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~Wild Gypsy Heart~

Wild Gypsy Heart

 Die Geschichte von Rada und Arian

 

 Stefania B. 

 

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1. Kapitel

 

1. Kapitel

 

Kronstadt, 1834

 

 

Ssssch...“, sagte der kleine Junge mit den dunklen Haaren und den braunen Augen. Das Mondlicht erhellte nur spärlich sein Gesicht.

Warte hier draußen. Ich bringe dir etwas zu Essen, ja?“

Mit diesen Worten rannte er blitzschnell die Stufen zum Haus hinauf und verschwand oben in der Tür. Rada blieb unten in ihrem Versteck bei den Treppen sitzen und spähte hinaus in die Dunkelheit. Das kleine Zigeunermädchen zog die Decke, die der Junge ihr zuvor gebracht hatte, ein klein wenig enger um sich. Die Nacht war bitterkalt. Rada wusste nicht, wie lange sie sich schon hier unten hinter den Treppenstufen versteckte. Sie war alleine, und das schon seit Tagen und Nächten. Sie wusste nicht, wo ihre Mutter, ihr Vater und die Anderen ihres Clans waren. Sie hatte sie einfach verloren und nun wusste sie nicht, wo sie hingehen sollte. Deshalb hatte Rada sich einfach hier in diesen Hinterhof geflüchtet und war dort geblieben. Bis der kleine schwarzhaarige Junge sie heute Abend entdeckte, ihr eine Decke und heiße Schokolade brachte. Und nun war er ins Haus gegangen, um etwas zu Essen zu holen. Rada vernahm seine schnellen, tapsigen Schritte auf der Treppe und kurze Zeit später stand er wieder vor ihr mit einem Körbchen voller Weißbrotscheiben.

Hier. Nimm“, sagte er freundlich und hielt ihr das Körbchen hin.

Danke....“, erwiderte das kleine, schwarzhaarige Mädchen zaghaft und griff nach einer Scheibe Brot.

Arian? Was machst du um diese Zeit hier draußen?“, ertönte die Stimme einer erwachsenen Frau von oben. Der kleine Junge sah Rada an und legte sich den Finger auf die Lippen, um zu signalisieren, dass sie keinen Laut von sich geben sollte.

Nichts, Mama!“

Im nächsten Moment ertönten erneut Schritte auf den Stufen und sie stand kurze Zeit später vor dem Versteck. Sie war eine dunkelhaarige, zierliche Frau etwa Mitte dreißig und sah die beiden Kinder aus großen Augen an.

Arian, wer ist das?“, fragte sie in Rada´s Richtung. Arian zuckte mit den Schultern.

Ich habe sie hier gefunden, Mama. Und ihr eine Decke und etwas zu Essen gebracht“

Rada vernahm ein leises Schnauben, welches von der Frau kam.

Um Gottes Willen, Arian. Du kannst sie doch nicht hier draußen in der Kälte lassen. Sie holt sich ja den Tod!“

Dann beugte sie sich zu dem Mädchen herab, sah sie mit einem liebevollen Ausdruck in den Augen an und streckte ihr ihre Hand hin.

Komm mit ins Haus, Kind“

Zögerlich ergriff das Zigeunermädchen diese und ließ sich dann von ihr, zusammen mit Arian, die Stufen hinauf ins Haus führen. Sofort kroch die angenehme Wärme im Inneren in ihre vor Kälte fast erstarrten Glieder. Als Rada zusammen mit der Frau und dem kleinen Jungen die wohlig warme Küche betrat, erblickte sie eine alte Frau, die zunächst Arian und seine Mutter musterte und dann Rada. In ihrem Blick lag Argwohn, soweit sie das deuten konnte. Rada konnte deutlich spüren, dass sie ihr gegenüber Ablehnung empfand.

Wen bringt ihr da in unser Haus?! Zigeuner-Abschaum!!“

"Mutter! Wie kannst du so etwas sagen? Das arme, kleine Ding hätte sich da draußen beinahe den Tod geholt, wenn Arian sie nicht gefunden hätte!", empörte sich die Mutter des kleinen Jungen.

"Wo sind ihre Eltern? Und ihr Zigeuner-Clan? Schickt sie dahin zurück, wo sie hingehört! In meinem Haus werde ich Niemanden von ihnen dulden!", donnerte erneut die erboste Stimme der alten Frau. Arian´s Mutter ging in die Knie und sah Rada an.

"Mein Kind, wo ist deine Familie?"

Rada sah traurig zu Boden und hob betrübt die Schultern.

"Ich weiß es nicht...Ich habe sie verloren....", wimmerte sie leise und aus ihren grünen Augen kullerte eine Träne über ihre Wange. Die Frau sah sie mitleidig an und schwieg für einen Moment. Dann zog sie das kleine Mädchen in ihre Arme und streichelte sanft ihre schwarzen Locken.

"Sssssch...nicht weinen, meine Kleine. Alles wird gut werden. Wir finden deine Eltern, versprochen", flüsterte die Mutter des kleinen Jungen. Als Rada sich beruhigt hatte, löste sich die Frau behutsam von ihr.

"Wie ist dein Name?", wollte sie wissen.

"Rada...."

Ein Schmunzeln huschte über das Gesicht der Frau und ihre braunen Augen leuchteten sanft .

"Ein wunderschöner Name. Ich heiße Maria. Und nun komm. Ich werde dir heiße Suppe geben"

"Das ist nicht dein Ernst, Maria!", beschwerte sich die alte Frau erneut und stemmte die Hände in die Hüften. "Wir haben selbst kaum etwas zu Essen und müssen sehen, wie wir über die Runden kommen! Sie wird uns die Haare vom Kopf fressen!"

Maria ignorierte die Großmutter und lief an ihr vorbei an den Herd, um das Feuer erneut anzuschüren. Rada beäugte die alte Frau mit großen Augen. Sie fragte sich, warum die alte Frau sie nicht mochte? Was hatte sie ihr denn getan? Jemand legte die Hand auf ihre Schulter und als Rada zur Seite sah, schaute sie in Arian´s sanfte, braune Augen.

"Mach dir nichts draus. Oma Caterina ist immer so...."

 

Die Hühnerbrühe schmeckte einfach fantastisch. Rada hatte noch nie so eine gute Suppe gegessen. Das kleine Zigeunermädchen aß mit großem Appetit. Schließlich war sie nach den vielen Tagen und Nächten da draußen unter der Treppe nahezu ausgehungert. Sie hatte sich nicht getraut ihr Versteck dort zu verlassen und draußen auf der Straße um Essen zu betteln. Sie hatte einfach zu große Angst gehabt. Angst vor den Menschen da draußen, vor denen ihre Eltern und ihr Clan davongelaufen waren. Zuvor hatte Rada mit ihrer Mutter und den anderen Zigeunerinnen auf dem großen Marktplatz getanzt, während die Männer musizierten. Doch war ein großes Chaos ausgebrochen. Schreie waren zu hören gewesen. Vielleicht auch Schüsse? Rada konnte sich nicht mehr genau erinnern. Sie hatte nur noch gemerkt, wie ihre Mutter hastig nach ihrer kleinen Hand griff, sie hinter sich her zog und mit ihr davon lief.

"Weg, ihr Zigeunerpack!", hatten die Leute gerufen. Rada hatte fürchterliche Angst gehabt. Doch alles ging so schnell. Rada war gestolpert und hingefallen. Ihre Mutter wollte sich umdrehen, um sie zu holen. Doch sie wurde von den anderen Frauen und Männern des Clans einfach weiter voran gedrängt. Und so blieb das kleine Mädchen einfach alleine zurück. Und als Rada sich umgeblickt hatte, waren die Leute noch immer hinter ihnen her. Sie hatte nur die einzige Möglichkeit gesehen, sich durch ein hölzernes Tor in einen Hinterhof zu retten. Und so war sie nun hier gelandet. Und sie war erleichtert, dass Arian und Maria ihr mit Freundlichkeit begegnet waren. Abgesehen von der Großmutter. Warum gab es Menschen, die ihr Volk nicht mochten? Was hatten sie Unrechtes getan? Rada konnte das nicht verstehen.

Arian saß neben ihr am Küchentisch und beobachtete sie aus seinen dunklen, großen Kulleraugen beim Essen. Rada blickte ihn hin und wieder scheu an. Sie wusste, dass er ein guter Junge war. Immerhin hatte er ihr eine Decke und heiße Schokolade gebracht, als sie draußen zitternd in der Kälte saß.

"Bist du satt, mein Kind?", fragte Maria, als Rada ihren Teller geleert hatte. Sie nickte stumm und Arian´s Mutter räumte das Geschirr ab. "Es ist spät, Kinder. Ihr solltet nun zu Bett gehen"

"Wo soll das Mädchen denn schlafen?", ertönte erneut die herrische Stimme der Großmutter, die gerade in die Küche trottete und Rada abermals einen missbilligenden Blick von ihr erntete. "Wir haben weder genug zu Essen noch Platz für eine weitere Person in diesem Haus!"

Maria erhob mahnend die Hand.

"Dann wird sie eben bei Arian schlafen. In der kleinsten Hütte ist Platz, Mutter!"

"Gute Nacht", erwiderte die Großmutter kühl und verließ schnaubend die Küche. Rada sah ihr hinterher. Was hatte diese Frau nur gegen sie? Maria stieß einen Seufzer aus und setzte sich neben die Kinder an den Tisch.

"Höre nicht auf sie, Rada. Meine Mutter ist starrköpfig und alt", sagte sie und streichelte Rada´s schwarze Locken. Das Herz des kleinen Mädchens verkrampfte sich bei dieser mütterlichen Geste. Es erinnerte sie nur zu schmerzlich an die liebevollen Berührungen ihrer eigenen Mutter. Sie spürte, wie ihre Augen feucht wurden, doch sie drängte dieses Gefühl in die hinterste Ecke ihres Herzens.

