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Die Töchter der Schwarzen Mamba - Teil I

14. März 2010 – Mallorca (Spanien)

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Wie jedes Jahr im März begann auch 2010 die Promi-Saison auf Mallorca im zeitigen, europäischen Frühling. Auf dem Flughafen von Palma landeten ebenso viele Cessnas, Pipers und Learjets wie auf den vielen, kleinen Landepisten, die auf der Insel verstreut die Privatsphäre der Reichen und Schönen garantieren sollten.

Richard McCormack kletterte aus seiner Learjet Bombardier und reckte sich ausgiebig, nachdem er spanischen Boden betreten hatte. Dick, wie er von seinen engsten Freunden genannt wurde, war ein drahtiger Mittfünfziger. Er hatte, wie immer, seinen Strohhut auf. Der Hut war nicht, wie die meisten seiner Zeitgenossen glaubten, der verschrobene Tic eines exzentrischen Milliardärs. Niemand ahnte, dass Richard mit der Kopfbedeckung seit Jahrzehnten den einzig wunden Punkt in seinem Leben zu kaschieren versuchte: seine leuchtend roten Haare – das verfluchte Erbe seiner schottischen Vorfahren.

Richard McCormack wusste genau, wie er auf andere wirkte: sportlich, durchtrainiert und dynamisch. Dass er sich dafür täglich mindestens eine Stunde abrackerte, bis seine Sportkleidung schweißdurchtränkt war, ging niemanden etwas an. Dass er gleichfalls schon seit Jahren auf jeglichen Alkoholkonsum verzichtete, hatte sich herumgesprochen. Es war ihm gleichgültig. Für ihn gab es nur ein einziges Gesetz: seinen Willen.

Auf dem kurzen Flug von Zürich nach Mallorca hatte er auf seine sonst obligatorische Seidenkrawatte verzichtet und hielt das Jackett seines maßgeschneiderten Anzugs lässig über der Schulter. Richard McCormack war der reichste Mann in den USA, obwohl er das niemanden wissen ließ. Der Aufmerksamkeit der Medien entging er aufgrund seines zurückgezogenen Lebensstils. Nein, die Schlagzeilen überließ er gern denen, die es aus seiner Sicht offensichtlich nötiger hatten.

Richard McCormack war stolz auf sein Lebenswerk. Als Nachkomme armer, schottischer Einwanderer, die Ende des 19. Jahrhunderts in New York an Land gegangen waren, hatte er buchstäblich aus dem Nichts ein mächtiges Imperium aufgebaut: Öl, Finanzgeschäfte, Immobilien, Computer, Handelsketten. Seine diversen Berater und Direktoren versorgten ihn einmal wöchentlich mit Zahlen und Unterlagen, die er genauestens prüfte. Jede Unregelmäßigkeit wäre ihm sofort aufgefallen. Seine Mitarbeiter wagten es nicht, ihn übers Ohr zu hauen. Richard hatte den Ruf, ein skrupelloser, eiskalter und gnadenloser Geschäftsmann zu sein.

Natürlich hatte der eine oder andere in der Vergangenheit versucht, ihn zu betrügen. Derartige ‚Subjekte‘ erinnerten ihn an die Zeit, als er sich in den Slums von New York gegen die Ratten der Street-Gangs wehren musste. Wurde einer dieser ‚Kakerlaken‘, wie Richard sie nannte, erwischt, fand dieser Abschaum sich in der Regel in einen Unfall verwickelt, der für ihn meist tödlich endete.

Ja, er hatte sich einen Namen gemacht, der an Klarheit nicht zu überbieten war. Aber je älter er wurde, desto mehr beherrschte er seinen Jähzorn, seine Wut und seine übereilten Handlungen. Er hatte im Laufe seines Lebens gelernt, seine Augen, seine Blicke unter Kontrolle zu halten. Die braunen Augen wirkten heute meist offen und vertrauenerweckend. Nur selten ließ er seine wahren Gefühle durchblicken. Ja, seine Augen verrieten ihn nicht mehr.

In aller Ruhe schlenderte er zum bereitstehenden, dunklen Mercedes, der von seinem amerikanischen Chauffeur in seiner Abwesenheit stets einsatzbereit gehalten wurde.

„Hallo Ben!“, begrüßte er ihn. „Alles okay?“

„Jawohl, Sir“, erwiderte der Mann in Livree und mit Schirmmütze, die er zur Begrüßung vom Kopf nahm. Er öffnete die rückwärtige Tür. „Alles bestens, Sir. Ihr Drink wartet schon auf Sie.“

„Prima!“, meinte Richard und stieg ein.

