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 1. Kapitel

Fräulein Wacker, Kundschaft!“

Albert Kurthäuser, der Chef des ersten Schuhgeschäftes in Elfringheim, steckte den Kopf in den Aufenthaltsraum und bedeutete seiner Verkäuferin Heide, sofort herauszukommen.

„Ein Herr ist da - wahrscheinlich von der Filmgesellschaft“, setzte er im Flüsterton hinzu.

„Eine Sekunde, Herr Kurthäuser!“

Heide Wacker schob ihre Kaffeetasse beiseite. Sie sprang auf, lief zum Spiegel und prüfte ihr Aussehen. Sie konnte zufrieden sein. Das seidige dunkle Haar lag wie immer makellos. Zur Arbeit trug Heide es in einem niedlichen kleinen Schwänzchen hoch gebunden. Doch Heide war sechzehn und ein Filmstar wartete auf sie! Kurz entschlossen löste sie das Haar, dessen Locken nun ungebändigt auf den gelben Perlonkittel hinunter fielen.

„Du glaubst wohl, der Herr vom Film engagiert dich auf der Stelle?“ fragte ihre Kollegin Rita sauer süß.

„Natürlich nicht, Rita. Aber man kann nie wissen...“

Mit diesen Worten war Heide zur Tür hinaus und stürzte in den Verkaufsraum. Doch auf der Schwelle blieb sie wie angewurzelt stehen.

Es war Mario Landmann persönlich, der dort mitten im Laden stand! Er musterte sie mit einem halb spöttischen, halb überraschten Ausdruck.

„Nun wollen Sie mir keine Schuhe verkaufen, Fräulein?“ fragte er dann mit seiner wohlbekannten melodischen Stimme.

„Verzeihung, Herr Landmann!“ stotterte sie. „Aber ich bin so überrascht, dass gerade Sie es sind. Was darf ich Ihnen zeigen?“

Heide trat näher. Er lächelte immer noch und Heide lächelte zurück. Die Verlegenheit war verschwunden. Das junge Mädchen beschloss, diese Gelegenheit, mit seinem Lieblingsstar zusammen zu treffen, nach Kräften zu nutzen.

„Ich möchte ein paar derbe Schuhe haben, möglichst Haferlschuhe“, erklärte Mario Landmann. Seine Stimme klang wie Musik.

„Haferlschuhe?“ Heides Stimme verriet ein wenig Erstaunen. Es war nicht die Art Schuhe, die ein Mario Landmann zu tragen pflegte. Sie sah auf seine weichen hellbraunen Schuhe hinab Budapester, handgearbeitet, vermutete sie.

„Größe zweiundvierzig, vermutlich“ sagte Heide.

„Donnerwetter, können Sie das auf Anhieb sehen?“ staunte er.

Da mischte sich Herr Kurthäuser ein, der bisher abwartend hinter seiner Kasse gestanden hatte.

„Fräulein Wacker sieht jedem Kunden die Schuhgröße an. Ein Talent, das nur wenige Verkäuferinnen besitzen. Leider!“

„Nun, dann machen Sie ja Ihrem Namen alle Ehre, Fräulein Wacker“, schmunzelte Mario Landmann und setzte sich auf einen der mit Kunstleder bezogenen Stühle.

Heide erklomm inzwischen eine Leiter und suchte unter den oberen Schuhkartons. Ein wenig länger als sonst dauerte das, denn Heide wusste genau, dass sie hübsche Beine hatte. Mario Landmann sollte ausgiebig Zeit haben, sie zu betrachten.

„Dort oben links stehen doch unsere Haferlschuhe, Fräulein Wacker“, klang Herrn Kurthäusers Stimme ungehalten von der Kasse her. Warum stellte sich Heide ausgerechnet jetzt so ungeschickt an?

Der biedere Herr Kurthäuser hat aber auch kein bisschen Fantasie, dachte Heide. Schließlich kommt nicht alle Tage ein Filmstar nach Elfringheim.

Endlich hatte sie den richtigen Karton und kam mit strahlendem Lächeln auf Mario Landmann zu.

