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Jette Berger und der Tatort: Wassenberg

Cosy Crime aus Mönchengladbach von

 

Karin Welters

 

 

Published by LitArt-World-Press

© Karin Welters 2018

 

 

Das Taschenbuch umfasst 181 Seiten.

 

 

An ihrem freien Tag macht sich Anne Weller, Oberkommissarin beim KK 11 in Mönchengladbach, auf den Weg, um ihre beiden Freundinnen Birgit und Kirstin in deren Geschäft in Wassenberg zu besuchen. Die flatternden, rot-weißen Absperrbänder an dem kleinen Lädchen 'Die Frauen Gedönsrat' zeigen Anne bei ihrer Ankunft: das ist ein Tatort!

Die Tote im Hinterhof des Lädchens bleibt nicht das einzige Opfer des brutalen Killers.

Als eine Tote im Hardter Wald gefunden wird, ist Anne direkt beteiligt, denn sehr bald stellt sich heraus: die beiden Morde gehören zusammen.

Während in Wassenberg viel zu viele Tatverdächtige vernommen werden müssen, findet Anne keinen einzigen in Gladbach. Eine Mordkommission wird eingerichtet und Anne, Iris und Jochen ermitteln in Wassenberg – zusammen mit Kollegen aus Heinsberg. Doch die SoKo kommt nur sehr schleppend voran.

Und dann schaltet sich Jette ein.

Die Hauptkommissarin im Ruhestand aus Rheindahlen folgt ihrer Spürnase…

 

 

 

Danksagung

 

Wassenberg – Heimat direkt vor Ort

 

Danksagung

 

Dem Schirmherrn dieses Romanprojektes und der Lesungen, dem Wassenberger Bürgermeister Manfred Winkens, gebührt mein herzlicher Dank.

 

Mit diesem Jette Berger Krimi wird eine neue Variante von „Tatorten“ eingeführt, die in Naherholungsgebieten oder Ortschaften im Umkreis von Mönchengladbach zu finden sind. In dem ersten Band dieser neuen Reihe habe ich Wassenberg als Tatort gewählt.

Ohne die Unterstützung der Verwaltung, im Besonderen durch Herrn Manfred Winkens, der mich mit vielen Informationen versorgte, hätte ich die Atmosphäre des Ortes an der Grenze zu Holland, nicht so darstellen können, wie ich es im Roman verarbeitet habe.

Ziel aller Jette Berger Regional-Krimis ist nicht nur, die Leserschaft zu unterhalten sondern auch die Gelegenheit, sich als Leserin und Leser in „seinem“ Stadtteil oder „seinem“ Ort wiederzufinden.

Ich kann nicht genug betonen, wie sehr das Umfeld Gladbachs eine unschätzbare Bereicherung für die Stadtbewohner ist.

 

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen: Viel Lesevergnügen.

 

Herzlichst

Ihre Karin Welters

Handelnde Hauptpersonen

 

Jette Berger

Die 54jährige Hauptkommissarin im Ruhestand ist Anne Wellers mütterliche Freundin und steht der Oberkommissarin als Beraterin zur Seite. Mit unkonventionellen Methoden erreicht sie Ergebnisse, die Anne Weller verwehrt bleiben. Sie liebt ihren Wintergarten, in dem sie oft und gern Tee trinkt.

 

 

Anne Weller

Die 39jährige Oberkommissarin beim KK11 in Mönchen­gladbach sieht sich durch die Vorschriften oft in ihrer Arbeit eingegrenzt. Sie liegt ständig im Clinch mit dem Polizei­präsidenten, den sie nicht ausstehen kann. Besonderes Kennzeichen: rote Lockenpracht, die sie bei aufsteigendem Ärger oder Unsicherheit in den Nacken wirft.

 

 

Iris Stelzmann

Die 26jährige Jung-Kommissarin gilt als Computerfreak. Auf ihre Spezial-Kenntnisse greift sogar das LKA gern zurück. Wegen ihrer rotblonden Haarmähne, trägt sie seit ihrer Kindheit den Spitznamen „Löwchen“. Am liebsten flirtet sie mit jungen Uniformierten.

