Mit großen Schritten nähere ich mich dem Tunnel. Große dunkle Flecken, bewegen sich im Licht der Unterführung. Ich ziehe das Tempo an, weil ich schnell nach Hause will und nehme mir vor, so spät abends nicht mehr Joggen zu gehen. Am Tunnel angekommen, erkenne ich Schatten von mindestens zwei Personen. Ein eigenartiges Geräusch lässt mich automatisch langsamer werden. Lauf weiter. Lauf einfach weiter, denke ich. Doch meine Beine ignorieren die Befehle meines Gehirns. Mein Lauf ist inzwischen in schnelles Gehen übergegangen. Ein dumpfer Knall und lautes Stöhnen, lenken meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich bleibe stehen und horche angestrengt den merkwürdigen Lauten. Erneut ertönt dieser dumpfe Knall, diesmal mehrmals hintereinander. Kurz komme ich mir vor wie ein Spanner, lasse den Gedanken an ein verliebtes Pärchen aber wieder fallen. Jugendliche, die Unsinn treiben, rede ich mir ein und will weiterlaufen. Kaum, dass ich den Entschluss gefasst habe, höre ich einen Aufschrei, der schlagartig verstummt. Ich erschrecke so sehr, dass ich einen eigenen nur mit Mühe unterdrücken kann. Mein Herz nimmt Fahrt auf und ich bleibe wie angewurzelt stehen. Erneut hallt eine Serie dumpfer Knalle durch die Unterführung, gefolgt von einem leidvollen Stöhnen. Ich schlucke, sehe mich um. Außer mir ist niemand da. Also riskiere ich einen kurzen Blick in den Tunnel. Mit vorgehaltener Hand beobachte ich, wie vier Männer brutal auf einen fünften einschlagen, der von einer weiteren Person hinterrücks festgehalten wird. Bei jedem Fausthieb zucke ich zusammen. Das Würgen und Stöhnen des Opfers lassen mich erschaudern. Sich kaum noch auf den Beinen haltend, sackt er immer mehr in sich zusammen. Scheiße! Ich will entsetzt den Atem ausstoßen, tue es aber nicht, um unentdeckt zu bleiben. Stattdessen presse ich meine Hand fester gegen meinen Mund und entferne mich zwei Schritte weit. Ich muss Hilfe holen! Hastig zücke ich mein Mobiltelefon und wähle die Nummer der Polizei. Noch bevor ich die Straße durchsagen kann, ist die Verbindung weg. Nein! Nicht doch! Verdammter Akku! Mit weit aufgerissenen Augen halte ich Ausschau, muss aber feststellen, dass ich ganz allein hier bin. Aufkommende Panik versuche ich wegzuatmen und zwinge mich, Ruhe zu bewahren.
Die Polizei weiß nicht, woher der Notruf kam, somit wird sie auch nicht zur Hilfe kommen können. Ich selber kann es unmöglich mit fünf erwachsenen Männern aufnehmen. Mein Herz schlägt wie wild und pumpt Entschlossenheit durch meine Adern. Was nun? Laufen! Also sprinte ich, so schnell mich meine Beine tragen, zur nächsten Straße. In meiner Verzweiflung stelle ich mich geistesabwesend mitten auf die Fahrbahn und rudere wie eine Verrückte mit den Armen. Ich werde angehupt, wüst beschimpft, aber niemand hält an. Sie brausen alle an mir vorbei. Das kann nicht wahr sein! Zu meiner Panik mischt sich Wut. Wut über diese Ignoranz. Ich fluche vor mich hin, weiß nicht mehr weiter, da sehe ich auf der anderen Straßenseite die Rettung - eine Telefonzelle. Schnell überquere ich die Straße. Die Ernüchterung folgt unmittelbar, weil ich feststelle, dass ich kein Kleingeld bei mir habe. Zitternd atme ich aus, denke an den armen Mann und diese feigen Schläger. Ich MUSS ihm helfen. Bei dem Gedanken daran, was alles passieren könnte, wenn ich es nicht tue, erfasst mich ein eiskalter Schauer … und die Erkenntnis. Der Notruf funktioniert auch ohne Geld. Schnell und trotzdem viel zu langsam wähle ich die 110. Den Text habe ich mir bereits zurechtgelegt. Wie auswendig gelernt, schildere ich kurz und knapp die Situation, nenne die Straße und weise auf die Notwendigkeit eines Notarztes hin. Die Anweisung, mich außer Gefahr zu begeben, ignoriere ich. Ich muss was tun! Es sind höchstens drei Minuten vergangen, die mir vorkommen wie drei Stunden. Auf dem Rückweg versuche ich erneut ein Auto anzuhalten - vergeblich.
In der Hoffnung die Kerle könnten inzwischen von dem Mann abgelassen haben, nehme ich meine Beine in die Hand und renne zurück zum Tunnel. Meine Lungen brennen als stünden sie in Flammen.
Leise nähere ich mich der Unterführung. Ich habe das Gefühl zu ersticken, weil ich mich zwinge, flach zu atmen, um nicht bemerkt zu werden. Die dumpfen Geräusche verraten, dass diese Arschlöcher noch immer feige zuschlagen, aber ein Geräusch fehlt - das des Opfers. Kein Würgen. Kein Stöhnen. Kein Wimmern. Ein furchtbarer Gedanke legt sich schwer auf meine Brust und ich spüre, wie sich meine Nackenhaare aufstellen. Bitte nicht, bete ich und spähe in den Tunnel. Ich atme so laut, dass ich mir, wie vorhin, den Mund zu halten muss.
Mittlerweile treten sie auf den Mann ein. Heftigen und erbarmungslosen Hieben ausgesetzt, liegt er regungslos auf dem Asphalt. Ich höre Knochen brechen und schreie stumm in meine Hand.
Plötzlich blickt einer der Peiniger auf. Reflexartig schnellt mein Kopf zurück. Statt davonzulaufen, bin ich erstarrt und halte die Luft an. Selbst meine Gedanken scheinen mir zu laut. Ich presse Lippen und Augen fest zusammen und horche.
„Kommt, der Drecks-Kanake hat genug“, sagt einer der fünf mit hasserfüllter Stimme. Schwere, dumpfe, immer leiser werdende Schritte hallen durch den Tunnel und verraten, dass die Kerle in die andere Richtung verschwinden.
Beinahe erstickt lasse ich die angestaute Luft lautstark aus meinen Lungen entweichen. Fieberhaft versuche ich, mich an Bomberjacken und Glatzen zu erinnern. Die Polizei wird sicherlich wissen wollen, wie die Täter ausgesehen haben. Leider merke ich, dass ich keinem der Peiniger ein Gesicht würde zuordnen können. Wie auch? Dazu waren sie zu weit weg und der Tunnel nicht beleuchtet genug gewesen.
In Zeitlupe luge ich in den Eingang und stelle fest, dass sie fort sind. Schwer schluckend erkenne ich die Umrisse des Opfers am Boden der Unterführung.
Verdammt, wo bleibt die Polizei und wo der Notarzt? Ich atme tief durch, versuche mich zu beruhigen und zu erinnern. Wie war das noch? Stabile Seitenlage. Atmung überprüfen. Mund zu Mund Beatmung. Herzmassage. Stabile Seitenlage. Atmung überprüfen. Mund zu Mund Beatmung. Herzmassage. Immer wieder gehe ich in Gedanken durch, was zu tun ist. Vielleicht auch, um mir die Nervosität und Angst zu nehmen - ohne jeden Erfolg. Mein Mund ist staubtrocken. Je näher ich dem Opfer komme desto nervöser und ängstlicher werde ich. Zum einen, weil ich nicht weiß, was mich erwarten wird. Zum anderen, weil mir allmählich bewusst wird, dass ich vom praktischen Teil der ersten Hilfe keine Ahnung habe. Was, wenn der Mann nicht auf mich reagiert? Was, wenn jede Hilfe zu spät kommt? Was, wenn ich alles falsch mache? Das Adrenalin schießt durch meine Adern. Und ich warte auf den kühlen Kopf und die Erkenntnis, die es angeblich bewirkt. Nichts. Stattdessen spüre ich Angst und Hilflosigkeit, die mich zu lähmen drohen.
Mein lautes Atmen hallt durch den Tunnel. Der feuchte Mauergeruch vermischt sich mit dem Gestank von altem, abgestandenem Urin, der schwer und beißend in der Luft hängt. Ich rümpfe angewidert die Nase, während ich dem Mann immer näher komme.
„Hallo?!“, breche ich viel zu zaghaft die Stille.
„Hallo?!“ Diesmal klinge ich sehr viel energischer, erhalte aber keine Antwort. Mit einem Bein angewinkelt und dem anderen vom Körper gestreckt, liegt er da, als hätte er versucht, sich gegen die brutalen Tritte zu wehren. An dem reglosen Körper angekommen, knie ich nieder und kann nicht fassen, was sie dem Mann angetan haben. Sein Gesicht oder besser das, was davon übrig ist, ist blutverschmiert und aufgequollen.
„Oh Gott!“, krächze ich. Ist das da etwa Hirnmasse? Ich unterdrücke einen Würgereiz und sehe genauer hin. Sein Kopf liegt in einer Blutlache. Woher das Blut kommt ist nicht auszumachen. Irgendwie schaffe ich es, meinen Ekel zu überwinden und beuge mich über den geschundenen Leib, um seine Atmung zu überprüfen. Da meine eigene so laut ist, halte ich die Luft an. Ich höre nichts, außer das Rauschen meines Blutes und meinen wummernden Herzschlag. Meine Hände fangen an zu kribbeln und mein Magen verknotet sich. Ich befürchte Schlimmes.
„Bitte nicht!“, flüstere ich mit wackliger Stimme und spüre, wie mir Tränen kommen, weil ich mich schuldig fühle. Ich bin zu spät und jetzt ist er t … Ein kaum hörbares Stöhnen reißt mich aus meinen schuldbewussten Gedanken. Er lebt! Er lebt, denke ich und spüre, wie eine Woge der Erleichterung durch meinen Körper strömt.
„Hallo, hörst du mich? Die Polizei ist unterwegs. Gleich kommt Hilfe.“ Meine Stimme überschlägt sich. Wie selbstverständlich nehme ich seine Hand und halte sie. Immer wieder rede ich auf ihn ein, um ihn wach zu halten.
Endlich ertönen die schon viel zu lang ersehnten Sirenen.
„Hörst du? Hilfe kommt. Halte durch“, appelliere ich an den Mann. Wenig später nähern sich uns schnelle polternde Schritte.
„Hallo? Hier sind wir. Schnell!“
Sowohl von links als auch von rechts kommen Polizisten auf uns zu. Ein Notarzt löst mich ab und hantiert mit dem rettenden Notfallbesteck umher. Zwei Rettungssanitäter kommen dem Arzt mit einer Trage zur Hilfe. Mehrere Polizisten sehen sich im Tunnel um, während mich ein anderer heraus führt. Ich atme die frische Luft und versuche, so gut es geht, das Bombardement an Fragen zu beantworten. Wie befürchtet, lässt meine Täterbeschreibung zu wünschen übrig.
Mein Blick folgt den Sanitätern, die an uns vorbeihuschen und den Mann mit Sauerstoffmaske und Infusion auf der Trage in den Rettungswagen befördern. Mit Blaulicht und Martinshorn fährt dieser los und ich bete zu Gott, dass der Mann überlebt.
Kaum eingetreten, zieht Steven mich in seine muskulösen Arme und drückt mich so fest an seine Brust, dass mir beinahe die Luft wegbleibt.
„Wenn du nicht vorhast, mich zu ersticken solltest du mich lieber loslassen“, gebe ich japsend von mir.
Lachend lockert er seinen Klammergriff soweit, dass ich wieder frei atmen kann. „Wie geht’s dir?“, will er wissen und küsst mein Haar.
Mein Gesicht an seine harte Brust schmiegend, schaue ich zu ihm rauf und blicke in seine fast schwarzen Augen. „Gut, und dir?“
„Auch.“
Wir grinsen uns an.
„Das ist sie also, hm?“ Steven lässt von mir ab und schaut sich in meiner ersten eigenen Wohnung um. Altbau, hohe Decken, große Fenster und mein Ticket in die Unabhängigkeit. Gebannt warte ich auf seine Reaktion und folge ihm in die überschaubare Anzahl an Zimmern, die er kritisch in Augenschein nimmt.
„Klein aber fein. Was bezahlst du?“, bricht er schließlich sein Schweigen.
„380 Euro."
„Kriegst du das denn hin jeden Monat?“
„Wenn morgen alles gut geht?“
Er sieht mich stirnrunzelnd an.
„Die Stelle im Fitnessstudio“, helfe ich seinem Gedächtnis auf die Sprünge.
„Du hast vor kurzem dein Abitur gemacht, Yaya. Feier dich doch erst mal, bevor du dich versklavst.“
„Und wie soll ich dann die Miete zahlen, du Schlauberger?“
„Ich übernehme die ersten drei Mieten und du amüsierst dich.“
Entsetzt stelle ich fest, dass er das vollkommen ernst meint. Dass er sich das neuerdings leisten kann, weiß ich. Seit circa einem halben Jahr geht er nicht aus dem Haus, ohne mindestens fünf grüne Scheine in der Tasche zu haben.
„Ich kann mich auch auf der Arbeit vergnügen“, entgegne ich und widerstehe dem Drang ihn zu fragen, wie er an so viel Geld kommt.
„Vergnügen oder amüsieren?“, fragt er hellwach und zieht dabei eine Augenbraue in luftige Höhe.
„Amüsieren.“
Er kommt näher und baut sich dicht vor mir auf. Mit der Kuppe seines Daumens hebt er mein Kinn an. „Du sagtest aber Vergnügen“, berichtigt er und mustert mich prüfend.
„Was macht das für einen Unterschied?“
„Komm, Yaya“, er kneift mir spielerisch in die Wange, „du weißt, was ich meine. Hast du vor, dich auf deiner neuen Arbeitsstelle mit einem der Fitnesstrainer zu vergnügen?“ Seine Lippen umspielt ein Lächeln. Ich kaufe es ihm nicht ab, da es im Gegensatz zu dem ernsten Ausdruck in seinen Augen steht.
„Wenn es da einen gäbe … vielleicht“, reize ich ihn bewusst und fange mir einen bösen Blick ein. „Du benimmst dich, als wärst du eifersüchtig, auf … ja, worauf eigentlich?“
„Ich hab einfach keine Lust, dass meine kleine Sis an irgendeinen Loser gerät. Was ist daran verwerflich?“ Er legt seinen Kopf schief und mustert mich eingehend. „Glaub mir Yaya, ich weiß, wie Männer ticken. Du bist klug, süß und sexy. Sowas gefällt leider auch den meisten Idioten.“
Verlegen wende ich mich ab und gehe zum Fenster. Ungeschickt hieve ich mich auf die Fensterbank, die so schmal ist, dass ich mühe habe, meinen üppigen Hintern dort unterzubringen. „Keine Sorge, da arbeiten hauptsächlich große, schlanke Blondinen“, entgegne ich, was dazu führt, dass sich die finstere Miene meines besten Freundes augenblicklich erhellt.
Steven kenne ich gefühlt mein ganzes Leben. Wie beinahe alle afrikanischen Frauen lässt meine Mutter ihre Haare in einem Afroshop machen. Ich war sieben, da nahm sie mich zum ersten Mal mit zu Nana‘s Hair Saloon. Die bis zu acht Stunden andauernde Wartezeit verbrachte ich mit Nanas Sohn, Steven. Wir spielten zusammen, sahen uns Videos an oder guckten einfach nur Fernsehen. So verging die Zeit wie im Flug. Steven wurde mein bester Freund und der ältere Bruder, den ich nie hatte.
„Große schlanke Blondinen, also?“, hakt er interessiert nach und fasst sich nachdenklich ans Kinn.
Ich nicke und hüpfe von der unbequemen Marmorbank. „Komm‘ und überzeug dich morgen selbst.“
„Wann?“
„So gegen neun.“
„Mach ich. Und danach stoßen wir an. Auf dein Abitur, deine Wohnung und natürlich den Job, den du eh bekommst.“
* * *
Tags darauf nimmt mir das wimmernde Motorengeräusch meines grünen Opel Corsas jegliche Hoffnung, noch pünktlich um elf Uhr auf der Arbeit zu erscheinen.
„Oh nein, nicht heute. Bitte spring an! Komm schon!“, versuche ich, meinem alten Schätzchen gut zuzureden. Tanja, zuständig für meine Einarbeitung, wird mir den Kopf abreißen. Sie ist genauso unsympathisch, wie sie aussieht. Blondes Haar - wie scheinbar alle Mitarbeiterinnen im Do-Well - das ihr glanzlos und strähnig über die Schultern fällt. Tiefliegende, immerzu weit aufgerissene graue Augen, die, von schwarzblauen Schatten umgeben, chronischen Schlafmangel vermuten lassen. Vielleicht ist sie deshalb so unausstehlich. Auf ihre Empfehlung hin wird Herr Neubauer mich einstellen oder nicht. Da Tanja die vergangenen beiden Male an jedem meiner Arbeitsschritte etwas auszusetzen hatte, habe ich mir fest vorgenommen, heute alles richtig zu machen. Stattdessen sitze ich hier fest und spreche mit meinem Auto, das einfach nicht anspringen will. Vor Wut und Verzweiflung füllen sich meine Augen mit Tränen. Den Job kann ich vergessen. Um noch einigermaßen pünktlich zu sein, hätte ich vor fünf Minuten losfahren müssen. Ich sehe mich schon die Wohnung aufgeben, weil ich die Miete nicht zahlen kann, als unerwartet der Motor ein vielversprechendes Geräusch von sich gibt. Schnell trete ich viel zu fest aufs Gaspedal, bevor mein Auto es sich doch noch anders überlegt.
Auf dem Weg zur halbkreisförmigen Bar gehe ich im Kopf alle Varianten an Ausreden durch, die meine Verspätung rechtfertigen könnten. So wie ich Tanja die letzten Tage kennengelernt habe, ist eine Naturkatastrophe wohl das Einzige, was sie gelten lassen würde. Im Geiste sehe ich sie triumphierend ihre Hände reiben. Es wird ihr ein Vergnügen sein, mich gleich vor Allen zur Sau zu machen. An der Bar angekommen, halte ich mit klopfendem Herzen nach ihr Ausschau. Obwohl ich sie nirgends sehe, habe ich keine Hoffnung, dass meine Verspätung ihr noch nicht aufgefallen sein könnte. Wahrscheinlich ist sie bereits auf dem Weg ins Büro, um mich bei Herrn Neubauer anzuschwärzen.
„Yaya?“
Ich drehe mich in die Richtung, aus der diese unglaublich sympathische Stimme kommt.
Ein blonder Engel strahlt mich an und reicht mir die Hand. „Ich bin Laura, wir arbeiten heute zusammen. Hab ich deinen Namen richtig ausgesprochen?“
Nickend bejahe ich und muss neidlos anerkennen, dass Laura mindestens zu den fünf schönsten Menschen gehört, die ich je gesehen habe. Ihr langes, blondes Haar hat sie zu einem dicken, hohen Zopf nach hinten gebunden, wodurch ihr perfektes Gesicht noch besser zur Geltung kommt. Unter den gezupften Brauen funkeln mich große, tiefblaue Augen an. Hohe Wangenknochen umgeben eine filigran geschnitzte Nase, die an der Spitze vorwitzig nach oben zeigt und dem hübschen Gesicht Niedlichkeit verleiht. Mit ihrer Größe und den dazu perfekten Maßen ist sie wohl das beste Aushängeschild, das sich ein Fitnessstudio wünschen kann.
„Tolle Haare hast du. Sind die von Natur aus gelockt?“, unterbricht sie meine Inspektion.
Ich nicke verlegen und bedanke mich. Obwohl ich Komplimente solcher Art öfter zu hören bekomme, verfluche ich meinen widerspenstigen Schopf. Aber von einer hübschen Frau, wie Laura, dafür Bewunderung zu ernten, ist durchaus schmeichelhaft.
„Du hast heute deine dritte und alles entscheidende Schicht, oder?“
„Ja“, entgegne ich knapp und spüre die Nervosität in mir hochkriechen.
„Wer hat dich denn die letzten beiden Tage eingearbeitet?“, fragt sie im Gehen und bedeutet mir mit einer Handbewegung, ihr zu folgen.
„Tanja“, versuche ich, so neutral wie möglich, über meine Lippen zu bringen und bin froh, dass sie meinen genervten Gesichtsausdruck nicht sieht.
„Aha, die Tanja.“
Der leicht verächtliche Unterton in ihrer Stimme ist mir nicht entgangen.
„Ist … sie heute auch da?“, erkundige ich mich, um einen beiläufigen Tonfall bemüht.
„Nein.“ Über ihre Schulter hinweg zwinkert sie mir zu. „Das wird heut ‘ne angenehme Schicht.“
„Hat doch super geklappt mit uns beiden“. Zufrieden lächelnd streckt mir Laura sieben Stunden später ihre Handfläche hin. Es dauerte eine Weile, bis ich begreife, dass ich sie abklatschen soll. Ich tu’s und komme mir dabei etwas seltsam vor.
„Gehst du eben?“, fragt sie und deutet auf das klingelnde Telefon.
„Do-Well, Dortmund, Yaya, was kann ich für Sie tun?“ Der Satz wird mich noch verfolgen, so oft, wie ich den heute schon runtergerattert habe.
„Ach, da hab ich ja die Richtige am Apparat.“
„Hallo Herr Neubauer.“ Ich schlucke.
„Kommen Sie doch bitte in mein Büro, wenn Sie gerade Zeit haben.“
Mit pochendem Herzen verlasse ich die Bar und nehme, an den Aquarien vorbei, den endlos langen Gang Richtung Büro. Ängstlich setzte ich einen Fuß vor den anderen. „Wer bei uns arbeitet, muss ein schwungvolles Auftreten und eine absolut positive Ausstrahlung haben!“, hatte Herr Neubauer zu mir gesagt. Diesem Anspruch werde ich gerade in keiner Weise gerecht. Je mehr ich versuche locker zu sein, desto mehr verkrampfe ich. Vor der Tür angekommen, atme ich tief ein, bevor ich die Höhle des Löwen betrete.
Unabhängigkeit, ich komme! Breit grinsend und mit einer Kopie meines Arbeitsvertrages verlasse ich das Büro meines neuen Chefs. Mit einem kurzen Schulterblick vergewissere ich mich, allein zu sein, bevor ich ausgelassen den Gang hinunter hüpfe. Das Pfeifen kann ich mir gerade noch verkneifen. Jetzt fehlt nur noch der Studienplatz, um mein Glück perfekt zu machen.
Zurück an der Bar sieht Laura mich mit kugelrunden Augen an. „Uuund?“
Grinsend wedle ich mit dem Anstellungsvertrag. Keinen Wimpernschlag später schlingt sie ihre dünnen Ärmchen um meinen Hals und quiekt mir ins Ohr. Ich stoße überrascht den Atem aus.
„Weißt du schon, wann du das nächste Mal arbeitest?“, trällert sie und klatscht begeistert in ihre Hände. Ob sie in meiner Abwesenheit eine Truhe mit Goldbarren unter der Bar entdeckt hat? Dass sie sich meinetwegen so freut, erscheint mir ein wenig übertrieben. Ohne meine Antwort abzuwarten, zerrt sie mich in eine kleine Kammer hinter den Tresen. „Schau mal, hier hängen die Pläne für die nächsten zwei Wochen.“ Ihr grünlackierter Fingernagel lenkt meine Aufmerksamkeit auf die 25. Kalenderwoche.
