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 Ein ganz dickes Dankeschön an Stefanie Markstoller für dieses wundervolle Cover 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kein Entkommen

 

Prolog

 

Ein mit dunklen Wolken verhangener Himmel verbarg die Sicht auf die Sterne. Strömender Regen prasselte ohrenbetäubend auf das Autodach der schwarz glänzenden Limousine, die mit hoher Geschwindigkeit den Berg hinab schoss.
Der Fahrer hielt unablässig ein Auge auf den Rückspiegel gerichtet, in dem wieder und wieder das aufgleißende Fernlicht eines Wagens erschien. Wann immer der Jeep sich näherte, drückte er auf das Gaspedal und versuchte erneut, den Abstand zu vergrößern. Ein satt brummendes Motorengeräusch dröhnte Dougal Carmichael in den Ohren. Mit Angstschweiß auf der Stirn schob er seine Chauffeursmütze in den Nacken und gab noch einmal Gas.

 

***

 


Minuten vorher

 

Roger Cameron und seine Frau Elisa saßen auf dem Rücksitz der Limousine und waren auf dem Weg zur alljährlichen Charity. Das Spendenevent fand dieses Mal für das örtliche Waisenhaus unter ihrer Schirmherrschaft statt. Zuhause warteten ihre zwei pubertierenden Kinder, die keine Lust gehabt hatten, sie zu begleiten.
Dougal Carmichael war ihr Chauffeur und stand schon jahrelang in ihren Diensten. Er arbeitete gern für das Ehepaar und war hochzufrieden mit der Bezahlung. Er sah für einen Moment in den Rückspiegel und musterte bewundernd Elisas attraktives Gesicht. Sie hatte flammendrote Haare und grüne Augen, deren Blick ihr Gegenüber verbrannte, wenn sie ihr Augenmerk auf jemanden warf.
Ihr Mann Roger stand ihr an Attraktivität in nichts nach. Seine etwas längeren Haare glänzten schwarz wie das Gefieder eines Raben, sein Charisma war genauso überwältigend, wie das seiner Frau - aber auf eine ganz andere Art und Weise. Es war, als hätten sie einander gesucht und gefunden.
Dougal rückte seinen Rückspiegel etwas zurecht und sah Roger mit einem Lächeln an. "Ihr habt euch kein gutes Wetter für den heutigen Abend ausgesucht", bemerkte er freundlich.
Windböen zerrten an dem mit gleichbleibender Geschwindigkeit dahinfahrenden Wagen und pfiffen durch die hinteren geöffneten Fenster. Roger drückte einen Knopf und schloss die Scheiben, als es zu regnen begann. "Es war ein schwüler Tag", erwiderte er. "Aber solche Veranstaltungen sind sehr wichtig, besonders, wenn es um Kinder geht."
Elisa nahm nicht an dem darauf folgenden Gespräch über das Wetter und die neuesten Börsennachrichten teil. Unablässig sah sie aus der Heckscheibe der Limousine und war beunruhigt.
Schon seit einiger Zeit klebte ihnen ein Cherokee regelrecht an der Stoßstange und wollte nicht weichen. Hin und wieder fiel er zwar um einige Meter zurück, doch mehr als drei Wagenlängen waren es nie.
Sie behielt ihre Beobachtung lieber für sich, ließ den Jeep jedoch nicht aus den Augen. Als er am Seitenrand hielt, atmete Elisa erleichtert auf. Plötzlich brach die Hölle über die Welt, und der Himmel öffnete all seine Schleusen!

 


***

 

 

Mit einem letzten Blick in den Rückspiegel schaltete Dougal Carmichael Scheibenwischer und Scheinwerfer ein und konzentrierte sich auf die Fahrbahn.
Im selben Moment, als die Wolken alles Wasser über ausgedörrte Felder ergossen, heulte ein Motor hinter ihnen auf. Der Cherokee schoss mit quietschenden Reifen aus dem Seitenstreifen der Straße heraus und näherte sich mit hoher Geschwindigkeit.
Mit einem Kontrollblick in den linken Seitenspiegel erkannte nun auch der Chauffeur die Gefahr. Sie wurden verfolgt!
Jeder Muskel seines Körpers spannte sich an. Schweißperlen zeichneten sich auf der Stirn unter seiner Chauffeursmütze ab. Die Situation war ihm nicht neu, seine Arbeitgeber führten ein gefährliches Leben.
Diesmal jedoch war alles anders! Der Jeep setzte sich direkt hinter sie und rammte die Stoßstange der Limousine. Ein Beben ging durch den Innenraum.
Krampfhaft umklammerte Dougal das Lenkrad und bemühte sich, die Kontrolle über den Wagen nicht zu verlieren. Elisa schrie auf.
Roger umschlang schützend die Schultern von seiner Frau und zog sie an sich. "Fahren Sie schneller", gab er seinem Chauffeur den Befehl, "und bewahren Sie Ruhe. Es wird schon alles gut gehen."

 

***

 

 

Als die Straße abschüssig wurde, war der Wagen kaum noch zu halten. Mit einem Schlingern nahm Dougal die nächste Kurve und stellte erleichtert fest, dass der Jeep wieder zurück fiel. Überlaut zischte das Spritzwasser an den Seiten der Reifen vorbei. Die Windschutzscheibe beschlug. Hektisch fuhr der Chauffeur mit einer Hand über das Glas und wischte sein eingeschränktes Sichtfeld frei. "Schalten Sie das Gebläse ein", rief Elisa mit sich überschlagender Stimme und beobachtete wieder die Straße.
Der Cherokee war nun nur noch ein dunkles, sich hinter ihnen bedrohlich aufbäumendes Schemen.
"Er rückt wieder auf", flüsterte sie, der Worte vor Angst kaum noch mächtig. Die Bäume am Straßenrand zogen silhouettenartig vor ihren Augen vorbei. Bange umklammerte sie Rogers Hand.
"Wir kommen hier irgendwie raus", versprach er ihr, obwohl er selbst nicht mehr daran glaubte.
Dougal drückte das Gaspedal noch ein bisschen fester durch, ruckelte auf dem Fahrersitz noch ein Stück weiter vor und starrte angestrengt hinaus in den strömenden Regen. Die Geräusche um ihn herum verhallten im Nichts. Er hörte auf zu fühlen und denken und wurde zu einem Roboter.

 


***

 

 

Der Cherokee holte noch einmal auf, setzte zum Überholen an und rammte die Limousine von rechts. Das Blech des Wagens kreischte wie eine Kreissäge auf. Die Schnauze zeigte einmal nach links, dann drehte sich das Auto um die eigene Achse, schlingerte ein paar Meter die Serpentinen hinab und schoss anschließend quer über die Fahrbahn.
An einer Böschung überschlug es sich mehrmals, flog mit sich durchdrehenden Reifen und aufheulendem Motor durch die Luft und landete irgendwo unterhalb eines Bachs. Der Fahrer des Jeeps hielt am rechten Straßenrand, stieg bei laufendem Motor aus seinem Wagen aus, stellte sich an die Böschung und gaffte von oben herab. Gelassen zündete er sich eine Zigarette an und inhalierte genüsslich den Rauch. Wasser troff an ihm herab, doch er spürte es kaum. Unter ihm war die Limousine der Camerons wieder auf den Reifen gelandet. Ein durchdringendes Hupen vermählte sich mit dem Rauschen des Regens.
Die gleißenden Scheinwerfer des eleganten Mehrtürers brannten ein Loch in das Ende des heißen Tags. Nass glänzte der schwarze Lack. Die Karosserie war verbeult und das Dach nach unten gedrückt. Der Oberkörper von Dougal Carmichael hing halb aus dem Fenster.
Der Cherokeefahrer rauchte seine Zigarette, drehte den Stummel zwischen den Fingern und blickte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Kleinste Rauchschwaden zogen die Böschung hinab.
Er machte den letzten Zug, quetschte die Kippe zusammen und schnippte sie verächtlich in Richtung des Unfallwagens. Schließlich machte er sich auf den Weg.

 

***

 

 

Ein dumpfer Druck lastete auf ihren Ohren. Auf ihrem Leib spürte sie ein schweres Gewicht. Schwärendes Anthrazit umschlang ihren Geist.
Stöhnend versuchte Elisa, die Augen zu öffnen, doch es blieb dunkel. Sie befand sich in einer Dunkelheit, die nicht finster war, sondern rot, klebrig und heiß. Diese seltsame Finsternis ballte sich wie eine Faust unter ihren Lidern zusammen und verbot ihr, diese zu öffnen. Eine warme Flüssigkeit lief ihr über die Stirn.
Sie tastete um sich herum und stieß mit ihren Fingerspitzen an rauen Stoff, fuhr daran entlang und versuchte, sich zu orientieren. Nach ein paar Zentimetern fühlte sie kalten Stahl und umschloss ihn mit ihrer Hand. Ihr Unterbewusstsein signalisierte ihr den Griff einer Autotür, und Elisa begriff, dass sie lag. Dumpf wurde ihr bewusst, dass etwas passiert war.
Vor dem Schmerz kam die Erinnerung. Sie erinnerte sich nicht an das Geschehen - gnädigerweise - doch sie erinnerte sich an die Angst.
Sie erinnerte sich an ihren Mann und daran, wo sie sich befunden hatte, bevor es ... geschah! "Roger?", wisperte sie. "Roger, wo ... bist du?"
Elisa versuchte, den Druck auf ihrer Brust loszuwerden und bäumte sich auf. Ein Arm rutschte von ihr herunter, und sie hörte ein dumpfes Stöhnen. Ihre Hand folgte diesem Geräusch und tastete sich durch den hinteren Innenraum der Limousine.
In einem gewaltigen Kraftakt riss sie ihre Augen auf und sah ihn liegen. Dann kam der Schmerz und sie hörte das Denken auf. Elisa Cameron stieß einen gellenden Schrei aus.

 

 

***

 

Ein Lufthauch drang an ihr Bewusstsein. Sie hörte Schritte und vernahm das Klicken einer sich öffnenden Autotür.
Panisch suchend tastete Elisa am reglosen Körper ihres Mannes entlang. "Meine Handtasche ....", flüsterte sie verzweifelt. "Meine Pistole ..."
Unter Rogers Bein fand sie das Gesuchte und zog es unter ihm heraus. "Liebling ... verzeih!", flüsterte sie, als er leise aufschrie. Hektisch begann sie zu suchen und hielt schließlich eine silberne Derringer in ihrer Hand.
Sie bewegte ihren Kopf und schaute mit angstvoll geweitetem Blick nach oben. Glühendrote Augen starrten sie an. Elisa hob ihre Hand und schoss ihm sein hämisches Grinsen aus seinem Gesicht. Ihr letzter Gedanke, bevor sie die Gnade des Dunkels umarmte, galt ihren Kindern.

Böse Vorahnung

 

 

Böse Vorahnung

 

Schottland, Inverness

 

 

Graue Wolken zogen sich am Himmel über Inverness zusammen. Leichtes Donnergrollen kündigte ein Gewitter an. Plötzlich wurde der Tag zur Nacht. Regen prasselte gegen die Fenster und Türen der alten, im Viktorianischen Stil erbauten Villa.

Das Licht flackerte, als Luke sich seufzend auf das breite, rote Sofa fallen ließ. „Und was machen wir jetzt? Bei diesem Sauwetter kann man doch nichts unternehmen.“ Er starrte auf dem schwarzen Bildschirm des Flatscreens über dem Kamin.

„Als erstes, könnten wir doch schon mal Ordnung machen. Danach bereite ich das Mittagessen vor und du suchst in der Zeit schon mal einen Film raus“, sagte seine 17 jährige Zwillingsschwester Claire und strich sich ihr langes, feuerrotes Haar aus dem Gesicht.

"Und was machst du leckeres?", fragte er mit einem Grinsen.

„Hmm….“, überlegte sie gespielt während sie die Spülmaschine einräumte. „Was ganz kompliziertes. Ich nehme mir das Telefon und rufe den Pizzaservice an", erwiderte Claire lachend.

„Ha ha, sehr kompliziert. Ich nehme dasselbe wie immer“, stimmte Luke in ihr Lachen ein.

Als alles aufgeräumt war, saßen die beiden auf dem Sofa und aßen ihre Scampi – Spinatpizza, während sie sich einen Film anguckten. Es gab für die beiden nichts besseres. Sie waren sich in fast allem einig und stritten sich sehr selten.

Nach einiger Zeit, der zweite Film war schon fast zu Ende, fielen Claire immer wieder die Augen zu. Sie verstand es nicht, weil sie gerade noch hell wach gewesen und den Film mit Spannung verfolgt hatte. Sie hatte keine Chance, die Augen offenzuhalten und driftete ab in ein Meer von Farben. Bunte Luftblasen tanzten lustig durch ihren Kopf - verdichteten sich immer mehr, bis zu dem Moment, wo aus den wirren Gebilden finstere Nacht wurde. Regen peitschte auf Claires Körper und schickte eine Kälte bis tief in ihr Innerstes. Sie konnte sehen und fühlen ... normalerweise konnte man in einem normalen Traum nicht fühlen - normal war das hier allerdings nicht zu nennen. Dann sah sie die Limousine ihrer Eltern, wie sie im strömenden Regen eine Straße entlang raste ... die Farben wurden dunkler ... jetzt sah sie die Limousine total zerbeult in eiem Graben stehen Dougals Körper hing aus dem Fenster ... ihre Eltern lagen verletzt auf der Rückbank ... Claire stand klitsch nass vom Regen am Rand des Grabens ... auf einmal war alles schwarz, bis auf zwei rotglühenden Punkten, die immer größer wurden, bis sie ihr ganzes Blickfeld einnahmen.

Schreiend erwachte sie.

"Claire, was ist los?", fragte Luke beunruhigt. Claire setzte sich auf und sah sich um. Sie befühlte ihre Kleidung und ihre Haare und stellte erleichtert fest, dass alles trocken war. Inzwischen war es wegen dem Unwetter schon ziemlich dunkel. Die Schatten der Bäume zeigten an den Wänden ihre grotesken Fratzen.

"Nur ein böser Traum", antwortete sie. Sie konnte dieses ungute Gefühl, das ihr dieser Traum einbrachte, nicht abschütteln. Aber war es nur ein Traum? Er war einfach zu real. Gedankenverloren starrte sie auf ihr Handy.

Luke sah sie von der Seite her an. „Was ist los?"

„Ich weiß nicht, ich rufe mal bei Mom und Dad an, ob sie schon angekommen sind. Eigentlich müssten sie schon lange da sein. Ich habe echt ein komisches Gefühl im Bauch.“ Sie griff nach ihrem Handy und wählte die Nummer ihrer Mutter. „Mailbox…. Hi Mom, ruf uns doch mal bitte zurück. Wir machen uns Sorgen. Hab euch lieb. Tschüssi.“

Sie legte das Handy wieder auf dem Tisch. „Das ist seltsam, Mom hatte noch nie ihr Handy aus. Wenn überhaupt, dann hatte sie es auf lautlos.“

„Ruf doch mal im Hotel an, vielleicht wissen sie dort etwas.“ An Lukes Stimme konnte man hören, dass auch er besorgt war. Claire wählte die Nummer des Hotels und musste auch nicht lange warten, bis sich jemand meldete.

„Cameron, schönen guten Abend. Ich wollte mich nach meinen Eltern, Roger und Elisa Cameron erkundigen. Sie sollten heute Mittag bei ihnen eingecheckt haben.“

„Einen kleinen Augenblick, bitte“, sagte die Rezeptionistin freundlich. Claire hörte wie die Dame auf der Tastatur des Computers tippte.

Während sie wartete, malte sie kleine Kringel auf dem Notizblock neben dem Telefon.

„Hören Sie? Mr. Und Mrs. Cameron haben noch nicht eingecheckt.“ Claire hatte das Gefühl, als wäre ein ganz dicker Klumpen in ihrem Magen.

„Könnten Sie Ihnen eine Nachricht zukommen lassen, wenn sie eintreffen?“

„Selbstverständlich.“

„Sagen Sie ihnen nur, dass sie sich zu Hause melden sollen. Vielen Dank. Auf Wiederhören.“

Der Regen peitschte mittlerweile laut gegen die Terrassentür. Keiner von beiden sagte ein Wort. Claire konnte im Gesicht ihres Bruders ihre eigene Angst sehen. Wären sie doch nur mit ihnen mitgefahren, aber sie wusste, wie langweilig so eine Charityveranstaltung sein konnte und blieb lieber mit ihrem Bruder zu Hause.

„Was, wenn ihnen etwas passiert ist?“, durchbrach Luke die Stille.

„Sie wurden bestimmt nur aufgehalten und sind in einem Funkloch. Sie rufen bestimmt gleich zurück“, versuchte Claire ihren Bruder zu beruhigen, was ihr allerdings nicht so recht gelingen wollte, weil ihre eigene Stimme zitterte.

Sie nahm seine Hand und drückte sie. „Wenn sie innerhalb der nächsten zwei Stunden nicht zurückgerufen haben, rufen wir bei der Polizei an … lass uns noch einen Film anmachen, das lenkt uns vielleicht ein wenig ab.

 

***

 

 

Nicht ganz 30 Minuten später schellte es an der Wohnungstür.

„Wer kann das um diese Uhrzeit sein?“, fragte Claire aufgeschreckt, nahm sich die Fernbedienung und drückte auf Pause. Luke stand auf und ging, gefolgt von Claire, zur Tür.

„Wer ist da?“, fragte Luke.

„Constable Murray und Constable McKimmon, guten Abend. Dürfen wir reinkommen?“, sagte eine dunkle Stimme.

Luke öffnete den Beamten die Tür und trat zur Seite. Der eine, war groß und hatte breite Schultern. Seine blonden Haare waren streng zurück gegeelt. Der andere, war das genaue Gegenteil. Klein, pummelig und seine braunen Haare waren so zerzaust, als wäre er gerade erst aufgestanden. Sie schlossen ihre vom Regen triefenden Regenschirme und traten ein.

„Was ist passiert?“, fragte Claire mit zittriger Stimme.

„Seid ihr Luke und Claire Cameron, die Kinder von Roger und Elisa Cameron?“, fragte der kleinere der beiden.

„Ja, was hat das alles zu bedeuten?“ Claire wusste, dass etwas mit ihren Eltern passiert war, doch sie musste es von den Polizisten hören, vorher konnte sie es nicht glauben. Sie brauchte Gewissheit. Sie starrte gedankenverloren auf die sich ansammelnde Pfütze ihm Eingangsbereich.

„Setzt euch doch erstmal. Mein Name ist Constable Murray “, sagte er ruhig. Sie betraten das stilvoll eingerichtete Wohnzimmer. „Eure Eltern hatten einen schweren Unfall, und ..."

„Geht es ihnen gut? Wir möchten sofort zu ihnen“, unterbrach Luke den Constable. Murray schüttelte traurig den Kopf.

„Sie haben den Unfall leider nicht überlebt“, meldete sich zum ersten mal McKimmon mit leiser Stimme.

„Nein“, flüsterten die Zwillinge gleichzeitig. Claire hatte das Gefühl als wenn sie in ein tiefes Loch fallen würde.

„Können wir sie nochmal sehen?“, fragte Luke mit belegter Stimme.

„Leider geht das nicht, die Limousine ist in Flammen aufgegangen, habt ihr Verwandte, wo ihr heute Nacht hinkönnt?“, sagte Murray mitfühlend.

Das kann nicht sein! Claire dachte an ihrem Traum. Konnte es wirklich wahr sein? Und was waren das für glühende Punkte, die immer größer wurden? Das musste das Feuer gewesen sein. Aber warum träumte sie von so etwas? Und warum passierte es wirklich?Vor Claire drehte sich alles. Sie sackte schluchzend an Lukes Brust zusammen. Es durfte einfach nicht wahr sein. Luke konnte nur mit dem Kopf schütteln und Claire spürte, dass es auch ihren Bruder vor Schmerz zerriss.

„Dann müssen wir die Jugendfürsorge informieren, dass die sich um euch kümmern“, sagte McKimmon.

„Großmutter Abby“, schluchzte Claire. „Sie wohnt aber in Deutschland, in Gelsenkirchen."

"Wir bleiben hier“, beschloss Luke.

„Wir können euch in diesem Zustand nicht alleine lassen."

"Rufen Sie Joe McKenzie an, er ist der beste Freund meiner Eltern", schluchzte Luke.

Während Luke und Claire sich haltsuchend auf dem Sofa im Arm hielten, hörten sie, wie Mr. Murray Joe anrief.

"Guten Abend, Mr. McKenzie, hier spricht Constable Murray von der Polizei Inverness."

Pause.

"Ich bin mit meinem Kollegen Constable McKimmon bei den Kindern von Roger und Elisa Cameron."

Wieder Pause.

"Nein, den Kindern geht es den Umständen entsprechend gut. Es geht um die Eltern, es tut mir leid, ihnen mitteilen zu müssen, dass Mr. und Mrs. Cameron einen tödlichen Unfall hatten."

Diesmal dauerte die Pause länger.

"Ja, das wäre das Beste, ansonsten müssten die Kinder zur Jugendfürsorge."

Pause.

"Ok, wir werden hier warten bis Sie eingetroffen sind. Bis gleich."

Mr. Murray legte auf. und kam zu den Zwillingen ins Wohnzimmer.

"Mr. McKenzie wird gleich hier sein und sich um euch kümmern."

Luke konnte nur nicken.

"Was ... was wird jetzt mit uns ge ... geschehen?", fragte Claire mit zittriger Stimme.

"Mr. McKenzie wird eurer Großmutter Bescheid geben. Es wäre das Beste, wenn ihr zu ihr kommt. Ich bräuchte noch die Adresse und die Telefonnummer von eurer Großmutter, weil ich die Jugendfürsorge informieren muss, damit sie alles in die Wege leiten können."

Luke rannte nach oben in das Schlafzimmer seiner Eltern, er wollte Claire nicht lange alleine lassen. Kurz hielt er inne, holte einmal tief Luft und betrat das Zimmer. Sein Blick schweifte durch den Raum und blieb am großem Himmelbett hängen. Als Claire und er noch klein waren, haben sie sich bei so einem Unwetter immer im Bett ihrer Eltern verkrochen und sich ganz eng an ihnen angekuschelt. Er atmete nochmal tief ein, holte das Adressbuch aus einer Schublade des Nachttisches und verließ das Schlafzimmer. Auf dem Weg nach unten, wischte er sich noch mal die aufkommenden Tränen weg.

Er holte sich einen Stift und Papier, schrieb die Adresse und die Nummer seiner Großmutter darauf und überreichte sie Mr. Murray.

Luke nahm die Fernbedienung, schaltete das Gerät aus und setzte sich neben Claire. Sie kuschelte sich direkt in seine Arme. Sie zitterte wie Espenlaub und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Er nahm nur am Rande wahr, dass Murray das Hochzeitsfoto seiner Eltern in den Händen hielt. Es wurde vor einer kleinen Kirche aus dem 17. Jahrhundert aufgenommen. Seine Mutter trug ein wunderschönes weißes Kleid und sein Vater einen tadelossitzenden Anzug. Beide lächelten überglücklich in die Kamera. Murray schüttelte traurig den Kopf und stellte das Foto zurück auf dem Schrank.

10 Minuten später war Joe da. Er lief direkt zu den Kindern und nahm sie ganz fest in den Arm.

„Wir werden euch jetzt alleine lassen", sagte Mr. Murray. "Es tut uns wiklich leid. Auf Wiedersehen.“

Leise schloss Joe die Türe hinter den beiden und ging mit den Zwillingen in die Küche um Tee auf zu brühen.

Joe sah Roger und Luke sehr ähnlich. Er hatte rabenschwarze strubbelige Haare und einen großen muskulösen Körper. Wenn die Leute Roger und Joe zusammen gesehen hatten, glaubten sie immer sie wären Brüder.

Joe ging hinaus um mit Abby zu sprechen. Luke sah rüber zu seiner Schwester. Sie lag mit dem Kopf auf dem glänzenden Mahagonitisch und schlief. Die noch dampfende Tasse Tee stand neben ihr. Er streichelte Claire vorsichtig über den Kopf um sie zu wecken.

„Komm Claire, leg dich ins Bett. Morgen sehen wir weiter.“

Claire nickte nur müde und ging nach oben in ihr Zimmer. Sie würden hier weg müssen. Man würde ihnen nie erlauben, alleine hier zu bleiben. Sie sah sich traurig in ihrem Zimmer um. Ihr Schreibtisch stand vollbeladen mit ihren Schulsachen unter dem Fenster, Rechts von der Tür ihr großer Kleiderschrank und Links ihr ordentlich gemachtes Bett. Sie nahm sich das gerahmte Bild von ihrer Familie vom Nachttisch und legte sich noch angezogen aufs Bett. Warum musste so etwas passieren? Sie konnte nicht glauben, dass ihre Eltern gestorben sind. Sie wartete sogar darauf, dass es an ihrer Tür klopfte und ihre Mutter sie fragt, ob sie wusste, wo irgendwelche Sachen von ihr sind, die sie wiedermal nicht finden konnte. Aber nichts geschah. Alles was sie hören konnte, war, wie die Äste der Bäume durch den Sturm gegen ihr Fenster klopften. Tränen liefen ihr wieder das Gesicht runter und langsam weinte sie sich, das Bild fest an sich gedrückt, in den Schlaf.

Die Beerdigung

 

Als Claire am nächsten Morgen die Augen aufschlug, dachte sie, es wäre alles nur ein böser Traum gewesen. Sie stand auf und ging ins Bad um sich zu duschen. Nach zwanzig Minuten war sie fertig und lief die Treppe hinunter um zu frühstücken. Es wunderte sie, dass alles so still war. Normalerweise waren schon alle wach. Als sie am Wohnzimmer vorbei kam, hielt sie inne. Auf dem Sofa lag Joe und vor ihm, auf dem Tisch, standen ein Glas und eine fast geleerte Flasche Whisky.

Oh Gott, es war kein Traum. Mom und Dad waren wirklich tot. Sie stand in der Tür und hatte das Gefühl, keine Luft mehr zubekommen.

Langsam sackte sie schluchzend am Türrahmen hinunter. Sie zog die Beine an und schlang ihre Arme um sich, um nicht auseinander zufallen.

Joe hörte ihr Schluchtzen und sprang vom Sofa auf. Er achtete nicht auf das Wummern in seinem Kopf und lief zu Claire, um sie ganz fest in die Arme zunehmen.

"Hey, Süße, es wird alles wieder gut."

"Wie kann alles wieder gut werden? Mom und Dad sind ..." Sie brachte es nicht über sich, es laut auszusprechen.

Joe hielt sie einfach nur fest. Wie konnte er den Kindern Trost spenden, wenn es ihm vor Trauer selbst auffrist?

Er musste seine eigene Traur auf Seite schieben und jetzt stark sein. Für die Zwillinge seiner besten Freunde. Er zog Claire hoch und führte sie in die Küche.

"Komm, ich mache erstmal Frühstück."

"Ich habe keinen Hunger."

"Du musst wenigstens eine Kleinigkeit essen. Setz dich." Er bugsierte Claire auf einen Stuhl und setzte eine Kanne Tee auf, und stellte die Pfanne auf dem Herd.

"Kommst du kurz alleine klar? Ich muss Luke wecken", fragte er besorgt. Claire nickte nur.

"Ich beeile mich", sagte er beim hinaus gehen. Claire holte einmal tief Luft, um sich zu beruhigen und fing schon mal an, den Speck zu braten. Es dauerte wirklich nicht lange, bis Joe und Luke die Küche betraten. Luke sah genauso aus, wie Claire sich fühlte. Sie überließ Joe die Pfanne und nahm ihren Bruder in ihre Arme.

"Irgendwann werden wir sie wiedersehen", flüsterte sie ihm ins Ohr.

Das Frühstück verlief sehr schweigsam. Als Claire diese Stille nicht mehr ertrug, fragte sie Joe nach ihrer Großmutter.

"Abby wird heute Vormittag ankommen. Wir werden uns zusammen um alles kümmern. Macht euch keine Sorgen", sagte Joe.

Gegen Mittag traf Abygail Cameron bei ihnen ein. Sie war eine kleine, zierliche Frau mit langen grauen Haaren.

Abby lief unter Tränen zu den Zwillingen und drückte sie fest an sich.

Die letzten drei Tage zogen für Claire und Luke wie in Trance an ihnen vorbei. Ihre Großmutter hatte sich mit Joe um alles gekümmert.

Heute war die Beerdigung und nächste Woche würden sie mit ihr nach Deutschland fliegen. Stumm und mit tränennassem Gesicht liefen Claire und Luke an der Seite von Abby und Joe den Särgen ihrer Eltern hinterher. Sie bekamen nichts von dem mit, was um sie herum passierte. Sahen nicht die Nachbarn, die ihnen mit Trauer in den Augen hinterherliefen und auch nicht den Pfarrer, der die Prozedur anführte. Tränen erstickten ihre Herzen und vernebelten ihren Blick. Der Weg von der Kirche zum Grab war weit und es nieselte in einer Tour. Kaum waren sie am offenem Grab angekommen, wurden die Särge auf den über der Grube liegenden Balken, nebeneinander abgestellt. Der Zug der Trauernden teilte sich. Eine große Trauerweide ließ ihre Äste wie in Trauer über die Köpfe der Anwesenden hängen. Auf der einen Seite standen Claire, Luke, Abby und Joe, auf der anderen Nachbarn, Freunde und Kollegen der Verstorbenen. Der Pfarrer stand an der Kopfseite der Särge und alle legten eine Schweigeminute ein.

Der Pfarrer schaute traurig auf die Särge und genau wie den Trauernden, war ihm schwer ums Herz. Die Tränen in den Gesichtern der Zwillinge trockneten langsam, weil die Beiden einfach keine Tränen mehr hatten. In den blassen Gesichtern der Kinder, sah man nur eine endlose Trauer und etwas anderes, etwas was der Pfarrer jedoch nicht benennen konnte, etwas, das ihm irgendwie Angst einjagte.

Das Wetter war wie die Stimmung der Kinder … es wurde immer düsterer.