 

 

Jochen Peters

Der 43jährige Kollege von Anne und Iris unterstützt das Damentrio auf Anweisung des Polizeipräsidenten. Die anfängliche Missstimmung zwischen Anne Weller und ihrem Kollegen entspannt sich zunehmend, je öfter Peters in die jeweiligen Fälle eingebunden wird.

 

 

Toni Heckersbach

... ist der 52jährige Polizeipräsident in Mönchengladbach und einer von den Chefs, die immer schnelle Ergebnisse sehen wollen, ein Ansinnen, das sich ab und zu als cholerische Ausbrüche bemerkbar macht. Weil der Polizeidirektor Ludewig schon seit längerer Zeit wegen Krankheit ausgefallen ist, muss sich Anne Weller mit dem "Lackaffen", wie sie ihren obersten Dienstherrn insgeheim nennt, herumschlagen.

 

 

Paul Kemmerling

Der 51jährige Staatsanwalt hat – nach anfänglicher Skepsis – der Zusammenarbeit des KK11 mit Jette Berger zugestimmt. Als Kavalier „alter Schule“ freut er sich stets auf Jettes Einladung in deren Wintergarten, wenn die ehemalige Hauptkommissarin wieder einmal einen besonders verzwickten Fall aufdröselt.

 

 

Heinsberger Kollegen der Mordkommission

Thomas Schiffer, der Anne an Kevin Costner erinnert, leitet die SoKo. Zusammen mit Greta Sommer, der zierlichen Blonden mit der Hakennase und Axel Friedmann, mit dem Thomas freundschaftlich verbunden ist, sollen zwei Mordfälle gelöst werden.

 

Besonderheit der Jette Berger Krimis

 

Die Besonderheit der Jette-Berger Regionalkrimis ist die Kombination von real lebenden Personen und fiktiven Romanfiguren, die in den Geschichten eine Gemeinschaft bilden.

Die Handlung des vorliegenden Romans ist frei erfunden – ebenso wie alle Dialoge und Handlungen aller Romanfiguren. Dass trifft ganz besonders auf die real lebenden Personen zu, die ihr schriftliches Einverständnis gegeben haben, dass ich ihnen die „Worte in den Mund legen durfte“ sowie ihnen „Handlungen angedichtet habe“, die mit der Realität nichts zu tun haben.

 

Dafür bedanke ich mich ganz herzlich bei denen, die mitgewirkt und das Erscheinen dieses Buches erst ermöglicht haben

 

 

Herzlichen Dank

Karin Welters

Krimi

 

 

Montag, 08. Mai 2017

*

Anne Weller liebte dieses kleine Lädchen.

Allein der Name sprach für sich: Die Frauen Gedönsrat.

Und weil sie das ganze Wochenende Bereitschaftsdienst geschoben hatte, wollte sie an diesem Montag wieder einmal bei Birgit und Kirstin stöbern gehen.

Wann habe ich mir das das letzte Mal gegönnt?, fragte sie sich. Auf der Fahrt nach Wassenberg freute sie sich auf den Plausch mit den beiden Frauen. Eine gute Tasse Kaffee dazu und in den tausend schönen kunstgewerblichen Sachen stöbern… Ja, das war mal wieder fällig: Ein Mini-Urlaubstag. Auf andere Gedanken kommen! Den Alltag ausklammern! Einen Bummel durch das kleine Örtchen machen!

Wassenberg erinnerte sie an Rheindahlen: Genauso gemütlich, ländlich und mit viel Atmosphäre. Und das auch noch in einem Landschaftsschutzgebiet!

Schade, dass ich nie genug Zeit habe, viel häufiger einen Miniurlaubstag einzulegen. Dabei braucht man von Gladbach aus nur eine knappe halbe Stunde, um das Gefühl zu genießen, in eine andere, eine heile Welt einzutauchen.