Als Rada neben Arian in dem kleinen Bett lag und sich auf die Seite gerollt hatte, fand sie zunächst keinen Schlaf. Sie dachte unentwegt an ihre Familie. Sie seufzte innerlich auf. Ihre Eltern fehlten ihr so schrecklich. Was war nur aus ihnen geworden? Und würde sie sie je wieder sehen? Ein leises Schluchzen drang aus ihrem Mund. Arian regte sich neben ihr und drehte sich auf die Seite. Im nächsten Moment spürte Rada, dass er seinen kleinen Arm um ihre Taille legte und sich an sie drückte.

"Nicht weinen, Rada.....Alles wird gut"

Die Berührung des Jungen tat ihr gut. Mit diesem Gefühl der Geborgenheit fiel sie schließlich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

 

2. Kapitel

 

 

2. Kapitel

 

Rada lebte nun bereits seit einigen Wochen bei Arian und Maria Antonescu. Sie war von den beiden liebevoll in die Familie aufgenommen worden. Nur die Großmutter machte es ihr noch immer schwer. Rada begegnete ihr stets mit Freundlichkeit und gab ihr keinerlei Anlass, böse auf sie zu werden. Doch es schien, dass die alte Frau überhaupt keinen Grund brauchte, um Rada zu trietzen. Es schien alleine die Tatsache zu genügen, dass sie ein Zigeunermädchen war und somit in den Augen der alten Frau Abschaum war. Selbst das konnte Rada mit ihren acht Jahren bereits erkennen. Sie hatte erfahren, dass Arian genauso alt war wie sie selbst. Rada hatte ihn einst gefragt, wo sein Vater sei. Daraufhin war der kleine Junge ganz traurig geworden. Er sagte ihr, dass er vor einem Jahr gestorben sei. Seitdem lebte er mit seiner Mutter und Großmutter alleine in dem Haus.

Rada war öfter mit Arian und Maria auf den Marktplatz hinunter gegangen, der nicht weit von der Strada Castelului, der Straße, in der die Familie wohnte, entfernt war. In weniger als zehn Minuten erreichte man den "Piata Sfatului" zu Fuß. Sie hatten mit ihr zusammen nach ihrer Familie Ausschau gehalten. Vielleicht würden sie zurückkommen. Ihre Mutter musste sie doch vermissen und nach ihr suchen? Doch Rada konnte sich nicht vorstellen, dass sie wieder zum diesem Ort kommen würden, von dem man sie vertrieben hatte. Um ehrlich zu sein, wusste sie überhaupt nicht, wo sie mit der Suche nach ihrer Familie anfangen sollte. Mit jeder Woche, die verstrich, verlor sie mehr und mehr die Hoffnung. Und Enttäuschung machte sich in ihr breit: Sie war einfach zurückgelassen worden. Aber was war, wenn ihren Eltern etwas zugestoßen war? Rada wollte gar nicht daran denken. Sie war nur froh, dass die Menschen sie in Ruhe ließen, wenn sie mit Arian und Maria durch die Straßen lief. Vielleicht erkannten die Leute sie gar nicht als Zigeunerkind. Nachdem sie in das Haus von Arian´s Mutter kam, ging Maria mit ihr am Tag darauf in die Stadt, um ihr Kleidung zu kaufen. Einfache Mädchenkleider und Röcke, die man hier in Siebenbürgen trug. Die langen Haare hatte sie ihr ordentlich zurückgekammt und zu einem Zopf geflochten. Maria schickte sie sogar mit Arian zusammen zur Schule. Rada war niemals zuvor in einer Schule gewesen. Doch nun lernte sie lesen und schreiben. Und Arian hatte ihr seine Freunde vorgestellt, die Rada ebenfalls akzeptierten. Nach der Schule spielten sie oft zusammen im Hinterhof oder tobten über den Marktplatz. Arian war mittlerweile so etwas wie Rada´s bester Freund geworden. Oder mehr wie ein Bruder. Die beiden verbrachten jede freie Minute miteinander, lernten Abends gemeinsam für die Schule oder neckten sich gegenseitig. Maria behandelte sie stets herzlich und fast wie – ja, als sei sie ihre eigene Tochter. Sie schien keinen Unterschied zu machen. Oft las sie Arian und Rada Gute-Nacht-Geschichten vor oder sang ihnen Lieder.

 

 

 

Kronstadt, 1842

 

 

Aus den Wochen, die Rada bereits bei Arian´s Familie lebte, wurden schließlich Monate. Aus Monaten wurden Jahre. Und sie wuchs zu einer jungen, hübschen Frau heran. Maria unterrichtete sie in Haushaltsdingen, schickte sie zum Einkaufen. Und Rada half ihr gerne. Schließlich hatte sie Rada vor beinahe acht Jahren aufgenommen, ihr ein Zuhause gegeben als sie nicht wusste, wo sie hingehen sollte.

Sie dachte noch immer häufig an ihre eigene Familie und was wohl aus ihnen geworden war. Es war möglich, dass der Clan Richtung Europa weitergezogen war, wenn sie nicht von den Fürstentümern Siebenbürgens versklavt worden waren. Denn Roma oder >Tsigani<, wie die allgemeine Bevölkerung ihr Volk nannte, wurden an Fürsten verkauft und mussten für diese umherziehen, um als Handwerker, Goldwäscher, Händler, Musiker oder Gaukler Geld zu verdienen, von dem sie einen jährlichen Betrag bei den Fürsten abzugeben hatten. Tief im Inneren hoffte Rada, dass ihrer Familie die Flucht aus dem Land gelungen war. Auch, wenn sie ihre Eltern vielleicht nie wieder sah. Sie selbst hatte auch Glück gehabt und führte ein gutes Leben in Arian´s Familie und sie waren ihr über die Jahre ans Herz gewachsen. Sie fühlte sich bei ihnen akzeptiert und aufgenommen. Abgesehen von Großmutter Caterina, die nach all der Zeit in Bezug auf Rada noch immer ein Biest war. So sehr sich Rada auch um ihre Zuneigung bemühte, sie scheiterte. Caterina würde ihre Meinung wohl niemals ändern. Wie oft hatte sie für Großmutter Bilder gemalt, als sie klein war. Doch sie schenkte diesen niemals Beachtung, während sie Arians Malereien in den Himmel lobte. Egal, was er auch tat, sie überhäufte ihn stets mit Zuneigung und Liebe. Eine Sache, die Rada zeigte, dass diese scheinbar kalte und herzlose Frau durchaus im Stande war, Herzlichkeit zu zeigen. Nur eben nicht ihr gegenüber.

Gerade beschwerte sie sich einmal wieder lauthals über Rada´s angeblich, missratene Kochkünste, als die Familie gemeinsam beim Abendessen saß. Die Sonne war draußen mittlerweile untergegangen. Der Herbst nahte und es wurde allmählich früher dunkel. Obwohl die Tage noch immer spätsommerlich warm waren, waren die Abende schon merklich kühler.

"Die Bohnensuppe ist doch viel zu salzig! Mit sechzehn Jahren noch nicht mal eine anständige "Ciorba de Fasole" kochen zu können, lässt wirklich zu wünschen übrig!"

Arian warf Rada einen vielsagenden Blick zu und in seinen dunklen Augen blitzte der Schalk. Dieser Gesichtsausdruck war typisch für ihn – und Rada liebte dieses verschmitzte Leuchten in seinen Augen. Es verlieh ihm etwas Spitzbübisches. Etwas Anziehendes. Er war mittlerweile wie sie selbst zu einem jungen Erwachsenen geworden und die Mädchen in der Schule liefen ihm in Scharen hinter her. Was Rada nur gut verstehen konnte. Doch hin und wieder ertappte sie sich dabei, wie ein Gefühl der Eifersucht in ihr aufflackerte. Aus irgendeinem Grund konnte sie es überhaupt nicht leiden, wenn andere Mädchen ihren Arian anhimmelten. In ihren Augen waren das alle dumme Gänse, die nichts im Kopf hatten und viel zu oberflächlich waren. Ob Arian sich dessen aber bewusst war, dass er von den Mädchen in der Schule gerade zu umschwärmt wurde, wusste Rada nicht zu sagen. Denn er schien sich glücklicherweise recht wenig aus ihnen zu machen. Zudem hatten beide vor wenigen Tagen ihren Abschluss gemacht.

"Ich weiß nicht, was du an Rada´s Suppe auszusetzen hast, Großmutter. Ich finde sie fantastisch", sagte Arian schulterzuckend, worauf er einen missbilligenden Blick von Caterina erntete.

"Verteidige sie nur, Arian! Du bist immer auf ihrer Seite. Ihr beide klebt seit eurer Kindheit aneinander wie die Schmeißfliegen"

Maria entwich ein leises Lachen. In den letzten acht Jahren hatte sie sich äußerlich kaum verändert. Abgesehen von den wenigen grauen Strähnen, die ihr Haar mittlerweile durchzogen.

"Bald nicht mehr, Mutter. Wie wir wissen, wird uns Arian in drei Tagen für einige Zeit verlassen"

Bei diesem Gedanken krampfte sich Rada´s Magen zusammen. Ja, Arian würde fortgehen. Dadurch, dass er stets ein guter Schüler gewesen und später auf das städtische Gymnasium gewechselt war, konnte er nach seinem Abschluss nun eine ausländische Universität besuchen, an der er Medizin studieren würde. Denn Arian wollte wie sein Vater Arzt werden und seiner Familie eine gute Zukunft bieten. Er würde nach London aufbrechen und für eine sehr lange Zeit weg sein, denn ein Medizinstudium dauerte in der Regel sechs Jahre. Rada hingegen hatte einen normalen Schulabschluss abgelegt, denn ihre Rolle in der Familie und Gesellschaft war eine Andere. Sie würde weiterhin Maria und Caterina im Haushalt unterstützen bis sie eines Tages selbst heiratete und eine eigene Familie gründete. Aber von diesen Gedanken war sie noch weit entfernt.