Leise begann der Pfarrer mit seiner Rede, in der er das Leben der Eltern hervorhob. Er sprach über den Verlust, und dass Gott sie in seinem Reich willkommen heißen würde. Davon, dass der Verlust sehr groß wäre, aber die Trauernden, Roger und Elisa eines Tages im Reich Gottes wiedersehen würden. Er sprach ein letztes Gebet und beendete die Zeremonie, in dem er etwas Erde und eine dunkelrote Rose auf die, in der Grube herabgelassenen Särge warf. Als Claire und Luke es ihm gleichtaten und wieder zurück in die Reihe traten, begann das Wetter auf einmal umzuschlagen.

Die Gesichter der Kinder zeigten plötzlich Wut und Enttäuschung über den Tod der Eltern. So wie die Wut in ihren Gesichtern auftauchte, begann das Wetter verrückt zu spielen. Der sowieso schon graue Himmel zog sich gänzlich zu und die Wolken wurden fast schwarz. Er öffnete seine Schleusen und ein Wolkenbruch ging nieder. Blitze und Donner lösten sich ab und die anwesenden Trauergäste sahen sich ängstlich um. Das Grollen wurde immer schlimmer und plötzlich begann der Boden so zu beben, dass einige der Gäste stürzten. Sie beeilten sich alle, den Toten einen letzten Gruß dazulassen und eilten panisch zum Ausgang des Friedhofs um dem Wetter und dem Grollen zu entfliehen. Es fühlte sich für die Gäste so an, als würde sich jeden Moment der Boden unter ihren Füßen öffnen. Sie hatten gewaltige Angst, hinab in den Höllenschlund gezogen zu werden. Der Pfarrer bekreuzigte sich ängstlich und eilte der fliehenden Menge hinterher.

Claire und Luke bekamen nichts von dem mit. Sie standen starr, mit wutverzerrten Gesichtern, Hand in Hand, am Grab ihrer Eltern und hätten am liebsten ihre Wut hinausgeschrien.

Erst als Abby und Joe sie vorsichtig aus ihrer Trance herausholten, änderte sich das Wetter und das Beben hörte auf.

Claire und Luke sahen sie mit leeren Augen an.

„Ist es vorbei?“, fragte Claire leise.

„Können wir jetzt nach Hause gehen?“, setzte Luke nach.

Abby und Joe nickten den beiden zu, umfassten die Schulter der Zwillinge und führten sie vorsichtig zum Wagen, um mit ihnen nach Hause zu fahren.


***

 

 

Am Abend saßen Abby und Joe noch in der Küche und tranken Tee.

„Schlafen sie?“, fragte Joe.

„Ja, Claire wollte nicht alleine schlafen. Luke ist bei ihr“, sagte Abby.

„Abby, du weißt was das heute Mittag zu bedeuten hatte?“

„Natürlich weiß ich das. Der Schutz lässt nach. Er wird sie finden.“

„Ihr könnt nicht bis nächste Woche warten. Ihr müsst so schnell wie möglich nach Deutschland.“

„Und was soll das bringen? Mein Wohnort ist bekannt. Er wird sie zu erst bei mir suchen.“ Abby lief unruhig auf und ab.

„Das einzige was ich machen könnte, ist zu versuchen, nochmal einen Schutzzauber über sie zu legen“, sagte Joe. „Der wird aber auch nicht lange halten. Höchstens drei Monate. In der Zeit musst du alles geregelt haben. Du musst dringend Kontakt mit Eron aufnehmen.“

„Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken kann“, sagte Abby mit feuchten Augen.

„Du musst mir nicht danken. Ich liebe diese Kinder als wären es meine eigenen. Sie zu schützen, hat oberste Priorität. Außerdem bin ich es Roger und Elisa schuldig. Sie sind…“, Joe hielt inne und seufzte. „Sie waren meine besten Freunde.“

„Mein Sohn wäre stolz auf dich.“ Die Tränen liefen ihr jetzt über. Sie hatte den ganzen Tag durchgehalten, wegen der Kinder. Aber nun ließ sie ihrem Schmerz freien Lauf.

"Eine Mutter sollte ihre Kinder nicht begraben, es muss genau anders herum sein", dachte Joe sich, als er Abby in seine Arme nahm.

 

***

 

 

„Kinder, aufstehen“, rief Abby ihre Enkelkinder. „Kommt schon, wir müssen noch packen.“

Verschlafen und mit rot geweinten Augen, blinzelten Luke und Claire ihre Großmutter an.

„Wir fliegen doch erst nächste Woche. Warum sollen wir schon packen? So viele Sachen haben wir doch gar nicht“, murmelte Luke.

„Wir werden schon heute Abend fliegen und ihr habt genug zu packen“, sagte Abby.

„Warum? Wir müssen uns doch noch verabschieden. Und was wird aus dem Haus?“, fragte Claire.

„Deswegen müsst ihr ja jetzt auch aufstehen. Joe wird sich um das Haus kümmern. Er wird gleich hier sein. Außerdem sind Mary und William auch noch hier. Die drei werden sich bis zu eurer Rückkehr um alles kümmern. Also steht auf, geht duschen und fangt an zu packen. Ich mache in der Zeit mit Mary Frühstück“, waren ihre letzten Worte ehe sie das Zimmer verließ.

„Ich möchte hier nicht weg“, flüsterte Claire.

„Ich weiß, ich möchte auch nicht weg, aber wir müssen“, sagte Luke.

Während Luke unter der Dusche stand, holte Claire die Koffer und fing an zu packen. Sie schmiss alles aus ihrem Kleiderschrank einfach unordentlich hinein. Als sie fertig war, hielt sie kurz inne und rannte ins Schlafzimmer ihrer Eltern. Sie roch das Parfum ihrer Mutter und zog den Duft ganz tief ein. Wieder liefen die Tränen ihr Gesicht runter. Sie holte tief Luft und holte sämtliche Fotoalben aus den Schränken und nahm alle Bilder an sich die sie finden konnte.

„Kommt ihr frühstücken?“, hörte Claire ihre Großmutter rufen. Sie verstaute die Fotos noch schnell in ihrer Tasche und lief die Treppen runter zur Küche. Der Geruch von Rührei und gebratenem Speck wehte ihr entgegen und gegen ihren Willen, knurrte ihr der Magen.

Schweigend beendeten sie ihr Frühstück. Jeder hing seine eigenen Gedanken nach. Das plötzliche Läuten der Haustüre riss die Drei aus ihren Gedanken.

„Ich geh schon“, sagte Luke und ging zur Tür.

„Hallo, Joe.“

„Hi, Luke. Wo sind die anderen?“

„Wir sind in der Küche“, rief Claire.

„Alles fertig gepackt?“, fragte Joe.

„Nein“, sagte Luke knapp.

„Habe ich dir was getan, oder warum gibst du mir so eine knappe Antwort?“, fragte Joe mit hochgezogenen Brauen.

„Entschuldige bitte, wir möchten nur nicht hier weg“, sagte er niedergeschlagen.

„Ach Kinder, ihr könnt doch in den Ferien hierherkommen.“

„Warum können wir nicht hier bei dir bleiben?“

„Weil ich für euch nicht das Sorgerecht habe und ihr es bei eurer Großmutter sehr gut haben werdet.“

„Ist ja gut. Wann müssen wir denn los?“, fragte Luke.

„Ich habe die Limousine für vier Uhr heute Nachmittag bestellt, um sechs geht der Flieger nach Deutschland“, beantwortete Abby die Frage.

Claire schaute auf die große Küchenuhr. „Dann haben wir ja noch genug Zeit. Ich möchte nochmal zum Friedhof, um mich von Mom und Dad zu verabschieden.“

„Ich komme mit“, sagte Luke.

„Ihr packt aber zuerst eure Koffer fertig. Dann könnt ihr los“, sagte Abby.

„Ich habe meine Koffer schon fertig. Sie stehen oben vor meinem Bett“, sagte Claire.

Als Luke endlich fertig war, machten die Zwillinge sich auf dem Weg zum Friedhof. Sie zogen sich die Kapuze über um sich vor dem Nieselregen zu schützen.

Auf der Straße war heute schon sehr viel los. Ihre Nachbarn warfen ihnen mitleidige Blicke zu und tuschelten hinter vorgehaltenen Händen, sprachen sie aber Gott sei Dank nicht an. Als sie an dem Spielplatz vorbeikamen, sahen sie eine Gruppe kleiner Kinder, die in den Matschpfützen rumsprangen. Claire erinnerte sich daran, wie sie und Luke vor einigen Jahren mit ihren Eltern auf diesem Spielplatz waren.

„Kannst du dich noch daran erinnern, wie du von der Wippe gefallen bist?“, fragte sie.

Luke ließ ein kleines Lachen hören. „Oh ja, und wie ich mich daran erinnere. Du hast dich damals zu feste abgestoßen und ich habe das Gleichgewicht verloren. Eins kann ich dir sagen, die Beule spüre ich immer noch.“

„Mom kam direkt angerannt, weil du wie am Spieß geschrien hast und Dad hat mich zur Seite genommen und mir erklärt warum ich nicht lachen darf, wenn mein Bruder sich verletzt. Dabei habe ich nur gelacht, weil es so komisch ausgesehen hat und nicht, weil du dir wehgetan hast.“

Sie beobachteten noch eine Weile die Kinder und machten sich dann wieder auf den Weg.

 

Der Friedhof sah wunderschön aus. Auf den gepflegten Gräbern blühten viele verschiedene Blumen, die ihre Köpfe Richtung Regen streckten, am Ufer eines kleinen angelegten Teichs, ließ eine gewaltige, alte Trauerweide ihre Äste ins Wasser hängen. Claire hatte das am Tag der Beerdigung gar nicht richtig wahrgenommen. Überhaupt konnte sie sich nicht wirklich daran erinnern, was alles passiert war. Sie wusste nur noch wie sie alle am Grab standen und dann waren sie auch schon wieder auf dem Weg nach Hause.

„Sag mal Luke, was weißt du noch von der Beerdigung?“, fragte sie und beobachtete ein Eichhörnchen, wie es von Ast zu Ast einer großen Eiche sprang.

„Ehrlich gesagt, weiß ich so gut wie nichts mehr. Warum fragst du?“

„Weil ich auch nichts mehr weiß.“

„Oma sagte, dass es am Schock gelegen hat. Ich habe sie gefragt, weil ich mich nicht erinnern konnte.“

Als sie am Grab angekommen waren, überkam den beiden eine tiefe Trauer. Sie schauten auf dem Grabstein. Es war ein aufgeschlagenes Buch.

 

Auf der linken Seite stand:

Roger Cameron geb. am 25.07.1966

gestorben am 02.06.2009

 

Auf der rechten Seite stand:

Elisa Cameron geborene Fraser geb. am 29.03.1967

gestorben am 02.06.2009

 

„Warum?“, schluchzte Claire. „Warum muss uns das passieren? Luke, ich kann nicht mehr. Es zerreißt mich.“

„Wir werden sie wiedersehen. Irgendwann sind wir wieder bei ihnen“, weinte jetzt auch Luke.

Claire schaute nach oben und erschrak. Sie griff nach Lukes Hand und begann zu zittern.

„Luke?“, flüsterte sie.

„Was ist?“, flüsterte er zurück.

„Bitte sag mir, dass du das auch siehst.“

Luke schaute nach oben und sah in den Ästen der Trauerweide hinter dem Grab eine Gestalt mit rot, glühenden Augen. Er drückte Claires Hand und zog sie langsam mit zurück. Er blinzelte und die Gestalt war verschwunden.

„Was war das?“, fragte Claire ängstlich.

„Ich weiß es nicht. Bestimmt nur ein Tier. Lass uns bitte schnell nach Hause. Und das Beste ist, wenn wir niemanden davon erzählen, hinterher sperren die uns noch weg“.

 


***

 

 

Zur selben Zeit bei Joe und Abby.

„Ich brauche ein Foto von den beiden“, sagte Joe. „Und meine Kräuterkiste aus dem Kofferraum.“

„Ich hole das Foto und du deine Kiste. Wir müssen uns ein bisschen beeilen“, sagte Abby.

Sie wusste, dass Claire die Bilder schon eingepackt hatte, deswegen ging sie nach oben und durchsuchte Claires Tasche nach einem geeigneten Bild. Endlich wurde sie fündig. Es zeigte wie Claire und Luke auf einem Campingausflug am Lagerfeuer saßen und verträumt in den Flammen schauten. Claires Haare leuchteten mit dem Feuer im Einklang. Sie nahm das Bild und rannte mit so einer Geschwindigkeit die Treppe runter, dass sie ihr Alter lügen strafte.

„Leg das Foto hier rein“, sagte Joe und deutete auf eine kleine Tonschale. Er zerbröselte einige Kräuter von denen Abby Baldrian, Alraune, und Fingerhut erkannte. Joe streute die Kräuter auf das Foto und sprach einige Worte.

„Maliru te voltum insinti rar.“ Er goss eine blaue Flüssigkeit darüber und die Luft fing über der Schale an zu flimmern. Das Foto ging lichterloh in Flammen auf. Der Geruch von verbrannten Kräuter hing in der Luft und Abby öffnete schnell die Fenster um durchzulüften.

„Das müsste fürs Erste reichen. Du musst so schnell wie nur möglich ein neues Haus finden, dann müsstet ihr in Sicherheit sein. Denk daran, ihr habt nur für 99 Tage Schutz“, sagte Joe. „Ich werde Eron auch Kontaktieren, dass er ein Auge auf euch hält“.

„Du weißt gar nicht, wie dankbar ich dir bin“, sagte Abby und umarmte ihn.

„Du weist, dass du dich nicht bedanken musst. Jetzt lass uns alles wegräumen, bevor die Zwillinge zurück sind.“

 

 

Träume

 

 

Luke und Claire kamen außer Atem und total verschwitzt zu Hause an. Sie öffneten die Tür und betraten den Flur. Sämtliche Koffer standen schon unten und sie mussten sich an ihnen vorbei drängen, um in das Wohnzimmer zu gelangen.

„Wir sind wieder da“, rief Claire.

„Das ist sehr gut, in einer Stunde ist die Limousine hier. Joe hat eure Koffer schon runtergebracht“, sagte Abby.

„Die sind nicht zu übersehen, wir sind ja fast darüber gestolpert“, murmelte Luke.

„Habt ihr soweit alles? Ausweis, Reisepass?“, fragte Joe.

„Ja, alles gepackt“, sagten die Zwillinge gleichzeitig.

„Dann bleibt uns noch etwas Zeit für eine letzte gemeinsame Tasse Tee“, sagte Abby und ging in die Küche.

 

Keine Stunde später, läutete es an der Tür. Joe stand auf und öffneten sie.

„Guten Tag, mein Name ist Spencer, ich bin für heute ihr Chauffeur.“

„Joe McKenzie, guten Tag. Ich bringe die Koffer schon mal in den Wagen.“

„Nicht nötig, Sir. Ich mache das schon“, sagte der Chauffeur in einem freundlichen, aber bestimmenden Ton.

Während Spencer die Koffer in den Kofferraum der Limousine verfrachtete, kam Abby, gefolgt von Claire und Luke, nach draußen. Ihr Handgepäck legten sie auf den Sitz der Limousine.

„Jetzt heißt es Abschied nehmen“, sagte Joe traurig.

„Wir werden dich in den Ferien besuchen kommen“, sagte Luke während er Joe umarmte.

„Das will ich ja wohl auch hoffen“, lächelte Joe. Jetzt umarmte Claire ihn und drückte ihn ganz fest.

„Wir werden dich vermissen“, flüsterte sie und fing fürchterlich an zu weinen.

Es zerriss ihm fast das Herz. Er wünschte den Beiden in Gedanken viel Glück, und dass sich alles wieder zum Guten wenden würde.

„Ich werde euch auch vermissen.“

„Sie müssen jetzt einsteigen, sonst verpassen Sie noch ihren Flug“, sagte der Chauffeur und öffnete die Tür der Limousine. Er sah mit seiner schwarzen Uniform und dem schwarzen Hut sehr elegant aus.

Abby stieg mit den Zwillingen ein und sie winkten Joe noch so lange zu, bis sie um die Kurve fuhren und er nicht mehr zu sehen war.

Auch wenn sie schon oft mit einer Limousine mitgefahren sind, waren sie immer wieder begeistert. Die herrlich breiten Sitze aus weißem Leder waren einfach himmlisch. Auf der linken Seite erstreckte sich die Minibar mit gekühlten Getränken.

Luke sah die Landschaft am Fenster vorbeiziehen und fragte sich, was jetzt alles auf sie zukommen würde. Wann würden sie ihre Heimat wiedersehen?


***

 

 

Claire war wegen dem Flug ziemlich nervös. Sie hasste es zu fliegen. Im Flughafen mussten sie nicht lange warten, bis sie in die Maschine einsteigen durften. Im Erste - Klasse - Abteil machten sie es sich bequem und warteten auf den Start. Claire schloss die Augen und versuchte einzuschlafen. Luke tat es ihr gleich.

Er lief mit seiner Schwester durch einen düsteren Wald. Es war so dunkel, dass sie keinen halben Meter weit gucken konnten. Er nahm Claires Hand in seine und spürte, wie sie zitterte. Luke erging es nicht anders, er verging fast vor Angst. Ringsum knackten Zweige und raschelten die Büsche. Der Wind heulte durch die Bäume und zerzauste ihnen die Haare. Sie hörten das Rauschen von Wasser. Ein Fuchs kreuzte ihren Weg, so dass sie vor Schreck zurück sprangen. Sie blieben einen kurzen Moment stehen und liefen dann weiter. Luke wusste nicht wohin sie gingen, sie liefen einfach immer weiter. Vor einem riesig großen Wasserfall blieben sie stehen und erblickten wieder diese rot glühenden Augen.

„Wo seid ihr? ... Ich werde euch finden ... Ihr könnt mir nicht entkommen ...“, sagte eine eiskalte Stimme, die wie es schien, direkt vom Wasserfall kam.

Claire und Luke wachten mit einem Ruck auf und saßen kerzengerade auf ihrem Platz im Flugzeug. Die Maschine war im Landeanflug über Düsseldorf.

„Willkommen in Deutschland“, sagte Abby.

Sie sahen aus dem Fenster. Überall standen riesige Flugzeuge. Das Bodenpersonal fuhr mit Gepäck beladenen Wagen hin und her. Im Ankunftsbereich am Düsseldorfer Flughafen, wartet schon bereits James Curts, der Buttler und Chauffeur von Abby.

„Guten Abend, Miss Cameron, guten Abend Mister und Misses Cameron. Ich hoffe Sie hatten einen angenehmen Flug“, sagte er vornehm.

„Guten Abend, James. Wie oft soll ich Ihnen noch sagen, dass Sie nicht so förmlich sein sollen?“, sagte Abby genervt.

„Noch mindestens hundertmal, Miss Abby“, gab James zurück.

Die Zwillinge verkniffen sich gerade noch so das Lachen. James lud das Gepäck in die Limousine und öffnete Abby und den Kindern die Tür. Auf der Fahrt nach Gelsenkirchen, fielen den Kindern ständig die Augen zu. Abby beobachtete, dass die zwei versuchten, sich krampfhaft wachzuhalten.

„Warum macht ihr nicht einfach ein bisschen die Augen zu?“, wollte sie wissen.

„Ich möchte einfach noch nicht schlafen, sonst kann ich gleich nicht mehr einschlafen“, sagte Luke. Ihm war es peinlich, zugeben zu müssen, dass er Angst vor Alpträume hatte.

„Mir geht es genauso“, stimmte Claire ihren Bruder zu.

„Von mir aus“, sagte Abby.

Knapp 50 Minuten später, fuhr James die Limousine eine lange Auffahrt hoch und hielt vor einem alten, aber gepflegten Herrenhaus. Sie erblickten einen wunderschönen Garten mit einem imposanten Brunnen auf dem ein großer Engel saß.

„Hier wohnst du? Das ist ja wunderschön“, sagte Luke erstaunt.

„Ja“, sagte Abby knapp. Ihr Blick wanderte nachdenklich über das Anwesen. „Jetzt kommt erstmal rein. Lasst die Koffer in der Limousine. James bringt sie gleich auf eure Zimmer. Wir werden jetzt erstmal einen schönen heißen Tee trinken und eine Kleinigkeit essen“, sagte sie und führte die Zwillinge ins Haus, direkt in die altmodische aber wunderschöne Küche.

„Guten Abend, Amélie. Haben Sie vielleicht noch eine Kleinigkeit für den Magen für meiner Enkelkinder und mich“, fragte Abby ihre Köchin.

„Aber selbstverständlich, Miss Abby. Ich bin froh, dass Sie wieder wohlbehalten zurück sind“, antwortete Amélie.

Während Abby sich mit den beiden an einem riesigen großen Mahagonitisch setzten, wuselte Amélie herum und stellte eine kleine Mahlzeit zusammen. Nach dem Essen, zeigte Abby den Kindern ihre Zimmer. Claires Zimmer war im Jugendstil eingerichtet. Sie hatte ein bequem aussehendes großes Himmelbett, welches rechts an der Wand stand. Unter dem Fenster stand ein Schreibtisch mit einem Computer und einen Monitor darauf. Neben dem Schreibtisch, stand eine kleine dunkelrote Zweiercouch mit einem kleinen Glastisch davor. Sie schaute nach links und entdeckte zwei Türen.

„Wo führen die hin, Oma Abby?“, fragte sie.

„Mach sie auf und finde es doch heraus.“

Sie ging zur linken Tür und öffnete sie. Dahinter war ein traumhaftes, großes Badezimmer. Hier war alles in schwarzen Marmor gehalten.

Es gab eine riesige Badewanne und daneben stand eine Dusche, in der man locker mit einer vierköpfigen Familie duschen könnte. Claire quietschte auf. „Oma, das Bad ist eine Wucht.“ Sie ging wieder zurück ins Zimmer und nahm sich die rechte Tür vor.

„Ein begehbarer Kleiderschrank. Ich glaub es ja nicht“, schrie sie.

„Auspacken kannst du morgen früh. Jetzt machst du dich erstmal fürs Bett fertig. Und morgen sehen wir weiter“, sagte Abby.

„Oma, hast du etwas dagegen, wenn ich die erste Nacht bei Luke schlafe?“, fragte Claire.

„Natürlich habe ich nichts dagegen, solange Luke einverstanden ist.“

„Sie kann ruhig bei mir schlafen“, sagte Luke.

Zusammen gingen sie in Lukes Zimmer, welches direkt nebenan war. Es war genauso eingerichtet, wie Claires Zimmer, nur, dass hier alles in blau – grün eingerichtet war.

„Ich hoffe euch gefallen eure Zimmer, Amélie hat sich sehr viel Mühe mit der Einrichtung gegeben.“

„Ja, sie sind absolut fantastisch, vielen Dank“, sagte Claire.

Abby wünschte den beiden noch eine gute Nacht und ließ sie alleine.

„Ich gehe noch schnell duschen und mich umziehen“, sagte Claire und ging in ihr Zimmer. Als sie wieder zurück war, hatte Luke sich schon umgezogen und lag mit noch feuchten Haaren quer im Bett.

„Rutsch ein bisschen, das Bett ist schließlich breit genug“, lachte Claire. Sie kuschelte sich in die weichen Kissen und schlief rasch ein.

Sie lief mit ihrem Bruder wieder durch diesen dunklen Wald. Wieder heulte der Wind und sie hörten nur das Knacken der Zweige und das Rascheln der Büsche. Sie hatten Angst. Einfach nur pure Angst. Erneut blieben sie vor diesem großen Wasserfall stehen. Dort sahen sie die rot glühenden Augen.

„Ich werde euch finden, genauso wie ich eure Eltern gefunden habe. Ihr könnt mir nicht entkommen. Euer kleiner Schutzzauber wird euch nicht helfen. Keiner kann mir entkommen“, erklang die eiskalte Stimme. Dieses Mal, schien sie nicht nur aus dem Wasserfall zu kommen, nein, sie dröhnte direkt in ihren Köpfen.

„Wer bist du? Und was willst du von uns? Was hast du mit unseren Eltern gemacht?“, schrie Luke die Stimme an. Doch als Antwort erhielt er nur ein kaltes Lachen. Plötzlich sahen sie Bilder von ihren Eltern auf dem Wasserfall reflektieren. Sie sahen den Unfall. Die Zwillinge schrien auf.

„Claire, Luke, wacht auf. Es ist nur ein böser Traum“, versuchte Abby die zwei zu wecken. Sie schlugen völlig verschwitzt die Augen auf.

„Oma, was ist passiert?“, fragte Luke.

„Ihr habt geschrien“, sagte Abby.

„Wieso ihr? Ich hatte einen Alptraum“, sagte Luke verwirrt.

„Ich auch“, flüsterte Claire leise. Die Angst war ihr noch immer anzusehen. „Es war schrecklich, da waren diese Augen und ich habe Mom und Dad bei dem Unfall gesehen.“ Sie schluchzte und sah Luke an.

„Waren diese Augen rot, glühend?“, fragte Luke.

„Ja, wie auf dem Friedhof. Und diese furchtbare Stimme, sie sagte, dass sie uns finden würde, genauso wie sie angeblich ...“

„... Mom und Dad gefunden hat“, beendete Luke den Satz.

Abby schaute ihre Enkelkinder geschockt an. „Moment, ihr habt diese Augen schon auf dem Friedhof gesehen?

Aber warum habt ihr mir nichts davon erzählt?“

„Weil wir nicht wollten, dass man uns für verrückt hält“, sagte Luke.

„Kinder, ihr könnt mir alles erzählen. Ich würde euch niemals für verrückt halten.“

„Und wie erklärst du dir das? Ich meine, immerhin ist es doch nicht normal, dass wir den selben Traum haben“, fragte Claire leise.

„Bei Zwillingen kommt es oft vor. Und wenn man bedenkt, dass ihr erst vor kurzem eure Eltern verloren habt, wundert es mich ehrlich gesagt nicht. So, und jetzt versucht noch etwas zu schlafen. Es war nur ein böser Traum“, sagte Abby bestimmend.

„Und was war das auf dem Friedhof?“, fragte Luke.

„Ich weiß nicht, was ihr dort gesehen habt. Es war bestimmt nur ein Tier“, versuchte Abby die beiden zu beruhigen.

„Und jetzt schlaft. Ich hab euch lieb.“

„Wir dich auch, Oma.“

Abby schloss leise die Tür hinter sich und ging nach unten. Sie eilte in die Bibliothek und lief zielstrebig zu einem Regal in der hintersten Ecke. Dort zog sie ein dickes, rotes Buch ein Stück heraus und drückte gleichzeitig ein ganz schmales, blaues hinein. Rechts neben ihr öffnete sich plötzlich die Wand und Abby schlüpfte rasch in den Gang, der dahinterlag. Hinter ihr verschloss sich der Eingang sofort wieder und Fackeln an den Wänden fingen Feuer. Ihre Gedanken rasten durcheinander. Wie konnte er Kontakt mit den beiden aufnehmen, wenn Joe sie doch geschützt hatte? Sie musste jetzt ganz schnell handeln. Ihre schnellen Schritte hallten durch den langen Gang. Sie erreichte einen kreisrunden Raum. Die Wände und der Boden waren aus tiefschwarzen Marmor. In der Mitte des Raumes, war ein großes Pentagramm auf dem Boden gezeichnet. An den Wänden hingen Regale, auf denen unzählige Bücher standen. Abby ging auf einem sehr alt aussehenden, mit Runen überdeckten Schrank zu und holte eine große, runde Steinschale heraus. Sie stellte die Schale in der Mitte vom Pentagramm und bröselte Kräuter hinein. Dann stellte sie fünf große weiße Kerzen an jeder Ecke und zündete sie an. Sie holte sich aus den Regalen ein dickes in blutrotes Leder gebundenes Buch und suchte nach der richtigen Beschwörungsformel. Da war sie. Die Magieübertragung. Sie wusste, was auf dem Spiel stand. Wenn die Beschwörung klappte, wird auch der letzte Rest Magie von ihr genommen. Das heißt, sie wird nicht mehr lange zu Leben haben. Doch diesen Preis, zahlte sie gern. Die Hauptsache war, ihre Enkelkinder waren in Sicherheit. Wie Joe McKenzie zuvor, legte sie ein Foto von den Zwillingen in die Schale und schob es unter die Kräuter. Dann las sie die Zeilen aus dem Buch.

„Jerima tu vila morti magico vulti insendio bruach“, mit brüchiger, zittriger Stimme wiederholte sie diese Worte immer und immer wieder.

Plötzlich stieg ein grauer undurchsichtiger Nebel aus der Schale empor und ein grelles, helles Licht durchdrang Abbys Brust. Sie verlor die Besinnung und brach vor dem Pentagramm zusammen.

 

Ian Fraser

 

Völlig erschöpft wachte Abby auf. Jetzt musste alles schnell gehen. Sie spürte, dass ihre Lebensenergie immer weniger wurde.

Mit schweren Schritten schleppte sie sich zurück in die Bibliothek und dann zum Wohnzimmer. Sie nahm das Telefon und rief Joe an. Es dauerte sehr lange bis er abhob.

„Joe McKenzie“, sagte seine ruhige Stimme verschlafen.

„Joe? Ich bin es, Abby“, sagte sie mit zitternder Stimme.

„Abby? Ist etwas passiert?“, fragte Joe alarmiert.

„Er nimmt Kontakt mit den beiden auf.“

„Wie kann er das machen? Ich habe sie doch geschützt?“, sagte er bestürzt.

„Über ihre Träume. Und sie sagten, dass sie auf dem Friedhof rot, glühende Augen gesehen haben. Wir müssen alles vorbereiten. Du musst Eron Bescheid sagen.“

„Abby, was hast du getan?“, fragte Joe warnend.