Als Oberkommissarin im KK 11 Mönchengladbach, war eine regelmäßige Planung von Freizeitaktivitäten unmöglich. Nein, die Verbrecher hielten sich leider nicht an gewerkschaftlich geregelte Öffnungszeiten.

Als sie von der Burgstraße auf die Roermonder Straße einbiegen wollte, erschrak sie.

Die Straße war an dieser Stelle durch das ihr wohlbekannte weiß-rote Flatterband abgesperrt.

Vor dem Ecklädchen von Haus Nr. 26 parkten zwei Streifenwagen mit eingeschaltetem, blinkendem Blaulicht. Der schwarze Leichenwagen verhieß nichts Gutes. Anne spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog.

Rasch bog sie vor dem Lädchen links ab und stellte ihren Wagen auf dem Behindertenplatz auf der großen Parkfläche ab.

Natürlich hatte sich eine Gruppe Schaulustiger vor dem Absperrband gesammelt. Ein solch massiver Einsatz von Ordnungshütern mitten im beschaulichen Wassenberg war schließlich nicht alltäglich. Und wer will dann nicht wissen, was im Örtchen mit der imposanten Burg passiert ist?

Natürlich wollte die Uniformierte Anne nicht durchlassen. Als sie ausdrücklich betonte, ihre Freundinnen besuchen zu wollen, wies die Polizistin sie – missmutig und genervt – ab.

Anne versuchte es mit ihrem Ausweis. Sie schielte auf die Schulterklappen mit den beiden Sternchen und meinte: „Entschuldigen Sie bitte, Frau Polizeimeisterin, mein Name ist Anne Weller, Oberkommissarin der Kripo. Können Sie mir sagen, was hier los ist?“

Wohlweislich hatte sie verschwiegen, in welchem Kommissariat und welcher Stadt sie tätig war.

Die noch junge Polizeimeisterin tippte an ihre Mütze. „Das ist was anderes.“ Sie hob das Absperrband an, so dass Anne durchschlüpfen konnte.

In dem kleinen Lädchen wimmelte es von Offiziellen. Birgit und Kirstin saßen auf der Couch, direkt rechts hinter dem Eingang. Anne fiel ein Felsbrocken von der Seele, dass den beiden nichts passiert war und stahl sich auf den Stuhl gegenüber.

„He! Was ist hier los?“

Die beiden sonst stets fröhlichen und munteren Powerfrauen hockten stumm, kreidebleich und sichtbar unter Schock stehend, auf dem Sofa wie zwei Häufchen Elend.

Bevor eine der beiden reagieren konnte, schnarrte eine Männerstimme hinter Anne: „Wer sind Sie? Wie sind Sie hier hereingekommen? Was machen Sie hier?“

Die Verärgerung des Mannes war unüberhörbar.

Anne drehte sich um. Sie schätzte den Mann auf etwa Mitte vierzig. Dunkles, kurzes Haar mit angegrauten Schläfen. Circa 1,85m und schlank. Jeans, Pullover und farblich passender Blazer. Anne blieb fast das Herz stehen. Der Fremde hatte eine enorme Ähnlichkeit mit Kevin Costner. Und so ein Exemplar in Wassenberg?, schoss es ihr durch den Kopf. Gleichzeitig zückte sie ihren Ausweis und hielt ihn dem Mann unter die Nase. „Die beiden hier sind meine Freundinnen und wer sind Sie?“

Im selben Moment ärgerte sie sich über sich selbst. Ihre Stimme klang schärfer als beabsichtigt.

Wieso eigentlich?

Der erstaunte Blick des Mannes traf sie. „Oh! Eine Kollegin?“

Ein wenig verlegen reichte er ihr die Hand. „Thomas Schiffer. Leitender Oberkommissar. Entschuldigen Sie meinen Ärger. Aber das kennen Sie ja. Immer wieder schlüpfen Schaulustige durch die Absperrung und behindern unsere Arbeit.“

„Schon gut, Herr Kollege“, unterbrach ihn Anne. Sie schaute in seine dunkelbraunen Augen und spürte das Kribbeln in ihrer Magengegend. „Was ist passiert?“

Statt einer Antwort griff er nach ihrem Arm und wollte sie wegziehen. Im Aufstehen rief sie ihren Freundinnen zu: „Ich bin gleich wieder zurück.“

Stumm nickten Birgit und Kirstin mit bleichem Gesicht.