Nach dem Abendessen half Rada ihrer Mutter – ja, mittlerweile bezeichnete sie Maria als solche – beim Abwaschen des Geschirrs. Danach wartete noch ein ganzer Berg Wäsche auf sie, die sie von Hand waschen und dann auf dem Dachboden zum Trocknen aufhängen musste. Darunter waren Unmengen von Arian´s Kleidung, die er für sein Auslandsstudium benötigen würde und die schnellstens trocknen mussten. Als Rada später gedankenverloren auf dem Dachboden mit dem Aufhängen der Wäsche beschäftigt war, dachte sie über eine Begegnung mit Roma neulich auf dem Marktplatz nach. Als sie einkaufen gegangen und über den Platz gelaufen war, hatte eine Gruppe von Zigeunern auf dem "Piata Sfatului" musiziert und Frauen tanzten zu deren Musik. Ein Hauch von Wehmut hatte Rada´s Herz bei diesem Anblick erfasst. Es erinnerte sie an ihre Kindheit, als sie mit ihrer Mutter und den anderen Roma-Frauen dort tanzte, ausgelassen sang und lachte. Es schien bereits eine Ewigkeit her zu sein und es kam ihr fast wie ein Traum vor, dass sie einmal zu ihnen gehörte. Doch ein Teil von ihr war noch immer Roma. Und das würde auch immer so bleiben. Als sie die Musik vernommen hatte, war diese direkt durch Mark und Bein gegangen. Wie ein Blitz in ihr Herz gefahren. Unwillkürlich hatte sich ihr Körper zu den Takten der Zigeunermusik bewegen wollen, als hatte er nie vergessen, wie man dazu tanzte. Es lag ihr noch immer im Blut. In ungestörten Momenten wie diesem hier, wo sie alleine auf dem Dachboden war, summte sie die Melodie der Zigeunermusik vor sich hin und wiegte ihre Hüften im Rhythmus.

"Brauchst du Hilfe?"

Rada erschrak zutiefst als Arian´s Stimme sie aus ihren Gedanken riss und erstarrte sofort.

"Arian! Warum schleichst du dich immer so an? Willst du, dass ich einen Herzinfarkt bekomme?"

Mit vor der Brust verschränkten Armen stand der dunkelhaarige junge Mann vor ihr, den Kopf schief gelegt und sah sie aus seinen braunen Augen verschmitzt an.

"Nicht bevor ich Arzt geworden bin, Schwesterchen"

Rada seufzte innerlich auf. Wollte er wirklich gehen? Und sie einfach so zurücklassen? Den Launen von Großmutter schutzlos ausgeliefert? Wobei Mutter ihr noch immer Rückhalt gab, wenn Caterina es übertrieb mit ihren Sticheleien. Doch Arian war immer an ihrer Seite gewesen, all die Jahre lang. Und nun? Jetzt wollte er sie einfach verlassen!

"Musst du wirklich gehen?", sagte sie als sie mehr oder weniger trotzig das letzte seiner Kleidungsstücke auf die Leine hängte.

"Die Zeit wird wie im Flug vergehen, Rada"

Das wagte sie zu bezweifeln. Ein einziger Moment ohne Arian kam ihr schon vor wie hundert Jahre. Wie war es denn dann erst, wenn er sechs ganze Jahre fort war? Das immerhin fast so viel Zeit, wie sie bereits in der Familie Antonescu verbracht hatte.Wie sollte sie das überleben? Seit sie ihn zum ersten Mal als kleinen Jungen gesehen hatte, wie er ihr die Decke und die heiße Schokolade in ihr Versteck unter der Treppe brachte, empfand sie Zuneigung für ihn. Eine sehr tiefe Zuneigung. Es war ein Seelenband zwischen ihnen, dass nichts und niemand durchtrennen konnte. Rada schnaubte leise und warf Arian einen missbilligenden Blick zu.

"Wehe dir, wenn du mir nicht schreibst! Dann bring ich dich um, wenn du zurückkommst!"

Arian´s Mundwinkel zuckten und Belustigung leuchtete in seinem Blick auf.

"Dann bleib ich wohl besser fort", gab er witzelnd zurück.

"Wehe dir!"

Rada machte einen Satz nach vorne auf ihn zu, im Begriff ihm die hübschen Ohren lang zu ziehen. Arian wich lachend zur Seite aus.

"Du kriegst mich ja doch nicht!"

"Und ob!"

Die beiden lieferten sich eine Verfolgungsjagd durch das Dachbodenzimmer. Rada rannte Arian hinterher und versuchte ihn einzufangen. Doch dieser war einfach zu schnell und zu flink für sie. In ihrem langen Rock war es einfach beschwerlicher mit Arian Schritt zu halten. Die beiden lachten herzhaft aus voller Seele, während sie kindlich umeinander herumtollten. Doch plötzlich verfing sich einer von Rada´s Füßen in dem Rocksaum. Sie stolperte und fiel der Länge nach zu Boden, das Gesicht auf den Boden gedrückt. Arian brach ihn schallendes Gelächter aus, was ihm sofort einen verächtlichen Blick von Rada einbrachte.

"Hör auf zu lachen, du Blödmann! Na warte, wenn ich dich kriege!"

Ächzend erhob sie sich und tat erneut einen gespielt bedrohlichen Schritt auf Arian zu. Das Verfolgungsspiel wiederholte sich abermals. Arian huschte hinter ein Holzregal, auf dem einige alte Kisten verstaut waren und versteckte sich dort.

"Komm sofort da raus, du Feigling!", empörte sich Rada und stemmte die Hände in die Hüften.

"Ich denke ja gar nicht daran!", gab er feixend zurück. Rada warf ihre schwarzen Locken, die sich mittlerweile aus ihrem langen, geflochtenen Zopf gelöst hatten, kokett über ihre Schulter.

"Na, bitte. Dann bleib eben hier. Aber vergiss nicht, ich hab den Schlüssel. Wenn ich will, dann sperr ich dich solange hier oben ein, bis du wieder zu Sinnen kommst! Und dann werden wir sehen, ob du in drei Tagen noch zu deinem Auslandsstudium verreisen kannst!"

Rada machte kehrt und lief auf die Tür zu, im Begriff den Dachboden zu verlassen.

"Das würde dir so passen, Rada!", erklang Arian´s Stimme hinter dem Regal. In Sekundenschnelle sprintete der dahinter hervor und umfing mit seinen Armen Rada´s Taille. Er hob sie an und drehte sich mit ihr lachend im Kreis.

"Lass mich runter, Arian! Mir wird ja ganz schlecht!"

Noch immer die Arme um sie geschlungen, ließ sich Arian schließlich zusammen mit Rada auf den Boden fallen. Beide lagen seitlich auf dem kühlen Holz und keuchten. Sie spürte seinen warmen Atem an ihrem Nacken, der eine sanfte Gänsehaut über ihren Körper schickte. Dieser Moment erinnerte sie an die erste Nacht, in der sie als Kinder nebeneinander in einem Bett geschlafen hatten. Damals hatte sie sich so wohl und geborgen in seiner Umarmung gefühlt. So wie jetzt. So sicher und behütet. Beschützt und geliebt. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.

"Ich werde dich vermissen, Rada....", flüsterte Arian an ihrem Ohr. "So schrecklich"

Sie spürte seine zarten Lippen auf ihrer Wange, als er ihr einen Kuss darauf hauchte. Und da wusste auch sie, dass er ihr fürchterlich fehlen würde....

 

3. Kapitel

 

 

3. Kapitel

 

Kronstadt, 1848

 

Rada drehte sich lachend im Kreis zu der Geigenmusik. Ihr langer, weiter Rock breitete sich aus wie ein Kreisel und die bunten Muster darauf verschmolzen ineinander, während sie tanzte. Sie fühlte sich so frei und glücklich unter Ihresgleichen. Der junge Roma-Musikant mit den schwarzen Haaren, die ihm wild ins Gesicht und fast bis auf seine Schultern fielen, musterte sie aus seinen dunklen Augen. Sein Name war Lascar und neulich hatte er sie angesprochen, als sie mal wieder wie so oft die Zigeuner auf dem Marktplatz beobachtete. Er schien sofort gefühlt zu haben, dass sie zu ihnen gehörte.

Seit dem traf sich Rada einmal die Woche mit seiner Musikantengruppe, um dort gemeinsam mit deren Frauen zu tanzen. Mutter Maria und Großmutter Caterina wussten davon selbstverständlich nichts. Rada stahl sich stets mit dem Vorwand aus dem Haus, einkaufen gehen zu müssen. Was ja nicht gelogen war und schließlich ging Rada öfter für die Familie einkaufen.

"Ich muss jetzt nach Hause, Lascar!"

Der junge Zigeuner zog einen Schmollmund.

"Ach. Bleib doch noch, Rada!"

Lascar war attraktiv und fand Gefallen an Rada, das wusste sie.

"Vielleicht entscheidest du dich ja eines Tages, dich uns anzuschließen", hatte er einmal gesagt. Doch sie versicherte ihm, dass sie ihr halbes Leben bereits nicht mehr unter Zigeunern gelebt und nun eine andere Familie hatte, die sie sehr liebte. Und sie vermisste Arian nach wie vor. Doch nicht mehr lange und er würde zurückkehren. Genaugenommen in wenigen Tagen schon. Sie fieberte diesem Tag entgegen seitdem er vor sechs Jahren gegangen war. Und sie erinnerte sich noch immer mit jedem Detail an jenen ausgelassenen Abend oben auf dem Dachboden, als sie einander nachjagten und schließlich erschöpft und keuchend zu Boden fielen. Sein Atem in ihrem Nacken. Sein duftender Körper ganz nah an ihrem. Seine weichen Lippen, die einen sanften Kuss auf ihre Wange gehaucht hatten. Rada seufzte als sie die Strada Castelului entlang lief. Seit Arian sein Auslandsstudium angetreten hatte, war es ihr vorgekommen, als sei sie die letzten sechs Jahre unvollständig gewesen. Vielleicht hatte sie deshalb den Kontakt zu den Roma-Musikanten am Marktplatz gesucht. Weil diese ihr ebenfalls ein Gefühl des Vollkommen-Seins vermittelten. Und irgendwie musste sie sich ja von ihrer Sehnsucht nach Arian ablenken. Ihrer Sehnsucht.....Rada war sich nicht sicher, ob sie überhaupt solche Gefühle für ihren Bruder haben durfte. Doch eigentlich war Arian gar nicht ihr Bruder. Sie waren nicht einmal blutsverwandt. Er hatte ihr gesagt, dass sie ihm fürchterlich fehlen würde. Doch hatte er ihr geschrieben? Kein einziges Mal! Seiner Mutter hatte er hin und wieder einen Brief geschickt, in dem er Rada herzlich grüßen ließ. Doch kein persönlicher Brief nur für sie allein, in dem er ihr seine intimsten Gedanken mitteilte. So wie er es als kleiner Junge immer getan hatte. Rada und Arian hatten von Kindesbeinen an stets über alles miteinander reden können. Es gab niemals Geheimnisse zwischen den beiden. Und trotzdem hatte er in all diesen Jahren nicht einen einzigen Brief übrig gehabt? Bei diesem Gedanken ballte Rada unwillkürlich die Hände zu Fäusten. Na, der konnte ja was erleben, wenn er nach Hause kam! So einfach würde er nicht davon kommen!

