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In Wald und Hag

Titania hat schwere Zeiten durchgemacht. Der Prozess um das Sorgerecht für den Sohn ihrer verstorbenen Freundin hat an ihren Kräften gezehrt. Zumal ihr Gegner unlautere Mittel einsetzte, indem er einen seiner dienstbaren Geister falsche Eide schwören ließ. Umso mehr genießt sie nun den Spaziergang durch den Wald. Hier kann sie entspannen und kommt auf andere Gedanken.

‚Ich könnte mir auch mal wieder einen Liebhaber zulegen‘, überlegt sie, ‚bevor ich noch verlerne, wie es geht.‘

Und da ihr Sinn nun schon mal in diese Richtung geht, gibt sie sich Tagträumen hin, die ich hier nicht aufschreiben mag, weil sie nicht ganz jugendfrei sind.

Durch diese erbaulichen Gedanken ist sie so abgelenkt, dass sie die Bank erst sieht, als sie fast darüber stolpert. Was umso erstaunlicher ist, weil darauf ein junger Mann sitzt, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit ihrem Traumbild hat, das gerade wie eine Seifenblase zerplatzt.

Ihr üppiger Busen hebt und senkt sich heftig, denn noch wirkt die Fantasie wie echtes Leben in ihr nach.

„Was macht ein so gutaussehender Mann alleine im Wald?“, überlegt sie und bemerkt erst dann, dass sie laut gedacht hat. Sie errötet bis zu den Haarwurzeln, aber zurückholen kann sie den Satz nicht mehr.

„Ich bin so verdammt müde“, erhält sie zur Antwort und erkennt erleichtert, dass der Mann gar nicht richtig zugehört hat. Er mag etwa in ihrem Alter sein, hat Handwerkerkleidung an, eine Latzhose und Sicherheitsschuhe. Als sie ihn genauer mustert, gefällt er ihr noch besser als zuvor.

„Müde?“, fragt sie ihn. „Wovon?“

„Ich suche meine Freunde seit einer geschlagenen Stunde und finde sie nicht. Hier ist alles voller Nebel.“

Titania wundert sich, denn davon hat sie bisher nichts bemerkt.

„Wofür brauchst du denn deine Freunde? Ich bin doch jetzt da.“

„Wir haben uns hier im Wald verabredet zu einer Probe. Wir wollen ein Schauspiel einstudieren. Und nun finde ich sie nicht, ich hab schon überall gesucht.“

„Welches Stück wollt ihr denn spielen?“

„Den Sommernachtstraum von Shakespeare.“

„Ach ja, den kenne ich. Da spielt die Wand mit, gell? Bist du die Wand?“

„Nein, ich bin Zettel.“

„Hm, dann scheinst du mir ein rechter Esel zu sein, dass du die anderen nicht findest.“ Titania bricht über ihren Scherz in lautes Lachen aus, doch ihr Gegenüber scheint den Witz nicht recht verstanden zu haben.

„Was soll das mit diesem Esel?! Wie heißt du überhaupt, und was suchst du hier in Wald und Hag?“, fragt er zurück.

„Ich heiße Thisbe und suche den Pyramus, meinen Liebsten“, fabuliert sie und bleibt damit nahe am shakespeareschen Schauspiel.

„Aber wie kann das sein? ICH heiße Pyramus und doch hab ich deine schöne Gestalt noch nie zuvor gesehen.“

„DU bist Pyramus? Ich erkenne dich gar nicht wieder! Hat Oberon dich am Ende verzaubert? Oder Puck?“, amüsiert sich die junge Dame auf seine Kosten.

„Die beiden kenne ich nicht. Und schon gar nicht haben die mich verzaubert, ich stehe nicht auf Männer.“

„Oh, welch ein Glück. Rück mal ein Stück zur Seite, dann setz ich mich zu dir.“

Da der junge Mann keine Anstalten macht, ihrer Aufforderung nachzukommen, drängt sich Titania neben ihn auf die Bank, setzt sich fast auf seinen Schoß.

„Nicht doch!“, beschwert sich der. „Wenn meine Freunde uns so sehen?!“

„Und dann? Macht doch nichts, wir sind ein Liebespaar und dürfen das.“

„Ich bin aber kein Liebespaar … ach Quatsch, kein Teil eines … verdammt, du bringst mich total durcheinander …“

„Du kannst dich wirklich an nichts mehr erinnern?“, fragt sie ihn. „Komm, wir küssen ein bisschen, das soll schon mal bei solchen Gedächtnislücken geholfen haben.“

Ohne seine Einwilligung abzuwarten, beugt sie sich zu ihm herüber und züngelt mit ihrer Zungenspitze an seinem Mundwinkel. Und wie in einem Traum versinken beide in einen langen Kuss. Ameisen krabbeln über ihre Beine, Spinnen lassen sich auf ihre Schulter herab und eine Kröte setzt sich auf Pyramus‘ linken Schuh. Da erst lösen sie sich wieder voneinander.

„Gar herrlich diese Küsserei!“, bekennt Pyramus und strahlt heller als die Sonne, die eben diese Lichtung mit den beiden entdeckt hat.

„Das war erst der Anfang“, klärt ihn Titania auf. „Ich habe von dir geträumt, und wenn du etwas darüber erfahren willst, gibt es nur einen Weg, das zu erreichen.“

„Und der wäre?“

„Wir setzen meinen Sommernachtstraum in die Tat um.“

„Meiner Treu, was muss ich dafür tun?“

„Was Liebespaare halt so tun, wenn sie sich lange nicht gesehen haben.“

„Sich die Hand schütteln?“

„Kalt!“

„Sich umarmen?“

„Wärmer!“

Sich küssen?“

„Noch wärmer!“

„Zusammen …“

„Gaaaanz heiß!“

 

 

In der Nähe erscheinen zwei seltsam gewandete Gestalten. Der Größere der beiden wendet sich an den Kleineren.

„Willkommen Puck, siehst du dies saubere Schauspiel?

Ihr Wahn und Schwärmen weckt nun schon mein Mitleid …“

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 05.07.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Der Shakespeareschauspielgruppe aus Freiberg widme ich dieses kleine Stückchen. Ihr seid große Klasse.

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