einen heraus. Ich nahm ihn mir, schleppte mich zur Tür und floh. Fragt mich nicht, wie ich es geschafft habe, ich weiß es nicht. Ich bin einfach nur gerannt.“
„Würdest du den Weg dahin zurückfinden?“
„Nein, tut mir leid! Ich habe nichts mehr wahrgenommen. Irgendwann nach Stunden, bin ich zusammengebrochen. Dann bin ich in Joes Armen aufgewacht.“
„Ich habe dich bei meinem Rundgang an der nördlichen Grenze vom Dion gefunden und hierhergebracht. Hättest du uns nicht gewarnt, dann hätte Aaron uns eiskalt erwischt.“
„Ich möchte nur zu gern wissen, wer diese Frau war. Seine Tochter Sandra kann es nicht gewesen sein, ich musste sie damals töten“, sagte Claire.
„Das ist jetzt nicht wichtig, er ist wieder hinter dir her“, sagte Keno aufgebracht.
„Ja, wegen unseren Babys“, sagte Claire verzweifelt.
„Er wird euch nicht bekommen. Das schwöre ich dir!“, sagte er.
„Was machen wir, wenn er es wieder versucht? Und glaubt mir, er wird es wieder versuchen.“
„Das Dion ist erstmal sicher. Aber jetzt, da er genau weiß, wo und wie viele wir sind, müssen wir uns überlegen, ob es nicht besser wäre, hier die Zelte abzubrechen und wo anders neu anzufangen“, sagte Eron mit schwerem Herzen.
„Aber das Dion ist dein Lebenswerk. Wir können es doch nicht einfach aufgeben“, rief Claire.
„Wenn es dadurch sicherer für die Kinder ist, kann ich es.“
„Aaron ist doch hinter mir her, was ist, wenn ich von hier verschwinde? Dann dürfte das Dion doch wieder sicher sein.“
„Mein Bruder wird es trotzdem dem Erdboden gleichmachen, alleine schon deswegen, weil er mich damit verletzen kann.“
„Aber wieso hat er es damals nicht versucht?“, fragte Zaira.
„Er brauchte jemanden, der ihn hinführt, und das kann nur jemand machen, den ich persönlich zum ersten Mal hierhin gebracht habe.“
„Aber du hast doch auch Sandra hier hergebracht. Warum hatte sie ihn nicht geführt?“, fragte sie wieder.
„Weil sie es einfach nicht wussten. Erst durch die Informationen, die Ruby ihm geben musste, erfuhr er davon.“
„Es ist alles meine Schuld, wenn ich nicht so unaufmerksam gewesen wäre, säßen wir jetzt nicht in dieser Krise“, schluchzte Ruby. „Wenn ich auf Joe gehört hätte, und mit dem Auto gefahren wäre, wäre ich hier sicher angekommen. Aber nein, ich wollte ja unbedingt laufen und die Sonne genießen.“
„Jetzt hör aber auf! Verdammt noch mal, es war NICHT deine Schuld. Es hätte jeden von uns treffen können“, rief Claire aufgebracht.
„Auch, wenn wir umziehen, wer garantiert uns, dass er uns dort nicht findet? Irgendjemand vom Dion steckt wieder mal mit ihm unter einer Decke, und ich hoffe, dass ich nicht wieder verzaubert wurde“, sagte Joe. Es zerrte immer noch an ihm, dass er vor sieben Jahren unter Aarons Kontrolle stand.
„Das Beste wird sein, wir überprüfen uns alle, damit wir sicher sein können“, sagte Eron.
„OK, aber lasst es uns morgen früh machen, ich bin so müde, ich muss ins Bett, sonst schlafe ich im Stehen ein“, gähnte Claire.
"Morgen früh zum Frühstück gebe ich allen einen Trank, der hebt, falls vorhanden, sämtliche Zauber auf. Der oder die Personen, die unter einem Bann stehen, schlafen auf der Stelle ein. Es ist ungefährlich, also kannst du ihn bedenkenlos trinken, Claire. Es wird den Babys nicht schaden“, erklärte Eron.
„Na dann, gute Nacht.“ Mit diesen Worten, verließen Claire und Keno den Gemeinschaftsraum.
***
Sie saßen ganz gespannt beim Frühstück und warteten auf irgendeine Reaktion. Doch nichts geschah. Joe atmete erleichtert auf.
„Es scheint keiner vom Dion beeinflusst zu sein“, sagte er.
„Also können wir das Dion verlassen und neu anfangen. Nur wo?“, fragte Zaira.
„Wie wäre es in Schottland? Aaron würde doch nie darauf kommen, dass wir ausgerechnet dort sind“, schlug Claire vor.
„Und wo da? Das Haus deiner Eltern ist zu klein für alle. Dasselbe gilt für Joes Haus und unseres“, sagte Keno.
„Wir haben ein riesiges Anwesen in den Highlands. Von dem wissen nur meine Eltern, Luke, Joe und ich. Wir waren früher immer in den Ferien dort. Aber seit unserer damaligen Haushaltshilfe und ihr Mann gestorben sind, ist das Anwesen unbewohnt“, antwortete sie.
„Ich erinnere mich, das Anwesen wäre perfekt für uns, aber wie sollen wir alle unbemerkt nach Schottland bekommen? Ich gehe davon aus, dass wir beobachtet werden“, sagte Joe.
„Wir gehen in kleinen Gruppen durch ein Portal. Ich werde mich gleich darum kümmern, dass wir alles Notwendige dafür haben.“
„So etwas kannst du?“, fragte Claire erstaunt.
„Sicher, wenn ich die richtige Formel habe müsste es gehen. Ich muss nur wissen, wie das Anwesen aussieht“, sagte Eron.
„Dabei kann ich dir helfen. Ich habe die alten Fotoalben von meinen Eltern im Zimmer“, sagte Claire und wollte schon aufstehen.
„Das können wir gleich machen“, hielt Eron sie zurück.
„Das könnte klappen, so können wir alle unbemerkt das Dion verlassen“, sagte Joe.
„Das könnte nicht nur klappen, das wird es auch. Und Claire könnte unsere Babys zu Hause bekommen“, fügte Kevin hinzu.
„Dann heißt es jetzt planen. Wir treffen uns heute Abend, wenn alle Kinder in ihre Zimmer sind. Ich sage den Kollegen Bescheid.“ Eron stand auf und ging hinaus. Vor dem Gemälde von Roya blieb er stehen.
„Meine geliebte Tochter“, flüsterte er, „es tut mir in der Seele weh, diesen Ort zu verlassen. Dich zu verlassen.
Aber ich habe keine andere Wahl. Ich muss die Kinder schützen … und das geht nur, wenn wir aus Deutschland weggehen. Wenn wir nicht gehen, dann wird Aaron uns alle vernichten. Irgendwann wird die Zeit kommen, und ich werde ihn töten! Dann werde ich ins Dion zurückkehren.“
Tränen liefen ihm übers Gesicht. Mit hängenden Schultern ging er in sein Büro um alles vorzubereiten.
Am Abend trafen sie sich im Speisesaal.
Als Eron den Saal betrat, richteten sich alle Augen auf ihn.
Er setzte sich und begann seinen Plan zu erklären.
„Luke und Zaira gehen mit Roger und Elisa Cameron zuerst um die Gruppen zu empfangen. Claire und Ruby gehen mit Keno und die ganz kleinen hinterher. Danach folgen die anderen in kleinen Gruppen. Ganz zum Schluss, folgen Joe und ich mit den ältesten und verschließen das Portal.“
„Und wann brechen wir auf?“, fragte Heinz Wiescher.
„Sobald wir alles zusammengepackt haben. Ruby, du und Joe ihr packt bitte alles von der Krankenstation. Nehmt euch drei oder vier von den älteren Kindern zum Helfen mit. Hannah, du bist mit Susann für die Küche verantwortlich. Packt alles zusammen und lasst es in Kisten einfach in der Küche stehen“, sagte Eron zu der Köchin. „Heinz, du packst alles aus dem Trainings- und Meditationsraum. Die anderen helfen den Kindern. Ich werde alle Unterlagen zusammenpacken. Morgen früh fangen wir an. Ich muss morgen auch meine Beziehungen bei den Ämtern spielen lassen, damit Aaron oder sonst wer uns nicht darüber finden können. Wenn alles gut geht, können wir morgen Abend, spätestens übermorgen früh aufbrechen. Wir werden es den Kindern morgen beim Frühstück mitteilen. Ich hoffe, dass das Problem mit Aaron geklärt wird, damit wir schnell wieder zurück ins Dion können. Nun denn, wir sollten für heute Schluss machen. Es wird morgen sehr anstrengend.“ Eron seufzte und erhob sich langsam.
Zum ersten Mal, sah man ihm an, wie alt er tatsächlich war.
Es herrschte eine bedrückte Stimmung beim Frühstück.
Eron hatte gerade den Kindern alles erklärt und sie in Gruppen eingeteilt. Überall hörte man Gemurmel und die Kleinsten waren am Weinen. Sie hatten Angst. Claire, Ruby und Zaira versuchten sie zu trösten und Mut zuzusprechen.
„Hört mal, wir werden die ganze Zeit bei euch sein. Es wird euch nichts geschehen. Schottland wird euch gefallen, und wenn wir dort sind, könnt ihr euch die schönsten Zimmer aussuchen“, versprach Claire den kleinen.
Das schien zu helfen, denn im Nu waren sie voller Tatendrang und wollten sofort los.
Am Abend war es dann soweit. Alles war zusammengepackt und das ganze Dion hatte sich im Speisesaal versammelt.
„Das Portal befindet sich im Garten. Das Gepäck ist schon auf der anderen Seite. Die Gruppen gehen jetzt nacheinander nach draußen und durch das Portal."
Joe McKenzie wartet draußen und beaufsichtigt alles. „Ihr braucht keine Angst zu haben, es wird euch nicht schaden. Beim Übergang, wird es etwas kribbeln.
Auf der anderen Seite, werden euch Luke, Zaira, Roger und Elisa Cameron erwarten. Euer Gepäck und alle anderen Sachen, sind schon drüben. Und jetzt geht die erste Gruppe los.“
Plötzlich ging die große Tür auf und einer der Wächter kam gehetzt herein. Er lief mit schnellen Schritten auf Eron zu.
„Ihr müsst euch beeilen, die erste Schutzmauer wurde durchbrochen. Wir werden nicht viel Zeit haben.“
„Versucht sie aufzuhalten. Die Kinder müssen in Sicherheit gebracht werden.“
Claire, Ruby und Keno erhoben sich schnell und riefen die Kleinen zu sich. Zusammen verließen sie den Speisesaal.
Das Portal war sehr groß, rund und funkelte wie hellgrünes Wasser.
Ängstlich näherten sich die Kinder und blieben circa fünf Meter davorstehen.
„Wir gehen in drei Gruppen durch. Die erste Gruppe, nimmt sich an den Händen und geht mit Keno durch. Wenn sie durch sind, zählen wir zusammen bis zehn und die zweite Gruppe geht genauso mit Ruby durch. Dann zählen wir wieder bis zehn und der Rest geht mit mir“, erklärte Claire.
Die Kinder hielten sich an den Händen und gingen mit Keno durch das Portal. Die anderen zählten laut bis zehn und gingen Hand in Hand hinterher. Sie fingen wieder an zu zählen.
