„Dieser verdammte Ehrenkodex! Ich hasse ihn. Wer den erfunden hat, gehört gevierteilt, gekocht und den Werwölfen zum Fraß vorgeworfen.“
Der riesenhafte Sokrates mit dem kindlichen Gesicht war nicht der Erste, der den Kodex verfluchte. So, oder so ähnlich, hatte wohl jeder Held sich in den letzten Jahren schon mal Luft verschafft. Als der Kodex für alle Helden Jahre zuvor als verbindlich erklärt wurde, machte es Sinn, für Heldentaten kein Salär annehmen zu dürfen. Bezahlte Arbeit war eines Helden unwürdig und jeder wäre sich schäbig vorgekommen, etwa für die Rettung einer Jungfrau aus den Klauen eines Drachens Bezahlung anzunehmen? Undenkbar!
Doch damals war die Apanage eines Helden erster Klasse noch etwas wert. Man konnte bequem davon leben und sich ganz der Verteidigung Bedrängter oder dem Kampf mit Bösewichtern widmen. Kein Problem, wenn der Heros nach Hause kam, war die Miete bezahlt, die Heizung strahlte Wärme ab, und selbst das Futter für den Höllenhund konnte er sich leisten. Heutzutage dagegen …
Seit Jahren keine Erhöhung der Apanage, galoppierende Inflation, Ignoranz der Entscheidungsträger, kurz: Es ging den Helden beschissen. Und der hünenhafte Sokrates war besonders übel dran. Was er alles in sich hineinstopfen musste, um halbwegs satt zu werden, hätte eine zehnköpfige ausgehungerte Familie vor das ernste Problem gestellt, wie sie das alles verputzen soll. Ein Omelett aus zwei Dutzend Straußeneiern diente ihm gerade mal als Vorspeise. Wie sollte da noch das Geld für seine Dreizimmerwohnung übrig bleiben? Sokrates musste sich etwas einfallen lassen.
Und das alles wegen dieses Scheiß Ehrenkodexes, dachte er.
„Ich bin hier wegen der Anzeige.“ Der mickrige Mann, der vor Sokrates stand, sah halb verhungert aus. „Oder hast du schon andere Helden als Untermieter genommen? Aber ich merke schon, ist nicht der Fall.“
Sokrates rieb sich die Augen. Was er vor sich sah, verblüffte ihn aufs Äußerste. Wenn diese halbe Portion dazugehörte, war die ehrenwerte Gilde der Helden dem Untergang geweiht, dachte er. Mit einem einzigen Hieb seiner Pranke konnte er den Kerl ungespitzt in den Boden rammen, sodass nicht einmal mehr sein lächerliches Hütchen herausschaute.
„Ähem, … was?“ Zu mehr reichte seine eher bescheidene Eloquenz angesichts dieses spatzenhaften Antihelden nicht.
„Du suchst doch Untermieter. So steht es in deiner Anzeige. Und hier bin ich!“
Sokrates konnte es immer noch nicht glauben.
„Du bist doch keiner von uns!“
„Oh doch, mein HQ ist 185.“
Noch nie hatte Sokrates von einem solch hohen Heldenquotienten gehört. Er selbst konnte 180 vorweisen und war überzeugt gewesen, niemand könne ihm das Wasser reichen. Und jetzt behauptete dieser Gnom …
„Hier mein Heldenausweis“, unterbrach der Winzling seine Gedankengänge.
‚Samson‘, las Sokrates, ‚HQ 185‘. Un-glaub-lich!
„Wie beim Olymp …?“, begann er, wurde jedoch erneut von dem Besucher unterbrochen.
„Willst du mich nicht erst mal hereinbitten? Es ist kalt und zugig hier auf der Treppe.“
Oh Mann, dachte Sokrates, wie konnte man nur so verweichlicht sein. Der unverwüstliche Sokrates ertrug Temperaturen zwischen -40 und +50 Grad Celsius. Über Tage hinweg! Und dieses Weichei klagte …
„Gemütlich hast du es hier.“
Verwundert bemerkte Sokrates, dass Samsons Stimme sich hinter seinem Rücken vernehmen ließ. Wie, um des Gehörnten willen, war er dorthin gekommen? Eben hatte er doch noch vor ihm gestanden. Wie vom Zerberus gebissen fuhr Sokrates herum … und hatte wieder einmal nicht bedacht, dass er nur seitlich durch die Tür passte. Seine linke Schulter knallte gegen den Türrahmen und ein Batzen Gips schoss wie eine Kanonenkugel durch den Raum. Der Besucher, der unglücklicherweise direkt in der Flugbahn des tödlichen Geschosses stand, wich mit einer blitzschnellen Bewegung aus, sodass es gegen die Schrankwand hinter ihm klatschte und etliche Tassen zu Bruch gingen. Oder gegangen wären, wenn sie nicht vorsorglich aus vulkanisiertem Steingut gefertigt gewesen wären.