„Oh Wow. Gibt sich der Herr auch mal wieder die Ehre?“ Mit einem Mal weicht die Heiterkeit in ihrer Stimme einer nervösen Unruhe.
Ich trete näher, weil ich keine Ahnung habe wovon sie spricht.
„Du arbeitest übermorgen mit Ben.“
„Sollte mich das beunruhigen?“, versuche ich, unauffällig den Grund für ihren Stimmungswechsel auszumachen.
„Nein. Es ist nur … ach egal. Ich freu mich jedenfalls, dass wir jetzt Arbeitskolleginnen sind.“ Sie lächelt mich an, aber das gewohnte Strahlen in ihren Augen bleibt aus.
Ohne weiter auf diesen Ben oder den Dienstplan einzugehen, machen wir uns ans Aufräumen. Da Tanja mich die letzten Male alleine hat putzen lassen, bin ich vor zehn Uhr nie fertig geworden. Umso überraschter bin ich, dass es erst kurz vor neun ist, als wir das Wischwasser in die Spüle kippen.
„Manchmal gehe ich nach der Schicht noch ein paar Bahnen schwimmen. Kommst du mit?“, fragt mich Laura und scheint ihre gute Laune wiedergefunden zu haben.
„Dürfen wir das denn?“
„Klar. Wir können hier alles umsonst nutzen, den kompletten Wellness- und Fitnessbereich. Bis auf die Sauna - wegen der Aufgüsse. Das hat Herr Neubauer nicht so gerne. Ansonsten ist alles erlaubt.“
Trotzt der Verlockung, mich im Wasser treiben zu lassen und nach der Schicht ein wenig zu entspannen, sage ich ab. „Ich bin schon verabredet. Aber nächstes Mal gern.“ Oh ja und wie, denke ich voller Vorfreude an den morgigen Tag.
Ich lasse mich von Steven überreden, mein Auto hier am Studio stehen zu lassen. In seinem Wagen fahren wir in die Residenz, um auf meinen Job und mein Abitur anzustoßen. Dort angekommen, nimmt uns meine beste Freundin, Sara, die hier ihre Ausbildung zur Restaurantfachfrau macht, herzlich in Empfang und weist uns einen Platz zu. Der Kühler mit dem Champagner in der Mitte unseres Tisches verrät, dass sie sich abgesprochen haben. Steven und ich nehmen Platz, während Sara mit ihrem Kellnerbesteck herumhantiert. Gekonnt öffnet sie den Verschluss und schenkt uns den prickelnden Inhalt ein.
Eine leere Flasche Champagner und zwei Cocktails später winke ich energisch ab. „Oh bitte, halt mir den Sambuca vom Leib“, flehe ich Sara an. Der Geruch von flüssigem Lakritz ist so abartig, dass ich große Mühe habe, die gemischte Vorspeisenplatte bei mir zu behalten. Angewidert rümpfe ich die Nase und bitte Steven, der im Gegensatz zu mir nüchtern ist, mich nach Hause zu fahren.
Beschwipst lasse ich mich nackt in mein noch provisorisches Bett fallen, das lediglich aus einer Matratze besteht. Die frühsommerliche Juni-Hitze und mein Blutalkohol tun ihr Übriges. Ich heiße die träge Müdigkeit willkommen und freue mich auf morgen, den ersten offiziellen Tag meiner Festanstellung im Do-Well.
Resümee meines ersten offiziellen Arbeitstages: Was für eine beschissene Schicht. Tanja, bis fünfzehn Uhr für die Kinderbetreuung eingeteilt, war so freundlich, mich darüber zu informieren, dass an Samstagen die Bar aufgefüllt und geputzt werden muss. Also verbrachte ich heute circa ein Drittel der Schicht damit, mit einem schubkarrenähnlichen Gefährt Getränke, Obst und alles, was fehlte, aus dem Keller zu holen. Die verbleibenden zwei Drittel meiner Zeit räumte ich sämtliche Fächer, Schubladen und Schränke aus, reinigte sie von innen und außen, um sie dann wieder einzuräumen beziehungsweise aufzufüllen. Genug Zeit hatte ich ja, da samstags offensichtlich nicht besonders viel Betrieb war. Jetzt bin ich nassgeschwitzt und fühle mich, als hätte ich bei dreißig Grad im Schatten am Ironman teilgenommen. Ich kann es kaum erwarten, endlich mit den Füßen voran in den Pool zu springen.
Von der Bar aus sehe ich Herrn Neubauer im Schneckentempo auf mich zukommen. Es vergehen gefühlt zehn Minuten, bis er am Tresen angekommen ist. Mit dem Schlüssel in der Hand begleite ich ihn zum Ausgang und bin mir sicher, ihm beim Gehen die Schuhe besohlen zu können.
„Und? Hat alles geklappt?“, fragt er mich noch in der Tür stehend.
„Ja, ich denke schon“, antworte ich knapp, aber freundlich und hoffe, auf diese Weise einem Smalltalk entgehen zu können.
„Sehr gut. Tanja hat Ihnen gezeigt, wie Sie hier alles dicht machen und worauf zu achten ist?“
„Ich bin mit Laura gestern alles durchgegangen. Ich weiß, was zu tun ist.“
„Gut.“
Sein Rauschebart bewegt sich und lässt vermuten, dass er mich anlächelt. Sicher bin ich mir nicht, grinse aber zurück und frage mich, weshalb er nicht einfach geht.
„Heute hatten Sie ja nicht so viel zu tun. Aber das ist an Samstagen immer so. Ich dachte, das sei ein guter Tag, um sich an die Kasse und alles Weitere zu gewöhnen, so ganz ohne Stress“, bricht er das peinliche Schweigen.
Ich nicke nur.
„Oder was meinen Sie?“
Okay mein neuer Chef ist in Plauderlaune. Offensichtlich komm ich hier nicht weg, ohne mich auf ein Gespräch einzulassen. Also erzähle ich ihm, dass ich die meiste Zeit der Schicht damit verbracht habe, die gesamte Theke zu säubern und aufzufüllen. Dabei komme ich mir vor wie eine Streberin, die nach einem Lob lechzt.
Herr Neubauer zieht seine buschigen Brauen zusammen. Irritiert informiert er mich darüber, dass es einen Putzplan gibt. Ich erfahre, dass Tanja heute an der Reihe gewesen wäre und presse meine Lippen fest aufeinander, um einen Wutschrei zu unterdrücken.
„Und das Auffüllen übernimmt Ben, der Schichtleiter - den lernen Sie ja morgen kennen.“
„Gut zu wissen“, presse ich aus zusammen gebissenen Zähnen hervor und koche innerlich.
„Dann hatten Sie heute ja gut zu tun. Ich werde Herrn Klingental Bescheid geben, damit er das beim nächsten Plan berücksichtigen kann.“
Klingental? Wer ist das nun wieder, frage ich mich und nicke dankbar.
„So! Dann will ich mal los.“
Halleluja! Das wird aber auch Zeit.
Kaum durch die Tür dreht er sich nochmal um. Fast hätte ich schnaubend die Augen verdreht, reiße mich aber zusammen.
„Bevor ich’s vergesse… Seien Sie morgen eine halbe Stunde früher da, ja?“
„Das mach ich.“ Und jetzt raus hier.
Endlich! Erleichtert stoße ich den Atem aus und drehe den Schlüssel im Schloss. Ungeduldig schäle ich mich aus meiner Kleidung und springe mit Anlauf in BH und Slip in den Pool. Mein durch Tanjas Unverschämtheit erhitztes Gemüt findet im erfrischenden Nass schnell Abkühlung. Nach einigen Bahnen sieht die Welt wieder anders aus. Mit angehaltener Luft tauche ich zum Beckenrand. Wieder an der Wasseroberfläche, bleibt mir beinahe das Herz stehen. Ich verschlucke mich an dem Chlorwasser und bekomme einen entsetzlichen Hustenanfall. Auslöser ist eine großgewachsene männliche Gestalt, die am Rand des Pools steht. Mehr erkenne ich nicht, da meine Augen brennen und ich alle Mühe habe nicht unterzugehen. Es dauert eine Weile, bis der Hustenreiz abgeklungen ist und ich wieder Luft bekomme. Mein Herz pocht wie wild. Noch leicht unter Schock nehme ich den Mann blinzelnd in Augenschein. Bei seinen weißen Sneakers angefangen, folgt mein Blick seiner beigen Chinohose sowie seinem muskulösen Oberkörper, der sich durch sein helles T-Shirt abzeichnet. An seinem Gesicht verweile ich. Lange. Viel zu lange. Da ich es nicht schaffe, meine Augen von diesen perfekten Zügen zu lösen, entscheide ich mich für eine Reaktion, die mich an der Unversehrtheit meines Verstandes zweifeln lässt. Ich halte den Atem an und tauche unter. Das Loch, in das ich verschwinden möchte, tut sich am Grund des Pools leider nicht auf. Schweratmend tauche ich auf und traue mich vor Peinlichkeit nicht, zu ihm raufzuschauen. Stattdessen klammere ich mich an den Beckenrand und halte Ausschau nach einem Handtuch, entdecke aber nur meine Arbeitsbekleidung außer Reichweite. Großartig! In meiner Verzweiflung fällt mir nichts Besseres ein, als den Typen darauf hinzuweisen, dass wir geschlossen haben und er gehen müsse. Ich vermeide, ihn direkt anzusehen, um keinen erneuten Aussetzer zu riskieren.
„Und Sie sind?“, fragt er mich, ohne auf meine Aufforderung, das Studio zu verlassen, einzugehen. Der unglaubliche Bariton in seiner Stimme bringt mich dazu, ihm ins Gesicht zu blicken.
„Ich … arbeite hier“, entgegne ich so, als sei ich mir selbst nicht sicher.
„Was Sie nicht sagen.“ Der Hohn in seiner tiefen Stimme ist unüberhörbar. Markante Brauen formen harte Linien, die seinen haselnussbraunen Augen eine Intensität und Strenge verleihen, die angsteinflößend und anziehend zugleich ist. Sein braunes Haar trägt er kinnlang. Hinter die Ohren geklemmt rahmt es sein wunderschönes Gesicht, das ebenso, wie seine sinnlichen Lippen, jedem Gesetz der Symmetrie folgt.
„Nun?“, unterbricht er meine Inspektion.
Ich schlucke bei dem Gedanken daran, was ich „nun“ am liebsten mit diesem Fremden anstellen will.
„Da Sie darauf offenbar keine Antwort haben, möchte ich Sie daran erinnern, dass der Aufenthalt im Pool nur im Badeanzug oder Bikini erlaubt ist. Diese Regelung können Sie im Übrigen auch den Nutzungsbedingungen Ihres Einstellungsvertrages entnehmen, den Sie gestern unterschrieben haben. Yaya Williams, richtig?“
Ach du heilige Scheiße. Ben! Das muss er sein. Ich will unter- und an einem anderen Ort wieder auftauchen - auf der Stelle. Vergebens durchforste ich mein Gehirn nach einer passenden Antwort oder Reaktion. Erneut auf Tauchstation zu gehen, scheidet definitiv aus.
„Wenn Sie sich bitte aus dem Pool begeben würden?“
Oh nein! Nicht so. Nicht mit dieser … verwaschenen SpongeBob Schwammkopf Unterwäsche. Mein flehender Blick zeigt keine Wirkung. Widerwillig stemme ich mich am Beckenrand hoch. Als ob das hier nicht peinlich genug wäre, verliere ich die Balance und plumpse, wie ein Stein, wieder ins Wasser. Ich kündige morgen, denke ich und möchte mich am liebsten in Luft auflösen.
„Kommen Sie!“ Ben streckt den Arm aus und reicht mir seine Hand. An der Art, wie er seine Augen verdreht, ahne ich, dass sein Angebot nichts mit Hilfsbereitschaft zu tun hat. Ich ergreife sie trotzdem und lasse mich von ihm aus dem Wasser ziehen. Ein „Danke“ murmelnd, tapse ich an ihm vorbei zu den Liegen. Schamerfüllt sammle ich meine Trainingshose und mein Tank-Top ein. Die Tatsache, dass meine Unterhose sitzt, als hätte ich einen Haufen gelegt, versuche ich auszublenden. Triefend verschwinde ich in Richtung Umkleide und hoffe, dass er sich diesen unansehnlichen Anblick erspart.
***
Nach dem denkbar schlechten Start mit Ben, bin ich heute extrem früh dran. Ich will auf gar keinen Fall zu spät kommen. Unter keinen Umständen will ich ihm einen weiteren Grund liefern, mich maßregeln zu können. Obwohl ich gestehen muss, dass er gestern unglaublich gut dabei aussah. Der tiefe Bariton seiner Stimme hallt immer noch in meinem Unterleib nach.
Im Studio angekommen, finde ich die gesamte Belegschaft an der Bar vor. Normal ist das nicht. Hab ich was verpasst? Herr Neubauer reckt den Kopf nach mir und bedeutet mir, mich dazuzugesellen. Mist! Jetzt fällt mir ein, dass er mich gestern bei der Verabschiedung gebeten hatte, eine halbe Stunde eher da zu sein. Stattdessen bin ich dreißig Minuten zu spät. Missmutig nähere ich mich der Bar. Sina, Kerstin und Laura lächeln mich freundlich an. Von Tanja ernte ich einen genervten Blick und spüre, wie meine Unsicherheit in Wut umschlägt. Ich bin gerade dabei, gedanklich eine Ladung Giftpfeile auf dieses Miststück zu richten, da entdecke ich Ben. Mein Herzschlag setzt für den Bruchteil einer Sekunde aus und ich spüre, wie mir das Blut in den Kopf schießt. Gut, dass es außer Sara und Steven niemanden gibt, der mir das ansieht. Wie ferngesteuert gehe ich auf ihn zu. Meine Beine führen ein Eigenleben und bringen meinen Körper dazu, neben Ben auf einem der Hocker Platz zunehmen. Angesichts der gestrigen Peinlichkeit wünsche ich mir eine Sonnenbrille oder wenigstens eine Baseball-Cap, damit er nicht mitbekommt, wie ich ihn anstarre. In seiner Trainingskluft sieht er unverschämt gut aus. Ich trage heute schwarze Spitzenunterwäsche, möchte ich ihn am liebsten wissen lassen und lächle ihn verlegen an.
„Sie sind zu spät“, brummt er und sieht mir direkt in die Augen. So, als erwarte er eine Erklärung. Mein Lächeln findet keine Erwiderung. Natürlich nicht. Stattdessen schaut er mich unverwandt an. Abwartend und erwartungsvoll. Will er tatsächlich den Grund für meine Verspätung wissen? Irritiert setze ich an, um mich zu rechtfertigen, da wendet er sich desinteressiert von mir ab. Einfach so, ohne eine Wort zu sagen. Okay, ich hab mich gestern selten dämlich benommen, aber das ist kein Grund, mich wie Luft zu behandeln.
Ben scheint dies anders zu sehnen. Obwohl wir zusammen für die Bar eingeteilt sind und diese gemeinsam für das Tagesgeschäft vorbereiten, würdigt er mich keines Blickes. Vielleicht ist er schlecht gelaunt, versuche ich seine Wortkargheit und Ignoranz nicht auf meine Person zu beziehen.
Die Vibration meines Handys in meiner Trainingshose reißt mich aus meinen Überlegungen. Nachzusehen, wer etwas von mir will, traue ich mich aufgrund meiner Verspätung nicht. Stattdessen beobachte ich, wie Ben voller Konzentration das Geld in der Kasse zählt. Nach den Münzen folgen die Scheine. Diese blättert er gekonnt mit der Daumenspitze um. Sein Mund ist einen spaltbreit geöffnet. Gerade soweit, dass er mit der feuchten Innenseite seiner Unterlippe die Spitze seines Daumens benetzen kann. Fasziniert starre ich ihn an und hoffe, nein bete, er möge sich verzählen, damit ich dieses köstliche Schauspiel noch ein Weilchen beobachten darf. Mein Wunsch bleibt unerfüllt, was mich enttäuscht aufseufzen lässt und Ben dazu bringt, den Kopf in meine Richtung zu drehen. Wie vorhin schaut er mir direkt in die Augen. Sein Blick ist tief und von einer Intensität, der ich mich nicht entziehen kann, obwohl ich mich ertappt fühle und mich innerlich winde. Taxierend wandern seine Augen über mich hinweg. Langsam und bedächtig, fast schon gründlich, scheinen sie keinen Zentimeter auszulassen. Vorhin noch begegnete er mir mit Arroganz und Unfreundlichkeit, nur um mich jetzt mit seinem Blick zu durchleuchten? Ich bin kurz davor, mir einzubilden, ihm könnte gefallen, was er sieht, da wendet er sich abrupt ab. Wortlos fährt er sich durchs Haar, dass er lässig nach hinten trägt und lässt mich irritiert zurück. Wie soll ich so ein Verhalten nicht persönlich nehmen?
Je länger die Schicht andauert, desto sicherer bin ich mir, dass er einen Groll gegen mich hegt. Obwohl sich an der Bar die Mitglieder nur so tummeln, lässt Ben sich nicht blicken. Mit den Bestellungen komme ich kaum nach, weil ich die Rezeptur jedes einzelnen Shakes nachschlagen muss. Die Zubereitung der Salate, die gelegentliche Telefonannahme sowie die Bearbeitung der Check-In‘s geben mir den Rest. Überfordert habe ich große Mühe, mich bei der Wechselgeldrückgabe nicht zu verzählen. Wenn mir nicht auf der Stelle ein zweiter Kopf und vier zusätzliche Arme wachsen, bin ich verloren. Aber das bin ich ohnehin, weil Ben soeben auf die Bar zusteuert. Die Frau, die sich bei diesem Anblick noch auf die Arbeit konzentrieren kann, möchte ich sehen. Ich gehöre jedenfalls nicht dazu.
Sein Gang ist kraftvoll und geschmeidig zugleich. Er ist nassgeschwitzt und sein Haar ist feucht von seinem Schweiß. Einzelne Strähnen fallen ihm ins Gesicht, wodurch er verwegen aussieht. Unter seinem ärmellosen Shirt, das wie eine zweite Haut an seinem Körper klebt, zeichnet sich die leichte Wölbung seiner Brust- und Bauchmuskulatur ab. Den rechten Arm führt er zu seinem Gesicht, um sich mit einem Handtuch den Schweiß abzuwischen. Ich bin mir sicher, dass mein Mund offen steht, als ich Zeugin dieses faszinierenden Muskelspiels werde. Nochmal!, lechze ich innerlich und wünsche mir eine Fernbedienung mit Reset-Taste.
„Ich glaube, Sie haben sich verzählt.“
Es dauert eine Weile, bis ich begreife, wer hier was von mir will. Es ist ein Mitglied, dem ich versehentlich zu wenig Geld herausgegeben habe. Ich entschuldige mich und korrigiere meinen Fehler.
„Und den Shake hätte ich auch gerne“, empört sie sich. Erneut um Verzeihung bittend reiche ich der zierlichen Brünette ihr Getränk.
„Der Service war hier aber auch schon mal besser, “ beklagt sie sich.
Gut möglich. Aber wie soll ich unter solchen Bedingungen arbeiten? Inzwischen ist der Grund für meine Konzentrationsschwäche an der Bar angekommen und nimmt direkt vor mir Platz. Mein Puls reagiert prompt. So gut es geht, versuche ich auszublenden, dass er nur eine Armlänge von mir entfernt ist. Reiß dich zusammen, sage ich mir. Er ist ein Mensch aus Fleisch und Blut und sieht beim Kacken genauso doof aus wie jeder andere.
„Na?“, ertönt unerwartet die Stimme von Herrn Neubauer neben mir. Ich zucke zusammen und lasse um ein Haar das Glas in meiner Hand fallen.
Wo kommt der denn plötzlich her?
„Was hältst du eigentlich von unserer nubischen Schönheit?“, richtet er seine Frage an Ben.
Es dauert einen Augenblick bis ich begreife, dass dieser Titel mir gilt.
„Yaya und Laura haben hier vorgestern ein absolutes Dream-Team abgegeben“, schwärmt er voller Begeisterung. Unbeeindruckt zuckt Ben mit den Schultern und sieht mich dabei wieder auf diese unergründliche Art an. „Was ist mit Tanja?“, fragt er, den Blick von mir abwendend.
„Ach …“, winkt Herr Neubauer ab, „die ist in der Kinderbetreuung besser aufgehoben. Sieh‘ sie dir doch nur mal an“, weist er mit einer Handbewegung auf mich hin.
Mir schießt das Blut in den Kopf, weil ich mir vorkomme wie ein Verkaufsobjekt.
Herrn Neubauers Aufforderung nachkommend, fixiert Ben mich auf eine Weise, die ich nicht einzuordnen weiß, weil sie weder anzüglich, noch forschend oder neugierig ist. Seit unserer, zugegebenermaßen, ungewöhnlichen ersten Begegnung, hat er sich mir weder vorgestellt noch ein freundliches Wort mit mir gewechselt. Interesse sieht definitiv anders aus. Vor diesem Hintergrund verstehe ich noch viel weniger, was in ihm vorgeht, wenn er mich so ansieht.
„Laura-Engel, wir haben gerade von dir gesprochen“, reißt mich die Stimme von Herrn Neubauer, dessen Anwesenheit ich beinahe vergessen hatte, aus meinen Versuch, Ben zu ergründen. Der Bart meines Chefs verzieht sich auf diese merkwürdige Art, die mich vermuten lässt, dass er lächelt. Kein Wunder bei dem Anblick, der sich allen Anwesenden bietet. In der knappen Jeansshorts und ihrem Bandeau-Top sieht Laura einfach super heiß aus. Ihr Gang zur Bar gleicht dem auf einem Catwalk. Längst haben ihre endlos langen Beine alle Blicke auf sich gezogen. Auch die von Ben. Und siehe da, seine ernste, bedrohlich wirkende Miene, weicht der Andeutung eines Lächelns. Ich verspüre einen leichten Stich, als Laura und Ben sich mit Küsschen links und rechts begrüßen. Beiläufig – zumindest hat es den Anschein - berührt sie dabei seinen rechten Oberschenkel. Die Art, wie sie ihre Reize mit Worten, Gesten und Blicken untermauert, kann unmöglich Zufall sein. Sie weiß genau, was sie da tut. Jedem fünften Wort folgt eine flüchtige Berührung, meist seiner muskulösen Oberarme. Ihre blauen Augen sehen ihn eindringlich, fast schon provozierend an.
Ich will auch! Ein ekelhaftes Gefühl aus Neid, Missgunst und total unbegründeter Eifersucht kriecht in mir hoch, weil sie ihn einfach so anfassen kann, von ihm beachtet und angelächelt wird.
Inzwischen ist es zwanzig Uhr. Ich kann den Feierabend kaum erwarten und räume in Rekordzeit die Bar auf - allein. Statt mir zu helfen, zieht Ben es vor, an Muskelmasse zuzulegen – als ob er nicht genug davon hätte. Als ich mit allem fertig bin, folge ich dem Geräusch aufeinander krachender Gewichte und finde Ben im hinteren Teil des Fitnessbereiches vor.