 

 

"Sind die Sarmale fertig, Rada?"

Mutter Maria erschien neben ihr, während Rada den Deckel von dem dampfenden Topf mit den Weißkrautwickeln anhob. Der angenehme Duft des Essens zog in ihre Nase und sie schloß genüsslich die Augen.

"In ein paar Minuten müssten sie fertig sein, Mutter"

"Hoffentlich sind sie nicht wieder halbroh wie beim letzten Mal!"

Großmutter Caterina´s Stimme schnitt messerscharf durch die Küche, als sie sich am Küchentisch niederließ und ihren Tee trank. Rada hatte mittlerweile gelernt, die scharfen Bemerkungen der alten, zynischen Frau zu ignorieren. Tief im Inneren hatte sie sich damit abgefunden, dass sie ihr niemals Wohlwollen entgegen bringen würde. Außerdem war Rada innerlich viel zu aufgeregt, um sich an Caterina´s Worten zu stören. Arian würde heute nach Hause kommen. Nach sechs langen Jahren. Sie freute sich, ihn wieder zu sehen. Und trotzdem würde sie es ihm nicht allzu einfach machen. Sie war noch immer wütend darüber, dass er ihr kein einziges Mal geschrieben hatte in all der Zeit, während sie täglich, ja beinahe jeden Moment nur an ihn dachte. Speziell für seine heutige Ankunft hatte sie sein Lieblingsgessen zubereitet. Vielleicht sollte ich in seinen Teller eine extra Portion Salz geben!, dachte sie bitter und spürte, wie sich die Schadenfreude in ihrem Bauch ausbreitete. Unwillkürlich begann sie zu schmunzeln bei dieser Vorstellung. Nein, das würde sie nicht wagen. Sie würde es ihn auf andere Weise büßen lassen.

"Rada´s Sarmale waren beim letzten Mal vorzüglich, Mutter", verteidigte Maria ihre Ziehtochter. "Wenn sie zu weich gekocht sind, fallen sie auseinander!"

Vielleicht liegt es auch einfach nur an den alten Zähnen dieser Hexe!, dachte Rada und kicherte ungewollt auf.

"Was gibt es da zu kichern?", empörte sich Großmutter Caterina prompt. Rada wandte sich zu der alten Frau um und lächelte sie freundlich an.

"Nichts, Großmutter"

Die junge Frau mit den schwarzen, langen Haaren, die sie stets zu einem geflochtenen Zopf trug, erntete einen missbilligenden Blick von Caterina. Sie wusste, dass die Alte es hasste, wenn Rada sie Großmutter nannte. Denn sie würde sich niemals nur im Ansatz als die Verwandte eines Zigeunermädchens betiteln. Doch das war Rada herzlich egal. Irgendwiemusste sie sich gegen die bissigen Kommentare dieser Frau verteidigen – und sei es nur unterschwellig.

"Schluss mit dem Geplänkel! Arian kommt jeden Moment", meldete sich Maria zu Wort. Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, vernahm Rada das Geräusch der Türklinke an der Haustür im Flur. Ihr stockte der Atem. Gleich würde Arian nach sechs Jahren wieder vor ihr stehen! Für einen Moment überlegte sie, ob ihre Haare ordentlich lagen und.....Verdammt! Rada´s Blick fiel auf ihre vom Kochen völlig verdreckte Schürze. Hastig zog sie diese über den Kopf und hängte sie an den Haken neben der Küchentür. Schnell zog sie nochmal ihre Bluse und ihren Rock gerade. Warum machte sie sich eigentlich so viele

Gedanken, ob sie gut aussah? Ob sie Arian gefallen würde? Vermutlich war es ihm vollkommen egal. Wenn er ihr nicht einmal ein paar Worte geschrieben hatte, dann dürfte es ihm auch herzlich egal sein, wie sie aussah. Pah! Der konnte sich noch immer auf was gefasst machen, dieser......! Rada´s Herz setzte einen Schlag aus. Arian sah umwerfend aus! Seine schwarzen Haare waren ein wenig länger geworden und fielen ihm seitlich ins Gesicht. Das weiße Hemd, dessen Ärmel er lässig bis zu den Ellenbogen zurückgekrempelt hatte, die schwarze Stoffhose und die gleichfarbigen Schuhe sahen piekfein an ihm aus. Die letzten Jahre schienen einen richtigen Mann aus ihm gemacht zu haben.

"Arian! Mein Sohn, du bist zurück!"

Maria fiel ihm freudestrahlend um den Hals.

"Hallo Mutter", erwiderte er lächelnd und drückte Maria fest an sich. Großmutter Caterina hatte sich mittlerweile von ihrem Stuhl erhoben und trat ebenfalls auf Arian zu, um ihn zu begrüßen. Er umarmte auch sie herzlich.

"Großmutter"

"Wie schön, dass du zurück bist"

Über die Schulter seiner Großmutter kreuzten sich schließlich Rada´s und Arian´s Blicke. Er schien für einen Moment inne zu halten. Mit großen Augen sah er sie zunächst an, dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht und seine wunderschönen Grübchen kamen zum Vorschein, die Rada seit ihren Kindertagen liebte. Die Röte schoss ihr unwillkürlich ins Gesicht, doch sie zwang sich zur Vernunft. Arian löste sich von seiner Großmutter und trat auf Rada zu.

Warte Bürschchen!, dachte sie bitter und verschränkte die Arme vor ihrer Brust, während sie ihn missmutig beäugte.

"Rada!"

Mit ausgebreiteten Armen und einem breiten Grinsen im Gesicht kam der junge Mann auf sie zu. Als er sie gerade umarmen wollte, wich sie zur Seite hin aus, warf kokett den Kopf in den Nacken und verließ die Küche, um direkt in das angrenzende Wohnzimmer zu verschwinden. Mit einem ohrenbetäubenden Knall ließ sie die Tür hinter sich zu fallen. Maria, Caterina und Arian sahen sich überrascht an.

"Was hat sie denn?", fragte er an Maria gewandt. Diese hob die Schultern.

"Ich weiß es nicht. Vielleicht fragst du sie selber"

Caterina erhob mahnend einen Zeigefinger.

"Das ist das Zigeunertemperament! Wie unhöflich von ihr, sich so zu verhalten! Undankbares Gör! Ich hab ja immer geahnt, dass sie uns eines Tages auf dem Kopf herumtanzen wird!"

Arian ging nicht auf die Bemerkung seiner Großmutter ein, obwohl sie ihn im Inneren ärgerte, sondern lief schnurstracks auf das Wohnzimmer zu. Als er die Tür öffnete, erblickte er Rada, wie sie mit dem Rücken zu ihm am Fenster stand und hinausstarrte. Sie zeigte keine Regung, nachdem er das Zimmer betreten hatte. War sie etwa trotzig? Was hatte er ihr getan? Arian schloss die Tür hinter sich. Langsam trat er an sie heran und stand kurz darauf direkt hinter ihr. Sie regte sich noch immer nicht, obwohl sie bereits spüren musste, dass er hinter ihr stand.

"Rada?"

Verärgertes Schnauben.

"Du erinnerst dich also noch an mich, ja?"

In ihrer Stimme schwang eine derartige Kälte und Ironie mit, die Arian das Blut in seinen Adern gefrieren ließ. Doch er entschied sich, sich nicht davon beeindrucken zu lassen. Er kannte ihr Temperament und wusste nur zu gut, wie aufbrausend sie sein konnte. Und Gott! Wie sehr hatte ihm das gefehlt! Ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht.

"Wie könnte ich dich vergessen?", sagte Arian als er seinen Kopf auf ihren Schultern ablegte und sie verschmitzt von der Seite beäugte. Sie starrte noch immer stur aus dem Fenster, die Arme vor der Brust verschränkt. Er sah, wie ihre Mundwinkel zuckten, sie sich aber angestrengt gegen ein Schmunzeln zu wehren versuchte. Stattdessen hob sie fragend die Augenbrauen, sah ihm aber noch nicht ins Gesicht.

"Das hast du scheinbar schon, als du damals durch die Tür gegangen bist", gab sie kühl zurück. Arian hob den Kopf von ihrer Schulter.

"Wieso sagst du das?"

Schnaubend wandte Rada sich zu ihm herum. Die Arme noch immer vor der Brust verschränkt. Zwischen ihren Augenbrauen hatte sich eine Falte gebildet und sie sah ihn missbilligend an.

"Wieso ich das sage? Sechs Jahre ohne ein geschriebenes Wort von dir an mich, Arian!"

Arian hob fragend die Brauen und sah sie verständnislos an.

"Ich habe Mutter doch geschrieben und Grüße an dich ausrichten lassen"

Rada schnaubte abermals und warf mit einer heftigen Bewegung die Arme nach unten, während sie genervt die Augen verdrehte.

"Grüße? Mehr hattest du nicht übrig?"

Der junge Mann hob beschwichtigend die Hände, denn er hatte das Gefühl, dass Rada gleich auf ihn losgehen würde.