„Ich hoffe, sie gefallen Ihnen?“ sagte sie und hielt ihm den aufgeklappten Karton zur Ansicht hin.

Doch er achtete gar nicht darauf, sondern betrachtete Heides liebliches Gesicht mit wachsendem Interesse.

„Sie haben eine geradezu verblüffende Ähnlichkeit mit Linda Corvin. Wissen Sie das, Fräulein Wacker?“

Jetzt wurde Heide rot. Wie Lindas kleine Schwester, dachte er amüsiert und sie gefiel ihm immer mehr.

„Meine Kolleginnen haben das auch schon gesagt“, sagte Heide sehr leise, denn sie wollte nicht, dass Herr Kurthäuser die ganze Unterhaltung mitbekam.

„Und Sie selbst? Glauben Sie auch, dass Sie ihr ähnlich sehen?“ forschte Mario Landmann ebenso leise.

„Ich mag es nicht hören, wenn man mich mit einem Filmstar vergleicht“, sagte Heide. „Schließlich ist man doch auch wer!“ Sie warf die langen Locken mit einer gespielt selbstbewussten Bewegung in den Nacken.

Sie stellte den Schuhkarton hin und begann, die Schnürsenkel seiner Schuhe zu lösen.

„Da haben Sie Recht. Trotzdem ein Frage: Hätten Sie nicht Lust ein bisschen Geld zu verdienen und für einen Tag Linda Corvins Double zu spielen?“

Heide fuhr zusammen wie elektrisiert. Da war sie, die Chance, auf die sie immer gewartet hatte. Sie hatte davon abends im Bett geträumt und auch manchmal tagsüber, wenn es gar zu öd in dem Elfringheimer Schuhgeschäft war.

„Ein Double?“ fragte sie gedehnt. „Muss ich da anstelle von Linda Corvin ins Wasser springen? Oder aus einem brennenden Haus stürzen?“

Er lachte. „Niemand verlangt akrobatische Kunststücke von Ihnen. Es geht alles ganz harmlos zu. Passen Sie auf: Frau Corvin bekam soeben die Nachricht, dass ihr kleiner Junge schwer erkrankt ist. Sie ist nun außer sich vor Kummer und möchte natürlich sofort hinfahren. Aber es sind noch einige Szenen zu drehen, bei denen sie nicht fehlen kann.

Mario Landmann machte eine Pause, denn Herr Kurthäuser trat näher. Offenbar wunderte er sich über das lange Verkaufsgespräch.

„Gefallen Ihnen die Schuhe nicht, Herr Landmann? Gewiss, es ist sehr schwer für einen so verwöhnten Geschmack wie den Ihren etwas auf Lager zu haben...“ Er hob bedauernd die Schultern.

„Die Schuhe sind richtig. Genau das, was ich brauche, um hier durch die Felder zu stapfen. Danke schön!“

Mario warf Herrn Kurthäuser einen verabschiedenden Blick zu, so dass sich der Chef des Schuhhauses betroffen zurückzog.

Sieh mal an, er flirtet mit unserer kleinen Heide! dachte Herr Kurthäuser. Diskret zog er sich in das benachbarte Büro zurück.

Kein Kunde betrat um diese frühe Morgenstunde das Geschäft. Heide stellte es mit Erleichterung fest und auch Mario Landmann war froh. Er konnte Heide ungestört erzählen, was er mit ihr vor hatte.

„Die Stadt Elfringheim gibt heute einen Empfang für die Camera-Filmgesellschaft. Vielleicht haben Sie davon gehört?“

Heide nickte. „Ich habe es im Anzeiger gelesen. Der Empfang soll in der Godenen Traube stattfinden, nicht wahr?“

Er nickte. „Und was meinen Sie, was passiert, wenn Frau Corvin nicht dabei ist?“

„Die Elfringheimer werden maßlos enttäuscht sein,“ meinte Heide voll Überzeugung.

