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Tochter aus gutem Hause

 

Tochter aus gutem Hause

 

„Du willst mich also wirklich heute Abend allein lassen?“ fragte Gertrud Dornburg ein bisschen vorwurfsvoll.

Beate setzte sich neben ihre Mutter und umfasste sanft ihre Schultern.

„Aber Mutti, ich war den ganzen Tag über bei dir! Du musst doch verstehen, dass junge Menschen ein bisschen Abwechslung brauchen! Ich bin so froh, dass Gaby Winter auch nach Lörrach gezogen ist und ich ab und zu mit ihr zusammen sein kann; ich mochte sie immer gern, sie ist so lustig und steht dabei mit beiden Beinen fest im Leben!“

Frau Dornburg schüttelte den Kopf. „Sie ist aber kein Umgang für dich. Eine Verkäuferin aus einem Juweliergeschäft! Du bist immerhin die Tochter eines Professors!“

„Gabys Vater war Lehrer“, nahm Beate die Freundin in Schutz, „und mir imponiert es, wie sie sich nach dem plötzlichen Tod ihrer Eltern, ohne viel zu klagen, umgestellt hat. Sie ist sehr tüchtig.“

„Ich bin eben altmodisch“, gab Frau Dornburg zu. „Außerdem kann ich mich nicht so schnell wieder an das Leben in dieser Kleinstadt gewöhnen. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, wir wären in Freiburg geblieben; da hättest du einen Beruf ergreifen können und wärst mehr mit jungen Menschen zusammen gekommen, die zu dir passen.“

Beate sah die Mutter besorgt an. Seit dem Tod des Vaters war sie immer etwas schwermütig; auch ihr Herzleiden hatte sich verschlimmert. Deshalb hatte Beate auch bis jetzt darauf verzichtet, ein Studium zu beginnen. Sie wollte die Mutter nicht allein lassen. Nach dem Tod von Beates Vater, der Professor an der Freiburger Universität war, waren sie ins Elternhaus der Mutter nach Lörrach gezogen. Dort hatte Gertrud Dornburg zunächst aufopfernd ihre alte Mutter bis zu deren Tod gepflegt. Beate machte Korrekturen für einen Verlag. Diese Tätigkeit konnte sie zu Hause ausüben und so immer bei ihrer Mutter sein.

„Über meinen beruflichen Werdegang können wir ein anderes Mal sprechen“, versuchte sie ihre Mutter zu beruhigen. „Da wird sich betimmt eine Lösung finden. Ich bin sehr gerne hier in Lörrach und in diesem Haus. In Freiburg wäre es jetzt ohne Vater für uns beide nur traurig. Ich will Gaby Winter nächsten Sonntag einmal zu uns einladen“, kam sie dann auf ihr voriges Thema zurück.

„Dann kannst du dir ein Bild von ihr machen und wirst sie ganz bestimmt auch mögen.“

„Also mein Kind, ich verstehe ja, dass du den Umgang mit Gleichaltrigen brauchst. Geh nur zu deiner Verabredung, aber komm bitte nicht so spät nach Hause!“ Frau Dornburg lächelte ihre Tochter etwas wehmütig an.

Beate war schnell fertig zum Ausgehen. Sie hatte ihren hellen Trenchcoat und hochhackige blaue Pumps angezogen. Über ihrer Schulter baumelte die passende blaue Umhängetasche. Reizend sah sie aus mit ihrer schlanken Figur und dem üppigen, schulterlangen, blonden Haar, das einen tief rotgoldenen Schimmer hatte.

„Vergiss deine Handschuhe nicht, es ist kalt!“ mahnte die Mutter noch. Aber Beate hatte die weißen Lederhandschuhe schon in der Hand.

„Auf Wiedersehen, Mutti! Lass dir die Zeit nicht lang werden!“

Die Haustür fiel ins Schloss.

Mutti sieht krank aus, dachte Beate besorgt, so müde und hinfällig. Sie drehte sich am Gartentor noch einmal um und winkte der Mutter zu, die sie hinter der Wohnzimmergardine vermutete.