„Das, was notwendig war.“

„Wie konntest du das tun? Sie haben doch nur noch dich.“

„Ich musste es tun. Umso wichtiger ist es jetzt, dass du mir zu hörst. Ich werde nicht mehr lange leben. Das bisschen Magie was ich noch hatte, geht auf die Zwillinge über. Du musst mit Eron reden, damit er sie schützt. Sein Waisenheim ist dafür die beste Tarnung. Denn nur bei ihm werden sie sicher sein und er kann ihnen helfen, wenn ihre Kräfte sich vollständig entwickelt haben.“

„Wann?“

„Ich weiß es nicht. Vielleicht ein paar Tage, ein paarStunden, es kann aber auch schneller gehen. Deswegen müssen wir uns jetzt beeilen. Meine Zeit ist bald um.“

„Es tut mir leid, dass es soweit kommen musste. Ich wünschte, ich könnte alles rückgängig machen“, sagte Joe traurig.

„Ach Joe, man kann die Vergangenheit nicht ändern. Ich hatte ein langes erfülltes Leben, im Gegensatz zu meinem Sohn und Elisa. Und wenn ich mit meinem Tod Luke und Claire helfen kann, dann mache ich es mit Freuden.“

„Ich werde mich direkt um alles kümmern. Eron wird sich morgen früh bei dir melden. Du musst nur darauf achten, dass die Kinder nichts mitbekommen. Sie werden es schon früh genug erfahren“, sagte Joe.

„Sie werden nichts mitbekommen. Ich werde ihnen gleich jeweils ein Glas Wasser mit Schlafmittel hinstellen. Ich weiß, dass sie nachts wach werden um zu trinken. Sie werden bis morgen Mittag schlafen.“

„OK. Und Abby? Viel Glück.“

„Ich danke dir. Irgendwann werden wir uns wiedersehen.“ Sie legte auf und atmete einmal richtig durch. Nachdem sie die Gläser auf dem Nachttisch der Kinder gestellt hatte, gab sie jedem noch einen Kuss auf die Stirn und ging mit schwerem Herzen in ihr Bett und dachte daran, dass sie bald ihren Sohn und ihre Schwiegertochter wiedersehen würde.

 


***

 

 

Am nächsten Morgen wachte Claire sehr früh auf. Sie sah zwei Gläser Wasser auf dem Nachttisch stehen. Luke hatte seins wohl schon leer getrunken. Sie fand es richtig lieb von ihrer Oma, dass sie daran gedacht hatte ihnen etwas zu trinken hin zu stellen. Wenn sie Nachts wach wurden, hatten sie immer einen ganz trockenen Mund und brauchten etwas zu trinken. In dieser Nacht war Claire nicht aufgewacht. Sie setzte sich aufrecht hin und beugte sich zum Nachttisch um ihr Glas zu greifen. Dabei blieb sie an ihrer Decke hängen und fiel aus dem Bett. Das Glas Wasser kippte um und ergoss sich über ihrem Kopf.

„Na toll ... jetzt bin ich richtig wach“, grummelte sie und stand auf. Luke murmelte irgendetwas vor sich hin, drehte sich um und schlief weiter. Genervt ging sie in ihr Zimmer, suchte sich ihre Sachen zum Anziehen heraus und legte sie auf ihr Bett. Dann ging sie ins Bad und wollte erstmal die Dusche genießen. Sie stellte das Wasser an und zog sich in der Zeit schon mal aus. Nackt stand sie vor dem großen Badezimmerspiegel und betrachtete kritisch ihren Körper. Wo die Mädels aus ihrer Klasse in Schottland gerade mal den Ansatz einer Brust hatten, war bei ihr schon mit vierzehn ein wohl geformter fester Busen zu sehen gewesen. Sie hatte sich schon immer dafür geschämt. Ihrer Ansicht nach passte ihr Busen nicht zu dem restlichen Körper. Claire war schlank, aber wirkte nicht mager. Und auf ihrer Schule drehten sich fast alle Kerle nach ihr um. Das hatte sie immer genervt, weil sie genau wusste, dass es nicht wegen ihrem hübschen Gesicht war. Die Idioten ließen sie nur aus Respekt vor Luke in Ruhe und wenn sich doch einmal jemand traute sie anzusprechen, sah er ihr grundsätzlich nicht in die Augen.

Sie stellte sich unter die Dusche und ließ das heiße Wasser über ihren Körper laufen. Sofort entspannte Claire sich und sie vergaß für den Moment ihre Ängste und Sorgen. Eine halbe Stunde später stellte sie das Wasser ab und ging in einem Handtuch gewickelt zurück ins Zimmer. Sie sah auf die Uhr. Schon halb zehn. Das ist aber komisch, normalerweise weckt Oma sie um halb neun zum Frühstück. Schnell zog sie ihre dunkelblaue Jeans und ein rotes T- Shirt an und lief noch barfuß und mit dem Handtuch auf dem Kopf runter zur Küche. Dort war der Tisch schon gedeckt und Amélie stand an der Arbeitsplatte und bereitete schon das Mittagessen vor.

„Guten morgen, Amélie. Ist meine Großmutter schon wach?“, begrüßte Claire die Köchin.

„Guten Morgen, Miss Cameron. Ich habe ihre Großmutter heute noch nicht gesehen. Eigentlich ist sie immer vor mir in der Küche. Aber vielleicht schläft sie ja heute etwas länger.“

„Nennen Sie mich doch bitte Claire. Dabei fühle ich mich wohler“, sagte Claire zu der kleinen rundlichen Köchin.

In diesem Moment ertönte die Türglocke.

„Guten Morgen, Mr. Fraser, kommen Sie doch herein“, hörte Claire wie der Buttler James den frühen Gast begrüßte. „Es ist schön Sie wiederzusehen.“

„Ich freue mich auch wieder hier zu sein, es ist lange her, seit ich hier war“, antwortete dieser Mr. Fraser.

Neugierig lugte sie durch die Türe und sah einen sehr alt aussehenden Mann herein kommen. Er war sehr groß und hager und seine silbergrauen Haare trug er zu einem langen Pferdeschwanz gebunden. Sein ordentlicher gestutzter Bart war ebenfalls grau. Claire wollte sich gerade wieder leise in die Küche verdrücken, als dieser Mr. Fraser seinen Kopf drehte und sie entdeckte. Seine stahlblauen Augen fesselten sie an Ort und Stelle.

„Wem haben wir denn hier?“, fragte er mit einer rauen autoritären Stimme.

Claire erinnerte sich gerade noch rechtzeitig an ihrer guten Erziehung und stellte sich vor.

„Guten Morgen, mein Name ist Claire Cameron. Ich bin die Enkeltochter von Abigail Cameron. Meine Großmutter ist noch oben, ich hole sie schnell.“

„Guten Morgen Claire, ich bin Mr. Ian Fraser und ein alter Freund deiner Großmutter. Es ist schön dich endlich persönlich kennenzulernen. Abby hat schon viel von dir und deinem Bruder erzählt. Ist er auch hier?“, fragte er.

Eron verstand nicht warum die Kinder schon wach waren und Abby nirgends zu sehen war. Joe hatte ihm versichert, dass sie tief und fest schlafen würden. Jetzt hieß es improvisieren.

„Ja, aber er schläft noch. Ich geh schnell hoch und hole meine Großmutter“, antwortete Claire höflich. Sie ging zügig die Treppe hoch und klopfte an Abbys Schlafzimmertür. Sie wartete einige Sekunden, danach klopfte sie erneut.

„Oma? Bist du wach?“

Keine Antwort. Leise öffnete sie die Tür und trat ein. Sie sah Abby in ihrem großen Bett liegen. Vorsichtig ging sie zu ihr und streichelte ihr zart über den Arm. Sie fühlte sich sehr kalt an. Claire sah in ihr Gesicht, welches eine unnatürlich graue bläuliche Farbe angenommen hatte. Plötzlich wurde ihr klar, dass Großmutter Abigail sie auch verlassen hatte. Sie brach schreiend auf dem Bett neben Abby zusammen. Nur am Rande nahm sie polternde Schritte auf der Treppe wahr. Claire spürte, wie jemand versuchte sie von ihrer Großmutter wegzuziehen.

„Komm mit Claire, du kannst jetzt nichts mehr für sie tun. Sie ist friedlich eingeschlafen“, sagte Eron sanft und versuchte sie von Abby zu lösen.

„Nein“, schrie sie. „Sie ist nicht tot. Sie darf nicht tot sein, sie ist doch die einzige, die wir noch haben.“

Eron strich ihr langsam über das Gesicht und Claire fiel in einem traumlosen tiefen Schlaf. Sie hörte nur noch leise wie er sagte: „Ihr seid nicht alleine.“

 


***

 

 

Er trug sie vorsichtig in ihr Zimmer und legte sie in ihr Bett. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass Claire tief und fest schlief, ging er nach Luke schauen. Luke lag, nichts von der ganzen Tragödie wissend, in seinem Bett und schlief. Der Schlaftrank von Abby wirkte also noch. Sicherheitshalber legte Eron einen weiteren Schlafzauber über ihn. Leise schloss er die Tür und ging in Abbys Zimmer. Dort fand er die aufgelöste Amélie in den Armen von James, der ihr tröstend über den Kopf streichelte.

„Kommen Sie, wir werden jetzt erstmal in die Küche gehen. Während Sie uns einen heißen kräftigen Tee kochen, werde ich mich um alles andere kümmern“, sagte Eron und führte die beiden aus dem Zimmer. Als er sicher war, dass sie in der Küche beschäftigt waren, nahm er das Telefon und rief zuerst Joe an.

„Joe? Ich bin es, Eron.“

„Guten Morgen, ist alles gut gegangen? Was hast du jetzt mit Abby ausgemacht?“, fragte Joe.

„Wir konnten nicht mehr miteinander reden. Abby ist in der Nacht verstorben.“

„Aber … warum? Sie sagte, sie hätte noch ein wenig Zeit. Wieso ging es jetzt so schnell? Wie geht es den Kindern?“

„Warum es jetzt doch so schnell ging, kann ich dir im Moment auch nicht sagen. Die einzige Erklärung wäre, dass Abby nicht mehr so stark war, wie sie immer behauptet hatte. Ich habe über die Kinder einen Schlafzauber gelegt. Claire hat Abby gefunden es ging ihr natürlich nicht gut und Luke weiß noch gar nichts.“

„Ich könnte erst morgen früh bei euch sein“, sagte Joe.

„Das ist nicht so schlimm, ich werde die Kinder heute noch ins Dion mitnehmen.“

„Das wäre wohl das Beste“, seufzte Joe.

„Ich werde mich jetzt um alles kümmern, mit dem Amt wird es keine Probleme geben. Ich kenne die Chefin und die sind froh, wenn alles schnell über die Bühne geht. Ich rufe jetzt den Bestatter an und kläre alles notwendige. Komme morgen direkt ins Dion“, ohne ein weiteres Wort legte Eron auf. Nachdem er alle Telefonate geführt hatte, ging er in die Küche. Amélie hatte ihnen einen sehr starken Tee gekocht. Und wenn sie sagt, sehr stark, dann ist meistens ein guter Schluck schottischer Whisky mit drin.

„Wie geht es jetzt weiter?“, fragte Amélie leise.

„Sobald die beiden wach sind, nehme ich sie mit. Soviel ich weiß, steht im Testament, dass Sie und James sich um das Anwesen kümmern bis die Zwillinge volljährig sind. Also brauchen Sie sich darüber schon mal keine Gedanken machen. Ich werde jetzt nach oben gehen und die Kinder wecken. Kochen Sie noch mal einen Tee? Aber die schwächere Variante bitte“, sagte Eron und ging nach oben.

Er betrat leise Claires Zimmer und ging zu ihrem Bett. Dann strich er wieder mit der Hand über ihr Gesicht und setzte sich neben ihr auf einem Stuhl und wartete. Etwa fünf Minuten später blinzelte Claire kurz, schloss wieder die Augen und öffnete sie dann ganz. Zuerst verstand sie nicht warum sie sich so niedergeschlagen fühlte. Doch dann fiel es ihr mit einem mal wieder ein. Sofort setzte sie sich kerzengerade hin und erschrak, als sie Mr. Fraser entdeckte.

„Hallo Claire“, sagte er mit trauriger Stimme. „Ich freue mich, dass du wieder wach bist. Fühlst du dich gut genug um aufzustehen?“

Claire nickte nur.

„Na gut, geh dich frisch machen und dann treffen wir uns gleich in der Küche. Wir müssen uns dringend unterhalten.“

„Was ist mit Luke? Weiß er schon was passiert ist?“, fragte Claire ihn.

„Nein, er schläft noch. Ich wollte ihn gerade wecken“, antwortete Eron ihr.

„Ich mache das. Er kennt Sie ja noch nicht einmal“, sagte sie bestimmt.

„Na gut, aber geh dich erstmal frisch machen. Ich warte dann unten.“ Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.

Er wartete bis Claire in der Dusche war. Als er hörte wie sie das Wasser wieder ausstellte, ging er schnell in Lukes Zimmer und hob den Schlafzauber auf. Er musste sich beeilen um in die Küche zu kommen, weil Claire jeden Moment herein kommen könnte. Auf der Treppe blieb er noch mal stehen und hörte wie sie in Lukes Zimmer ging. Traurig, den Kopf schüttelnd ging er hinunter.

Was müssen die Beiden noch alles durchmachen? Mutter und Vater verloren und nicht ganz eine Woche später die Großmutter. Und es kommt noch mehr auf sie zu.

 


***

 

 

Claire schloss die Tür leise hinter sich und ging zu Luke. Sie sah ihn eine Weile an und überlegte wie sie es ihm am besten sagen könnte.

Als er seine Augen öffnete, wusste sie immer noch nicht, was sie sagen soll. Luke streckte sich und gähnte ausgiebig. Dann sah er seine Schwester.

„Guten Morgen, Schwesterherz. Bist du schon lange wach? Man habe ich gut...“, mitten im Satz brach er ab und schaute in ihr blasses, verweintes Gesicht. „Hey, weine doch nicht. Mom und Dad sind jetzt an einem besseren Ort. Solange wir zusammenhalten, schaffen wir das“, versuchte er Claire zu trösten. Auch wenn ihm bei dem Gedanken an seinen Eltern das Herz zerbrach, war es für ihn schlimmer mitanzusehen, wie seine Schwester litt.

„Ach Luke, es ist nicht nur wegen Mom und Dad.“

„Was hast du denn?“, fragte er nervös.

„Heute morgen kam ein alter Freund von Oma Abby, ein gewisser Ian Fraser, ich wollte nach oben um sie zu wecken … sie war … sie ... Oh Luke, sie ist heute Nacht gestorben.“ Claire sackte in sich zusammen und fing haltlos an zu weinen. Luke konnte nichts darauf erwidern. Er sah seine Schwester nur geschockt an. Womit haben sie sowas verdient? Innerhalb einer Woche haben sie ihre ganze Familie verloren. Warum ist Gott nur so grausam? Er verstand es einfach nicht. Luke nahm Claire in die Arme und weinte ebenfalls. Nach einiger Zeit beruhigten sie sich.

„Wir sollen ... runter in die … Küche kommen … Mr. Fraser wartet dort auf uns und möchte mit uns reden“, sagte Claire mit kleinen Hicksern zwischendurch.

„Was möchte er von uns? Und wer genau ist er?“, fragte Luke misstrauisch.

„Ich weiß es nicht. Aber das Beste wird sein, wir gehen runter und finden es heraus.“

„Warte mal, ... Fraser ... Moms Mädchennamen war doch Fraser oder nicht?“, fragte Luke.

„Stimmt, wieso ist mir das nicht sofort aufgefallen?“, sagte Claire.

„Ob er mit Mom verwandt ist?“

„Das werden wir wohl gleich erfahren.“ Sie wischten sich die Tränen fort und gingen nach unten. Amélie stellte gerade saubere Tassen auf den Tisch, als Claire und Luke die Küche betraten. Eron stand sofort auf und ging auf die beiden zu.

„Hallo Luke, es tut mir unglaublich leid, was mit euren Eltern und eurer Großmutter passiert ist. Ich war ein sehr enger Freund von ihr.“

„Danke. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, aber über was wollten Sie mit uns reden?“, fragte Luke.

„Setzt euch erstmal und trinkt euren Tee solange er noch heiß ist. Und dabei können wir reden.“ Sie setzten sich und warteten darauf, dass Amélie ihnen Tee eingoss.

„Ich bin nicht nur ein enger Freund eurer Großmutter, sondern auch der Leiter eines Waisenheims.“

„Und deswegen sind Sie hier? Wollte Oma Abby uns in ein Heim schicken?“, fragte Luke aufgebracht.

„Nein, du verstehst da was falsch. Ich war nur hier um Abby nach langer Zeit wieder zu besuchen. Dass ich der Leiter vom Dion bin, ist nur ein Zufall. Aber da ihr ...“

„Dion?“, fragte Claire.

„Ja, das Waisenheim heißt Dion. Es ist schottisch gälisch und bedeutet Zuflucht. Es ist ein ganz spezielles Waisenheim, aber darüber sprechen wir, wenn wir unterwegs sind. Da ihr keine weiteren Verwandten habt und noch minderjährig seid, wird das Jugendamt euch an ein Waisenheim übergeben. Normalerweise würdet ihr hier in Gelsenkirchen unterkommen, aber da ich ein guter Freund der Familie bin, dachte ich, ihr kommt mit mir nach Hattingen. Mit dem Jugendamt habe ich heute morgen schon gesprochen, die haben mir ihr “ja“ schon gegeben. Es wird nur ein bisschen Papierkram geben, aber das wird schnell erledigt sein. Ihr müsst wissen, ich bin dort sehr hoch angesehen. Was jetzt aber nicht eingebildet klingen sollte.“

„Und wann müssen wir dort hin?“, fragte Luke jetzt schon ein bisschen ruhiger.

„Am besten heute noch.“

„Aber was ist mit Oma Abbys Beerdigung? Dort möchten wir auf jeden Fall hin“, sagte Claire empört.

„Natürlich werden wir ihr die letzte Ehre geben. Das ist doch selbstverständlich.“

„Ok. Ich glaube uns bleibt eh keine andere Wahl“, flüsterte Claire.

„Mr. Fraser, kannten Sie unsere Mutter?“ fragte Luke.

„Ja, ich kannte eure Mutter und euren Vater. Warum fragst du?“

„Weil der Mädchenname unserer Mutter auch Fraser war.“

„In Schottland kommt der Name Fraser häufig vor. Das muss aber nicht gleich heißen, dass man miteinander verwandt ist. Ist es das, was du wissen wolltest?“

„Ja, tut mir leid, wenn es unhöflich rüberkam, aber wir waren neugierig.“

„Kein Problem, ich kann es verstehen.“

„Ist unsere Oma noch oben, oder wurde sie schon abgeholt? Ich möchte sie vorher noch gerne sehen“, sagte Luke.

„Sie ist noch oben. In …“, Eron schaute auf die Küchenuhr, „… einer halben Stunde müsste der Bestatter hier sein. Willst du das wirklich?“

„Ja“, sagte Luke knapp.

„Ich komme mit“, sagte jetzt auch Claire. Sie warteten nicht die Antwort ab, sondern gingen direkt nach oben. Vor der Tür blieben sie kurz stehen.

„Bereit?“, fragte Luke und als er sie nicken sah, nahm er ihre Hand und ging mit ihr hinein. Vor dem Bett blieben sie stehen und knieten nieder. Und wieder fragten sie sich, warum ihnen so etwas passieren musste. Sie waren so in ihren Gedanken vertieft, dass sie nicht bemerkten, wie es draußen immer dunkler wurde. Schwere, fast schwarze Gewitterwolken zogen auf. Die Erde fing an zu beben und die Alarmanlagen der Autos in der Garage gingen an.

 


***

 

 

Eron wusste, was das zu bedeuten hatte. Er rannte nach oben und fand die Zwillinge wie in Trance vor. Sie hielten sich an den Händen und Tränen liefen an ihren Gesichtern herunter. Er spürte wie mächtig sie jetzt schon waren, dabei wird ihre ganze Kraft erst an ihrem achtzehnten Geburtstag zu voller Größe entwickelt sein. Es wird Zeit, sie aufzuklären. Er ging zu ihnen hinüber und berührte sie vorsichtig. Sobald sie die Augen öffneten, war alles wieder wie vorher. Er beschloss so zu tun als wenn nichts gewesen wäre.

„Der Bestatter ist gleich hier. Das Beste ist, wenn ihr jetzt eure Sachen zusammenpackt“, sagte er so ruhig wie nur möglich.

Die Zwei nickten und verließen das Zimmer. Zwei Stunden später waren sie auf dem Weg nach Hattingen.

 

 

Magier?!

 

 

Sie fuhren einige Zeit auf der Landstraße und bogen dann in einem Waldweg ein.

„Was machen wir hier?“, fragte Luke.

„Nur eine kleine Rast, um euch alles zu erklären“, antwortete Eron.

„Was gibt es denn da zu erklären? Waisenheim bleibt Waisenheim“, sagte Luke.

„Wartet`s ab“, murmelte Eron. Er parkte den Wagen am Rand einer Lichtung, stieg aus und ging zur Mitte der Lichtung. Dort setzte er sich im Schneidersitz auf die grüne Wiese und wartete auf die Zwillinge. Claire und Luke sahen sich überrascht um. Auf der ganzen Wiese wuchsen unzählige verschiedene Blumenarten. Vögel zwitscherten über ihnen. Es überkam sie eine innere Ruhe und für einen kurzen Moment vergaßen sie ihre Trauer und Sorgen. Es war wunderschön. Sie setzten sich zu Eron und warteten ab, was er zu sagen hatte.

„Ich möchte, dass ihr mir jetzt gut zuhört und mich nicht unterbrecht bis ich zu Ende erzählt habe. Danach könnt ihr mich fragen, was ihr wollt“, begann Eron. Claire und Luke schauten sich an und jeder konnte im Gesicht des anderen die Neugier aber auch die Angst, was jetzt auf sie zukommt, lesen.

„Zu aller erst, müsst ihr wissen, dass das Dion kein normales Waisenheim ist. Es ist ein Heim für sehr begabte Kinder und Jugendliche. Ihr gehört auch dazu, weil ihr anders als normale Kinder seid.“

Die Zwillinge schauten ihn skeptisch an, unterbrachen ihn aber nicht. Sie sollen begabt sein? Das müssten sie doch am besten wissen. Nur merkten sie nichts davon. Ihre schulischen Leistungen waren im Normalbereich, sie konnten kein Musikinstrument spielen, und in der Kunst sind sie auch nicht bewandert. Das einzige was ihnen lag, war Sport. Aber das konnte es auch nicht sein.

„Ich sehe an eure Gesichter, dass ihr mir nicht glaubt. Aber was ich euch jetzt sage, wir noch abstruser klingen und ihr werdet mir wahrscheinlich erstmal nicht glauben. Das erging bis jetzt allen Neuen so, bis sie es selbst gesehen haben. Claire, Luke, ihr seid magiebegabte Kinder.“ Den beiden klappte der Mund auf. Luke hatte sich zu erst wieder im Griff.

„Magiebegabt? Verzeihen Sie, aber das ist doch einfach nur lächerlich. Was soll das ganze Theater? Ich meine, Magie, so etwas gibt es nur in Büchern und Märchen. Uns steht echt nicht der Sinn nach Scherzen“, sagte er.

„Ihr müsst mir glauben, ihr seid Magier, und wir werden euch im Dion helfen, eure Kräfte zu erforschen und zu kontrollieren. Ihr werdet es sehen, dort sind noch andere wie ihr.“

„Nehmen wir mal an, Sie sagen die Wahrheit, was ich natürlich nicht glaube, aber nehmen wir es einfach mal an. Warum weiß die Öffentlichkeit nichts davon? Ich meine, ein Waisenheim voller Magier, das muss doch auffallen“, sagte jetzt auch Claire.

„Von außen gesehen, sind wir ein ganz normales Waisenheim aber wir haben verschiedene Schutzzauber darübergelegt. Und ich persönlich entscheide, wer bei uns aufgenommen wird und wer nicht.“

„Aber Mr. Fraser, Sie können doch nicht wirklich daran glauben, dass wir ihnen das abkaufen?“, sagte Luke empört.

„Das Beste wird sein, ihr schaut es euch selber an. Dann werdet ihr es mir schon glauben. Und übrigens, in unseren Kreisen werde ich Eron genannt. Ian Fraser ist mein Name in der Öffentlichkeit, und bitte sagt nicht immer sie, ihr könnt du sagen, dass machen alle bei uns.“

„Wusste unsere Großmutter davon?“, fragte Luke.

„Ja, sie war selber eine Magierin.“

„Und unsere Eltern?“

„Sie auch.“

„Aber warum sind sie dann alle tot? Wenn sie doch zaubern konnten, warum sind sie tot?“

„Darüber werden wir ein anderes Mal reden. Jetzt ist die Zeit dafür noch nicht gekommen. Ich schlage vor, wir fahren erstmal weiter. Es wird langsam spät.“ Er stand auf, klopfte sich das Gras von der Hose und ging zurück zum Wagen.

„Glaubst du ihm?“, fragte Claire leise.

„Auf gar keinen Fall. Vielleicht machen sie es mit allen Neuen so. Als Begrüßung oder so etwas“, gab Luke genauso leise zurück. Sie folgten Eron zum Auto und stiegen ein.

Nach einer halben Stunde Fahrt, fuhren sie durch eine wunderschöne Allee aus Linden eine lange Auffahrt entlang. Sie hielten vor einem großen imposanten Gebäude an. Es glich fast schon einer alten Ritterburg und Claire spürte, wie ihr ganzer Körper von einer Gänsehaut überzogen wurde. Sie bemerkte einige Männer, die in schwarzen Kampfanzügen, auf dem Gelände auf und abgingen, aber Claire war von diesem Anblick so eingeschüchtert, dass sie sich nicht traute zu fragen, warum sie hier sind. Es war doch schließlich nur ein Waisenheim. Warum waren diese Männer hier? Der Eingang bestand aus einer großen, dicken Flügeltür aus Holz. Daneben hing ein bronzenes Schild mit der Aufschrift:

Privates Waisenheim Dion

Leiter: Ian Fraser

Über dem Eingang war “Anno 1576“ ins Mauerwerk gemeißelt.

„Das nenne ich mal wirklich alt“, sagte Luke ehrfurchtsvoll. Eron gluckste nur als Antwort und öffnete die schwere Tür. Wenn das Gebäude schon imposant aussah, so übertraf das innere der Burg doch alles. Sie standen vor einer Treppe, die zu zwei Seiten nach oben führte. Das Geländer sah aus, als wäre es aus purem Silber, und die Stufen waren mit einem königsblauen, flauschigen Teppich überzogen. Es sah einfach himmlisch aus.

„Die Treppen hoch geht es zu den Schlafräumen. Links schlafen die Mädchen und Rechts die Jungen. Zu unserer linken Seite geht es hinunter zum Keller und der Küche. Rechts liegen der Gemeinschaftsraum und der Speisesaal. Hinter der Treppe geht es zu den Schlafzimmern der Lehrer. Hinter dem Speisesaal geht es nach draußen in den Garten und im angrenzenden Gebäude liegen die Schwimm, Trainings, und Sporthalle. Auch das Schulgebäude befindet sich nach hinten raus. Ihr seht, eigentlich ist es ganz übersichtlich. Euer Gepäck wird für euch nach oben gebracht. Ich werde euch morgen früh alles zeigen. Aber zuerst stelle ich euch den anderen vor und dann ...“ Eron wurde von einem gut gebauten jungen Mann, der förmlich die rechte Treppe herunter geflogen kam, unterbrochen.

„Vorsicht Keno, irgendwann brichst du dir noch deinen Hals. Bist du schon wieder zu spät zum Essen?“, sagte Eron tadelnd. Der Junge kam schlitternd vor Claire und Luke zum Stehen und strich sich seine braungelockten Haare aus dem Gesicht.

„Zeit ist ein relativer Begriff. Außerdem, weißt du ganz genau, dass das Essen noch nicht auf dem Tisch steht. Aber das ist jetzt gar nicht wichtig, stell mir doch lieber mal deine Begleitung vor“, sagte Keno mit einem frechen Augenzwinkern Richtung Claire, die prompt eine rosa Gesichtsfarbe bekam.

„Das, sind Luke und Claire. Sie werden ab heute bei uns bleiben und ich hoffe, du bist freundlich zu ihnen. Und das, ist Keno Lindsey.“

„He, war ich denn jemals unfreundlich?“

„Jetzt mach, dass du zum Essen kommst. Wir waren gerade auf dem Weg dahin um sie den anderen vorzustellen.“

„Ich begleite euch. Claire, darf ich bitten“, sagte Keno und hielt Claire seinen Arm hin.

„Ich glaube, Claire kann alleine laufen“, sagte Luke mit einem Knurren in der Stimme.

„Immer mit der Ruhe, ich wollte nur freundlich sein“, sagte er mit einem verschmitzten Grinsen. Gemeinsam betraten sie den Speisesaal und Luke und Claire wurden nervös. Vor ihnen saßen hunderte Kinder und Jugendliche.

Sie schätzten deren Alter zwischen fünf und achtzehn, und alle Augen waren auf sie gerichtet. Einige tuschelten mit ihren Sitznachbarn. Ein dicker, rothaariger, pickeliger Junge um die achtzehn stand schwerfällig auf und rief: „Hi Eron, du bist ja schon wieder zurück. Wer sind die Neuen?“

„Das, mein lieber Marcus, wirst du gleich erfahren. Jetzt setzt dich wieder.“ Eron ging mit den Zwillingen nach vorne, während Kevin mit einem „Bis später“ zu seinem Platz ging. Plötzlich flog etwas glühend, heißes über ihre Köpfe hinweg.

„Andrea, du kennst die Regeln, keine Magie beim Essen“, grollte Eron und sah ein junges Mädchen in ihren Alter an. Sie hatte langes, schwarz gelocktes Haar und eine sehr sportliche Figur. Ihr enges, schwarzes Oberteil, spannte sich um ihre Brust.

„Ich wollte doch nur mal sehen, was die beiden drauf haben“, gab sie hochnäsig zur Antwort. Die Mädchen um sie herum kicherten schadenfroh.

„Was war das?“, fragten die Zwillinge wie aus einem Mund.

„Das, war ein Feuerball. Ich habe euch doch gesagt, das wie hier nicht so normal wie Andere sind“, flüsterte Eron den beiden zu.