„Du bist einer dieser Flinkblitzer.“ Ein Geistesblitz, wie er Sokrates eher selten heimsuchte. Bisher war ihm noch nie ein Exemplar dieser Spezies begegnet. Die Märchen über sie hatte er nie geglaubt.
Ein breites Grinsen gab ihm recht. Mit deutlich mehr Respekt bat Sokrates seinen Gast zu Tisch. Eine Sonderanfertigung aus mit Stahlbeschlägen eingefasster Mooreiche. Die Stühle wogen jeder anderthalb Zentner und Samson hatte Mühe, den ihm zugewiesenen zurechtzurücken. Als er endlich saß, befanden sich seine Augen in Höhe der Tischkante, sodass er sich lieber auf die Sitzfläche kniete.
„Mann, Samson, deine Aufnahmeprüfung war sicher Hammer! Wie bist du nur auf diesen irren HQ gekommen?“
„Erzähl erst mal von deiner, ich liebe diese Storys, bei denen handfest geprügelt wird.“
„Gut geraten“, ergriff Sokrates die Gelegenheit. Die Geschichte hatte er schon Hunderte Male erzählt, und doch bereitete es ihm immer noch Vergnügen.
„War verdammt schwer, mich zu entscheiden. Kampf mit dem Drachen oder Jungfrau aus den Klauen von drei Böslingen retten.
Drachen war langweilig. Meine Keule hatte schon fünf Kerben. Böslinge hatte ich aber noch keine verdroschen. Das würde ein Mordsspaß. Dachte ich. Aber dann war es mistigerweise schon nach acht Sekunden vorbei. Ich schnappte mir Nummer eins und haute ihn Nummer zwei um die Ohren. Der stürzte nach hinten und prallte gegen Nummer drei. Das Knacken der gebrochenen Nase war ein prima Geräusch.
Und das war‘s dann leider auch schon. Der miese Feigling hob die Hand und gab auf. Die beiden anderen konnten keine Hand mehr heben. Am besten war dann der Kuss von der geretteten Jungfrau. Ihr Parfüm war klasse! So riechen auch die Briefe, die sie mir noch ab und zu schreibt.“
„Bravo, mein Lieber, du bist ein wahrer Held! Dafür hätte es einen HQ von 200 geben müssen!“
„Ähem … gab es ja auch. Haben mir aber hinterher was abgezogen. Wegen der Theorie, weißt du. Das waren vielleicht blöde Fragen!“
„Aha, verstehe!“
„Aber jetzt du. Bin gespannt wie eine Steinschleuder. Wie hast du einen HQ von 185 geschafft?“
„Auch ich hatte die Wahl zwischen zwei Szenarien …“
Ein dröhnender Glockenschlag an der Haustür schnitt ihm das Wort ab.
„Verdammt, wer ist jetzt das schon wieder?“, erboste sich Sokrates, wuchtete seinen schweren Körper vom Stuhl hoch und begab sich zur Tür.
„Ich komme wegen der Anzeige“, war eine piepsige Stimme zu vernehmen und anschließend Sokrates‘ poltrige, die den neuen Gast hereinbat.
„Noch so ein komischer Held“, stellte der Hausherr den Neuankömmling vor und rückte ihm einen weiteren Stuhl zurecht. Was der sicher nicht hinbekommen hätte, denn er war gebrechlich und deutlich jenseits der 70. Auch er kniete sich auf die Sitzfläche, damit er auf den Tisch schauen konnte.
„Sieht so ein Held aus, wenn er älter wird?“, fragte sich Sokrates. Allerdings war er im Leisedenken ein Totalversager.
„Das kann man so nicht sagen“, gab ihm der Alte zur Antwort, „ich bin kein gewöhnlicher Held. Bin ein H.C.“
„Wahnsinn!“, entfuhr es Samson. „Ich habe noch nie einen getroffen, nur gehört, dass es einige wenige Exemplare geben soll.“
„Wofür steht das H.C.?“, wandte sich Sokrates an den Alten. „Hab ich mich schon immer gefragt.“ Doch Samson antwortete an dessen Stelle.