„Eins … zwei … drei … vier …“
Claire bemerkte hinter sich die anderen Gruppen.
„… fünf … sechs … sieben …“
Plötzlich ertönte ein Nerv durchdringendes lautes Dröhnen.
„Der Alarm“, rief Joe. „Ihr müsst euch beeilen, sie sind da.“
Claire zählte schnell weiter: „… acht, neun, zehn. Los, durch.“
Sie betraten das Portal. Claire fühlte, wie es ihr am ganzen Körper kribbelte. Ihre Babys fingen an zu treten. Es dauerte vielleicht drei Sekunden, bis sie auf der anderen Seite hinaustraten.
Kalter Regen prasselte auf ihren Köpfen. Sie sah Zaira und Ruby mit Decken und Tüchern auf sie zukommen.
„Die Kinder sind bei deinen Eltern im Haus. Ist bei euch alles in Ordnung?“, fragte Zaira.
„Nein, das Dion wird gerade angegriffen. Wir müssen sofort zurück und helfen“, schrie Claire hysterisch.
„Das geht nicht! Das Portal geht nur in einer Richtung“, sagte Zaira verzweifelt.
In diesem Moment kam die nächste Gruppe mit Frau Lutz durch das Portal. Sie kam, von zwei jugendlichen gestützt und mit einer großen Platzwunde am Kopf, auf sie zu. Zaira nahm sofort die Kinder in ihrer Obhut und brachte sie zu Elisa ins Haus.
„Wie schlimm ist es im Dion?“, fragte Claire.
„Sehr schlimm … viele Verletzte … ich glaube, Mr. McNeeley ist tot … hätte die Wache nicht eingegriffen, wären wir jetzt alle tot“, schluchzte sie.
„Gehen sie erstmal mit Ruby mit, sie wird sich um sie kümmern. Sagen sie bitte meinen Eltern Bescheid, dass sie mit Ruby das große Zimmer als Krankenstation nehmen sollen.“
„Gott steh uns bei, ich hoffe sie schaffen es alle hier rüber“, sagte Keno leise.
Nach und nach kamen einzelne Kinder durch das Portal. Irgendwann kam Heinz Wiescher und Hannah, die Köchin, mit einer großen Gruppe Jugendlichen an. Viele waren verletzt, manche schwer.
„Wir brauchen Hilfe, Ruby schafft das nicht alleine“, sagte Zaira, die gerade aus dem Haus kam.
„Ich kann helfen, ich habe damals als Krankenschwester gearbeitet“, sagte Hannah und lief ins Haus um Ruby zur Hand zugehen.
Sie fühlten sich wie in einem Lazarett im Krieg. Ständig kamen Verletzte rüber. Die, die nur leicht oder gar nicht verletzt waren, halfen mit. Die Kinder mussten versorgt werden, Verbandsmaterial und Medikamente mussten herangeschafft werden, und Hannah kochte noch zwischendurch eine heiße Suppe für alle.
Jetzt fehlten noch dreißig Jugendliche und acht Erwachsene.
Ruby kam immer wieder kurz raus um nach Joe zu fragen.
„Er kämpft Seite an Seite mit Eron“, sagte Gina, eine der Betreuerinnen. „Es war furchtbar …“
In diesem Moment trat eine Kreatur aus dem Portal. Sie sah aus, als wäre sie einem Horrorfilm entsprungen. Die Haut war gräulich und auf dem deformierten Kopf waren lauter eitrige Beulen. Die Augen waren milchig und leblos. Langsam schlurfte das Ding auf Claire zu. Luke kam ihr zur Hilfe und schloss die Kreatur in einem Wasserball ein, während Claire das Wasser gefrieren ließ.
„Was war das für ein Vieh?“, fragte Claire zittrig und nach Luft schnappend.
Das Portal fing an zu flackern.
Alle schauten in Sorge dem Flackern zu und hofften, dass die anderen es noch schaffen.
„Da kommen sie“, schrie Ruby, die gerade wieder rauskam um nach Joe zu fragen.
Claire fing an zu zählen. Die Kinder waren, bis auf eines, vollzählig. Dann schwebten vier leblose Körper, gefolgt von Joe und Eron durch das Portal.
Eron drehte sich schnell um und murmelte leise vor sich hin.
Kurz bevor sich das Portal schloss, sahen sie einen Arm hindurchgreifen, der sich Claire packte.
Sie schrie auf. Das Portal schloss sich und der Arm lag zuckend auf der Erde.
„Claire! Alles in Ordnung?“, rief Keno panisch.
„Ja, alles gut!“, sagte sie mit bebender Stimme.
„Ihr geht jetzt alle rein. Ich und Joe werden Schutzzauber über das komplette Anwesen legen. Danach begraben wir unsere Toten. Es sind Mr. McNeeley, Susann Stealth, Maurice Marlow und Lillis Bruder Thomas. Wir müssen es der Kleinen schonend beibringen“, sagte Eron niedergeschlagen. Er drehte sich um und verzog vor Schmerz das Gesicht. An seinem Oberarm verfärbte sich sein Hemd langsam rot.
„Meister, geht es euch gut?“, fragte die junge Frau und starrte mit aufgerissenen Augen auf Aarons Armstumpf.
„Natürlich geht es mir nicht gut, aber sterben werde ich davon nicht … im Gegensatz zu meinem Bruder“, sagte Aaron mit einem teuflischen Grinsen.
„Wie meint ihr das?“
„Kurz bevor er fliehen konnte, habe ich ihn mit meinem Schwert am Arm erwischt.“
„Aber … verzeiht, wenn ich frage, warum sollte er wegen diesem Kratzer sterben?“
„Weil ich dieses Schwert in Gift getränkt habe. Dieses Gift ist etwas ganz Besonderes. Es zerstört den Körper ganz langsam von innen heraus. Ich habe Jahre gebraucht um es herzustellen. Es gibt kein Gegenmittel und der oder die Vergifteten fühlen sich anfangs nur matt und müde, bis irgendwann der Kreislauf versagt.“
„Ihr seid genial.“
„Ich weiß, und ich würde alles darum geben, meinem Bruder ins Gesicht zu sehen, wenn ihm klar wird, dass er sterben wird. Und jetzt kümmere ich mich erstmal um meinem Arm.“
Er murmelte ein paar Wörter und die junge Frau sah erstaunt zu, wie sich schwarzer Nebel bildete und sich um den Armstumpf legte. Ganz langsam formte der Nebel einen Unterarm und dann eine Hand. Als er verschwunden war, keuchte die Frau auf. Aaron hatte sich einen neuen Arm wachsen lassen.
„Jetzt verschwinde und finde das Mädchen. Ich will diese Babys.“
***
Die Beerdigung war vorbei.
Lilli konnte noch immer nicht verstehen, dass ihr Bruder nicht mehr bei ihr war. Sie aß nichts mehr und trank nur sehr wenig. Sie machten sich alle große Sorgen um die kleine Lilli.
„Wenn sie nicht bald etwas isst, müssen wir sie zwangsernähren“, sagte Ruby besorgt zu Claire.
„Ich werde mit ihr reden“, versprach Claire. Sie stand mühselig auf und machte sich auf den Weg zu Lilli.
Im Korridor traf sie auf Eron. Er wirkte abgespannt und müde.
„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte sie.
„Ja, ich glaube, ich habe mich nur erkältet. Ich bin auf dem Weg zu Ruby, um mir etwas gegen die Erkältung geben zu lassen“, antwortete Eron.
„Dann wünsche ich dir gute Besserung.“
„Danke, so eine kleine Erkältung wird mich nicht gleich umbringen“, lachte er und ging weiter.
Vor Lillis Zimmertür blieb Claire stehen und atmete nochmal tief durch, bevor sie anklopfte und eintrat.
Lilli lag in ihrem Bett. Ihre Augen waren rot und angeschwollen. Sie gab ein Bild des Elends.
„Hallo Lilli, darf ich mich zu dir setzen?“, fragte Claire freundlich. Lilli zuckte nur mit der Schulter.
„Rutsch mal ein Stück, ich bin nicht mehr die dünnste.“
Lilli rutschte rüber, sodass Claire genug Platz hatte, um sich neben ihr zu legen.
„Schau mal, Kleines, du musst endlich etwas essen. So kann es doch nicht weitergehen.“
„Ich will nichts essen! Duncan hat mir erzählt, dass ich so ganz schnell wieder bei Tommy sein kann“, schluchzte sie.
„Duncan Inness? Der hat doch gar keine Ahnung. Und Tommy hätte nicht gewollt, dass du die Welt so verlässt.“
„Bist du dir sicher?“, fragte Lilli niedergeschlagen.
„Aber natürlich bin ich mir sicher. Thomas hätte gewollt, dass du dein Leben lebst.“
„Aber ich vermisse ihn so sehr. Wir hatten doch nur noch uns beide … und jetzt hat er mich ganz alleine gelassen“, weinte sie.
„Wir werden die, die uns verlassen haben, immer vermissen. Am Anfang tut es sehr weh, aber mit der Zeit wird es einfacher. Er wird immer bei dir sein. Er lebt in deinem Herzen weiter. Und, er hat dich auch nicht alleine gelassen. Wir sind deine Familie. Eron, Ruby, Keno, Joe, Zaira, Luke, … soll ich noch mehr aufzählen, die dich lieben?“
Lilli schüttelte den Kopf.
„Siehst du? Und jetzt komm, ich habe einen Bärenhunger. Du doch bestimmt auch, oder?“
Genau in diesem Moment knurrte Lillis Magen so laut, dass sie erschrocken auf ihren Bauch schaute.
Claire lachte auf und zog Lilli mit zur Küche.
Seit vier Wochen schleppte sich Eron nur noch rum. Seine Erkältung wurde einfach nicht besser, ganz im Gegenteil, er fühlte sich immer schlechter.
Ruby war mit ihrer Weisheit am Ende. Nichts schlug bei ihm an. Selbst der Heiltrank ihrer Großmutter half nicht.
„Ich glaube langsam, dass es gar keine Erkältung ist“, sagte sie nach einem Schwächeanfall, bei dem Eron kaum Luft bekam.
„Ich werde dir Blut abnehmen und es untersuchen.“
„Es … wird … mir … bald schon besser …gehen“, keuchte Eron. Er selber glaubte schon nicht mehr daran.
Ruby nahm ihm das Blut ab und stellte die Röhrchen in die Zentrifuge.
„Das dauert jetzt ein wenig, leg dich hin und ruh dich aus.“
„Danke dir, aber ich muss noch einiges erledigen.“ Mühselig erhob er sich. Für ein paar Sekunden drehte sich das Krankenzimmer. Als alles wieder stillstand, ging er, ohne ein weiteres Wort zu sagen, hinaus.
In seinem Büro, welches Claire ihm liebevoll eingerichtet hatte, hielt er kurz inne und überlegte. Es ging ihm seit dem Kampf im Dion so schlecht. Er hatte schon seit ein paar Tagen das Gefühl, dass es etwas mit seinem Bruder zu tun hatte. Er wollte gerade zum Telefon greifen, als es an der Türe klopfte.
„Ja bitte?“, rief er und erschrak darüber, wie schwach seine Stimme klang.
Die Türe öffnete sich und Sanna, das weiße Orakel, betrat den Raum.