Claire konnte diese Andrea jetzt schon nicht leiden und nahm sich fest vor, sich von ihr fernzuhalten.

„Das macht eine Woche Küchendienst für dich. Und da Manuela und Sandra es ganz amüsant fanden, können die beiden sich dir anschließen“, sagte er jetzt schon etwas vergnügter zu den Mädchen.

„So, da das jetzt geklärt ist, möchte Ich euch gerne Luke und Claire Cameron vorstellen. Sie gehören ab jetzt zu uns. Und ich bitte euch darum, freundlich zu ihnen zu sein.“ Bei diesen Worten ging sein Blick funkelnd zu Andrea und ihren Freundinnen, die mit verschränkten Armen da saßen und sie abfällig beobachteten. „Des Weiteren möchte ich jemanden darum bitten, den beiden alles zu zeigen …“

„Das mache ich“, rief Keno dazwischen und handelte sich giftige Blicke von Andrea ein.

Oh je, da ist aber jemand eifersüchtig, dachte Claire bei sich.

„Ich danke dir Keno, aber das nächste mal, lässt du mich ausreden.“

„Entschuldige Eron, kommt nicht mehr vor.“

„Dein Wort in Gottes Ohr“, murmelte Eron. Luke konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Wie ihr sehen könnt, sind hier alle in Altersgruppen eingeteilt. Links am Tisch sind alle fünf bis zehnjährige Kinder, daneben alle elf bis vierzehn jährige und ganz rechts, die fünfzehn bis über achtzehn jährigen. Setzt euch doch bitte schon mal an eurem Tisch. Jeden Moment wird das Essen da sein.“ Claire und Luke wollten sich gerade zu ihrem Tisch begeben, als Eron ihnen noch etwas hinterherrief. „Ach Claire, Luke, bitte erschreckt gleich nicht.“

Nicht ganz sicher, was er damit gemeint hat, setzten sie sich. Plötzlich ging die Türe auf und auf Silberplatten schwebten die Speisen wie von Geisterhand herein und landeten auf den Tischen. Als Keno die geschockten Gesichter von Claire und Luke sah, fing er an zu lachen.

„Bei meinem ersten Tag hier, sah ich genauso aus wie ihr jetzt. Ihr werdet euch daran schon gewöhnen. Ich wünsche euch einen guten Appetit.“ Und schon fing er an, sich den Mund voll zu stopfen.

„Keno, musst du denn immer wie ein Schwein essen?“, fragte ein Mädchen mit kurzen, blonden Haaren. Sie war zierlich und sah aus, als würde der kleinste Windstoß reichen um sie weg zu pusten.

„Hab disch nischt scho, esch gibt schlimmeresch“, sagte er mit vollen Mund.

„Und das müssen wir jeden einzelnen Tag ertragen. Übrigens, ich bin Zaira“, sagte das Mädchen freundlich.

„Hallo Zaira, schön dich kennenzulernen“, antwortete Claire.

„Nach dem Essen zeige ich dir die Schlafräume. Keno kann deinen Bruder mitnehmen. Danach können wir uns im Gemeinschaftsraum treffen.“

„Danke, das ist wirklich nett von euch“, sagte Claire.

 Während der restlichen Zeit, fragte Keno Luke über seine Hobbys aus, und Claire genoss mit Zaira schweigend das Essen. Es war richtig gut. Kartoffelauflauf mit Frikadellen. Als alle satt waren, erhoben sich die Teller und schwebten wieder raus. Dann kam der Nachtisch. Vanille Eis mit Schokosoße. Claire fühlte sich wie im siebten Himmel. Sie legte den Löffel auf Seite und seufzte zufrieden auf.

„Ich bekomme keinen Bissen mehr runter“, sagte sie.

„Bei deinem Appetit ist es kein Wunder, dass du so aussiehst. Keno, wieso gibst du dich eigentlich mit sowas ab? “, hörte sie die arrogante Stimme von Andrea sagen.

„Kannst du dein Gift nicht woanders verspritzen? Außerdem sollte man nicht von sich auf andere schließen“, sagte Keno mit kalter Stimme. „Kommt, wir gehen“, wandte er sich an die anderen drei und gemeinsam verließen sie den Speisesaal. An der Treppe trennten sie sich. Zaira nahm Claire an die Hand und zog sie mit sich die Treppe hoch.

„Wir sehen uns später“, rief sie noch den Jungs zu. Oben angekommen, sah Claire viele verschiedene Türen mit Nummern darauf. Vor Nummer 7 blieb Zaira stehen.

„Das ist mein Reich. Ach herje, wir haben vergessen zu fragen, in welches Zimmer du musst. Aber das können wir gleich auch noch machen.“ Sie öffnete die Tür und blieb verdutzt stehen. „Ich glaube den Weg können wir uns sparen. Wenn wir nicht noch einen Neuzugang bekommen haben, dann müssten das deine Sachen sein,“ sagte sie lachend und deutete auf unmengen an Koffern.

„Du glaubst ja nicht, wie erleichtert ich bin. Stell dir nur mal vor ich müsste mir mit dieser eingebildeten Kuh Andrea ein Zimmer teilen,“ sagte Claire.

„Undenkbar“, lachte Zaira.

„Ich glaube, ich packe erstmal schnell aus und dann kannst du mich ja ein wenig rumführen.“

Mit Zairas Hilfe waren sie so schnell fertig, dass sie nach einer Halbenstunde schon die Tür hinter sich zu zogen.

Sie wollten gerade die Treppe herunter, als Zaira aufstöhnte.

"So ein Mist, ich habe den Brief an meiner Freundin im Zimmer vergessen. Der muss heute noch abgeschickt werden. Geh doch schon mal vor, ich komme sofort nach."

„OK. Ich warte dann unten auf dich.“ Unten angekommen, sah Claire sich erstmal um. Sie bewunderte ein sehr alt aussehendes Ölgemälde. Es zeigte eine wunderschöne junge Frau mit flammend rot gelockten Haaren. Die stechend grünen Augen schienen Claire zu röntgen. Diese Frau kam ihr so bekannt und vertraut vor. Sie sieht mir ja wirklich ähnlich, dachte sie sich gerade in dem Moment, als sie Stimmen hörte. Sie drehte sich um und sah Andrea mit ihren Freundinnen im Schlepptau auf sich zukommen. Die haben jetzt gerade noch gefehlt.

„Na sieh mal einer an, das neue Pummelchen. So alleine hier? Keiner hinter dem du dich verstecken kannst oder der für dich spricht?“, fragte Andrea belustigt. Manuela und Sandra kicherten schadenfroh.

„Was willst du eigentlich von mir? Und was um Himmels willen, habe ich dir getan, dass du dich wie eine aufgeplusterte Zicke benehmen musst“, fauchte Claire.

„Aufgeplusterte Zicke? Ich? Du bist ganz schön mutig. Ich werde es dir jetzt nur einmal sagen, lass deine speckigen Finger von Keno. Er gehört mir“, sagte Andrea herablassend.

Claire spürte Wut in sich aufbrodeln. Sie durchfloss ihren ganzen Körper. Das Licht fing an zu flackern.

„Ist ja komisch, ich konnte nirgends deinen Namen auf ihn sehen“, gab Claire bissig zurück.

„Ach ja“, fügte Andrea noch hinzu, „ich habe ja noch eine Rechnung mit dir offen. Wegen dir müssen wir Küchendienst schieben und das wirst du mir büßen“, sagte sie mit einer leisen, ruhigen, gefährlichen Stimme.

„Wegen mir? Wer hat denn versucht mich ohne Grund anzugreifen? Da warst du selber schuld“, sagte Claire genauso ruhig.

Andreas Augen verfärbten sich tief schwarz und im selben Augenblick formten sich auf ihre Hände, leuchtend rote Feuerbälle. Sie holte aus und warf sie Richtung Claire. Diese duckte sich erschrocken und entging nur knapp den Angriff. Plötzlich flog ein helles blaues Licht vorbei und traf Andrea in den Magen. Sie krümmte sich zusammen und ging auf die Knie. Manuela und Sandra stürtzten direkt zu Andrea und wollten ihr hoch helfen. Doch sie stieß ihre Freundinen verächtlich von sich und stolzierte mit den Beiden hinaus.

„Sag mal, warum hast du dich nicht verteidigt?“, hörte Claire die aufgebrachte Stimme von Zaira, die gerade die Treppe herunter gerannt kam. Claire war noch immer total geschockt, dass dieses Biest sie angegriffen hatte. Zaira nahm ihren Arm und zog sie Richtung Gemeinschaftsraum.

"Warum hast du dich nicht verteidigt?“, fragte sie noch mal.

„Ich weiß doch gar nicht wie“, sagte Claire leise.

„Das musst du ganz schnell lernen. Sonst hast du hier die Arschkarte. Gerade wenn Andrea und ihre Schatten dich auf dem Radar haben. Was wollten die eigentlich von dir?“

„Ich soll die Finger von Keno lassen. Wer sagt eigentlich, dass ich was von ihm will? Ich bin doch gerade erst angekommen. Außerdem wollte sie mich dafür verantwortlich machen, dass sie Küchendienst bekommen hat.“

„Ach, hör nicht auf sie. Sie ist und bleibt ein Miststück. Sie wollte von Anfang an was von Keno, nur, dass er sie immer wieder abblitzen lässt. Und das kratzt gewaltig an ihrem Ego“, lachte Zaira. „Und außerdem, so wie er dich ansieht, naja, bist du blind?“ Sie betraten den Gemeinschaftsraum und sahen Luke und Keno an einer Dartscheibe stehen. Der Gemeinschaftsraum war voll von Jugendlichen. Manche lümmelten sich auf verschiedene Sofas herum und schauten fern oder zockten an Spielkonsolen, andere spielten an einem Billardtisch oder warfen Pfeile auf der Dartscheibe. Als die Jungs die beiden Mädels bemerkten, drehten sie sich um.

„Ihr habt aber lange gebraucht. Was war los? Habt ihr euch verlaufen?“, grinste Keno.

„Von wegen verlaufen, Claire hatte einen kleinen Zwischenfall mit Andrea und Konsorten. Dieses Miststück hat versucht Claire mit ihren Feuerbällen zu treffen“, sagte Zaira giftig.

„Bist du in Ordnung?“, fragte Luke besorgt.

„Keine Sorge, Bruderherz, Zaira ist gerade noch rechtzeitig dazwischen gegangen. Es ist nichts Gravierendes passiert.“

„Diesmal vielleicht nicht, ich werde sie mir jetzt mal vorknöpfen. Sie ist zu weit gegangen“, grollte Keno.

„Nein wirklich, es ist alles in Ordnung. Du musst mich nicht verteidigen. Ich will nicht noch mehr Ärger mit ihr“, sagte Claire.

„Bist du dir sicher?“, hakte er nach.

„Absolut.“

„Okay. Aber noch ein Vorfall und ich pack sie mir.“

Zaira blickte mit einem Augenzwinkern zu Claire. Sie beendeten das Thema und genossen den restlichen Abend.

„Ist doch echt klasse, dass wir auf einem Zimmer sind“, sagte Zaira zu Claire. „Mit wem musst du dir denn das Zimmer teilen, Luke?“, fragte sie an Luke gewandt.

„Mit mir“, lachte Keno.

„Oh je du Ärmster“, sagte Zaira gespielt bedauernd. So zofften sie sich noch den restlichen Abend. Claire und Luke waren froh, schon an ihrem ersten Tag hier Freunde gefunden zu haben. Das Ölgemälde war wieder vergessen.

 


***

 

 

Luke wachte am nächsten Morgen völlig gerädert auf. Er hatte in dieser Nacht kaum geschlafen. Ständig ist er wach geworden und wusste nicht warum. Er sah auf seinen Wecker. Viertel vor fünf. Es war noch viel zu früh. Stöhnend ließ er sich zurückfallen und drückte sich das Kissen aufs Gesicht. Es half alles nichts. Mühselig stand er auf und ging unter die Dusche. Kevin murrte im Schlaf irgendetwas Unverständliches und drehte sich wieder um. Nach der heißen Dusche begab er sich in den Gemeinschaftsraum und erblickte Claire, die es sich mit einem dicken Wälzer in einem der bequemeren Sessel gemütlich gemacht hatte.

„Was machst du denn so früh hier?“, fragte er sie.

„Dasselbe könnte ich dich auch fragen“, gab sie zurück.

„Ich konnte nicht mehr schlafen. Ich kann immer noch nicht glauben, was uns hier passiert“, sagte Luke erschöpft.

„Mir geht es genauso. Erst verlieren wir Mom und Dad, dann Oma Abby und nun sind wir angeblich Magier und müssen hier leben.“

„Ich weiß was du meinst. Wenn wir Magier wären, warum wissen wir selber nichts davon. Es gab doch nie irgendwelche Hinweise darauf. Wir wären doch die Ersten, die es merken müssten“, sagte er. Sie saßen, jeder in seinen eigenen Gedanken versunken, eine Weile still in den Sesseln.

„Was hältst du eigentlich von Keno?“, fragte Claire leise und versuchte ihr errötendes Gesicht hinter dem Buch zuverstecken.

„Ich glaube, er ist schon ganz okay. Vielleicht ein wenig von sich selbst eingenommen, aber okay. Er hat mich gestern Abend über dich ausgefragt“, sagte er mit einem Grinsen.

„Uns was hast du ihm gesagt?“, fragte sie und wurde jetzt so rot wie ihre Haare.

„Nichts. Ich habe ihm gesagt, wenn er etwas über dich wissen möchte, soll er dich selber fragen.“

„Danke. Ich glaube, wir sollten jetzt langsam zum Speisesaal gehen. Es müsste gleich Frühstück geben.“

Als sie den Saal betraten, saßen Zaira und Keno am Tisch.

„Sagt mal, seid ihr Frühaufsteher oder was? Als ich wach wurde warst du auf einmal weg. Ich dachte, dass Andrea dich doch noch erwischt hätte“, sagte Zaira.

„Keine Sorge, ich konnte einfach nicht mehr schlafen und bin dann zum Gemeinschaftsraum gegangen. Kurz nach mir kam dann auch Luke.“

Luke wollte gerade etwas darauf sagen, als die große Tür sich öffnete und ein ihm bekanntes Gesicht den Saal betrat. Er stieß seiner Schwester in die Seite und deutete zur Tür.

„Joe“, rief Claire völlig aufgelöst, sprang von ihrem Platz und rannte direkt in die Arme des Mannes. Luke folgte ihr, wenn auch nicht so stürmisch.

„Was machst du hier? Verstehe mich nicht falsch, ich freue mich wahnsinnig, aber warum bist du nicht in Schottland?“, fragte Claire.

„Mr. Fraser hat mich gestern angerufen und mich über Abby informiert. Deswegen bin ich so schnell wie möglich hierhergekommen.“

„Mach dir nicht die Mühe, Eron hat uns aufgeklärt. Warum hat uns niemand erzählt was wir sind?“, fragte Luke leicht beleidigt.

„Wir wollten euch nur beschützen. Ihr müsst das verstehen. Wir wollten euch nie anlügen, aber wir mussten es tun. Bitte versteht das. Und jetzt setzt euch wieder hin, es gucken schon alle zu uns herüber. Außerdem muss ich noch mit Eron reden. Wir sehen uns nach dem Frühstück und bereden alles Weitere.“ Mit diesen Worten begab er sich zu Erons Tisch und nahm neben ihn Platz.

„Ist es für dich auch so verwirrend?“, fragte Claire.

„Du ahnst ja gar nicht, wie verwirrend“, gab Luke zurück. Sie setzten sich wieder zu Kevin und Zaira und ließen Joe nicht aus den Augen.

„Wer war denn das?“, fragte Keno mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Er war der beste Freund unserer Eltern“, antwortete Luke betrübt.

„Wann sind eure Eltern gestorben?“, fragte Zaira.

„Vor nicht ganz einer Woche“, sagte er leise. Zaira nahm Lukes Hand und drückte sie leicht.

„Es tut mir wirklich leid. Meine Mom starb bei meiner Geburt. Fünf Jahre später gab es bei uns zu Hause eine Gasexplosion bei der mein Vater ums Leben kam. Eron fand mich unter den Trümmern im Keller. Ich sollte runter um den Weihnachtsschmuck zu suchen. Das hat mir wahrscheinlich das Leben gerettet,“ sagte sie.

„Das ist schrecklich. Und wie war es bei dir, Keno?“, fragte Claire.

„Wo mein Vater ist, weiß ich nicht. Er hat meine Mom kurz nach meiner Geburt verlassen. Aber meine Mom starb an Lungenkrebs als ich fünf war. Sie war keine Magierin. Ich kam fast zeitgleich mit Zaira hier an. Wir haben uns sofort super verstanden und sind die besten Freunde geworden.“

„Lasst uns jetzt frühstücken, gleich fängt der Unterricht an“, versuchte Zaira vom Thema abzulenken.

„Wir müssen vorher noch mit Joe reden“, sagte Luke.

„Na dann würde ich mich lieber beeilen, in dreißig Minuten fängt die erste Stunde an. Wir warten draußen auf euch“, sagte Zaira.

Luke und Claire schlangen schnell ihr Frühstück runter, standen auf und gingen Richtung Eron und Joe.

„Guten Morgen, ihr Zwei, wie ich sehe, habt ihr eure erste Nacht hier gut überstanden“, begrüßte Eron die Zwillinge. Sie nickten beide.

„Guten Morgen. Joe, wir möchten noch gerne mit dir reden“, sagte Luke.

„Natürlich, ich glaube wir gehen am besten in dein Büro, Eron“, antwortete Joe.

„Gerne. Claire und Luke brauchen ja auch noch ihre Stundenpläne und die Schulsachen“, sagte Eron und die Vier verließen den Speisesaal.

Sie gingen zurück zur Eingangshalle und hielten auf einer unscheinbaren Wand zu. Nach genauerem Hinsehen, erkannten die Zwillinge, dass in der Wand eine versteckte Tür war. Man musste schon genau hinschauen um sie zu erkennen. Das war also das Büro von Eron. Claire und Luke fühlten sich, als wären sie in einer Bibliothek gelandet. Überall an den Wänden hingen Regale mit unzähligen Büchern. Vor einem kreisrunden, großen Fenster, stand ein riesiger, wuchtiger Schreibtisch und in der linken Ecke, ein großer Aktenschrank. Eron setzte sich und bat die drei auch Platz zu nehmen. Er kramte eine Weile in den Schubladen rum und zog zwei Blätter heraus.

„Hier sind eure Stundenpläne“, sagte er und reichte ihnen die Pläne. Er stand auf und ging zu dem Schrank. Dort holte er mehrere Bücher raus und verteilte sie an Claire und Luke. Es waren Mathematik, Deutsch und Englischbücher aber auch, und da konnten sie ihre Augen nicht trauen,“ Die Magier Geschichte“,“ Die Magie heute“ und „Verteidigung und Anwendung der Magie“.

„Ihr könnt jetzt zum Unterricht gehen. Ich glaube Zaira und Kevin warten schon auf euch“, sagte Eron.

„Warum ist Joe hier?“, fragte Luke.

„Ich bin hier um eurer Großmutter die letzte Ehre zu geben und helfe Eron bei den Vorbereitungen“, beantwortete Joe die Frage.

„Wann ist die Beerdigung und wie kommen wir dort hin?“, fragte jetzt auch Claire.

„Die Beerdigung wird übermorgen stattfinden. Ich habe dafür gesorgt, dass eure Großmutter hier in Hattingen beigesetzt wird. Ihr werdet mit Joe dorthin fahren. Wir werden uns da treffen. So, alle Fragen beantwortet?“, sagte Eron. Beide nickten sie.

„Dann mal los in den Unterricht, sonst kommt ihr zu spät. Und eure Lehrerin in Magier-Geschichte, Frau Lutz, kann Zuspätkommen gar nicht leiden.“

Sie verließen das Büro und gingen nach draußen. Dort warteten Keno und Zaira schon ungeduldig auf die beiden. „Jetzt aber schnell, sonst macht die Lutz uns die Hölle heiß“, rief Keno. Sie rannten so schnell sie konnten zum Schulgebäude und stießen mit einem lauten Knall die Türe auf.

„Wir müssen zur zweiten Etage hoch und dann links die dritte Tür“, keuchte Zaira als sie die Stufen erklommen.

Vor der richtigen Tür kamen sie schlitternd zum Stehen. Frau Lutz war Gott sei Dank noch nicht da. Sie betraten das Klassenzimmer und Claire stöhnte auf. In der hintersten Reihe, saß Andrea. Als Andrea die vier bemerkte, stand sie auf und ging auf sie zu. Sie stieß Keno zur Seite und hakte sich bei Luke ein.

„Hi, wir wurden uns noch gar nicht richtig vorgestellt. Ich bin Andrea. Ich hoffe du verzeihst mir meinen kleinen Streich von gestern. Es war nicht gegen dich gerichtet. Hast du nicht Lust dich neben mich zu setzen? Lass doch die anderen dort. Bei uns sind nur die coolen Leute und wenn Keno meint, er gehöre lieber zu den Versagern, dann lass ihn doch“, säuselte sie mit ihrer arroganten Stimme. Zaira und Claire sahen sich an und prusteten laut los.

„Nein, danke, ich glaube ich bleibe lieber bei meiner Schwester und meinen Freunden. Ich stehe nicht so auf Frauen, die sich für was Besseres halten. Ach ja, und noch was, lass deine manikürten Händchen von meiner Schwester, sonst garantiere ich für Nichts“, sagte Luke und schaute sie von oben bis unten an. Mit einem breiten Grinsen, drehte er sich um und ließ sie wie einen begossenen Pudel stehen. In diesem Moment kam Frau Lutz herein. Sie setzten sich auf die Plätze und der Unterricht begann.

Zaira lag mit dem Kopf auf ihren Armen und Keno sah gelangweilt aus dem Fenster. Nur Claire und Luke hörten aufmerksam zu und notierten sich alles.

„Heute beginnen wir mit dem Ursprung des Begriffs Magie, aus der Sicht von nichtmagische Menschen“, begann Frau Lutz mit glockenheller Stimme. „Der Begriff “Magie“ leitet sich vom Stammesnamen der Magier ab, die im antiken Persien die Priesterkaste bildeten. Zu ihren Betätigungsfeldern gehörten die okkulten Wissenschaften, die von keiner anderen gesellschaftlichen Gruppe in so ausgedehnter Form erforscht wurde. Ihre Kenntnisse nutzten sie bei magischen Ritualen, um Krankheiten zu behandeln, betrieben jedoch auch Astrologie und Wahrsagerei … “,fuhr sie fort.

Die Doppelstunde war sehr schnell um und die Zwillinge waren so vertieft in dem Thema, dass sie erschrocken zusammenzuckten, als die Schulglocke ertönte.

„Man, war das langweilig“, gähnte Zaira.

„Ich fand es sehr interessant, ich meine, wann hat man schon die Gelegenheit sowas in einer Schule zu erfahren?“, sagte Claire.

„Jetzt lasst uns in die Pause gehen, ich habe Hunger“, sagte Keno und hielt sich den Bauch fest.

"Wann hast du denn mal keinen Hunger? Wir haben doch gerade erst gefrühstückt.“, fragte Zaira lachend.

„He, ich bin im Wachstum und brauche viele Nährstoffe“, sagte er schmollend. Alle fingen an zu lachen und machten sich auf dem Weg zum Speisesaal.

Nach der Pause, hatten sie Meditation. Sie sollten auf ihre innere Magie hören. Claire und Luke saßen im Schneidersitz mit den Anderen im Kreis und konzentrierten sich. Sie fühlten kurz ein leichtes Kribbeln am ganzen Körper, aber bevor sie begriffen, was es war, war es auch schon wieder vorbei.

„Ihr müsst euch richtig konzentrieren, macht eure Köpfe frei von allen Gedanken und versucht die Magie zu spüren. Fühlt ihr sie? Wie sie euren Körper durchläuft?“, sagte Herr Wiescher, der Meditationslehrer.

Claire versuchte es immer wieder aber sie schaffte es nicht. Luke hingegen spürte die Magie. Er sah wie seine Schwester sich abmühte und nahm ihre Hand. Ihre Finger begannen zu zittern, als sie sich wieder zu sammeln versuchte. Sie fühlte es erneut und diesmal hielt sie es fest. Es war sie, ihre Magie. Sie brannte heiß in ihren Adern und sammelte sich wie von selbst in ihren Fingerspitzen. Sie ließ Lukes Hand los und dachte daran wie es jetzt wäre, wenn sie auch solche Feuerbälle entstehen lassen könnte. Sie öffnete die Augen und keuchte laut auf, als sie auf ihren Handflächen zwei glühende, rote Bälle aus Feuer sah. Neben ihr hielt Luke ebenfalls zwei Bälle, nur, dass diese aussahen wie Wasser.

„Seid ihr sicher, dass ihr das noch nie vorher gemacht habt?“, fragte Herr Wiescher erstaunt.

„Ja, bis gestern wussten wir noch nicht mal, dass es Magie wirklich gibt“, sagte Claire geschockt.

„Wie es aussieht, ist dein Element das Feuer und deines, Luke, das Wasser. Wirklich erstaunlich. Für heute beenden wir den Unterricht. Übt bitte bis Montag noch mal alle. Ich wünsche euch ein schönes Wochenende“, sagte er.

Später saßen sie noch im Gemeinschaftsraum und übten.

„Lass uns mal versuchen zu tauschen. Du versuchst es mit Wasser und ich mit Feuer“, schlug Luke vor.

„Das klappt nicht. Jeder kann nur ein Element beherrschen“, sagte Zaira.

„Ich versuche es trotzdem“, erwiderte Luke. Er konzentrierte sich und Zaira konnte ihren Augen nicht trauen, auf Lukes Handflächen erschienen zwei Feuerbälle. Claire versuchte es auch.

„Das gibt es doch nicht, das darf gar nicht sein“, sagte Zaira fassungslos.

„Versucht Luft und Erde“, sagte Keno fasziniert. Sie konzentrieren sich noch mal und Claire hatte einen kleinen Wirbelsturm auf ihrer Hand. Bei Luke entstand eine Kugel aus Erde. Dann tauschten sie.

„Oh mein Gott, ihr beherrscht alle Elemente“, stieß Zaira geschockt aus.

 

 

Erons Geschichte

 

„Es gab bis jetzt nur zwei Personen, die mehr als ein Element beherrschten. Einmal Eron, er beherrscht Feuer und Wasser, und dann war vor Jahrhunderten eine Magierin die alle vier beherrschte. Ich weiß aber nicht mehr, wie sie hieß, aber in der Eingangshalle hängt ein Bild von ihr. Da müsste eigentlich ihr Name draufstehen“, sagte Keno.

„Stimmt, ich weiß den Namen, sie hieß Roya Callandra McTavish. Sie galt als Beschützerin der Elemente. Wie konnte ich das vergessen? Kommt, lasst uns mal nachschauen“, rief Zaira aufgeregt.

„Warte, ich glaube unsere Ururgroßmutter mütterlicherseits hieß so. Mom hat mal von ihr gesprochen und gesagt, dass ihre Uroma eine ganz besondere Frau war. Jetzt weiß ich auch endlich wie sie es gemeint hat. Falls sie es tatsächlich ist“, sagte Claire. Sie gingen zurück zur Eingangshalle und blieben vor dem Bild stehen, dass Claire schon gestern gesehen hatte.

„Wow, die sieht ja fast so aus wie du“, sagte Keno staunend zu Claire. Sie und Luke traten näher heran und sahen unter dem Bild ein kleines Schild aus Bronze.

„Roya Callandra McTavish,

Beschützerin der Elemente

1756 – 1876“, las Luke den anderen vor.

„Komisch gestern habe ich das Schild gar nicht bemerkt. 120 Jahre alt. Das ist heftig“, sagte Claire leise.

„Pfeif doch auf das Alter, Mensch, ihr stammt von der berühmten McTavish ab. Du siehst aus wie sie, Claire. Und ihr habt dieselben stechend grünen Augen wie Roya“, sagte Keno.

„Ich würde gerne mehr über sie erfahren“, seufzte Claire.

„Dann frag am besten Eron. Er weiß alles über das Waisenheim. Wenn euch jemand helfen kann, dann ist es Eron“, sagte Zaira.

„Wollt ihr alleine gehen, oder sollen wir euch begleiten?“, fragte Keno.

„Ich glaube, wir gehen erstmal alleine und erzählen euch später alles. Wir treffen uns dann später im Gemeinschaftsraum, wenn das okay ist“, sagte Luke.

„Na klar, wir sehen uns dann später. Viel Glück“, sagte Zaira und zog Keno hinter sich her. Mit laut klopfenden Herzen, gingen die Zwillinge zu Erons Büro. Nach einem zaghaften Klopfen an der Tür, warteten sie darauf hineingelassen zu werden. Die Türe öffnete sich und Eron sah auf die beiden hinab.

„Nanu, was wollt ihr denn hier?“, fragte er überrascht.

"Mit dir über Roya Callandra McTavish reden“, sagte Luke. Eron sah die beiden stirnrunzelnd an.

„Ich dachte ich hätte noch etwas mehr Zeit, um euch darauf vorzubereiten. Aber nun gut. Kommt herein“, brummte er. Er ging zu seinem Schreibtisch und setzte sich. „Wie habt ihr von ihr erfahren?“

„Wir haben heute nach der Meditation herausgefunden, dass wir nicht nur ein Element beherrschen und Keno sagte uns, dass es nur zwei weitere Personen konnten. Du und Roya. Dann haben wir uns das Gemälde angeschaut und bemerkt, dass es Claire sehr ähnlich sieht."

„Welche Elemente beherrscht ihr?“, fragte Eron äußerlich ruhig. In seinem Inneren sah es da schon ganz anders aus. Er machte sich Sorgen, dass die Geschichte sich wiederholte.

„Alle“, sagte Claire.

„Zeigt es mir bitte.“

Während Luke seine Elemente ein wenig schwach waren, erstrahlte bei Claire alles leuchtend hell. Luke sah sie erstaunt an.

„Wieso ist es bei dir jetzt so kräftig?“, wollte er wissen.