"Es tut mir Leid, Rada. So ein Medizinstudium ist harte Arbeit. Ich hatte ständig zu tun. Sonst hätte ich dir auch persönlich ein paar Zeilen zukommen lassen.....Bitte sei nicht mehr sauer auf mich"

Rada stieß die Luft scharf aus und wollte trotzig an ihm vorbei laufen, doch Arian bekam ihre Hand zu fassen und zog sie zu sich zurück. Mit weit aufgerissenen Augen stand sie mit dem Rücken an seinen Oberkörper gelehnt, spürte wieder seinen warmen Atem auf ihrer Haut und sog seinen süßlich-herben Duft ein, den sie in all der Zeit so vermisst hatte. Ein Gefühl der Wärme breitete sich in ihrem Brustkorb aus. Doch so schnell wollte sie nicht Kleinbei geben!

"Lass mich los!", brummte Rada. Sie vernahm sein leises Lachen an ihrem Ohr.

"Das werde ich. Aber vorher möchte ich dir noch etwas sagen"

"Dann mach schnell! Die Sarmale sind fertig! Ich hab extra für dich noch dein Lieblingsessen gekocht, du undankbarer Kerl!"

"Ich hab beinahe jeden Tag an dich gedacht. Jede Sekunde....Ich hab dich vermisst, Schwesterchen"

Eine Woge der Hitze schoß in Rada´s Wangen, als sie seine zarten Lippen auf ihnen spürte. Er tat es schon wieder! So wie damals! Was bildete er sich ein? Dieser unverschämte Mistkerl! Doch sie konnte ihm einfach nicht böse sein. Dazu liebte sie ihn einfach zu sehr. Diesen kleinen Jungen, aus dem ein attraktiver junger Mann geworden war, der sein Medizinstudium nun erfolgreich abgeschlossen hatte. Innerlich war sie sogar sehr stolz auf ihn. Bald würde er sich Dr. Arian Antonescu nennen dürfen und eine eigene Praxis eröffnen.

 

Beim Essen erzählte Arian von seinem Studium in London und wie oft er sich gewünscht hatte, seine Familie wenigstens einmal im Jahr zu besuchen. Doch konnte er sich diese Reise einfach nicht leisten. Das Studium allein war teuer genug und er hatte Glück, dass er ein Stipendium nach seinem Hochschulabschluss bekommen hatte. Rada hörte ihm gebannt zu, während er von seiner Zeit in London erzählte. Hin und wieder schmunzelten sich beide unauffällig über den Tisch zu.

"Arian...", meldete sich Caterina zu Wort. "Was hast du vor sobald du als Arzt tätig bist?"

Der junge Mann sah seine Großmutter verwundert an.

"Als Arzt tätig sein? Was soll ich sonst vorhaben, Großmutter?"

"Na, wie wäre es mit Heiraten, Junge? Wann suchst du dir ein nettes Mädchen?"

Rada verschluckte sich beinahe an ihren Sarmale und trank schnell einen SchluckWasser. Arian und heiraten? Wen bitte? Eine dieser dummen Gänse, die damals schon um ihn herumschwarwenzelt waren? Bei diesem Gedanken drehte sich Rada der Magen um. Arian legte seine Hand auf Caterina´s und lächelte sie verständnisvoll an.

"Keine Sorge, Großmutter....Alles zu seiner Zeit"

Für einen Moment streifte sein Blick Rada und ihr schoss unwillkürlich die Röte ins Gesicht. Einen Augenblick lang hatte sie sich vorgestellt, wie es wohl sein würde, wenn sie dieses Mädchen an seiner Seite wäre. Doch sie verwarf diesen Gedanken ganz schnell wieder. Arian und Rada heiraten.....Das würde er sicher nie und nimmer. Er benahm sich zwar öfter so, als würde er mit ihr flirten, aber sie bezweifelte dennoch, dass Arian tiefergehende Gefühle für sie hatte....Oder? Was, wenn doch?

 

 

4. Kapitel

 

4. Kapitel

 

 

 

Gehst du eben auf den Markt für mich, Liebes?", fragte Maria am Morgen darauf, als Rada gerade dabei war, das benutzte Frühstücksgeschirr abzuwaschen.

"Selbstverständlich, Mutter"

"Ich kann dich begleiten", meinte Arian, als er im Türrahmen stand und sich lässig dagegen lehnte. Oh Nein. Auch das noch. Ausgerechnet heute, wo sich Rada wie jede Woche auf dem Marktplatz mit Lascar, den Musikanten und den Tänzerinnen traf. Lascar und seine Truppe versammelten sich immer Mittwochs auf dem "Piata Sfatului", um mit ihren Darbietungen Geld zu verdienen. Und Rada brannte jede Woche darauf, dort hin zu gehen und ausgelassen zu tanzen. Wenn sie nun Arian im Nacken hatte, würde sie dort nicht hingehen können!

"Das ist nicht nötig, Arian", erwiderte Rada deshalb. "Du bist sicher noch erschöpft von der langen Reise. Bleib Zuhause und ruhe dich aus"

Glücklicherweise schien sich Arian damit zufrieden zu geben.

"Na, schön wie du meinst"

Kurze Zeit später machte sich Rada mit einem Korb in der Hand auf den Weg zum Marktplatz. Nachdem sie ihre Einkäufe erledigt hatte, begab sie sich zum Brunnen im Zentrum des Platzes. Von Weitem erkannte sie bereits Lascar, die Musikanten und die Frauen.

"Rada!", begrüßte Lascar sie freudig.

"Hallo, Lascar", erwiderte sie.

Der junge Zigeuner musterte sie eine Weile aus seinen dunklen Augen und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Schmunzeln.

"Schön, dass du uns wieder Gesellschaft leistest"

Dann ließ er sich vor dem Brunnen auf einem hölzernen Hocker nieder und begann auf seiner Violine zu spielen, während sein Freund neben ihm rhythmisch die Trommel zum erklingen brachte. Ein anderer sang zu der Melodie.

Wie jedes Mal lieh ihr Smaranda, eines der Roma-Mädchen, zwei bis drei lange, bunte Röcke. Da Zigeuner-Frauen an die zwölf Röcke übereinander trugen, war es nicht schlimm, drei davon abzugeben. Rada löste ihre langen, schwarzen Locken aus dem Zopf und schlang sich ein Hüfttuch um, das ihr Smaranda ebenfalls gab. Sie drehte sich mit den anderen Tänzerinnen im Kreis, ließ ihre Röcke im Takt der Musik schwingen und ihre Hüften verführerisch kreisen. Smaranda spielte während des Tanzes ihre Fingerzimbeln, die anderen Frauen ließen wild ihre Tambourine erklingen. Hin und wieder blieben einige Passanten stehen und beobachteten das Schauspiel. Manche von ihnen warfen sogar einige Münzen in den Hut, der vor Lascar auf dem Boden lag. Dieser bedankte sich stets mit einem freundlichen Nicken, während er lässig seine Violine weiter spielte und seine aufmerksamen Augen sich sogleich danach wieder auf Rada ruhten. Auf ihren geschmeidigen Hüften, dem üppigen Busen, der sich unter ihrer weiße-rot gemusterten Trachtenbluse abzeichnete. Die langen, schwarzen Locken und die smaragdgrünen Augen, die sich von ihrer leicht-gebräunten Haut abhoben, die vollen roten Lippen, die kleine, gerade Nase und ihre hohen Wangenknochen.Was für eine schöne Frau - und wie Schade war es, dass sie sich nicht entschied, sich seiner Truppe anzuschließen. Doch Lascar schien nicht Rada´s einziger Bewunderer zu sein.

 

Arian war Rada heimlich gefolgt. Wieso nur wollte sie alleine zum Einkaufen gehen? Früher hatten sie beinahe jede Sekunde miteinander verbracht, waren nie ohne einander irgendwo hingegangen. Und jetzt? War sie etwa noch immer sauer, weil er ihr während seiner Abwesenheit nicht geschrieben hatte? Oder hatte sie sich in all der Zeit einfach von ihm entfernt? Bei diesem Gedanken krampfte sich Arian´s Herz zusammen. Und beinahe blieb es ihm stehen, als er Rada inmitten von Roma-Frauen auf dem Marktplatz tanzen sah. Nicht vor Entsetzen. Ganz und gar nicht. Rada sah atemberaubend aus, während sie sich im Kreis drehte, lachte und sang. Die Röcke wild wirbeln ließ. So ausgelassen hatte er sie noch nie gesehen, so frei und ungezwungen. Zwar waren sie früher als Kinder hier über den Marktplatz getollt, aber niemals hatten ihre Augen dabei so sehr geleuchtet wie jetzt in diesem Moment, wo sie unter Ihresgleichen war. Mit einem Schmunzeln beobachtete Arian sie unauffällig von einer Bank einige Meter vom Brunnen entfernt. Das war also der Grund, weshalb Rada darauf bestanden hatte, alleine einkaufen zu gehen. Weil sie sich insgeheim nach ihrem Volk sehnte. Nach einer Weile machte Arian sich auf den Weg nach Hause, denn er wollte bei Rada nicht den Eindruck erwecken, dass er ihr nachstellte.

 

Freudestrahlend trat Rada durch das Holztor in den Innenhof, wo sich mit einem tiefen Seufzer auf der grünen Holzbank vor dem Haus niederließ. Den Einkaufskorb stellte sie neben sich ab. Ihre weiße Trachtenbluse klebte an ihrem Rücken, so sehr hatte sie getanzt.

"Wo bleibst du denn so lange, Kind?", ertönte Maria´s Stimme. Ihre Mutter erschien oben am Ende der Treppe in der Tür und schaute zu ihr herunter. Rada fächerte sich Luft zu.

"Es war voll auf dem Markt und bei dieser Hitze kann man nicht so schnell gehen, Mutter"

Ein verständnisvoller Ausdruck machte sich auf Maria Antonescu´s weichen Gesichtszügen breit.

"Nun komm rein und hilf mir beim Zubereiten des Mittagessens, Rada. Und Großmutter möchte ihren Tee"

Daran würde Caterina ja sowieso wieder etwas auszusetzen haben.

"Der ist viel zu bitter!"