„Hallo Eron, mein alter Freund“, begrüßte sie ihn mit ihrer glockenhellen Stimme.
„Hallo Sanna, ich nehme an, du wusstest, dass ich dich brauche?“, fragte Eron. Er war nicht überrascht, sie hier zu sehen.
„Natürlich wusste ich es“, antwortete sie.
„Dann weißt du auch mit Sicherheit, was mit mir los ist?!“
„Aus diesem Grund bin ich hier.“ Sie blickte ihn traurig an.
„Und würdest du mir auch bitte verraten, was los ist?“, fragte Eron mit einer Spur Ungeduld in der Stimme. Er hatte zwar schon einen Verdacht, wollte es aber von ihr hören.
„Aaron hat es geschafft, ein absolut tödliches Gift herzustellen“, sagte sie nur.
Eron blickte sie ausdruckslos an. Es musste Aarons Schwert gewesen sein. Er hatte es bereits geahnt.
„Wie lange habe ich noch?“
„Eine Woche! Eron, es tut mir sehr leid. Es gibt kein Gegenmittel. Ich habe deinen Tod bereits gesehen. Die letzten drei Tage werden sehr schmerzhaft sein.“
„Wirst du mir helfen? Wirst du mich vorher erlösen?“
„Eron, ich weiß nicht ob ich es kann. Ich bin geboren um Leben zu schützen und nicht um es zu nehmen. Es wäre Mord und das kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.“
„Kannst du denn dein Gewissen damit belasten, dass du einen guten, alten Freund leiden lässt?“
Stille.
„Wie soll ich dich töten?“, fragte sie so leise, dass Eron sie fast nicht gehört hätte.
„Schmerzlos … am besten wäre es, wenn ich friedlich einschlafen könnte.“
„Und wann?“
"Sobald ich alles geregelt habe.“
„Wer soll dein Nachfolger werden?“
„Du bist doch hier das Orakel, weißt du es denn nicht schon?“, fragte Eron amüsiert.
„Ich habe aber noch andere Verpflichtungen und kann nicht rund um die Uhr hier sein.“
„Das brauchst du doch auch gar nicht. Joe McKenzie und die anderen sind auch noch da, aber keiner könnte die Kinder so schützen wie du. Du bist mächtiger als Aaron und ich zusammen.“
„In Ordnung, ich mache es.“
„Habe ich dein Wort? In beiden Angelegenheiten?“
Sanna schwieg.
„Sanna … bitte … ich muss mich darauf verlassen können. Ich möchte nicht leiden“, sagte Eron erschöpft.
„Und wie erklärst du es den anderen?“
„Mit der Wahrheit. Ich werde es heute Abend allen erklären. Bleibst du erstmal hier?“
„Muss ich ja, aber ich brauche noch einige Sachen von mir. Wie es aussieht, komme ich hier wohl erstmal nicht weg.“
„Nimm Luke und Joe mit, sie werden dir helfen.“
Sanna stand auf und wollte das Büro verlassen. An der Tür drehte sie sich nochmal um.
„Es tut mir wirklich leid, dass es so enden muss.“
„Liebste Freundin, es muss dir nicht leidtun. Ich werde wieder bei Callandra und meiner Tochter sein. Ich muss mir nur sicher sein, dass du alles tust um alle zu schützen. Aaron darf Claire und die Babys nicht bekommen.“
„Ich verspreche es!“ Sie nickte traurig und verließ das Büro.
***
Beim Abendessen, als fast alle fertig waren, schickte Eron die Kleinsten ins Bett und bat alle anderen noch zu bleiben. Ein lautes Gemurmel ging durch den Speisesaal.
„Ist wieder etwas passiert?“
„Werden wir wieder angegriffen?“
„Müssen wir wieder fliehen?“
„Kann ich einmal um Ruhe bitten?“, rief Eron mit schwacher Stimme. Sie hörten ihn nicht.
„RUHE!“, rief Joe mit seiner kräftigen Stimme und alle verstummten.
„Danke“, sagte Eron. „Ich habe euch etwas sehr Ernstes mitzuteilen. Ihr habt bestimmt alle mitbekommen, dass ich seit geraumer Zeit krank bin.“ Er machte eine kurze Pause um richtig Luft zu bekommen.
„Aber du hast doch nur eine Erkältung“, warf Claire dazwischen. „Du wirst doch wieder gesund.“
„Leider nicht … bei unserer Flucht aus dem Dion, hat Aaron mich mit seinem Schwert gestreift. Ich muss euch leider sagen, dass meine Zeit hier auf Erden bald um ist. Aaron hat wie es aussieht, sein Schwert mit einem Gift belegt, wogegen es kein Gegenmittel gibt.“ Eron blickte in bleiche, geschockte Gesichter. „Ich gebe die Leitung an Sanna, das weiße Orakel, ab. Einige werden sie schon kennen. Sie wird es auch sein, die mich erlösen soll. Ich hoffe, ihr werdet sie mit Respekt und Freundlichkeit begrüßen, wenn sie morgen früh hier ankommt. Luke, Joe, könnt ihr euch heute Abend bitte noch auf dem Weg zu ihr machen? Sie wird eure Hilfe brauchen.“
„Selbstverständlich“, sagten sie leise.
„Dann hätte ich noch eine bitte – ich weiß, es wird gefährlich werden, aber ich möchte neben Callandra und ihrer Tochter Roya im Dion bestattet werden.“
„Wir haben doch noch Zeit, deine Blutergebnisse werden gleich fertig sein. Ich werde ein Gegenmittel finden“, sagte Ruby.
„Nein Ruby, mir bleibt noch eine Woche, ich habe Sanna darum gebeten, mich in ein oder zwei Tagen zu erlösen. Es gibt kein Gegenmittel.“
„Ich werde nicht aufgeben“, sagte sie und verließ fluchtartig den Speisesaal.
„Ich glaube, es ist alles gesagt worden. Ihr könnt jetzt gehen. Claire, Keno, ich möchte euch gleich noch in meinem Büro sprechen.“
Außer das kratzen der Stühle, war kein Ton zu hören. Alle waren geschockt von Erons Ansprache.
Später am Abend saßen Claire und Keno in Erons Büro.
„Ich möchte eure Erlaubnis, euren Babys meine Magie zu übertragen“, sagte Eron leise zu den beiden.
„Nein!“, sagte Claire. „Wenn Ruby das Gegenmittel gefunden hat, wirst du deine ganze Magie selber brauchen.“
„Claire bitte, in ein oder zwei Tagen werde ich bei Callandra und Roya sein. Ich möchte es so und eure Babys werden meine Magie brauchen. Bitte tut mir diesen Gefallen.“
„Und wie willst du es anstellen? Du brauchst Fotos von den beiden, und da sie erst in zwei Monaten zur Welt kommen, wird es wohl kaum möglich sein.“
„Es gibt noch andere Wege. Ich möchte, dass ihr morgen Abend in mein Schlafzimmer kommt. Dort werden wir das Ritual durchführen.“
„Aber nur, wenn Ruby bis dahin nichts gefunden hat“, sagte Claire.
„Claire, sie wird nichts finden. Finde dich bitte damit ab.“
„Aber du darfst nicht sterben, wir brauchen dich doch“, schluchzte sie und brach in Tränen aus. Keno zog sie in seine Arme und hielt sie fest.
„Gibt es wirklich keine Hoffnung?“, fragte Keno.
„Nein, aber seid nicht traurig, ich hatte ein langes, erfülltes Leben und ich werde wieder bei meinen Lieben sein. Bitte lasst mich meine Macht euren Babys schenken. Sie werden dadurch mächtiger als Aaron.“
Claire konnte nur nicken.
„Ab morgen wird Sanna da sein. Sie wird euch schützen, wenn ich nicht mehr da bin. Bitte helft ihr so gut ihr könnt.“
„Das werden wir. Ruh dich noch etwas aus, wir sehen uns morgen.“
Sie standen auf und verließen das Büro.
Am nächsten Abend betrat Sanna das Schlafzimmer von Eron. Er lag mit Schmerz verzerrtem Gesicht in seinem Bett.
„Ich habe hier einen Trunk, der dich friedlich einschlafen lässt. Bist du dir sicher, dass du das möchtest?“
„Absolut sicher, die Schmerzen kommen langsam“, antwortete Eron schwach.
„Dann ist es jetzt wohl Zeit Abschied zu nehmen.“
„Verspreche mir bitte nur, dass du dich um alles kümmern wirst. Und wenn Aaron besiegt ist, Hauch dem Dion wieder Leben ein.“
„Ich verspreche es dir, mein Freund!“
„Kannst du bitte Keno und Claire hereinschicken?“
„Natürlich, Grüße mir bitte Callandra und Roya. Wir sehen uns wieder.“ Sie stellte das Fläschchen mit dem Gift neben Eron und ging mit einer Träne im Auge hinaus.
Nach einigen Minuten kam Claire mit roten verweinten Augen, gefolgt von Keno, in Erons Zimmer.
„Seid ihr bereit?“, fragte Eron sie leise. Seine Schmerzen wurden immer schlimmer.
Claire lief zu ihm und nahm ihn mit einem herzzerreißenden Schluchzen in den Arm.
„Wir werden dich so vermissen.“
„Seid nicht traurig, irgendwann werden wir uns wiedersehen. Ihr müsst jetzt an eure Zwillinge denken. Seid stark und trauert nicht um mich. Und jetzt setze dich zu mir, Claire.“
Er setzte sich mit deutlicher Mühe aufrecht hin und wartete, bis Claire sich zu ihm setzte. Dann legte er beide Hände auf ihrem Bauch.
„Boni geri alomi tui burach“, murmelte er immer wieder, bis Eron in einem gleißenden Licht erstrahlte.
Claire schloss die Augen und fiel in einer Art Trance. Zusammen mit Eron wiederholte sie die Worte.
„Boni geri alomi tui burach, boni geri alomi tui burach …“
Keno beobachtete erstaunt, wie das Licht langsam auf Claire überging.
Er sah, wie es bei Eron immer schwächer und bei Claire immer stärker wurde. Dann flackerte es bei Eron noch mal kurz auf und erlosch endgültig. Seufzend und mit den Kräften am Ende, ließ Eron sich in sein Kissen zurück gleiten. Erschrocken riss Claire ihre Augen auf und sah auf ihrem gewölbten Bauch hinab. Zwei kleine Lichtkugeln schimmerten durch ihre Haut.
„Claire, in meinem Büro im Schrank, befindet sich in einer kleinen Schublade, ein rotes Buch. Nimm es und lerne. Joe und Sanna werden dir helfen. Bringe deinen Kindern alles bei. Und jetzt geht. Ich habe mich von allen verabschiedet. Nun lasst mich in Frieden sterben“, sagte Eron. Er griff nach dem Fläschchen, das Sanna ihm gegeben hatte, und trank es in einem Zug leer.
Im selben Moment flog die Türe auf und Ruby stürzte herein.
„Eron, ich habe es gefunden, das …“
Sie brach mitten im Satz ab, als sie das leere Fläschchen in Erons Hand sah.
„Nein!!!“
Eron lächelte sie erschöpft an.
„Es ist gut so, lasst mich gehen“, flüsterte er ganz leise und schloss die Augen. Seine Brust hob und senkte sich.
Einmal … zweimal … dreimal … und dann war es vorbei.