„Ich weiß es nicht. Am Anfang hatte ich Schwierigkeiten sie überhaupt entstehen zu lassen. Jetzt muss ich nur daran denken und es passiert einfach“, sagte sie.

„Das liegt daran, dass in eurer Familie die Frauen immer schon mächtiger waren“, beantwortete Eron die Frage, „und Roya war die Mächtigste. Ich erinnere mich noch sehr gut an sie. Sie war sehr temperamentvoll aber auch Herzensgut.“

„Moment, das kann nicht sein, sie ist doch schon seit 133 Jahren tot“, sagte Luke ungläubig.

„Ja, das stimmt, aber wir Magier leben solange, bis wir durch Gewalt sterben. Wir altern nur sehr langsam. Ich bin am 15. April 1285 geboren. Roya war wie eine Tochter für mich. Ihre Eltern wurden drei Jahre nach ihrer Geburt ermordet. Ich kam gerade noch rechtzeitig um sie zu retten.“ Eine einsame Träne lief ihm an der Wange herunter.

„Sie war so ein fröhliches Kind und ihre Kräfte entwickelten sich schon sehr früh. Ich musste sie schützen, weil der Mörder ihrer Eltern sie noch suchte. Er hat geschworen, alle Nachkommen der Familie McTavish zu töten. Er will die alleinige Macht.“

„Wer war er?“, fragte Claire leise.

„Er heißt Aaron.“

„Heißt? Das bedeutet ja, dass er noch lebt“, sagte Luke geschockt.

„Ja. Aber erstmal weiter zu Roya. Sie wuchs zu einer wundervollen Frau heran. Ich trainierte ihre Kräfte und sie lernte sehr schnell. Sie war etwas ganz Besonderes, weil sie alle Elemente beherrschen konnte. Niemand zuvor konnte es. Und das machte sie so mächtig. Und in Aarons Augen war sie eine Gefahr für seine Pläne. Als sie 20 Jahre alt war, entdeckte Aaron sie. Wir mussten aus Schottland fliehen. Hier in Deutschland gründeten wir das Dion. Roya verliebte sich in einen unserer Lehrer, Jamie McDonald, und die beiden heirateten. Sie wurde lange Zeit nicht schwanger und dann, 1871, als sie die Hoffnung schon aufgegeben hatten, wurde sie schwanger. Sie bekam genau am Silvester 1871 Zwillinge. Es waren Mädchen. Babirye und Barji.“

„An unserem Geburtstag“, rief Claire dazwischen.

„Das sind aber komische Namen“, sagte Luke.

„Sie bedeuten erster und zweiter Zwilling. Es sind schottische Namen und schon sehr alt. Fünf Jahre später, fand Aaron uns erneut. Er überraschte sie und Jamie. Sonst hätte er es nie geschafft. Wir waren mit den Zwillingen in der Stadt zum Einkaufen. Es war der fünfte Geburtstag der Kleinen. Während Roya und Jamie für die kleinen das Geburtstagsgeschenk besorgen wollten, bin ich mit den Zwillingen herumgelaufen um sie abzulenken. Wir wollten uns im Park treffen. Aber sie waren nicht da. Ich hatte ein ungutes Gefühl. Ich brachte die Zwillinge zurück ins Dion und suchte nach Roya und Jamie. Ich fand sie in einer Seitenstraße. Jamie war tot und Roya nah dran. Beide hatten ein großes Loch im Rücken. Ich wusste sofort, dass es Magie war. Roya versuchte nach mir zu greifen und flüsterte irgendwas. Ich kniete mich zu ihr hinunter und nahm sie in meine Arme. >Rette … die … Zwillinge … ich habe dich lieb ...<, flüsterte sie ganz leise und hauchte ihren letzten Atemzug an meiner Brust. Aaron hatte sie feige und hinterrücks angegriffen. Ich brachte Babirye und Barji zu meinem langjährigen Freund Angus nach Schottland. Und machte mich auf die Suche nach Aaron. Doch ich fand ihn nie.“

Claire und Luke sahen ihn mit Tränen in den Augen an.

„Heißt das, dass er jetzt hinter uns her ist?“, fragte Claire mit erstickter Stimme.

Eron sah die beiden lange an bevor er antwortete. „Ja, aber hauptsächlich hinter dir, weil wie gesagt, die Frauen aus der Familie McTavish am mächtigsten waren.“

„Du hast gesagt, dass Magier nur durch Gewalt sterben. Warum sind Oma Abby, unsere Eltern und die Eltern von Keno und Zaira gestorben?“, fragte Claire. Die Tatsache, dass ein verrückter, böser Magier hinter ihnen her war, war für sie zweitrangig.

„Eigentlich wollte ich euch noch etwas Zeit lassen, aber ich glaube, es ist das beste, wenn ich es euch erzähle.“ Eron seufzte einmal auf und holte tief Luft. „Als sie von euren Träumen erfuhr, hat sie alles darangesetzt, euch zu schützen. Sie hat ihre ganze Kraft und Energie, also ihre gesamte Magie, auf euch übertragen. Ohne diese Magie, war sie nur noch ein sehr alter Mensch. Sie ist friedlich im Schlaf gestorben. Bei euren Eltern, bin ich mir sicher, dass Aaron sie gefunden hatte. Er muss ihren Schutzzauber durchbrochen haben.“

Die Zwillinge schluckten kurz.

„Und die Eltern von Keno und Zaira?“, fragte Claire nach.

„Das, meine liebe Claire, darf ich euch nicht sagen, weil es nur den beiden etwas angeht. Aber nun wieder zurück zu euch. Ihr werdet bei mir zusätzlich Unterricht nehmen. Bei mir lernt ihr, eure Kräfte zu kontrollieren und ganz gezielt einzusetzen. Ihr werdet lernen, euch zu verteidigen. Ab Montagabend geht es los. Falls es Aaron gelingt, euch zu finden, müsst ihr darauf vorbereitet sein. Jetzt zu etwas Anderem. Am Sonntag ist die Beerdigung eurer Großmutter. Ihr werdet mit Joe hinfahren. Seid bitte um zwei Uhr fertig.“

„Kommst du nicht hin?“, fragte Luke.

„Doch, natürlich, ich werde ein bisschen später da sein. So, habt ihr noch Fragen?“

„Ja“, sagte Luke. „Woher weißt du von unseren Träumen und was bedeuten sie?“

„Joe hat mir erzählt, dass ihr eurer Großmutter davon erzählt habt. Deswegen war ich eigentlich bei euch. Aaron kommuniziert mit euch über eure Träume. Er versucht euch darüber zu finden. Es ist also ganz wichtig, dass ihr mir sofort Bescheid sagt, wenn die Träume wieder anfangen. Im Moment müsstet ihr aber in Sicherheit sein, weil Abbys Schutz und der Schutz ums Dion auf euch liegt.“

„Ach deshalb träumen wir nicht mehr von diesen schrecklichen Augen“, sagte Claire.

„Ja. Aber dieser Schutz wird nicht ewig halten. Umso wichtiger ist es, dass ihr lernt, euch zu verteidigen. Ich lehre euch wie ihr Schutzschilde aufbaut und sie auch halten könnt.“ Die Zwillinge nickten.

„Wenn ihr keine weiteren Fragen habt, könnt ihr jetzt gehen.

„Danke Eron“, sagte Claire und die beiden verließen das Büro.

 

***

 

 

Später im Gemeinschaftsraum saßen Claire und Luke wieder bei ihren Freunden und berichteten alles, was Eron ihnen erzählt hatte.

"Und dieser Aaron ist wirklich hinter euch her?", fragte Zaira mit zittriger Stimme.

"Ja, aber er soll ruhig kommen, er hat wahrscheinlich unsere Eltern auf dem Gewissen. Ich würde nichts lieber tun, als sie zu rächen", antwortete Luke grimmig.

"Sei doch nicht albern ...", flüsterte Zaira, "... wenn Eron ihn in all den Jahren nicht gefunden und aufgehalten hat, wie sollen wir es denn dann schaffen?"

"Wir?", fragte Luke überrascht.

"Natürlich, wir. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass wir euch damit alleine lassen? Denn wenn, mein lieber, hast du dich getäuscht." Sie sah ihn mit funkelnden Augen an. Claire beobachtete die Beiden mit einem kleinen Lächeln. Sie vermutete, dass sich zwischen ihnen noch etwas entwickeln könnte.

"Jetzt lasst uns endlich zum Abendessen gehen, es ist schon spät und außerdem bin ich richtig hungrig", fiel Keno dazwischen. Jetzt bemerkten sie, wie leer es im Gemeinschaftsraum geworden ist und beeilten sich, um noch rechtzeitig zum Abendessen zu kommen.

 

 

Der Anschlag

 

 

„Ich finde es total lieb von euch, dass ihr uns begleitet“, sagte Claire am Sonntagmorgen zu Zaira.

„Ist doch selbstverständlich, wozu sind denn Freunde da?“, antwortete Keno, nahm ihre Hand und drückte sie einmal leicht. Die vier saßen am Frühstückstisch.

„Claire, du musst etwas essen. Ich möchte nicht, dass du mir zusammenklappst“, sagte Keno besorgt.

„Ich habe aber keinen Hunger. Und so schnell klappe ich nicht zusammen“, erwiderte Claire.

„Komm, Iss wenigstens ein bisschen, und dann gehen wir langsam nach oben und ziehen uns um“, sagte Zaira.

Nachdem Claire dann doch eine Kleinigkeit gegessen hatte, standen sie auf und gingen Richtung Eingangshalle.

„Oh nein, bitte nicht die. Darauf habe ich heute ja mal gar keine Lust“, stöhnte Claire, als sie Andrea und ihre Freundinnen an der Treppe stehen sah.

„Einfach ignorieren“, sagte Luke.

„Das sagst du so leicht“, erwiderte Claire.

„Na sieh mal an, unser Dreamteam. Wohin so schnell?“, ertönte auch schon die nasale Stimme von Andrea.

„Ich wüsste nicht, dass es dich etwas angeht. Jetzt lasst uns durch“, sagte Claire.

„Pass lieber auf, wie du mit mir sprichst, Moppelchen. Das könnte irgendwann mal ganz böse für dich enden.“

„Und du, pass lieber auf wem du drohst, wenn du dein Gesicht so liebst, wie es ist. Sonst könnte ich es sehr schnell ändern. Obwohl, viel hässlicher kann man es gar nicht mehr werden lassen“, mischte sich jetzt auch Zaira mit ein. Die anderen drei lachten laut auf, als sich Andreas Gesichtsfarbe in Magenta rot verfärbte. Claire sah nur noch wie Andrea ihre Hände leicht hob, als sie instinktiv Wasser heraufbeschwor und einen eisig, kalten Strahl zu ihr herüber schoss. Andrea stand wie ein begossener Pudel da und schnappte geschockt nach Luft.

„Jetzt hast du mehr denn je Ähnlichkeit mit einem Karpfen“, lachte Keno und ging mit Luke die rechte Treppe herauf, während Claire und Zaira lachend die linke Treppe hochgingen.

„Oh Mann, das war richtig gut. Hast du ihr Gesicht gesehen? Einfach herrlich“, sagte Zaira und hielt sich die Seite, weil sie vor Lachen schon Seitenstechen hatte. Sie betraten ihr Zimmer und langsam beruhigten sie sich wieder.

„Ich glaube, ich habe gar keine schwarzen Sachen mehr“, sagte Zaira und durchwühlte ihren Schrank.

„Keine Sorge, ich kann dir etwas von mir geben. Kleid, Rock oder Hose?“

„Sag mal, hast du da ein ganzes Modegeschäft drin oder was?“

„Ich habe halt sehr viele Klamotten. Wenn du Lust hast, dann können wir uns heute Abend mal zusammensetzen und aussortieren. Was dir gefällt, kannst du behalten.“

„Cool, danke. Ich glaube, ich ziehe liebe Hose und Bluse an. Das ist bequemer.“

Um zehn vor zwei machten sie sich auf dem Weg nach unten. Dort wartete schon Joe auf sie.

„Da seid ihr ja endlich. Die Jungs sind schon in der Limousine“, rief Joe.

 


***

 

 

Der Friedhof war sehr idyllisch. Sie standen am offenen Sarg und Claire weinte in Lukes Armen. Amélie, die Haushälterin von Abby, schluchzte in ihr Taschentuch und James, der Buttler, hatte ihren Arm um sie gelegt. Als der Sarg geschlossen wurde, verabschiedeten sie sich noch von Abby und liefen dann hinter den Sargträgern zum Grab.

Gerade als der Pfarrer ein paar Worte sagen wollte, ertönte ein mächtiger, großer Knall. Undurchdringlicher Nebel umgab die Trauergäste. Die Zwillinge, Keno und Zaira hielten sich an den Händen um sich nicht zu verlieren. Plötzlich spürte Keno ein ziehen an seinem rechten Arm. Irgendetwas oder irgendwer, wollte Claire von seiner Seite ziehen. Er hielt ihre Hand noch fester umklammert. Plötzlich fing sie laut an zu schreien. Er wusste nicht wie er ihr helfen sollte. Magie konnten sie nicht einsetzen, weil sie sich durch die schlechte Sicht gegenseitig verletzen könnten.

„Claire, was ist los? Was passiert hier?“, fragte Luke panisch. Doch sie gab keine Antwort. Keno spürte wie Claire an seiner Seite erschlaffte. Er hielt sie ganz fest. Auf einmal durchstieß ein gleißend, helles Licht den Nebel und löste ihn langsam auf. Eron stand plötzlich am Grab von Abby und streckte beide Hände zum Himmel. Keno sah, dass um sie herum eine Art Blase erschienen war. Schnell kniete er sich zu Claire hinunter und zog das bewusstlose Mädchen in seine Arme. Luke und Zaira knieten sich ebenfalls zu Claire.

„Was ist mit ihr?“, fragte Luke mit zitternder Stimme.

„Ich weiß es nicht, aber ich spüre ihren Puls. Also lebt sie“, sagte Keno.

„Was ist eigentlich passiert?“, fragte Zaira.

„Aaron“, hörten sie die ruhige Stimme von Eron flüstern.

„Wo ist er? Ist er weg?“, fragte Luke besorgt.

„Ich fürchte nicht. Ich habe einen Schutz um uns gelegt. Er ist immer noch hier. Wir müssen sofort hier weg. Wo ist Joe?“, fragte Eron und sah sich um. Sie fanden ihn etwa zehn Meter links von ihnen mit dem Gesicht nach unten im Gras liegen. Eron war als Erster bei ihm und drehte ihn um. Blut lief ihm in einem kleinen Rinnsal aus dem Mundwinkeln und aus einer Platzwunde am Kopf. Er musste auf einen der Grabsteine geprallt sein.

„Oh mein Gott, ist er … ist er … tot?“, schluchzte Zaira.

„Nein, er lebt noch. Er ist aber sehr schwach. Wir müssen ihn und Claire zum Dion bringen. Keno, bekommst du schon ein Schutzschild zustande?“, fragte Eron.

„Ja, kümmere du dich um Joe, ich übernehme Claire.“

„Wir müssen jetzt zusammenbleiben, damit Aaron die Schutzschilde nicht durchdringen kann“, sagte Eron. Er murmelte einige Worte und Joes Körper erhob sich wie durch Geisterhand und schwebte neben ihm her. Währendessen hob Keno Claire auf seine Arme, als würde sie nichts wiegen.

James und Amélie liefen der Gruppe geschockt und mit offenen Mündern hinterher. Als sie die Limousine erreichten, legten sie Claire und Joe vorsichtig auf die Sitze und stiegen ein. Eron preschte mit hoher Geschwindigkeit los.

„Was … was war das eben?“, fragte Amélie fassungslos.

„Ich werde es euch später erklären, zuerst müssen wir hier weg“, erwiderte Eron. Luke versuchte immer wieder seine Schwester wach zu bekommen aber ohne Erfolg.

„Was ist mit ihr? Warum wacht sie nicht auf?“, fragte er verzweifelt.

„Ihr Körper schützt sie, deswegen wird sie nicht aufwachen. Wenn wir zu Hause sind, werde ich mich direkt um sie kümmern. Auf jeden Fall ist sie nicht in Lebensgefahr. Aber Joe muss dringend geholfen werden, sonst schafft er es nicht. Ich vermute, er ist auf Aaron losgegangen als der Nebel aufkam. Er wollte euch beschützen.“ Kurz bevor sie durch das Tor zum Dion fuhren, murmelte Eron noch ein paar Worte und als sie das Tor passierten, spürten sie ein kurzes Ruckeln.

„Was war das?“, fragte Luke.

„Das war der Schutz für das Dion. Du kannst jetzt dein Schutzschild aufheben Keno“, sagte Eron. Er fuhr direkt bis zur Eingangstür und hielt mit einer Vollbremsung an, so dass der Kies auf dem Weg zu allen Seiten flog. Die Tür ging auf und Herr Wiescher und ein Mann, ganz in schwarz, stürmten heraus.

„Wir kümmern uns jetzt um die beiden, geht bitte solange in den Gemeinschaftsraum . Amèlie, James, wartet bitte in meinem Büro auf mich. Herr Wiescher wird euch begleiten“, sagte Eron.

„Nein, ich bleibe bei meiner Schwester“, erwiderte Luke aufgebracht.

„Herr Cameron, seien sie doch vernünftig. Sie können im Moment nichts für ihre Schwester tun. Sie würden nur im Weg stehen“, sagte der Mann in schwarz.

„Nein, ich werde bei ihr bleiben … ich muss bei ihr bleiben und nichts was sie sagen, kann mich davon abhalten.“

„Dasselbe gilt für mich, ich lasse Claire jetzt nicht alleine“, sagte jetzt auch Keno. Zaira konnte gar nichts sagen. Ihr Schluchzen brachte ihren ganzen Körper zum Beben. Luke nahm sie in den Arm und die drei folgten Claire und Joe zum Krankenzimmer, wärend Herr Wiescher Amèlie und James in Erons Büro brachte. Als sie das Zimmer betraten, wuselten direkt alle Pfleger und Pflegerinnen um sie herum.

„Kommt, wir warten vor der Tür. Wenn sich irgendetwas tun sollte, sagen sie uns sofort Bescheid“, versuchte Eron die Drei zu beruhigen.

Widerwillig stimmten sie zu und verließen das Krankenzimmer.

„Ich muss in mein Büro, James und Amélie warten dort und ich glaube sie dürften ziemlich durcheinander sein.

Sie wissen nichts von Magie. Ich werde ihre Erinnerungen verändern müssen. Sobald sie auf dem Heimweg sind, werde ich wieder herkommen. Es wird nicht lange dauern.“ Eron drehte sich um und ging.

Kaum eine halbe Stunde später, war er wieder zurück. Es kam ihnen wie Stunden vor, als sich endlich die Tür öffnete und einer der Pfleger herauskam.

„Eron, kann ich dich kurz sprechen?“, fragte er.

„Was ist passiert? Geht es meiner Schwester gut?“ Luke sprang auf und wollte durch die Tür.

„Beruhige dich doch erstmal. Deiner Schwester geht es gut. Ihr könnt gleich zu ihr. Sie müsste auch gleich aufwachen. Aber ich muss zuerst mit Eron sprechen“, sagte der Pfleger. Eron ging mit ihm ins Krankenzimmer und kam kurze Zeit später mit einem ernsten Gesicht wieder raus.

„Was ist los?“, fragte Zaira mit zitternder Stimme.

„Es geht um Joe … es steht nicht gut um ihn. Er hat innere Verletzungen. Die Ärzte kämpfen um sein Leben.“

„Oh nein, er darf nicht sterben. Er wird es schaffen, ich weiß es“, sagte Luke.

„Sie werden alles für ihn tun. Jetzt kommt schnell rein, Claire dürfte jeden Moment wach werden.“ Sie betraten das Krankenzimmer und sahen sich um. Es war ganz anders als in einem Krankenhaus, alles war in einem freundlichen Gelb gehalten und wunderschöne Blumengemälde zierten die Wände. Ganz hinten im letzten Bett, lag Claire. Schnellen Schrittes gingen sie zu ihr. Keno und Luke setzten sich jeweils auf einer Seite des Bettes während Zaira am Fußende stehen blieb und auf ihre Freundin hinabsah.

„Sie sieht so blass und schwach aus. Und was ist das an ihrem Arm?“, sagte sie mit erstickter Stimme. Sie schauten hinunter und sahen einen schwarzen Ring, der wie eine Tätowierung um ihren Oberarm herum führte.

„Claire? Süße, hörst du mich?“, fragte Keno, nahm ihre Hand und drückte seine Lippen auf ihren Handrücken. Claires Augenlider zuckten und langsam öffnete sie ihre Augen.

„Nenn ... mich ... nie wieder Süße“, flüsterte sie schwach. Alle drei lachten erleichtert auf.

„Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht. Tu uns so etwas nie wieder an“, sagte Luke und nahm jetzt ihre andere Hand in seine.

"Was ist eigentlich passiert?", fragte Zaira.

"Ich ... weiß es nicht genau. Da war dieser ... Nebel und plötzlich griff so ein schwarzes Band nach mir und wollte mich wegziehen. Hättest du mich nicht festgehalten, Keno, dann hätte es mich ... bekommen. Ich sah nur noch wie Joe sich auf das Band warf und weggeschleudert wurde. Dann ... wurde alles schwarz und als nächstes bin ich hier bei euch aufgewacht. Danke, Keno, ich weiß nicht was passiert wäre, wenn ... wenn ... du mich nicht festgehalten hättest. Ich verdanke dir und Joe mein Leben. Wo ist er eigentlich? Ich möchte mich bei ihm bedanken.“ Die drei schauten sie mit einem Blick an, den Claire ein ungutes Gefühl bereitete.

„Was ist los?“ Ihre Stimme würde kräftiger.

„Joe wurde verletzt, sie kämpfen noch um sein Leben“, flüsterte Zaira.

„Oh mein Gott, wo ist er? Ich muss sofort zu ihm“, sagte Claire geschockt.

„Sie lassen uns nicht zu ihm. Außerdem bist du noch sehr geschwächt. Du musst zu Kräften kommen“, sagte Keno.

„Nein, ich muss jetzt zu ihm. Wo ist Eron? Holt ihn ... bitte. Er muss mich zu ihm lassen, bevor es zu spät is", fleht sie.

„Claire, was ist los mit dir? Du machst mir Angst, und was ist das auf deinem Arm?“, sagte Luke. Sie schaute hin und schüttelte den Kopf.

„Ich weiß es nicht. Ist aber jetzt auch egal. Ihr müsst mir vertrauen. Ich weiß, ich kann Joe helfen. Und fragt mich bitte nicht woher ich es weiß, denn ich weiß es einfach“, sagte sie bittend. Luke nickte und lief los um Eron zu holen.

„Geht es dir wirklich gut? Ich hatte echt eine scheiß Angst um dich“, sagte Keno und drückte ihre Hand.

„Ja, mir geht es gut“, sagte Claire und wurde rot.

„Ich gehe mir eben was zum Trinken holen, möchtet ihr auch etwas?“, fragte Zaira mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen. Sie wusste, dass sie hier gerade ein wenig störte.

„Ein Glas Wasser wäre jetzt nicht schlecht“, sagte Claire.

„Für mich eine Cola bitte“, sagte Keno mit einem Augenzwinkern das Claire nicht sehen konnte. Zaira nickte nur grinsend und ging hinaus.

„Du darfst mir nie wieder so einen Schrecken einjagen. Als du an meiner Hand zusammengebrochen bist, dachte ich, jetzt ist es vorbei.“

Claire schaute beschämt auf die Bettdecke und spürte wie die Hitze in ihrem Kopf stärker wurde. Er fasste ihr unters Kinn und hob langsam ihr Gesicht nach oben. Sie sah in schokoladenbraune Augen und versank förmlich in ihnen. Er beugte sein Gesicht ganz nah zu ihrem.

Claire glaubte, dass er sie küssen wollte und spürte ein so großes Verlangen nach seinen Lippen, dass sie es kaum aushielt. Kurz bevor ihre Lippen sich trafen ging die Tür auf und Eron kam gefolgt von Luke ins Zimmer. Keno sprang zurück und Claire fühlte, wie sich Enttäuschung in ihrem Körper breitmachte.

„Claire, ich freue mich, dass du wieder wach bist. Warum wolltest du mich so dringend sprechen?“, fragte Eron.

„Du musst mich ganz schnell zu Joe bringen. Es ist wirklich wichtig. Ich kann ihm helfen“, sagte Claire jetzt schon fast weinend.

„Und wie willst du ihm helfen?“, fragte Eron.

„Ich kann es nicht erklären, ich weiß nur, dass ich es kann. Bring mich bitte zu ihm. Was kann es denn schaden?“

Eron überlegte kurz und nickte dann. „Ok, wir versuchen es. Es kann wirklich nicht schaden.“ Er führte die drei durch eine Tür auf der rechten Seite direkt in ein steril wirkendes Zimmer. Dort lag, wie ein Häufchen Elend, Joe. Eron schickte die Ärzte hinaus und wandte sich an Claire. „Versuche dein Glück, wir brauchen ein kleines Wunder.“

Claire legte ihre Hände auf Joes Brust und schloss die Augen. Ein leicht, flackerndes Licht erschien um ihre Hände und dann erlosch es wieder.

„Luke, ich brauche deine Hilfe“, keuchte sie angestrengt.

„Was war das?“, fragte Luke ungläubig.

„Frag nicht so viel und komm her.“ Luke ging mit zitternden Hände zu ihr und erschrak kurz, als sie seine Hand auf Joes Brust legte und die andere festhielt. Claire legte ihre freie Hand ebenfalls auf die Brust.

„Jetzt konzentriere dich nur auf Joe und schließe deine Augen.“ Sie schloss ebenfalls die Augen und das Licht erschien wieder. Zuerst nur ganz schwach, bis es so grell wurde, dass die anderen sich abwenden mussten. Dann erlosch es wieder und Claire und Luke sackten auf den Boden. Sofort waren Eron und Keno bei den Zwillingen.

„Claire, Luke, geht es euch gut?“, fragte Eron besorgt.

„Es geht schon wieder“, sagte Claire geschwächt und sah zu ihrem Bruder, der sich auch gerade langsam wieder erhob.

„Schaut nach Joe, geht es ihm gut?“, fragte sie. Eron trat näher an Joe heran und sah, dass seine Augenlider zuckten.

„Ich glaube, er wacht auf. Wie hast du das gemacht? Du hast ihn geheilt.“

„Ich weiß es nicht, es ging aber nur mit Lukes Unterstützung.“

„Die Kraft der Zwillinge“, murmelte Eron leise vor sich hin.

„Was hast du gesagt?“, fragte Luke.

„Nicht so wichtig“, sagte Eron hastig.

„Was ist passiert, habe ich etwas verpasst?“, fragte Zaira, die gerade zur Tür hereinkam.

"Das kannst du wohl laut sagen“, sagte Keno zu ihr und nahm ihr das Wasser und die Cola ab. Im selben Augenblick öffnete Joe die Augen und stöhnte vor Schmerzen kurz auf.

„Joe“, riefen die Zwillinge erleichtert. „Wie geht es dir?“

„Lasst ihn doch erstmal richtig wach werden“, stoppte Eron die beiden.

„Außer ein wenig Schmerzen, geht es mir ganz gut. Eron, Aaron war da. Jemand muss uns verraten haben, er konnte nicht wissen, dass wir Abby heute beerdigen“, krächzte Joe.

„Ich weiß, ich kam gerade noch rechtzeitig. Aber wer soll es ihm mitgeteilt haben? Es wussten doch nur wir und der Pfarrer davon. Und Pfarrer Pentzek ist ein sehr alter Freund von mir. Ich würde ihm mein Leben anvertrauen. Wir müssen jetzt auf jeden Fall vorsichtiger sein. Ihr dürft das Dion unter gar keinen Umständen mehr verlassen. Joe, das beste wird sein, dass du hierbleibst, bis du wieder hundertprozentig fit bist. Und außerdem brauche ich deine Hilfe um den Verräter zu finden“, Eron klang sehr besorgt.

„Natürlich helfe ich dir. Aber jetzt erzählt mir erstmal was genau passiert ist. Ich weiß nur noch, dass Aaron mit dunkler Magie versucht hat Claire an sich zu reißen. Ich bin dazwischen gesprungen und von da an, weiß ich nichts mehr.“

Keno fing an zu erzählen, wie Claire an seiner Hand zusammengebrochen war und Eron sie alle gerettet hat.

Dann kam er zu der Stelle wo Claire versucht hatte ihn zu retten und Zaira riss ihre Augen ganz weit auf.

„Also hast du mir das Leben gerettet“, sagte Joe dankbar.

„Ja, aber nur mit Lukes Hilfe. Und ich muss dir auch danken, du hast mein Leben ebenfalls gerettet. Ohne dich hätte mich Aaron bekommen und ich weiß nicht, was dann geschehen wäre“, flüsterte Claire leise.

„Ich glaube, wir lassen Joe jetzt zur Ruhe kommen. Und du Claire, legst dich auch wieder ins Bett. Du bist noch sehr schwach und deine Rettungsaktion hat dich noch mehr erschöpft“, sagte Eron bestimmend.

„Eron, woher kommt das schwarze Tattoo auf Claires Arm?“, fragte Luke besorgt.

„Dort hat Aaron sie mit seiner schwarzen Magie berührt. Ihr müsst euch keine Sorgen machen, das verblasst nach ein paar Tagen wieder.“

„Muss ich wieder ins Krankenzimmer oder darf ich mich in meinem Bett ausruhen?“, fragte sie.

„Wenn die anderen drei mir versprechen, dich in Ruhe zu lassen, kannst du auf dein Zimmer gehen. Alles Weitere besprechen wir morgen.“ Die drei nickten und gingen zusammen mit Claire hinaus.