„Genau das fürchtet Frau Corvin auch. Sie würde an Publicity einbüßen und das mag kein Filmstar. Darum kam mir eben der Gedanke, dass Sie sie auch beim Empfang vertreten könnten.“

„Ich?“ Heide war völlig verwirrt. Machte sich Mario Landmann auch nicht über sie lustig?

„Ich erkläre Ihnen das später. Gehen Sie mit mir Mittagessen? Dann können wir uns ungestört darüber unterhalten. Ihre Kollegen sind mir gar zu neugierig hier.“

Heide richtete sich aus ihrer gebückten Stellung auf und sah um sich. Tatsächlich, Rita stand in der Tür und bekam vor Staunen den Mund gar nicht mehr richtig zu. Geschah ihr Recht. Eben hatte sie noch gelacht, weil Heide ihre Haare anders gekämmt hatte. Nun sah sie mit eigenen Augen, zu welchem Resultat das geführt hatte. Linda Corvin trug nämlich die Haare meistens so. Auf diese Weise wurde die verblüffende Ähnlichkeit noch unterstrichen.

„Aber wenn wir zusammen zu Mittag essen, erkennt Sie doch jeder, Herr Landmann. Und mich kennen hier in Elfringheim auch fast alle.“ wandte Heide ein.

„Keine Sorge, das machen wir schon. Wir fahren eben in den Nachbarort. Da kennt Sie kein Mensch. Abgemacht?“

„Abgemacht!“ strahlte Heide und packte die Schuhe ein.

„Ich hole Sie um ein Uhr ab. Können Sie dann vor dem Geschäft warten?“

„Ja klar!“ Heide schnürte eine Kordel um das Paket und reichte es ihm.

„Brauchen Sie auch die passende Pflege für die Haferlschuhe, Herr Landmann?“ fragte Herr Kurthäuser. Er stand wieder hinter seiner Kasse und sah Heide etwas tadelnd an. So etwas vergaß man doch nicht zu fragen.

„Nein, die brauche ich nicht, mein Hotel putzt die Schuhe“, sagte Mario Landmann und beglich die Rechnung, die ihm Herr Kurthäuser jetzt reichte. Anschließend brachte der Chef den Filmstar mit einer tiefen Verbeugung zur Ladentür.

Hinter dem Rücken ihres Chefs strahlte Heide Mario Landmann an. Er winkte ihr nur zu und stieg dann in seinen Wagen.

Einen Moment blieb Heide mitten im Laden stehen und fuhr sich über die Stirn. Hatte sie das alles nur geträumt?

Doch ihre Kollegin Rita bewies ihr, dass es die reine Wirklichkeit war.

„Was hat er gesagt, worüber habt ihr euch so lange unterhalten?“ Rita platzte fast vor Neugier.

Heide hob die Schultern. „Wir haben uns eben unterhalten. Aber es war nichts Besonderes.“

„Der hat dich vielleicht angeschaut mit seinen tollen schwarzen Augen!“

„Er hat braune Augen, Rita und in Wirklichkeit sieht er noch besser aus, als auf den Fotos.“

 

Unterdessen betrat Mario Landmann mit dem Schuhkarton sein Hotel. In der Halle traf er Linda Corvin und den Regisseur, Ronald Gilbert. Dieser und Linda waren in eine heftige Diskussion verwickelt.

„Meinungsverschiedenheiten?“ fragte Mario und setzte sich zu ihnen in die kleine Sitzgruppe vor der Rezeption.

„Und ob“, meinte Gilbert. „Linda hat es sich in den Kopf gesetzt, heute Abend zu ihrem Kind zu fahren. Gewiss, dafür habe ich ja volles Verständnis, aber der kleine Max ist doch in guten Händen bei Lindas Mutter. Und dann der Empfang heute Abend! Wie sollen wir den machen ohne Linda?

Kein Mensch weiß, dass sie verheiratet ist, geschweige denn ein Kind hat.“

„Lasst euch was einfallen“, sagte Linda. „Ich pfeife auf den Empfang, mein Kind ist mir jetzt wichtiger.“

Vor langer Zeit einmal war Linda Corvin Marios Geliebte gewesen. Aber seit sie ein Kind hatte, fand er sie lange nicht mehr so attraktiv. Jeder zweite Satz, den sie sprach, handelte von ihrem Kind und für Mario gab es nichts Langweiligeres.