„Honoris causa. Ein Ehrenheld also. Sozusagen. Keine Aufnahmeprüfung und kein HQ. Statt dessen eine Heldentat von überragender Bedeutung.“
Sokrates staunte mit offenem Mund.
„Erzähl mal!“, wandte er sich an den neuen Gast.
„Ich heiße Benjamin. Und ja, ich habe eine Heldentat vollbracht. Habe eine Kleinstadt vor einer Katastrophe bewahrt. Ist noch gar nicht so lange her. Etwa 30 Jährchen. Seitdem habe ich den Heldenstatus. Aber von dem Heldengeld kann man ja nicht mehr leben!“
„Eine ganze Kleinstadt gerettet? Wie macht man denn so was?“
„Es gab da einen Terroristen mit einer Bombe. Er hatte sich im Krankenhaus verbarrikadiert und drohte, das ganze Städtchen in die Luft zu sprengen. Mit seinem Bombengürtel waren etliche Bömbchen in der Stadt verbunden. Er verlangte wegen irgendeiner Rachesache von den Stadtoberen irgendwas mit Unterhöschen. Ich muss gestehen, ich hab‘s vergessen, obwohl es sehr speziell war. Jedenfalls waren die nicht bereit, die Forderung zu erfüllen.
Ich hatte keine Ahnung von der prekären Lage, während ich am Bettchen meiner Schwester in besagtem Krankenhaus saß. Um keine Panik aufkommen zu lassen, hatte man nämlich die Insassen und Besucher nicht informiert.
Schon damals hatte ich eine leichte Inkontinenz, und so musste ich das anregende Gespräch mit meinem Schwesterchen unterbrechen, um meine Blase zu entleeren. Als ich auf den Flur trat, kam mir zufällig der Attentäter entgegen. Mir war sofort klar, dass dieser Mann Übles im Sinn hatte. Er hielt in der rechten Hand krampfhaft ein Schnürchen an die Brust gedrückt. Ein Bombengürtel, kam mir spontan in den Sinn. Betont unauffällig schlenderte ich auf den Fremden zu, und als wir auf gleicher Höhe waren, schlug ich ihm die Handkante an die Halsschlagader. Ohne einen Laut von sich zu geben, stürzte er zu Boden. Blitzschnell griff ich nach seiner Hand, damit er nicht aus Versehen die Bombe zündete. Und es gelang, das Unglück war abgewendet.“
Benjamin hatte es während seiner Erzählung nicht auf dem Stuhl gehalten. Beim letzten Satz tanzte er umher wie ein Irrwisch und strahlte wie frisch gewienertes Parkett.
„So wurde ich zum Helden h. c. auf Lebenszeit ernannt.“
„Toll! Ein Abenteuer, wie ich es liebe“, ließ sich Sokrates vernehmen.
„Wirklich prima erzählt“, meinte Samson. „Aber jetzt würde ich gerne die wahre Geschichte hören.“
„Wie? Was?“
„Na, das war doch erstunken und erlogen. So hat sich das garantiert nicht abgespielt. Man kann mich vieles, aber nicht belügen.“
„Du bist der Erste, der sowas sagt. Aber ich muss zu meiner Schande gestehen, du hast des Pudels Kernchen getroffen. Es war ein klein bisschen anders.“
„Also raus mit der Wahrheit!“
„Nun … also … ich musste so dringend pinkeln, dass ich die Tür im Laufschritt aufriss. Gerade in diesem Momentchen ging der Attentäter draußen vorbei und bekam die Tür direkt vor den Kopf geknallt. Er ging zu Boden und streckte alle viere von sich. Zum Glück hatte er die Reißleine nicht gezogen. Ich war damals arbeitslos und brauchte dringend Geld. So kam ich auf die Idee …“
„Oh ja, jetzt ist es ein Abenteuer nach meinem Geschmack“, bekundete Samson und klatschte in die Hände.
„Aber die Norm!“ polterte Sokrates. „Wie hast du die all die Jahre erfüllt?“
„Du meinst die drei Jungfrauen im Jahr, die man als Held retten muss?“, konkretisierte Samson.
„Ja, die schafft so einer wie Benjamin nie! Den macht doch jeder Drache und jeder Bösling … patsch – patsch – patsch … platt wie eine Plunder!“
Dabei schlug Sokrates drei Mal so heftig mit der flachen Hand auf den Mooreichentisch, dass Benjamin nur knapp einem Knalltrauma entging. Der Flinkblitzer hatte natürlich längst zwei Finger in den Ohren.