Wie ein Spanner, beobachte ich, wie er vor der Spiegelwand seinen beachtlichen Bizeps mit einer Kurzhantel trainiert. Die animalischen, fast schon primitiven Laute, die er dabei von sich gibt, lassen mich sofort an Sex denken. Der Schweiß rinnt ihm den Nacken herunter und sein Shirt ist so durchnässt, dass sein Körper hindurchschimmert, wenn man genauer hinsieht. Und das tue ich. Er ist kein Bodybuilder, sondern eher der Typ Zehnkämpfer – genau nach meinem Geschmack. Im Spiegel begegne ich seinem konzentrierten Blick, der mich durchfährt wie Blitz. Mein Unterleib reagiert mit einem Ziehen, wie ich es lange nicht mehr erlebt habe. Ich fühle mich wie ein Teenager, der gerade seine Libido entdeckt und staune darüber, dass ein einziger Blick von ihm das mit mir anstellen kann.
Ertappt schaue ich zu Boden. Mein Vorhaben, mich bei ihm zu verabschieden, verwerfe ich. Stattdessen hebe ich meine Hand und mache eine unspezifische Hangbewegung, die als alles Mögliche durchgehen könnte. Nicht mal vernünftig winken kann ich seiner Gegenwart. Ich sollte gehen, bevor das hier noch skurriler wird. Ohne seine Reaktion abzuwarten, verschwinde ich in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Bevor ich das Studio verlasse, werfe ich einen kurzen Blick auf den Dienstplan, um sicherzugehen, dass ich morgen auch zur richtigen Zeit, also pünktlich, zur Arbeit erscheine.
Draußen vor dem Studio macht sich Erleichterung breit. Erleichterung darüber, Ben und meinen Hormonen, die in seiner Gegenwart offenbar verrücktspielen, nicht mehr ausgeliefert zu sein. Leider ist dieses Gefühl nur von kurzer Dauer. Beim Versuch mein Auto zu starten, ertönt ein unheilvolles Wimmern, das Sekunden später erstickt. Das hat mir gerade noch gefehlt. Mein Plan, Steven zu bitten, mich abzuholen, wird durch meine Akkuleistung, die lediglich für ein „Hi Steven kannst du…“ ausreicht, torpediert. Kurzerhand fasse ich den Entschluss, mit Bus und Bahn zu fahren, steige aus dem Wagen und schließe ihn ab. Als ob irgendwer diese Schrottkarre, die ohnehin nicht anspringt, stehlen würde. An der Haltestelle angekommen, wundert es mich nicht im Geringsten, dass der Bus gerade weg ist und der nächste erst in dreißig Minuten kommt. Angesichts dieser Pechsträhne kann ich mir ein geistesgestört klingendes Auflachen nicht verkneifen.
Mal bist du der Baum, mal bist du der Hund, denke ich und schnaube. Kurz überlege ich, mir ein Taxi zu rufen, da wird mir klar dass ich hier stehe, weil ich kein Akku habe. Theatralisch schlage ich mir mit der Handfläche an die Stirn und mache mich zu Fuß auf den Weg zur U-Bahn. Fünfzehn Minuten und drei Bushaltestellen später fühle ich mich verfolgt. Im Augenwinkel sehe ich ein schwarzes, großes Auto in Schrittgeschwindigkeit neben mir herfahren. Mir bleibt heute aber auch nichts erspart. Ich ziehe das Tempo an und bin kurz davor loszusprinten, aber eine tiefe Männerstimme drängt an mein Trommelfell und hält mich davon ab. Mein Gang verlangsamt sich, ganz im Gegensatz zu meinem Herzschlag. Ich drehe den Kopf zur Seite und traue meinen Augen nicht. Ben lugt aus dem Fenster seines Wagens und bittet mich, zu ihm ins Auto zu steigen.
Oh. Mein. Gott. Ben bittet mich tatsächlich bei ihm mitzufahren.
„Yaya, steig ein!“
Nein. Er bittet nicht. Er befiehlt es. Und beim Du sind wir auch schon. Hat er nicht vor dreißig Minuten trainiert? Wie konnte er wissen, wo er mich findet? Hat er sein Training abgebrochen? Meinetwegen? Um nach mir zu suchen? Ja klar! Gleich rollt er den roten Teppich aus, überschüttet dich mit Rosenblättern und küsst dich, als gäbe es kein Morgen. Gut, dann ist es eben Zufall. Aber das ändert nichts daran, dass er hier ist und will, dass ich in sein Auto steige. Ohne zu zögern, gehe ich auf seinen Wagen zu. Die drei Schritte kommen mir abgekackt und eckig vor, weil ich mich bremsen muss, um nicht mit Anlauf vor lauter Euphorie mit dem Kopf voran durch das heruntergekurbelte Fenster zu hechten.
„Wo musst du hin?“, will er wissen und sieht mich auf diese irritierende Art an.
Bevor ich antworten kann, steigt er aus, nimmt mir die Trainingstasche ab und verstaut sie in seinem Kofferraum. Ohne mich vom Fleck zu bewegen, sehe ich ihm hinterher.
„Willst du fahren?“, fragt er über die Motorhaube hinweg.
„Äh .... Nein.“ Wieder im Stande mich zu bewegen, gehe ich um das Auto herum zur Beifahrertür.
Gentlemanlike hält er sie mir auf. „Steig ein und schnall dich an“, befiehlt er in einem Tonfall, der keinen Einwand duldet. Als ob ich einen hätte.
Bens Auto ist geräumig und riecht nach Leder. Die Hochglanzverkleidung und Ausstattung des Armaturenbrettes sehen edel und teuer aus. Von Belang ist es nicht. Zumindest nicht für mich. Ich wäre auch in eine Blechbüchse geklettert, hätte er mich darum gebeten. Nervös hantiere ich mit dem Gurtband herum. Die Schnalle will einfach nicht einrasten. Ich stelle mich an, als hätte ich zwei linke Hände und Ben sieht mir dabei zu. Wie peinlich.
„Lass‘ mich mal!“ Ohne Vorwarnung greift er mit seinem linken Arm über mich hinweg. Sein atemberaubendes Gesicht ist so dicht vor meinem, dass ich seinen Atem an meiner Wange spüre. Er sieht mir in die Augen. Kurz. Aber lang genug, um bei mir Herzrhythmusstörungen auszulösen. Ich schlucke, weil er so unglaublich gut duftet. Ja, er riecht nicht, sondern duftet, und zwar nach Duschgel, leicht herb und … männlich. Gierig sauge ich das Aphrodisiakum ein. Meine Finger grabe ich in den ledernen Sitz. Nur so kann ich verhindern, dass sich meine Arme um seinen Oberkörper schlingen und ihn an mich pressen. Ich schwöre, dass ich ihn willkommen heißen würde, wenn er mich hier und jetzt würde nehmen wollen. Das Klicken der eingerasteten Gurtschnalle ertönt und Ben gibt meinen Oberkörper wieder frei. Unsere Blicke treffen sich erneut. Ich habe das Gefühl, er versucht meine unzüchtigen Gedanken zu lesen. Bloß nichts anmerken lassen, ermahne ich mich. Atmen könnte helfen, lächeln auch. Ich tu’s. Bens Miene ist unverändert ernst. Er sieht mir auf den Mund und ich frage mich, ob das nun gut oder schlecht ist. Kann ich mir etwas darauf einbilden oder gar auf einen Kuss hoffen? Die Vorstellung von seinen Lippen auf meinen lässt mich schlucken. Unwillkürlich fahre ich mit meiner Zunge über meinen Mund, den er noch immer fixiert. Gott, was willst du Ben? Sag oder mach was, aber sieh mich nicht so an.
„Wo musst du hin?", fragt er, ohne seinen Blick von mir zu nehmen.
„Richtung Innenstadt“, krächze ich und spüre, wie mein Herz gegen meinen Brustkorb hämmert.
„Und wo da?“ Nun sieht er mir wieder in die Augen.
„In die Lange Straße.“
Mit einem knappen Nicken wendet er sich ab und fährt los.
Wir sind fast angekommen und haben uns die ganze Fahrt über angeschwiegen. „Hier rechts“, lotse ich ihn zur Hausnummer 147.
Statt anzuhalten und mich am Straßenrand rauszulassen, sucht er sich zwei Blocks weiter einen Parkplatz und macht den Motor aus.
Ich höre wie er ausatmet. Atmen kann ja so sexy sein. „Tust du mir einen Gefallen?“
Ich dir? Oh Gott, jeden. Um einen gleichgültigen Gesichtsausdruck bemüht, sehe ich ihn an, nur, um dann viel zu eifrig zu nicken. Die steile Falte zwischen seinen Augenbrauen beunruhigt mich. Was kann er nur wollen?
„Bring dein Auto in Ordnung.“
„Äh … okay“, erwidere ich fast enttäuscht. Aus irgendeinem Grund, hatte ich auf eine Einladung ins Kino gehofft. Wie dumm von mir.
Ben sieht mir in die Augen. Fest. „Du solltest so spät abends nicht zu Fuß nach Hause gehen.“
Er sorgt sich um mich. Das ist beinahe so gut, wie eine Einladung ins Kino. Ich möchte lächeln, verkneife es mir angesichts seiner düsteren Miene aber und nicke.
„Gut.“
Gut? Ich sehe ihn fragend an und warte – worauf, weiß ich nicht. Ich weiß bloß, dass ich hier sitzen bleiben und in seinen Nougataugen versinken möchte.
„Bis morgen, Yaya.“
Widerwillig komme ich seiner indirekten Aufforderung auszusteigen nach „Bis morgen und danke fürs Fahren.“
„Gerne.“
Diesmal kann ich mir ein Lächeln nicht verkneifen, weil mir dieses, belanglose Wörtchen, Gerne, aus seinem Mund kommend, so viel bedeutet. Bens Blick wird weich, ebenso meine Knie, weil er mein Lächeln erwidert. Seine Grübchen sind entwaffnend. Nur mit Mühe widerstehe ich dem Impuls, mir an die Brust zu fassen und tief zu seufzen.
Wir steigen gemeinsam aus und er holt meine Tasche aus seinem Kofferraum. Ich bin mir sicher, dass ich sie vergessen hätte, so betörend ist seine Anwesenheit. Mit einem knappen Nicken und diesem Blick, den ich heute Nacht in meinem Bett analysieren werde, übergibt er sie mir. Dann steigt er zurück ins Auto und fährt davon.
Auf der Stufe zu meiner Haustür springt mir Steven entgegen.
Ich zucke erschrocken zusammen. „Gott! Willst du mich umbringen?“
„Das gleiche könnte ich dich fragen.“ Er zieht mich in seine Arme und presst mich an seinen Oberkörper. „Ich bin gestorben vor Sorge um dich. Was war los, verdammt?“ Seine Stimme klingt vorwurfsvoll und gehetzt.
„Was soll denn gewesen sein?“, frage ich an seiner Brust.
„Willst du mich verarschen?“ Er lässt von mir ab und sieht mir erbost in die Augen. „Du rufst mich an, plötzlich geht dein Telefon aus und ich erreiche dich nicht mehr. Fünf Minuten später und ich wäre dich suchen gegangen.“
Stevens Sorge um mich ist rührend. „Es ist alles okay. Mein Auto wollte nicht anspringen und mein Akku war leer.“ Mit meiner Hand an seiner Wange versuche ich ihn zu beruhigen. „Ein … Arbeitskollege war so nett mich zu fahren.“
„Das hab ich gesehen“, entgegnet er mürrisch. Sein Blick folgt der Straße, die Ben vorhin entlanggefahren ist. „Ist der scharf auf dich?“
Wie gerne würde ich diese Frage mit ja beantworten. „Nur, weil er mich nach Hause gefahren hat?“, frage ich und krame meinen Schlüssel aus der Tasche.
„Statt auszusteigen, hast du stundenlang in seinem Porsche Cayenne gesessen. Deshalb frage ich.“
Wow, ich saß in einem Porsche Cayenne.
„Und?“
„Was und?“ Ich schließe die Tür auf.
„Was habt ihr da getrieben?“
„Wir haben uns nur kurz unterhalten“, lüge ich. Ihm zu sagen, dass ich Ben angeschmachtet habe, als sei ich dreizehn und er einer von den Backstreet Boys, behalte ich für mich. „Und für weitere Fragen …“, fahre ich scherzend fort, „… kontaktieren Sie bitte meinen Anwalt.“
In meiner Wohnung angekommen, ziehe ich mich vor Steven zum Laufen um.
„Das ist nicht dein Ernst?“, höre ich ihn fragen.
„Was denn?“ Ich binde mir die Schuhe zu und richte mich auf.
Er wirft einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr. „Äh … Fürs Joggen ist es ja wohl etwas zu spät.“ Zum Beweis hält er mir sein Handgelenk unter die Nase.
„Um halb zehn bin ich wieder zurück.“
„Vergiss es, Yaya.“ Steven stellt sich mir in den Weg und sieht mich herausfordernd an.
„Das ist lächerlich. Und jetzt lass mich durch.“ Ich schiebe mich an ihm vorbei und gehe ins Badezimmer, um Deo zu nehmen.
Mein Aufpasser ist mir gefolgt und sieht mich mit sorgenvoller Miene an. „Hast du vergessen, dass hier vor zwei Monaten Scheiß-Nazis einen Ausländer gekillt haben? Übrigens war das ganz in der Nähe und du warst live dabei.“
Ein kalter Schauer erfasst mich. „Das hab ich nicht“, antworte ich leise und sehe das blutüberströmte Gesicht von Arash Hessam - so hieß das Opfer - vor mir. Wie ein Siegel hat es sich in mein Gedächtnis gebrannt.
„Dann begreife ich dein leichtsinniges Vorhaben nicht.“ Steven tritt näher und nimmt mein Gesicht in seine Hände. Sein Blick ist beschwörend. „Ich bin vorhin tausend Tode gestorben, als ich dich nicht erreichen konnte. Fast hätte ich den Verstand verloren, weil ich mir ausgemalt habe, was dir alles zugestoßen sein könnte. Diese Hurensöhne laufen immer noch frei herum, Yaya.“ Stevens Augen quellen über vor Sorge um mich und Hass auf diese Nazis. „Solange sie nicht gefasst sind, möchte ich dich am liebsten an mich ketten, weil es mich umbringt, nicht zu wissen, wo du bist …“ Er stockt und die Art wie er mich ansieht, rührt mich zutiefst. „Ich werde nicht zulassen, dass du dich unnötig in Gefahr begibst. Das kannst du verges…“
„Okay“, ergebe ich mich und falle ihm um den Hals. „Ich bleibe hier“, flüstere ich und drücke ihn noch fester an mich, weil mich die Erinnerung an den Übergriff einholt und ich froh bin, nicht allein zu sein.
Stevens Handy klingelt. Anders als gewöhnlich ignoriert er es und hält mich fest umschlungen.
„Versprich mir, so spät abends nicht mehr laufen zu gehen.“
„Versprochen.“
„Und ohne aufgeladenes Handy verlässt du nicht Wohnung.“
Ich kichere, weil er es mit seiner Fürsorge mal wieder übertreibt.
„Das ist mein Ernst“, brummt er in meine Locken.
„Ich weiß. Deshalb ist es ja so lustig.“
„Versprich es! “
Ich tu’s, woraufhin Steven meinen Kopf tätschelt, als sei ich ein Hund, der das Stöckchen geholt hat.
„Braves Mädchen!“ Er küsst mein Haar. „Dann kann ich die Fußketten ja abbestellen“, scherzt er und wir müssen beide lachen.
***
Wenn ich meinen nächtlichen Recherchen bei Google Glauben schenken darf, hat Ben Interesse an mir. Wir hatten gestern eindeutig länger als vier Sekunden Blickkontakt. Jetzt muss ich nur noch herausfinden, welcher Natur sein Interesse ist. Die Regeln der sogenannten Distanzzonen besagen, dass ein Körperabstand von bis zu sechzig Zentimetern – auch Intimzone genannt – auf Vertrautheit schließen lässt. Wenn Ben mir heute erneut länger als vier Sekunden in die Augen sieht und sich in meiner Intimzone aufhält – nette Doppeldeutigkeit – dann … Die Klingel meiner Haustür reißt mich aus meinen analytischen Gedanken. Da ich den Postboten hinter dieser morgendlichen Störung vermute, betätige ohne weitere Nachforschungen den Türöffner. Ein fataler Fehler, und zwar in Form eines großgewachsenen, Anzug tragenden Mannes.
„Guten Morgen, Yaya.“ Widerwillig gewähre ich Peter, dem Freund meiner Mutter Linda, Einlass. Der vorwurfsvolle Ton in seiner Stimme lässt mich erahnen, dass er nicht hier ist, weil er zufällig in der Gegend war.
Besäße meine Wohnung einen Hinterausgang, hätte ich ihn genommen. „Morgen Peter.“
„Deine Mutter versucht dich seit Tagen zu erreichen. Sie macht sich große Sorgen“, kommt er sofort zur Sache und legt sein Jackett ab. Zum Vorschein kommt ein weißes Hemd, das von einem Aigner-Gürtel in der perfekt sitzenden, grauen Anzughose gehalten wird. Seine grünen Augen schweifen durch das kleine, noch leere Zimmer, als suche er etwas - vermutlich Möbel. An der Fensterbank bleibt er stehen, sieht raus und fährt mit den Fingern durch sein kastanienbraunes Haar. Mein Blick fällt auf den Schweißfleck unter seinem Arm. Kein Wunder bei der Kleiderwahl und den hohen Temperaturen.
Ich gestehe nur ungern, dass ich, objektiv betrachtet, nachvollziehen kann, was meine Mutter an Peter findet. Er ist groß, von sportlicher Statur und hat markante, sehr männliche Gesichtszüge. Die Tatsache, dass er als erfolgreicher Staatsanwalt, zumindest im juristischen Sinn, eine Autorität darstellt, wirkt wahrscheinlich auf Frauen allgemein anziehend. Diese Vorzüge hatte er sich in meinem zwölften Lebensjahr zu Nutzen gemacht und sich in unsere Familie gedrängt. Zu diesem Zeitpunkt war meine Mutter besonders empfänglich für Komplimente, Geschenke und starke Männerarme.
„Ich muss gleich zum Gericht und hab nicht viel Zeit.“ Er wendet sich mir zu. „Können wir uns setzen?“
Provokativ nehme ich im Schneidersitz auf dem Boden Platz. Wer dumme Fragen stellt, bekommt dumme Antworten. Einen Moment lang macht es den Anschein, als würde er sich zu mir setzen, was er natürlich nicht macht.
Erneut fährt er sich durchs Haar und verzieht dabei keine Miene. „Deiner Mutter geht es nicht gut.“
Schweigen.
„Deinetwegen“, fügt er hinzu und streicht über seine Krawatte als sei sie kraus.
Ich verdrehe die Augen. Es nervt, dass er mir mit der Du-bist-an-allem-Schuld-Nummer versucht, mir ein schlechtes Gewissen zu machen. „Soll ich mich jetzt dafür entschuldigen, auf eigenen Beinen stehen zu wollen?“
„Natürlich nicht, schließlich ist das eine logische Konsequenz des Erwachsenwerdens. Allerdings gehört zum Erwachsensein auch, dass man miteinander redet und beispielsweise Anrufe der eigenen Mutter nicht tagelang ignoriert.“
Scheiße! Punkt für ihn. Soll ich mich überhaupt auf eine Diskussion mit ihm einlassen? Er ist Anwalt und wird mir ohnehin das Wort im Mund verdrehen. Aber zu schweigen, käme vermutlich einem Schuldeingeständnis gleich. Also entscheide ich mich dagegen. „Wie toll man mit ihr reden kann, hast du doch beim Restaurantbesuch gesehen.“
„Deine Mutter war bis zu diesem Zeitpunkt, wohlgemerkt drei Tage vor dem Einzug, fest davon ausgegangen, dass wir zu dritt das Haus beziehen. Sie war geschockt. Ist es da verwunderlich, dass sie so reagiert hat?“
Ich stehe auf, weil ich mir klein vorkomme, wenn er so auf mich herabsieht. „Wir wissen doch beide, dass es ihr nicht um meinen Auszug geht, sondern darum, dass Papa und nicht sie für mich bürgt. Es hat ihr noch nie gepasst, wenn ich engeren Kontakt zu ihm hatte….“
„Wofür es gute Gründe gibt“, unterbricht er mich.
„Ach ja?“ Ich spüre Wut in mir hochkriechen. „Was denn für Gründe?“, frage ich mit einem Wage-es-ja-nicht-dich-abfällig-über-meinen-Papa-zu-äußern-Blick.
Peter zögert mit seiner Antwort. Diesen Blick kennt er allzu gut. Und seine Reaktionen darauf haben in der Vergangenheit schon oft zu Eskalationen geführt. Ich stehe vor ihm. Mit zu Schlitzen geformten Augen schaue ich zu ihm auf, bereit Erik, bis aufs Blut zu verteidigen.
Peter bemerkt es. „Yaya, ich bin nicht hier, um mit dir über deinen Vater zu sprechen.“
„Begreifst du denn nicht, dass Linda seinetwegen überreagiert? Sie erträgt es nicht, dass ich ihn um Hilfe gebeten habe.“ Insgeheim hoffe ich, sie damit zu verletzen. So wie sie Papa verletzt und wieder in die Alkoholsucht getrieben hat.
„Das ist kein Grund, ihre Anrufe zu ignorieren. Sie ist immer noch deine Mutter.“ Er wird laut, wirkt ungehalten. „Seit ich dir das Geld für die Kaution überwiesen habe, hast du dich nicht gemeldet.“
„Ich hab dich nicht um das Geld gebeten“, gifte ich zurück. Verdammt, ich hätte es niemals annehmen sollen.
„Aber du hast es auch nicht abgelehnt oder?“
Okay, jetzt reicht‘s. „Was hast du denn erwartet? Vergeben und vergessen? Jetzt spielen wir Mutter-Vater-Kind? Oder wolltest du dir damit regelmäßige Anrufe und wöchentliche Besuche in deinem tollen neuen Haus erkaufen? “
„Du wirst unsachlich, Yaya“, entgegnet Peter seelenruhig. Inzwischen hatte er sich beruhigt. Keine Ahnung, wie er das von jetzt auf gleich geschafft hat. Hängt vermutlich mit seinem Beruf zusammen.
Mein Puls liegt bei hundertachtzig. Tendenz steigend. „Ich werde dir das Geld zurückzahlen. Jeden Cent.“
„Das brauchst du nicht. Ich helfe dir gerne.“
„Ich will deine Hilfe aber nicht“, fauche ich.
„Jetzt sei nicht albern.“
„Mit Albernheit hat das nichts zu tun. Ich möchte nur nicht länger in deiner Schuld stehen oder mir vorwerfen lassen, ich sei undankbar.“
Peter blickt auf seine Uhr und atmet geräuschvoll aus. „Hör mal, ich muss jetzt los. Du stehst weder in meiner Schuld, noch halte ich dich für undankbar. Ich erwarte lediglich, dass du noch diese Woche einen Schritt auf deine Mutter zugehst.“
Meinen bitterbösen Blick ignoriert er einfach und steuert die Tür an. Am liebsten möchte ich ihn in die nächste Bank zerren, 960 Euro abheben und sie ihm geben. Leider fehlt mir dazu das Geld. „Den Zeitpunkt würde ich gern selbst bestimmen, wenn das erlaubt ist.“ Das bisschen Entscheidungsfreiheit, lasse ich mir nicht nehmen.
„Ich werde Linda ausrichten, dass sie in den nächsten Tagen von dir hört“, übergeht er mich einfach. Mit einem knappen Nicken verlässt er meine Wohnung, in der ich mich plötzlich schrecklich unwohl fühle. So lange ich Peter das Geld für die Kaution nicht zurückgegeben habe, wird sich das nicht ändern.