 


***

 

 

„Wir müssen die Kinder jetzt ganz intensiv trainieren. Sie müssen sich besser schützen und verteidigen können. Ich werde gleich mit Heinz Wiescher, unseren Meditationslehrer, sprechen. Keno und Zaira können mitmachen aber sonst keiner. Es wird Zeit, dass die Zwillinge ihre Sachen bekommen. Kannst du die vier mit den Schwertern unterrichten? Ich kümmere mich um ihre Magie“, sagte Eron. Joe nickte. „Gut, jetzt ruh dich noch etwas aus. Ich werde dir etwas zum Essen und Trinken bringen lassen.“ Mit diesen Worten verließ Eron das Zimmer.

 

Geständnis

 

„Geht ihr doch schon mal vor, ich möchte kurz mit Claire alleine reden“, sagte Keno zu Luke und Zaira.

„Denk bitte nur daran, dass meine Schwester sich ausruhen soll“, gab Luke besorgt zurück.

„Keine Sorge, ich bringe sie dann nach oben.“ Er nahm Claire an die Hand und zog sie durch den Gemeinschaftsraum nach draußen.

„Wo gehen wir hin?“, fragte sie.

„Ich möchte nur einmal mit dir alleine sein.“ Er zog Claire immer weiter hinter sich her. Die breite Treppe hinunter. Dann über den Gartenweg, bis zur Rückseite des Gebäudes. Dies alles ließ Claire beinahe willenlos mit sich geschehen und sie fühlte eine immer stärker werdende Aufregung, die von ihr Besitz ergriff, als sie sah, wohin Keno mit ihr unterwegs war. Ein Gefühl von Schmetterlingsflügel, die durch ihr Inneres strichen, breitete sich mehr und mehr in ihr aus. In diesem Moment zog Keno sie unter die ausladende Trauerweide, die sie mit ihren tief herabhängenden Ästen vor allzu neugierigen Blicken beschützen würde. In der Nähe des Stammes blieb er stehen, fasste sie an den Händen und schaute sie mit seinen warmen, braunen Augen so liebevoll an, dass Claire ein Schauer über den Rücken rann.

„Claire! Ich hatte gedacht, ich hätte dich heute verloren, und … und“, Keno räusperte sich heiser und Claire fand dies ungeheuer süß. Man merkte ihm ganz genau an, wie schwer es ihm fiel, ihr dieses zu sagen. „ … und mir ist klargeworden, dass ich es nicht ertragen hätte, wenn dir etwas zugestoßen wäre, weil … weil ich dich liebe! Jetzt ist es raus. Ich weiß, wir kennen uns noch nicht lange, aber schon als ich dich unten an der Treppe stehen sah, traf es mich wie ein Blitz. Ich liebe dich!“

Claire konnte nicht fassen, dass er dies gesagt hatte und ihr Herz begann in ihrer Brust zu rasen. Es raste so schnell, dass sie meinte, es müsse im nächsten Moment stehen bleiben. War das wirklich Liebe? Nach so kurzer Zeit? Ganz vorsichtig, beinahe so, als würde er sich nicht wirklich trauen, hob er ihr Kinn mit seiner Hand an und erneut sah er ihr tief in die Augen, während sich sein Mund dem ihren immer weiter näherte. Claire vergaß beinahe, dass sie atmen musste, … dass sie atmen sollte. Gleich würde sie endlich den ersten Kuss ihres Lebens erhalten. Den ersten Kuss, den ein Junge ihr geben würde, für den auch ihr eigenes Herz schlug. Dann geschah es; ihre Lippen trafen aufeinander und Claire spürte ein Feuerwerk der Gefühle. Sie hatte es sich schon oft vorgestellt, wie es ist, geküsst zu werden aber das hier übertraf einfach alles. Sie lösten sich viel zu schnell, wie Claire empfand. Ja, sie liebte ihn.

„Weißt du eigentlich, dass ich das schon machen wollte, als ich dich das erstmal in der Eingangshalle gesehen habe?“, sagte Keno leicht außer Atem.

Claire lächelte ihn an. „Ich glaube, wenn du mich dort geküsst hättest, hätte dir mein Bruder den Kopf abgerissen.“

„Stimmt, er hat mich da schon total komisch angeguckt. Komm, ich bringe dich hoch, sonst killt er mich wirklich noch.“ Lachend machten sie sich auf den Weg nach oben und bemerkten die dunkle Gestalt im Schatten nicht.

Sie betraten den Gemeinschaftsraum und überraschten Luke und Zaira, die sich auf dem Sofa innig küssten. Keno räusperte sich und die beiden sprangen, wie von einer Tarantel gestochen, auseinander.

„Das ist jetzt nicht das, wonach es aus sieht“, haspelte Luke mit hoch rotem Kopf.

„Nicht?“, fragte Keno grinsend.

„Ich finde es toll, mein Bruder mit meiner besten Freundin. Jetzt müssen wir uns wenigstens keine Sorgen machen, dass er dir den Kopf abreißt“, lachte Claire.

„Was meinst du damit?“, fragte Luke misstrauisch.

„Naja, wenn mich nicht alles täuscht, dann seid ihr zwei jetzt zusammen. Genau wie Keno und ich“, erklärte Claire. Sie griff sich Zairas Hand und zog sie mit sich.

„Gute Nacht, Jungs. Bis morgen früh.“ Sie zwinkerte Keno noch zu und verließ mit Claire den Gemeinschaftsraum. Sie hatten nicht ganz ihre Zimmertür zu, als Zaira sie schon überfiel.

„Erzähl, wie ist es bei euch gewesen?“

„Wärst du mir sehr böse, wenn wir morgen darüber reden? Ich bin wirklich erschöpft. Das war heute alles ein bisschen zu viel für mich.“

„Hmm, ich bin ja schon neugierig, aber es ist okay. Ich kann es ja verstehen.“

„Ich danke dir. Kann ich zuerst unter die Dusche?“

„Natürlich. Ich muss eh noch kurz meinen Aufsatz für Geschichte der Magie zu Ende schreiben.“

„Du kannst von mir abschreiben, wenn du willst. Ich bin fertig damit. Er ist in meiner Tasche. Nimm ihn dir einfach.“

„Ich danke dir, du bist meine Rettung.“

Fünfzehn Minuten später kam Claire bettfertig aus der Dusche und ließ sich auf ihr Bett fallen.

„Ich bin so k.o. Ich werde schlafen wie ein Baby.“

„Na, dann wünsche ich dir schon mal eine gute Nacht und träume süß“, sagte Zaira grinsend.

„Nacht“, nuschelte Claire. Während Zaira unter der Dusche stand, dachte Claire an ihren ersten Kuss. Als sie ins Bett ging spürte sie immer noch Kenos Lippen auf ihren. Langsam strich sie sich mit ihrem Finger darüber und schlief dann lächelnd ein.

 


***

 

 

Die in einem schwarzen Kapuzenmantel verhüllte Gestalt, wartete, bis Claire und Keno das Gebäude betraten.

Sie drehte sich um und lief im Schatten der Nacht verborgen, in den angrenzenden Wald. Ein Hase lief ihr über dem Weg und erschrocken warf sie ihm einen Feuerball hinterher, der das Tier verfehlte. Als sie weit genug vom Dion entfernt war, zeichnete sie mit einem Stock ein Pentagramm auf den Boden. Sie griff in ihrer Tasche, die sie unter dem Mantel trug, und holte fünf schwarze Kerzen heraus. Als auf jeder Ecke des Pentagramms eine Kerze stand, zündete die Gestalt sie an und murmelte einige Wörter.

„Vio daran molito karan. Mein Herr, mein Meister, ich rufe dich. Vio daran molito karan. Bitte mein Meister erhöre mich.“ Plötzlich entfachte ein Feuer in der Mitte des Pentagramms und eine hohe, kalte Stimme dröhnte im Kopf der Gestalt.

„Was hast du zu berichten?“

„Die Zwillinge sollen ab morgen trainiert werden. Eron will ihnen irgendwelche Sachen geben, ich weiß aber nicht was es ist“, sagte die Gestalt mit vor Aufregung zitternder Stimme.

„Ich möchte, dass du herausfindest, was das für Gegenstände sind und sie mir bringst. Wenn es das ist, was ich glaube, dann ist es sehr wichtig, dass ich sie so schnell wie möglich bekomme.“

„Ich werde sie dir bringen. Da ist noch etwas …“, sie zögerte kurz.

„Sprich, ich habe nicht die ganze Nacht Zeit.“

„Claire hat diesen McKenzie geheilt. Wie, konnte keiner sagen aber sie brauchte die Unterstützung ihres Bruders. Außerdem, habe ich gerade erfahren, dass sie und Keno jetzt ein Paar sind.“

Die kalte Stimme lachte boshaft auf.

„Was interessiert mich dieser Knabe, er wird nicht sehr lange was von ihr haben. Aber, dass sie heilen kann, ist nicht gut. Hätte McKenzie sich nicht eingemischt, hätte ich das Mädchen schon in meiner Gewalt. Dann hätten wir jetzt auch nicht diese Probleme.“ Kurz herrschte Stille. „Geh jetzt zurück und besorge mir die Gegenstände. Wenn mich nicht alles täuscht, dann wird es ein Ring und eine Kette mit jeweils einen Stein sein. Die Steine wechseln ihre Farbe. Man nennt sie die Steine der Elemente. Gelb steht für Luft, blau für das Wasser, grün für die Erde und rot für das Feuer. Es gibt nur die beiden, und ich suche schon sehr lange danach. Also enttäusche mich nicht.“

„Ich werde dich nicht enttäuschen.“

Das Feuer flackerte kurz und erlosch dann ganz. Die Gestalt verstaute die Kerzen wieder in ihrer Tasche und verwischte noch schnell das Pentagramm. Eilig lief sie zurück ins Dion. Die einzige Zeugin dieses Gesprächs war eine Eule, die hoch oben in einem Baum saß.

 

 

Geburtstagsüberraschung

 

 

Am nächsten Morgen erwachte Claire noch vor ihrem Wecker. Sie fühlte sich zum ersten mal nach Wochen, wieder richtig gut und ausgeschlafen. Mit Schwung warf sie ihre Beine aus dem Bett und stand auf. Leise suchte sie sich ihre Sachen zusammen und ging ins Bad. Unter der Dusche, dachte sie noch mal über gestern Abend nach und ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln. Sie wusste, dass sie nicht so glücklich sein sollte, da ihre Oma doch gestern erst beerdigt wurde und ein durchgeknallter, böser Magier hinter ihr her war und sie fast erwischt hätte, aber als sie an die Worte und den darauffolgenden Kuss von Keno dachte, konnte sie nicht anders, als glücklich zu sein. Schnell trocknete sie sich ab und zog sich an. Ihre Haare band sie sich zu einem Pferdeschwanz zusammen und ließ eine einzelne Strähne ins Gesicht fallen. Als Claire ihr Zimmer wieder betrat, saß Zaira mit müden Augen in ihrem Bett und gähnte ausgiebig.

„Warum bist du denn schon so früh auf? Der Wecker hat ja noch nicht mal geklingelt“, sagte sie gähnend.

Claire grinste. „Möchtest du noch weiterschlafen oder kommst du mit runter zum Frühstück?“

„Schlafen kann ich jetzt auch nicht mehr. Lass mich nur kurz unter die Dusche, dann komm ich mit.“

„Aber beeile dich, ich habe großen Hunger“, drängelte Claire.

„Du kommst schon noch früh genug zu deinem Keno“, lachte Zaira und bekam dafür ein Kissen ins Gesicht. Dreißig Minuten später, waren sie endlich auf dem Weg nach unten. Sie hatten die Treppe fast geschafft, als ihnen Andrea und ihre Anhängsel entgegenkamen.

„Na sieh mal einer an, die Heldin des Tages“, sagte sie herablassend. „Da hast du dich ja richtig schön aufgespielt. Ich wette, du hast es genossen im Mittelpunkt zu stehen.“

„Woher weißt du was gestern passiert ist?“, fragte Zaira misstrauisch.

„Woher ich es weiß? Im ganzen Haus redet man von nichts Anderem. Unsere Heldin … ach und wie toll sie doch ist ... würg ... “

„Tu uns allen einen Gefallen, und geh aus dem Weg. Ich habe besseres zu tun als mir dein hirnloses Gequatsche anzuhören“, sagte Claire gereizt und drängte sich an ihr vorbei.

„Wie konnte es so schnell bekannt werden?“, fragte sie Zaira.

„Ich kann es mir auch nicht erklären. Lass uns zu den Jungs gehen, mal schauen, was sie davon halten“, erwiderte Claire. Als sie im Speisesaal ankamen, waren Luke und Keno noch nicht da. Das Frühstück war schon fast vorbei, als die zwei den Speisesaal betraten.

„Wo wart ihr denn so lange?“, wollte Zaira wissen.

„Verschlafen. Unser Wecker hat nicht geschellt“, brummte Keno und gab Claire einen kurzen Kuss. Sofort meldeten sich die Schmetterlinge in ihrem Bauch.

„Unser kleines Abenteuer von gestern ist irgendwie durchgesickert“, erzählte Zaira.

„Wie kann das sein? Woher wisst ihr das?“, fragte Luke und gab Zaira ebenfalls einen Kuss.

„Unsere liebreizende Andrea hat es uns heute früh unter die Nase gerieben. Angeblich spricht schon das ganze Haus darüber“, sagte Claire.

„Wir haben noch nichts gehört. Aber uns ist ja auch keiner über den Weg gelaufen, weil wir verschlafen haben“, sagte Keno. In diesem Moment kam Eron auf sie zu.

„Guten Morgen, könntet ihr Vier kurz mit mir mitkommen?“

„Natürlich“, sagten sie fast gleichzeitig. Sie standen auf und folgten Eron zu seinem Büro.

„Setzt euch doch bitte. Ich mache es kurz und knapp. Ich möchte, dass ihr Vier Einzeltraining bekommt“, begann er.

„Warum können wir nicht mit den anderen zusammen trainieren?“, fragte Keno.

„Weil Luke und Claire lernen müssen, sich richtig zu verteidigen, da besonders sie in Gefahr sind. Und ich dachte, es wäre eine gute Idee, euch zwei als Unterstützung bei ihnen zu lassen. Wie ihr vier bestimmt schon bemerkt habt, ist hier im Dion ein Verräter und es wäre leichtsinnig Claire und Luke alleine zu lassen. Wir müssen herausfinden, wer es ist. Jetzt zu einem anderen Thema. Eure Eltern haben mir vor langer Zeit etwas für euch anvertraut.“ Eron stand auf und holte aus seinem Schrank ein kleines Holzkästchen heraus und stellte es auf seinem Schreibtisch. Claire bewunderte die feinen Zeichen, die hinein geschnitzt worden sind.

„Was sind das für Zeichen?“, fragte sie.

„Das sind Runen. Auf diesem Kästchen liegt ein Schutzzauber, der es nur dem wahren Besitzer ermöglicht, es zu öffnen. Seht ihr die zwei kleinen Einkerbungen an jeder Seite? Darauf müsst ihr euren Ringfinger legen. Es ist wichtig, dass ihr den Ringfinger darauflegt, weil es bei den anderen nicht funktionieren wird. Da drin ist eine kleine Nadel, die euch in den Finger sticht und etwas Blut abnimmt. Dadurch öffnet sich das Kästchen.“ Claire und Luke legten ihren Ringfinger auf die Einkerbungen und zuckten kurz zusammen als die Nadel ihnen in den Finger stach. Daraufhin hörten sie ein leises Klicken und der Deckel öffnete sich. Das Innere des Kästchens war mit rotem Samt ausstaffiert und darauf lag eine wunderschöne Kette mit einem weißen Stein. Daneben lag ein silberner Ring, in dem ebenfalls ein weißer Stein eingefasst wurde.

„Das sind die Steine der Elemente, es gibt auf der ganzen Welt nur die beiden. Sie sind sehr mächtig und setzten sobald ihr achtzehn werdet eure ganze Magie frei. Sobald ihr sie tragt, wechselt der Stein in der Farbe eurer Elemente. Gelb steht für Luft, blau für Wasser, grün für Erde und rot für das Feuer.“

„Aber wir beherrschen doch alle vier Elemente. Welche Farbe nimmt der Stein denn dann an?“, fragte Claire neugierig.

„Probiert es aus“, gab Eron nur zur Antwort. Er reichte Claire die Kette und Luke den Ring. Sobald Luke ihn sich übergestreift hatte, leuchtete der Ring hell auf und nahm dann alle Farben der Elemente an.

„Er ist wunderschön. Ich fühle ein komisches Kribbeln, ist das normal?“, fragte er unsicher.

„Ja, das ist deine Magie“, sagte Eron. Während dessen half Keno Claire die Kette umzulegen. Auch bei ihr leuchtete der Stein einmal hell auf und nahm dann alle Farben der Elemente an. Der Ring und die Kette schimmerten wie ein Regenbogen.

„Es fühlt sich wirklich komisch an. Hört dieses Kribbeln irgendwann auch wieder auf?“, fragte Claire.

„Ja, sobald sich euer Körper an die Magie gewöhnt hat. So, jetzt zu eurem Lehrplan. Ich habe mit Herrn Wiescher gesprochen, er wird mit euch jeden Morgen meditieren, damit ihr euer inneres Gleichgewicht findet. Danach werde ich euch beibringen, wie ihr eure Kräfte gezielt einsetzen könnt um euch zu verteidigen. Sobald Joe wieder fit ist, wird er mit euch das Waffentraining beginnen. Noch Fragen?“ Die vier schüttelten die Köpfe.

„Heute habt ihr noch wegen der gestrigen Ereignisse frei, also genießt den Tag, weil es ab morgen sehr anstrengend wird. Wenn irgendetwas ist, wisst ihr ja wo ihr mich finden könnt.“ Sie nickten und verließen das Büro. Vor dem Büro stießen sie auf Sandra, eine von Andreas Schatten.

„Was willst du denn hier so ganz alleine? Ich dachte, ohne Andrea darfst du keinen Schritt alleine machen?“, fragte Zaira.

„Wenn du es genau wissen willst, ich bin hier um Eron zu fragen, ob ich mein Zimmer tauschen kann. Ich habe mich mit Andrea heftig gestritten. Sie hat einen gemeinen Anschlag auf euch vor und da wollte ich nicht mitmachen.“

„Was hat sie vor?“, fragte Claire scharf.

„Sie ist richtig sauer, weil sie herausgefunden hat, dass du mit ihm zusammen bist“, sie deutete auf Keno und sprach dann weiter. „Andrea hat vor, eure Zimmer zu manipulieren, so dass eure Magie lahmgelegt wird. Fragt mich aber bitte nicht wie, ich weiß nur, dass sie von mir verlangt hat, euch eine Vase mit Blumen ins Zimmer zu stellen. Sie sagte, es sei wichtig, sie ans Fenster zu stellen. Und da mache ich nicht mit. Ein paar kleinere Streiche finde ich ja in Ordnung aber so etwas geht gar nicht.“

„Wieso warnst du uns? Ich dachte, du kannst uns nicht leiden?“, fragte Zaira misstrauisch.

„Naja, eigentlich habe ich nichts gegen euch. Aber hätte ich es gezeigt, dann hätte Andrea mich genauso auf dem Kicker. Jetzt ist es eh zu spät.“

„Vielen Dank für deine Warnung. Wir werden uns in Acht nehmen.“ Sandra nickte nur und klopfte an Erons Bürotür. Bevor sie eintrat, drehte sie sich noch mal um.

„Unterschätzt Andrea nicht, sie kann sehr gefährlich werden“, und damit verschwand sie im Büro.

„Was haltet ihr von der Sache?“, wollte Zaira von den anderen wissen.

„Ich finde, jetzt ist das Miststück zu weit gegangen. Wenn Eron sie nicht rauswirft, dann verpasse ich ihr eine Lektion, die sie nie wieder vergisst“, sagte Keno mit einem Knurren in der Stimme. „Jetzt lasst uns aber über was Anderes reden, sonst vergesse ich mich noch. Also, was sollen wir unternehmen?“

„Sollen wir Joe besuchen?“, fragte Luke.

„Klaro, ob es ihm schon bessergeht?“, sagte Claire.

„Bestimmt! Joe war schon immer ein Kämpfer. Weißt du noch, wie er sich damals, beim Fußball, den Fuß verdreht hat? Dad hat ihm ausversehen gegen den Fuß getreten. Er konnte kaum auftreten. Keine Woche später, stand er wieder auf dem Platz.“

Claire senkte traurig den Kopf. „Ich vermisse sie so sehr.“

„Ich auch, aber irgendwann werden wir sie wiedersehen. Sie werden auf der anderen Seite auf uns warten“, sagte Luke und nahm sie in den Arm. „Aber jetzt lass uns Joe besuchen. Ich bin gespannt, wie es bei seinem Training wird.“ Als sie das Krankenzimmer betraten, saß Joe aufrecht in seinem Bett und flirtete mit der Krankenschwester. Als sie die vier bemerkten, verließ sie lachend das Zimmer.

„Na, dir scheint es ja wieder bestens zu gehen“, begrüßte Luke ihn.

„Ja, dank eurer Hilfe. Ruby, die Krankenschwester, verlangt, dass ich noch mindestens bis morgen hierbleiben muss.“

„So wie es gerade aussah, scheint es dich ja nicht zu stören“, lachte Keno.

„Nein, im Ernst, ich muss hier raus, sonst drehe ich noch durch. Diese Liegerei passt mir gar nicht.“

„Eron sagte uns gerade, dass du uns trainieren wirst. Wofür brauchen wir Waffentraining, wenn wir Magie beherrschen?“, fragte Luke.

„Weil ihr euch nicht immer auf eure Magie verlassen könnt. Es gibt dunkle Zauber, die euch schwächen könnten oder sie euch sogar ganz nehmen. Also müsst ihr mit Waffen umgehen und euch im Nahkampf verteidigen können. Luke und Keno werden wohl mit dem Schwert und den Dolchen üben und Zaira und Claire nur mit den Dolchen, weil sie klein und handlich sind. Das Schwert wäre zu schwer. Ich hoffe, ich komme morgen hier raus, dann fangen wir direkt an.“

 


***

 

 

Seit Monaten mühten sich die vier schon mit dem Training ab. Claire war überrascht, wie die Zeit vergangen ist. Andrea hatte ihren Anschlag nicht ausführen können, weil Sandra alle rechtzeitig gewarnt hatte. Während Luke und Keno keine Probleme mit den Waffen hatten, viel es den Mädels eher schwer. Dafür kamen sie besser mit der Magie klar.

Weihnachten stand vor der Tür, und die Vier wurden immer besser. Am Weihnachtsmorgen liefen Claire und Zaira zum Frühstück hinunter.

Als sie den Speisesaal betraten, traute Claire ihre Augen nicht. Eine riesig, große, geschmückte Tanne stand in der Ecke. Hunderte von hübsch verpackten Päckchen lagen dort drunter. Auf den Tischen funkelten überall kleine blaue Eiskristalle.

„Es ist wunderschön“, flüsterte Claire. Sie setzten sich zu Keno und Luke an den Tisch. Verträumt sah Claire dem Schneetreiben vor dem Fenster zu. Sie lächelte, als Keno ihre Hand nahm. Nach dem Frühstück gingen die Vier zum Baum um ihre Geschenke auszupacken.

„Hier, das ist von mir“, sagte Zaira und drückte Claire ein rechteckiges Päckchen in die Hand.

Claire riss die Verpackung ab und sah sie mit großen Augen an. Es war ein wunderschönes Märchenbuch.

„Woher wusstest du, dass ich Märchen liebe?“, fragte sie erstaunt.

„Verrate ich nicht“, grinste Zaira und zwinkerte zu Luke.

Von Keno bekam Claire ein silbernes Medaillon.

„Öffne es“, sagte er liebevoll.

Sie öffnete es und in seinem inneren steckte ein Foto von Keno und ihr, wie sie mit ihm an der Trauerweide saßen und sich verliebt anschauten. Sie konnte sich noch gut an diesen Tag erinnern. Es war vor zwei Wochen. Nach einer sehr anstrengenden Stunde mit Herr Wiescher in Meditation. Sie hatten versucht mit Luft Dinge schweben zu lassen. Anschließend sind Keno und Claire zu der Trauerweide, die mittlerweile ihr Lieblingsplatz war, gegangen um ein paar Minuten für sich zu haben.

„Wer hat das Bild gemacht?“, fragte sie völlig verwundert. Sie hatte niemanden bemerkt.

„Schuldig“, trällerte Zaira. „Ich bin euch einfach gefolgt und habe das Foto geschossen.“ Claire legte ihre Arme um Kenos Hals und küsste ihn so leidenschaftlich, als wären sie alleine.

„Chrm chrm“, machte Luke.

Peinlich berührt, löste Claire sich von Keno. Es war ein sehr besinnlicher Tag. Müde aber überglücklich gingen sie zu Bett.

Kurz vor Silvester sprach Zaira den Geburtstag der Zwillinge an.

„Das muss eine richtig große Party werden, mit allem Drum und Dran … Hmm … ich muss mir eine Liste machen, damit wir nichts vergessen“, sagte Zaira aufgeregt.

„Zaira, bitte, wir wollen nichts Großes“, sagte Claire und Luke nickte bestätigend.

„Hör auf so ein dummes Zeug zu reden, man wird doch nur einmal im Leben 18, und das auch noch in der Silvesternacht.“

„Tja“, sagte Keno grinsend, „man kann eine Zaira bei der Planung von Partys nicht abhalten.“

Die Zwillinge schauten sich nur an und hofften, dass Zaira es nicht übertreiben würde.

 


***

 

 

Der große Tag kam. Alles war für die Silvesternacht vorbereitet. Die Älteren haben heimlich Alkohol besorgt und schon früh angefangen zu trinken. Es war ein sehr lustiges Fest und Claire, Zaira, Keno und Luke tanzten und tranken mit. Kurz vor Mitternacht machten sich alle bereit, das neue Jahr zu begrüßen. Sie zählten die Sekunden.

„Zehn … neun … acht … sieben … sechs … fünf … vier … drei … zwei … eins …Frohes neues Jahr.“

Alle gratulierten sich und keiner außer Keno und Zaira achteten auf die Zwillinge.

Noch eben lagen sie sich in den Armen und gratulierten sich und plötzlich wurden sie von einem grellen Licht geblendet. Dieses Licht kam von den Zwillingen die jetzt einen halben Meter über dem Boden schwebten. Die Arme von sich gestreckt und die Augen geschlossen, drehten sie sich im Licht um sich selbst. Die Steine in Claires Kette und Lukes Ring, leuchteten in allen Farben der Elemente. Sofort war Eron bei ihnen und hielt Keno und Zaira davon ab, sie zu berühren.

„Nicht, sie sind Ok, ihre Macht entwickelt sich gerade zu ihrer vollen Stärke. Ihr dürft sie jetzt nicht unterbrechen“, Eron hielt alle Feiernden von den Zwillingen fern. Er hatte nicht damit gerechnet, dass es so spektakulär werden würde, hätte er es gewusst, dann hätte er dafür gesorgt, dass die Zwillinge zu diesem Zeitpunkt alleine waren. Er schickte alle außer Kevin und Zaira nach draußen zum Feuerwerk.

„Na los, alle nach draußen, ihr wollt doch nicht das fantastische Feuerwerk verpassen. Ich bitte euch, Claire und Luke erstmal in Ruhe zu lassen. Wenn sie es euch erklären möchten, dann werden sie es von sich aus tun.“ Mürrisch verließen alle den Saal.

Nach einigen Sekunden war es vorbei. Die Zwillinge schwebten elegant zu Boden und öffneten die Augen. Sie sahen sich um und bemerkten die schockierten Gesichter von Keno und Zaira.

„Was ist los? Wo sind denn alle? Warum guckt ihr uns an wie ein Weltwunder?“, fragte Luke genervt.

„Sie meinen es nicht böse, wir wurden gerade alle Zeugen eurer Magie“, sagte Eron beschwichtigend.

„Bitte was?“, fragte Claire und sah ihn verständnislos an.

„Wisst ihr denn nicht was gerade passiert ist?“, sagte Zaira.

„Doch natürlich, wir haben uns umarmt und zum neuen Jahr gratuliert, danach habt ihr uns angeschaut, als wären wir Geister oder sowas“, sagte Luke.

„Habt ihr vergessen, was an eurem 18. Geburtstag passieren soll? An diesem Tag, genauer gesagt, In dem Augenblick, wenn die Uhr die Zeit eurer Geburt anzeigt, entfaltet sich eure ganze Kraft. Ihr habt heller gestrahlt als der funkelnste Stern.“

„Aber wie ist das möglich? Bei uns anderen war es doch nicht so?“, fragte Keno.

„Claire und Luke sind etwas Besonderes, ich wusste es gleich, nachdem sie mir erzählt haben, dass sie alle Elemente beherrschen. Deswegen ist Aaron hinter ihnen her.“ Claire wurde blass.

„Wir werden es nicht zulassen, dass er euch in die Finger bekommt“, sagte Keno und nahm sie in den Arm.

„Möchtet ihr mit hinauskommen und das Feuerwerk mit den anderen genießen?“, fragte Eron.

„Ich weiß nicht, sie werden uns doch alle anglotzen, als wären wir Aliens“, sagte Luke besorgt.

„Keine Angst, sie werden euch in Ruhe lassen.“ Sie folgten Eron nervös nach draußen.

Raketen ließen die Nacht in sämtlichen Farben erstrahlen. Es knallte und zischte und alle Augen waren Richtung Himmel gerichtet.

„Frohes neues Jahr“, flüsterte Keno und küsste Claire, als wenn es keinen Morgen mehr geben würde.

Nach dem Feuerwerk, gingen alle zurück in den Saal und die älteren feierten weiter, während die Kleinen zu Bett gebracht wurden. Aber alles Schöne, hatte auch ein Ende. Völlig erschöpft ließen sich Claire und Zaira ins Bett fallen. Morgen konnten sie den Tag noch genießen, aber ab Übermorgen fing das Training wieder an.

 


***

 

 

Nach einem anstrengenden Waffentraining gingen sie verschwitzt in ihre Zimmer. Als Claire die Zimmertür öffnete, erwartete sie ein heilloses Chaos. Alle Schubladen waren herausgerissen und den Inhalt auf dem Boden verteilt, die Bettwäsche lag abgezogen auf der zerschnittenen Matratze, und die Schranktüren waren aufgerissen und alles wurde durchwühlt.

