Die Katze ist das Wappentier unserer Gilde der Zeitreisenden. Wegen des Wahlspruchs. „Manipulation Ist Absolut Untersagt!“ MIAU!
Seit mehr als zwanzig Jahren gehöre ich dazu, habe das ZRZ als einer der Ersten erhalten. Das Zertifikat wird nur herausragenden Wissenschaftlern erteilt, weil man sich darauf verlassen muss, dass nur beobachtet wird, keine Manipulation erfolgt. Die Folgen könnten furchtbar sein.
Bis letztes Jahr hätte ich jeden Eid geschworen, dass nichts mich in Versuchung führen könnte, mein Privileg zu missbrauchen. Und doch bin ich jetzt unterwegs, um genau das zu tun. Seit ich Helga mit meinem besten Freund Siegmund in unserem Ehebett erwischt habe, geht mir nur noch eins durch den Kopf: Wie ich ihn aus meinem Leben streichen kann. Diesen Zustand ertrage ich nicht länger!
Siegmund und ich waren beide siebenundzwanzig, als wir uns kennen lernten. Bei einem Verkehrsunfall. Direkt vor meinen Augen wurde ein Mann in mittlerem Alter von einem Lastwagen umgefahren und starb noch an der Unfallstelle. Der Schock darüber traf mich direkt ins Herz, sodass ich wie paralysiert da stand.
„Was ist mit dir? Fehlt dir was“, sprach mich ein dunkelhäutiger Mann an und griff mir unter die Arme, als ich in mich zusammensackte.
„Ich weiß nicht, aber dieser Unfall … mir ist schlecht, und ich muss kotzen, glaube ich“, gab ich zur Antwort und schon kam es mir hoch.
Siegmund, denn er war es, der mich angesprochen hatte, schleppte mich zu einem Gulli und half mir, diese schwere Stunde zu überstehen. Bis heutigen Tags habe ich keine Ahnung, warum es mir damals so schlecht ging, tödliche Unfälle gab es in unserer Stadt jeden Tag. Und da ich seit einigen Monaten als Rettungsarzt arbeitet, sollten solche dramatische Anblicke mich eigentlich nicht schocken können. Doch dieser unbegreiflichen Unpässlichkeit war es zu verdanken, dass Siegmund und ich uns kennen lernten, und wenn ich es schaffte, den Unfall zu verhüten, würde ich ihm nie begegnen. Dann würde Helga niemals in seinen Armen landen.
Ein ziemlich schlechtes Gewissen bedrängte mich, als ich aus der Zeitmaschine stieg und die Uhr mir verriet, dass ich am richtigen Tag angekommen war. Wissenschaftliche Beobachtungen durften wir durchführen, sonst nichts, und der Eid, den wir Zeitreisende geschworen hatten, war meines Wissens noch niemals gebrochen worden. Von niemandem. Ich würde der Erste sein. Schreckliche Folgen waren uns prophezeit worden, von Wirklichkeitsumstülpungen infolge unumkehrbarer Paradoxa war die Rede gewesen, doch daran glaubte ich nicht. Das waren Ammenmärchen, um uns einzuschüchtern. Gar nichts würde passieren, außer dass mir dieser unerträglich Anblick von Helga und Siegmund in unserem Ehebett erspart bliebe. Dafür war ich gerne bereit, etwas zu riskieren und meine wissenschaftliche Reputation aufs Spiel zu setzen.
Verdammt, die Zeit wurde knapp. Wenn ich mich richtig erinnerte, fand der Unfall kurz vor zwölf statt, ich musste mich beeilen, wenn ich rechtzeitig eingreifen wollte. Ich rannte los und kam keuchend kurz vor dem erforderlichen Zeitpunkt am Marktplatz an. Kurz blieb ich stehen, um mich zu orientieren. Und dann sah ich mich. Jung und unbeschwert stand mein jüngeres Ich da, kaum zwanzig Meter von mir entfernt. Wenn ich mich recht erinnerte, kam der junge Kerl, der ich war, gerade aus einem Vormittagskonzert der Philharmoniker. Und in wenigen Minuten würde er Siegmund treffen … oder eben nicht treffen, wenn ich es verhindern konnte.
Plötzlich sah ich den Lastwagen, er kam eben um die Ecke geschossen. Ich hatte keine Ahnung, wer das Opfer sein würde, ich musste die Situation genau beobachten, um diese Person rechtzeitig wegzureißen.
Panik stieg in mir hoch, denn ich sah niemanden, der in Frage kam, kein Mensch stand auf dem Weg, den der LKW nehmen würde. Ich schaute zu meinem siebenundzwanzigjährigen Ebenbild hinüber und mir blieb fast das Herz stehen. Siegmund stand nur zwei Meter neben ihm. Noch hatte es keinen Kontakt gegeben, ich musste hin, um ein Zusammentreffen zu verhindern!
Kaum war ich losgerannt, wusste ich, welchen tödlichen Fehler ich begangen hatte. Der Lastwagen raste auf mich zu und es gab keine Chance zu entkommen …
Texte: @ by Marcel Porta 2013
Lektorat: Egon Jahnkow
Tag der Veröffentlichung: 03.06.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Mögen wir selber nie in Versuchung geführt werden! Denn wer kann schon die Hand für sich ins Feuer legen?