„Nein … Eron … bitte nicht … ich habe es doch gefunden …“, schrie Ruby. Sie lief zu seinem Bett und träufelte das Gegenmittel in Erons Mund.
„Ruby, es ist zu spät! Er ist jetzt an einem besseren Ort“, beruhigte Claire sie.
Keno lief los, um Joe zu holen.
„Es ist meine Schuld! Ich hätte schneller arbeiten müssen … ich hätte nicht einschlafen dürfen. Warum bin ich nur eingeschlafen?“
Es tat Claire in der Seele weh, Ruby so zu sehen. Sie wusste, was in ihr vorging.
Eron war wie ein Vater für Ruby gewesen. Er hatte sie schon im Säuglingsalter aufgenommen und wie seine eigene Tochter großgezogen.
Claire hätte seinen Tod verhindern können, indem sie die Zeit nur ein wenig hinausgezögert hätte.
„Es ist nicht deine Schuld. Er wollte es so und du hättest ihn nicht aufhalten können.“
Claire nahm Ruby in den Arm und weinte mit ihr.
Plötzlich hörten sie ein leises Keuchen hinter ihnen. Zeitgleich drehten sie sich um und schauten zu Erons Bett.
Doch Eron rührte sich nicht. Er war tot.
In diesem Moment ging die Tür auf und Joe betrat, gefolgt von Keno, das Zimmer. Er zog Ruby sofort in seine Arme.
„Ist schon gut, Schatz. Sei nicht traurig, er wird immer bei uns sein. Kein einziger wird ihn jemals vergessen.“
Ruby löste sich von ihm und ging zu Eron.
„Wir sehen uns wieder … Vater“, flüsterte sie ganz leise und gab ihm einen letzten Kuss auf die Stirn. Plötzlich versteifte sich ihr Körper.
„Ruby? Was ist los?“, fragte Claire leise.
„Er atmet“, stieß sie hervor.
„Das ist nicht möglich, du musst es dir vor Trauer eingebildet haben“, sagte Joe tröstend.
„Nein! Komm her und überzeuge dich selber.“
In diesem Augenblick riss Eron seine Augen weit auf, holte tief Luft und fiel in einem tiefen Schlaf. Alle standen mit offenen Mündern wie versteinert da. Nur Ruby warf sich auf Eron und schluchzte.
„Ich wusste es … du bist nicht tot.“
Jetzt kam auch wieder Leben in den Anderen.
Kevin rannte zur Tür und rief laut nach Sanna.
„Wie ist das möglich? Er war doch tot!“, fragte Joe perplex.
„Mein Gegenmittel“, flüsterte Ruby unter Tränen. „Es muss beide Gifte neutralisiert haben.“
„Es ist ein Wunder …“ Claire wurde durch das Eintreffen von Sanna unterbrochen.
„Wusstest du es?“, fragte Ruby.
„Nein, und das ist komisch. Ich hätte es sehen müssen. Ich verstehe es einfach nicht.“
„Aber du bist doch das weiße Orakel, du kannst das Schicksal anderer sehen“, sagte Claire.
„Normalerweise schon, ich sah dich und die Zwillinge, die Prophezeiung, wie Eron vergiftet wurde und ich sah klar und deutlich seinen Tod. Doch das hier, das konnte ich nicht sehen.“
„Kannst du eigentlich das Schicksal von allen Menschen sehen?“, fragte Keno. Er hatte eine Vermutung.
„Nein, nur das Schicksal der Magier“, antwortete Sanna.
„Dann weiß ich vielleicht die Lösung.“ Alle starrten ihn fragend an.
„Eron hatte, kurz bevor er das Gift getrunken hatte, seine ganze Magie auf den Babys übertragen.“
„Das kann nicht sein, wenn ein Magier seine Magie abgibt, dann stirbt er kurze Zeit später“, erklärte Sanna.
„Das mag sein, aber was ist, wenn Rubys Gegenmittel genau das verhindert hat?“, fragte Keno erneut.
„Das wäre eine Möglichkeit, aber das würde heißen, Eron ist kein Magier mehr. Er hätte keine Kräfte.“
„Gibt es irgendeine Möglichkeit, ihm seine Magie wiederzugeben?“, fragte Ruby hoffnungsvoll.
„Leider nein“, sagte Sanna traurig. „Er wird für immer ein Mensch bleiben.“
***
Die Wochen zogen dahin, doch Eron wachte nicht auf.
„Er braucht Zeit“, beruhigte Ruby Claire. „Du brauchst nicht rund um die Uhr hier zu sitzen. Sobald er aufwacht, sage ich dir Bescheid. Außerdem fällt es langsam auf.“ Sie hatten beschlossen, alle in den Glauben zu lassen, dass Eron tot ist. Sie wussten schließlich nicht, ob unter Ihnen Aarons Spione waren.
„Außerdem sollst du dich ausruhen, du hast nur noch ein paar Tage, bis die Babys kommen.“
„Ich weiß, ich muss auch noch das Weihnachtsfest vorbereiten … es kommt mir falsch vor, Weihnachten ohne Eron zu feiern.“
„Wir können es aber nicht ändern. Die Kinder freuen sich schon so darauf.“
„Du hast Recht, dann werde ich mich mal auf dem Weg machen.“
Als Claire im Speisesaal ankam, sah sie Luke und Keno, wie sie sich mit einem riesigen Weihnachtsbaum abschleppten. Der Baum war bestimmt drei Meter groß und so wuchtig, dass er kaum durch die Tür passte.
„Ging der nicht auch eine Nummer größer?“, lachte Claire.
Die Männer warfen ihr nur einen bösen Blick zu.
„Nicht so böse gucken, strengt nur an!“, lachte sie wieder.
Als sie einen geeigneten Platz fanden, stellten sie den Baum ab.
„Du hast … leicht … reden“, keuchte Luke.
***
„Schon was Neues von meinem Bruder?“, fragte Aaron die junge Frau.
„Nein, Meister, aber unser Informant hat herausbekommen, wo sie sich zurzeit aufhalten“, antwortete diese.
„Sehr schön! Eron dürfte mittlerweile tot sein, also kann er uns beim nächsten Angriff nicht dazwischenfunken.
Und dieses Mal muss alles glattgehen. Ich will die Zwillinge und ich dulde kein Versagen. Nur mit den beiden, bekomme ich meine ganze Macht wieder.“
„Keine Sorge, es wird alles zu ihrer Zufriedenheit geschehen.“
***
Das Weihnachtsfest war vorüber und Eron ist noch immer nicht aufgewacht. Claire saß an seinem Bett und erzählte ihm, wie jeden Abend, was am Tag so passiert war.
„Ich habe für heute Abend schon alles vorbereitet. Die Kleinen sind schon ganz aufgeregt, weil sie bis nach Mitternacht noch aufbleiben dürfen. Selbst Lilli freut sich. Sie hat Tommys Tod ganz gut verkraftet … ich wünschte du könntest dabei sein.“ Plötzlich keuchte sie auf. Ihr Unterleib zog sich schmerzhaft zusammen und Fruchtwasser lief ihr an den Beinen herunter.
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und Ruby betrat das Zimmer um nach Eron zu sehen.
„Claire, was ist passiert?“, fragte sie erschrocken, als sie Claire sah.
„Meine … Fruchtblase … ist geplatzt … die Zwillinge kommen“, stieß sie keuchend aus. „Hole bitte Keno … und sag Zaira und meinen Eltern Bescheid.“
„Zuerst bringe ich dich auf euer Zimmer. Wir werden unterwegs schon jemanden finden, der ihnen Bescheid sagt“, sagte Ruby bestimmt.
Sie stützte Claire und lief langsam mit ihr den Flur entlang. Plötzlich kam Luke um die Ecke.
„Claire!“, rief er erschrocken. „Was hast du?“
„Die Babys kommen … hol Keno … und sag Zaira und Mom und Dad Bescheid“, stieß sie hervor.
„Die Babys?“, fragte er verblüfft, als wenn er soeben erst erfahren hätte, dass Claire schwanger ist.
„Ja, die Babys und jetzt beeile dich“, fuhr Ruby ihn an. Luke drehte sich um und rannte los, als wäre der Teufel hinter ihm her.
„Er ist nervöser als du“, lachte Ruby.
Im Zimmer angekommen, zog sich Claire mit Hilfe von Ruby um und legte sich ins Bett. Draußen tobte der angekündigte Sturm.
„Na, das nenne ich mal eine Silvesternacht“, sagte Ruby. „Ein richtig heftiger Sturm, euer Geburtstag und die Geburt von Zwillinge. Besser kann es doch nicht mehr werden.“
Claire musste die ganze Zeit an die Prophezeiung denken, die Sanna vor so vielen Jahren Keno und ihr überbracht hatte:
Das Böse kommt zu neuer Macht
Alles scheint verloren
Doch in der dunklen Zeit hinein
Werden Zwillinge euch geboren
Sie allein haben die Kraft
Alles zum Guten zu wenden
Doch habt acht und passt gut auf!
Das Böse darf ihre Herzen nicht berühren
Zu leicht lässt man sich verführen
Euch retten können sie nur
Ist in ihren Herzen
Vom Bösen keine Spur
Die nächste Wehe überrollte sie.
Als sie vorbei war, untersuchte Ruby sie.
„Der Muttermund ist jetzt vier Zentimeter geöffnet. Wenn es weiter so schnell geht, sind die Zwei noch vor Mitternacht da.“ Sie legte die Decke wieder über Claire und setzte sich an ihrer Seite.
In diesem Moment klopfte es an der Tür.
„Ihr könnt rein kommen“, rief Ruby und Keno kam gefolgt von Zaira, Roger und Elisa ins Zimmer.
Ruby stand auf um Keno Platz zu machen. Er lief sofort zu Claire und nahm ihre Hand.
„Wie geht es dir?“, fragte er aufgeregt.
„Wie soll es mir schon gehen? Ich habe Schmerzen …“, fauchte sie, weil gerade wieder eine Wehe kam.
Keno hielt weiterhin ihre Hand, damit sie zudrücken konnte.
„Zaira, kümmere dich doch schon mal mit Roger um das Fest. Die Kinder werden sonst unruhig und bauen Mist. Wir geben euch Bescheid, wenn die Zwillinge da sind. Elisa, du kannst mir helfen. Bereite alles für die Babys vor und Keno … du bleibst einfach dasitzen und unterstützt Claire“, gab Ruby Anweisungen.
Roger und Zaira verließen den Raum und schlossen die Tür hinter sich.
Nach der nächsten Wehe, untersuchte Ruby sie noch einmal.
„Sechs Zentimeter geöffnet. Prima!“
„Du schaffte das. Es wird alles gut“, beruhigte Keno Claire.
Die Abstände zu den Wehen wurden jetzt immer kürzer. Der Muttermund war mittlerweile vollständig geöffnet.
Es ging langsam auf Mitternacht zu, als Ruby schon das Köpfchen sah.
„Jetzt feste pressen“, rief sie über Claires Schrei hinweg.
Dann hörte man ein lautes Babygeschrei.
„Ein Mädchen, ein wunderschönes Mädchen“, rief Ruby glücklich und übergab das Baby Elisa, die es säubern sollte.
„Wir haben eine Tochter“, flüsterte Claire erschöpft. Dann verkrampfte sie sich, als die Wehen erneut einsetzten. Sie drückte Kenos Hand so fest, dass er dachte, Sie würde sie ihm brechen. Die Wehe ließ nach. Schnell untersuchte Ruby sie erneut.