Anne folgte Thomas Schiffer durch das Lädchen bis zu den Tresen mit der Kasse.

Er reichte ihr ein Paar der weißen Überschuhe, die Anne wortlos überstreifte.

„Wir wollen schließlich keine Spuren verwischen“, murmelte der Oberkommissar.

Sie folgte ihm weiter, vorbei an der Toilette, durch den langen Flur, der nach draußen, in den Hinterhof führte. Sofort entdeckte Anne den zusammengekrümmten Körper am Ende der Außentreppe. Sein Kopf war der Wand aus Kalksandstein zugeneigt, so dass sie die Gesichtszüge nicht erkennen konnte. Es war eine Frauenleiche, bekleidet mit einem dunkelgrauen Faltenrock, weißer Bluse und dunkelgrauer Strickjacke. Ein einzelner, schwarzer Schuh mit Blockabsatz lag neben ihr auf dem Boden. Der andere fehlte.

„Wissen Sie schon, wer sie ist?“, wandte sich Anne an den Kollegen.

„Leider nicht.“ Er schüttelte den Kopf. „Der Arzt und die Kollegen von der Spusi sind unterwegs.“

„Verstehe“, murmelte Anne. Ihr Blick wanderte nach oben, zum Treppenansatz. „Das ist nicht der Tatort“, konstatierte sie. „Dazu gibt’s viel zu wenig Blut. Kann sie von oben heruntergeworfen worden sein?“

„Nein“, bestätigte Thomas Schiffer Annes Beobachtung. „Auf keinen Fall. Das Grundstück ist mit einer fast drei Meter hohen Mauer vollständig abgegrenzt. Da kommt niemand mit einer Leiche auf der Schulter drüber.“

Der Arzt erschien. „Darf ich mal durch?“

Anne und der Kollege traten zur Seite und der Fotograf, der zusammen mit dem Arzt angekommen war, machte Unmengen an Fotos. Ständig blitzte es. Der Polizeifotograf bemühte sich, den Tatort und die Leiche, so weit wie möglich, von allen Seiten auf seine Chipkarte zu bannen, ohne eventuelle Spuren zu verwischen.

„Fertig“, meinte der Fotograf und der Arzt, der sich als Dr. Münten vorgestellt hatte, drehte die Leiche herum, um das Gesicht erkennen und den Körper untersuchen zu können. Wieder knipste der Fotograf Unmengen an Fotos. Anne wusste, dass es noch eine ganze Weile dauern würde, bis die Tatortspuren gesichert sein würden.

Das Gesicht der Frau war bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert worden. Der Mörder hatte ganze Arbeit geleistet. Vom ehemaligen Gesicht der Frau war eine einzige, blutige Masse übrig geblieben.

Angewidert drehte sich Anne um und kehrte in den Laden zurück, in dem Birgit und Kirstin noch immer stumm und reglos auf der Couch saßen. Der Notarzt kümmerte sich um die beiden und verabreichte ihnen gerade eine Spritze. „Zur Beruhigung“, brummte der Mediziner, als er Thomas Schiffer kurz anschaute. „Die gehören ins Krankenhaus“, fuhr er fort. „Beide stehen unter Schock und werden vorläufig nicht in der Lage sein, irgendwelche Fragen zu beantworten.“

Durch das Fenster konnte Anne einen Krankenwagen ausmachen. Sie begleitete Kirstin und Birgit zum Wagen. Von Rettungskräften unterstützt, stiegen sie ein. „Ich komme später ins Krankenhaus und dann sehen wir weiter. Okay?“, bemühte sich Anne, die Freundinnen zu beruhigen.

Sowohl Kirstin als auch Birgit nickten nur stumm und Anne wartete, bis der Rettungswagen davonfuhr. Sie kehrte zurück in den kleinen Laden, in dem sie gleich im Eingangsbereich auf ihren Kollegen traf.

