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Wirre Wanderungen

Wirre Wanderungen

Prolog

In gefühlten existentiellen Krisen mutiere ich zur Wanderin. Wandern bedeutet für mich ein Gehen ohne Ziel und Zweck. Es existiert nur das hier und jetzt. Morgen und jede Zukunft sind bedeutungslos.

 

Die erste „Wanderung“

Meine praktische Führerscheinprüfung stand an. Nach unzähligen Fahrstunden und einem zunehmend genervten Fahrlehrer befürchtete ich schon das Schlimmste. Und natürlich trat es ein. Durchfall mit Pauken und Trompeten.

Was mache ich jetzt? Rückkehr zu den Eltern, die das Desaster schon vorhergesehen hatten? Zu den Mitschülern, die wussten, dass ich eine Fahrprüfung zu absolvieren hatte? Ausgeschlossen. No go. So ging ich los, Straßen meidend, Feldwege nutzend. Irgendwohin. Kein Ziel, kein Plan. Ich werde ein neues Leben beginnen, die erste Zigarette meines Lebens rauchen. Dauert ewig, weil ich nicht weiß, wie man zieht. Aber egal, mein neues Leben hat begonnen.

Weiterhin ziellos ziehe ich durch die Lande. Jetzt endet der Feldweg wieder, und die Straße droht. Gedanken kommen auf, man könne nach mir suchen. Will ich doch nicht.

Wärmesuchend befinde ich mich schließlich doch auf dem Heimweg. Es ist Dezember, dunkel und kalt. Laufe meinem Vater über den Weg, der gerade von der Polizeistation kommt. Man befürchtete das Schlimmste. Und das Leben ging weiter.

 

Die zweite „Wanderung“

 

Fast am Ende des Studiums angelangt. Nur noch diese eine so wichtige Hausarbeit abliefern. Kein Problem, alles easy. Jobben am Kiosk am wunderschönen Bodensee. Die Hausarbeit hat Zeit. In meinem Kopf ist sie bereits fertig. Muss nur noch geschrieben werden. Weiterhin alles easy.

Der Tag der Abgabe droht. Geschrieben? Nichts. Gedacht alles. Hektisches Schreiben auf der elektrischen Schreibmaschine. Die Perfektionistin in mir zerreißt jedes Blatt mit Tippfehler und lässt es mich aufs Neue tippen. Aber egal, ich schaffe es auf jeden Fall.

Kurzer Kreislaufkollaps. Ausgerechnet jetzt, wo mir die Zeit dahinschwindet. Weiter getippt. Ein Drittel der Hausarbeit ist erledigt. Dann Panik. Papier ist aus. Wo kriege ich Papier her? Es ist ca. 2 Stunden vor Abgabeschluss. Ich wohne in einem Ortsteil. Da gibt es zwar Geschäfte, aber führen die auch Schreibmaschinenpapier? Führen sie effektiv nicht. Im letzten Geschäft übermannte mich urplötzlich die Erkenntnis. Die Hausarbeit, immerhin ein Drittel deiner Examensnote kannst du knicken. Eine Welt brach ein.

Zurückgekehrt in mein Untermietzimmer rasten die Gedanken. Was jetzt? Raus musste ich, einfach raus, weg, weg von allem, was mein bisheriges Leben war.

Mein Weg führte mich rund um den Bodensee. Es war faszinierend. Beruf, Karriere existierten nicht. Dafür existierte ich. Die Blumen, die Pflanzen, die ich seit meiner Kindheit nicht mehr wahrgenommen hatte. Der Bodensee, den ich noch nie so wahrgenommen hatte. Der Sonnenuntergang, den ich auch seit langem nicht wahrgenommen hatte. Eine verzauberte Welt. Über Bodman landete ich irgendwann in einem nächtlichen Ludwigshafen, das ich nicht kannte und kam immer wieder nach „Winterspüren“. Winterspüren muss ein Dorf sein, das sehr früh erwacht. Um 2 Uhr sah ich schon Aktivitäten in Bauernhöfen. Dazwischen Feldweg, Wald. Stracheldrahtzaun. Autsch! Sieht man ja im Dunkeln nicht. Seltsame Lichter und Geräusche in der Dunkelheit. Oder ist es schon Morgengrauen? Irgendwann in der Frühe gab ich auf. So müde. Kann ja auch die Straße sein. Ein Bundeswehrsoldat gabelte mich schließlich auf. Ob er meine verquere Geschichte glaubte, weiß ich nicht. Jedenfalls war ich ihm sehr dankbar. Um 6 Uhr 30 in Stockach war auch nicht prickelnd. Als ich dann endlich in den Bus stieg, meldeten sich meine Muskeln kräftig. Jeder Schritt war Qual, Hölle. Die Mittzwanzigerin wusste auf einmal, wie es war, Schrittchen für Schrittchen dahin zu schleichen.

Und das Leben ging weiter.

 

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 05.03.2020

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