Fast lautlos schloss Ben die Tür, setzte sich ans Steuer und fragte: „Zur Hazienda, Sir?“

„Ja, Ben. Bring mich so schnell wie möglich zu meiner Finca. Ist Dorothy schon da?“

Ben stellte die Automatik auf „D“ und der Wagen setzte sich kaum merklich in Bewegung. „Ja, Sir. Ihre Gattin ist gestern pünktlich angekommen. Ich habe sie selbst abgeholt und zur Hazienda gebracht.“

„Fein.“ Richard trank von seinem frischgepressten Orangensaft, den Ben für ihn schon vor seinem Eintreffen bereitgestellt hatte.

„Und?“, fragt er, „wie geht’s ihr?“

„Ich glaube, es geht ihr gut, Sir.“

„Sind Michael und Louise auch schon da?“

„Ja, Sir.“

„Und haben Dorothy und Louise schon ihre Shoppingtour gemacht?“

„Nein, Sir. Soviel ich weiß, fühlte sich Ihre Tochter heute früh nicht wohl.“

„Was macht Michael?“

„Er hat sich, soviel ich weiß, heute Morgen mit seinen Freunden im Yachthafen getroffen.“

Richard McCormack ließ sich von Ben genau erzählen, was seine Frau und seine beiden Kinder bisher unternommen hatten. Er wollte über alle Aktivitäten seiner Familie Bescheid wissen, damit er sich entsprechend auf sie einstellen konnte. Er hasste es, in eine Situation zu geraten, die unerkannte Fettnäpfchen enthielt. Dorothy konnte manchmal sehr unangenehm werden. Und das konnte er nicht gebrauchen. Nein. Er wollte wenigstens in seiner Familie keine unerquicklichen Auseinandersetzungen. Die hatte er genug im Beruf zu führen.

Kurz vor der Ankunft auf der Hazienda, wie Richard seine Finca getauft hatte, bat er Ben, um 15:30 Uhr erneut zum Airstrip zu fahren und seine beiden Freunde Julian Allister und Donovan Stratford abzuholen.

„Die beiden kommen getrennt. Ich nehme an, ihre Maschinen landen im Abstand von nur fünfzehn Minuten. Wenn beide da sind, fahren Sie sie bitte zu ihren Fincas.“

„Selbstverständlich, Sir.“

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21. März 2010 – Mallorca (Spanien)

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Richard McCormack war als Erster in der großen Villa, die er für drei Tage gemietet hatte. Sie lag nur wenige Kilometer von seiner Finca entfernt. Von der Straße aus uneinsehbar lag das exklusive Domizil auf einem Felsrücken in der Nähe von Port de Sa Calobra. Die gesamte Rückfront des Hauses bot durch seine verglaste Fassade einen spektakulären Blick über das stahlblaue Mittelmeer. Richard stand eine Weile am Fenster und ließ seinen Blick schweifen. Die leichte Brise brachte nur wenige Schaumkronen auf der ebenen, blauen Fläche zuwege. Die Bucht selbst lag weitgehend noch im Schatten der Klippen. Auf der gegenüberliegenden Seite beobachtete er die heranrollenden Wellen, die sich in Kaskaden weißer Gischt über die Felsen ergossen. Eine dichte Anpflanzung von Zypressen auf der rechten Seite des Hauses versperrte den Blick auf den kleinen Hafen von Port de Sa Calobra. Nur wenige Boote, kleine Fährschiffe oder Yachten passierten die Klippen und steuerten den Hafen an. Der Eindruck der vollkommenen Abgeschiedenheit, Zurückgezogenheit und Weite empfand Richard als wohltuend und gab ihm das Gefühl der Sicherheit. Keine fremden Blicke, keine neugierigen Touristen und auch keine sensationslüsternen Pressefotografen konnten die Privatsphäre der Bewohner und Besucher verletzen. Kein optisches Hindernis versperrte den Ausblick über die Weite des Meeres. Selbst auf seinem Anwesen in Florida oder von seiner Hazienda aus, erlebte er dieses Gefühl der schützenden Abschirmung und gleichzeitigen Unbegrenztheit derart intensiv.

Gern hätte er dieses Haus gekauft, aber es war im Besitz der Organisation, die einige Sicherheitsvorkehrungen beim Bau des Hauses getroffen hatte, die er für seine eigene Finca nicht für notwendig erachtete. Der engagierte Wachdienst wusste zwar um die Besonderheiten und Richard hätte sich über die Details informieren können, hielt es aber für nicht wichtig genug, seine Zeit dafür zu vergeuden.