Mit der Hand zeigte er auf die Tür. „Schauen Sie hier, Frau Weller – Einbruchsspuren.“

Er griff nach ihrem Unterarm und führte sie hinaus. „Kommen Sie, wir gehen einen Kaffee trinken. Bevor die Spusi nicht fertig ist, stehen wir ohnehin nur im Weg.“

Sie schlenderten die Roermonder Straße entlang in Richtung Roßtorplatz, um in einem Café auf der Graf-Gerhard-Straße die Zeit zu überbrücken, bis der Arzt die Leiche zum Abtransport freigegeben hatte. Sie plauderten über die Sehenswürdigkeiten des kleinen Ortes in der Nähe der holländischen Grenze.

Als Thomas Schiffer Anne aus der Jacke half, fragte er: „Waren Sie schon einmal oben auf dem Bergfried?“

„Leider nein“, antwortete Anne. „Dafür habe ich mir bisher keine Zeit genommen. Gibt es da etwas Besonderes?“

Als sie seinen erstaunten Blick bemerkte, fühlte sie sich ziemlich unwohl. „Tut mir leid, Herr Schiffer, ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, wie viele Überstunden sich in unserem Beruf anhäufen, oder?“

Er grinste. „Klar, weiß ich das. Aber wenn so ein Turm schon im 15. Jahrhundert erwähnt wird, mit enormen Mitteln der Stadt und des Landes sehr aufwändig restauriert wird, lohnt sich ein Besuch allemal.“ Er zögerte. „Es sei denn…“, fuhr er fort, „Sie interessieren sich nicht für historische Bauwerke.“

„Ich wünschte“, seufzte Anne, „ich hätte mehr Freizeit, um all die schönen architektonischen Erbstücke unserer Vorfahren in der Gegend zu bewundern.“

Nachdem die Tassen mit dem heißen Kaffee vor ihnen stand, fragte der Oberkommissar: „Wie gut kennen Sie die Damen von den Frauen Gedönsrat?“

Anne dachte einen Moment nach und erinnerte sich. „Es war kurz vor Weihnachten, als mich meine junge Kollegin, Iris Stelzmann, mitschleppte. Sie ist immer auf der Suche nach Neuheiten – je verrückter, desto besser. Und sie war bei der Eröffnung dieses kleinen Ladens dabei, fand ihn natürlich super, und nahm mich am darauffolgenden Samstag einfach mit. Sofort war ich begeistert und die beiden – Birgit und Kirstin – waren mir auf Anhieb unheimlich sympathisch. In diesem kleinen Laden ist so viel Herzblut drin und die zwei derart offen und liebenswürdig, dass ich gleich einen heißen Draht zu ihnen fand.“

„Also… halten Sie sie nicht für fähig, einen Mord zu begehen?“, hakte Thomas Schiffer nach.

„Die? Die zwei?“ Anne glaubte, sich verhört zu haben. „Niemals!“ Unwillkürlich schüttelte sie ihre roten Locken und warf sie in den Nacken.

Birgit und Kirstin einen… Mord?, schoss es durch ihr Gemüt. Das ist ja ungeheuerlich!

„Natürlich“, fuhr sie fort, „Jemand, der die beiden nicht kennt, so wie Sie, Herr Kollege, muss das vermuten, wenn im Hinterhof eine Leiche gefunden wird. Aber, glauben Sie mir, das ist absolut ausgeschlossen. Die beiden können keiner Fliege was zuleide tun.“ Erneut schüttelte sie den Kopf. „Außerdem… Sie haben selbst gesehen, dass die Eingangstür aufgebrochen wurde.“ Sie beugte sich vor. „Und das, Herr Schiffer, waren keine Anfänger. Diese Schlösser zu knacken, dafür muss man schon einige Erfahrungen mit Einbrüchen gemacht haben.“