Rada konnte die herrische Stimme der Alten schon bis hier hören und sie verdrehte unwillkürlich die Augen. Jedoch blieb ihr nichts Anderes übrig. Also griff sie nach dem Korb und erhob sich schwungvoll von der Bank, um kurz darauf die Treppe nach oben zu schreiten.

"Zurück von deinem Einkaufsbummel?", begrüßte sie Arian, der am Küchentisch saß und sie amüsiert musterte. Ein Ausdruck lag in seinen dunklen Augen, den Rada nicht deuten konnte. Irgendwie klang er so, als wüsste er, wo sie gewesen war. Doch das war unmöglich. Das bildete sie sich nur ein.

"Wie du siehst, ja", gab sie kühl zurück und stellte den Einkaufskorb auf dem Holztisch ab.

"Gib mir mal die Auberginen rüber, Rada", sagte Maria. "Ich möchte Auberginenaufstrich machen"

Rada übergab diese ihrer Mutter, die sogleich den Holzofen anschürte, um die Auberginen darin zu rösten, bis man die Haut davon lösen konnte. Das weiche Innere des Gemüses wurde dann mit einem Messer herausgelöst und zu einer cremigen Masse weiterverarbeitet. Dazu würden sie frische Tomaten, Weißbrot und rote Zwiebeln essen. Rada ging ihrer Ziehmutter dabei zur Hand und half ihr den Aufstrich zuzubereiten. Arian hatte sich unterdessen in sein Zimmer zurückgezogen. Rada hatte seit einigen Jahren ihr eigenes Zimmer. Und zwar, seit Arian und sie aus dem Kindesalter heraus waren. Dann war es einfach nicht mehr schicklich, wenn Junge und Mädchen zusammen in einem Bett schliefen. Nur widerwillig hatte Caterina ihr Zimmer hergegeben, um bei Maria im Schlafzimmer zu übernachten. Selbige betrat soeben die Küche.

"Wo bleibt mein Tee?"

Mist. Das hatte Rada beinahe vergessen.

"Kommt sofort, Großmutter"

Ob der Bezeichnung ließ Caterina ein mürrisches Schnauben verlauten, das Rada innerlich schmunzeln ließ. Sie liebte es, die Alte damit zu fuchsen. Sogleich bereitete Rada den Kräuter-Tee für Caterina zu.

"Und mach ihn ja nicht wieder zu bitter!"

 

 

 

"Was hast du heute noch vor, Rada?"

Arian erschien hinter hier, während sie das Geschirr vom Mittagessen abwusch. Maria und Caterina hatten sich zur Mittagsruhe zurückgezogen. Er stand einmal wieder so unverschämt nah bei ihr, dass sie seinen Atem auf ihrem Nacken spürte, der ihr eine wohlige Gänsehaut auf ihrem ganzen Körper bescherte.

"Was soll ich deiner Meinung nach vorhaben, Arian?", erwiderte sie schulterzuckend ohne den Blick von den schmutzigen Tellern abzuwenden.

"Du könntest einen Spaziergang mit mir machen", gab er zu verstehen.

"Einen Spaziergang? Du hast wohl zu lange das Londoner Leben genossen, wie mir scheint!"

Arian hob verwundert die Brauen.

"Was ist dagegen einzuwenden?"

"Ich hab dafür keine Zeit. Ich muss gleich noch Wäsche waschen und zum Trocknen auf dem Dachboden aufhängen. Ausserdem muss die Treppe draußen gefegt werden. Danach muss ich Mutter beim Zubereiten des Abendessens helfen. Wie du siehst, bin ich eine vielbeschäftigte Frau"

Arian schwieg eine Weile und überlegte. Ein Schmunzeln schlich um seine Mundwinkel.

"Ja, wie mir scheint, bist du das"

"Siehst du. Also halte mich nicht weiter von meiner Arbeit ab, Arian", erwiderte Rada schnaubend. Er lachte leise.

"Habe ich nicht vor. Ich werde dir dabei helfen"

Grinsend drehte sich Rada zu ihm um, griff nach dem Besen in der Ecke und drückte ihn Arian in die Hand.

"Dann fang an!"

Zwinkernd ging Arian an ihr vorbei in den Flur und trat durch die Haustür. Gleich darauf vernahm Rada das Kehrgeräusch des Besens. Sie konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken, als sie ihn vom Küchenfenster aus beobachtete. Der junge Herr Dr. Arian Antonescu, der draußen auf der Treppe stand und fegte. Er sollte sich bloß nicht einbilden, dass er etwas Besseres als sie war!

"Das machst du gut", bemerkte Rada schelmisch, als sie mit einem Korb voller Wäsche an ihm vorbei lief. Oben am Fuße der Treppe befand sich ein weiterer Aufgang zum Dachboden, den sie nun ansteuerte. Arian folgte ihr.

"Was willst du hier oben?", fragte Rada stirnrunzelnd.

"Ich bin fertig mit der Treppe. Jetzt helfe ich dir beim Wäsche aufhängen"

Rada stellte den Wäschekorb auf der Treppe ab und stemmte die Hände in die Hüften.

"Kann es sein, dass du mir absichtlich nachläufst?"

Arian´s Mundwinkel zuckten und seine Augen leuchteten spitzbübisch auf.

"Ich will Zeit mit dir verbringen, Rada. Ist das so schlimm? Früher haben wir alles zusammen gemacht, waren keine einzige Sekunde getrennt. Und jetzt? Mir kommt es so vor, als ob du vor mir wegläufst, Rada"

Rada entfuhr ein verächtliches Schnauben.

"Ich laufe vor dir weg? Wer ist denn sechs Jahre fort gewesen und hat sich mit keinem Wort bei mir gemeldet? Hast du mal daran gedacht, dass ich mich in dieser Zeit auch verändert habe?"

Sie seufzte tief.

"Wir sind keine Kinder mehr, Arian"

Mit diesen Worten hob sie den Wäschekorb von den Stufen an und klemmte ihn sich unter den Arm. Dann setzte sie ihren Weg zum Dachboden fort. Arian blieb unten stehen und sah ihr verständnislos hinterher. Doch er dachte nicht im Entferntesten daran, sich von ihr fern zu halten. Also folgte er ihr hinauf auf den Dachboden, wo sie bereits begonnen hatte, die Wäsche auf die Leinen zu hängen.

"Du bist immer noch sauer auf mich?", fragte er überrascht, als er durch die Tür trat.

Rada bedachte ihn mit einem argwöhnischen Blick, während sie die Bettlaken auf der Leine stramm zog.

"Das kann man nicht so einfach vergessen, Arian"

Der junge Mann stemmte angestrengt die Hände in die Hüften.

"Was ist mit dir los, Rada?"

Diese blickte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

"Was soll mit mir los sein?"

Mit einem Schmunzeln trat er auf sie und sie errötete unwillkürlich, als sie sich an die Szene vor sechs Jahren hier oben auf dem Dachboden erinnerte. Wie er sie angehoben und sich lachend mit ihr im Kreis gedreht hatte bis beide schwindelnd zu Boden gefallen waren. Wie er sie im Arm gehalten und ihr einen Kuss auf die Wange gehaucht hatte. So wie er es gestern wieder getan hatte. Warum bereitete ihr das jedes Mal so ein Wohlgefühl und wieso wollte sie ihn am Liebsten gleichzeitig dafür ohrfeigen?

"Meine kleine, wilde Rada.....", flüsterte er, als er ganz nah vor ihr stand. Sie konnte seinen Atem auf ihrem Gesicht spüren, seinen süßlich-herben Duft riechen. "Wie sehr mir dein Temperament in all der Zeit gefehlt hat...."

Die Hitze schoß in Rada´s Wangen, als sie in Arian´s wunderschöne, dunkle Augen blickte, von denen sie ihre eigenen nicht abwenden konnte. Ihre Augen streiften seine wunderschön geschwungen Lippen und für einen Moment fragte sie sich, wie es sich wohl anfühlen mochte, diese auf ihren spüren. Als schien er diese unausgesprochene Frage beantworten zu wollen, sah sie, wie sie sich ihren langsam näherten.....Nur einen Wimpernschlag waren sie davon entfernt, sich auf ihre zu legen. Das Herz schlug wie wild in ihrer Brust, als wollte es jeden Moment zerspringen.

"Rada? Arian?"

Rada löste sich aus ihrer Erstarrung, als sie Maria´s Rufen vernahm.

"Wir sind hier oben, Mutter!", rief Rada und ging blitzschnell an Arian vorbei zur Türe, in dessen Rahmen sie innehielt. Sie war beinahe erleichtert, dass Maria sie unterbrochen hatte. Doch ihre Wangen glühten wie Feuer.

 

Spät Abends ließ sich Rada erleichtert ins Bett fallen, doch sie fand keinen Schlaf. Arian ging ihr einfach nicht aus dem Kopf – und das, was beinahe zwischen ihnen passiert war. Bei dem Gedanken daran, spürte sie, wie sich ein Kribbeln in ihrer Magengegend breit machte und sie unwillkürlich schmunzeln musste. Was er wohl gerade machte? Vermutlich schlief er bereits tief und fest. Ein Seufzen verließ ihre Lippen. Wie sehr vermisste sie die alten Kindertage, als sie mit ihm zusammen in einem Bett geschlafen hatte. Und das ganz zwanglos – ohne irgendwelche seltsamen Gefühle, die sie verwirrten. Und die Arian ihr irgendwie fremd erscheinen ließen. Nach einer Weile spürte Rada die Trockenheit in ihrer Kehle und sie hatte fürchterlichen Durst. Also zog sie sich einen grauen Wollüberwurf über ihr weißes, langes Nachthemd und tappste barfuß in die Küche, wo sie sich einen Becher Wasser einschenkte und diesen mit einem Mal austrank. Als sie den Becher ausgepült und wieder in das Regal zurückgestellt hatte, wollte sie sich auf den Weg zurück ins Bett machen. Doch etwas ließ sie inne halten. War das das Aufflackern eines Streichholzes draußen vor dem Fenster? Langsam trat Rada an das Küchenfenster heran und spähte hinaus. Dort saß Arian auf der Treppe, ihr den Rücken zugewandt. Lässig bließ er den Rauch in den Himmel.