Aber wie soll ich so schnell 960 Euro auftreiben? Table Dance fällt flach und Steven, der mir das Geld vermutlich sogar schenken würde, will ich nicht fragen. Bleibt Option drei. Ein Nebenjob in der Residenz. Dieser würde mir neben dem Stundenlohn fünfzig bis sechzig Euro Trinkgeld in der Woche einbringen. Herrn Neubauers Einverständnis vorausgesetzt, wäre das die Möglichkeit, um aus Peters Schuld zu kommen.
Um gleich nicht mit der Tür ins Haus zu fallen, verfasse ich eine E-Mail an Herrn Neubauer
Hallo Herr Neubauer,
ich würde gerne mit Ihnen über meine Schichten, insbesondere denen am Wochenende, sprechen. Hätten Sie dafür heute oder morgen kurz Zeit?
Viele Grüße
Yaya
Gott, wie unangenehm, meinen Chef nach so kurzer Zeit um einen Gefallen zu bitten. Zumal er eins und eins zusammenzählen wird. Wieso schreibe ich mir nicht gleich auf die Stirn, dass ich in finanziellen Nöten stecke?
In der Bahn halte ich mein Handy in der Hand und warte gebannt auf Antwort von Herrn Neubauer. Kurz bevor ich das Studio betrete, kündigt die Vibration meines Smartphones die Ankunft einer Nachricht an. Ich öffne sie und stelle enttäuscht fest, dass sie von Steven kommt.
Ich hol dich später ab, sag mir, wann ich da sein soll.
Steven XXX
An der Bar wird meine ohnehin schon bescheidene Laune durch Tanjas Anwesenheit noch getrübt. Was macht die denn hier? Ist sie nicht für die Kinderbetreuung eingeteilt? Fragend blicke ich zu Laura, die ihre Augen verdreht. Noch bevor ich hinter den Tresen treten kann, stellt Tanja sich mir in den Weg. „Na, auch schon da? Du sollst ins Büro, sofort!“
Ihr dummes Grinsen möchte ich ihr am liebsten mit einer schallenden Ohrfeige aus dem Gesicht schlagen. Diese Phantasie würde ich noch ausleben. Irgendwann. Für heute muss ein vernichtender Blick herhalten.
Ohne mir anmerken zu lassen, dass das schadenfreudige Funkeln in ihren Augen mich verunsichert, trete ich mit erhöhtem Herzschlag den Gang ins Büro an. Was Herr Neubauer wohl will? Geht es um meine Email und das Gespräch, um das ich gebeten habe? Das wird’s sein, beruhige ich mich und klopfe zaghaft an die Tür.
Mit dem „Ja bitte!“, das leicht gedämpft an meine Ohren dringt, kehrt die Unsicherheit zurück. Diese Stimme gehört eindeutig nicht zu Herrn Neubauer. Dazu ist sie viel zu tief, voll und warm. Zögerlich fasse ich die Klinke, drücke sie herunter und finde nicht meinen Chef, sondern Ben vor.
Ben sitzt hinter Herrn Neubauers Schreibtisch. Das verwirrt mich, aber das werde ich mir nicht anmerken lassen. Ich nehme mir auch vor, ganz ruhig und gleichmäßig zu atmen. Nichts davon gelingt mir, weil die Art, wie er von seinen Unterlagen zu mir hoch sieht, lähmend ist. Meine nächtlichen Recherchen fallen mir ein und ich zähle die Sekunden. Eins, zwei, drei, vier… Wir haben noch immer Blickkontakt. Das ist gut. Mein Herz klopft schneller.… Okay und jetzt die Distanzzone. Gleich, denke ich. Erst sollte ich etwas sagen und das Atmen nicht vergessen. Lächeln wäre auch gut, aber nicht zu viel. „Sie…äh…du w-wolltest mich sprechen?“, stammle ich. Na das ist ja gründlich in die Hose gegangen. Ich möchte angesichts meines offensichtlich abhandengekommenen Sprachvermögens, im Erdboden versinken.
„Kannst du einmal pünktlich sein?“, fragt mich Ben unerwartet.
Jetzt bin ich nicht nur peinlich berührt, sondern auch irritiert und reiße überrascht die Augen auf. „Das bin ich doch“.
„Es ist zwölf Uhr und laut Plan hättest du heute um elf hier sein müssen.“
Himmel, kann der böse gucken. Ich ignoriere die Schärfe in seiner Stimme und wage, ihm zu widersprechen. Schließlich habe ich gestern, bevor ich ging, einen Blick auf den Schichtplan geworfen.
Ben mustert mich. Seine Miene ist derart finster, dass ich ein Donnerwetter erwarte. Stattdessen stößt er sich mit Schwung von der Tischkante ab und rollt auf dem Chefsessel zur Pinnwand, rechts neben dem Pult. Er heftet den Dienstplan ab und breitet diesen auf der Schreibtischfläche vor sich aus.
„Sieh selbst“, fordert er mich auf, hinter seine Seite des Tisches zu kommen.
Sein Körper, so dicht neben meinem, strahlt eine ungeheure Hitze aus. Ich beuge mich über den Plan und berühre mit meiner Hand seinen Unterarm. Unglaublich, was dieser winzige Hautkontakt in mir auslöst. Es ist, wie in diesen unsäglichen Schmonzetten beschrieben. Nein schlimmer, weil ich es nicht nur lese, sondern am eigenen Leib erfahre. Spüre, wie meine Haut zu prickeln beginnt und das Kitzeln seiner Härchen auf meinem Handrücken meinen Körper mit einer Gänsehaut überzieht. Fast enttäuscht registriere ich, wie Ben seinen Arm wegzieht. Wenigstens hilft mir sein Rückzug, mich auf den Plan zu konzentrieren. Zu meinem Erstaunen muss ich erkennen, dass er recht hat. Aber wie kann das sein? Ich bin mir so sicher, gestern eine andere Uhrzeit gelesen zu haben. Andrerseits habe ich mich von Ben ganz schön aus dem Konzept bringen lassen. So sehr, dass ich nicht in der Lage war, eine einfache Tabelle zu lesen? Ich zweifle langsam wirklich an meinem Verstand. „Tut mir leid“, gestehe ich meinen Fehler leise ein.
Ben sieht mich von der Seite an. „Du kannst nicht ständig zu spät kommen.“ Sein Kiefer arbeitet und ich höre förmlich seine Zähne knirschen.
Ich nicke eingeschüchtert und möchte hier raus, um mich von seinem vorwurfsvollen Blick zu befreien. „Kommt nicht wieder vor“; verspreche ich.
Unverwandt sieht er mich an. So wie gestern in seinem Auto. Allerdings weiß ich seit gerade, dass ich mir nichts darauf einbilden darf. „Kann ich dann gehen?“ Es ärgert mich, dass meine Stimme so wenig selbstbewusst klingt.
„Herr Neubauer hat mir eine E-Mail von dir weitergeleitet“, übergeht er meine Frage und bedeutet mir zugleich, dass ich Platz nehmen soll.
Langsam frage ich mich, in welcher Funktion Ben hier tätig ist. Wie kommt Herr Neubauer dazu, meine Email an ihn weiterzuleiten? Ich fühle mich nach seiner Maßregelung so unwohl, dass ich dieses Thema lieber mit Herrn Neubauer besprechen möchte. „Das hat sich erledigt“, flunkere ich.
„Worum ging es denn?“ Bens Blick wandert von mir zu dem Stuhl, auf dem er mich gebeten hat, Platz zu nehmen. „Ist es wegen der Schichten? Hast du Änderungswünsche?“, hakt er nach. Seine Stimme klingt rau und samten zugleich, so, als wollte er mich locken. Beinahe verständnisvoll sieht er mich an, aber die Intensität in seinem Blick ist nach wie vor vorhanden. Sie bringt mich dazu, mich zu setzen und ihm zu erzählen, was mir auf dem Herzen liegt. Obwohl er nun weiß, dass ich Geldprobleme habe, ist es mir kein bisschen unangenehm.
„Wann kümmerst du dich um dein Auto?“, will er wissen.
Welche Rolle das spielt, entzieht sich meiner Kenntnis. „Mein Auto?“ Ich sehe ihn verwirrt an.
„Du willst an den Wochenenden bis in die Nacht kellnern, richtig?“
Ich nicke und frage mich, was es mit dem vorwurfsvollen Unterton in seiner Stimme auf sich hat.
„Wie willst du ohne Auto nach Hause kommen?“
Wieso reitet er so darauf herum? Macht er sich Sorgen, ich könnte zu Fuß gehen? So wie gestern? Ein Gefühl des Glücks kriecht in mir hoch und schickt ein Kribbeln durch meinen Körper. Hoffentlich sieht er mir das nicht an. „Ich lasse mich abholen?“, entscheide ich spontan. Um mein Auto reparieren zu lassen, fehlt mir das Geld, aber auf Steven ist Verlass.
Bens Blick wechselt von neugierig interessiert zu eindringlich lauernd. „Von deinem Freund?“
Oh mein Gott! Er will meinen Beziehungsstatus in Erfahrung bringen. Mein Puls beschleunigt sich, weil mir klar wird, was das bedeutet. Ich bin Single, auf der Suche und du bist genau mein Ding, möchte ich sagen. Aber wie soll ich das anstellen, ohne verzweifelt und ausgehungert zu wirken? Ich erwidere seinen Blick mit der gleichen Intensität. Gott, er ist so schön. Meine Mundwinkel verziehen sich zu einem Lächeln. Er erwidert es nicht, aber er sieht auch nicht weg. Wieso ist er bloß immer so ernst? Dieser Mann ist so verwirrend. Mir fällt ein, dass ich ihn noch unauffällig wissen lassen muss, dass ich zu haben bin, da kommt er mir zuvor.
„Hast du einen Freund, Yaya?“
„Nein!“, antworte ich, wie aus der Pistole geschossen. Sicher bin ich mir nicht, aber ich glaube, einen Anflug von Erleichterung in seinen Augen aufblitzen zu sehen.
„Ich will, dass du mich dieses Jahr zur Fitness Universe begleitest.“
Was, ich? Mein Herz macht einen Satz. Ich habe zwar keine Ahnung, was das ist, aber allein die Vorstellung, Ben irgendwohin zu begleiten, jagt mir einen süßen Schauer über den Rücken.„Ähm…“ Atme, Yaya.
„Die Messe findet dieses Wochenende in Köln statt. Wir …“ Das Telefon klingelt, aber Ben ignoriert es. „… würden dort übernachten.“, fährt er fort und sieht mich fragend an.
„Ja, ich will“, höre ich mich sagen und schlage innerlich die Hände über dem Kopf zusammen. Ein einfaches „ja, okay“ oder „ich bin dabei“ hätte es auch getan.
„Das freut mich.“
Uhh und mich erst.
„Gut. Die Einzelheiten besprechen wir dann am Donnerstag.“ Er lächelt schwach, gerade so, dass seine sexy Grübchen zum Vorschein kommen.
In vier Tagen werde ich mit Ben in Köln auf dieser Fitness Dingsbums sein. Über Nacht. Nur er und ich. Lieber Gott mach, dass wir im selben Zimmer schlafen. Bei dem Gedanken wird mir so heiß, dass ich mir Luft zu fächern muss. Auf dem Weg zurück zur Bar, poppen unzählige Fragezeichen auf. Abgesehen davon, dass ich keine Ahnung habe, was ich anziehen soll, frage ich mich, wieso ausgerechnet ich ihn begleiten soll. Wir kennen uns kaum – gar nicht trifft es fast noch besser. Immerhin weiß er, wie ich in SpongeBob Schwammkopf Unterwäsche aussehe – von vorne und von hintern. Nicht mal Steven oder Sara kennen diese Seite(n) von mir.
„Ist alles in Ordnung? Du warst so lange weg?“, fragt mich Laura mit besorgter Miene.
„In Ordnung“ wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Ohne die Trainingshose, würde mir vermutlich die Sonne aus dem Arsch scheinen. Tanja gesellt sich interessiert zu uns und hat immer noch dieses dämlich Grinsen im Gesicht. Diesen Triumph gönne ich ihr nicht und lasse daher absichtlich den Part, in dem es um meine Verspätung ging, aus. „Alles gut.“ Ich setze eine gleichgültige Miene auf. „Ben hat mich bloß gebeten, ihn auf diese Fitnessmesse zu begleiten“, fahre ich fort, als sei ich furchtbar gelangweilt. Dass mein Herz vor Aufregung aus meiner Brust hüpfen möchte, lasse ich mir nicht anmerken und linse unauffällig zu Tanja. Zuzusehen, wie ihre Schadenfreude einem fratzenähnlichen Entsetzen weicht, ist geradezu ein Genuss. Ich komme nicht dazu, diesen Moment in vollen Zügen auszukosten, weil Laura mich ansieht, als hätte ihr jemand unerwartet in den Bauch geboxt. Mit feuchten Augen schiebt sie sich kommentarlos an mir vorbei und verschwindet. Mich beschleicht das Gefühl, etwas mit ihrer Reaktion zu tun zu haben. Ich will ihr folgen, aber Tanjas Worte halten mich auf. „Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass sie jetzt Bock hat, sich ausgerechnet von dir trösten zu lassen?“
„Herr Gott Tanja“, ich verdrehte die Augen, „kannst du nicht einmal deine Klappe halten? Was weißt du schon?“, gifte ich sie an.
„Im Gegensatz zu dir weiß ich, dass Laura und Ben ein Paar waren und sie ihn die letzten Male zur Fitness Universe begleitet hat.“
Oh! Jetzt wird mir einiges klar.
Laura spricht den Rest der Schicht kein Wort mit mir. Weil ich es selbst nicht mag, angequatscht zu werden, wenn mir nicht nach reden ist, lasse ich sie in Ruhe. Zumal – und da muss ich Tanja ausnahmsweise recht geben - ich wahrscheinlich die Letzte bin, mit der sie jetzt sprechen möchte. Wie eine Elefantenherde im Porzellanladen habe ich verkündet, dass ich mit ihrem Ex ein Wochenende in Köln verbringen werde. Gott, wie grausam. Aber ich hatte ja keine Ahnung. Hätte ich Ben abgesagt, wenn ich es gewusst hätte? Vermutlich nicht. Was erneut die Frage aufwirft, weshalb er mich und nicht sie gefragt hat? Ich hatte gestern nicht den Eindruck, als gingen sich die beiden aus dem Weg. Ganz im Gegenteil. Ich ignoriere den eifersüchtigen Stich und kippe Sojamilch in den Shaker.
„Sieht gut aus, was du da machst. So einen hätte ich auch gern.“
Bevor ich aufblicke, weiß ich, zu wem diese vertraute Stimme gehört. Steven steht mit verschränkten Armen an der Bar. Um Haaresbreite sprengt sein Bizeps den Saum seiner Ärmel. In seinem sonnengelben T-Shirt, das den dunklen Glanz seiner Haut hervorhebt, grinst er mich an. Zwei ebenmäßige Zahnreihen, die durch den Kontrast seiner Hautfarbe noch weißer erscheinen, blitzen hervor. Sein Lächeln ist ansteckender als Masern. Angesichts der frostigen Stimmung hinter dem Tresen bin ich so froh, ihn zu sehen, dass ich den Shaker abstelle, um meinem besten Freund in die Arme zu fallen.
Lachend drückt er mich an seine Brust. „Du weißt schon, dass du mir gerade die Tour bei den Ladies hier vermiest?“
„Und ich dachte, du bist meinetwegen hier“, entgegne ich an ihn geschmiegt. Ich bin Stevens Anblick so gewohnt, dass ich vergesse, was für eine Sahneschnitte er eigentlich ist. Er ist gebaut wie ein Athlet, hat wunderschöne Gesichtszüge und wenn er lacht, geht die Sonne auf. Zum Leidwesen der Frauenwelt hält er nicht viel von Beziehungen. Dass er so viel Zeit mit mir verbringt, habe ich allein unserer Freundschaft zu verdanken.
„Du weißt doch Yaya, du bist die Einzige“, scherzt er und lockert seine Umklammerung, um mir ins Gesicht zu grinsen.
„Schleimer.“
„Schussel!“
„Wer ich?“ Meine Augenbrauen schnellen in die Höhe, da mir der vorwurfsvolle Unterton nicht entgangen ist.
„Ich hab dich gebeten, mir zu sagen, wann ich dich abholen soll. Das war vor acht Stunden.“
„Oh ... Das hab ich …“
„… vergessen. Ich weiß. Deshalb bin ich ja hier.“
„Ich kann aber erst in einer Stunde weg.“
„Was starrt der Typ dir so auf den Arsch?“, wechselt Steven abrupt das Thema. Ich spüre, wie sich sein Oberkörper verkrampft. „Wer ist der Vogel?“, zischt er an meinem Ohr und verstärkt zugleich seinen Griff um meine Taille.
„Von wem sprichst du?“ Ich winde mich aus seiner Umarmung. Seinem Blick folgend, drehe ich mich zur Bar und begegne haselnussbraunen Augen, die sich an Steven heften. Die Eiseskälte, mit der Ben ihn taxiert, ist angsteinflößend. Stevens vernichtender Blick steht dem in nichts nach. Schnell gehe ich hinter die Bar zurück und frage mich, was es mit diesem Blickduell, das eindeutig unentschieden ausging, auf sich hatte.
„Was will der Typ von dir?“, fragt Steven mich und fährt vom Parkplatz des Studios.
Ich seufze absichtlich so laut, dass er sich zu mir umdreht und sieht, wie ich die Augen verdrehe. Seine Art, jeden Mann, der sich im Umkreis von fünfzig Metern in meiner Nähe aufhält, mit seinen Blicken zu töten, nervt und das soll er wissen.
„Alles okay?“ Vor einer Ampel kommt er zum Stehen und sieht mich von der Seite an.
„Du musst damit aufhören“, sage ich mit fester Stimme und erwidere seinen Blick. Es ist mir ernst, was er mir hoffentlich anmerkt.
„Womit aufhören?“, stellt er sich dumm. Die Ampel springt auf grün und er fährt, den Blick auf die leere Straße gerichtet, weiter.
„Dich aufzuführen wie mein krankhaft eifersüchtiger Psychofreund.“
Steven lacht theatralisch auf und lässt kurz den überschaubaren Verkehr aus den Augen, um mich anzusehen. „Du nennst mich einen krankhaft eifersüchtigen Psychofreund?“
„Du hast dich an die Bar gesetzt und Ben angesehen, als würdest du den richtigen Moment abpassen, um ihn umzubringen.“
„Er hat damit angefangen“, rechtfertigt Steven sich, wie ein Zweitklässler. „Außerdem passt es mir nicht, wie er dich ansieht. Mit dem Typen stimmt was nicht.“
Ich juble still in mich hinein, weil ich mir Bens Blicke offensichtlich nicht einbilde. Juhu!
„Du willst doch hoffentlich nichts von dem, oder?“
Doch, und zwar alles, was ich bekommen kann, denke ich, schüttle aber den Kopf. „Quatsch!“, beschließe ich ihn anzulügen und fühle mich miserabel. Ich bin froh, dass er sich auf das Linksabbiegen konzentrieren muss und nicht sieht, wie lang meine Nase wird. Pinocchio kann einpacken, jetzt komm ich!
In der Hoffnung, dass er es mir abkauft, krame unbeteiligt in meiner Sporttasche herum. „Ich hab mir was überlegt“, versuche ich abzulenken, als er sich in meine Richtung dreht. Dabei vergrabe ich beinahe meinen Kopf in der Tasche, um zu finden, was ich angeblich suche. Außer meinem Gewissen, das tadelnd mit dem Zeigefinger wackelt, finde ich nichts. Ich nehme mir vor, Steven von Köln zu erzählen, wenn ich wieder zurück bin. Aber das macht es nicht besser, weil ich jetzt schon weiß, dass er mir übelnehmen wird, es ihm nicht gesagt zu haben.
„Was hast du dir denn überlegt?“, fragt er den Köder schluckend.
„Wir gehen morgen vor meiner Schicht zu Ikea, um Möbel und Deko-Kram zu kaufen. Ich will endlich meine Wohnung einrichten.“
Steven biegt in die Lange Straße ein und hält in der zweiten Reihe vor dem Haus, in dem ich wohne. „Das können wir gerne machen“, sagt er und stellt den Motor aus. Von der Seite sieht er mich an und fragt mich, wann ich arbeiten muss.
„Wir … werden uns eventuell ein bisschen beeilen müssen“, weiche ich einer direkten Antwort aus.
An der Art, wie Steven ausatmet, ahne ich, auch ohne ihn anzusehen, dass er in böser Vorahnung die Augen verdreht. Samt Oberkörper wendet er sich mir zu und fragt, eine Braue skeptisch nach oben gezogen: „Was genau heißt ein bisschen beeilen, Yaya?“
„Ikea macht um zehn Uhr auf und meine Schicht beginnt um Eins. Es bleiben uns also zwei ganze Stunden“, antworte ich voller Zuversicht und schiebe mein schönstes Lächeln hinterher.
„Uns? Ich trage also mit dir allein die ganzen Möbel hoch? In den dritten Stock? Das glaube ich kaum.“
„Oh.“ Das habe ich nicht bedacht. Ich spüre, meine Mundwinkel nach unten sacken und stoße einen leidgeprüften Seufzer aus.
„Wenn meine Yaya etwas plant.“ Steven verzieht belustigt den Mund und kneift mir spielerisch in die Wange.
„Hör auf, dich über mich lustig zu machen“, grummle ich und steige aus seinem Wagen.
Steven folgt mir und holt mich ein. Vor der Haustür bleiben wir stehen.
„Ich lass mir was einfallen, okay? Wir kriegen das schon hin, wenn du mir die Planung überlässt.“
Aus gesenkten Lidern sehe ich ihn schmollend an. „Wie meinst du das, du lässt dir das einfallen?“
„Überraschung!“, entgegnet er geheimnisvoll und zieht mich in seine Arme.“
„Was denn für eine Überraschung?“ Ich spüre die Neugierde in mir hochkriechen, ahne aber, dass aus Steven nichts rauszuholen ist.
Sein schadenfreudiges Lachen bestätigt meine Vermutung.
„Sag schon“, murmele ich gegen seine Brust.
Das Klingeln seines Telefons kommt meinen Nachforschungen in die Quere. Er lässt von mir ab, um auf sein Display zu schauen.
„Wenn es geklappt hat, bin ich morgen früh um neun bei dir“. Hastig drückt er mir einen Kuss auf die Stirn und nimmt im Gehen den Anruf entgegen.
Ich blicke ihm hinterher und frage mich, was er im Schilde führt.
Noch vier Tage, denke ich und starre an die hohen Decken meines Schlafzimmers. Obwohl ich einfach nur so daliege – abgesehen von den unzähligen Malen, die ich mich hin und her gewälzt habe – klopft mein Herz so heftig als wäre ich drei Mal um den Block gesprintet. Die Aussicht mit Ben ein Wochenende zu verbringen, ist anregender als eine Palette Red Bull. Die Vibration meines Handys reißt mich aus meinen Schwärmereien. Ich lasse meine Hand zur Rechten auf Laminatboden sinken und ertaste mein Telefon. Das hell erleuchtete Display ist so grell, dass ich geblendet blinzeln muss, um die SMS zu lesen.
Hey Organisationstalent ;)
Wir richten morgen deine Wohnung ein! Konnte ein paar von den Jungs zum Schleppen organisieren. Wenn du mir morgen deine Schlüssel da lässt, tragen wir, während du auf der Arbeit bist, alles hoch.