„Nun, die Leutchen glauben mir. Und außerdem ist das Glück mir hold.“ Treuherzig schaute Benjamin die beiden über den Rand seiner Nickelbrille an.
„Also, wie sieht es aus, Sokrates, können wir hier einziehen?“, brachte Samson den eigentlichen Grund ihres Beisammenseins wieder in den Fokus.
„Erst noch Samsons Geschichte. Er muss erzählen, wie er auf einen HQ von 185 gekommen ist. Noch nie hatte einer einen höheren HQ als ich.“
„Kein Problem, haltet euch fest und schnallt euch an. Auch ich hatte die Wahl zwischen zwei Szenarien“, begann Samson seine Erzählung. „Ein Kampf gegen drei Zentauren oder einem Greif ein Ei stehlen. Zentauren finde ich langweilig, die können nichts als schnell rennen. Da fand ich den Greif anspruchsvoller.“
„Oh ja, mich hat mal einer auf Feuerland angegriffen. Da saß ich gerade auf dem Donnerbalken“, berichtete Sokrates. „Seither weiß ich, dass sie gegen Gerüche empfindlich sind, er hat von alleine die Flucht ergriffen. Seine einzige Beute war ein Büschel Haare. Und mein rechtes Ohr. Das hier ist künstlich.“ Sokrates griff sich an die rechte Seite des Kopfs und schraubte sein Ohr ab.
„Sieht verdammt echt aus“, meinte Benjamin bewundernd.
„Erzähl weiter, wie war das mit dem Greif?“, fragte Sokrates und schraubte sein Ohr wieder an.
„Das verflixte Vieh hatte gerade drei Eier gelegt. Je mehr Eier sie haben, desto reizbarer sind sie. Normalerweise legen sie nur eins, doch dieses Exemplar – gleich drei! Zudem gab es weitere Probleme. Solch ein Ei wiegt fast einen Zentner. Und der Horst befand sich auf einem Berg, in 2.500 Meter Höhe, unzugänglich und ständig bewacht.“
„Wow, ein schier unlösbares Aufgäbchen“, befand Benjamin.
„Dachte ich anfangs auch. Doch ich hatte schon seit Jahren an einem Flugapparat getüftelt und das sollte mir nun von Nutzen sein. Zweihundert geflügelte Mini-Pegasusse wurden angespannt und auf mein Händeklatschen flogen sie auf. Mit Lenkleinen dirigierte ich sie in Richtung Greifberg und näherte mich dem Horst. Immer wieder umrundete ich das Nest und machte den Greifen zusehends nervöser. Sollte er auffliegen und angreifen? Darauf spekulierte ich natürlich. Immer dichter flogen wir um ihn herum. In seinen bösen Augen konnte ich sehen, dass er mittlerweile rasend vor Wut war. Endlich ging ein Ruck durch seinen Körper und er stand im Nest, abflugbereit.
Um ihm den letzten Anstoß zu geben, verharrte ich nur wenige Meter vor ihm in der Luft. Mit einem einzigen Schwung konnte er uns zerschmettern. So sollte es aussehen. Kaum stieß er sich ab, gab ich den Pegasussen Leine und wir stiegen senkrecht nach oben, sodass der Greif unter uns durchschoss. Bis er eine Kurve geflogen hatte und wieder zum Nest zurückkommen konnte, würde einige Zeit vergehen, während wir uns direkt über dem Horst befanden.“
„Super gemacht“, krähte Benjamin, der mitfieberte, „aber wie kommst du an das Ei? Ich hätte keinen Plan gehabt.“
„Das Ei zu ergattern, war nicht die Schwierigkeit. Im Nu hatte ich das Netz, das ich mitgebracht hatte, über ein Ei geworfen. Durch den Zug legte es sich drum herum, und als wir stiegen, hing das Ding unter unserem Luftgefährt. Das eigentliche Problem war der Greif, der sich in schnellem Anflug befand. Doch auch der stand jetzt vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Wie sollte er sein Ei wiederbekommen? Wenn er uns angriff und wir abstürzten, zerschellte es auf den Felsen.“
„Stimmt, und wie ging es dann weiter?“