 

Arian, was machst du denn um diese Uhrzeit hier draußen?“

Er saß auf der Treppe, drehte sich zu Rada um und seine dunklen Augen blitzten sie schelmisch an.

Eine Rauchen. Oder wonach sieht es denn deiner Meinung nach aus, Rada?“

Rada stemmte die Hände in die Hüften.

Wenn Großmutter das sieht, dann jagt sie dich zum Teufel!“

Es ist mitten in der Nacht! Sie schläft bereits tief und fest. Sie hat gar keine Zeit, mich zum Teufel zu jagen!“, gab Arian spitzbübisch zurück. Seufzend ließ sie sich neben ihm auf den Stufen nieder und schob den Saum ihres Nachthemdes zurecht.

Na, wenn du das sagst! Du weißt, dass sie ihre Augen und Ohren überall hat....“

Arian zuckte nur mit den Schultern und zog genüsslich an seiner Zigarette. Mit einem Hauch von Belustigung und Missbilligung musterte Rada ihn von der Seite, wie er den Rauch in den Nachthimmel blies. Er sah dabei sehr lässig und gleichzeitig elegant aus. Und unglaublich attraktiv. Sie spürte erneut, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss.

Was ist, Rada? Warum siehst du mich so an??“, fragte Arian neckisch. Rada verzog das Gesicht und ehe er sich versah, hatte sie ihm die Zigarette abgenommen.

Nun sei mal nicht so geizig, ja?“

Arian sah sie aus großen Augen an, als er beobachtete, wie sie einen kräftigen Zug von der Zigarette nahm. Noch mehr verwundert schien er darüber zu sein, dass sie keinen Hustenanfall bekam. Rada musste zugeben, dass sie des Öfteren mit den Zigeunern auf dem Marktplatz geraucht hatte.

Rada! Seit wann rauchst du denn??“

Sie lachte leise auf.

Tja, du weißt eben gar nichts von mir, Arian. Immerhin warst du viel zu lange weg und hast Einiges verpasst“

Eine Weile musterte er sie. Der Schalk blitzte in seinen Augen auf.

"Ja, das ist wahr. Ich wusste zum Beispiel gar nicht, was für eine talentierte Tänzerin du bist"

Rada fiel beinahe die Zigarette aus der Hand. Woher wusste Arian das?

"Wie bitte?", gab sie betont überrascht zurück.

"Das war ein Kompliment, Rada", erwiderte er zwinkernd und holte sich seine Zigarette wieder zurück.

Rada´s grüne Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.

"Bist du mir etwa nachgelaufen heute Nachmittag?"

"Ja", gab er ohne mit der Wimper zu zucken zurück. Ermahnend hob sie den Zeigefinger und schüttelte diesen vor seinem Gesicht.

"Wenn du ein Wort zu Mutter und Großmutter sagst, dann....."

"Werde ich nicht", entgegnete Arian schmunzelnd. "Genausowenig wie du Großmutter erzählen wirst, dass ich rauche. So haben wir beide ein Geheimnis"

Empörung machte sich in ihr breit. Als ob sie jemals vorgehabt hatte, ihn zu verpfeifen! Doch war sie auch erleichtert, dass Arian Stillschweigen über ihre wöchentlichen Treffen mit den Zigeunern bewahren würde. Für einen Moment sahen sich beide in die Augen und Rada spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Arian´s Blick war ganz sanft und voller Wärme.

Du glaubst nicht, wie sehr du mir in all der Zeit gefehlt hast, Rada“

Ihr Blick hing an seinen wunderschön geformten, schmalen Lippen, die sich langsam auf sie zu bewegten, sich sanft auf ihre legten....

5. Kapitel

 

5. Kapitel 

 

 

 

"Arian! Was machst du denn?? Wenn das ein Scherz sein soll, dann ist das nicht lustig!"

Rada wich mit einem Mal von ihm zurück, als sie sich dessen bewusst wurde, was sie hier soeben tat. Arian küssen! Den Jungen, mit dem sie wie Bruder und Schwester aufgewachsen war! Dieser blickte sie aus großen Augen an.

"Was? Hat es dir etwa nicht gefallen?"

Rada senkte ihre Stimme, damit Maria und Caterina drinnen im Haus nicht wach wurden. Sonst hätte sie Arian mit Sicherheit nach allen Regeln der Kunst die Hölle heiß gemacht.

"Du bist ja wohl der unverschämteste Kerl, den ich je getroffen habe!", zischte sie leise. Ein Schmunzeln zuckte um Arian´s Lippen.

"Und wohl der Gutaussehendste"

"Der Arroganteste, wolltest du sagen!"

Arian schürzte die Lippen.

"Du warst schon immer gut darin, deine wahren Gefühle zu verbergen. Aber mir machst du nichts vor, kleine Rada"

Die Röte schoß ihr in die Wangen.

"Was willst du damit sagen?"

Arian´s Augen blitzten schelmisch auf.

"Ach, komm schon. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich dich geküsst habe. Ich erinnere mich noch zu gut an unsere kindliche Herumtollerei auf dem Dachboden vor sechs Jahren. Wie du in meinen Armen lagst, dein Herz wild gepocht hat. Dein ganzer Körper sehnte sich mit jeder Faser nach mir"

"Vollkommener Unsinn!"

"Ist es nicht. Rada, ich weiß, dass du früher vor Eifersucht getobt hast, wenn die Mädchen in der Schule mir schöne Augen gemacht haben"

Für einen Moment wusste Rada nicht, was sie darauf antworten sollte. Ja, Arian hatte Recht. Sie konnte es nie ertragen, wenn die anderen Mädchen um ihn herumscharwenzelt waren, wie die Motten ums Licht. Rada verschränkte die Arme um ihre Knie und schnaubte. Ja, sie hatte Gefühle für ihn. Tiefe Gefühle. Doch wusste sie auch ganz genau, dass Großmutter Caterina es niemals dulden würde.

"Arian.....wir sind wie Geschwister aufgewachsen. Das geht nicht!"

"Wir sind nicht einmal blutsverwandt, Rada. Wieso soll das nicht gehen?"

Sie sah ihn an und hob fragend die Brauen.

"Bin ich etwa das, was sich deine Großmutter unter einem "netten Mädchen" für dich vorstellt?"

Arian schnalzte mit der Zunge.

"Was Großmutter als gut für mich erachtet, ist ihr Problem"

"Du meinst das doch nicht Ernst??!"

"Doch, Rada. Ich meine es ernst"

Er umfasste ihre Hände und sie blickte ihn aus ihren großen, grünen Augen an. Für einen Moment wollte sie zurückweichen, doch das angenehme Gefühl seiner Berührung, ließ sie innehalten. Wohlige Wellen der Wärme flossen durch ihre Fingerspitzen bis zu ihrem Herzen, wo sie ein Feuerwerk der Gefühle entzündeten.

"Rada....Für mich bist du die Einzige seit ich dich als kleines Mädchen da unter Treppe gefunden habe. Seitdem du das erste Mal mit mir in einem Bett geschlafen hast. Ich habe mich nie für andere Mädchen interessiert – nur für dich"

Mit einem Zwinkern fügte er hinzu:

"Denn mit keiner Frau kann ich mich so wunderbar streiten wie mit dir. Und ich weiß, dass du dasselbe fühlst"

Rada setzte sich nicht zu Wehr als seine Lippen wieder näher kamen und sich sanft auf ihre legten. Sie schloß die Augen und schmeckte seine Süße, die Weichheit seines Mundes. Sog seinen süßlich-herben Duft ein und spürte, dass sie in diesem Moment Eins waren. Als er sich von ihr löste, sah sie beschämt zu Boden. Arian umfasste noch immer ihre Hände.

"Du bist ja ganz schüchtern. So habe ich dich ja noch nie gesehen", sagte er voller Belustigung.

"Arian....Du musst mir versprechen, dass wir das erst einmal geheim halten. Bis wir uns ganz sicher sind", flüsterte sie.

"Ganz sicher? Ich bin mir sicher, Rada"

Rada sah ihm in die Augen.

"Versprich es mir"

Sein Blick war sanft, als er erwiderte:

"Ich verspreche es"

 

 

 

 

Arian hatte Glück. Dr. Stanciu Serban, ein renommierter ortsansässiger Arzt, bot ihm einige Wochen darauf eine Stelle in seiner Arztpraxis an, um dort sein praktisches Jahr zu absolvieren. Darauf stieß die Familie an jedem Abend, als Arian mit dieser wunderbaren Neuigkeit nach Hause kam, mit Maria´s selbstgebrannten Palinca an. Der Pflaumenschnaps brannte wie Feuer in Rada´s Kehle. Genau wie ihr Herz. Jedes Mal, wenn sie Arian ansah. Bisher gelang es ihnen, ihre Liebe vor Maria und Caterina zu verbergen. Meist trafen sie sich bei Nacht, wenn Mutter und Großmutter bereits tief und fest schliefen. Dann saßen Arian und Rada oft stundenlang auf der grünen Holzbank vor dem Haus, redeten oder lagen sich in den Armen, um die Sterne am Himmel zu beobachten. Ihnen blieb nur die Nacht, da Arian den ganzen Tag über nun in der Arztpraxis von Dr. Stanciu arbeitete und erst spät Abends nach Hause kam. Rada schalt ihn jedes Mal dafür, weil Arian seinen Schlaf dringend brauchte, um für die Arbeit in der Praxis ausgeruht zu sein. Doch er bestand beinahe jede Nacht darauf, Zeit mit ihr zu verbringen. Dementsprechend müde waren beide oftmals tagsüber und Rada schaffte es kaum noch zu den Treffen mit Lascar und den Zigeunerfrauen. Heute Abend war sie so müde, dass sie dringend früher zu Bett gehen wollte.

Caterina und Maria hatten sich bereits Schlafen gelegt, als Rada noch in der Küche hantierte und das Geschirr vom Abendessen abwusch. Arian saß in seinem Zimmer am Schreibtisch über seinen Berichten, die er während seines praktischen Jahres bei Dr. Serban täglich verfassen musste.

