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Ein fataler Fehler

 

„Vater“

„Mutter“

„Wind“

 

„Hast du gerade Wind gesagt?“

„Na klar, Wind, du Idiot? Oder Rind! Als wäre das wichtig. Ihr kennt mich doch alle, was soll also das blöde Getue mit der Losung?“

„Hast du nun Wind gesagt, oder nicht?“

„Okay, Wind … aber ich hätte auch Kind sagen können.“

„Hast du aber nicht, du hast Wind gesagt.“

„Na und?“

„Ich muss das melden. Dass du das falsche Losungswort gesagt hast.“

„So ein Schwachsinn! Aber wenn du nichts Besseres zu tun hast …“

 

*****

 

„Angeklagter, Sie geben also zu, das falsche Losungswort gesagt zu haben?“

„Ja, aber ich wusste das richtige, hab nur ein Späßchen gemacht.“

„So, so, ein Späßchen. Mir scheint, Sie haben keine Ahnung, in welcher Lage Sie sich befinden. Auf das Sagen der falschen Losung steht die Todesstrafe.“

„Aber ich wusste doch die richtige! Und alle haben mich gekannt, es waren doch Rekruten wie ich, wir leben, essen und furzen seit Monaten zusammen auf engstem Raum.“

„Lebten, aßen und furzten! Denn Sie werden den Rest Ihres armseligen Lebens nicht mehr mit Ihren Kameraden zusammen verbringen.“

„Was soll das heißen? Bin ich etwa unehrenhaft entlassen?“

„Nein, sie werden für die vorgeschriebenen fünf Tage ins Gefängnis gehen und dann hingerichtet.“

„Das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Ihr wollt mich verarschen!!!!“

„Ich kann mich nicht erinnern, jemals bei Gericht jemanden verarscht zu haben. Hinrichtung am 7. März im Morgengrauen. So will es das Gesetz.“

 

******

 

„Was hast du verbrochen, Freund? Warum bist du hier?“

„Ich habe eine Zeitung benutzt, um mir den Arsch abzuwischen.“

„Was soll das, dafür kommt man doch nicht ins Gefängnis!“

„Leider war ein Bild des großen Vorsitzenden auf der Titelseite. Das ist unverzeihlich, haben sie gesagt.“

„Und du bist sicher, dass es nicht doch irgendwas anderes war? Vielleicht so ein kleiner Mord? Oder die Vergewaltigung einer Nonne? Immerhin sitzt du hier im Todestrakt.“

„Wenn du mir nicht glaubst, dann lass es. Und du, was hast du angestellt?“

„Hab die falsche Losung gesagt.“

„Wie kann man auch die Losung vergessen? Mann, bist du dämlich.“

„Ich hatte sie doch gar nicht vergessen. Wollte nur ein Späßchen machen, hab nur einen Buchstaben ausgetauscht.“

„Oh ja, dann … ist dämlich noch geschmeichelt.“

„Aber sie werden mich nicht wirklich dafür hinrichten, das ist ja lächerlich.“

„Hoffen darf man immer, auch wenn es kindisch ist.“

„Wie ist es mit dir, bist du wirklich zum Tode verurteilt? Wegen dieser Arschwischerei?“

„Wäre ich sonst hier?“

„Und seit wann darfst du die Gastfreundschaft dieser Zelle genießen?“

„Seit fünf Tagen.“

„Hörst du die Geräusche? Sie kommen. Die fünf Tage sind vorbei und meine Zeit ist um. Leb wohl Kamerad!“

 

*****

 

„Seit vier Tagen sitze ich jetzt hier und bekomme nichts zu essen. Nur dieses pisswarme Wasser zu trinken.“

„Du musst verstehen, mein Sohn, wir müssen sparsam sein. Es bringt doch gar nichts, dich noch groß durchzufüttern. Fünf Tage sind ja nicht die Ewigkeit, das steht jeder durch.“

„Und Sie haben wirklich nichts zu essen dabei, Herr Pfarrer? Nur so eine klitzekleine Kante Brot, oder einen halben Hering?“

„Nein, das ist verboten. Aber ich habe hier ein Lutschbonbon im Mund, das kann ich dir abtreten, wenn du mich nicht verrätst.“

„Nein, ich hab‘s mir überlegt. Bis morgen halte ich es noch aus.“

„Ist auch besser so, mit leerem Bauch stirbt es sich viel leichter. Kannst mir glauben, ich hab da meine Erfahrungen.“

„Was, keine Henkersmahlzeit? Ha, jetzt haben Sie sich verraten. Es ist alles nur ein Witz, eine Warnung, damit ich in Zukunft keine solchen Späße mehr mache.“

„Mein Sohn, ich vergebe dir. Gerne sogar und drei Mal am Tag. Doch das Gesetz ist nicht so gnädig. Du musst doch verstehen, dass es keine Ausnahmen geben kann, sonst gerät die Welt aus den Fugen. Dein Tod dient einem höheren Zweck. Die Losung ist heilig, und das wird allen eindringlich zu Bewusstsein gebracht. Du rettest durch deinen Tod so manchem Kameraden das Leben, der sonst vielleicht nachlässig mit der Losung umgehen würde.“

