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Der Stollen

Sie kam gerade von einem kleinen Spaziergang zurück, als Oswald sich anschickte das Grundstück zu verlassen. Er geht sicher wieder in diese Höhle, wie er es so oft tat. Nun waren Höhlen eigentlich für sie völlig ohne Bedeutung, aber Oswald tat beim Essen in der Küche immer so fürchterlich geheimnisvoll, daß sie beschloß, ihm heute einmal in sicherer Entfernung zu folgen.

 

Nach gut einem Kilometer gähnte der Eingang des Stollens aus dem Berg, dem die Kräfte der Erosion schon arg zugesetzt hatten.

 

Auch der Stollen hatte seine besten Tage schon hinter sich, denn Oswald war offensichtlich der einzige, der sich noch dafür interessierte, von einigen Touristen abgesehen, die wohl meinten, dort irgendwelche Schätze zu finden. Vielleicht waren ja auch tatsächlich noch welche dort, denn warum sprach er immer verschwörerisch über dieses Erdloch?

 

Na, sie würde der Sache jetzt mal auf den Grund gehen. Oswald kramte sein Schlüsselbund aus der Hosentasche und öffnete das alte Bügelschloß, das sicher noch aus der aktiven Zeit des Bergwerkes stammte und verschwand im Gedärm des Hügels.

 

Auf leisen Sohlen huschte sie hinterher, immer darauf bedacht, nicht von ihm entdeckt zu werden. Im Halbdunkel der Deckenbeleuchtung ging Oswald zielstrebig seinem Ziel entgegen und sie in sicherem Abstand hinterher.

Plötzlich blieb er vor einer Tür stehen, die so gar nicht zu der ganzen Einrichtung hier passen wollte und öffnete das Schloß, das so modern aussah, wie jenes in ihrer Haustür.

 

Er hakte die offene Tür an der Stollenwand fest, schaltete das Licht im Raum dahinter an und ging hinein.

 

Sie wartete einige Sekunden, bis sie meinte, seine Schritte seien nun leise genug ihm vorsichtig folgen zu können.

 

Behutsam schlich sie an der Wand entlang, als sie hinter einer Biegung Oswald sah. Er stand vor einem langen Regal, das voller Weinflaschen war, nahm die eine oder andere in die Hand, als wolle er deren Temperatur prüfen. Als er sich gerade an einem Kästchen an der Wand zu schaffen machte, an dem bunte Lichter leuchteten, hörte sie ein Rascheln. Eine Maus?  Oder gar noch eine Nummer größer? Es raschelte im Raum links neben ihr. Ob er das auch gehört hatte?

 

Mit langen, leisen Schritten wollte sie die Ursache dieses Geräusches stellen und zum Schweigen bringen, als das Licht erlosch, und sie hörte wie Oswald die Tür schloß und zusperrte.

 

Sie war gefangen !

 

Im Dunkeln zur Tür hetzend schrie sie ihm hinterher, aber er war wohl schon außer Hörweite.

 

Ihr Herz schlug schnell. Dieses verdammte Vieh mit seinem Geraschel! Jetzt wo sie eingesperrt war mit diesen vielen Flaschen war es mucksmäuschenstill. Dieser Nager mußte durch eine der Spalten seinen Weg aus diesem Verließ gefunden haben.

 

Was sollte sie tun?  Warten bis Oswald wiederkam?  Er ging nicht jeden Tag in den Stollen, wie lange konnte es also dauern, bis er sie aus ihrer mißlichen Lage befreien würde? Stunden? Tage?

 

Was sollte sie trinken? Die Flaschen waren ja gefüllt, aber wie sollte sie sie aufbekommen? Was sollte sie essen? Ihre Gedanken kreisten,  bis sie auf dem kalten Boden einschlief.

 

Ihr Schlaf währte nicht lange, denn es war hier ziemlich kühl, obwohl ihr wärmendes Outfit der Kälte mutig trotzte, sehnte sie sich nach der gemütlichen Wärme des Hauses, welches für sie im Moment unerreichbar war. Sie hätte dieses nagende Fellknäul umbringen können, das jetzt sicher in seiner isolierten Höhle saß und in aller Ruhe schlief.

 

Nun kam er, der Durst.  Sie schlich zu den Flaschen, deren gekühlter Inhalt nur durch Glas und Korken von ihr getrennt war. Sie leckte an einer Flasche, um etwas vom kondensierten Wasser zu erheischen, aber es war der Mühe nicht wert.

 

Da hörte sie, wie sich Schritte ihrem Gefängnis näherten. Das konnte, nein, das mußte ganz einfach Oswald sein.  Sie hatte keinen Zeitbegriff in dieser Dunkelheit, wußte nicht ob es Tag oder Nacht war. Aber das Geräusch der Schritte war real!

 

Da, der Schlüssel wurde ins Schloß gesteckt und gedreht, die Tür schwang auf. 

 

Tatsächlich betrat Oswald den Raum und schaltete das Licht an.

 

Kleinlaut schaute sie ihn an und brachte keinen Ton heraus.

 

Er sah sie völlig überrascht an und sagte:

 

„Was machst Du denn hier?  Wie bist Du denn hier reingekommen?“

 

Sie wußte genau, wie sie diese Situation jetzt nur noch retten konnte.

 

Sie faßte sich ein Herz und sprang auf seinen Arm, leckte ihm über sein Gesicht und schnurrte.

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Tag der Veröffentlichung: 14.04.2014

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