Dann bog sie in die Goethestrasse ein, in der Gaby Winter wohnte. Sie hatte dort bei der Witwe Häsele eine hübsche kleine Mansarde gemietet.

Ein Wagen fuhr dicht an der Bordsteinkante immer neben Beate her. Sie beschleunigte ihre Schritte..

Da hörte sie plötzlich ihren Namen rufen und drehte sich herum.

„Hallo, Beate, kennst du mich nicht mehr?“ rief der Mann , der am Steuer eines blauen VW Käfer saß.

„Aber klar kenne ich dich, Volker. Ich hatte nur keine Ahnung, dass du gerade in Lörrach bist. Sicher willst du Gaby besuchen?“ Beates Stimme klang etwas enttäuscht. Sie hatte sich so auf den Abend mit Gaby gefreut und nun kam dieser Volker dazwischen, für den Gaby unbegreiflicherweise schwärmte. Er studierte Jura in Freiburg, hatte aber in Lörrach seine Eltern wohnen.

 

„Gaby ist gar nicht zu Hause. Wir haben uns im Parkschlösschen verabredet. Sie wird dir ewig böse sein, wenn du nicht mitkommst! Bitte steig ein!“ Einladend wurde die Beifahrertür von innen geöffnet.

Doch Beate zögerte noch.

„So als drittes Rad am Wagen macht mir das keinen Spaß, Volker“, sagte sie ablehnend.

Dieser Volker war ihr ziemlich unsympathisch. Er hatte dunkles, gewelltes Haar und sehr schwere dunkle Brauen, die über der Nasenwurzel zusammen wuchsen. Gaby fand ihn wahnsinnig interessant.

Beate verabscheute ihn wegen seiner geschwollenen Redensarten, die sie überhaupt nicht geistreich fand.

„Du bist nicht das dritte Rad am Wagen, Beate! Ich bin gerade auf dem Weg, einen Bekannten abzuholen. Er wohnt im Hotel Badenia. Komm, zier dich nicht und steig ein, sonst reißt mir Gaby den Kopf ab.“

„Na gut, wenn noch jemand mitkommt, könnt ihr eure Zweisamkeit ja doch nicht genießen.“

Beate schwang sich auf den Beifahrersitz.

„Du hast ja einen ganz neuen Wagen“, staunte sie. Auch innen sah der Wagen wie neu aus und verströmte noch den Geruch nach Lack und Plastik.

„Ist auch hart verdient und der alte Wagen mit der geteilten Heckscheibe tat es einfach nicht mehr.“

Angestrengt beobachtete er den Verkehr, der jetzt in der Innenstadt dichter wurde. Die Kinos begannen und viele Leute waren unterwegs.

„Womit verdienst du denn so viel Geld, ich dachte immer, du studierst noch?“ fragte Beate neugierig.

„Nun, ich mache so allerhand Geschäfte. Herr Füssner, den wir jetzt abholen, ist ein Geschäftsfreund von mir. Investment, weißt du. Damit kann man bombig verdienen.“

„Es scheint so“, sagte Beate.

In diesem Moment hielten sie auf dem Kopfsteinpflaster vor dem Hotel Badenia. Es war das größte Hotel am Ort und wurde von der Witwe Reinig und ihrem Sohn vortrefflich geführt.

Volker zog den Wagenschlüssel ab und machte Miene, auszusteigen. Doch dann setzte er sich wieder und sagte zu Beate: „Du würdest mir einen großen Gefallen tun, wenn du eben mitkämst, Beate. Wenn Füssner dich sieht, wird er eher geneigt sein, mit ins Parkschlösschen zu kommen!“

„Ich kann ja in der Halle warten“, schlug Beate widerwillig vor.

Sie stiegen aus und betraten die Eingangshalle, die mit Teppichboden ausgelegt war. Ein leichter Geruch von köstlichem Essen lag in der Luft.

„Ich warte hier“, sagte Beate und wollte sich in einem der Ledersessel niederlassen, die in einer gemütlichen Nische standen.

Im gleichen Augenblick kam Frau Reinig durch die Drehtür, die den Küchentrakt von der Rezeption trennte. Beate kannte sie flüchtig, da sie ein paar Mal hier mit der Mutter gegessen hatte.