„Oh mein Gott, was ist denn hier passiert?“, fragte Zaira geschockt.

„Da hat wohl jemand etwas ganz dringend gesucht“, antwortete Claire.

„Die Tür war doch abgeschlossen, oder nicht?“

„Natürlich, du hast doch selber gesehen, wie ich aufgeschlossen habe“, sagte Claire.

„Wir müssen Eron Bescheid sagen. Ich gehe zu Eron und du holst die Jungs“, sagte Zaira.

Sie schlossen die Türe hinter sich ab und gingen die Treppe hinunter. Am Ende der Treppe, trafen sie Keno und Luke.

„Wir wollten gerade zu euch, in unserem Zimmer ist eingebrochen und alles durchwühlt worden“, sagte Luke zu den beiden.

„Bei euch auch? Ich wollte euch gerade Bescheid sagen und Zaira wollte Eron holen. Was glaubst du, wer das gewesen sein könnte?“, fragte Claire.

„Andrea“, sagten Keno und Zaira gleichzeitig.

Und was wollte sie finden? Ich meine, wir haben doch nichts Wertvolles“, fragte Claire erneut.

„Da beide Zimmer durchwühlt worden sind, glaube ich, dass sie hinter euren Steinen her war. Sagte Eron nicht, dass sie große Kräfte haben?“, sagte Zaira.

"Aber außer euch, Eron und Joe, weiß doch nieman davon", flüsterte Claire leise.

"Am Silvesterabend habe doch alle gesehen, wie euer Schmuck am leuchten war", erwiderte Zaira.

„Wir sollten sofort zu Eron“, sagte Luke.

Auf dem Weg zu Eron, begegneten sie Sandra.

„Luke, ich soll dich zu Mr. McKenzie bringen. Er wartet draußen auf dich.“

„Wir wollten gerade zu Eron, kannst du ihm sagen, dass wir danach zu ihm kommen?“, sagte Luke.

„Er wollte dich alleine sprechen, und es klang sehr dringend. Ich soll dich direkt zu ihm bringen. Tut mir echt leid.“

„Kein Problem. Geht ihr zu Eron, wir treffen uns dann gleich im Gemeinschaftsraum“, sagte Luke zu den anderen.

„Okay, bis gleich“, sagte Zaira und gab ihm einen langen zärtlichen Kuss.

Nur widerwillig löste er sich von ihr und folgte Sandra. Claire hatte ein komisches Gefühl. Irgendetwas sagte ihr, dass etwas nicht stimmte.

Aber sofort verdrängte sie das Gefühl und schimpfte sich in Gedanken selber aus. Warum sollte etwas passieren? Wir sind doch hier in Sicherheit. Sie klopften an Erons Bürotür und traten ein.

„Hallo ihr drei, was kann ich für euch tun?“, begrüßte Eron sie.

„Unsere Zimmer sind verwüstet worden. Alles ist durchsucht worden“, sagte Keno sofort.

„Was sagt ihr da? Wann ist das passiert?“, fragte Eron alarmiert.

„Es muss während unserem Training passiert sein. Wann genau, kann ich nicht sagen. Wir wollten hoch um uns zu duschen, und haben dieses Chaos gefunden“, sagte Zaira.

„Wir gehen jetzt direkt nach oben und schauen uns die Sache an. Ich werde einen speziellen Schutzzauber über eure Zimmer legen. Dann dürfte so etwas nicht mehr passieren. Ich frage mich nur, wer es gewesen war.“

„Wir vermuten, dass es Andrea war.“

„Und wie kommt ihr darauf?“

„Naja, ihre ständigen Gemeinheiten, dann die Warnung von Sandra, …“

„Was für eine Warnung?“, unterbrach Eron Claire.

„Du musst doch darüber Bescheid wissen, deswegen hat sie dich doch damals kurz nach Omas Beerdigung darum gebeten, das Zimmer zu wechseln. Andrea hat von ihr verlangt, ihr zu helfen unsere Magie lahm zu legen, und sie hat sich geweigert.“

„Sandra war bei mir um mir mitzuteilen, dass es Joe wieder bessergeht. Sie sagte, Ruby hätte sie geschickt.“

„Oh Gott, wir haben sie gerade getroffen. Sie sagte, Joe hätte sie geschickt um mit Luke alleine zu reden. Die beiden sind gerade weg. Was ist, wenn sie hinter allem steckt?“, sagte Claire fassungslos.

„Joe kann sie nicht geschickt haben, er ist seit heute Mittag nach eurem Training weg um für mich etwas zu erledigen. Wir müssen die beiden sofort finden. Ich benachrichtige Joe.“

Sie durchsuchten das ganze Anwesen, doch von Luke und Sandra war keine Spur zu finden. Erst als es dunkel wurde, hörten sie auf und gingen in den Gemeinschaftsraum.

„Es ist meine Schuld“, schluchzte Claire. „Ich hatte so ein komisches Gefühl, als er gegangen ist. Ich hätte es nicht ignorieren dürfen. Was ist, wenn ich ihn nie wiedersehe? Er ist der einzige, den ich noch von meiner Familie habe“, weinend und zitternd, brach Claire auf der Couch zusammen. Sofort waren Keno und Zaira an ihrer Seite.

„Es ist nicht deine Schuld. Hörst du, Claire, du bist nicht schuld. Sie hat uns alle getäuscht. Und wenn ich diese Verräterin in die Finger bekomme, drehe ich ihr den Hals um. Niemand entführt mir meinen Freund “, sagte Zaira aufgebracht. Tränen liefen ihr vor Wut und Trauer das Gesicht herunter.

„Verräterin …“, murmelte Keno.

„Was hast du gesagt?“, fragte Claire mit zittriger Stimme.

„Sie war es, sie muss mit Aaron zu tun haben. Die Beerdigung. Sie war im Gemeinschaftsraum als wir darüber sprachen. Und als Eron uns die Sache mit den Steinen erzählt hat, stand sie vor dem Büro. Um den Verdacht von sich abzulenken, beschuldigte sie Andrea, weil jeder weiß, dass wir uns nicht leiden können.“

„Ich kann nicht mehr, ich muss ins Bett. Claire, kommst du mit nach oben?“, fragte Zaira niedergeschlagen.

„Ich kann nicht schlafen, ich habe solche Angst um meinen Bruder. Geh schon mal hoch, ich komme später nach.“

„Okay, wir sehen uns später“, sagte sie und lief total aufgelöst nach oben.

„Ich sollte vielleicht doch mit ihr gehen. Sie muss genauso durch die Hölle gehen wie ich, schließlich ist sie seine Gefährtin“

„Bleib doch noch ein bisschen“, sagte Keno und nahm sie in den Arm.

„Ich schau kurz nach ihr und wenn sie wirklich schon schläft, dann komm ich noch mal runter.“

„Ok, ich warte auf dich.“ Er gab ihr noch einen intensiven Kuss und gab sie dann frei.

Claire lief nach oben und öffnete leise die Tür. Zaira stand noch unter der Dusche. Sie setzte sich auf ihr Bett und wartete auf sie. Nach zehn Minuten kam Zaira aus der Dusche. Ihre Augen waren rot und geschwollen.

„Wir finden ihn. Ich werde nicht eher ruhen, bis wir ihn gefunden haben.“

Zaira setzte sich neben sie und nahm sie in den Arm.

„Warum bist du jetzt doch noch hergekommen? Ich dachte du kannst noch nicht schlafen?“

„Du bist meine beste Freundin, und ich kann dich doch jetzt nicht alleine lassen.“

„Das ich wirklich lieb von dir, aber ich bin wirklich fertig. Geh ruhig zu Keno. Ich geh jetzt schlafen“, sagte Zaira bestimmt.

„Wenn es für dich wirklich in Ordnung ist, dann geh ich jetzt. Wir sehen uns morgen.“

„Gute Nacht.“ Claire drückte Zaira noch mal an sich und ging dann nach unten.

Als sie den Gemeinschaftsraum betrat, saß Keno auf der Couch und hatte den Kopf in seinen Händen gestützt.

Er hörte ihre Schritte und sah sie an. In seinem Blick sah Claire tiefe Traurigkeit aber auch eine Leidenschaft, die sie erschauern ließ. Er sprang auf und zog sie in seine Arme. Dann küsste er sie. Er versuchte mit diesem Kuss seine ganze Trauer und Leidenschaft auszudrücken. Claire verspürte eine wohlige Hitze ins sich aufsteigen. Sie drückte sich noch fester an ihn und keuchte leicht auf.

„Komm mit mir“, hauchte er an ihren Lippen und zog sie mit sich. In der Eingangshalle schaute er sich nochmal schnell um und zog sie die Treppe hoch zu seinem Zimmer.

 

 

 

Die Botschaft

 

 

Leise liefen sie den Gang der Jungs entlang und blieben vor Zimmernummer 12 stehen. Keno schloss die Tür auf und ließ Claire eintreten.

Das Zimmer sah genauso verwüstet aus, wie ihres. Alles war achtlos rausgerissen und auf dem Boden geworfen worden. Das Bett war übersät mit Daunenfedern. Das reinste Chaos. Keno schloss die Tür hinter sich und schlang seine Arme um Claires Taille. Als er ihren Nacken küsste, spürte er, wie sie zitterte.

„Wir brauchen das nicht zu machen. Wir gehen nur soweit, wie du es möchtest“, beruhigte er sie.

„Nein, ich möchte es auch“, hauchte sie leise. Er drehte sie zu sich herum und küsste sie. Claire war nervös. Gleich würde sie ihr erstes Mal erleben. Sie fühlte, das Keno der Richtige für sie war.

Während er seine Lippen über ihren Hals wandern ließ, versuchte er mit zitternden Händen ihre Bluse zu öffnen.

„Ha!“, sagte er triumphierend, als sich der letzte Knopf löste und sie lachten gemeinsam befreit auf. Sie hob die Hand und öffnete sein Hemd, um ihre Hände hinein – und über seine Schultern gleiten zu lassen. Sie ließ ihre Handflächen langsam über seiner Brust sinken und spürte die elastischen Härchen und die kleinen Einkerbungen rings um seine Brustwarzen. Er stand still und atmete kaum, als sie sich hinkniete, um die Schnalle des Gürtels zu öffnen. Seine Jeans glitt nach unten und er stand in seinen schwarzen Boxershorts vor ihr. Sie fuhr zielstrebig mit den Händen an seinen muskulösen Oberschenkel hinauf.

In dem Moment zog er sie hoch und senkte den Kopf, um sie zu küssen. Es wurde ein ausgiebiger Kuss, und seine Hände wanderten an ihrem Rücken entlang, um den Verschluss ihres BH's zu suchen. Er drückte sie fest an sich, und sie konnte spüren, dass er mehr als bereit war, zur Sache zu kommen. Mit einiger Überraschung stellte sie fest, dass sie ebenfalls bereit war. Ob es an der späten Stunde lag, an ihrer Trauer, die sie jetzt gerade vergessen möchte oder an ihm – sie begehrte ihn, sogar sehr.

Sie fuhr mit den Händen an seiner Brust hinauf und umkreiste seine Brustwarzen mit den Daumen, woraufhin sie sofort steif wurden. Er presste Claire plötzlich an seine Brust.

„Uff!“, sagte sie und rang nach Atem. Keno ließ los und entschuldigte sich.

„Nein, keine Sorge, küss mich noch einmal.“ Das tat er und diesmal ließ er die Träger des BH's über ihre Schulter gleiten. Er wich etwas zurück, umfasste ihre vollen Brüste und rieb ihr die Brustwarzen, so wie sie es bei ihm getan hatte. Dann schloss er die Augen und fuhr mit den Lippen über ihr Gesicht, weniger ein Kuss als vielmehr ein Abtasten der Konturen von Wangenknochen und Stirn und Kinn, der empfindlichen Haut unter dem Ohr. Sie stieß ein leises Geräusch aus und versuchte, seinen Mund mit dem ihren zu finden, presste sich an ihn, die bloßen Körper heiß und feucht. Sie wollte ihn küssen, doch er ließ es nicht zu. Seine Hand legte sich in ihren Nacken und umfasste ihren Kopf, während die andere Hand weiter abwärts wanderte. Er küsste sich weiter hinunter und zog mit seiner Zunge eine feuchte Spur auf ihrem Körper. Claire fühlte an den Stellen, wo er sie berührte, ein angenehmes Prickeln. Zuerst an ihrer linken Brust, wo er zart mit ihrer Warze spielte, dann zur Rechten. Er wanderte weiter Richtung Süden und liebkoste ihren Bauchnabel. Claire stöhnte erstickt auf.

„Weiter?“, fragte er sie.

„Ja, bitte nicht aufhören“, keuchte sie.

Er glitt mit seiner Zunge an ihrer linken Leiste vorbei Richtung Oberschenkel und wanderte dann langsam wieder nach oben zu ihrer heißen, schlüpfrigen Mitte. Als er ihre Perle berührte, bäumte sie sich ihm entgegen. Claire glaubte den Verstand zu verlieren, als Keno sie sanft leckte und an ihrer Perle saugte. Plötzlich hob er sie auf, setzte sich auf das mit Federn bedeckte Bett und hielt sie auf seinem Schoß fest. Seine Stimme war ein wenig heiser.

„Sag mir, wenn ich zu grob bin, oder sag mir, wenn ich ganz aufhören soll, falls du das möchtest – wann immer du möchtest, bis wir vereint sind. Ich glaube nicht, dass ich dann noch aufhören kann.“

Als Antwort legte sie ihm die Arme um den Hals und zog ihn auf sich herunter. Sie führte ihn zu der schlüpfrigen Spalte zwischen ihren Beinen. Vorsichtig drang er in sie ein und Claire verkrampfte sich kurz vor Schmerz, als ihr Häutchen riss. Im selben Moment erstrahlte der Stein ihrer Kette in den schönsten Farben und Claire spürte die bedingungslose Liebe von Keno in sich aufwallen.

„Großer Gott“, sagte Keno, als er das Licht sah.

„Hör jetzt nicht auf“, ermahnte sie ihn.

Als sie später schweißüberströmt nebeneinanderlagen, schien es ganz natürlich für beide zu sein, ihren Kopf auf seine Brust zu legen. Sie passten gut zusammen und ihre ursprüngliche Nervosität war nun weitgehend verschwunden, verloren in der geteilten Erregung und der neuen Erfahrung, einander zu erkunden.

„War es so, wie du gedacht hattest?“, fragte Keno zögerlich.

„Nein, … viel besser.“

„Du weißt gar nicht, wie sehr ich dich liebe. Ich würde für dich durch die Hölle gehen“, sagte er und küsste sie zärtlich.

„Doch, ich kann es spüren. Hast du es nicht gespürt? Uns verbindet jetzt mehr als unsere Liebe. In dem Moment, als wir Eins wurden, entstand ein Band zwischen uns, das nur noch der Tod trennen kann. Frag mich nicht, woher ich es weiß, ich fühle es einfach.“

„Du bist so unglaublich. Erst heilst du Joe, dann die Sache an deinem Geburtstag und jetzt das hier.“ Zärtlich zupfte er einzelne Federn aus ihrem flammenden roten Haaren. Claire wurde sehr müde und nach einer Weile, fielen ihr die Augen zu.

 


***

 

 

Vogelgesang weckte Claire. Sie öffnete die Augen und blickte in warme braune Augen, die sie anstrahlten.

„Guten Morgen, meine Schöne“, begrüßte Keno sie.

Erschrocken sprang Claire auf. „Mist, wir sind eingeschlafen! Zaira wird gleich wach. Ich muss zurück auf mein Zimmer. Wir wollten doch heute ganz früh weiter nach Luke suchen.“

„Ich bringe dich rüber. Und Luke werden wir finden. Er ist zu meinem besten Freund geworden. Wir finden ihn, und wenn wir bis zum Ende der Welt laufen müssen, um ihn zu finden, dann werden wir es tun!“

„Ich liebe dich!“, sagte sie und küsste ihn.

Keno brachte Claire bis zum Ende der Treppe und gab ihr noch einen langen intensiven Kuss.

Leise schlich sie sich in ihr Zimmer. Zaira schlief noch.

Nach einer ausgiebigen Dusche, wollte Claire sich in ihr Bett legen. Dort entdeckte sie einen zusammen gefalteten Zettel auf ihr Kissen. Mit zitternden Händen entfaltete sie das Blatt und was sie dort las, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren.

 

Meine liebste Claire,

hiermit möchte ich dich ganz herzlich zu einem kleinen Familientreffen einladen.

Komm nach Inverness.

Denn es endet da, wo alles begann.

Herzliche Grüße

Aaron

P.S.: Und vergiss deine hübsche Kette nicht!!!

 

 

 

 

Heimkehr

 

 

 Geschockt sackte Claire auf ihrem Bett zusammen und versuchte das Geschriebene zu verstehen, den Brief zerknüllt in der Hand. Aaron hatte Luke. Wie in Trance erhob sie sich und ging mit dem zerknüllten Brief in der Hand nach unten.

Ganz zaghaft klopfte sie an Erons Tür. Es kam keine Reaktion. Claire klopfte noch einmal, diesmal heftiger. Als wieder keine Reaktion kam, hämmerte sie so fest mit den Fäusten, dass die ganze Tür erzitterte. Die Tür ging auf und sie verlor das Gleichgewicht.

Eron konnte sie gerade noch auffangen.

„Claire! Was ist denn los? Weißt du eigentlich wie spät es ist?“, fragte er erschrocken.

Claire brachte vor Schluchzen kein Wort heraus und hielt ihm den Brief hin. Eron führte Claire zu seinem Schreibtisch und ließ sie auf dem Stuhl platznehmen. Dann las er den Brief.

„Woher hast du ihn?“, fragte er erschöpft.

„Er … er lag auf meinem Kissen“, sagte sie.

„Das kann nicht, ich persönlich habe eure Zimmer geschützt, nach dem sie durchsucht worden sind. Nur ihr vier, die Lehrer, Joe und ich können dort rein“, sagte Eron aufgebracht.

„Ich sag dir, dieser verdammte Brief lag auf mein Kissen. Dann muss einer der Lehrer ihn dahin gelegt haben. Joe, Keno und Zaira, würde ich mein Leben anvertrauen. Und dir natürlich auch. Aber wer auch immer ihn dahin gelegt hat, ist mir im Moment völlig egal, ich muss zurück nach Inverness.“

„Ich werde mich sofort um alles kümmern. Geh hoch und pack ein paar Sachen ein, ich werde Joe Bescheid sagen.“

„Kommt nicht infrage, ich werde alleine gehen. Ich möchte nicht, dass euch auch noch etwas passiert.“

„Claire, sei vernünftig. Du hast alleine keine Chance gegen ihn. Außerdem bist du noch minderjährig, du kannst nicht alleine dort hin.“

„Was ist, wenn euch etwas passiert? Das könnte ich mir nie verzeihen.“

„Ich kann dir nicht versprechen, dass wir alle gesund zum Dion zurückkehren werden, aber ohne uns ist es auswegslos. Ich kenne Aaron, ich weiß wie er tickt. Nur ich werde ihn besiegen können.“

„Woher weißt du das?“

„Er ist mein Zwillingsbruder“, sagte Eron traurig.

„Dein Zwillingsbruder? Aber wieso will er dich denn dann unbedingt bekämpfen? Ich meine, Zwillinge halten doch zusammen. Luke und ich könnten uns nie gegenseitig verletzen. Was ist passiert, dass er so böse wurde und in die dunkle Magie hineingeraten ist?“

„Schuld daran, bin ich, weil ich eine Frau geliebt habe, die er begehrt hatte.“

„Wer war sie?“, fragte Claire leise.

„Callandra McTavish. Die Mutter von Roya. Ich bin ihr Vater.“

„Aber du hast uns doch erzählt, dass ihre Eltern beide tot sind.“

„Ich habe Callandra verlassen, um sie und das Kind, das sie in sich trug, vor Aaron zu schützen. Aaron durfte um keinen Preis erfahren, dass Roya meine Tochter ist. Aaron war schon sehr früh in Callandra verliebt, aber sie erwiderte seine Liebe nicht und wies ihn ab. Er war am Boden zerstört und als sie und ich dann ein Paar wurden, rastete er komplett aus. Er hat Rache geschworen. Er war so verletzt in seinem Stolz, dass er schwor, nicht eher zu ruhen, bis er alle McTavishs und ihre Nachkommenschaft ausgelöscht hatte, wenn ich sie nicht verlasse. Also verließ ich sie. Ich belegte sie mit einem Zauber, der sie vergessen ließ, dass wir jemals zusammen waren. Ich bat meinen besten Freund sich ihrer anzunehmen und die beiden verliebten sich. Er zog Roya wie seine eigene Tochter auf. Ich weiß nicht wie, aber irgendwie fand Aaron doch heraus, dass Roya meine Tochter ist und suchte sie. Als ich es erfahren habe, war es zu spät für Callandra und Garry, ihr Mann und mein bester Freund. Ich konnte nur noch meine kleine, dreijährige Tochter retten. Sie hat nie erfahren, dass ich ihr Vater bin.“

„Aber da heißt ja, dass du mit uns verwandt bist“, sagte Claire ungläubig.

„Ja. Ich hatte immer ein Auge auf die McTavishs und versuchte sie vor allem zu beschützen. Aber wie du siehst, habe ich es nicht immer geschafft.“ Eine einsame Träne lief ihm die Wange herunter.

Claire wischte sich ihre Augen, denn auch ihr liefen die Tränen herunter.

„Du siehst, ich muss mit. Und jetzt geh nach oben und packe. Wir werden heute Mittag den Flieger nehmen.“

Claire nickte nur und verließ das Büro. Schnell lief sie die Treppen hoch und stürzte in ihr Zimmer. Durch den Krach der Zimmertür, schreckte Zaira aus dem Schlaf.

„Wasn los?“, nuschelte sie verschlafen.

„Ich muss nach Inverness. Aaron hat Luke.“

„Was? Woher weißt du das?“ Sofort war Zaira hell wach.

"Als ich heute früh in mein Bett wollte, lag ein Brief von diesem Schwein auf mein Kissen. Ich soll nach Inverness kommen.“

„Scheiße, wann fliegen wir? Ich muss Keno holen und dann noch packen.“

„Stopp! Wir fliegen nirgendwo hin. Ich fliege mit Eron und Joe. Ihr bleibt hier in Sicherheit. Es reicht schon, dass Eron und Joe sich in Gefahr bringen.“

Zaira fing an schallend zu lachen. „Und du glaubst wirklich, dass ich hierbleibe, während mein Gefährte dort gefangen ist und was weiß ich was durchmacht? Da hast du dich aber geirrt. Und überleg doch mal, glaubst du im Ernst, dass Keno dich alleine dorthin lässt? Niemals! Also hör auf zu spinnen und weck ihn damit ich für uns packen kann.“ Claire wusste nicht was sie sagen sollte und fiel Zaira weinend um den Hals. „Du bist meine beste Freundin, dafür danke ich dir. Ich habe dich lieb.“ Sie ließ sie los und rannte los um Keno zu wecken.

Sie klopfte erst gar nicht an seiner Tür und trat einfach hinein.

Er lag friedlich schlafend in seinem Bett. Ein Lächeln umspielte sein Gesicht. Claire beugte sich runter zu ihm und küsste ihn. Er schlug seine Augen auf und blickte sie überrascht an.

„Was machst du denn hier? Versteh mich nicht falsch, ich könnte mich daran gewöhnen jeden Morgen so von dir geweckt zu werden.“ Dann bemerkte er ihr ernstes Gesicht. „Was ist passiert?“

„Als ich ins Bett wollte, fand ich einen Brief von Aaron. Er hat Luke und will, dass ich nach Inverness komme.“

„Scheiße! Wann fliegen wir und weiß Eron schon Bescheid?“ Er sprang aus dem Bett und fing an seine Tasche zu packen. Claire starrte ihn mit offenen Mund an und konnte nichts sagen.

Als Keno keine Antwort bekam, drehte er sich um. „Was ist?“

Claire schüttelte den Kopf. „Du hast fast genauso reagiert wir Zaira.“ Er ging auf sie zu und zog sie an seine nackte Brust.

„Du weißt, dass wir beide immer für euch da sind. Du bist mein Leben, meine Kraft und ohne dich kann ich nicht mehr leben. Ich werde dich nicht ohne mich gehen lassen und Zaira ergeht es genauso mit Luke.“ Er küsste sie leidenschaftlich und packte dann weiter.

Mit geschulterter Tasche holten sie Zaira ab und trafen Eron schon in der Eingangshalle.

„Ich habe alles geregelt. Joe holt die Limousine. Was macht ihr zwei hier?“, sagte Eron und deutete auf Keno und Zaira.

„Wonach sieht es denn aus? Wir begleiten euch natürlich“, sagte Keno trotzig.

„Kann ich irgendetwas tun, um euch davon abzuhalten?“

„Nein!“, sagten beide gleichzeitig.

„Na dann kommt, Joe wartet bestimmt schon“, sagte er.

Den ganzen Flug über war Claire so nervös, dass sie auf ihrem Sitz hin und her rutschte.

„Claire, jetzt werde doch mal ruhiger. Es wird schon alles gut gehen. Du wirst sehen, im Nu haben wir Luke zurück“, versuchte Keno sie zu beruhigen. Er nahm ihre Hand und drückte sie leicht.

„Ich habe Angst“, flüsterte sie ganz leise.

„Du brauchst keine Angst haben, ich werde dich, wenn es sein muss, mit meinem Leben schützen.“

„Ich habe keine Angst um mich, sondern um euch. Ich könnte es nicht ertragen, wenn euch etwas zustößt“,

Claire war den Tränen nahe.

"Mein Dummerchen, uns wird nichts passieren. Wir haben den mächtigsten Magier aller Zeiten bei uns. Eron!“

Nach einiger Zeit, gingen sie in den Landeanflug. Als die Räder auf die Landebahn aufsetzten, durchfuhr sie ein gewaltiger Ruck. Die Maschine rollte aus und blieb stehen.

„Zu Hause“, seufzte Claire.

 

 

 

Hinter dem Wasserfall

 

 

 

„Wohin jetzt?“, fragte Keno.

„Wir fahren zu mir“, sagte Joe. „Da sind wir sicher, weil mein Haus geschützt ist.“

Völlig erledigt kamen sie am Haus von Joe an. Nachdem sie ihre Taschen verstaut hatten, saßen sie in der Küche und besprachen, bei einer heißen Tasse Tee, wie es weitergehen sollte.

„Ich weiß es nicht. In dem Brief stand, dass es dort endet, wo alles begann.“

„Am Wasserfall von Foyers“, hörten sie Erons leise Stimme. „Dort begann alles. Dort trafen wir das erste mal Callandra.“

„Worauf warten wir dann noch? Lasst uns los“, rief Zaira und sprang vom Stuhl auf.

„Setzt dich wieder“, sagte Joe ruhig. „Wir sind alle erschöpft. Wir sollten uns erst stärken und ausruhen.“

„Wie bitte? Mein Bruder ist in den Händen von einem geisteskranken Psychopathen und wir sollen uns ausruhen?“, schrie Claire aufgebracht.

„Ja!“, sagte Joe. „Denn geschwächt und übermüdet nützen wir Luke gar nichts. Dann wird Aaron ein leichtes Spiel haben.“ Claire dachte darüber nach und setzte sich wieder.

„Du hast recht, es tut mir leid. Ich kann es nur nicht ertragen, dass er dort eventuell leidet.“

„Ich kann dich ja verstehen, mir ergeht es doch nicht anders. Du und Luke seit für mich wie meine eigenen Kinder. Wir werden ihn retten. Ich verspreche es dir!" Claire stand auf und umarmte ihn.

„Danke, das bedeutet mir sehr viel“, flüsterte sie.

„Also gut, morgen früh geht's los“, sagte Eron und erhob sich.

„Nach dem Essen, solltet ihr euch alle etwas hinlegen. Claire, Zaira, ihr nehmt das Gästezimmer oben links, Keno, du schläfst hier unten im Gästezimmer. Eron nimmt mein Zimmer und ich schlafe im Wohnzimmer auf der Couch“, verteilte Joe sie auf die Zimmer.

Nach dem Essen standen sie auf und gingen auf ihre Zimmer. Claire ließ sich etwas mehr Zeit.

„Ich spüle noch ab“, rief Claire den anderen hinterher und zwinkerte Keno zu.

„Ich helfe dir“, sprang er direkt darauf an.

„Aber macht nicht so lange“, sagte Zaira mit einem wissenden Grinsen im Gesicht.

„Ich will später Einzelheiten“, flüsterte sie ihr ins Ohr und verließ die Küche.

Sobald sie alleine waren, zog Keno Claire in seine Arme und küsste sie. Sehr bereitwillig erwiderte sie den Kuss.

„Wir sollten erst spülen“, nuschelte sie an seinen Lippen. Nur widerwillig löste er sich von ihr und zusammen erledigten sie den Abwasch.

Als Keno das nasse Handtuch aufgehangen hatte, nahm Claire seine Hand und zog ihn mit nach draußen in den Regen.

„Es ist echt schön hier. Wenn wir alles hinter uns haben, dann kommen wir hierher zurück“, sagte Keno leise.

Sie zog ihn hinters Haus in ein kleines Gartenhäuschen.

„Hier haben wir mit Joe und meinen Eltern so manch lustigen Abend verbracht“, sagte Claire und reichte ihm ein Handtuch. Der Regen hatte ihre ganzen Sachen durchnässt.

„Okay, an den Regen muss ich mich noch gewöhnen“, sagte er lachend. Dann wurde er ernst. Er griff nach den Handtüchern und warf sie achtlos zu Boden. Er zog Claire zu sich heran und küsste sie. Zuerst ganz sanft und zärtlich, dann wurde er leidenschaftlicher. Claire entfuhr ein leises Stöhnen an seinen Lippen und presste sich fest an seinem nassen Körper. Sie unterbrachen den Kuss nur solange, wie es dauerte die Shirts auszuziehen. Keno trug sie zu einer bequem aussehenden Sitzgruppe, wobei er seine Lippen nicht von ihr löste. Langsam suchten seine Finger den Verschluss ihres BH’s und öffnete ihn. Er löste sich von ihr und sah ganz tief in ihre moosgrünen Augen. Dann küsste er sie federleicht auf die Stirn, auf die Augenlider, auf die Nasenspitze, auf ihren wunderschön geformten Mund und dann langsam den Hals hinunter. Zärtlich liebkoste er ihre Brust und saugte an ihren Brustwarzen, die sich sofort aufrichteten. Claire wollte sich hinsetzen und ihn ebenfalls streicheln und küssen, doch er drückte sie zurück und hielt ihre Hände über ihrem Kopf fest.