„Ich glaube, ich habe da eine Lösung!“ verkündete Mario jetzt. Die beiden sahen ihn erstaunt an.

Mario hob sein Schuhpaket hoch und sagte: „Die Lösung ist die Schuhverkäuferin, die Linda aufs Haar gleicht. Sie kann Linda vertreten und ist auch schon damit einverstanden.“

„Eine Schuhverkäuferin aus diesem Nest soll mir ähnlich sehen?“ Linda Corvin rümpfte die zierliche Nase. Offenbar hielt sie nicht viel von diesem Berufsstand.

„Du wirst es nicht glauben, Linda, aber es ist tatsächlich wahr. Sie gleicht dir bis aufs Haar. Nur ist sie...“ Mario schmunzelte bei diesen Worten... „Nur ist sie mindestens zehn Jahre jünger als du.“

„Trotzdem halte ich für ausgeschlossen, dass sie mich vertreten kann“, wandte sie ein. Aber ihr Gesicht hellte sich auf. Vielleicht war das ja wirklich eine Lösung.

„Das könnte uns aus dem Dilemma helfen“, meinte auch der Regisseur. „Wir sehen uns das Mädchen einmal an. Welches Schuhgeschäft ist es, Mario?“

„Ihr könnt das Mädchen aus nächster Nähe bewundern. Ich habe sie zum Mittagessen eingeladen.“

„Zum Mittagessen?“ Linda Corvin sog hörbar die Luft ein. Mario bandelte wirklich sofort mit jeder hübschen Frau an. Dann aber strahlte sie befriedigt. Er tut es ja diesmal nur, weil sie mir ähnlich sieht, beruhigte sie sich. Wieder überkam sie die Sorge um ihren kranken kleinen Jungen. Max war jetzt die Hauptsache, sie musste zu ihm.

„Nun gut“, nickte Linda. „Wir sehen uns das Mädchen an. Wenn sie mir nur halbwegs ähnlich sieht, könnte sie mich sogar in den letzten Szenen vertreten. Was meinst du, Ronald?“

Der Regisseur nickte. „Es sind ja Aufnahmen, auf denen du mit Mario nur sehr entfernt zu sehen bist. „Vielleicht haben wir Glück, Linda.“

 

Normalerweise bestand Heides Mittagessen aus einem Paket mitgebrachter belegter Brote. Erst abends kochte Mutter Wacker warm, da auch Heides Vater erst spät von seiner Arbeit als Briefträger nach Hause kam.

Heute ließ Heide ihr Butterbrotpaket unberührt. Stattdessen zog sie den gelben Perlonkittel aus und hängte ihn an den Haken.

„Willst du in die Stadt zum Einkaufen?“ fragte Rita.

„Nein, ich habe heute Hunger auf ein warmes Mittagessen“, sagte Heide, nahm ihren Mantel vom Haken und legte ihn sich über den Arm.

Vom Kirchturm schlug es gerade ein Uhr. Im selben Moment bog Marios Sportwagen um die Ecke.

Heide betrachtete das knallrote Auto mit gehöriger Bewunderung.

„Steigen Sie ein!“ rief Mario ihr durch das geöffnete Seitenfenster zu und stieß von innen die Tür auf.

Heide ließ sich in die Lederpolster fallen, Mario gab Gas und im Nu waren sie aus Elfringheim hinaus.

Hier in dem ungewohnten Luxusauto verflüchtigte sich Heides Unbefangenheit immer mehr. Ziemlich einsilbig beantwortete sie Marios Fragen.

„Meinen Sie, dass Ihre Eltern es erlauben werden?“ fragte er soeben.

„Ich glaube schon“, sagte Heide ohne große Überzeugung. Sie dachte an ihren Vater, den biederen Briefträger. Der hielt gar nichts von Filmstars und würde sicher nicht wollen, dass seine Heide mit denen zu tun hatte. Sollte sie es vor ihm geheim halten?