Er prüfte die Räumlichkeiten, die Getränkevorräte und die Küche. Die Vorratsschränke waren prall gefüllt und in spätestens dreißig Minuten würde das Personal von seiner Hazienda herüberkommen und mit den Essensvorbereitungen beginnen. Nein, Richard McCormack überließ nichts dem Zufall.

Ben wusste, wann Mr. Xi-Jiong aus Peking am Airstrip eintreffen würde, wann Mr. Giles aus London am Anlegesteg in Port de Sa Calobra abzuholen war und wann er Ibn Tahim und Mr. Smith aus Riad im Hafen von Palma zu begrüßen hatte. Die anderen Organisatoren wollten auf eigene Faust anreisen und pünktlich um zwölf Uhr mittags anwesend sein.

Der Tisch im großen Saal war für vierzehn Personen gedeckt. Der Platz am Kopfende des riesigen Tisches war leer. Anstelle von Tellern, Gläsern und Besteck stand ein Foto in einem Silberrahmen an dem Platz – mit einer kleinen, schwarzen Schleife umkränzt.

Richard seufzte. Schlimm, dass ausgerechnet William Miller nicht mehr kommen würde. Ein Herzinfarkt vor drei Wochen hatte die Organisation auf dreizehn Personen schrumpfen lassen.

Ist das ein Omen? Dreizehn bei Tisch?, fragte sich Richard, schüttelte den Gedanken jedoch sogleich ab. Blödsinn!

Millers Sohn Chris würde in vier Wochen zur Organisation stoßen. Bis dahin dürfte er alle Hände voll zu tun haben, die internen Veränderungen im Konsortium seines verstorbenen Vaters zu regeln.

Ob Michael, mein verwöhnter Herr Sohn, das auch in so einer kurzen Zeit schaffen würde?, fragte sich Richard. Er genehmigte sich ein kaltes Sprudelwasser, stand eine Weile am Fenster mit dem fantastischen Ausblick und dachte: Louise wäre viel besser geeignet, meine Nachfolge anzutreten. Ja, seine Tochter hatte mehr Mumm in den Knochen als Michael. Sie wäre eine hervorragende Organisatorin.

In ihren Genen steckte viel mehr Material von den McCormacks als in denen seines Sohnes.

Er seufzte erneut. Aber die Statuten der Organisation erlaubten keine weiblichen Mitglieder. Was für ein Jammer, schoss es ihm durch den Kopf. Vielleicht sollte ich das Thema heute mal anschneiden.

Doch er wusste genau, dass er mit einem solchen Ansinnen bei seinen ‚Kollegen‘ aus Saudi Arabien, Kolumbien und Russland auf Granit beißen würde. Wollte er seine Premiere als Wortführer der Organisation gefährden?

Nach Williams Tod war Richard automatisch zum Wortführer der Organisation aufgestiegen. Sollte ihm etwas passieren, wäre Julian Allister sein Nachfolger. Julian. Ausgerechnet der wortkarge Julian.

Bisher hatten die Amerikaner immer noch die Oberhand bei allen Absprachen behalten. Hoffentlich bleibt das auch so, dachte er. Er mochte sich nicht ausmalen, was auf der Welt passierte, wenn die Saudis oder die Chinesen die Führung übernahmen.

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Nach und nach trafen die Mitglieder der Organisation ein. Als letzter erschien Piet van der Merwe aus Südafrika – wie immer im weißen Anzug. Wie ein Mafiosi, dachte Richard und schüttelte insgeheim den Kopf. Er hielt Piet van der Merwe für einen selbstgefälligen Pfau, aufgeblasenen Gernegroß und anmaßenden Angeber. Aber er war reich. Gold, Titan, Kupfer, Uran und Diamanten waren seine Quellen, die

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Copyright Karin Welters 2016 / published by LitArt-World 2018
Bildmaterialien: Copyright 123 RF, Matthijs Kuijpers
Cover: Copyright Karin Welters
Tag der Veröffentlichung: 27.02.2016
ISBN: 978-3-7396-3996-3

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Der Politthriller Die Töchter der schwarzen Mamba wird in fünf Teilen veröffentlicht Teil I Wie alles begann Teil II gefährliche Strömungen Teil III Zerreißproben Teil IV Der Countdown Teil V Der Showdown

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