„Noch nicht“, hauchte er. Keno widmete seine ganze Aufmerksamkeit ihren Brüsten, bis er seine Zunge langsam nach unten gleiten ließ. Langsam knöpfte er ihre Jeans auf und zog sie Zentimeter für Zentimeter runter und ließ seine Zunge folgen. Er zog die Hose mit einen letzten Ruck weg und zog sich ebenfalls aus. Bereitwillig spreizte Claire ihre Beine und Keno drang langsam mit seiner Zunge in sie ein.

„Oh Gott“, stöhnte sie und bäumte sich auf um ihn ihren Unterleib entgegen zu strecken. Es brachte sie fast um den Verstand. So eine intensive Hitze, sie dachte, sie würde verbrennen. Kurz bevor Claire dachte, sie müsse explodieren, zog Keno sich zurück. Er küsste sie wieder und sie konnte sich an seinen Lippen schmecken. Claire richtete sich auf und drückte ihn zurück. Sie ließ ihre Zunge über seinen ganzen Körper gleiten und umschloss dann seine Männlichkeit mit ihrem Mund. Langsam fing sie an, an ihm zu saugen und zu lecken. „Du bringst mich noch um“, keuchte er.

„Tu ich dir weh?“, fragte sie erschrocken.

„Nein, mach weiter.“

Abwechselnd saugte, leckte und knabberte sie zärtlich.

„Ich will dich! Jetzt!“, hauchte er. Er zog sie zu sich hoch und mit Schwung drehte er sie auf den Rücken.

Dann drang er in sie ein. Mit langsamen rhythmischen Bewegungen, ließen sie sich auf den Wellen zum Orgasmus tragen. Er schrie ihren Namen laut heraus, als es über ihm kam. Völlig erschöpft lag Claire in seinen Armen.

„Glaubst du wirklich, wir schaffen es?“, fragte sie leise.

„Ich glaube es nicht, ich weiß es“, sagte er mit Überzeugung.

„Ich hoffe du hast recht. Wenn ich dich verliere, wird mein Herz aufhören zu schlagen.“

„Du wirst mich nicht verlieren. Keinen von uns! Lass uns wieder ins Haus gehen. Wir sollten uns noch etwas ausruhen.“

Sie zogen sich an und liefen schnell durch den Regen ins Haus. Nach einem letzten Kuss, schlich Claire sich zu Zaira ins Zimmer. Zaira saß auf dem Bett und schaute sie erwartungsvoll an.

„Und?“, fragte sie neugierig.

„Was und? Wir haben das Geschirr gespült.“

„Drei Stunden lang?“

„Nun ja, zehn Minuten davon“, gab Claire zu.

„Und was habt ihr in den restlichen zwei Stunden und fünfzig Minuten gemacht?“, fragte Zaira mit einem Grinsen.

„Wir waren draußen im Gartenhaus.“

„Jetzt lass dir doch nicht alles einzeln aus der Nase ziehen. Wie war dein erstes Mal?“ Claire wurde rot.

„Es war nicht das erste Mal.“

„Wie jetzt? Ich dachte, du hättest noch nie?“

„Letzte Nacht, bevor ich den Brief fand, da war mein erstes Mal und es war phantastisch. Und mehr möchte ich nicht erzählen.“

„Ist ja gut, ich war nur neugierig.“

„Hattest du schon dein erstes Mal?“

„Nein, es kam immer irgendetwas dazwischen. Und dann, als ich es mir ganz fest vorgenommen hatte, wurde Luke entführt.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Oh Claire, ich vermisse ihn so sehr.“

„Ich weiß, ich vermisse ihn auch. Morgen werden wir ihn uns zurückholen und diesem Miststück Sandra kräftig in den Arsch treten.“

 

***

 

 

Am nächsten Morgen, nach einem ausgiebigen Frühstück – Joe hatte darauf bestanden – fuhren sie die Landstraße entlang.

„Wo ist dieser verdammte Wasserfall eigentlich?“, fragte Keno.

„Er liegt in der Counail Area Highland an der südöstlichen Seite des Great Glen am Loch Ness“, antwortete Eron.

Als sie nach ungefähr fünfundvierzig Minuten ankamen, verschlug es Keno und Zaira die Sprache. Es war ein wunderschöner Ort. Es waren zwei Wasserfälle übereinander.

Keno schätzte die Höhe auf etwa dreißig bzw. Zehn Meter.

„Und wo genau müssen wir hin?“, fragte er mit belegter Stimme.

„Am Lower Fall, der untere der beiden Wasserfälle, ist der Eingang zu einer Höhle. Dort haben Callandra und ich uns immer heimlich getroffen. Wir haben ihn durch einen Zufall entdeckt. Er ist sehr schwer zu finden und ich kann es mir nicht erklären, wie Aaron davon erfahren konnte. Aber er muss in der Höhle sein. Ich wüsste nicht, wo er hier sonst sein könnte.“

„Dann mal los“, sagte Joe und lief Eron hinterher.

Es war ein mühsamer Weg und hätte Keno nicht Claires Hand gehalten, wäre sie schon oft über Wurzeln und Steine gestürzt. Und dann hatten sie es geschafft. Sie standen vor dem Eingang der Höhle.

„Jetzt müssen wir leise und vorsichtig sein, sonst entdeckt uns Aaron“, sagte Keno leise.

„Er weiß bereits, dass wir hier sind“, sagte Eron. „Ich kann ihn spüren. Und wenn ich es kann, dann kann er es auch.“

„Du hast recht, ich spüre Luke auch. Jetzt wissen wir, dass er noch am Leben ist“, sagte Claire.

Sie betraten die Höhle und gelangten in einem großen Raum. Es führten zwei Gänge von dem Raum weg. An den Wänden hingen überall Fackeln, die die Gänge beleuchteten.

„Jetzt wissen wir wenigstens, dass wir hier richtig sind. Welchen Gang nehmen wir?“, fragte Zaira mit zittriger Stimme.

Der eine Gang führte gerade aus und der andere abwärts.

„Wir gehen erst hinunter und dann sehen wir weiter“, sagte Eron. Je weiter sie hinunter gingen, desto feuchter und kälter wurde es.

„Und hier hattet ihr eure Dates? Nicht gerade romantisch“, sagte Keno ungläubig.

„Nein, wir waren nur im Vorraum“, sagte Eron.

Es ging immer tiefer und als sie unten angekommen waren, standen sie vor einer verschlossenen, massiven Holztür. Eron murmelte ein paar leise Worte und die Tür sprang auf. Sie betraten einen großen Raum in dem mehrere verschlossene Zellen waren. An den Zellen vorbei, ganz hinten im Raum, saß, auf einem steinernen Thron, Aaron.

Er sah Eron, bis auf die Augen zum Verwechseln ähnlich. Wo Eron freundliche stahlblaue Augen hatte, hatte Aaron blutrote glühende Augen.

„Du hast dir ja viel Zeit gelassen, Bruder“, sagte er mit kalter Stimme. Er fuhr sich mit der rechten Hand über seinen langen, grauen Bart.

Claire sah Lukes Ring an seiner Hand schimmern.

„Wo ist mein Bruder? Was hast du mit ihm gemacht?“, schrie sie ihn an.

„Aber, aber, wer wird denn gleich so ungeduldig sein? Ihr möchtet doch sicherlich noch meine anderen Gäste begrüßen.“

„Was meinst du damit?“, fragte Eron gefährlich ruhig.

Aaron machte eine Handbewegung und Claire spürte, wie Joe sich an ihrer Seite versteifte.

„Joe? Würdest du bitte unsere anderen Gäste holen? Sie wollen das hier doch bestimmt nicht verpassen“, sagte Aaron mit einem falschen Lächeln auf den Lippen.

„Joe?“, fragte Claire geschockt und sah ihm in die Augen. Sie schrie auf, denn seine Augen waren plötzlich glühend rot. Sein Gesicht glich einer Maske.

„Joe, was tust du da? Komm wieder zu dir“, sagte Eron. Auch ihm war der Schock deutlich anzusehen. Dann verstand er.

„Wie hast du es geschafft, ihn in deinem Bann zu ziehen?“, fragte Eron seinen Bruder.

Aaron lächelte, während Joe sich umdrehte und in Richtung der Zellen ging.

„Es war schon fast zu leicht. Meine liebe Sandra brauchte ihm nur meine spezielle Mixtur unter zu jubeln und schon war er unter meiner Kontrolle. Was glaubst du denn, wer ihr den Brief überbracht hat? Er war es. Und das Beste daran war, dass keiner es bemerkt hat. Noch nicht einmal er selbst.“

„Nein!“, schrie Claire wieder und wollte auf ihn losgehen. Keno und Zaira hielten sie zurück.

„Nicht, er wird schon früh genug seine Strafe bekommen. Wir müssen erst wissen wo Luke ist!“, flüsterte Keno ihr ins Ohr.

In diesem Moment kam Joe in Begleitung zweier Personen zurück. Ein Mann und eine Frau. Auch ihre Augen waren blutrot. Die beiden waren so abgemagert, dass ihre Knochen herausragten. Claire hätte sie fast nicht erkannt.

„Mom? Dad?“, flüsterte sie unter Tränen.  

 

 

Der Kampf

 

 

Roger und Elisa Cameron gingen ungerührt weiter und stellten sich jeweils zur rechten und linken Seite an Aarons Thron. Joe stellte sich mit steifen Schritten hinter Aaron.

"Es war gar nicht so einfach an die Beiden ranzukommen, es musste ja alles wie ein Unfall aussehen. Der Schutz, der euch alle umgab, war einfach zu mächtig. Und dann endlich, habe ich es geschafft ... Ich tauschte ihre Körper mit zwei toten Obdachlosen aus und jagdte das Auto in die Luft."

„Du hast aus ihnen Gott verdammte Zombies gemacht! Du elendiger Scheißkerl. Dafür bringe ich dich um.“

„Nein Claire! Ich werde es tun. Er ist mein Bruder und nur ich allein kann ihn töten“, sagte Eron und ging langsam auf seinen Bruder zu.

„Wo ist der Junge?“, fragte er ihn.

„Keine Sorge, Bruderherz! Er lebt noch. Die Betonung liegt auf noch. Sandra kümmert sich ganz liebevoll um ihn. Wenn Claire ein braves Mädchen ist, und mir die Kette gibt, dann werdet ihr alle schnell sterben. Und wenn nicht, … tja … dann werdet ihr langsam und qualvoll sterben.“

„Also haben wir die Wahl, wie wir sterben wollen?“, fragte Keno aufgebracht.

„Aber natürlich, ich bin doch kein Unmensch“, lachte Aaron.

„Und was ist, wenn wir gar nicht Vorhaben zu sterben?“

„Mein Junge, sterben werdet ihr so oder so.“

„Auf mein Zeichen versucht ihr Joe, Roger und Elisa hier rauszubringen. Ich kümmere mich um Aaron. Und egal was passiert, er darf die Kette nicht bekommen“, flüsterte Eron den anderen zu.

„Wie sollen wir das machen? Sie sind unter seiner Kontrolle“, flüsterte Zaira verzweifelt zurück.

„Sie werden in einen tiefen Schlaf fallen, ihr müsst sie mit Magie rausschweben lassen. Wir müssen erst Aaron erledigen, dann suchen wir Luke.“ Er trat weiter vor und rief laut: „Wofür brauchst du die Steine?“

„Hast du es denn noch nicht erraten? Hmm … wohl nicht. Dann muss ich es dir wohl oder übel erklären. Die Steine zusammen, geben mir unermessliche Macht, Macht, die ich brauche um Callandra zurückzuholen. Dann wird sie mir gehören und mit ihr an meiner Seite, werde ich unbesiegbar sein.“

„Du bist doch wahnsinnig. Du kennst das Gesetz. Die Toten sollst du ruhen lassen. Sie wird nicht dieselbe sein.“

„Das will ich ja wohl auch hoffen. Was nützt mir ein Weib, dass gutherzig ist. Ich will sie gnadenlos und ohne Mitgefühl.“

Unauffällig machte Eron eine Handbewegung und Roger, Joe und Elisa sackten zusammen.

„Jetzt!“, schrie Eron und ließ ein großes Schutzschild über seine Schützlinge erscheinen. Bevor Aaron verstand, was los war, griff Eron an.

„Ihr bringt Joe und meine Eltern raus, ich helfe Eron“, rief Claire über dem Kampflärm hinweg zu Keno und Zaira.

Feuerkugeln und Blitze schossen durch die Gegend. Zaira duckte sich und lief zu den drei bewusstlos am Boden liegenden Personen hin. Erons Schutzschild flackerte kurz auf und verschwand. Der Kampf war zu anstrengend. Aaron nutzte die Gelegenheit und bombardierte Eron mit allem was er aufbringen konnte. Dann drehte er sich plötzlich um und schoss einen Blitz in Richtung Claire. Wie in Zeitlupe sah Claire ihn auf sich zukommen. Dann spürte sie, wie sie zur Seite gestoßen wurde und fiel zur Erde. Sie drehte sich um und erblickte Keno am Boden liegend.

„Neiiiin! Keno!“, sie kroch zu ihm herüber und drehte ihn um.

Er atmete nicht mehr.

„Nein, Keno, bitte du darfst nicht sterben. Das überlebe ich nicht.“

Sie versuchte ihm Luft in den Lungen zu pusten, aber es half nicht.

„Nutze deine Magie“, schrie Zaira.

Claire legte unter Tränen ihre Hände auf seiner Brust und schloss die Augen. Sie spürte wie Hitzewellen in ihr aufstiegen und sich durch ihre Hände auf Keno übertrugen. Es war ganz anders wie damals bei Joe und sie fühlte, dass sie es geschafft hatte. Er atmete.

„Keno, hörst du mich? Du Idiot, warum hast du das getan? Du wärst beinahe gestorben“, weinte sie.

Er öffnete stöhnend seine Augen und flüsterte: „Weil ich dich liebe!“

Sie schluchzte auf und küsste ihn, während ihnen weiterhin Feuerkugeln und Blitze um die Ohren flogen.

„He, ihr Turteltauben, könnt ihr das vielleicht auf später verschieben? Ich brauche hier Hilfe“, schrie Zaira.

„Hilf ihr und bring sie heil raus. Eron schafft es nicht alleine, ich muss ihm helfen“, sagte Claire.

Mühselig erhob Keno sich und humpelte zu Zaira.

Dann griff Claire an. Sie konzentrierte sich und sammelte ihre ganze Magie. Sie band sie zu einem gebündelten Strang und richtete ihn gegen Aaron. Der Strang traf und Aaron, der nicht mit ihrem Angriff gerechnet hatte, ging in die Knie. Eron zögerte nicht und umschloss ihn mit Wasser. Claire ließ es gefrieren, so dass es wie eine riesige Eiskugel aussah.

„Haben wir es geschafft?“, keuchte sie.

„Ich weiß es nicht“, sagte Eron außer Atem. In diesem Augenblick gab es einen lauten Knall und alles war in einem Nebel eingehüllt. Eissplitter flogen wie scharfe Geschütze durch die Luft.

„Infogio ementi pura lorus“, murmelte Eron und der Nebel verschwand.

„Er ist weg!“, rief Claire außer sich. „Einfach verschwunden.“

„Er ist geflohen. Es war ihm nicht möglich zu siegen, also hat er sich davongemacht.“

„Ich gehe Luke suchen. Kannst du dich bitte um die Anderen kümmern?“

„In Ordnung. Wenn sie in Sicherheit sind, stoße ich zu dir. Und Claire, pass auf dich auf. Sandra ist dort noch irgendwo.“

"Umso besser. Ich werde sie lehren, was es bedeutet, wenn sie sich an meiner Familie vergreift.“ Claire wollte sich gerade umdrehen, als sie ein Funkeln auf der Erde sah. Sie bückte sich und entdeckte Lukes Ring.

„Eron, schau“, sagte sie, hob den Ring auf und reichte ihn Eron.

„Was hat das zu bedeuten?“

„Gutes, Claire, mein Bruder hat aus mir unerklärlichen Gründen seine Macht verloren. Ansonsten hätte er den Ring nicht verlieren können. Nimm ihn mit und gebe ihn Luke zurück.“ Eron gab ihr den Ring und ging hinaus.

Claire lief zu den Zellen und öffnete eine nach der anderen. In der letzten sah sie eine Gestalt in der Ecke liegen.

„Luke? Bist du das?“, fragte sie ängstlich und ging auf sie zu. Es war nicht ihr Bruder und erleichtert stieß sie die Luft aus. Die Gestalt lag unnatürlich verkrümmt auf den feuchten Boden. Obwohl sie eindeutig tot war, sah Claire, wie sie sich bewegte. Sie trat näher heran. Ihr Verstand rief ihr zu, dass sie weiter nach Luke suchen sollte, aber Claire wurde von dem Körper wie ein Magnet angezogen. Sie erkannte mit Ekel, dass der Körper selbst sich nicht bewegte, sondern seine Haut. Sie war gräulich und warf Blasen, dicke Blasen, die sich verformten. Die Blasen spannten sich an und Claire konnte gerade noch mit einem Schrei zur Seite springen, als die Haut platzte und unzählige, schwarz behaarte Spinnen heraussprangen.

Angewidert rannte sie aus der Zelle und schlug die Tür hinter sich zu. Gehetzt lief sie den Fackelbeleuchteten Gang zurück und kam völlig außer Atem in den Vorraum an. Sie verschnaufte kurz und ging dann in den anderen Gang. Sie spürte, wie etwas warm ihr Gesicht herunterlief und wischte mit dem Handrücken darüber. Ein Eissplitter musste sie getroffen haben. Aus einem kleinen Riss auf ihrer Wange, lief Blut heraus. Achtlos wischte sie es mit ihrem Jackenärmel weg und lief weiter.

Hier war es nicht so feucht und kalt, ganz im Gegenteil. Es wurde immer wärmer. Am Ende des Ganges, betrat sie einen kreisrunden Raum. Ringsum an den Wänden, standen große Skulpturen. Zwei Männer und zwei Frauen. Die Männer trugen in ihren Händen jeweils Feuer und Erde, die Frauen trugen Wasser und einen kleinen Wirbelsturm, der wohl die Luft darstellen sollte. Zwischen Feuer und Wasser, lag Luke. Er wurde von Sonnenstrahlen, die durch ein großes Loch in der Decke fielen, angestrahlt.

„Luke!“ Sie rannte zu ihm und ließ sich neben ihn auf dem Boden fallen. „Was haben sie nur mit dir gemacht? Wach auf, bitte, bitte, wach auf.“

„Er wird nicht aufwachen. Er steht unter meinem Bann“, ertönte hinter ihr eine bekannte Stimme.

Sie drehte sich um und erblickte Sandra, die lässig – ja fast schon gelangweilt – an der Wand lehnte. Sie stieß sich ab und kam langsam auf Claire zu.

„Jetzt wird abgerechnet, du Miststück“, kreischte sie. Claire konnte den Wahnsinn in ihren Augen sehen.

„Du musst das nicht tun, Sandra. Noch ist keiner ernsthaft verletzt worden. Die anderen werden wieder gesund. Komm wieder zur Vernunft. Warum hilfst du ihm? Er ist böse und gefährlich!“

„Weil er mächtig ist, er versteht mich und bringt mir alles bei. Richtige Magie, und nicht den Kram, der im Dion gelehrt wird.“

„Es ist dunkle, böse Magie. Sie ist schlecht, er ist schlecht.“

„Er ist nicht schlecht, er ist mein Vater“, schrie sie mit weit aufgerissenen Augen.

Claire wusste, dass Sandra jetzt jeden Moment zum Angriff übergehen würde und konzentrierte sich auf ihrem Schutzschild.

„Dein ach so toller Vater hat die Biege gemacht und dich hier zurückgelassen. Was sagt das wohl über ihn aus?“, provozierte Claire sie.

Für einen Augenblick, sah Claire Angst in ihren Augen.

„Neiiin!“, schrie Sandra und schoss Eispfeile auf Claire, die jedoch an ihrem Schutzschild abprallten. Sandra feuerte ein Pfeil nach dem anderen ab und näherte sich Claire immer mehr. Die Konzentration, die Claire aufbringen musste, um ihr Schutzschild aufrecht zu erhalten, schwächte sie. Plötzlich durchbrach ein Pfeil ihr Schild und durchbohrte ihr Bein. Schreiend vor Schmerz brach sie zusammen und mit ihr, ihr Schild.

„Jetzt wirst du endlich sterben“, sagte Sandra mit kalter Stimme. „und wenn du tot bist, dann gehört Keno mir und keiner kann ihn mir je wieder wegnehmen. Ich musste schon Andrea unter Kontrolle halten, es war nervig, ihre schmachtenden Blicke und hirnloses Geschwärme zu ertragen. Und dann kamst auch noch du. Wenn mein Vater euch nicht so dringend gebraucht hätte, dann hätte ich euch schon lange getötet. Er wird frei von dir sein und mit einem kleinen Zauber, den mir mein Vater beigebracht hat, wird er auf ewig an mir gebunden sein.

„Niemals!“, schrie Claire, sammelte ihre letzte Kraft und schoss einen Dolch aus Feuer auf sie ab.

Er traf Sandra mitten ins Herz. Sandra brach mit einem ungläubigen Blick auf dem Boden zusammen. Rote Lachen bahnten sich ihren Weg über die Unebenheiten der Erde und krochen wie dunkle Finger immer weiter vorwärts. Doch Claire würdigte ihr keinen einzigen Blick mehr, sondern rannte zu Luke.

„Luke, bitte wach doch auf, es ist vorbei und alles wird gut. Nur bitte, wach auf.“ Sie weinte so bitterlich, dass es ihren ganzen Körper schüttelte. Sie versuchte ihn zu heilen, wie sie es bei Keno gemacht hatte, doch außer, dass ein kleines flackerndes Licht aufleuchtete, passierte gar nichts. Sie beugte sich über ihn und küsste ihm ganz vorsichtig seine zerschundene Stirn. Plötzlich hörte sie ein Geräusch hinter sich. Sie drehte sich erschrocken um. Keno kam, gestützt von Zaira, in den Raum.

„Komm Claire, zusammen schaffen wir es“, sagte er schwach. Er nahm ihre Hand und legte seine andere zusammen mit Claires auf Lukes Brust. Claires Kette leuchtete hell auf und erfüllten den Raum mit gleißendem Licht. Lukes Augenlider zuckten und dann öffnete er sie mit einem leisen Stöhnen.

„Oh Luke“, schluchzte Claire.

„Wo sind wir? Was ist passiert?“

„Das erklären wir dir später.“

 

 

 

Zusammen

 

 Sie saßen im Privatflugzeug der Camerons und waren auf dem Weg nach Deutschland. Eron hatte darauf bestanden, alle ins Dion zubringen, da man sich dort besser um sie kümmern konnte. Elisa und Roger saßen mit ihren Kindern zusammen und hielten sich einfach nur, fest. Joe saß bei Eron und schüttelte die ganze Zeit nur den Kopf. Er konnte nicht verstehen, wieso er Sandra nicht direkt durchschaut hat. Keno und Zaira saßen bei den Camerons und Zaira strahlte vor Glück, dass Luke wieder bei ihr war.

Im Dion angekommen, wurden sie alle in der Obhut von Ruby gegeben, die sich sehr darauf freute, Joe zu bemuttern.

„Da bahnt sich doch was an“, kicherte Zaira gerade so laut, dass Joe sie hören konnte.

„Pass auf, was du sagst, sonst gibt es extra Stunden im Waffentraining für dich“, lachte er.

Keno und Claire schlichen sich in dem Trubel auf der Krankenstation davon. Sie stützte sich mit ihrem Gipsbein auf Keno und wollten gerade durch den Gemeinschaftsraum nach draußen, als Andrea ihnen über den Weg lief.

„Och nein, wie schade, ich hatte gehofft, dass ich euch los bin. Naja, was nicht ist, kann ja noch werden.“

Keno und Claire sahen sich an und grinsten. Sie winkten ihr noch zu und ließen sie stehen.

„Was denn? Kein Kommentar du fettes Rumgehopse?“, schrie Andrea ihnen hinterher. Claire blieb stehen, schloss kurz die Augen und wedelte mit ihrer Hand. Eine riesengroße Wasserblase erschien – unbemerkt von Andrea – über ihr. Claire drehte sich um und grinste sie nur an. Dann schnippte sie mit den Fingern und die Blase platzte.

Keno kriegte sich vor Lachen kaum ein.

„Tja, manche Dinge ändern sich wohl nie“, sagte Claire und ging mit ihm hinaus. Sie zog ihn zu der Trauerweide, wo sie sich zum ersten Mal geküsst hatten und setzten sich in den Schatten des Stammes.

„Glaubst du es ist vorbei? Ist er wirklich weg?“, fragte Claire ihn.

„Ich weiß es nicht. Und wenn er zurückkommen sollte, dann treten wir ihm entgegen.“

„Ich habe einen Menschen getötete. Ich weiß nicht wie ich damit klarkommen soll.“

„Wir schaffen das. Zusammen können wir alles schaffen. Und außerdem, es war Notwehr. Sandra wollte dich töten. Was hättest du sonst tun sollen?“ Er zog sie ganz nah an sich heran. „Ich liebe dich!“, hauchte er in ihr Ohr und dann küsste er sie, als wenn es keinen Morgen mehr geben würde.

 

 

Epilog: Die Prophezeiung

 

 

Zwei Jahre später.

„Ihr seht wunderschön aus“, sagte Elisa und tupfte sich die Tränen aus den Augen.

„Mom, bitte nicht weinen.“

„Wenn die Tochter und der Sohn am selben Tag heiraten, dann darf eine Mutter auch weinen“, sagte Elisa.

„Ist Dad schon fertig? Er war ja aufgeregter als wir.“

„Ja, er ist fertig. Luke und Keno stehen schon unten und machen sich gegenseitig verrückt.

⦁ Wo sind die Ringe?

⦁ Wann kommt der Pfarrer?

⦁ Wie werden sie aussehen?

Und so weiter und so fort.“ Claire und Zaira fingen laut an zu lachen. Plötzlich klopfte es an der Tür.

„Das werden Eron und dein Vater sein. Es geht los.“

Claire und Zaira warfen noch einen letzten Blick in den Spiegel. Sie hatten identische Kleider an. Obenrum waren sie eng geschnürt, sodass ihre Taillen und der Brustansatz gut zur Geltung kam. Von der Taille abwärts, fächerten sich die Kleider weit auseinander. Die Ärmel und die Schleppe waren aus feinster Spitze. Zufrieden gingen die beiden zur Tür raus. Dort hakten sie sich bei Roger und Eron ein und gingen den langen Gang zum Traualtar um ihre ewige Treue zu schwören.

 


***

 

 

Das Fest war berauschend.

Als die frisch vermählten Brautpaare die riesige Torte anschneiden wollten, gingen plötzlich die Türen auf und eine Frau betrat den Saal. Sie war ganz in weiß gekleidet und ein strahlendes Licht ging von ihr aus. Fast schwebend ging sie mit einem strahlenden Lächeln auf die vier zu.

„Ich begrüße euch. Man nennt mich Sanna, das weiße Orakel. Ich überbringe euch meine besten Wünsche“, sagte sie mit glockenheller Stimme.

„Wir danken Ihnen von ganzem Herzen und heißen sie herzlich willkommen“, antwortete Keno ihr.

„Ich möchte kurz mit euch alleine reden, wenn es möglich wäre“, sagte Sanna.

„Aber natürlich, lassen sie uns nach draußen gehen“, sagte Claire.

Sie traten hinaus in die warme Sommernacht. Ein leichter Nieselregen fiel auf Inverness. Sie stellten sich unters Dach eines Pavillons und warteten darauf, dass Sanna anfing zu reden. Doch sie stand einfach nur da und beobachtete die vier. Besonders auf Claire und Keno blieb ihr Blick lange hängen. Dann griff sie in den Falten ihres Kleides und holte einen schneeweißen Briefumschlag heraus.

„Das ist eure Prophezeiung“, sagte sie zu Claire und Keno.

„Eine Prophezeiung?“, fragte Keno verblüfft.

„Ja, sie betrifft euch und eure Kinder.“

„Kinder? Aber wir haben doch noch keine Kinder“, sagte Claire.

„Noch habt ihr keine, aber die Zeit wird kommen. Lest die Prophezeiung und wendet das Böse ab.“ Nebel kam auf und Sanna verschwand vor ihren Augen. „Viel Glück!“, hörten sie noch ihre Stimme im Nebel.

„War das gruselig“, sagte Zaira. „Komm, mach den Brief auf.“

Mit zitternden Händen öffnete Claire den Brief.

 

Das Böse kommt zu neuer Macht

Alles scheint verloren

Doch in der dunklen Zeit hinein

Werden Zwillinge euch geboren

Sie allein haben die Kraft

Alles zum Guten zu wenden

Doch habt acht und passt gut auf!

Das Böse darf ihre Herzen nicht berühren

Zu leicht lässt man sich verführen

Euch retten können sie nur

Ist in ihren Herzen

Vom Bösen keine Spur

 

 

Ende Teil 1

 

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 11.02.2016

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch meinem Schatz, weil er so geduldig mit meinen Rechtschreibungsfragen war. Und natürlich Eyris die mich ermutigt hat hier was anzufangen und mir mit Rat und Tat zur Seite stand. Auch Judith Soul und Stefanie Marktstoller möchte ich danken, weil sie mir mit einigen Kapiteln geholfen haben. Und ein ganz besonderen dank, gilt meinen Lesern Vielen lieben dank

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