Volker zupfte am Ärmel von Beates Trenchcoat und zog sie zu der großen Treppe, die zu den Gästezimmern führte. Unwillig wollte sie sich los machen.

„Sei kein Frosch und komm mit nach oben, Beate. Füssner wird sich eher entschließen, mit zu kommen, wenn er dich sieht.“

„Ich bin doch kein Lockvogel für deine Geschäftspartner!“ Beate wurde jetzt ärgerlich.

„Willst du unbedingt, dass die Reinig dich sieht?“ zischte Volker. „Morgen ist es in der ganzen Stadt herum. Deine Mutter wird nicht begeistert sein.“

Beate hielt jedoch Frau Reinig ganz und gar nicht für schwatzhaft. Trotzdem fand sie es besser, aus der Halle zu verschwinden. Wenn Mutti erführe, dass sie mit einem Mann das Hotel besucht hatte! Es war nicht auszudenken, mit welchen Vorwürfen sie wieder überschüttet würde.

„Es dauert ja nur einen kleinen Augenblick“, sagte Volker, als Beate zögernd die Treppe hinter ihm empor stieg.Der rote Treppenläufer dämpfte ihre Schritte. Sie begegneten keinem Menschen.

Im zweiten Stock bog Volker nach links in einen Seitenflur ab und klopfte an eine Tür. Der Gang war ziemlich dämmrig, so dass Beate die Zimmernummer nicht erkennen konnte. Sie lehnte sich an die Wand und wartete, bis die Tür des Zimmers geöffnet wurde.

Ein Mann trat heraus und begrüßte Volker Haslach sehr kurz und wie es schien, von oben herab.Im Licht der geöffneten Zimmertür sah Beate, dass er ungefähr fünfzig Jahre alt war. Das Auffallendste an ihm war seine Beleibtheit, die selbst der gut geschnittene Anzug nicht verbergen konnte.

Er sieht aus wie ein Handelsvertreter, dachte Beate. Der Spaß an dem Abend verging ihr immer mehr.

„Herr Füssner – Fräulein Dornburg“ machte Volker bekannt. Sie tauschten einen kurzen Händedruck.

„Ich komme gern noch für ein Stündchen mit ins Parkschlösschen“, erklärte Füssner nach einem abschätzenden Blick auf Beate. „Einen Augenblick noch. Ich hole meinen Mantel. Das Gepäck habe ich schon im Wagen.“

Er ging wieder ins Zimmer zurück.

„Fährt einen dollen Mercedes“, flüsterte Volker ihr zu. Gleich darauf kehrte Füssner zurück und ließ die Tür ins Schloss schnappen.

„Na dann wollen wir mal“, sagte er aufgeräumt. „Geht ihr schon vor, ich nehme den Aufzug.“ Sie gingen die Treppe wieder hinunter. Wieder begegneten sie niemandem. Die Leute benutzen wohl alle den Lift, dachte Beate und wunderte sich, warum sie das nicht ebenfalls taten. Unten trafen sie auf Füssner und verließen das Hotel durch die Schwingtür.

Beate fühlte sich unangenehm unter den abschätzenden Blicken, die ihr Füssner zu warf. Dabei schaute er sie nicht mit den Augen eines Mannes an, nein, eher wie eine Ware, nüchtern, geschäftsmäßig. Sie wusste nicht zu sagen, welcher ihrer beiden Begleiter ihr unsympathischer war. Volker ging ihr auf die Nerven. Er benahm sich gegenüber Füssner äußerst devot und schwänzelte derart um ihn herum, dass Beate sich für ihn schämte.

„So, da wären wir!“ sagte Füssner und blieb vor einem dunklen Mercedes stehen.

„Sie sind aus Darmstadt?“ fragte Beate und wies auf das Kennzeichen.