„Bei der nächsten Wehe, möchte ich, dass du kräftig presst. Ich kann schon das Köpfchen sehen“, sagte sie zu Claire. Die Wehe kam und Claire presste so fest sie konnte. Sie schrie vor Schmerzen auf – dann die Erleichterung. Das zweite Baby erblickte das Licht der Welt.
„Noch ein Mädchen“, rief Ruby. „Frohes neues Jahr!“
„Wie wollt ihr sie nennen?“, fragte Elisa und legte die gebadeten Zwillinge in Claires Armen, die sie sofort zum Trinken an die Brust legte.
Claire sah ihren Mann an und lächelte.
„Brianna und Maggie! Willkommen auf der Erde!“, sagte sie und strich zärtlich über die Köpfe ihrer Babys.
„Sie sehen aus wie ihre Mutter“, sagte Keno stolz und betrachtete die flammendroten Haare seiner Töchter.
Im selben Moment öffneten sie die Augen und es schien fast so, als würden sie ihren Vater intensiv beobachten.
Beide hatten sie strahlend grüne Augen. Nur bei Maggie, die zweit geborene, war in der Mitte der Iris ein kleiner, brauner Punkt zu sehen.
Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen und Zaira betrat das Zimmer.
„Entschuldigt, dass ich so reinplatze aber wir werden angegriffen“, sagte sie nach Luft japsend.
„Wo sind die Kinder?“, fragte Ruby erschrocken.
„Sie sind alle im Speisesaal versammelt“, antwortete Zaira.
Im selben Augenblick ertönte ein lauter Knall und der Putz rieselte von der Decke.
„Oh mein Gott“, flüsterte Claire und drückte die Mädchen an sich.
„Das war eine Explosion“, sagte Keno.
„Mom, nimm die Babys und bringe sie in den Schutzraum. Wir holen die Kinder und folgen dir“.
Da ging ein neues Beben durch das Anwesen. Plötzlich stürzte Joe ins Zimmer.
„Der Speisesaal ist eingestürzt ... die Kinder ... verschüttet ... wir brauchen Hilfe.“ Claire wollte aufspringen aber Keno hielt sie zurück.
„Du bist noch zu schwach, du hast gerade eben zwei Babys zur Welt gebracht, und musst dich ausruhen.“
„Sag mir nicht, was ich machen muss, die Kinder sind im Speisesaal, ich muss helfen. Ich kann mich nicht ausruhen, solange auch nur ein Kind verschüttet ist.“ Damit stand sie schwankend auf und lief auf wackeligen Beinen zum Speisesaal.
Was sie dort sah, ließ ihr den Atem stocken. Der ganze Speisesaal war eingestürzt. Die, die nicht verschüttet worden waren, halfen den Geröll hinweg zu räumen um an die Kinder rann zukommen. Viele schafften es mit Magie die Brocken schweben zu lassen, während andere die verletzten Kinder rauszogen.
Claire entdeckte den schwarzen Haarschopf von Roy.
„Roy“, rief Claire laut über das Schreien der Kinder hinweg.
Der Kleine drehte sich um und schaute sie mit erschrockenen Augen an. Tränen hinterließen eine Spur in seinem, von Staub verschmutzten Gesicht.
„Wo ist Mami und Daddy?“, weinte er und vergrub sein Gesicht an ihrem Körper.
„Alles gut, Schatz, sie sind gleich da. Siehst du? Dort stehen sie. Roy, wo ist Jamie?“
„Ich weiß es nicht … er … er war neben mir und … und dann wurde alles dunkel und die Decke fiel runter. Als ich die Augen wieder aufmachen konnte, war er weg.“ Noch mehr Tränen liefen an seiner Wange herunter.
„Schhhh … es wird alles gut, wir werden ihn finden. Jetzt Lauf zu deinen Eltern. Sie bringen dich in Sicherheit.“
Während sie ein Kind nach dem anderen bargen, hörte Claire draußen Kampfgebrüll. Sie hielt kurz inne und schaute raus. Was sie dort zu Gesicht bekam, ließ ihr die Nackenhaare zu Berge stehen. Die Wachen kämpften mit Wesen, die Claire nur aus Horrorfilmen kannte. Die Wachen schlugen mit ihren Schwertern auf die Wesen ein, doch es schien sie nicht zu stören. Eines der Wesen biss sich gerade in den Unterarm einer Wache fest und mit einem Ruck, riss er ihm den Arm ab. Es stürzte sich wieder auf ihn und riss ihm mit den Zähnen die Kehle auf. Claire schrie und warf einen Feuerball durchs Fenster und traf. Das Wesen schrie auf und fiel zu Asche.
„Setzt eure Elemente ein“, schrie sie aus dem Fenster, dann drehte sie sich um und erbrach sich. Keno stand hinter ihr und hielt sie fest.
„Du bist zu erschöpft, geh in den Schutzraum und ruh dich endlich aus.“
„Nein!“ Sie drehte sich um und fing an weiter zu arbeiten. Fast alle Kinder waren befreit, nur von Jamie war keine Spur. Zaira rannte gerade an ihr vorbei.
„NEIN!“ Ein erstickter Schrei entrang sich aus Zairas Kehle. Entsetzt starrte sie auf das kleine Paar Beine, das unter einem Trümmerhaufen hervorschaute.
„NEIN!“, wiederholte sie, diesmal wesentlich lauter und kniete sich hin um den keinen Körper vollständig vom Schutt zu befreien. Und dann war Jamie frei. Aber wie sie befürchtet hatte, bewegte er sich nicht. Nicht einmal seine Brust hob und senkte sich. Zaira hob ihre zitternde Hand und berührte vorsichtig sein Gesicht, als hätte sie Angst, ihm wehzutun. Seine Haut war weich und noch warm, aber ohne Leben. Ein Herz zerreißendes Schluchzen brach aus ihr heraus. Er war voller Schmerz und Verzweiflung. Wie aus weiter Ferne hörte sie, dass Joe leise und eindringlich auf jemanden einredete, doch sie hob nicht den Kopf um nachzusehen, wer es war. Ihr gesamtes Denken war auf ihren Sohn gerichtet. Sie hielt Jamies zierlichen Körper fest an sich gedrückt und wiegte ihn hin und her, während sie in sein Haar weinte.
Claire stand geschockt hinter ihr. Sie konnte diese beklagenswerte Szene nicht länger ertragen. Ihre beste Freundin so zu sehen – diese nackte Pein – ließ Ihr das Herz zerreißen. Sie legte ihr von hinten sanft eine Hand auf die Schulter und fast sofort hob Zaira den Kopf. Weitere Tränen liefen ihr übers Gesicht, doch sie gab keinen Laut mehr von sich.
„Zaira? Gib ihn mir, ich werde alles versuchen, aber du musst ihn mir jetzt geben, bevor es zu spät ist.“ Nur widerwillig gab Zaira Jamie aus den Armen. Claire legte ihn vorsichtig auf den Boden und blendete alles um sich herum aus. Sie konzentrierte sich so stark auf Jamie, wie sie es noch nie in ihrem Leben getan hatte. Kein Kampfgeräusch, keine Schreie oder Gerede drang mehr zu ihr.
Ihre Hände glühten hellblau auf, als sie sie behutsam auf Jamies kleinen Körper legte. Das Glühen ging auf ihn über und erfüllte seinen ganzen Körper. Es dauerte einige Sekunde und Claire spürte, wie sie immer schwächer wurde. Plötzlich holte Jamie Luft und schlug die Augen auf. Das Glühen erlosch und Claire wurde schwarz vor Augen. Bevor sie auf dem Boden aufschlug, fing Keno sie auf.
„Sie ist zu schwach, erst die Geburt und jetzt Jamie. Das war zu viel für sie. Ich bringe sie zu den Anderen. Zaira, nimm Jamie und komm mit.“
In diesem Augenblick erstrahlte ein grelles Licht und legte sich über das Anwesen. Sämtliche Horrorwesen lösten sich in Staub auf. Alle starrten hoch zur Treppe und trauten ihren Augen nicht.
Schwerelos schwebte er in einem hellen, freundlichen Nebel.
Wo war er? Wer war er?
Er wusste es nicht!
Ein Flüstern erregte seine Aufmerksamkeit.
„Komm zu mir … Folge meiner Stimme …“
Folgen? Wohin denn?
Der Nebel lichtete sich und plötzlich stand er auf einer saftigen, grünen Wiese, auf der unzählige, wunderschöne Blumen blühten.
Dort saß eine engelsgleiche, rothaarige Frau und plötzlich fiel ihm alles wieder ein.
„Callandra?“, fragte er ungläubig.
„Ja, mein Geliebter.“
Sie stand auf und lief mit ausgestreckten Armen auf ihn zu.
„Wie ist das möglich? Was … was machst du hier? Ich dachte du bist Tod.“
„Ich durfte hier herkommen, weil ich dir sagen muss, dass deine Zeit noch nicht um ist. Du musst zurück. Claire und die Babys brauchen dich.“
„Aber wie kann ich ihnen helfen? Ich habe meine ganze Magie auf Claires Babys übertragen. Ich kann ihnen nicht mehr helfen.“
„Sei dir nicht so sicher! Du hast nicht alles übertragen. Ein kleiner Rest ist dir geblieben.“
„Auch wenn ich noch ein wenig Magie habe, reicht es noch lange nicht, um Aaron zu besiegen.“
„Nein … aber mit meiner Hilfe besiegst du ihn.“ Sie holte eine filigrane Kette mit einem weißen Stein hervor.
„Solange du sie trägst, hast du mehr Macht als je zuvor.“ Callandra setzte sich wieder auf der Wiese.
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll … Ich möchte bei dir bleiben, ich weiß, ich muss zurück aber ich habe so viele Jahrhunderte darauf gewartet, um wieder bei euch zu sein. Ich wollte dir alles erklären, dir sagen, warum ich dich vergessen lassen habe, dass wir uns liebten. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen“, sagte Eron traurig.
„Mein Geliebter, als ich starb, konnte ich mich an alles erinnern. Du Wolltest uns schützen, ich verstehe warum du es getan hast. Die Zeit wird kommen, an dem wir wieder vereint sind, doch noch ist es nicht soweit. Leg dich zu mir“, flüsterte Callandra liebevoll.
Er legte sich zu ihr und bettete seinen Kopf auf ihren Schoß. Zärtlich streichelte sie ihm das faltige Gesicht.
„Schließe die Augen, ich werde dich jetzt zurückschicken.“
„Kannst du nicht noch etwas warten?“
„Nein, leider nicht. Es wird Zeit. Claire und die Anderen brauchen dich jetzt. Ich liebe dich Eron. Ich werde dich immer lieben.“
Er schloss die Augen und spürte ihre Lippen wie zarte Schmetterlingsflügel auf seinen. Ihr geflüstertes “Ich liebe dich“ wurde immer leiser und andere Geräusche mischten sich darunter.
Er vernahm Schreie und Schwerter, die auf einander schlugen.
Eron riss die Augen auf und atmete einmal tief durch. Jetzt bemerkte er den Schlauch, der in seinem Arm steckte. Er riss ihn heraus und stand mit zittrigen Beinen auf. Kurz befiehl ihm ein Schwindelgefühl, doch dann klärte sich sein Blick. Der Stein um seinem Hals leuchtete hell auf und das Licht drang in seinem Körper.