„Aber es muss doch etwas geben, das mich retten kann, Vater! Ich will nicht sterben!“

„Ich weiß, ich weiß, du bist nicht anders als die anderen vor dir. Ich werde für dich beten. Hinterher.“

 

*****

 

„Hast du noch etwas zu sagen, Todgeweihter? Ein letztes Wort?“

„Ich möchte um Verzeihung bitten. Ich wusste nicht, dass es ein derart schweres Vergehen ist, einen Witz zu machen. Ich werde es nie wieder tun.“

„Da hast du recht. Es wird keine Gelegenheit mehr geben. Bist du bereit?“

„Bereit wofür? Lass mich nach Hause gehen, ich habe nichts getan.“

„Du hast noch eine letzte Wahl in deinem Leben. Willst du auf dem Bauch liegend sterben, oder auf dem Rücken?“

„Wer hat sich nur solch eine idiotische Losung ausgedacht. Jedes Kind hätte gewusst, was es zu sagen hat. Damit hätte man niemanden aufhalten können, nicht mal einen Kretin wie der behämmerte Denunziant!“ 

„Gut, dann entscheide ich, schnallt ihn fest!“

„Wenn ich wirklich sterben muss, möchte ich noch ein paar Worte sagen. Bleibt noch Zeit für einen letzten Witz?“

„Du bist der Erste, der solch einen Wunsch äußert. Bist schon ein Spaßvogel! Eigentlich geht das ja nicht, aber ich will mal nicht so sein. Ich liebe nämlich Witze.“

„Den hier wirst du mögen. Der Teufel und der liebe Gott sitzen bei ihrem monatlichen Gipfeltreffen.

‚Und, was gibt es Neues auf der Erde?‘, fragt Gott, der sich nur noch selten dort unten blicken lässt, seit die Menschen seinen Sohn auf dem Gewissen haben.

‚Du hast Konkurrenz bekommen‘, gibt der Teufel zur Antwort. ‚Da gibt es einen Wahnsinnigen, der sich die Titel Koryphäe der Wissenschaft und Vater des Vaterlandes zugelegt hat, obwohl er nicht mal bis Drei zählen kann und nichts so sehr hasst, wie sein eigenes Volk. Hat mich sofort an dich erinnert.‘ Breit grinsend wartet Beelzebub auf Gottes Reaktion. Doch der geht auf die Provokation gar nicht ein.

‚Um wen handelt es sich denn?‘, will er wissen.

‚Um den Großen Vorsitzenden, von dem wirst du doch schon gehört haben, oder?‘, feixt der Teufel.“

 

„Mensch, bist du wahnsinnig! Schon dafür, dass ich mir diesen Witz anhöre, wird man mich auf die Streckbank schnallen und mir die Eingeweide rausreißen. Schließ die Augen, dann erlöse ich dich.“

„Ist gleich zu Ende der Witz. Warte einen Moment. Fragt Gott den Teufel: ‚Und was willst du mir von ihm erzählen?‘

‚Nicht von ihm direkt, aber da sind sich letzthin zwei seiner Untertanen begegnet. Einer dick und rund, der andere dünn und schmächtig. Sie unterhalten sich, und als der Dünne erfährt, dass der Dicke Vegetarier ist, zückt er eine Pistole und schießt ihn über den Haufen. Er wird verhaftet, vor Gericht gestellt und lässt sich selbst unter der Folter kein Motiv entlocken.“

„Nun werde endlich fertig, ich habe Schiss. Wenn uns jemand belauscht, bin ich dran. Bin trotzdem gespannt, warum der Dünne das getan hat. Er mag wohl keine Vegetarier.“

„Momentchen, Auflösung kommt. Der Dünne liegt auf dem Sterbebett, denn die Folter war ein Stück zu heftig, da beugt sich der Pfarrer zu ihm und stellt ihm zum letzten Mal die Frage nach dem Warum. Er werde schweigen wie ein Grab, es falle unter das Beichtgeheimnis.“

„Und? Weiter! Was hat er gesagt?“

„‘Wenn der Große Vorsitzende erfährt, wie dick man auch ohne Wurst und Fleisch werden kann, dann Gnade uns Gott. Das musste ich unbedingt verhindern‘“

„Mann, du hast Nerven. Nimm Abschied, es ist soweit.“

„Und ich würde wieder ‚Wind‘ sa…“

Impressum

Texte: Marcel Porta
Bildmaterialien: Coverfoto: fontface, „Grenzen“, CC-Lizenz (BY 2.0) http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de Alle Bilder stammen aus der kostenlosen Bilddatenbank www.piqs.de
Lektorat: Egon Jahnkow
Tag der Veröffentlichung: 31.10.2017

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Allen gewismet, die dem großen Vorsitzenden auf den Schlips treten wollen.

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