„Ja,“ sagte Füssner und lächelte. „Wollen Sie mir das Vergnügen machen und in meinem Wagen mitfahren?“

Unschlüssig sah Beate sich um. Volker war schon zu seinem eigenen Wagen gegangen und hatte die Zündung eingeschaltet. Er hob die Hand und nickte Beate zu. „Fahr nur mit Herrn Füssner, da hast du es bequemer!“ rief er durch die herab gelassene Scheibe zu ihnen hinüber.

„Aber ich kenne ihn doch gar nicht!“ rief Beate. Doch Volkers Wagen setzte sich schon in Bewegung.

Füssner hielt die Wagentür für Beate offen. „Er hat es offenbar eilig, zu seiner Freundin zu kommen!“ lächelte er und nickte Beate auffordernd zu.

Da bleib ihr nichts anderes übrig, als zu ihm zu steigen. Zum Parkschlösschen war es ja nicht weit.

Auf dem Rücksitz sah sie beim Einsteigen Füssners schwarzen Lederkoffer liegen. Sicher enthält er die Investmentpapiere, dachte sie.

„Jetzt müssen Sie mich ein bisschen dirigieren, gnädiges Fräulein“, sagte Füssner. „Unser junger Freund ist ja schon über alle Berge“.

„Dort die Weinstraße entlang und an der Brücke rechts herum“, gab Beate Auskunft und lehnte sich zurück.

„Vater hat fast genau den gleichen Wagen gehabt“, dachte Beate und seufzte.

„Leben Sie schon lange hier, Fräulein Dornburg?“fragte Füssner und riss sie aus ihren Gedanken.

Sie schüttelte den Kopf.

„Erst seit einem Jahr. Wir haben früher in Freiburg gewohnt.“

„Da fällt Ihnen wohl die Umstellung auf die Kleinstadt nicht ganz leicht, wie?“

„So schlimm ist es nicht. Wenn man nette Freunde hat, kann man es aushalten.“

„Ja, Herr Haslach ist ein netter junger Mann. Und so eifrig!“ bestätigte Füssner.

„Er zählt nicht zu meinen Freunden“, wehrte Beate ab. „Er ist mit meiner besten Freundin bekannt und daher flüchtig auch mit mir. Sie werden Gaby Winter ja nachher kennen lernen. Sie ist sehr amüsant. Ohne sie würde ich es hier ziemlich langweilig finden.“

„Kann ich mir vorstellen“, nickte Füssner. „Haben Sie einen interessanten Beruf?“

„Noch nicht. Ich habe vor einem Jahr Abitur gemacht. Meine Mutter ist herzleidend, so dass ich sie nicht alleine lassen kann."

"Das ist ein hartes Leben für so einen jungen Menschen wie sie, Wenn man jung ist, sollte man reisen, sich die Welt ansehen! Aber Krankenpflege?" Er zuckte mit den Schultern und krauste dann plötzlich die Stirn.

"Was ist mit dem Wagen los?" fragte er, beugte sich über das Volant und horchte in den Motor hinein.

"Ich höre nichts", sagte Beate ängstlich. Sie waren jetzt schon 2 km aus der Stadt heraus. Wenn sie jetzt eine Panne hätten, wäre keine Reparaturwerkstatt in Laufnähe und auch keine Telefonzelle.

Jetzt hörte sie auch das feine Untergeräusch, das sich in den Motorenlärm mischte.

"Vielleicht ist eine Zündkerze defekt?" fragte sie.

"Ich sehe einmal nach", sagte er missmutig und hielt den Wagen an. Er stieg aus und klappte die Motorhaube in die Höhe.

Beate stieg ebenfalls aus. Dabei bemerkte sie, dass nur ein Handschuh auf ihrem Schoß gelegen hatte. Wo hatte sie nur den anderen gelassen? Womöglich hatte sie ihn schon vor dem Hotel bei Einsteigen in den Mercedes verloren? Oder schon in Volkers Wagen liegen gelassen? Doch nein, das konnte nicht sein. Sie erinnerte sich jetzt, dass sie beide Handschuhe angehabt hatte, als sie das Hotel betrat. Erst als sie Füssner in dem dunklen Flur begrüßte, hatte sie ihn ausgezogen. Sie ärgerte sich, denn die Handschuhe waren neu und nicht billig gewesen.