Steven XXX
Ich bin so aus dem Häuschen, dass ich nicht anders kann, als ihn anzurufen und vor Freude ins Telefon zu quieken.
Steven lacht und ich höre, wie er den Fernseher leiser macht.
„Danke, danke, danke!“
„Schon gut, Yaya. Für dich immer“, entgegnet er und ich weiß genau, dass es so ist, wie er sagt. Nicht zum ersten Mal setzt er Himmel und Hölle in Bewegung, um mir zu helfen.
Obwohl es fast zwei Uhr in der Früh ist und ich schlafen sollte, kann ich nicht widerstehen, Steven haarklein zu beschreiben, wie ich mir meine Wohnung vorstelle. Angefangen von der Farbe der Wände bis hin zur Position des Sofas, schildere ich ihm, wie jedes Zimmer vor meinem geistigen Auge aussieht. Und Steven wäre nicht mein bester Freund, wenn er nicht so tun würde, als fände er mein Geplapper überaus interessant.
***
Tags darauf holt Steven mich abends um neun von der Arbeit ab. Die Tatsache, dass Laura noch immer nicht mit mir spricht und Ben nicht da war, kann meine Vorfreude auf die neuen Möbel nicht trüben. Gut gelaunt steige ich zu ihm ins Auto. Ich kann es kaum erwarten, meine Wohnung einzurichten und bin kurz davor, Steven zu bitten, mit hundert durch die Fünfzigerzone zu fahren.
Bei mir angekommen besteht er darauf vorzugehen. „Warte hier … ich hol dich, wenn ich soweit bin“, sagt er und lässt mich im Treppenhaus zurück. Verwundert starre ich die verschlossene Tür an. Eine gefühlte Ewigkeit später öffnet sie sich und Steven gewehrt mir Einlass – in meine Wohnung. Ich komme nicht dazu, ihn zu fragen, was der Zirkus soll, weil es mir die Sprache verschlägt. Das Zimmer, das ich betrete, hat nichts mit dem zu tun, das ich heute Mittag zurückgelassen habe. Ungläubig lasse ich den Blick durch den Raum schweifen, der genauso aussieht, wie in meiner Vorstellung. Die Wände sind in warmes Orange getaucht, das sich in dem Muster des braunen Sofas vor der Fensterfront wiederfindet. Zur Rechten steht ein weißer Wandschrank aus massivem Holz, verziert mit anthrazitfarbenen Griffen. Das Sideboard auf der gegenüberliegenden Seite ist von gleichem Design. Auf einem Flokatiteppich mit beige-braunem Schachbrettmuster, der dazu einlädt, ihn barfuß zu betreten, steht ein ebenfalls weißer Beistelltisch, auf dem Sekt und zwei Gläser bereitstehen. Mit vorgehaltener Hand sehe ich zur Decke und werde von dem behaglichen Licht des Kronleuchters, den ich zwar wollte, mir aber nicht leisten konnte, angestrahlt.
„Alles okay? Du … bist so still“, höre ich Steven sagen, der vor mich tritt und mich verunsichert ansieht.
„Ähm …“, setze ich an und schüttle nur ungläubig den Kopf. Eine Mischung aus Schock und Freude hat mein Sprachzentrum derart blockiert, dass ich kein Wort hervorbringe. Als ob das nicht genug wäre, führt mich Steven an seiner Hand ins Schlafzimmer, das dem Wohnbereich in nichts nachsteht. Der riesige Kleiderschrank ist komplett aufgebaut. Ebenso, das Bett, welches sogar bezogen ist. Ich kichere, weil mir die Pflegeanweisung ins Auge fällt, da der Bezug auf links gezogen ist.
„Stimmt was nicht?“, erkundigt sich Steven, der meine Mimik genauestens beobachtet.
„Ja!“ Ich mache eine ausladende Handbewegung. „Warst du das hier?“
Steven nickt und grinst breit.
„Und wann hast du das alles gemacht? Ich mein … d-du hast meine ganze Wohnung eingerichtet in …“ Ich stocke und falle ihm um den Hals, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll oder könnte. Es gibt keine Worte, die zum Ausdruck bringen, wie dankbar und glücklich ich bin. „Du bist verrückt, weißt du das?“, murmele ich gegen seine Brust und spüre, wie meine Augen anfangen zu brennen. Mein Versuch, die Tränen aufzuhalten, endet mit einem Schluchzer, der ohne Vorwarnung meiner Kehle entkommt.
Ruckartig löst Steven seine Umarmung. „Weinst du etwa?“, fragt er und sieht mir in die glasigen Augen.
„Nein … ich freue mich“, entgegne ich schniefend und wische mir mit dem Handrücken die Tränen von der Wange.
„Tu mir das nicht an, Yaya. Wenn dich das hier zum Weinen bringt, pfeife ich die Umzugshelfer zurück, damit sie alles wieder abbauen.“
Meine Augen werden groß. „D-du hast Umzugshelfer bezahlt?“
Er nickt und streicht mit seinem Daumen sanft über meine feuchte Wange.
Ungläubig erwidere ich seinen Blick. Im Kopf überschlage ich kurz, welchen Aufwand er betrieben haben muss und spüre, wie versiegte Tränen erneut aufsteigen. Diesmal kaschiere ich sie hinter einem Lachen, das mehr ein Jaulen ist. „Ich weiß gar nicht, wie ich mich jemals dafür revanchieren kann“, krächze ich und falle ihm erneut um den Hals.
„Du könntest aufhören zu heulen. Bekommst du das hin?“
Ich nicke und muss lachen.
„Und dann wäre da noch eine Sache.“ Er lässt von mir ab und nimmt mein verheultes Gesicht in seine großen Hände.
„Was denn?“, frage ich und blicke in seine Augen. Was ich dort entdecke, habe ich bei ihm noch nie zuvor gesehen. Und bevor ich das Glühen deuten kann, presst er seine Lippen fest auf meine. Oh mein Gott! Ich erstarre. Steven küsst mich und ich lasse es zu. Die Zunge meines besten Freundes stupst, um Einlass bittend, sanft gegen meinen Mund, der sich öffnet – einfach so. Aber es kommt noch schlimmer. Ich erwidere seinen Kuss. Necke und lecke ihn zurück. Hungrig. Bekomme sogar eine Gänsehaut, weil Steven unerwartet gut küsst. Wieso auch nicht? Nur weil er mein bester Freund ist? Bester Freund! Das Stichwort, sollte mich dazu bringen, auf Abstand zu gehen, ihn von mir zu stoßen. Stattdessen schließe ich meine Augen, hülle die Realität in Dunkelheit und gebe mich der Illusion hin, dass das, was hier geschieht, in Ordnung ist. Wie falsch kann etwas sein, das sich wider Erwarten so gut anfühlt? Stevens Zunge ist geschickt und fordernd. Er stöhnt mir in den Mund. Seine Hände wandern von meinem Gesicht zu meinem Nacken, den er umschließt und zu kraulen beginnt. Meine Kopfhaut reagiert mit einem Prickeln. An meinem Bauch spüre ich den Beweis seiner Begierde, weil er mich an sich presst. Er ist hart. Ich will mehr und dränge mich ihm entgegen, was Steven dazu bringt, meinen Namen zu hauchen. An der Art wie er mich packt, ahne ich, dass es nicht bei dem Kuss bleiben wird. Ob ich so weit gehen will, weiß ich nicht. Verhindern, dass ich feucht und meine Nippel hart werden, kann ich aber auch nicht. Unerwartet lässt Steven von mir ab. Meine Lider öffnen sich und ich blicke in tief schwarze Pupillen, aus denen pures Verlangen spricht. In einer einzigen schnellen Bewegung zieht er sich das T-Shirt über den Kopf und enthüllt seinen stählernen Oberkörper. Dieser hebt und senkt sich schwer. Ich schlucke, als sich seine Finger unter die Träger meines schwarzen Baumwollkleides schieben. Will ich das wirklich? Bevor ich mir die Frage beantworten kann, stehe ich in Unterwäsche vor ihm. Fehler! Fehler!, meldet sich eine Stimme zu Wort. Ich glaube, es ist die meines Verstandes und er hat Recht. Doch das scheint meinen Köper herzlich wenig zu interessieren. Lieber beobachte ich Steven, der aus seiner Jeans steigt und dabei seinen Blick über meinen Körper wandern lässt. Obwohl er mich in Unterwäsche kennt, sieht er mich an, als hätte er mich noch nie so gesehen. Als hätte er noch keine Frau so gesehen. Durch den dünnen Stoff seiner engen Boxershorts erkenne ich das Zucken seiner Härte, die dort kaum Platz findet. Es juckt mich in den Fingern, weil ich ihn aus seinem Gefängnis befreien will. Aus Angst davor, was der Anblick seiner nackten Erektion mit mir anstellen könnte, lasse ich es bleiben. Ich will den Blick abwenden, da streift er sich die Shorts von seinen schmalen Hüften, als hätte er meinen Gedanken belauscht. Wie ein Geschoss springt mir sein Schwanz entgegen. Ich reiße bewundernd die Augen auf. Er ist groß … nein riesig, beinahe monströs und steinhart. Wohin damit? Fast bekomme ich Angst. Aber auch eine ungeheure Lust, ihn zu berühren und Dinge mit ihm anzustellen, die ich seit fast vier Monaten nicht mehr getan habe. Steven weiß es, weil er mein bester Freund ist und ich ihm alles erzähle. Da ich ihm nicht in die Augen sehen kann, starre ich weiterhin auf seinen Schwanz. Auf seiner prallen, dunklen Eichel glänzt ein gläserner Tropfen. Stevens Lust auf mich ist erschreckend und erregend zugleich. Da letzteres überwiegt, lasse ich zu, dass er um mich herum geht und meine Locken aus meinem Nacken streicht. Sanfte, feuchte Küsse hauchend, öffnet er meinen BH und entblößt meine geschwollenen Brüste. „Wenn ich aufhören soll …“, er drückt seinen heißen Schaft gegen meine Po, „... musst du es nur sagen“, raunt er in mein Ohr. Dabei streicht er über meine sensiblen Knospen und reizt sie zupfend zwischen seinen Fingern, bis sie empfindlich spannen. Elender Schuft! Einer Alkoholikerin hält man schließlich auch kein Korn unter die Nase mit den Worten, du musst nicht, wenn du nicht willst. Genauso fühle ich mich. Ausgeliefert! Macht- und willenlos! Ich kann ein leises Stöhnen nicht unterdrücken, werfe den Kopf in den Nacken und entblöße meinen Hals. Gierig macht er sich über ihn her. Knabbert und liebkost ihn mit seiner Zunge, die eine heiße Spur zu der weichen Kuhle über meinem Schlüsselbein zieht. Beinahe grob dreht er mich zu sich um und erobert meinen Mund. Plündert ihn. Raubt ihn aus. Seine Hände sind überall. Er hebt mich in seine Arme, schlingt meine Beine um seinen Hüften. Verlangend drängt sich sein Schwanz zwischen meine Schenkel und wird lediglich von dem feuchten Stoff meines Slips aufgehalten. Sein Atem geht stoßweise. „Gott, Yaya! Ich will dich schon so lange. So verflucht lange“.
Halt Stopp! Wie Alarmglocken dringen seine gestöhnten Worte an mein Ohr. Was zum Teufel soll das heißen, ich will dich schon so lange? Körperlich oder emotional? Körperlich wäre okay, weil es mir nicht anders geht - zumindest seit den letzten fünfzehn Minuten. Emotional wäre nicht okay. Nicht unter Freunden - denn das sind wir. Sehr gute sogar und das verdammt lange. Mehr will ich nicht, da mehr zwischen uns nicht funktionieren würde. Und bei näherer Betrachtung ist körperlich doch nicht okay, weil es dann schnell emotional werden kann. Ich spüre, wie sich mein Körper unter dieser Erkenntnis verkrampft und ziehe mich zurück – meine Hände ebenso wie meine Zunge. „Wir … sollten das nicht tun …“, sage ich heiser und signalisiere ihm, dass er mich runter lassen soll.
Er tut es, aber ich spüre, wie sehr es ihm widerstrebt, wie sehr er das hier wollte. Beinahe synchron setzen wir uns ans jeweils andere Ende der Bettkante. Ich schaue unsicher zu ihm herüber und begegne dem bedauernden und enttäuschten Ausdruck in seinen Augen. Schnell wende ich den Blick ab und werde beinahe erdrückt von dem betreten Schweigen sowie den unausgesprochenen Gefühlen und Emotionen, die schwer in der Luft hängen.
Minutenlang hallt unser Atem durch den Raum - seiner lauter als meiner. Meine Lippen brennen und fühlen sich geschwollen an. Ich kann ihn noch immer schmecken und die Hitze zwischen meinen Schenkeln spüren. Oh Gott! Beinahe hätte ich mit meinem besten Freund … geschlafen. Fast-Sex mit Steven! Mein Verstand verpasst meiner Wange eine schallende Ohrfeige. Am liebsten möchte ich auch die andere hinhalten, weil ich sie mehr als verdiene. Was um alles in der Welt habe ich mir dabei gedacht? Wie hatte es dazu kommen können? Ich ziehe die Beine an meinen Körper und mache mich klein. Ein kalter Schauer, der meinen Nacken hochkriecht, lässt mich frösteln. Ich erschaudere. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Steven mir mein Tuch hinhält. Statt es mir zu geben, steht er auf und hüllt mich darin ein. Wortlos hebt er seine Boxershorts vom Boden und zieht sie über. Unter dem dünnen Stoff zeichnet sich seine Lust auf mich noch immer deutlich ab. Ich will dich schon so lange, hallen seine Worte in meinem Ohr nach. Wie lange schon? Möchte ich das überhaupt wissen? Steven geht vor mir in die Hocke. Den Kopf leicht schief gelegt, versucht er meinen Blick einzufangen. Mit diesem Wir-Müssen-Reden-Ausdruck sieht er mich an. Oh, bitte nicht. Ich will fluchen und meine Wut auf mich an einem der Kissen auslassen. Der Sekt im Wohnzimmer, mit dem ich mich betrinken möchte, bis ich mich an nichts mehr erinnere, fällt mir ein. Es gibt so vieles, das ich jetzt lieber täte, als über diese Sache zu reden. Ich wende den Blick ab und hoffe, einem Gespräch ebenso ausweichen zu können, wie seinen Augen.
„Hey.“ Stevens Stimme klingt leicht angekratzt. Sanft streicht er mir die Locken, hinter denen ich mich verstecke, hinters Ohr. Obwohl er das vermutlich schon oft gemacht hat, nehme ich diese Geste zum ersten Mal bewusst wahr. Sie fühlt sich intim an, zu intim.
„War es so schlimm … dass du mir nicht mehr in die Augen sehen kannst?“
Schlimmer. Ich möchte flüchten, runter auf die Straße rennen. Zur Not, so wie ich jetzt bin, wenn ich nur dieser Unterhaltung entkommen kann. Stattdessen ziehe ich meine Knie noch enger an meine Brust und schlinge die Arme, samt Tuch, um meine Beine. Stevens Daumen unter meinem Kinn zwingt mich, ihn anzusehen. Seine Augen spiegeln die gleiche Unsicherheit, die ich in seiner Stimme vernommen habe.
„Ich …“ weiß nicht, was ich sagen soll und ringe mir ein Lächeln ab. An der Art, wie sich mein Mund verzieht, spüre ich, dass es aufgesetzt wirkt. „Das … ging alles so schnell und …“, setze ich erneut an. „Keine Ahnung, wie …“ Scheiße! Kann ich denn nicht einen Satz zu Ende führen?
Steven sieht mich fragend an. Hoffnungs- und erwartungsvoll. Ich weiß genau, was er hören will und vermutlich auch hören muss, um erhobenen Hauptes aus dieser Nummer rauszukommen. Das Letzte, was ich will ist, ihn zu verletzten. Und das werde ich, wenn ich ihm sage, dass wir einen Fehler begonnen haben, der nie wieder vorkommen darf und wird. Ich hole tief Luft – zitternd – weil ich beschlossen habe, mit offenen Karten zu spielen.
„Yaya …“ Er schüttelt den Kopf. Mit dem Zeigefinger versiegelt er meinen Mund. „Du musst nichts sagen …“, fährt er fort und zeichnet sanft den Schwung meiner Unterlippe nach, „… jedenfalls nicht sofort. Hör mir einfach nur zu.“ Die Zärtlichkeit in seiner Stimme und die Sehnsucht in seinem Blick machen mir Angst. Angst vor dem, was gleich aus seinem Mund kommen wird. Aus dem Mund, mit dem er mich vorhin geküsst hat. Ich schlucke.
„Ich bereue nichts von dem, was vorhin zwischen uns passiert ist – im Gegenteil. Keine Ahnung, wann ich angefangen habe, dich mit anderen Augen zu sehen. Alles, was ich weiß, ist, dass seit beinahe zwei Jahren kein Tag vergangen ist, an dem ich nicht davon geträumt habe, dich zu berühren, zu küssen, zu schmecken und … Gott, das vorhin …“, kurz schließt er die Augen, als wolle er sich den Moment noch mal ins Gedächtnis rufen, „… das war einfach unglaublich für mich. Tausend Mal schöner als in meinen Träumen“, fährt er lächelnd fort, bevor er wieder ernst wird. „Und ich will mehr. Nicht das, was du jetzt vielleicht denkst. Jedenfalls nicht ausschließlich. Ich will uns … mit allem, was dazu gehört“, beendet er den Satz und sieht mir fest in die Augen.
Mit pochendem Herzen starre ich ihn an. Sprachlos. Gerührt. Verwirrt. Vor allem aber ängstlich.
Ohne seinen Blick von mir zu nehmen, lässt er die Kuppe seines Zeigefingers von meiner Unterlippe gleiten. „Ich will, dass du über meine Worte nachdenkst. Sei bitte vollkommen ehrlich zu dir selbst. Schalte den hier aus …“, er tippt gegen meine Stirn und streicht meine Sorgenfalten glatt, „… und hör auf dein Herz. Du hast alle Zeit der Welt. Ich selbst brauchte beinahe zwei Jahre, um zu erkennen, dass ich …“ Er stockt und holt tief Luft.
Oh Gott! Er wird es sagen – das Wort mit L. Ich kann es spüren, fast schon hören, obwohl er es noch gar nicht ausgesprochen hat. Ich brauche Oropax oder einen Hörsturz – jetzt!
„.. dass ich dich liebe“, fährt er leise fort und sieht mich beinahe entschuldigend an.
Zu Recht. Wie kann er mir das antun? Wie kann er unserer Freundschaft das antun? Verzweiflung, Wut und Furcht lähmen meine Zunge. Verstört beobachte ich, wie Steven sich aufrichtet. Ohne Vorwarnung beugt er sich über mich und drückt mir einen Kuss auf den Mund. Voll und weich schmiegen sich seine Lippen auf meine, die sich keinen Millimeter bewegen. Seufzend unterbricht er den einseitigen Kuss und blickt mir in die Augen. Der verletzte Ausdruck in ihnen versetzt mir einen schmerzhaften Stich. Ich möchte etwas sagen, aber mir fällt nichts ein. In meinem Kopf herrscht leeres Chaos. Ein Widerspruch in sich – genauso wie die vergangenen sechzig Minuten, die mir vorkommen, wie mehrere Stunden. Steven zieht sich an und ich habe das Gefühl, ihn nie wieder zu sehen, wenn ich ihn jetzt gehen lasse. Panik überkommt mich, als er stumm mein Schlafzimmer verlässt. Schnell knote ich mein Tuch vor der Brust zusammen und stürme hinter ihm her. An der Tür hole ich ihn ein. Kurz zögere ich, bevor ich mich auf die Zehen stelle, ihm um den Hals falle und ihn an mich presse. Fest. „Ich ruf dich an“, murmele ich an seiner Brust, in der es wild pocht.
„Das ist mein Spruch“, lacht Steven in mein Haar. Es ist ein trauriges Lachen. Wir lösen uns voneinander und ich habe große Mühe, nicht in Tränen auszubrechen. Er sieht es und streichelt zärtlich meine Wange. „Ich sollte gehen, bevor ich dich heute ein zweites Mal zum Weinen bringe.“
Ich nicke, weil er recht hat. Den Blick abwendend, schaue ich zu Boden, den ich nur noch verschwommen erkenne.
„Bis … bald, Yaya.“
Die Tür fällt ins Schloss und ich höre, wie Stevens Schritte im Treppenhaus immer leiser werden.
***
„Waaas?“, brüllt Sara so laut in den Hörer, dass mir beinahe das Trommelfell platzt. Im Hintergrund höre ich, wie sie einen Stuhl zurechtrückt. Vermutlich muss sie den Schock erst mal verarbeiten, und zwar sitzend. Ich kann es ihr nicht verübeln. Zumal ich meinen eigenen trotzt der Flasche Sekt weder überwinden, noch betäuben konnte.
„Ich weiß auch nicht, wie das passiert ist. Irgendwie …“
„… hast du einen irreparablen Dachschaden“, fällt sie mir ins Wort. „Wie konntest du ihn wegschicken? Er ist perfekt für dich.“ Ein Stöhnen hallt durchs Telefon.
„Äh … Wir reden von Steven. Du erinnerst dich? Bester Freund und so?“
„Na und?“
„Na uuund?“ empöre ich mich.
„Ja. Na und.“
„Okay. Lassen wir das Thema. Wenn ich meinen Frust nicht bei dir ablassen kann, geh ich morgen eben shoppen“, schmolle ich und stelle fest, dass die Sektflasche wirklich leer ist – auch wenn, man sie auf den Kopf hält und schüttelt.
„Aber keine Hosen“, stichelt Sara und lacht.
„Danke, dass du mich an meinen fetten Hintern erinnerst.“ Ich schnaube und betrachte wehmütig den Kronleuchter, der mich daran erinnert, dass ich gar kein Geld habe. Nicht mal H&M ist drin.
„Du bist nicht fett.“
„Ich nicht. Aber wir sprachen ja auch von meinem Hintern …“
„… Der einfach nur wohlgeformt ist …“
„… Und in keine Jeans passt“, ergänze ich unglücklich und denke ernsthaft drüber nach jetzt noch joggen zu gehen. Dabei weiß ich genau, dass man sich Gene nicht abtrainieren kann.
„Steven gefällt er … und Mark im Übrigen auch“, entgegnet sie etwas vorwurfsvoll.
„Deinem Mark?“
„Ja, mein Mark steht auf Ghettoärsche und Wespentaillen.“
Das bedauernde Oh, verkneife ich mir. Sara besitzt nämlich weder das eine noch das andere und ist einfach nur dünn. Andererseits hat sie diesen orientalischen 1001 Nacht – Augenaufschlag inklusive einer Pantene pro V- Haarpracht, wunderschöne Gesichtszüge und kann, im Gegensatz zu mir, alles tragen.
„Wenn ich Beyoncé oder Jenifer Lopez heißen und mit meinem Hintern Millionen scheffeln würde, wären mein Po und ich die besten Freundinnen, glaub mir.“
„Und was wirst du jetzt machen?“ Im Hintergrund höre ich Geschirr klappern und das Surren ihrer Hightech-Kaffeemaschine.
Ich schüttele den Kopf und verkneife mir einen Kommentar ihre Koffeinsucht betreffend. „Das, was ich seit der Pubertät tue: Kleider tragen, so lange es die Temperaturen zulassen.“
Sara lacht. „Nein, ich rede von Steven und dir, Liebes. Ich mein …“, sie schluckt, „… warum probierst du es nicht einfach mit ihm aus?“
„Und unsere Freundschaft aufs Spiel setzen?“
„Du glaubst allen Ernstes, dass ihr nach seinem Geständnis weiter einen auf Best Buddys machen könnt? Außerdem hattet ihr Petting…“
„Was hatten wir?“ Ich habe große Mühe nicht in schalendes Gelächter auszubrechen.