„Nun, vorerst ist noch nichts beschlossen. Wir wollen erst einmal in Ruhe zu Mittag essen“, meinte Mario und parkte den Wagen vor einem Landgasthof, der ungefähr zwischen Elfringheim und der nahen Großstadt lag.

Mario führte Heide zu einem Tisch am Fenster und nahm ihr den Mantel ab. Ein Kellner erschien und reichte erst Heide, dann Mario die in Leder gebundene Speisekarte.

Keine Ahnung hatte Heide davon, dass hinter dem Bambusgitter, das ihren Tisch gegen den Nachbartisch abschirmte, neugierige Augen sie betrachteten.

„Sie ist wirklich süß“, stellte Linda Corvin neidlos fest.

„Mario hat nicht gelogen. Es besteht eine verblüffende Ähnlichkeit zwischen euch“, bestätigte Gilbert.

„Schau doch wie sie das Glas hebt! Sie sieht Mario nicht an dabei, so verlegen ist sie“, sagte Linda Corvin und dachte an ihre eigenen Anfänge beim Film.

„Es wird für das Mädchen eine fremde Umgebung sein. Sie ist bestimmt aus einfachen Verhältnissen.“

Linda nickte:“ Ja, das Sommerkleid sieht selbst genäht aus. Aber warte nur, Ronald, wenn das Mädchen erst meine Kleider trägt! Da wird sie mir noch ähnlicher und ihr Selbstbewusstsein wird sich merklich heben.“

Linda Corvin hegte keinen Unwillen mehr gegen dieses Mädchen aus Elfringheim. Wieder dachte sei an ihre eigene Karriere, die ähnlich begonnen hatte. Linda war das Kind eines Arbeiters gewesen und hatte zunächst als Serviererin ihr Geld verdient. In einem Speiselokal war sie einem Filmboss aufgefallen und vom Fleck weg engagiert worden.

Dann kehrten ihre Gedanken wieder zu ihrem kleinen kranken Max zurück.

„Ich mache mich jetzt besser auf den Weg, dann bin ich heute Abend bei Mäxchen“ Sie stand auf.

Ungesehen von Heide verließ sie den Gasthof. Nur Mario Landmann sah, wie sie mit aufgestelltem Daumen ihr Okay signalisierte.

Heide hatte keine Ahnung, was am Nachbartisch geschah. Auf Marios Empfehlung hatte sie ein Steak mit feinem Gemüse bestellt. „medium oder well done?“ fragte der Ober sie. Heide blickte verständnislos.

„Wir nehmen es beide medium“, griff Mario ein. Dann hob er sein Glas und stieß mit Heide an.

Nach einigen Schlucken wurde Heide sichtlich entspannter.

„Schmeckt es Ihnen?“ fragte Mario, als sie sich mit Heißhunger an das Steak machte.

„Ich habe nie im Leben etwas besseres gegessen“, schwärmte Heide und er war entzückt von ihrer Naivität.

„Haben Sie denn noch keinen Freund, mit dem sie ab und zu ausgehen? Von einem so hübschen Mädchen sollte man das doch annehmen.“

Doch Heide schüttelte lebhaft den Kopf.“Nein, einen Freund habe ich noch nicht. Meine Eltern würden das auch nicht erlauben. Außerdem interessiert mich in Elfringheim niemand wirklich.“

„Sie warten wohl auf Ihren Märchenprinzen, Heide?“ Mario Landmann lachte.

„Das nicht“, wehrte Heide ab. „Aber wenn einer kommt, dann muss er genau der Richtige sein. Das Flirten liegt mir nicht.“

Sie schüttelte bekräftigend den Kopf und hob ihr Glas:

„Zum Wohl, Herr Landmann!“

„Prosit Heide! Du bist in Ordnung! Ohne Umstände duzte er sie einfach.

Nach einer Weile erhob sich Mario und entschuldigte sich bei ihr.

„Ich muss ganz kurz einen Bekannten am Nachbartisch begrüßen. Ich bin sofort zurück!“

Heide nickte und folgte ihm mit den Blicken. Mario war wirklich ein Mann, von dem man träumen konnte.