"Warum bin ich bloß nicht bei Mutti geblieben? fragte sich Beate verstimmt und ging zu Füssner hinüber.

"Können Sie nichts finden?" fragte sie mutlos und beugte sich neugierig unter die Motorhaube.

"Bis jetzt nichts", sagte Füssner und fiel sie von hinten an.

Sein linker Arm presste sich wie ein Schraubstock um ihre Mitte. Mit der rechten Hand drückte er ihr chloroformgetränkte Watte vor den Mund.

Beate wehrte sich wie besessen. Sie trat mit den Füßen nach hinten aus und hörte Füssner fluchen. Dann fühlte sie ihre Sinne schwinden; das Chloroform tat seine Wirkung. Beate war fast bewusstlos, als Füssner sie in den Wagen zerrte und auf den Rücksitz warf. Er holte seinen Koffer unter ihrem wehrlosen Körper hervor und öffnete ihn.

Neben ein paar Hemden und Toilettenzeug lagen merkwürdige Gegenstände, die nicht unbedingt zur Ausstattung eines Geschäftsmannes gehörten.

Da gab es eine säuberlich aufgewickelte Plastikwäscheleine, die Füssner jetzt um den Leib der fast wehrlosen Beate schlang. Er schnürte sie wie ein Paket zusammen.

Dann entnahm Füssner dem Koffer ein Geschirrhandtuch und preßte den blau weiß karierten Stoff zwischen Beates Lippen.

"Damit du mir an der Grenze nicht schreist!" meinte er befriedigt.

Um ganz sicher zu gehen, nahm er die Flasche mit dem Chloroform aus seiner Anzugtasche und beträufelte damit den Knebel.

Wohlgefällig betrachtete Füssner dann sein Opfer. Er rieb sich die Hände und sagte laut:" Madame Fu wird begeistert sein!"

Fast tat ihm das Mädchen leid, so unschuldig sah es aus. Das rotblonde Haar bauschte sich um ihren Kopf wie ein Glorienschein. Die langen Wimpern lagen dicht und dunkel auf ihren blassen Wangen. Jetzt lag Beate in tiefer Bewußtlosigkeit.

Füssner klappte die Lehne des Rücksitzes zurück. Eine kleine Höhlung lag dahinter, gerade groß genug, um einen zierlichen Mädchenkörper zu beherbergen. Es gab Luftlöcher zum Atmen und sogar eine Decke, damit das Opfer nicht fror.

"Es ist ja nicht mehr weit zur Grenze", flüsterte Füssner seinem Opfer zu und schob es in die Versenkung. Die Rückenlehne wurde wieder an ihren Platz geklappt. Füssner kletterte auf den Fahrersitz und startete den Wagen. Mit Befriedigung stellte er fest, dass die Dunkelheit einsetzte.

 

 

Im Hotel Badenia öffneten sich die Türen des Speiseraums. Die Gäste hatten die gute Küche genossen und strömten heraus. Einige blieben am Empfangstresen stehen und erkundigten sich beim Portier, was man am Abend in Lörrach anfangen könnte.

Axel Moor, der junge Portier, gab bereitwillig Auskunft.

„Sie könnten zum Beispiel ins Kino um die Ecke gehen“, riet er einer älteren Dame. „Das Gloria hat Doktor Schiwago auf dem Programm.“

Ein junges Paar erkundigte sich, ob man hier tanzen könne.

„Da würde ich Ihnen raten, ins Parkschlösschen zu fahren. Dort ist immer etwas los, „ gab Axel Moor liebenswürdig Auskunft.

Erfreut bedankte sich das Paar, nachdem er ihnen eine genaue Wegbeschreibung geliefert hatte.

„Sie sind aus Hamburg, nicht wahr?“ fragte die ältere Dame den Portier interessiert.

„Ja, das hört man leider viel zu sehr“, meinte Axel Moor lachend. Dann ließ er sich geduldig darüber aufklären, dass die Dame Verwandte in Hamburg hatte.

„Vielleicht kenn Sie die Immermanns?“ erkundigte sie sich hoffnungsvoll.