„Petting.“
Angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der sie dieses Steinzeitwort in den Mund nimmt, kann ich nicht anders, als in den Hörer zu prusten. Ich dachte, dieser Begriff sei ausgestorben, aber Sara belehrt mich eines Besseren und ich kriege mich nicht mehr ein. Vermutlich hätte ich, ohne den Alkohol im Blut, längst aufgehört zu lachen. Petting! Das klingt wie eine Diagnose.
„Muss ich mich um 23 Uhr ins Auto setzen und dich einweisen lassen, Yaya?“
„Nein“, lache ich und halte mir auf dem Sofa liegend den Bauch.
„Warum führst du dich dann auf wie eine Irre, die eine Handvoll Haschkekse gefuttert hat?“
Beim Versuch mich zu beruhigen hechele ich ins Telefon. Im Hintergrund erklingt das Brummen einer Männerstimme, vermutlich die ihres Freundes.
„Gleich, Schatz. Yaya dreht gerade durch, ich muss jetzt für sie da sein.“
„Grüße …“, brülle ich in den Hörer und versuche die leere Sektflasche auf der Innenseite meiner Hand rotieren zu lassen – mit mäßigem Erfolg.
„Gleichfalls“, entgegnet Sara und ich höre, wie sie und Mark sich einen Kuss geben. „Da bin ich wieder“, meldet sie sich zurück. „Also?“
„Also was?“
„Was war das eben?“
Erneut spüre ich, ein hysterisches Kichern meine Kehle hochkriechen, verkneife es mir aber. „Süße, kein Mensch sagt heutzutage noch, Petting. Rummachen, Fingern, ja. Petting, nein.“
„Das stimmt nicht. Mark und ich nennen es so.“
„Mark und du seid ja auch liebestolle Pärchen-Monster und lebt in einem Paralleluniversum aus Zuckerwatte, in dem Fürze nach Jasmin duften.“ Sie und Mark sind der Inbegriff einer perfekten Beziehung. Seit fünf Jahren sind sie zusammen – glücklich und ohne sich jemals ernsthaft gestritten zu haben. Wo bitte kommt sowas vor?
„Das kannst du auch alles haben, und zwar mit Steven.“
Ich schüttle energisch den Kopf.
„Was spricht denn dagegen?“, fragt sie als hätte sie es gesehen.
„Er … ist Steven. Mein bester Freund. Das würde doch gar nicht funktionieren.“
„Und warum nicht? Er ist der Mensch, mit dem du alles teilst, mit dem du über alles reden kannst, der dir zuhört, dich zum Lachen bringt … dir deine Wohnung einrichtet. Es würde nur noch der Sex hinzukommen, der bestimmt nicht schlecht sein kann. Hättest du ihn nicht weggeschickt, müssten wir jetzt nicht darüber spekulieren.“
Wenn Steven nur halb so gut im Bett ist, wie er küsst, braucht es ohnehin keine Spekulationen. Gott, war ich erregt … und feucht. Ich verbiete mir daran zu denken, ignoriere das Ziehen meines Unterleibs und presse die Schenkel zusammen. Außerdem hat Sara eine entscheidende Sache vergessen. „Und was ist mit den Gefühlen?“
„Dass er verrückt nach dir ist, wissen wir nicht erst seit heute. Was er für dich empfindet, hat er dir vorhin gestanden.“
Ich werde hellhörig. „Was meinst du mit, dass wissen wir nicht erst seit heute? Hat er es dir etwa gesagt? Sara, das hättest du mir erzählen müssen.“
„Nein, er hat nicht mit mir geredet. Also beruhige dich.“
Ich atme erleichtert aus.
„Aber das war auch nicht nötig“, fährt sie fort. „Er sieht dich an, als wärst du ein Wunder, schirmt jeden Typen, für den du dich interessieren könntest, von dir ab. Er selbst hatte seit Jahren, keine ernsthafte Beziehung. Deinetwegen. Und wenn du mir jetzt sagst, dass du das alles nicht wahrgenommen hast, komm ich und schüttele dich.“
Scheiße! Sie hat recht. Wie konnte ich das all die Zeit übersehen. Jetzt wird mir einiges klar. Ich hole aus und will mir auf die Stirn klatschen, vergesse dabei die Flasche in meiner Hand und schlage mich selbst beinahe K.O. „Aua“, jaule ich und spüre, wie mein Schädel zu pochen beginnt. Das gibt eine fette Beule.
„Ist alles okay?“
Ich weihe Sara in meine eigene Dummheit ein und wir müssen beide lachen.
Dreißig Minuten später liege ich in dem Bett, das Steven aufgebaut hat und lasse die Geschehnisse und das Telefonat mit Sara Revue passieren. Sie ist der felsenfesten Überzeugung, dass er mein Traummann sei und ich ihn insgeheim lieben würde. Wie könnte ich das nicht, immerhin ist er mein bester Freund. Klar liebe ich ihn. So sehr, dass allein der Gedanke ihn zu verlieren unerträglich ist. Ein Leben ohne Steven? Unvorstellbar! Dazu ist er viel zu lange ein Teil davon … ein Teil von mir. Ihn aus meinem Alltag zu entfernen, wäre so, als hackte man mir einen Arm oder ein Bein ab. Ich brauche ihn, um mich ganz zu fühlen, um klarzukommen.
Mein Herz pocht wie wild. Ich spüre, wie sich meine Magenwand schmerzhaft zusammenzieht, weil mir klar wird, wie abhängig ich von ihm bin. Wie schlimm es wäre, ohne ihn zu sein.
Sei ehrlich zu dir selbst, hatte er gefordert. Will ich das überhaupt? Was, wenn eine ehrliche Reflextion meiner Gefühle zu einem Ergebnis führt, dass ihn verletzt? Ihn so sehr verletzt, dass er es nicht erträgt, mich um sich haben. Ich ziehe die Beine an meinen Körper, kugele mich ein. Nackte Angst kriecht meinen Nacken hoch, weil mir bewusst wird, dass ich Steven außer Freundschaft nichts bieten kann. Wird ihm das genügen? Immerhin hat es das die vergangen zwei Jahre – bis heute. Mit seinen Lippen, seiner Zunge, seinen Händen, ja sogar seinen Augen hat er mich spüren lassen, dass er mehr will, und zwar eine Beziehung - mit mir. Steven und ich. Kann das gut gehen? Macht das Sinn? Hätte ich seinen Kuss erwidert, so heftig auf ihn reagiert, wenn das so abwegig wäre? Vielleicht hat Sara recht. Möglicherweise empfinde ich mehr für ihn, ohne es zu wissen. Sollte ich all die Jahre romantische Gefühle mit Freundschaft verwechselt haben? Gott, ich habe das Gefühl meinen Kopf aufklappen und Rauchzeichen geben zu können. Das letzte Mal, das ich meinem Gehirn so viel abverlangte, war während der Abiturprüfungen, die ich als weitaus angenehmer empfand als das hier. Am Ende der Klausur hatte ich wenigstens ein eindeutiges Ergebnis. Von diesem bin ich in Bezug auf Steven und mich weit entfernt. Laut seufzend zerreiße ich die Stille, die mich umgibt. Eine Stille, die mir trügerisch vorkommt. Ich wälze mich hin und her, brauche mehrere Anläufe, um eine Position zu finden, die mir das Grübeln erleichtert. Das Grübeln darüber, ob ich verliebt bin – in Steven.
Wie es weitergeht erfahrt ihr hier: Das Ebook ist seit dem 20. Mai 2014 bei Amazon erhältlich:
http://www.amazon.de/Gespaltene-Sehnsucht-Anya-Omah-ebook/dp/B00KFRQKHK/ref=sr_1_1?s=digital-text&ie=UTF8&qid=1400782304&sr=1-1&keywords=gespaltene+sehnsucht
Über Feedback und Rezensionen würde ich mich sehr freuen :)
Tag eins nach Stevens Geständnis. Zu meiner Verwirrung hat sich soeben Nervosität gemischt, aber auch Vorfreude – auf Ben. Sein Auto parkt vor dem Studio. Zu wissen, dass er da ist, genügt, um meinen Herzrhythmus aus dem Takt zubringen. Heute ist der Tag, an dem er „die Einzelheiten mit mir besprechen“ möchte. Ich fühle mich, als hätte ich Ecstasy und mehrere Dosen Red Bull intus. ADHS ist nichts dagegen. Auf dem Weg von der Umkleidekabine zur Bar schalte ich auf Yogaatmung um, versuche mich zu beruhigen. Und das gelingt mir auch – bis ich ihn entdecke. Ein letztes Mal zupfe ich mein Tank-Top zu Recht. Die Beule, die ich mir gestern während des Telefonats zugelegt habe, verdecke ich mit zwei Locken.
Ben steht hinter dem Tresen und telefoniert. Mit seinen schlanken Fingern fährt er sich durchs Haar. Es glänzt, ist voll und kräftig – genau richtig, um sich darin fest zu krallen. Mir wird warm. Da er meine Anwesenheit noch nicht bemerkt hat, nutze ich die Gelegenheit, jedes Detail seiner ansehnlichen Kehrseite aufzusaugen wie ein Schwamm. Ich gucke nicht, sondern starre – dessen bin ich mir bewusst. Das olivgrüne Polohemd, das sich über sein breites Kreuz spannt, reiße ich ihm mit meinen Blicken vom Leib. Es folgt seine dunkelblaue Jeans, die er vermutlich lässig auf den Hüften trägt, um die ich meine Beine schlingen möchte. Der Film in meinem Kopf ist inzwischen FSK 18 und hat längst feuchte Spuren in meine Höschen hinterlassen. Wenn ich nicht aufhöre zu starren, wird er merken, dass ich ihn blickvögele. Zu spät. Ben fährt herum und sieht mir direkt in die Augen. Er telefoniert noch immer, aber das hält ihn nicht davon ab, mich auf diese gewohnt gründliche Art zu taxieren. Mein Brustkorb hebt und senkt sich viel zu schnell. Spätestens an meinen Brustwarzen, die sich durch den enganliegenden Stoff meines Oberteils drücken, wird er merken, dass ich erregt bin. Kurz ruht sein Blick auf meiner verräterischen Oberweite, ehe er mir wieder in die Augen sieht. Lange und tief. Ich schlucke, winde mich innerlich und schaue weg, weil ich ihm sonst freiwillig mein Höschen geben werde Gott! Was war das denn? Ab morgen bringe ich mir einen Slip zum Wechseln mit. Mir ist entsetzlich heiß und mein Mund staubtrocken. Beinahe hektisch öffne ich das Kühlfach und nehme mir eine Flasche Mineralwasser heraus. Meine Hände sind so feucht, dass ich sie nicht aufbekomme.
„Bleibt es bei dem Wochenende?“
Bens Stimme, so dicht an meinem Ohr, durchfährt mich wie ein Stromschlag. Angezogen durch den wohligen Klang fahre ich herum und frage: „Was?“, obwohl ich ihn klar und deutlich verstanden habe.
„Unser geplantes Wochenende…“
So wie er dabei seine Stimme modelliert, klingt das wie eine aufregende Sexpraktik. Eine, die ich unbedingt ausprobieren will – mit ihm.
„ … bleibt es dabei?“, fährt er fort und sieht mich fragend an. Mir schlägt das Herz bis zum Hals, weil er seinen Arm nach mir ausstreckt. Oh Gott, er wird mich doch nicht etwa …? Nein, er zieht mich leider nicht zu sich heran und presst seine sinnlichen Lippen auf meine. Stattdessen greift er nach der Sprudelflasche und gibt sie mir geöffnet zurück. Geistesabwesend führe ich sie zu meinem Mund, will mir Abkühlung verschaffen, um wieder auf Betriebstemperatur zu kommen. Zu spät bemerke ich, dass ich statt aus einem Glas, aus der Flasche trinke, was hinter der Bar gar nicht gern gesehen wird. Oh, oh! In Erwartung zurechtgewiesen zu werden, blicke ich zu ihm auf. Doch von Verärgerung ist keine Spur. Ben sieht mir auf den Mund, den ich unwillkürlich benetze. Sein Adamsapfel bewegt sich und ich kann es deutlich hören – sein hartes Schlucken. Er reagiert auf mich, wenn auch nicht so heftig, wie ich auf ihn, aber er tut es. Yeahhh! Die Beckerfaust verkneife ich mir und nicke zeitversetzt, als Antwort auf seine Frage.
„Wir fahren mit meinem Wagen“, bricht er die Stille zwischen uns und sieht mir wieder in die Augen. „Ich hole dich morgen früh um acht Uhr ab“, legt er fest.
Ich liiebe seine bestimmende Art und lasse ihn nickend wissen, dass ich mit allem einverstanden bin.
„Gut.“ Sein knieaufweichendes Grübchenlächeln huscht kurz über seine Lippen, die ich so gern liebkosen möchte.
„Wirst du heute wieder abgeholt … von deinem Bekannten?“, will er wissen und sieht mich fragend an.
Ich weiß, dass er Steven meint und spüre prompt, wie sich mein Herz schmerzhaft zusammenzieht. Die vergangenen zehn Minuten mit Ben hinter der Bar haben mich die gestrigen Geschehnisse vergessen lassen. So wie immer, wenn er in meiner Nähe ist. Obwohl ich jedes Mal befürchte, einen Herzinfarkt zu erleiden, wenn er mich nur ansieht, weiß ich, dass es genauso sein sollte. Aufregend. Knieerweichend. Höschennässend. All das trifft auf Ben zu. Bei ihm braucht es nicht mal eine Berührung, geschweige denn einen Kuss. Ich schlucke angestrengt, weil diese Erkenntnis unweigerlich damit einhergehen wird, meinen besten Freund zutiefst zu verletzten und im schlimmsten Fall sogar zu verlieren. „Nein, heute nicht“, entgegne ich traurig.
Bens Blick wird prüfend. Ich ahne, dass er die Veränderung in meiner Stimme bemerkt hat und versuche ein Lächeln, das er erwidert. Gott, diese Grübchen. Ich möchte meinen Zeigefinger in diese verführerische Vertiefung bohren und bekenne mich hiermit offizielle zu einer Grübchen-Fetischistin.
„Wie kommst du heute heim?“
Am liebsten mit dir, will ich antworten, schüttele aber den Kopf. Gebannt warte ich darauf, dass er sie mir stellt – die Frage, auf die es nur eine Antwort gibt. Die Frage, die mein Herz schon jetzt hüpfen lässt, obwohl er sie noch gar nicht gestellt hat. Wird er sie überhaupt stellen? Oh, bitte frag mich, Ben.
Er steht noch immer vor mir, sieht mich unverwandt an. Seine Lippen öffnen sich einen Spalt. Gott, mach es nicht so spannend.
„Ben, kann ich dich kurz sprechen?“, macht mir Laura, die auf die Bar zusteuert, einen Strich durch die Rechnung.
Nicht jetzt!, fauche ich sie gedanklich an. Ihr plötzliches Erscheinen führt dazu, dass er sich zwei Schritte weit von mir entfernt. Tanjas Worte kommen mir in den Sinn und versetzen mich in Unbehagen. Laura ist inzwischen am Tresen angekommen und blickt irritiert zwischen uns hin und her. Ja, richtig. Du störst!, versuche ich ihr aus zusammengekniffenen Augen telepathisch zu vermitteln. Ich bin mir fast sicher, dass sie mich verstanden hat. Nicht wortwörtlich, aber sie scheint zu merken, dass sie gerade in etwas reingeplatzt ist. Leider hält sie das nicht davon ab, Ben mit Küsschen auf die Wangen und mich mit meinem aufgesetzten, „Hi, Yaya“, zu grüßen.
Sie trägt, wie ich, die blaue Do-Well-Trainingskluft, mit dem Unterschied, dass ihre Hose nicht lang, sondern kurz ist. Wo hat sie die her? Und wieso weiß ich von dieser Alternative nichts? Es dauert nicht lange, bis meine Verärgerung der Einsicht weicht, dass ich mit meinen ein Meter siebzig niemals mit ihren endlosen langen Beinen mithalten könnte. Jedenfalls nicht ohne zehn Zentimeter hohe High Heels zu tragen.
Irgendwie hat sie es geschafft, sich zwischen mich und Ben zu drängen, was mich ärgert. Mit dem Rücken zu mir gewandt, hat sie die Gelegenheit, ihn mit ihrem Augenaufschlag zu verführen. Ihr Pferdeschwanz schwingt vor meiner Nase hin und her. Es juckt mich in den Fingern, weil ich ihn packen und Laura von ihm wegschleifen möchte. Als hätte ich den Gedanken laut ausgesprochen, wandern ihre Finger zu ihrem Hinterkopf und entfernen das Band. An der Art, wie sie ihr glattes, seidiges Haar nach hinten über ihre Schulte wirft, weiß ich, dass sie mir soeben den Krieg erklärt. Wie ein Covergirl bei einem Fotoshooting fährt sie sich mit langen, schlanken Fingern aufreizend durch die wallende Mähne und lächelt vermutlich ihr zuckersüßes Engelslächeln.
Unsicher spähe ich an ihr vorbei zu Ben, dem ich am liebsten die Augen zuhalten möchte. Welcher Mann würde bei diesen Reizen nicht schwach werden? Vielleicht kann ich mich wieder ins Rennen bringen, indem ich oben herum blank ziehe. Mein C-Körbchen kann sich auch ohne BH sehen lassen, das weiß ich. Schnell verwerfe ich den, zugegebenermaßen bescheuerten, Plan und versuche, in Bens Gesicht zu lesen, ob Lauras Flirtattacke Erfolg hat. Er lächelt nicht und wirkt insgesamt eher verschlossen. Das ist gut. Ich will mich freuen, da bietet er ihr an, gegen Feierabend ins Büro zu kommen. Bens Antwort trifft mich wie eine Ohrfeige, weil ich ahne, dass Laura etwas im Schilde führt.
***
„Danke. Das stimmt so.“ Ich reiche dem Taxifahrer zwanzig Euro – Geld, das mir am Ende des Monats definitiv fehlen wird – und steige niedergeschlagen aus. Ben hat mich nicht nach Hause gefahren. Nachdem Laura um kurz vor acht im Büro verschwunden und um neun noch nicht zurück war, habe ich beschlossen zu gehen. Neunzig-sechzig-neunzig, blond und blauäugig haben gesiegt.
In meiner Wohnung angekommen, die mich unweigerlich an Steven denken lässt, schäle ich mich aus meiner Arbeitskleidung. Unter der Dusche plagen mich Bilder von Laura und Ben in eindeutigen Posen. Vermutlich feiern sie ihre Versöhnung bei einem romantischen Abendessen und verlegen das Dessert ins Bett. Herr Gott! Vermutlich. Wahrscheinlich. Vielleicht. Fakt ist, dass ich den Ausgang ihres Gesprächs nicht kenne, was mich wahnsinnig macht. Ich habe längst aufgehört, mir einzureden, dass es mir egal ist, sollte er sie statt mich zur Messe mitnehmen. Mir ist zum Heulen zu Mute, so sehr habe ich mich darauf gefreut, Zeit mit ihm zu verbringen. Viel zu lange ist es her, dass mich ein Mann so fasziniert hat. Und ich könnte schwören, dass Ben nicht abgeneigt ist – zumindest dachte ich das. Ich komme mir dumm und naiv vor, angenommen zu haben, er könnte sich für mich interessieren, obwohl er Laura haben kann. Der Schaum, den ich mir vom Körper spüle, rinnt samt meiner Hoffnungen den Abfluss hinab. Ich drehe den Wasserhahn zu und will gerade nach dem Handtuch greifen, da klingelt mein Handy. Ben! Mein Herz macht einen Satz. Triefend stolpere ich aus der Duschwanne und nehme um Haaresbreite den Vorhang mit, in dem ich mich verheddert habe. In der Kurve zum Wohnzimmer reißt es mich beinahe von meinen nassen Füßen. Die fünf Meter über den glatten Laminatboden werden zur reinsten Rutschpartie. Erneut gerate ich ins Straucheln und lande unsanft auf meinem Hintern. Unter normalen Umständen wäre ich lachend liegen geblieben. Allerdings fällt ein möglicher Anruf von Ben nicht unter die Kategorie normal. Daher ignoriere ich mein pochendes Steißbein, rappele mich auf und bekomme gerade noch rechtzeitig mein Telefon zu fassen.
Nummer unbekannt. Mit wild pochendem Herzen hebe ich ab.
„Hallo?“
„Wer spricht da bitte?“
Er ist es! Er ist es! Jetzt nur die Ruhe bewahren. „Yaya.“
„Ben hier. Ist … alles in Ordnung?“
Erst jetzt fällt mir auf, dass ich in den Hörer atme, als wollte ich einen Windsturm imitieren. „Äh … ich komm gerade vom Laufen.“ Bodenturnen trifft es wohl eher, bei der Po-Landung, die ich vor zwei Sekunden hingelegt habe.
„Ich wollte nur sicher gehen, dass du gut heimgekommen bist.“ Voll und tief hallt seine Stimme durch den Hörer. Fast bekomme ich eine Gänsehaut. Komm und überzeug dich selber, bin ich versucht ihm vorzuschlagen. „Danke, das bin ich“, antworte ich stattdessen und setze mich aufs Sofa. Nass. Aber das ist mir egal. „Bleibt es bei morgen?“, höre ich mich fragen und schlage innerlich die Hände über dem Kopf zusammen, weil ich das Gefühl habe, mich aufzugrängen.
„Von meiner Seite aus, ja. Ich hoffe, dir ist nichts dazwischen gekommen?“
Er hofft es. Das ist gut, nein fantastisch. Nicht seufzen, ermahne ich mich. Stattdessen grinse ich mit vorgehaltener Hand, weil es ein breites, lautes Grinsen ist. „Ich kann auch“, antworte ich.
„Gut. Dann bis morgen früh um acht.“
„Ich werde da sein.“ Kopfschüttelnd zeige ich mir selbst den Vogel. Wo sollte ich sonst sein? Unfassbar, was ich hier von mir gebe.
„Schlaf gut, Yaya.“
„Schlaf gut“, entgegne ich und wir legen auf.
Lächelnd sinke ich in die Polster und starre an die Decke. Morgen um diese Uhrzeit werde ich mit Ben die Nacht im Hotel verbringen – wohlmöglich im gleichen Zimmer und wenn er will auch im selben Bett.
Das Gelände ist gigantisch. Die Fitness Universe, FUV abgekürzt, ist die weltweit wichtigste und größte Messe für Fitness, Wellness und Gesundheit. Manager, Entscheider und Investoren aus aller Welt zieht es in Scharen hierher. Ben und ich befinden uns gerade im Ausstellungsbereich für Fitnessgeräte. Die Fläche ist riesig und die Auswahl an neuartigen Geräten überwältigend. Erschlagen von den zahlreichen Eindrücken, bin ich kaum noch in der Lage, etwas aufzunehmen. Darauf bedacht, Ben unter all den Besuchern nicht aus den Augen zu verlieren, hefte ich mich an seine Fersen. Seit etwa einer Stunde bin gezwungen, mich mit dem Anblick seines breiten Kreuzes zufrieden zugeben, weil meine müden Beine Schwierigkeiten haben, seinen großen Schritten zu folgen. Abgesehen davon, dass ich mir den Weg ins Hotel nicht gemerkt habe, würde ich ohne ihn vermutlich eine Ewigkeit brauchen, um aus diesem Labyrinth zu finden.