Heide seufzte und rief sich selbst zur Ordnung. Eine warnende Stimme in ihr mahnte: Lass dich nicht mit ihm ein! Er ist nichts für dich! Das ist kein Mann, den du heiraten kannst.

Der zurückkehrende Mario riss sie aus ihren Träumen. Er sah sehr zufrieden aus.

Er füllte ihr leer gewordenes Glas noch einmal bis oben hin, er selbst nahm nur ein halbes Glas, schließlich musste er noch fahren.

„Heide, bist du mit fünfhundert Mark Gage zufrieden?“

„Fünfhundert Mark?“ Für die kleine Schuhverkäuferin war das eine beträchtliche Summe.

„Ja“, nickte Mario. „Dafür müsstest du der Camera-Filmgesellschaft heute den ganzen Abend zur Verfügung stehen. Außerdem sind morgen noch einige Szenen zu drehen. Einverstanden?“

„Und ob!“ Heide strahlte.

„Werden deine Eltern auch zustimmen?“

Heide dachte an ihren Vater und seine Missachtung gegenüber Filmstars und dergleichen. Aber würde er bei fünfhundert Mark für knapp zwei Tage nicht anders denken? In ihrem Elternhaus gab es wenig Komfort. Geld war Mangelware bei den Wackers.

„Ich glaube, sie werden einverstanden sein“, meinte Heide zuversichtlich.

„Dann bring mir bitte eine schriftliche Bestätigung heute Abend um sieben Uhr mit ins Hotel „Zur Traube! Und kein Wort davon heute im Geschäft, hörst du?“

„Ich verrate kein Sterbenswörtchen“, versprach Heide und zitterte vor innerer Erregung.

„Dann will ich dich jetzt am Geschäft absetzen, Heide. Wir sehen uns heute Abend in der Traube!“

Mario ließ sie in einer Seitenstraße aussteigen. Elfringheim war um diese Mittagszeit wie ausgestorben, niemand beobachtete sie.

Wie schwer war es doch, das Geheimnis einen ganzen langen Nachmittag mit sich herum zu schleppen! Rita wollte sie ein paar Mal über Mario Landmann ausfragen. Heide blieb einsilbig, so dass sie schließlich aufgab.

Heide kam heute eine ganze Stunde eher nach Hause als sonst. Der freundliche Herr Kurthäuser hatte ihr auf Grund ihrer Kopfschmerzen frei gegeben.

 

Sie stellte ihr Rad in den Schuppen und ging dann durch die Hintertür des kleinen Häuschens hinein. Unmittelbar darauf stand sie in der Küche vor ihrer Mutter.

„Nanu, Heide, wo kommst denn du schon her?“ wunderte sich Frau Wacker. Sie ließ ihre Spätzle im Stich, um ihre Tochter genau anzusehen. „Bist du krank, oder was ist los? Deine Augen glänzen ja so!“

„Ich bin nicht krank, Mutter, ganz im Gegenteil!“ lachte Heide. „Wenn du dich einen Augenblick hinsetzt, erzähle ich dir was Schönes.“

Verwirrt sank Frau Wacker auf den Küchenstuhl und ließ sich von Heide die Ereignisse des Vormittags schildern. Immer wieder schaute sie Heide an, als sähe sie die Tochter zum ersten Mal.

Einen Filmstar sollte Heide vertreten? Sie schüttelte den Kopf.

„Und dafür bekomme ich fünfhundert Mark!“ schloss Heide ihren Bericht.

„Fünfhundert Mark? Heide, das ist ja ein kleines Vermögen!“ Frau Wacker sprang auf.

„Wenn ich das deinem Vater erzähle!“

„Was willst du mir erzählen?“ Der Briefträger Wacker betrat gerade die Küche. „Heide, warum bist du schon hier?“

„Die Mutter will es dir doch gerade erzählen, Vater!“ sagte Heide. Vor ihrem

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 13.05.2020
ISBN: 978-3-7487-4066-7

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