„Leider nicht, gnädige Frau“, bedauerte Axel. „Aber man kann nicht jeden kennen, Hamburg ist groß.“

Frau Gerda Reinig, die Hotelbesitzerin, erschien in der Schwingtür hinter der Rezeption und blinzelte Axel unauffällig zu.

Er beendete geschickt das Gespräch, denn Frau Reinig wirkte irgendwie nervös. Offensichtlich wartete sie auf ihn.

„Was gibt es?“ fragte Axel, nachdem die ältere Dame sich doch noch entschlossen hatte, ins Kino zu gehen.

„Ich suche meinen Sohn, Axel. Haben Sie ihn zufällig in der letzten Viertelstunde gesehen?“

Axel schüttelte den Kopf. „Leider nicht, Frau Reinig. Ich weiß nur, dass er vor ungefähr einer halben Stunde zu einem Gast herauf gegangen ist. Danach hat mich Fräulein Kranach hier vertreten, weil ich in die Buchhaltung musste. Kann ich Ihnen behilflich sein?“

Freu Reinig zögerte einen Moment.

„Vielleicht, Axel. Sie könnten mir helfen, ihn so schnell wie möglich zu finden. Ich bin in ziemlicher Aufregung. Der Kegelklub Männertreu hat überraschend ein Essen für übermorgen bestellt.“

„Übermorgen? Da haben wir doch die Hochzeitsgesellschaft!“ Axel Moor sah seine Chefin fragend an.

„Stimmt, Axel. Und deshalb muss ich so schnell wie möglich mit meinem Sohn sprechen. Vielleicht könnten wir im Frühstückszimmer....“Die letzten Worte hörte Axel schon nicht mehr. Seine Chefin war schon weiter geeilt.

Eine tüchtige Frau, dachte Axel voll Bewunderung. Bei ihr konnte man wirklich etwas lernen. Sie verstand von der Organisation eines Hotels viel mehr als ihr Sohn Horst mit seinen jetzt fünfunddreißig Jahren.

Horst Reinig war zum Leidwesen seiner Mutter immer noch unverheiratet. Er war eine lustige Nudel und Axel mochte ihn gern. Aber mit Horsts Verantwortungsbewusstsein war es nicht weit her.

Wahrscheinlich hatte er es in seinem Leben zu gut gehabt, dachte Axel. Da Horsts Vater früh gestorben war, hatte Frau Reinig dafür gesorgt, dass ihr Sohn eine Hotelfachschule besuchte, um später den Betrieb übernehmen zu können. Doch er hatte sich nicht allzu geschickt dabei angestellt und überließ lieber seiner Mutter die Leitung.

Was war er, Axel, doch dagegen ein armer Schlucker! Schon im Alter von vierzehn Jahren hatte er seinen Vater verloren. Da es zu Hause hinten und vorne nicht reichte, hatte er bald neben der Schule angefangen, als Kellner zu arbeiten. Sein großes Ziel war es, einmal ein Hotel zu leiten. Aber das waren bis jetzt nur Träume. Mit seinen dreiundzwanzig Jahren war er noch lange nicht so weit.

Axel schlenderte hinüber in die Küche, wo Fräulein Kranach, die Hotelsekretärin, gerade etwas mit der Köchin besprach.

„Hat jemand von Ihnen Herrn Reinig gesehen?“ fragte Axel die beiden. „Die Chefin will ihn dringend sprechen.“

„Hier ist er seit heute Mittag nicht mehr gewesen“, ließ sich der Chefkoch im Hintergrund vernehmen und auch die Köchin schüttelte verneinend den Kopf.

„Vielleicht macht er irgendwo wieder Prösterchen“, flüsterte sie Axel zu.

Fräulein Kranach lachte. „Kann schon stimmen, ich habe ihn auch längere Zeit nicht gesehen, Axel. Ich gehe jetzt an den Empfang. Wenn ich Herrn Reinig sehe, schicke ich ihn hoch zur Chefin.“

„Danke, Fräulein Kranach!“ Axel nickte ihr zu und

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 17.06.2016
ISBN: 978-3-7396-6089-9

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