Er verließ das Zimmer und blieb oben auf der Treppe stehen. Dort sah er Claire mit dem kleinen Jamie, sah grauenhafte Geschöpfe die versuchten alles zu töten, was ihnen in die Quere kam. Es wurde Zeit zu Handeln.
Langsam breitete Eron seine Arme aus. Seine Augen, sie leuchteten so hell wie der Stein. Wind kam auf.
Plötzlich schoss das Licht aus seinem Körper und die Strahlen fegten über alles hinweg.
Es schützte das Gute und zerstörte das Böse. Eron spürte ein Portal und die Nähe seines Bruder. Er war hier, im Haus.
Mit dröhnender Stimme rief er zu den Menschen unten: „Die Babys! Sie sind in Gefahr!“
Das Licht verschwand und Eron lief so schnell er konnte den Gang entlang, immer der Präsenz seines Bruders hinterher. Vor einem der Zimmer, spürte er ihn am stärksten. Eron stieß die Tür auf und sah gerade noch, wie Aaron mit einem Schrei aus dem Fenster sprang und in Begleitung einer jungen, vermummten Frau durch das Portal verschwand.
Die Babywiegen waren leer und lagen umgekippt auf der Seite.
Claire und Keno stürzten ins Zimmer und bei dem Chaos im Kinderzimmer blieb ihnen fast das Herz stehen.
„Meine Babys, … wo sind sie?“, schluchzte Claire.
„Aaron war hier. Claire, Keno, es tut mir leid, ich konnte ihn nicht aufhalten. Aber die Zwillinge waren nicht bei ihm. Es besteht die Möglichkeit, dass er sie gar nicht hat.“
„Wo ist meine Mom? Sie war bei ihnen und sollte sie in Sicherheit bringen“, sagte Claire völlig aufgelöst.
„Mach dir keine Sorgen Schatz, sie werden hier irgendwo sein. Elisa wird sie in Sicherheit gebracht haben.“
„Seid mal still, hört ihr das?“, fragte Eron. Ein leises Wimmern ertönte.
„Wo kommt das her?“, fragte Keno, doch Claire lief schon zur Wand gegenüber den Wiegen.
Hektisch strich sie über die helle Tapete, bis sie eine Einkerbung fand.
„Was machst du da?“, fragte Keno verwundert.
„Hinter dieser Wand befindet sich eine geheime Kammer, ich hatte sie völlig vergessen. Mom und Dad haben Luke und mir vor langer Zeit davon erzählt. Sie sagten, wenn mal was passieren sollte, müssen wir uns hier drin verstecken und warten bis sie uns holen kommen. Ich habe nie begriffen, was sie damit meinten … bis jetzt.“
Claire drückte in die Einkerbung und die Wand glitt geräuschlos zur Seite. Der Raum war groß und freundlich eingerichtet. An den Wänden hingen unzählige selbst gemalte Kinderbilder und in einer großen Kiste lagen Puppen, Bauklötze und Autos. Links vom Eingang stand ein Schreibtisch, vollgestellt mit Stifte und Papier zum Malen. Hinten in der rechten Ecke, standen zwei Betten und auf eines davon, saß die unter Schock stehende Elisa und hielt wimmernd die schlafenden Babys in ihren Armen.
Claire lief erleichtert und mit Tränen in den Augen zu ihrer Mutter und den Babys und drückte sie ganz fest an sich.
„Gott sei Dank, ihr seid in Sicherheit“, schluchzte sie.
„Ich beschütze euch … ich beschütze euch …“, murmelte Elisa immer und immer wieder und wiegte die Mädchen hin und her.
„Mom? Geht es euch gut?“ Elisa nahm sie gar nicht wahr, sie wiegte sich weinend und vor sich hin murmelnd hin und her.
„Sie steht unter Schock. Wir bringen sie auf das Krankenzimmer. Dort wird Ruby sich um sie kümmern“, sagte Keno.
„Mom, komm, ihr seid in Sicherheit. Gib mir Brianna und Maggie“, sagte Claire beruhigend. Doch Elisa drückte die Kinder nur noch fester an sich und fing an zu weinen. Eron trat nach vorne und legte einen Schlafzauber über Elisa.
„Claire, nehme deine Babys und versorge sie erstmal. Wir bringen deine Mutter ins Krankenzimmer. Aaron ist wieder geflohen, wir dürften erstmal in Sicherheit sein. Ich frage mich nur, wie er uns finden konnte. Ich habe doch das komplette Gelände gesichert. Er hätte gar nicht durch die Schutzzauber kommen dürfen. Ich muss mich ein wenig ausruhen, ich bin noch ein bisschen schwach auf den Beinen. Weißt du ob alle wohl auf sind, Keno?“
„Soviel ich weiß, haben wir Gott sei Dank nur Verletzte. Wir hätten fast Jamie verloren, aber Claire hat ihn gerettet. Sie muss sich auch dringend ausruhen.“
„Dann mal los, es war eine lange Nacht. Wir werden uns morgen um alles kümmern. Keno, Joe soll dir helfen alle Kinder unterzubringen.“
***
"Verdammt noch mal, wie kann das sein?“ Aaron war wütend, sehr wütend. Er tötete alles was in seiner Nähe war. Andrea stieß in ihrer Panik sämtliche Kreaturen Aarons aus dem Weg um ins Freie zukommen.
In seiner Wut allein gelassen, stieg er ohne Skrupel und ohne ein Zeichen des Bereuens über die Leichen hinweg.
"Wie kann er leben? Es gibt kein Gegengift. Ich, Aaron, das magische Genie, habe es selbst entwickelt. Wie hat mein ach so toller Bruder es geschafft? Er muss doch irgendwie vernichtet werden können! Andrea!", schrie er.
Sofort öffnete sich die Tür und Andrea kam ängstlich herein. Sie blickte sich um und blieb nervös an der Tür stehen.
„Ich möchte, dass du die Umgebung um Eron im Auge behältst. Ich will über jede Kleinigkeit informiert werden. Lass ihn nicht eine Sekunde aus den Augen. Und jetzt geh.“
Sie drehte sich wortlos um und verließ das Zimmer.
***
Claire lag völlig fertig mit ihren Babys in ihrem Bett. Keno war noch immer mit Joe dabei alle Kinder unterzubringen. Liebevoll sah sie den Zwillingen beim Schlafen zu.
Gerade erst auf der Welt und fast entführt worden. Sie durfte gar nicht daran denken, was dieses Scheusal mit ihren Babys gemacht hätte.
„Ich werde euch immer beschützen, niemals wieder werde ich diese Kreatur so nah an euch heran lassen“, flüsterte sie, küsste Brianna und Maggie auf die Stirn und schlief mit den beiden im Arm erschöpft ein.
Babygreinen weckte Claire.
Erschrocken richtete sie sich auf und suchte ihre Kinder. Sie lagen nicht mehr bei ihr. Da entdeckte sie die beiden in ihren Wiegen. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass Keno ins Bett kam.
Die ersten Sonnenstrahlen krochen durchs Fenster und Claire genoss das helle Lichtspiel auf Kenos Gesicht. Leise, um ihn nicht aufzuwecken, stand sie auf und holte die Zwillinge um sie zu wickeln und anschließend zu stillen.
„Wie fühlst du dich?“, hörte sie die leise verschlafene Stimme von Keno.
„Ich habe Angst. Das war gestern zu viel. Er hätte sie fast gehabt. Ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn er es schafft.“ Claire fing leise an zu weinen.
Keno sprang aus dem Bett und nahm sie in den Arm.
„Weine nicht, er wird sie nicht bekommen. Wir alle werden sie beschützen, wenn es sein muss, mit unserem Leben. Und jetzt komm, wir besuchen deine Mutter auf der Krankenstation, sie wird ihre Enkelkinder sehen wollen um sicher zu gehen, dass es ihnen gut geht. Danach muss ich noch dabei helfen, das Haus wieder in Ordnung zu bringen.“ Sie nahmen die Babys und gingen hoch in die zweite Etage.
Hier war von der Verwüstung des Kampfes nichts zu sehen. Als sie die Türe zur Krankenstation öffneten, sah Claire, dass viele Betten belegt waren. Sie suchte mit den Augen die Betten nach ihrer Mutter ab und fand sie sechs Betten weiter auf der linken Seite. Mit zügigen Schritten gingen sie auf Elisa zu. Elisa Cameron saß aufrecht in ihrem Bett. Sie sah sehr mitgenommen aus.
„Sie hat die ganze Zeit nach euch und den Babys gefragt. Sie wollte mir nicht glauben, dass es allen gut geht“, sagte Ruby, die plötzlich neben Claire stand.
„Mom, geht es dir gut?“, fragte Claire besorgt.
„Wo sind die Kinder?“
„Die Mädchen sind hier, es geht ihnen gut, siehst du?“ Sie legte die Zwillinge in Elisa Armen.
„Wo ist Jamie? Geht es ihm auch gut?“
„Er ist wieder bei Zaira und Luke, sie haben ihn heute Morgen abgeholt. Da hast du noch geschlafen“, antwortete Ruby ihr. „Sie wollen heute Mittag noch mal herkommen.“
„Dann ist es ja gut.“ Elisa hörte kaum noch zu, sie streichelte mit leerem Blick Brianna und Maggie.
„Sie steht noch unter Schock, es wird ihr bald besser gehen“, beruhigte Ruby Claire.
„Sie ist wieder eingeschlafen“, flüsterte Keno. Vorsichtig nahm er die Zwillinge an sich und drehte sich zu Claire.
„Lass uns gehen, ich muss noch nach unten zu Joe. Wir müssen das Haus wiederherrichten. Wir können später noch mal vorbeischauen.“ Leise verabschiedeten sie sich von Ruby und gingen hinaus.
Die Wochen zogen ins Land und von Aaron war keine Spur.
Das Anwesen war wieder in Stand gesetzt worden und die Kinder hatten den Schrecken überwunden und gingen langsam ihren gewohnten Tagesablauf nach.
Auch Elisa Cameron hatte sich gut von dem Schock erholt und betüttelte ihre drei Enkel wo sie nur konnte.
Maggie und Brianna entwickelten sich prächtig.
„Sie besitzen jetzt schon starke Magie“, sagte Eron eines Abends, als er den beiden Mädchen eine gute Nacht wünschen wollte. Maggie hielt ihre kleine Hand nach oben und feine, blaue Funken stiegen empor.
„Ja, sie sind einfach bezaubernd. Gestern haben sie sogar den immer missgelaunten Erik zum lächeln gebracht“, sagte Keno stolz.
Erik war der alte Hausmeister vom Dion. Er kümmerte sich um alles, was kaputt ging und lief den ganzen Tag mit einem griesgrämigen Gesicht herum. Er war ein alter Freund von Eron und war früher ein lebensfroher, lustiger Geselle. Dann starb seine Frau bei der Geburt ihrer Tochter. Das Mädchen folgte ihrer Mutter drei Tage später. Da Elenora, seine Frau, keine Magierin war, konnte man nichts mehr für sie tun. Er hatte alles versucht, aber nichts hat geholfen. Als dann auch seine Tochter starb, fiel er in ein tiefes Loch der Trauer. Eron schaffte es nur mit sehr viel Mühe ihn aus diesem Loch zu ziehen. Seit da an lebte er im Dion.