„Um dem Greif die Entscheidung abzunehmen, ob er uns angreifen sollte oder nicht, hatte ich noch ein kleines Paket über seinem Nest abgeworfen. Die Lunte war auf drei Minuten ausgelegt und brannte munter vor sich hin, während wir uns schnell vom Horst entfernten, den Greif im Gefolge. Irgendwann musste er begreifen, dass sein Ei so oder so verloren war. Also konnte er uns auch in der Luft zerfetzen. Und genau in dem Moment, in dem er sich hochschraubte und zum Sturzflug ansetzte, explodierten in seinem Nest die harmlosen aber lautstarken Knallkörper. Sofort drehte er ab und flog zum Nest zurück, um die beiden ihm verbliebenen Eier zu schützen.“
„Genial!“, freute sich Benjamin wie ein kleines Kind, und Sokrates brummte: „Hätte ich nie geschafft!“
„Als der Greif bemerkte, dass seinen Eiern nichts passiert war, konnte er uns nicht mehr erreichen, wir hatten uns zu weit entfernt. So also kam ich zu meinen HQ von 185.“
„Eine tolle Geschichte“, brummte Sokrates und stand auf. „Aber jetzt muss ich dringend aufs Klo. Dauert nur einen kurzen Moment.“
Als er sich auf der mit Armiereisen verstärkten Klobrille niederließ, tat er das keineswegs, um sich zu erleichtern, da hatte er eben eine kleine Notlüge von sich gegeben. Es rumorte nicht in seinen Eingeweiden, sondern in seinem Kopf. Die Erkenntnis, dass man mit Intelligenz, Schnelligkeit und List ein ebenso großer Held werden konnte wie mit Stärke und Kraft, erschütterte sein Weltbild. Darüber musste er in aller Ruhe nachdenken und nirgendwo konnte er das besser als auf dem Klo – eine langjährig erprobte Tatsache. Die Zeit verflog, während in Sokrates langsam ein Entschluss reifte, der in der Folge die Welt verändern sollte.
„Ihr gefallt mir. Alle beide“, verkündete er, als er nach etwa einer halben Stunde wiederkam. „Aber es gibt da ein Problem. Es ist nur ein Platz in der Wohnung frei.“
„Wieso das? Es gibt doch drei Zimmer“, wollte Samson wissen.
„Woher weißt du das? Hab ich doch gar nicht erzählt. Aber es geht trotzdem nicht. Kommt mit, ich zeige euch wieso.“
Beide Besucher folgten Sokrates durch den Flur, um die Ecke, dann standen sie vor einer dicken Eichentür. Sokrates zog einen kiloschweren Schlüssel aus seiner Hosentasche, schob ihn ins Schlüsselloch und öffnete umständlich die Tür.
„Seht ihr, es geht nicht“, sagte er zu den staunenden Besuchern, als sie eingetreten waren.
Hellebarden, Schwerte, Morgensterne und Steinschleudern lagen wild durcheinander. An der Wand hingen Pfeil und Bogen riesigen Ausmaßes. Mitten im Raum stand eine gewaltige Wurfmaschine, wie sie zu Belagerungen benutzt wird. Benjamin rätselte, wie sie in diesen Raum gekommen war, sie passte weder durch die Tür noch durch das winzige vergitterte Fenster.
Von der Decke hingen Schilde aller Größe, verziert mit Knochen und Steinen.
„Wahnsinn“, entfuhr es Samson.
„Irre“, bestätigte Benjamin seine Einschätzung.
„Diese Dinge liebe ich, die kann ich nicht wegtun. Jede Waffe war schon im Gebrauch. Da hängen Erinnerungen dran.“
„Verstehe“, zeigte Samson Einsehen. „Aber ich bin bereit, ein Zimmer mit Benjamin zu teilen. Wir Helden müssen zusammenrücken.“
„Kein Problem, ich bin Weltmeister im Zusammenrücken. Bin einverstanden, mit dir ein Zimmer zu teilen. Was meinst du, Sokrates, haben wir einen Deal?“
Der Angesprochene zögerte nur einen kurzen Moment.
„Stoßen wir auf unsere WG an! Hab da noch eine Flasche Drachenblut, fünfzehn Jahre im Eichenfass gelagert. War Geschenk von einer eisernen Jungfrau. Für eine besondere Gelegenheit. Und die ist heute. Trinken wir auf Brüderschaft!“
So begann eine außergewöhnliche Freundschaft, in deren Verlauf sich Abenteuer an Abenteuer reihte. Die Heldentaten der drei Gefährten sind legendär und lehrten die Schurken der Welt das Fürchten. Doch das, meine Freunde, ist eine andere Geschichte.
Cover: KELLEPICS bei Pixabay
Lektorat: Egon Jahnkow
Korrektorat: Marcel Porta
Tag der Veröffentlichung: 01.06.2023
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Gewidmet allen, die Spaß am Unwahrscheinlichen haben