Inzwischen ist es sechzehn Uhr. Wir sind seit zehn Uhr hier. Meine Beine schmerzen und mein Magen knurrt. Allmählich frage ich mich, weshalb Ben mich überhaupt dabei haben wollte. Wir reden kaum miteinander und er würdigt mich keines Blickes. Für ihn scheint das hier rein geschäftlich zu sein. Seit unserer Ankunft wird er von Austellern belagert, die ihn von bahnbrechenden Ideen rund um Ernährung und Wellness überzeugen wollen. Ben ist hier nicht unbekannt und gern gesehen, weil er – das konnte ich in einem seiner zahlreichen Gespräche aufschnappen – gerne die eine oder andere nicht unerhebliche Summe investiert. Mein Ben Klingenthal-Fragenkatalog wird immer dicker. Abgesehen davon, dass ich immer weniger begreife, in welcher Funktion er im Do-Well tätig ist – als Schichtleiter dürfte er wohl kaum entscheiden, welche Geräte angeschafft werden – hatte ich mir fest vorgenommen, mehr über ihn zu erfahren. Den Menschen hinter dieser oftmals unergründlichen Miene kennenzulernen. Keine Chance. Erneut unterhält er sich mit einem der Austeller, mit dem Unterschied, dass er interessierter wirkt, als bei den Gesprächen zuvor. Der kleine Mann mit Pferdeschwanz scheint seine Chance zu wittern. Mit Eurozeichen in den Augen bugsiert er Ben, der mir kurz entschuldigend zunickt, zu einem Gerät, dessen Funktion ich nicht mal ansatzweise erkennen kann.
Ausgelaugt und frustriert halte ich Ausschau nach einer Möglichkeit, meine müden Beine zu entlasten. Da hier alles auf Sport und Fitness ausgerichtet ist, scheinen stinknormale Stühle verpönt. Auf dem Weg zu einem Gymnastikball, hält mir ein Mann mit dunklen Haaren die ausgestreckte Hand hin. „Hi“, grüßt er mich und grinst breit. Seinen durchtrainierten Körper trägt er in einem hautengen Muskelshirt zur Schau und spießt mich förmlich mit seinen tiefblauen Augen auf. „Ich bin Alex…“.
Kommt da noch was, frage ich mich und zögere, bevor ich seine Hand ergreife. „Äh … Yaya“
„Wow“, er nickt anerkennend, „einen außergewöhnlich schönen Namen hast du.“ Der überschwängliche Tonfall in seiner Stimme kommt mir gestellt vor.
Sehnsüchtig blicke ich zu meiner Sitzmöglichkeit, die soeben, von einer brünetten Frau in Beschlag genommen wird. Verdammter Mist.
„Sorry, wenn ich so indiskret frage, aber dein Begleiter … ist er dein Freund?“
Wenn das ein Flirtversuch werden soll, ist es ein verdammt miserabler. Hinzu kommt, dass die Frau und der Zeitpunkt sehr schlecht gewählt sind. „Nein, wieso?“, hake ich nach und versuche, trotz meines Hungers freundlich zu bleiben.
„Nicht das, was du denkst“, erklärt er hastig und macht eine abwehrende Handbewegung. „Ich will ganz ehrlich sein.“
Ich weiß aber nicht, ob ich das will, denke ich und ziehe skeptisch eine Augenbraue in die Höhe.
„Du bist mir schon heute Vormittag aufgefallen. Ich bin Personal Trainer. Hab da momentan eine Kampagne laufen, für die ich noch Models benötige. Du bist genau der Typ, nach dem ich gesucht habe, weil du einen tollen weiblichen Körper hast und … “ Er stockt. Sein Blick ist von meinem Gesicht zu Ben gewandert, der plötzlich neben mir steht und ihn mit finsterer Miene fixiert.
Unbeeindruckt hält Alex ihm die Hand hin und stellt sich vor. Ben ergreift sie stumm. An der Furche, die sich zwischen seine Augenbrauen gegraben hat, erkenne ich, dass ihm das widerstrebt. Weshalb nur? Irritiert blicke zwischen den Männern hin und her und stelle fest, dass die Feindseligkeit ausschließlich von Ben ausgeht.
„Ich war gerade dabei, Yaya zu ermutigen, als Model an meiner Kampagne mitzuwirken“, weiht Alex ihn ein und zwinkert mir dabei zu.
Ben verzieht nach wie vor keine Miene, was ich unhöflich und respektlos finde.
Alex, den Bens Verhalten nicht weiter zu stören scheint, wendet sich mir unbeeindruckt zu: „Du bist genau, was ich suche. Hier.“ Er hält mir lächelnd sein Kärtchen hin. „Schlaf eine Nacht drüber. Wenn du Lust auf einen lukrativen Nebenjob hast, ruf mich an, ja?“
Lukrativ? Ich horche auf und erwidere nickend sein Lächeln. Mir ist natürlich klar, dass ich meinen modeluntypischen Kurven dieses Angebot zu verdanken habe. Aber das ist mir egal. Ich fühle mich geschmeichelt und spüre, wie meine Wangen zu glühen beginnen.
Er streicht mir flüchtig über den Arm und verabschiedet sich genau so grinsend, wie er mich begrüßt hat. Ben, der immer noch guckt, als hätte ihm jemand die Ledersitze seines Porsche Cayennes aufgeschlitzt, würdigt er keines Blickes.
„Wir gehen“, ordnet dieser knapp an. Die Aggressivität in seiner Stimme ist nicht zu überhören. Wäre ich die meiste Zeit nicht von ihm ignoriert worden, könnte ich mir einbilden, er sei eifersüchtig. Ich ignoriere den Impuls, ihn zu fragen, was los ist und genieße stattdessen die Art, wie er mich Richtung Ausgang führt. Mit seiner Handfläche an meinem Schulterblatt übt er leichten Druck aus und sendet damit wohlige Schauer über meine Rücken. Es ist das erste Mal, dass er mich berührt und ich koste jede Sekunde aus. Möchte am liebsten die Augen schließen, um ihn noch intensiver zu spüren. Draußen angekommen, lässt er von mir ab. Die Stelle an der seine Hand gelegen hat, ist warm und prickelt.
***
Das Hotel, in dem Ben uns einquartiert hat, ist fußläufig in wenigen Minuten von der Messe aus zu erreichen. Es liegt mitten in der Kölner Innenstadt, unweit vom Rhein entfernt und ist der pure Luxus.
An den Fahrstühlen angekommen, steigt Ben nicht mit ein. „Ich hol dich um sieben ab. Wir gehen was Essen. Magst du italienisch?“, fragt er und sieht mich prüfend an.
Wo kommt der plötzliche Stimmungswandel her? Eine Frau in den Wechseljahren ist nichts dagegen. Bevor er es sich anders überlegen kann, nicke ich und habe große Mühe, ihm vor Glück nicht um den Hals zu fallen. Dort, wo mich vor wenigen Sekunden der Hunger plagte, vollführen unzählige Schmetterlinge einen ausgelassenen Freudentanz. Wir verabschieden uns voneinander und ich sehe durch den immer kleiner werdenden Spalt der schließenden Fahrstuhltür seine sexy Grübchen.
Im Zimmer angekommen plumpse ich in das mit Seidenlaken bezogene Kingsize-Bett. Mein Herz pocht und mein Grinsen nimmt langsam spastische Züge an. In knapp zwei Stunden werde ich Ben gegenübersitzen und in seinen Augen versinken. Mein Blick fällt auf die große Fensterfront, die eine beindruckende Sicht auf Kölns Wahrzeichen bereithält. Unruhig drehe ich mich auf den Bauch. Mein Gesicht vergrabe ich zwischen zwei Kissen und seufze sehnsüchtig hinein.
Ein Gedanke, der den Verlauf des Abends ruinieren könnte, lässt mich aufschrecken. Auf allen Vieren krabbele ich vom Bett, reiße den Kleiderschrank auf und durchwühle meine Reisetasche: Sportlich. Leger. Langweilig. Scheiße! Elegant, verführerisch und aufreizend habe ich natürlich zu Hause gelassen. Was nun? Mein Blick fällt auf die Uhr. Mir bleibt nur eins: Ich muss es irgendwie schaffen, in einer Stunde das perfekte Outfit inklusive Schuhen und Accessoires zusammenzukaufen. Bei dem Gedanken, meine letzten zweihundert Euro anzapfen zu müssen, wird mir übel. Schnaubend reibe ich mir die Stirn. Den restlichen Monat trocken Brot und Kraneberger oder ein unvergesslicher Abend mit Ben? Vernünftig oder irrational und total bescheuert? Die Antwort ist in null Komma nix gefunden.
Um zehn vor sieben betrachte ich das Ergebnis meiner Shopping-Tortur im Spiegel. Ich trage einen schwarzen, kurzen Bandeau-Overall aus Baumwolle. Oben herum weiter, an der Taille eng und um die Hüften schmeichelnd, kommen meine Rundungen perfekt zur Geltung. Meine Beine habe ich mit ebenfalls schwarzen Sandaletten um fast zehn Zentimeter verlängert. Das Makeup ist schlicht gehalten und mein Haar, wie immer, zu einem Knoten nach oben gebunden. Eine auffällige Goldkette im Flechtmuster ziert mein Dekolleté, das dank meiner Hautfarbe von hektischen Flecken verschont bleibt. Schweißfeuchte Hände und eine Blase, die sich gefühlt alle zwei Minuten bemerkbar macht, reichen vollkommen aus. Ich hole tief Luft und stelle fest, dass mir gefällt, was ich sehe. Wirklich beruhigen kann mich das leider nicht, weil ich vor allem und zu allererst – zumindest heute Abend – Ben gefallen möchte.
Zum fünften Mal innerhalb von dreißig Sekunden, geht mein Blick zu der Digitaluhr auf der kleinen Kommode neben dem Bett. Sie zeigt noch immer 19:03 an. Stehengeblieben ist sie nicht – das habe bereits zwei Mal überprüft. Mein Puls rast und es gibt keine Stelle in dieser Suite, an der ich nicht schon gestanden, gesessen oder gelegen hätte. Den Lipgloss trage ich wiederholt auf, weil ich ihn mir vor lauter Aufregung ständig von den Lippen lecke.
Ich muss kacken. Auch das noch. Hoffentlich klopft es nicht an der Tür, wenn ich auf dem Pott hocke. Fehlalarm! Mein Körper hat mir einen Streich gespielt. Schnell ziehe in den dünnen Stoff über meinen blanken Busen und verlasse das Bad, das eher einer Wellnessoase gleicht.
Sechs nach Sieben. Ben, wo bleibst du? Nervös spiele ich mit der Kette um meinem Hals und laufe im Zimmer auf und ab. Meine neuen Schuhe sollten inzwischen eingelaufen sein. Erneut stelle ich mich vor den Spiegel, begutachte mich. Plötzlich gefalle ich mir nicht mehr, finde, dass mein Outfit viel zu offensichtlich und laut „Nimm mich“ grölt – ein Wispern wäre besser. Erschrocken fahre ich zusammen und erleide beinahe einen Herzinfarkt. Es hat geklopft. Endlich!
Mit meinem Lächeln der Marke verführerisch gewappnet, öffne ich erwartungsvoll die Tür. Dass jedoch dieser Alex von vorhin und nicht Ben vor mir steht, trifft mich wie ein Eimer kaltes Wasser. Nur mit Mühe verkneife ich mir ein enttäuschtes „Oh“.
„Okaaay … “, sagt Alex gedehnt, „… deinem Gesichtsausduck nach zu urteilen, hast du jemand anderes erwartet.“
Was will der hier? Stalkt er mich etwa? Wenn dem so ist, kann er sich jemand anderen für seine Kampagne suchen. Ein Glück, dass ich noch nicht zugesagt habe.
„Wem auch immer du gleich die Tür öffnen wirst, wird mit der Zunge schnalzen, wenn er dich sieht. Yaya, du siehst atemberaubend aus“, bemerkt er voller Bewunderung und taxiert mich vom Scheitel bis zum Absatz.
Erneut frage ich mich, ob er versucht mit mir zu flirten, was aussichtlos wäre. Ich möchte ihm am liebsten die Tür vor der Nase zuschlagen. Ben könnte jeden Moment auftauchen und ich ahne, dass ein erneutes Aufeinandertreffen der beiden keine gute Basis für ein, hoffentlich romantisches, Abendwessen wäre. Andererseits gibt mir sein Kompliment die nötige Selbstsicherheit für das bevorstehende Treffen mit ihm. Ich bedanke mich und will ihn gerade bitten zu gehen, da lugt ein weiterer Typ neugierig in meine Suite. „Zeig mal. Oha! Mhmm … ja, wirklich sehr hübsch. Jetzt weiß ich, wieso du unbedingt sie für deine Kampagne haben willst“, spricht dieser von mir, als sei ich nicht anwesend. Wie eine vom Aussterben bedrohte Tierart, werde ich in Augenschein genommen. Gleich verlange ich Eintrittsgeld. Irritiert blicke ich zwischen den Männern hin und her.
„Darf ich vorstellen?“, meldet sich Alex wieder zu Wort und tätschelt dem kleinen Mann mit Dreitagebad die Glatze. „Das ist Paul, mein viel zu neugieriger Verlobter.“
Verlobter? Alex ist schwul? Und ich dachte … Ich komme mir plötzlich schrecklich dumm und selbstverliebt vor. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass Alex nicht gerade aussieht, als würde er auf Männer stehen. Er wirkt sehr maskulin und kein bisschen tuntig, was man von seinem Verlobten nicht behaupten kann. Allein die damenhafte Art, mir seine Hand hinzuhalten, erfüllt jedes Klischee. Ich ergreife sie und kaschiere meine Verwunderung über Alex‘ Comming Out mit einem breiten Grinsen.
Ohne Vorwarnung zieht mich Paul zu sich heran und drückt mir links und rechts ein Küsschen auf die Wangen.
Von der Situation überrumpelt, entkommt mir ein gedehntes „Huuuch.“
„Was für eine entzückendes Geschöpf. Und für diese Haare würd‘ ich ja töten, ne?“
Die Vorstellung von Paul mit meinen Haaren entlockt mir ein Lächeln.
„Du würdest doch für alle Haare dieser Welt töten, weil du nämlich keine mehr hast“, entgegnet Alex neckend und tätschelt seinem Verlobten liebevoll die Glatze.
Ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen und merke, dass ich die beiden schon jetzt in mein Herz geschlossen habe.
„Wir haben das Zimmer hier schräg gegenüber. Ich hab dich vorhin hier reinstürmen sehen. Eigentlich wollten wir dich fragen, ob du Lust hast, mit uns zu Abend zu essen …“
„Naja“, unterbricht ihn Paul, „korrekt muss es heißen: Ich wollte dich bei einem Abendessen davon überzeugen, bei meiner Kampagne mitzumachen.“
Alex verdreht die Augen. „Na vielen Dank auch.“
„Ätsch“. Paul streckt ihm trotzig die Zunge entgegen. „Das war für deine charmante Bemerkung über meine Frisur.“
Mit zuckenden Mundwinkeln verfolge ich den offenen Schlagabtausch der beiden.
„Jedenfalls liege ich wahrscheinlich recht in der Annahme, dass du schon was anderes vorhast, oder?“, übergeht Alex die Bemerkung seines Verlobten und sieht mich fragend an.
Prompt schießt mein Puls in die Höhe. Ich bejahe und frage mich, wie spät es ist. Wo steckst du, Ben? “Ich ruf dich an“, verspreche ich Alex, ihm morgen meine Entscheidung bezüglich der Kampagne mitzuteilen.
„Und ich will alles über dein Date wissen“, meldet sich Paul zu Wort.
Zum Abschied schließen mich beide herzlich in ihre Arme. Obwohl Gruppenkuscheln mit fremden Männern nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen zählt, ist es mir kein bisschen unangenehm. Fast fühlt es sich an, als würde ich die beiden Ewigkeiten kennen.
***
Heiße Tränen fluten meine Augen. Bens Absage, die ich per SMS erhalten habe, erkenne ich nur noch verschwommen. Enttäuscht schleudere ich den Überbringer der schlechten Nachricht auf das Bett. Er hätte zumindest anrufen können und den Grund wüsste ich auch gern. Wahrscheinlich liegt es an mir. Ich entspreche eben nicht seinen Vorstellungen, bin nun mal keine eins achtzig, mit Modelmaßen. Diese Erkenntnis versetzt mir einen schmerzhaften Stich und lässt Tränen über meine Wangen laufen, die mir das Make-up ruinieren. Make-up, das ich für ihn aufgelegt hatte. Der Overall, die Kette und High-Heels – an die hundertzwanzig Euro habe ich ausgegeben. Für Nichts. Ich werfe mich aufs Bett und versinke in Selbstmitleid. Dabei weiß ich nicht, was mich mehr ärgert. Die Tatsache versetzt worden zu sein oder für einen Typen, der in mir offensichtlich nur die Arbeitskollegin sieht, solch einen Aufwand betrieben zu haben? Sara würde mir den Vogel zeigen, wenn sie wüsste, dass ich hier rumheule. Zu Recht. Wie kann es sein, dass ein Mann, den ich kaum kenne, so viel Macht über mich hat? Hastig wische ich mir mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht und beschließe mein Outfit auszuführen – auch ohne Ben. Wenn ich mich beeile erwische ich Alex und Paul vielleicht noch.
Wortlos streicht mir Alex über die Wangen. Nicht weinen, bloß nicht weinen, sage ich mir und blinzle lächelnd. Paul stößt dazu, sieht mir in die glasigen Augen und schüttelt verständnislos den Kopf. „Männer sind solche Idioten. Glaub mir Liebes, ich weiß wovon ich rede. Bei diesem Exemplar“, deutet er auf Alex, „hat es mich ganze zwei Jahr gekostet, um ihm klarzumachen, dass er schwul ist. Als er endlich begriffen hatte, dass er ohne mich nicht leben kann, war ich so gestresst, dass mir dann auch noch die Haare ausgefallen sind.“ Er verdreht theatralisch die Augen und sieht seinen Partner gespielt vorwurfsvoll an.
Mit zuckenden Mundwinkeln warte ich Alex‘ Reaktion ab, die prompt folgt.
„Mooment“, erhebt dieser Einspruch. „Als wir uns kennenlernten, hattest du bereits diese komische Halbglatze.“
„Was? Komische Halbglatze?“ Paul fasst sich nach Luft schnappend an die Brust. „Damals hast du gesagt, du fändest sie sexy“, stößt er entsetzt aus.
Ich möchte laut loslachen, verkneife es mir aber und kichere stattdessen in mich hinein.
***
Papp satt und mit vor Lachen schmerzenden Bauchmuskeln schließe ich Alex und Paul dankbar in die Arme.
„Du willst wirklich nicht mit in die Bar kommen?“, erkundigt sich Paul erneut.
„Wirklich nicht“, lüge ich. In Wahrheit fehlt mir das Geld, um mit ihnen einen trinken zu gehen. Mich erneut einladen zu lassen, scheidet definitiv aus.
„Na gut, dann lass dich drücken, Liebes. Das müssen wir unbedingt wiederholen“, schlägt Paul vor.
„Ja, unbedingt“.
„Mike und Robert warten bereits auf uns. Gehst du schon mal vor?“, bittet Alex. „In der Zwischenzeit bringe ich unsere African Beauty ins Hotel zurück. Nicht, dass sie uns geklaut wird“, fährt er fort und zwinkert mir zu.
„Das ist nicht nötig“, lenke ich ein. „Ich find den Weg auch allein.“
„Kommt ja gar nicht in Frage!“, protestieren beide im Chor.
„Ich will nichts hören.“ Alex sieht mich warnend an. „Außerdem muss ich ohnehin noch mal aufs Zimmer.“
Da ich gegen dieses Argument machtlos bin, gebe ich mich geschlagen und hake mich bei ihm ein.
„Sieh mal, du wirst bereits erwartet“, sagt Alex, als wir aus dem Fahrstuhl treten.
Oh Gott, Ben! Er steht vor der Tür zu meinem Zimmer. Mir rutscht das Herz in die Hose.
„Ist das nicht der Griesgram von heute Nachmittag?“, erkundigt sich Alex im Flüsterton.
Ich nicke, weil ich viel zu baff bin, um zu reden. Außerdem stehen meine Locken in alle Himmelsrichtungen ab. Ich hätte das Haargummi drin lassen sollen.
„Er ist also das Date, das doch keins wurde?“, deutet er meine Reaktion auf Ben richtig.
„Mhmm.“ Ich nicke erneut und versuche von weitem Bens Blick einzufangen, damit ich ihn deuten kann.
„Sehr gut. Vertraust du mir?“ Alex‘ Stimme klingt, als führe er etwas im Schilde.
Ich blicke zu ihm auf und erkenne den Schalk in seinen Augen.
„Spiel einfach mit“, befiehlt er und legt den Arm um mich.
Ben sieht zu uns rüber. Mein Herz hüpft mir gleich aus der Brust, da bin ich mir sicher. Ich werde der erste Mensch sein, dem sowas passiert.
„Yaya!“
„Ja?“
„Nun mach schon.“
„Was denn?“
„Herr Gott, Mädchen. Leg endlich deinen Arm um mich“, flüstert er an meinem Ohr.
Ich folge nur widerwillig.
Vor der Tür zu Alex‘ und Pauls Suite bleiben wir stehen. Deutlich spüre ich Bens Blick auf meinem Rücken und widerstehe dem Impuls, mich zu ihm umzudrehen. Ich will endlich zu ihm, wissen, was er hier macht und den Grund für seine Absage erfahren.
Alex‘ feste Umarmung lenkt meine Aufmerksamkeit von ihm weg. „Er wird durchdrehen vor Eifersucht, glaub mir“, haucht er mir ins Ohr und vergräbt sein Gesicht in meinen Locken.
Obwohl ich nicht glaube, dass sein Plan aufgehen wird, spiele ich mit und streiche leicht über seinen Rücken.
„Gut so“, lobt er und wandert mit seiner Hand abwärts, Richtung Po.
„Untersteh dich“, warne ich ihn scherzend und kichere an seiner bereiten Schulter.
„Ich glaub, der arme Kerl hat genug.“ Er löst seine Umarmung, nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände und flüstert dicht vor meinen Lippen: „Hörst du es auch? Das Knirschen seiner Zähne?“ Er zwinkert mir Mut machend zu und gibt mich frei. „Lass ihn leiden, Yaya. Wenn was ist, ruf an oder komm vorbei. Du bist jederzeit willkommen.“
Ich nicke dankbar und spüre, wie meine Knie drohen nachzugeben.
Auf wackeligen Beinen gehe ich auf ihn zu. Die wenigen Meter kommen mir endlos und meine Absätze viel zu hoch vor. Ich habe das Gefühl, jeden Moment umzuknicken und die Balance zu verlieren. Innerlich hab ich das längst. Ben kommt mir kein Stück entgegen – natürlich nicht. Breitbeinig steht er da, verfolgt aufmerksam jeden meiner Schritte. Bei ihm angekommen, lässt er seinen Blick ganz langsam über meinen Körper wandern. Ich winde mich innerlich, weil ich nicht weiß, ob ihm gefällt, was er sieht. Ich weiß ja nicht mal, weshalb er hier ist. Quälende Sekunden der Unsicherheit vergehen bis er mir in die Augen sieht. Intensiv und fest. Sein Blick ist dunkel, fast schon gefährlich und schweift forschend über mein Gesicht. Braune Strähnen fallen ihm in die Stirn. Durch seine Atmung geraten sie in Schwingung und schweben knapp über seinem sinnlichen Mund. Mit meinen Fingern möchte ich sie zurückkämmen, damit sie liegen wie sein übriges Haar, dass er, wie üblich, lässig nach hinten trägt. Seine Erscheinung ist lähmend und raubt mir den Atem.