„Das sind schöne Neuigkeiten, ich habe Erik schon viele Jahre nicht mehr lächeln gesehen. Vielleicht helfen die beiden Ladys hier ihn endlich von seiner Trauer zu befreien“, sagte Eron.
Am nächsten Morgen, nach dem Frühstück, rief Eron Keno und Claire zu sich. Als die beiden das Büro betraten, saßen dort schon Joe, Luke und Zaira.
„Setzt euch, ich möchte gerne mit euch allen etwas besprechen“, bat Eron sie.
Claire schaute neugierig zu Zaira, doch diese zuckte nur mit den Schultern.
„Ich habe nachgedacht, und bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich gerne unseren Standort wechseln möchte. Eigentlich wollte ich zurück ins Dion … aber dort wären wir erstens nicht sicher, und zweitens hat Aaron fast alles dem Erdboden gleichgemacht.“ Eron seufzte traurig auf.
„Woher weißt du das?“, fragte Claire geschockt.
„Ich war da, um die Lage auszukundschaften. Das Dion ist nur noch eine Ruine“, antwortete Joe. Claire sah, wie Eron vergeblich versuchte, seine Tränen weg zu blinzeln. Sein Lebenswerk … zerstört … sie wusste, wie er sich fühlen musste.
„Sobald Aaron vernichtet ist, bauen wir das Dion wieder auf, Eron. Es wird größer und schöner, als je zuvor!“, versicherte Keno ihm.
„Aber warum bleiben wir nicht hier? Wir haben doch keine andere Wahl … oder besitzt hier noch jemand ein geheimes Anwesen?“, fragte Zaira.
„Natürlich nicht“, antwortete Eron. „Aber früher oder später wird Aaron wieder angreifen, er wird nicht aufgeben, bis er hat was er will … oder tot ist. Ich habe eine alte Freundin in Deutschland, Jannette Klein, die Immobilienmaklerin fürs Ausland ist. Sie wird sich diskret umhören, ob es hier in Schottland ein Anwesen zukaufen gibt, das groß genug für uns ist. Sie wird alles so regeln, dass keine Spur zu uns führt. Es wird alles über sie laufen. Also werden Aaron und seine Spitzel kein Wind davon bekommen.“
„Du hast schon Kontakt mit ihr aufgenommen?“, fragte Luke erstaunt.
„Nein, noch nicht. Ich wollte erst eure Meinung dazu hören.“
„Ich weiß nicht, Aaron wird die Umgebung im Auge behalten, können wir hier nicht den Schutz verstärken?“, fragte Zaira unsicher.
„Das könnten wir, aber das Problem ist, dass er weiß, wo wir sind. Das ist mir zu riskant. Er will die Zwillinge und wir müssen alles tun, um sie zu schützen. Er ist zu mächtig geworden. Der beste Beweis dafür, sind diese Kreaturen, die er erschaffen hat. Wir müssen hier weg. Ich sehe keinen anderen Ausweg.“
„Aber wir können uns doch nicht ewig verstecken, ich bin dafür, dass wir kämpfen“, rief Luke aufgebracht.
„Das werden wir auch, aber wir müssen uns gut darauf vorbereiten und die Kinder müssen in Sicherheit sein“, sagte Joe.
„Und wie ziehen wir um? Wieder mit dem Portal?“, fragte Claire.
„Ich denke, das wäre das Beste“, sagte Eron.
„Wann werden wir uns Aaron stellen?“, fragte Luke.
„Sobald wir uns darauf vorbereitet haben und stark genug sind.“ Eron holte tief Luft und schaute Luke ernst an. Dann sprach er weiter. „Wenn alle einverstanden sind, kontaktiere ich Jannette. Es wäre gut, wenn wir vorher alles packen und für den Umzug vorbereiten. Ich weiß nicht, wie lange Jannette braucht, um etwas Passendes zu finden. Wir sollten zu jeder Zeit bereit sein.“
Ein Anwesen zu finden, dauerte doch länger als erwartet. Erst im Juli kam die erlösende Nachricht von Jannette.
Eron machte sich mit Joe und Luke auf dem Weg dorthin, um es zu besichtigen.
Am Abend, brachte Claire gerade die Zwillinge ins Bett, als Keno hereinkam. Leise schloss er die Türe hinter sich, um Claire nicht bei ihrer Gute Nacht Geschichte zu stören. Als die Babys eingeschlafen waren, trat er hinter ihr und küsste sanft ihren Nacken.
„Komm mit“, forderte er sie auf. Leise verließen sie das Kinderzimmer.
„Ich habe eine kleine Überraschung für dich“, flüsterte Keno ihr ins Ohr.
„Was ist es denn?“, fragte Claire aufgeregt.
„Wenn ich es dir vorher erzähle, dann ist es doch keine Überraschung mehr.“ Er nahm sie an der Hand und zog sie die Treppe hinauf.
„Wo gehen wir hin?“, wollte sie misstrauisch wissen. Was hatte er vor?
„Auf den Dachboden“, sagte er knapp, aber freundlich. „Und mehr verrate ich dir nicht.“
Obwohl sie es seltsam empfand, was er tat, ließ sie sich von ihm weiter nach oben führen. Oben angekommen, zog Keno die Dachbodenluke auf und ließ eine Leiter hinuntergleiten.
„Ich werde dir jetzt die Augen verbinden“, sagte er, als er ein seidenes Tuch aus seiner Tasche zog. Sie sah ihn mit großen Augen an.
„Was soll der ganze Unsinn? Ich kann nicht lange wegbleiben. Jemand muss sich um Brianna und Maggie kümmern. Ich möchte sie nicht lange unbeaufsichtigt lassen.“
„Mach dir keine Sorgen, Erik kümmert sich um sie. Er wird gut aufpassen, du weißt doch, wie vernarrt er in sie ist. Es wird ihnen nichts geschehen“, flüsterte er in ihr Ohr. Sie atmete aus und schloss ihre Augen. Manchmal musste man einfach mal über seinen Schatten springen, dem Partner vertrauen, mal etwas verrücktes tun.
Keno legte Claire ganz sanft das Tuch um die Augen und führte sie vorsichtig die Treppe rauf. Oben angekommen, ließ er sie los, küsste ihren Nacken und raunte, „Beweg dich nicht.“ Sein Atem an ihrer Haut bereitete ihr einen wohligen Schauer. Sie hörte es rascheln und klappern.
„Was machst du da?“, fragte sie leise und ein aufregendes Gefühl breitet sich in ihrem Inneren aus.
„Nur noch einen Moment.“, erwiderte er sanft. Dann spürte sie seine Finger an ihrem Hinterkopf. Langsam öffnete er den Knoten und ließ das Tuch hinuntergleiten.
Claire blinzelte ein paarmal und staunte, als sie den Raum sah. Überall waren Kerzen aufgestellt und über dem ganzen Boden lagen Rosenblätter verteilt. In der Mitte des Raumes, hatte Keno eine große, weiche Decke ausgebreitet. Dort standen mehrere Schüsseln mit ihren Lieblings Obstsorten. Sie sah Bananenstückchen, Erdbeeren, dunkle Weintrauben und Maracuja. Dazu eine riesige Schüssel Schlagsahne. In der Mitte stand eine kleine Vase mit einer einzelnen roten Rose und direkt daneben ein Eiskübel mit einer Sektflasche.
„Und, was sagst du?“, fragte Keno nervös.
„E … es ist … w … wunderschön“, stotterte Claire, nach ein paar Sekunden der Sprachlosigkeit.
Mit einem breiten Lächeln, nahm er ihre Hand und zog sie zur Decke. Claire setzte sich freudig, sie hätte nie gedacht, dass er sie mit so etwa Schönem überraschen würde. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen, sie griff nach einer Erdbeere, aber Keno hielt ihre Hände fest und zog sie wieder hoch.
„Warte“, er sah ihr ganz tief in die Augen. „Vertraust du mir?“, fragte er voller Liebe.
„Mit Leib und Seele“, antwortete sie.
Er drehte sie um und öffnete ganz langsam den Reißverschluss ihres Kleides und ließ es zu Boden rutschen.
Claire schloss die Augen, langsam ahnte sie, was er noch vorhatte. Ihr Unterleib zog sich in froher Erwartung zusammen. Keno öffnete ihren BH und verteilte sanft seine Küsse auf ihren Schultern, sie seufzte verlangend. Aber als er das Seidentuch vom Boden aufhob und Claire die Hände fesselte, versuchte sie sich zu befreien.
„Was soll das?“ So etwas hatte er noch nie getan und ihr wurde etwas mulmig zumute, so hilflos dazuliegen.
„Vertrau mir und entspann dich“, flüsterte Keno liebevoll und streichelte sie zärtlich, woraufhin sie sich langsam entspannte. Er ging um sie herum, hielt ihren Blick gefangen, während er ein zweites Tuch aus seiner Tasche hervorzog. Sie schluckte und wehrte sich nicht, als er mit einem schelmischen Grinsen ihre Augen verband. Ihr Puls erhöhte sich, sie konnte nichts mehr sehen. Er half ihr sich auf die Decke zu legen und befreite sie langsam von ihrem Slip. Claire zitterte am ganzen Körper. Jede seiner Berührungen schien sie doppelt intensiv zu spüren.
Keno tauchte eine Erdbeere in die Sahne und malte damit eine Schlangenlinie von ihrem Oberschenkel bis zu ihrem Bauch und um ihren Brüsten. Es kitzelte und die Kühle der Sahne auf ihrer Haut ließ sie erbeben. Sie spürte die Erdbeere an ihrem Hals entlanggleiten, dann schob er die Beere sanft in ihrem Mund. Er strich leicht über ihre Lippen und zog dann die Sahnelinie ganz langsam mit seiner Zunge nach.
Claires Körper bog sich ihm verlangend entgegen.
„Bitte mach weiter“, hauchte sie atemlos und er gab ihrer Bitte mit Freuden nach. Seine heißen Küsse, ihr Duft, die Süße der Sahne und das Aroma der Erdbeere vermischten sich zu einem erregten Strudel der Leidenschaft. Seine zärtlichen Berührungen wurden fordernder, sie stöhnte und quiekte erschrocken auf, als sie etwas Kaltes auf ihrem Bauch spürte.
„Das ist ein Eiswürfel, mein Schatz“, erklärte Keno und ließ den Würfel um ihre Brustwarzen gleiten, das Schmelzwasser verursachte eine Gänsehaut. Sie bäumte sich wollüstig auf, der Kältereiz auf ihrer erhitzten Haut machte sie wahnsinnig. Die Kälte wanderte weiter in Richtung ihres Schamhügels und ein Eiswürfel wurde in ihren Mund geschoben. Er küsste sie, seine Zunge spielte in ihrer heißen Mundhöhle mit dem Eis, gleichzeitig spürte sie wie der andere Eiswürfel sich in ihre Spalte schob. Die Kälte reizte ihren Kitzler und sie spreizte ihre Beine noch mehr. Oh, Gott, so etwas berauschendes hatte sie noch nie erlebt. Und als wäre das noch nicht genug, drängte sich seine warme und harte Eichel an ihren Eingang. Tief versenkte er sich in seine große Liebe und brachte sie mit seinen rhythmischen und kräftigen Bewegungen an den Rand des Wahnsinn. Diese schöne Gefühle sollten nie aufhören, nie Enden. Er führte sie unaufhaltsam auf den Gipfel der Lust und als sie völlig außer Atem oben angekommen waren, flogen sie gemeinsam über die Klippe in ein Feuerwerk der Lust. Sanft lagen sie auf rosafarbenen Wolken, Keno fütterte sie mit Bananenstückchen und garnierte sie wieder mit Sahne.
