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Berlin NO18, den 25.02.1945



Liebe Mutter,

Deinen Brief habe ich erhalten. Ich werde sofort in Berlin das Vertiko öffnen und auch im Schreibtisch nachsehen. Alle Deine Wäsche und was noch da drin ist packe ich dann ein und vergrabe ich mit meinen Sachen. Von Deinen Sachen in Schwiebus wirst Du alles abstreichen müssen. Auch wenn sie H. auf das Land gebracht hat.
Was ist denn den Russen heilig. Oder was ist der stürmenden Truppe des Feindes daran gelegen, wem die Sachen gehören, die sie erobert haben. Aber denke immer daran, was ist schon all das irdische Gut, was nützt es uns. Die Hauptsache ist doch wir bleiben gesund und brauchen keinen qualvollen Tod sterben. Seit dem L. von hier weg ist hab ich in Berlin zwei mal in ein Hauskeller gesessen, am 3.2. und am 22.2., als ein Volltreffer das Gebäude zerstörte. Gott hat uns das Leben noch nicht nehmen wollen, unsere Uhr war noch nicht abgelaufen. Das erste mal verließ ich meinen ersten Platz weil ich ein innerliches unruhiges Gefühl hatte und eine halbe Stunde später schlug gerade dort wo ich erst war die Bombe ein. Es war nur noch ein Schutthaufen. Ich war im zweiten Keller 5 m entfernt. Es war furchtbar. Aber wir leben alle. Das war an dem furchtbaren Sonnabend am Tage.--- Die Siegessäule und das Brandenburger Tor steht aber der Dom, das Schloss, die Oper, die Hedwigskirche alles ist vollkommen ausgebrannt. Das Feuer hat von Sonnabend bis Dienstag hell gebrannt. Dann ist das Viertel um den Moritzplatz, Kommandantenstr., Alexandrinenstr. Prinzenstr. Köpenikerstr. bis Brommibrücke vollkommen ausgebrannt. Ritter steht. (Ritterstrasse - Anm. OK) Es war so furchtbar dass es nicht möglich ist das alles zu schildern. Pferde und Menschenleichen lagen auf den Trümmern.
Ich bin nach den beiden Schlägen so herunter, dass ich jetzt jeden Abend nach Neuenhagen fahre. Hier hört man die Flieger herüber ziehen aber hier fallen doch nicht diese schweren Bomben.
Vor Wochen hörten wir das Schiessen der Front in Neuenhagen. Aber jetzt ist hier alles wieder ruhig.


Wer weiß was in 4 Wochen ist und wer weiß wer in 8 Wochen noch lebt. Der Tod ist ja nicht schlimm, aber was machen dann Frau und Kinder. Das ist die bange Frage und das quält einen.
Nun Mutter alles Gute
und Gesundheit und
auf ein gutes Ende und
das wir uns noch einmal
wiedersehen
Besten Gruß
L.






Wegen kriegswichtiger Produktion wurde der Tischlermeister L. von der Wehrmacht nach Berlin entlassen. Hier baute er in seinem Betrieb statt Polstersessel und Stühle die nun viel wichtigeren Särge.
Seine Frau und die drei Kinder hatten die Stadt wegen der Bombenabwürfe verlassen. Er selbst konnte mit der S-Bahn immer mal das Gartengrundstück in einem Berliner Vorort erreichen. Zur Rettung des Reichs zum Volkssturm geholt, eingekreist von Besiegern, im Inferno der letzten Kriegswochen, schreibt er einen Brief an seine Mutter. Dieser bleibt sein letztes Lebenszeichen.





Schreibweise und Interpunktion wurde vom Original übernommen.
Die Namen wurden von mir abgekürzt.

Schwibus: Ort ca. 79 km östlich der Oder
Neuenhagen: Ort östlich von Berlin, im S-Bahn Bereich
erwähnte Strassen: Berlin Kreuzberg
erwähnte Gebäude: Berlin Mitte


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 28.07.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Veröffentlicht und mit einem Nachwort versehen von Olaf Kraeusel

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