Er tritt näher und mein Herzschlag gerät ins Stocken. Ich bräuchte nur den Arm zu heben, um ihn zu berühren, tu es aber nicht. Stattdessen weiche ich zurück, obwohl ich nichts mehr will, als ihm nah zu sein.
„Wer war das?“, bricht Ben die Stille zwischen uns. Seine Stimme ist ein bedrohliches Flüstern.
„Alex“, antworte ich heiser, weil die Erregung längst jeden Winkel meines Körpers – meine Stimmbänder inklusive – erfasst hat.
„Willst du mit ihm schlafen?“
Ich schlucke, da diese Frage so unerwartet kommt. Seine unverhohlene Art, gepaart mit dem dunklen Flackern seiner Pupillen, schickt einen Schauer über meinen Rücken. Die darauffolgende Hitze strömt durch meinen Körper und sammelt sich zwischen meinen Beinen. Ich werde verglühen – es geschieht bereits und es gibt nichts, was ich dagegen tun kann. Hoffnungsvoll erwidere ich seinen Blick. Sollte das Schauspiel von Alex und mir etwa Wirkung gezeigt haben? Ist Ben eifersüchtig? Das würde die Machtverhältnisse zwischen uns ändern – sehr sogar. Ich werde mutig und beschließe, ihm noch keine Antwort zu geben. Jetzt ist er an der Reihe, mir welche zu liefern. „Warum bist du hier?“ Mir schlägt das Herz bis zum Hals.
Als Reaktion darauf verringert er die Distanz zwischen uns. „Willst.Du.Mit.Ihm.Schlafen?“, wiederholt Ben seine Frage. Langsam und zum Mitschreiben, betont er jedes Wort einzeln. Seine Augen werden schmaler und die Furche zwischen seinen Brauen tiefer.
Ich gebe ihm keine Antwort. Nicht, weil ich nicht will, sondern, weil ich nicht kann. Sein brennender Blick hält meinen fest, verschlägt mir die Sprache. Meine Zähne graben sich in meine Unterlippe, weil ich ihm um den Hals fallen will. Inzwischen ahne ich, dass er mich nicht zurückweisen würde. Das erkenne ich an der Art, wie er seine Lider senkt, um meinen Mund zu fixieren. Wie gestern hinter der Bar, bewegt sich sein Kehlkopf – schwerfällig und hörbar.
„Warum bist du hier?“, traue ich mich erneut zu fragen, weil ich den Beweis brauche. Die endgültige Bestätigung dafür, dass er mich begehrt.
„Yaya!“ Mit seinem hitzigen Körper drängt er mich an die Tür der Suite. „Das hier“, er sieht mir tief in die Augen, „ist kein verdammtes Spiel. Deshalb frage ich dich jetzt zum letzten Mal: Willst.Du.Mit.Ihm.Schlafen?“ Sein Brustkorb weitet sich. Langsam und gleichmäßig lässt er die Luft aus seinen Lungen entweichen. Ich spüre, wie sein Atem mein Gesicht streichelt. Heiß und feucht. Er ist mir nah. So unglaublich nah. Eine Gänsehaut kriecht meinen Nacken hoch. Meine Brustspitzen ziehen sich zusammen. Jede Zelle meines Körpers sehnt sich nach ihm. Seine muskulösen Arme, rechts und links von meinem Kopf, bilden gegen die Wand gestemmt ein Gefängnis. Und ich wünsche mir lebenslänglich.
Natürlich ist das hier kein Spiel. Er hat ja keine Ahnung, wie verdammt ernst es mir ist. Beinahe flehend erwidere ich seinen Blick und schüttele energisch den Kopf. Sprechen kann ich nicht – jedenfalls nicht ohne, dass er mir anhört, wie sehr mich seine Nähe erregt.
Aufmerksam betrachtet er mich. So als versuche er, den Wahrheitsgehalt meiner stummen Antwort in meinem Gesicht abzulesen. Seine vollen Lippen sind leicht geöffnet und kommen meinen immer näher. Oh Amor, oder wessen Job das auch sein mag, bitte mach, dass er mich küsst.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich meine Hand hebt, um ihn zu berühren. Mein Gehirn hat meinem Körper die Kontrolle überlassen. Fast bin ich an seiner Wange angekommen, da hält er mich mit festem Griff auf. Ohne den Blick von mir zu nehmen, führt er meinen Arm über meinen Kopf, wo er ihn gefangen hält. Ich schnappe nach Luft und lecke mir über die trockenen Lippen, die er ins Visier nimmt – erneut. Stöhnend neigt er den Kopf zur Seite und legt seinen Mund auf meinem. Weich und warm. Endlich! Die Zeit bleibt stehen. Ich schließe meine Augen und gebe mich diesem intensiven Gefühl hin, das mich durchströmt, als seine Zunge in mich eindringt. Nicht vorsichtig oder sanft, sondern fordernd und hart. So, wie es brauche – gierig. Meine Knie drohen nachzugeben. Leckend und saugend treibt er mich mit seinem Mund und seinen Zungenschlägen in den Wahnsinn. Ich stöhne, werde feucht und dränge mich ihm entgegen. Oh Gott! An meinem Schenkel spüre ich seine Beule. Ben ist hart. So hart. Vor Verlangen beiße ich ihm in die Unterlippe. Ungeduldig entziehe ich ihm meine Hand und schlinge beide Arme um ihn. Ich kralle mich in sein Haar und T-Shirt. Zupfend und zerrend bringe ich ihn dazu, mir entgegen zu kommen. Seine Hand gleitet meinen Oberschenkel hinauf. Er hebt ihn an, drückt ihn leicht zur Seite, um sich Platz zu verschaffen. Verlangend presst er sich und seine Härte gegen meinen Schoß. Ich bin verloren, höre mich stöhnen und spüre, wie mir die Nässe ins Höschen sickert. Lustvoll biege ich meinen Rücken durch, fordere ihn auf, meine geschwollenen Brüste von dem lästigen Stoff zu befreien. Ben löst sich von meinen Lippen, bedeckt meinen Hals mit feuchten Küssen und gleitet mit seiner Zunge hinunter zu meinem Dekolleté. Ich keuche, in Erwartung meine harten Knospen zwischen seinen weichen Lippen zu spüren, da schiebt er mich von sich weg. Überrascht schlage ich die Augen auf und finde ihn an der gegenüberliegenden Wand vor. Schwer atmend sieht er mich aus Lust verhangenen Augen an. Seine Hände sind zu Fäusten geballt, als müsse er sich zwingen, von mir fern zu bleiben.
Ich verstehe die Welt nicht mehr. Wieso entzieht er sich mir, noch dazu auf so abrupte Weise? Unsicher gehe ich einige Schritte auf ihn zu, weil ich schon jetzt seine Nähe vermisse.
Mit erhobener Hand bedeutet er mir, stehen zu bleiben. „Wenn du jetzt näher kommst, dann …“, er stockt und lässt seinen glühenden Blick über mein Gesicht wandern. Ben scheint mit sich zu hadern. Gut, denke ich und wage erneut, auf ihn zu zugehen.
„Yaya, das … solltest du besser nicht tun.“
Aber genau DAS will ich! Dort weiter machen, wo wir vor wenigen Sekunden aufgehört haben. So wie er mich ansieht, weiß ich, dass es ihm nicht anders geht. Trotzdem hält er mich auf Abstand. Weshalb nur?
„Warum?“, frage ich seine Warnung ignorierend und trete näher.
Er registriert es, unternimmt aber nichts dagegen. Im Gegenteil. Ich schaffe es, auf einen halben Meter an ihn heranzutreten. Seine Fäuste lösen sich, ebenso die Anspannung in seinem Gesicht. Kaum merklich berührt er meinen Unterarm. Bevor ich die Berührung erwidern kann, ist sie auch schon vorüber und hinterlässt ein Prickeln auf meiner gesamten linken Körperhälfte. Meine Härchen richten sich auf, wittern die Chance auf mehr.
Ben setzt zur Antwort an und öffnet seine Lippen ein Spalt.
Kurz überlege ich, mit meiner Zunge in diese verführerische Öffnung zu gleiten und eine vermeintlich negative Antwort zu ersticken. Ehe ich den Entschluss fassen kann, streckt er seine Arme nach mir aus, umschlingt meine Taille und zieht mich mit einem Ruck zu sich heran. Körper an Körper. Erregt stoße ich den Atem aus. Er ist immer noch steinhart und seine Pupillen sind eine Spur dunkler als vorhin. Mit seinem resoluten Griff bringt er mich ins Hohlkreuz und sieht auf mich herab. Ich zerfließe in seinen Armen. Es fehlt nicht viel und ich komme.
„Yaya“, seine Stimme klingt heiser, „du hast keine Ahnung, worauf du dich einlässt.“
„Ist mir egal“, entgegne ich ehrlicher, als mir lieb ist, weil ich es kaum aushalte und endlich will, dass er mich küsst.
„Glaub mir, so einen wie mich willst du nicht“, flüstert er beinahe intim und schmiegt dabei seine Nase an meiner Wange.
Wenn du wüsstest, denke ich und nehme seinen maskulinen Duft in mich auf. Wie von selbst wandern meine Hände unter sein T-Shirt und gleiten über seinen breiten Rücken. Unter meinen Fingern spüre ich seine warme Haut. Sie ist erstaunlich weich und keine Sekunde später mit einer Gänsehaut überzogen. Seine Reaktion auf meine zärtliche Berührung steigert meine Erregung. Ich will mehr und stelle mich auf die Zehenspitzen.
„Das … solltest du besser … lassen“, stöhnt er abgehackt an meiner Schläfe, verstärkt aber zugleich seinen Griff um meine Taille.
„Warum?“, will ich wissen und finde mit meinen Lippen sein rechtes Ohr. Ungehorsam zeichne ich mit meiner Zunge die Konturen seiner Muschel nach.
Ben keucht. Ich beiße ihm ins Läppchen und merke, wie ihn ein Schauer durchzuckt. „Weil …“, er schluckt, „… ich dann …“
„Suchen Sie sich gefälligst ein Zimmer!“, dröhnt die empörte Stimme einer weiblichen Person, der ich am liebsten den Hals umdrehen möchte, an mein Trommelfell. Ben lässt augenblicklich von mir ab. Erneut. Ich drehe den Kopf zur Seite und begegne dem angewiderten Blick einer älteren Dame, die kopfschüttelnd an uns vorbeihinkt. Meine Befürchtung, Ben könnte sich nun endgültig zurückziehen, bewahrheitet sich. Der Ausdruck in seinen Augen ist ein anderer. Kühl und distanziert. Er weicht meinem Blick aus und verschanzt sich hinter seiner Mauer der Unnahbarkeit. Seine Nähe suchend, versuche ich ihn zu berühren – keine Chance. Beinahe grob schiebt er mich von sich weg. „Es ist besser so, glaub mir“, sagt er entschlossen und lässt mich mit wild pochendem Herzen zurück.
***
Nachts im Bett ist an Schlaf nicht zu denken. Er will mich doch auch! Wieso kann er es nicht zulassen? Was oder wer hindert ihn? Ein Mafiaklan? Gehört er irgendeiner geheimen Regierungseinheit an, die ihm untersagt, sich auf Frauen einzulassen? Möglicherweise fliegt seine Tarnung auf, wenn er es tut. Oder stammt er von einem anderen Planeten? Die Art, mit seiner Zunge umzugehen, ist jedenfalls nicht von dieser Welt. Meine Gedanken gehen mit mir durch. Ich sehe ihn bereits durch irgendwelche Wälder jagen – halb Mensch halb Wolf. Langsam aber sicher verliere ich den Verstand.
Er glaubt, er sei nicht gut für mich? Das sieht mein Körper aber anders. Wenn er mich schon zurückweist, will ich wenigstens den Grund dafür erfahren. Ich muss wissen, ob es sich zu kämpfen lohnt, ob ich eine Chance habe, seinem Verstand klar zu machen, was sein Körper offenkundig längst begriffen hat. Entschlossen, Antworten auf alle meine Fragen zu erhalten, hülle ich meinen nackten Körper in einen transparenten, roten Morgenmantel und verlasse die Suite. Ungeduldig warte ich auf den Aufzug. Als dieser sich öffnet, steht er vor mir – Ben, mit freiem Oberkörper. Bevor ich diesen atemberaubenden Anblick verarbeiten kann, greift er nach meinem Handgelenkt und zerrt mich in den Lift. Unsere Körper prallen aufeinander. Seine Lippen finden meine und werden von seiner Zunge geteilt. Es folgt ein leidenschaftlicher Kuss, der mir den Atem raubt. Seine Hände gleiten über den dünnen Stoff des Morgenmantels und beschreiben zärtlich die Wölbungen meines vibrierenden Leibes. Seine Finger reizen sanft zupfend meine Nippel, die sich nach mehr bettelnd aufrichten. Ich stöhne, lege den Kopf in den Nacken und spüre – Nichts! Weder seine Hände noch seine Lippen oder Bens Nähe. Irritiert schlage ich die Augen auf und starre an eine weiße Decke mit violetten Sprenkeln. Schweißgebadet und schwer atmend, mit einer Hand zwischen meinen feuchten Schenkeln, setzte ich mich auf. Es dauert nicht lange, bis die Erkenntnis und damit auch die Realität mich mit ihren kalten Klauen packen. Ein Traum! Natürlich! Seit wann besitze ich einen transparenten Morgenmantel? Und welchen Grund hätte Ben, sich nach seinem Abgang, nachts auf den Weg zu mir zu machen? Noch dazu mit nacktem Oberkörper. Nee is‘ klar, Yaya! Seufzend knipse ich die Bettlampe aus und sinke frustriert in die Kissen zurück. In Gedanken an Bens Zerrissenheit falle ich nach langem Grübeln, in einen unruhigen Schlaf.
***
Am nächsten Morgen werde ich von einem ungestümen Klopfen geweckt. Ich brauche eine Weile, bis ich weiß, wo ich bin. Schlaftrunken versuche ich, die grünleuchtenden Zahlen der Digitaluhr zu entziffern. Es ist acht Uhr. Viel zu früh – jedenfalls für mich. Ich beschließe liegen zu bleiben, da klopft es erneut. Widerwillig rappele ich mich auf. „Moment!“, krächze ich und lasse meinen Blick auf der Suche nach meinem Tuch durch das Zimmer schweifen. Da ich es auf Anhieb nicht finde, nehme ich Ersatzweise das Laken vom Bett und hülle mich darin ein. Beinahe verheddere ich mich darin und kann einen Sturz gerade noch abwenden. Mein Adrenalinspiegel schießt in die Höhe. Durch den Schock hellwach, öffne ich die Tür und erstarre. Vor mir steht Ben. Blinzelnd stelle ich fest, dass er real ist. Ebenso real, wie meine widerspenstigen Locken, die – das weiß ich auch ohne in den Spiegel zu sehen – über Nacht entschieden haben, dass sie mit meinem Kopf nichts mehr zu tun haben wollen. Das tun sie nämlich immer, wenn man sie nicht mit einem Haargummi bändigt. Meine Augen brennen und sind vermutlich rot unterlaufen. Kurz um: Ich sehe furchtbar aus und möchte ihm am liebsten die Tür vor der Nase zu schlagen. Gesagt habe ich auch noch nichts. „Guten Morgen“, gebe ich zaghaft von mir und ärgere mich über mein unsicheres Auftreten. In High Heels und einem sexy Overall bin ich wesentlich selbstbewusster und ansehnlicher sowieso. Ben sieht aus wie immer. Unverschämt gut und höllisch sexy. Das ist einfach nicht fair, denke ich und merke, wie mir das Blut in den Kopf schießt. Unbeholfen spiele ich an dem Zipfel des Lakens herum und lächle ihn hoffnungsvoll an. Vielleicht hat er es sich über Nacht anders überlegt und …
„In einer Stunde fahren wir zurück nach Dortmund. “, bringt er die Seifenblase, in der ich schwebe, zum Platzen. Ich falle tief. Der Aufprall ist hart und schmerzhaft. Die Erkenntnis, dass ihm der Kuss offensichtlich nichts bedeutet, trifft mich unerwartet und lässt mich innerlich zusammenzucken. Er sieht es, weil ich es nicht schaffe, meine Enttäuschung zu verbergen. Ein Pokerface aufzusetzen zählt leider nicht zu meinen Stärken. Daher bleibt mir nur ein Nicken und der Versuch eines beiläufig klingenden „okay“, der gründlich in die Hose geht.
45 Minuten später lasse ich die Tür meiner Suite ins Schloss fallen. Der Weg zu den Fahrstühlen führt an Pauls und Alex‘ Zimmer vorbei. Kurz bleibe ich stehen, überlege, ob ich klopfen soll. Sicherlich schlafen sie noch und ich möchte keinen der beiden wecken – zumindest rede ich mir ein, das dies der Grund sei. In Wahrheit will ich nicht in die Verlegenheit kommen auszusprechen, was nun schmerzlich in mein Bewusstsein gesickert ist: Ben will mich nicht. Er erträgt es nicht mal mit mir hier zu sein. Warum sonst hat er es so eilig, trotzt der Messe, zurück nach Dortmund zu fahren?
Schweren Herzens beschließe ich, Alex und Paul anzurufen, wenn ich zu Hause bin. Alex wird mir verzeihen, mich nicht verabschiedet zu haben, wenn ich verkünde, an seiner Kampagne teilnehmen zu wollen. Vom Zuverdienst abgesehen, würde ich ihn und Paul sehr gerne wiedersehen.
Ben wartet in der Lobby auf mich. Unsere Blicke treffen sich nur kurz, aber lange genug, um meinen Herzschlag zu erhöhen. Fahrig reiche ich der brünetten, attraktiven Dame an der Rezeption meine Magnetkarte. Ich ertappe mich dabei, wie ich erleichtert feststelle, das Ben der Frau keinerlei Beachtung schenkt. Albern – ich weiß.
„Sie hatten hoffentlich einen angenehmen Aufenthalt und beehren uns bald wieder.“ An der Art, wie sie Ben mit ihren Augen anschmachtet, weiß ich, dass das „uns“ nicht mehr als eine Höflichkeitsfloskel ist. Ich verdrehe genervt die Augen und ärgere mich gleichzeitig über meine unbegründete Eifersucht.
Am Auto hält Ben mir die Tür auf, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Ich ignoriere den Knoten in meiner Brust, der mit jeder ablehnenden Geste größer wird und steige ein. Im Seitenspiegel beobachte ich, wie er unser Gepäck im Kofferraum verstaut. An der Art, wie er sich hinters Steuer setzt, die Tür zuschlägt und den Motor startet, versuche ich auszumachen, ob ich es wagen soll, ihn auf gestern Abend anzusprechen. Die kommenden sechzig bis siebzig Minuten würde er mir – zumindest räumlich – nicht ausweichen können.
In Erinnerung an den berauschenden Geschmack seiner Lippen, seinem festen Griff und das Glühen seiner Augen verspüre ich wieder diese ungeheure Hitze zwischen meinen Beinen. Dem Drang, ihn kurz von der Seite zu betrachten, kann ich nicht widerstehen und staune einmal mehr über seine perfekten Gesichtszüge. Die gesamte Fahrt über verbringe ich damit, mir einen geeigneten Einstieg für die Kuss-Thematik zurechtzulegen. Inzwischen gibt es mehrere Varianten. Ich verwerfe sie alle, weil mich keine von ihnen vor einer erneuten Zurückweisung zu schützen vermag.
Bens Auto kommt zum Stehen und das Motorengeräusch verstummt. Wir sind da und haben kein Wort miteinander gewechselt. Der Knoten in meiner Brust fühlt sich riesig und scharfkantig an. Das war‘s! Ich werde aussteigen und so tun müssen, als sei nichts vorgefallen, als hätte es diesen Moment zischen uns niemals gegeben. Ich verzehre mich schon jetzt nach ihm und die Vorstellung, ihm nie wieder so nah zu sein wie gestern, ist deprimierend.
„Bis Montag, Yaya“, höre ich ihn sagen und es fühlt sich wie ein Rauswurf an. Nein, es ist einer. Dass er um das Auto geht und mir die Tür aufhält, macht es nicht besser. Heftig schlucke ich gegen den Kloß an, der sich in meinem Hals bildet und spüre, wie mir die Enttäuschung in die Nase und die Augen steigt. Ich muss hier weg. Sofort! Ben steht vor mir und reicht mir meine Tasche. Ohne vom Boden aufzusehen, ergreife ich sie, will sie ihm abnehmen. Beinahe hastig zerre ich an dem Henkel, aber er lässt ihn nicht los. Stattdessen spüre ich, wie sein Daumen über meinen Handrücken streicht. War das Absicht? Irritiert blicke ich zu ihm auf. „Ben, was …“
Mit seinem Mund fällt er mir ins Wort. Der sanfte Druck seiner heißen Lippen auf meinen, lässt mich erstarren. Einen Moment lang bin ich unfähig, Traum und Wirklichkeit von einander zu unterscheiden. Wie in Trance nehme ich wahr, wie sich der Geschmack von Kaffee und Minze in meinem Mund entfaltet. Süß und leicht herb. Fantastisch! Ben reibt seine Zunge an meiner, streichelt und umschmeichelt sie. Genüsslich. So als würde er von ihr kosten. Der Kuss wird tiefer, unser Atem schneller. Ich höre ihn stöhnen – leise und rau in meinen Mund, in dem es zu prickeln beginnt. Gott, ich zerfließe. Bin auf offener Straße so erregt, dass es weh tut. Meine Finger krallen sich in sein Haar. Ich will ihn an mich pressen und höre, wie meine Tasche dumpf zu Boden fällt, weil auch Ben sie los gelassen hat, um seine Hände in meinen Locken zu vergraben. Nein! Nicht!, denke ich als seine Zunge immer unschuldiger wird und langsam aus meinem Mund gleitet.
„Alles an dir ist so unglaublich verlockend“, raunt er schweratmend an meinen feuchten Lippen.
Mein Herz springt vor Freude gegen meine Brust. Ich will ihn mit zu mir nehmen. Ich muss. Ich kann jetzt nicht aufhören. Unter keinen Umständen.
„Deshalb … “, fährt er fort und sieht mir tief in die Augen, „ … sollte ich besser gehen.“
„Nein!“, schießt es aus mir raus. Oh, Mist! Jetzt weiß er, wie nötig ich es habe. Wie nötig ich ihn habe, aber das ist mir egal, denn ich ahne, dass es ihm nicht anders geht – bis auf den Unterschied, dass er sich wesentlich besser unter Kontrolle hat. Viel zu gut.
Ein wissendes Lächeln, das seine Grübchen zum Vorschein bringt, huscht über seine Lippen. „Alles andere, dürfte deinem Bekannten gegenüber ziemlich unhöflich sein.“
Ich folge seinem Blick. „Welchem Bekan…?“ Oh Gott! Steven!
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Ich freue mich über Feedback und Rezensionen :)
Tag der Veröffentlichung: 01.06.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für alle, die wegsehen!
Für alle, die hinsehen!
Für alle, die vergessen!
Für alle Vergessenen!
Für alle, die hassen!
Und für alle, die lieben!