Das Handy des Oberkommissars klingelte. Er erfuhr, dass der Arzt die Leiche zum Abtransport in die Gerichtsmedizin freigegeben hatte. „Kommen Sie, Frau Kollegin. Zurück zum Fundort. Jetzt können wir uns ein genaueres Bild machen.“

*

Zurück im Hinterhof des Ladens stand Anne neben ihrem Kollegen und schaute auf das grässlich zugerichtete Gesicht der Frau, dessen Züge nicht mehr erkennbar waren. „Warum macht jemand sowas?“, murmelte sie. „Weiß man schon, wer sie ist?“

Die junge Polizistin, die Anne schon vorher an der Absperrung angetroffen hatte, schüttelte den Kopf. „Nein. Bis jetzt nicht, obwohl… irgendwie kommt mir die Statur vertraut vor.“

Anne sah den interessierten Blick von Thomas Schiffer. „Ach ja? Als Streifenpolizistin kennen Sie die Leute vor Ort besser als ich. Versuchen Sie sich zu konzentrieren. Woran – oder besser – an wen erinnert Sie die Frau? Und… wie heißen Sie?“

„Ich heiße Barbara Jennick“, erwiderte sie und schaute angestrengt auf den Boden. Nach einer Weile ruckte ihr Kopf hoch. „Ja! Jetzt weiß ich es. Das ist Miriam Schäfer! Die Dorfhexe!“

Anne sah die gerunzelte Stirn ihres Kollegen, der prompt reagierte. „Dorfhexe? Was meinen Sie damit?“

„Nun… so wird sie hier genannt.“ Die Polizistin machte eine wegwerfende Handbewegung. „Sie war eine regelmäßige Besucherin in unserer Dienststelle. Frau Schäfer zeigte ständig Gott und die Welt an. Sie war eine dieser Frauen, die alle Menschen um sich herum als bösartige Verräter ansah, die nur ein Ziel hatten… ihr das Leben zur Hölle zu machen. Wenn sie den Mund aufmachte, versprühte sie nur Gift.“ Die junge Frau seufzte. „Eine unerträgliche Person.“

„Wissen Sie, wo sie wohnte?“ Thomas Schiffer hatte den Stift schon in der Hand.

„Ja“, bestätigte die Uniformierte, „Sie bewohnte ein Haus in Effeld auf der Schleidstraße.“

„Und was macht sie dann hier?“, fragte der Kollege und Anne sah seinen verwunderten Blick.

Wieder winkte die Polizistin ab. „Miriam Schäfer besitzt hier in Wassenberg einige Mehrfamilienhäuser, auf der Roermonderstraße in der Nähe der Rurtalstraße und der Bahnhofstraße, die sie oft kontrollierte. Sie wissen schon… sind die Rasenflächen adrett gemäht? Stehen die Fahrräder ordentlich in den Ständern? Ist die Haustüranlage streifenfrei geputzt? Der Parkplatz sauber? Das Treppenhaus gepflegt?“

Anne beobachtete die Uniformierte und merkte, dass sie zögerte. „Sie scheinen aber noch mehr zu wissen, oder?“, sprach sie sie direkt an.

„Na, ja…“ Barbara Jennick druckste herum „Wissen wäre vielleicht zuviel gesagt. Aber man behauptet, dass sie sich zu den Rechten hingezogen fühlt. Sie war schon des Öfteren bei Demos gegen Asylanten gesehen worden. Aber… sie denkt wohl genau wie viele andere, dass gerade Orte wie Wassenberg, mit viel zu vielen Asylbewerbern und Flüchtlingen regelrecht überschwemmt werden.“

„Woher wissen Sie das?“ Thomas Schiffer war aufgeschreckt. „Gehörte sie etwa zu den braunen Gruppierungen, deren Schläger am Busbahnhof für Angst und Schrecken sorgen?“

„Nein, nein“, reagierte Barbara Jennick erschrocken. „Ich weiß nur, dass sie mit ihren Mietern ziemlich ruppig, ja manchmal sogar unverschämt umgegangen sein soll.“

Anne sah, wie die Frau errötete, bevor sie fortfuhr. „Eine Freundin von mir wohnt nicht weit von einem dieser Mietshäuser entfernt und da bekommt sie einiges mit. Sie hat mir erzählt, dass es immer Stress mit Frau Schäfer gab. Wissen Sie, meine Freundin hat sich mit einer jungen Familie aus Syrien angefreundet und hilft ihnen bei dem deutschen Formalitätenkram.“

„Wie heißt Ihre Freundin?“, wollte Thomas Schiffer sofort wissen.