"Rada?"

Die junge Frau erschrak unwillkürlich, als sie Arians Stimme vernahm. Sie hatte ihn gar nicht kommen hören. Als sie sich umdrehte, stand er im Türrahmen und sah sie aus seinen sanften braunen Augen an. Sie schenkte ihm ein warmes Lächeln.

"Ja?"

"Wärst du so lieb und bringst mir einen Tee ins Zimmer?"

"Natürlich"

Dann war Arian wieder verschwunden.

 

 

 

Kurz darauf betrat Rada Arians Zimmer, in dem beide in ihren Kindertagen gemeinsam geschlafen hatten. Mittlerweile befand sich dort ein großes Bett und eben jener Schreibtisch aus dunklem Holz, an dem er gerade bei gedämpftem Licht über seinen Berichten saß und eifrig etwas schrieb. Behutsam stellte sie die Tasse mit dem Kräutertee neben ihm ab. Lächelnd sah Arian sie an.

"Danke, meine Liebste"

Rada schmunzelte und wandte sich zu gehen, als Arian ihre Hand festhielt.

"Bleib doch noch...."

"Arian.....Du hast zu tun und ich bin wirklich müde....Du solltest auch früh zu Bett gehen"

"Nur einen Moment..."

Er hielt noch immer ihre Hand und in seinen Augen machte sich ein flehender Ausdruck breit. So wie der eines Kindes, das unbedingt Schokolade wollte. So herzerweichend, das selbst Rada es ihm nicht abschlagen konnte. Auf ihrem Gesicht machte sich ein Schmunzeln breit.

"In Ordnung..."

Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, zog Arian Rada zu sich heran und sie saß mit einem Mal seitlich auf seinem Schoß. Behutsam legte sie ihre Arme um seine Schultern und sah ihm tief in die Augen. Seine Lippen suchten hungrig nach ihren und sie verschmolzen zu einem leidenschaftlichen Kuss, während Arian´s Hände sanft über ihren Rücken strichen, über ihre dichten, langen, schwarzen Locken, die sie wie immer zu einem Zopf geflochten hatte. Arian´s Finger tasteten nach dem Band, das den Zopf an dessen Ende .zusammenhielt. Sie zogen es langsam aus ihren Haaren, um dann jede einzelne in sich verflochtene Strähne zu lösen, sodass ihre Lockenpracht wie Samt um ihre Schultern fiel. Arian liebte diese Haare. Den Duft nach Jasmin, den sie verströmten. 

Alles in ihm verzehrte sich nach dieser jungen Frau mit dem feurigen Zigeunerblut in ihren Adern. Sie war sein. Sie war es schon immer gewesen. Seit jener Nacht, in der er sie zum ersten Mal sah, wusste Arian, dass Rada sein Schicksal war. Die Süße ihrer Lippen machte ihn schwindelig und er vergaß Raum und Zeit um sich herum, als gäbe es nur sie beide auf dieser Welt.....

 

"Rada?? Wo treibst du dich herum?"

Caterina! Sollte sie nicht längst schlafen???

Rada löste sich hastig von Arian und sprang auf, als Großmutters Stimme durch den Flur hallte und ihre Schritte allmählich näher kamen. Nervös sah sie sich im Zimmer um. Wo war ihr Haarband?? Arian musste es auf den Boden geworfen haben. Da! Genau neben dem Stuhl! Bevor Rada sich danach bücken konnte, stand Caterina auch schon in der Tür.

"Hier bist du also!"

Die Alte stand im Türrahmen und stemmte die Hände in die Hüften, während sie Rada abschätzig musterte.

"Was hast du zu dieser Stunde in Arian´s Zimmer zu suchen?"

Rada wollte etwas erwidern, doch Arian kam ihr zuvor.

"Sie hat mir Tee gebracht, Großmutter", sagte er und zeigte auf die Tasse auf dem Schreibtisch.

Caterina nickte abfällig und verzog streng die Lippen, während sie Rada musterte.

"Dann halt ihn nicht länger von seiner Arbeit ab, Rada. Ihr beide solltet zu Bett gehen. Es ist spät!"

Rada versuchte noch immer ihre Nervosität zu unterdrücken. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie wollte sich gar nicht erst ausmalen, was geschehen wäre, wenn Caterina beide erwischt hätte. Wie war sie überhaupt darauf gekommen, dass Rada hier bei Arian war? Hatte sie zuvor in ihrem Zimmer nachgesehen, ob sie da war? Ahnte Caterina vielleicht irgendetwas?

"Großmutter, wieso hast du nach mir gesucht? Benötigst du etwas?"

"Jetzt nicht mehr. Ich hatte nach dir gerufen, damit du mir ein Glas Wasser in mein Zimmer bringst. Nachdem du nicht geantwortet hast, bin ich selbst in die Küche gelaufen und habe es mir selbst geholt. Und nun: Gute Nacht"

Mit diesen Worten machte Caterina auf dem Türabsatz kehrt und trottete zurück durch den Flur. Rada atmete auf. Ihr kam es vor, als hätte sie die ganze Zeit die Luft angehalten solange die Alte in Arian´s Zimmer gewesen war. Sie wartete darauf das Zufallen von Caterina´s Schlafzimmertür zu hören. Doch wie es schien, war sie noch immer da draußen.

"Rada. Das gilt auch für dich!"

Die junge Zigeunerin warf Arian einen entschuldigenden Blick zu.

"Ich muss gehen", flüsterte sie und machte sich auf den Weg in ihr Zimmer.

 

 

 

 

 

"Das war gestern verdammt knapp!", dachte Rada als sie am nächsten Tag gegen Mittag über den Marktplatz lief, um die Einkäufe für die Familie zu erledigen. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn Caterina Arian und sie erwischt hätte. Rada wusste nicht, weshalb sie solche Angst vor der alten Frau hatte. War es Angst? Nein, aber sie spürte, dass mit Caterina nicht zu spaßen war. Sie verachtete Rada aus tiefstem Herzen und sie würde es niemals billigen, wenn bekannt würde, dass Arian und Rada eine Liebesbeziehung führten. Doch wie lange würde es den beiden gelingen es geheim zu halten?

"Rada!"

Sie zuckte zusammen als sie eine vertraute Stimme vernahm und innehielt. Es war Lascar, der ihr vom Brunnen aus zuwinkte. Mit der Geige in der Hand lief er lächelnd auf sie zu. Oh.....In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie seit Wochen nicht mehr bei den Zigeunerin auf dem Marktplatz war und mit ihnen getanzt hatte.

"Lascar...."

"Ich habe dich lange nicht mehr gesehen, Rada. Du warst lange nicht mehr bei uns. Ist alles in Ordnung mit dir?", fragte er. "Warum kommst nicht mehr zum Tanzen vorbei?"

Rada wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie war in den letzten Wochen zu sehr mit Arian beschäftigt gewesen. Vor lauter Glück hatte sie keinen Gedanken mehr an Lascar und die Zigeuner verschwendet.

"Es tut mir Leid, Lascar. Ich war....beschäftigt...."

Der junge Zigeuner schmunzelte.

"Du musst dich nicht entschuldigen. Du kannst heute mit uns tanzen, wenn du möchtest"

Rada warf einen Blick auf die Rathausuhr und stellte fest, dass es beinahe Eins war. Für gewöhnlich traf sie sich jeden Tag mit Arian, wenn er Mittagspause machte, um ihm etwas zu Essen vorbeizubringen. Die Arztpraxis von Dr. Stanciu Serban befand sich in der Strada Republicii, direkt in der Nähe des Marktplatzes und Arian würde um ein Uhr wie üblich dort auf sie warten.

"Ich kann leider nicht, Lascar. Ich muss etwas erledigen. Es tut mir Leid"

Rada wollte sich gerade in Bewegung setzen als Lascar nach ihrer Hand griff.

"Rada..."

Seine Augen blitzten feurig auf.

"Rada, du weißt, dass du tief in deinem Herzen eine von uns bist. Du gehörst zu uns. Warum schließt du dich uns nicht an? Komm mit mir....."

Die Art, wie Lascar den letzten Satz aussprach, ließ Rada vermuten, dass es ihm um mehr ging, als sich nur den Zigeunern anzuschließen. Es klang so, als wollte er ihr damit sagen, dass sie einzig und alleine mit ihm kommen und ihr Leben an seiner Seite verbringen sollte. Er hatte Gefühle für sie, doch sie sah sich nicht im Stande sie zu erwidern. Ihr Herz gehörte Arian. Und das würde immer so sein.

Ein Räuspern holte Rada aus ihren Gedanken.

"Entschuldigen Sie bitte, aber wären Sie so nett und lassen Rada´s Hand los?"

Arian. Woher war er gekommen? Und wieso war er hier auf dem Marktplatz und wartete nicht wie sonst vor der Praxis auf sie? Hastiger als beabsichtigt schüttelte Rada Lascar´s Hand ab. Arian musterte Lascar missbilligend und verschränkte die Arme vor der Brust. Der Zigeuner hob beschwichtigend die Hände.

"Verzeihung. Ich wollte Rada nicht zu Nahe treten", sagte Lascar lächend und hielt Arian seine rechte Hand hin. "Wir wurden uns noch nicht vorgestellt. Mein Name ist Lascar"

Arian hob fragend eine Braue. Dann schüttelte er seinem Gegenüber schließlich die Hand, ließ ihn jedoch nicht aus den Augen. Lascar fixierte Arian ebenso mit seinem Blick. Die Spannung zwischen den beiden jagte Rada einen Schauer über den Rücken.

"Arian Antonescu. Dr. Arian Antonescu"

Oh, wunderbar! Musste Arian Lascar nun auf diese Art und Weise klar machen, dass er etwas Besseres als er war?

Sehr angenehm“, erwiderte Lascar und die Ironie in seiner Stimme war nicht zu überhören.

Rada räusperte sich. Die Situation wurde ihr allmählich unangenehm.

Tut mir Leid, Lascar. Ich muss nun gehen“

Dann wandte sie sich an Arian.

Lass uns gehen“

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 14.01.2018

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Cover: Stefania B.

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