„Machst du mich jetzt los?“, wollte sie noch außer Atem wissen. Er schüttelte den Kopf. „Noch nicht, das war erst die Vorspeise.“
Völlig erschöpft, lagen die Beiden eng zusammen gekuschelt zwischen den Schüsseln mit dem Obst.
Keno hob seine Hand und fuhr mit dem Zeigefinger gen Himmel. Die Decke schien sich aufzulösen und ein wunderschöner Nachthimmel erschien. Unzählige Sterne funkelten um die Wette und der große, runde Mond strahlte hell.
„Wunderschön“, murmelte Claire schläfrig. Dann schloss sie die Augen und driftete ins Reich der Träume.
Am nächsten Morgen, nach dem Frühstück, saß Claire mit Eron und Joe zusammen und sprachen über den bevorstehenden Umzug.
„Ein wunderschönes großes Anwesen. Jannette hat ganze Arbeit geleistet“, erklärte Eron.
„Wann können wir loslegen?“, fragte Claire und verlagerte das Gewicht der Zwillinge auf ihrem Schoß.
„Ich würde sagen, so schnell wie möglich“, antwortete Joe. „Die Späher von Aaron wagen sich immer näher an uns ran. Ich weiß nicht, wie lange unsere Schutzschilder noch halten.“
„Dann werde ich mich um alles kümmern und die Kinder in Gruppen aufteilen. Von mir aus können wir Morgen oder Übermorgen aufbrechen. Ich werde Keno Bescheid sagen.“ Claire stand auf und verließ mit den Zwillingen das Büro
***
Es dauerte dann doch noch zwei Tage, bis alles bereit war. Das Portal leuchtete wieder hell auf und die Kinder standen in Gruppen aufgeteilt davor. Während die Kinder sich ängstlich umschauten, beobachteten die Erwachsenen wachsam die Umgebung. Die Wachen standen rund um die Gruppe. Allen stand deutlich die Erinnerung von der letzten Portalreise ins Gesicht geschrieben. Eron hatte als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme ein Schutzschild um das Portal gelegt, sodass man von außen nichts mitbekommt.
Joe und Erik, der Hausmeister, gingen zuerst hindurch, um alles vorzubereiten. Nach einer Weile folgten eine Gruppe nach der anderen. Erst nach dem Claire und Eron als letzte hindurch traten, atmete Claire erleichtert auf.
Alle waren in Sicherheit.
***
„Weg? Was heißt hier weg?“, Aaron tobte vor Wut.
„Wir haben die ganze Umgebung überwacht, da hätte nicht einmal eine Maus rauskommen können ohne, dass wir es bemerkt hätten. Ich kann es mir nicht erklären. Auch wenn sie ein Portal genommen hätten, dann hätten wir es kilometerweit gesehen.“ Andrea fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Nur die grässlichen Kreaturen Aarons standen gelangweilt um sie herum.
„Denk nach, Dummkopf, man kann ein Portal vor neugierigen Blicken schützen. Es war deine Aufgabe, zu verhindern, dass so etwas passiert.“
Aaron hob seine Hände und ließ seiner Wut freien Lauf. Er tötete alles, was nicht schnell genug aus dem Raum war. Andrea sprang vor Angst über die Leichen der Kreaturen und stürzte durch die Tür. Sie rannte den langen, düsteren Flur entlang und Aarons Wutschreie klangen noch lange in ihren Ohren.
„Oh Gott, was mach ich nur hier? Er ist unberechenbar. Um ein Haar hätte er auch uns getötet. Ich dachte, er liebt mich … aber kann er überhaupt noch lieben? Ich muss hier dringend weg, bevor noch schlimmeres passiert“, flüsterte sie leise vor sich hin und streichelte ihr kleines Geheimnis unter ihrer Bluse.
Aber wohin sollte sie nur gehen? Sie wusste nur, dass sie hier bei Aaron und seinen widernatürlichen Kreaturen nicht bleiben konnte. Das konnte und wollte sie ihrem ungeborenen Kind nicht antun. Die einzige Möglichkeit war Eron, aber wie sollte sie ihn finden? Konnte sie das Wagnis eingehen um Nachrichten verbreiten zu lassen? Wenn Aaron davon erfährt, ist seine Wut noch größer als vorhin, aber blieb ihr eine andere Wahl? Nein! Andrea drehte sich auf dem Absatz um und eilte auf direktem Weg zu ihrem Zimmer. Dort packte sie ihre wenigen Habseligkeiten in eine Tasche und schob sie unter ihrem Bett. Sie durfte nichts überstürzen und musste bis zum Morgenrauen warten, denn dann erst würden Aarons Kreaturen sich zurückziehen.
"Ich brauche Proviant und Bargeld", überlegte sie laut. Dann kam ihr die Idee. Sie lief zu Aarons Zimmer und klopfte vorsichtig an.
"Was?", rief die brasche Stimme.
Vorsichtig öffnete Andrea die Tür.
"Entschludige bitte, dass ich dich störe, aber ich habe gerade von einem Informanten ein Gerücht gehört, dass Eron und sein Pack sich in London versteckt. Ich wollte dir vorschlagen, dass ich alleine dort hin fahre um es zu überprüfen. Alleine falle ich nicht so auf. Wenn er wirklich da sein sollte, kann ich dir direkt bescheid geben." Ihr Herz klopfte so laut, dass Andrea sich sicher war, dass er es hören konnte.
"Endlich mal eine gute Nachricht. Ich merke, dass du angst hast, was verbirgst du vor mir?"
"Ich bin einfach nur aufgeregt, ich würde niemals etwas vor dir verbergen, das weißt du doch. Meine Treue galt schon immer dir."
Aaron beobachtete Andrea noch für ein paar Sekunden, dann wandt er den Blick ab.
"Nun gut, du hast meine Erlaubnis. Wie lange wirst du brauchen?"
"Das kann ich noch nicht genau sagen, es wird bestimmt ein bis zwei Wochen dauern. Wenn ich sie finde, möchte ich soviel wie möglich herausfinden, bevor wir einen Angriff wagen können."
"Das ist sehr klug von dir, ich sehe, du bist doch zu etwas zu gebrauchen", er ging zu einem Bild an der Wand und betätigte dort eine Geheimvorrichtung. Ein Safe kam zum Vorschein. Aaron öffnete ihn und holte zwei dicke Bündel Euroscheine heraus.
"Das wird wohl reichen, geh jetzt und komme nicht ohne gute Nachrichten zurück."
"Ja, mein Meister. Ich werde dich nicht enttäuschen."
Andrea verließ erleichtert das Zimmer, holte ihre Tasche und machte sich auf dem Weg.
Claire traute ihren Augen nicht. Sie erblickte eine Burg, wie sie es nur aus Märchen kannte. Sie hatte das Gefühl, als wenn die Burg direkt aus dem Märchenbuch ihrer Kindheit entsprungen ist.
Keno trat hinter sie und nahm sie in de Arme.
"Sie ist wunderschön", hauchte sie.
"Ja, Janette hat wirklich ein Händchen für Immobilien. Hier werden die Babys hoffentlich in Sicherheit sein."
"Ich hoffe es sehr. Ist alles bereit für die Kinder?"
"Ja, Erik hat sich um alles gekümmer, Hannah hat schon das Essen vorbereitet und die Zimmer sind auch schon eingerichtet. Also alles fertig."
In diesem Moment kam Eron auf sie zugelaufen.
Wir haben alle Schutzzauber eingerichtet, jetzt dürften wir in Sicherheit sein", sagte er erschöpft.
Claire sah alamiert Erons Erscheinung, er sah sehr blass und erschöpft aus.
"Ich glaube du solltest besser zu Ruby und dich ausruhen", sagte sie zu ihm. "Leg dich ein wenig hin, wir werden auch mal ein paar Stündchen ohne dich auskommen, also mach dir keine Sorgen."
"Ich werde schon früh genug schlafen, außerdem muss ich noch Kundschafter ausschicken, ich möchte mich vergewissern, dass wirklich alles sicher ist".
"Darum werden sich Joe und Roger kümmern", sagte Keno entschieden.
"Also gut, ich sehe, ich habe keine Chance gegen euch", sagte Eron lachend. "dann werde ich mich jetzt in Rubys Händen begeben."
Claire und Keno folgten ihn. Als sie die Burg durch den Vorhof betraten, spürte Claire sofort die Magie, die hier wie ein Flimmern durch die Luft zog und ihre Haut angenehm kribbeln ließ.
"Komm, ich zeige dir unser Reich. Die Zwillinge warten bestimmt schon auf uns", flüsterte Keno ihr ins Ohr.
Wie sich herausstellte, haben die Zwillinge ihre Eltern überhaupt nicht vermisst. Sie saßen aneinander gekuschelt auf einem Sofa und hörten gespannt zu, wie Erik ihnen eine Geschichte vorließ.
Leise setzten sie sich vor den Kindern auf dem dicken Teppich und hörten zu.
Die ruhige, angenehme Stimme von Erik lullten Claire ein und langsam vielen ihr die Augen vor Erschöpfung zu.
Keno nahm sie ganz vorsichtig in den Arm und ließ sie schlafen. Im Schlaf sah sie ganz entspannt aus und Keno hatte den Eindruck, als hielte er einen Engel in den Armen.
Unterdessen saß Eron nach mehrfacher Diskusion mit Ruby in einem großen runden Zimmer, das, wie allgemein beschlossen wurde, Eron`s Büro werden sollte.
Es klopfte und einer der Kundschafter betrat das Büro.
"Oh, guten Tag Olliver, was gibt es?"
"Hallo Eron, ich habe gerade Informationen über einer jungen Frau bekommen, die früher bei dir im Dion gelebt hat. Sie sucht verzweifelt nach dir."
"Wer ist es?", fragte Eron.
"Andrea Anderson."
"Und warum sucht sie nach mir?"
" Ich habe gehört, dass sie Aaron treu war und sich jetzt mit ihm überworfen hat. Sie will sich uns anschließen und bittet um Schutz. Sie könnte sich aber natürlich auch als Spitzel einschleichen wollen, aber wie sollen wir das prüfen? Was denkst du?"
Eron dachte eine Weile darüber nach bevor er antwortete.
"Ich werde mit ihr sprechen, aber nicht hier. Falls sie doch eine Spionin ist, will ich ihr nicht direkt unseren Aufenthaltsort verraten. Wo ist sie gerade?"
"Sie wartet in Beauly, in den Ruinen der Abtei."
"Okay, sag Joe bitte bescheid, ich möchte in einer halben Stunde aufbrechen. Wirst du uns begleiten?"
"Auf jeden Fall," Olliver war überrascht, dass Eron ihn fragte. "Ich werde Joe informieren und uns ausrüsten. Nur für den Fall, dass es eine Falle ist."
Tag der Veröffentlichung: 10.08.2018
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