„Steffi. Steffi König. Die Familie Sayed hat von Frau Schäfer ungeheuerliche Briefe erhalten. Und das auch noch per Hand geschrieben. Miriam Schäfer beschuldigte die Familie, für die Unsauberkeit im Haus verantwortlich zu sein, wegen Lärmbelästigungen durch ständige, lautstarke Streitereien angezeigt worden zu sein und… das ist dann die Höhe, wegen sexueller Belästigung durch Ahmed Sayed, der sie angeblich immer wieder mit Blicken auszieht, eine Strafanzeige stellen wird.“ Barbara schnaubte vor Empörung. „Dabei ist Frau Sayed im 8. Monat schwanger mit dem zweiten Kind. Miriam Schäfer war 61 Jahre alt; Ahmed Sayed ist 29 Jahre und seine Frau fünf Jahre jünger!“

Ja, dachte Anne, dann würde ich Miriam Schäfer auch eine Dorfhexe nennen.

Thomas Schiffer reckte sich. „Dann haben wir ja einige Hinweise, denen wir nachgehen können.“ Er dankte der jungen Polizistin und wandte sich wieder an Anne. „Was meinen Sie dazu?“

„Ich?“ Anne dachte nach. „Also… wenn Sie mich so fragen… da gibt es sicher Einiges herauszufinden. Die Frau scheint wahrhaftig eine Art Giftspritze gewesen zu sein. Und das, lieber Kollege, bringt automatisch eine Menge an Verdächtigen mit sich.“ Sie lächelte ihn an. „Ich möchte nicht mit Ihnen tauschen, Herr Schiffer.“

Sie schaute auf die Uhr und erschrak. „Oh je! Ich habe Birgit und Kirstin versprochen, im Krankenhaus vorbeizuschauen. Bitte entschuldigen Sie mich.“

„Moment!“, rief Thomas Schiffer und zeigte seine beiden Wangengrübchen. „Haben Sie Lust, mit mir am Samstag zu Abend zu essen? Natürlich nur, wenn Sie keinen Dienst haben.“

„Oh, das tut mir leid.“ Anne bedauerte ihre Absage tatsächlich. „Am Samstag habe ich Bereitschaftsdienst.“

„Und was ist mit Sonntag?“

„Das ginge.“ Anne strahlte. „Ja, diese Einladung nehme ich gern an.“ Sie zögerte. „Allerdings… Sie wissen ja, immer unter dem Vorbehalt, dass die Gladbacher Gauner sich ruhig verhalten und mitspielen.“

„Ja, klar! Also… abgemacht. Am Sonntag um 19 Uhr. Und wo?“

„Hier? Hier am Lädchen von Frauen Gedönsrat?“

„Einverstanden“, lächelte er sie an und hielt ihre Hand zum Abschied länger als üblich.

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Dienstag, 09. Mai 2017

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Pünktlich um acht Uhr erschien Anne im Büro. Eine Wolke aus Kaffeeduft empfing sie. „Hallo, Iris“, rief sie gut gelaunt. „Schön, dass unser Wachmacher schon fertig…“ Sie verstummte abrupt. Hinter der Bürotür, die sie mit einem leichten Fußtritt rücklings geschlossen hatte, tauchte das Gesicht eines Unbekannten auf.

„Wer sind Sie denn?“, fragte sie entgeistert.

„Das, meine Liebe“,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: © Karin Welters / © LitArt-World-Press
Bildmaterialien: © Stadt Wassenberg
Cover: © Karin Welters
Tag der Veröffentlichung: 19.02.2018
ISBN: 978-3-7438-5702-5

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