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Draconi


*Das Geheimnis des Kalten Feuers*


„…Und da begab Zanthrok, der Helle, den Verrat und tötet Nyandra, die Herrschende. Krieg und Chaos breiteten sich aus und das Land Urharien versank in eine Zeit der Finsternis. Ein Licht erhob sich und die Erste Hüterin bezwang Zanthrok, den Dunklen. Leandra, die Herrschende, bestieg den Thron von Urharien und Frieden kehrte in das gepeinigte Land ein…“

Prolog

Ein Wabern ließ die Luft unstetig erscheinen, so als würde eine gewaltige Hitze herrschen. Es begann an einem kleinen Ort vor einem Altar, der mit Blut beschmiert war und breitete sich aus. Wurde größer, verdichtete sich und wo am Anfang nur ein schwaches Wabern geherrscht hatte, verstärkte es sich und nahm Form an. Die Luft flimmerte, graue Schattierungen erschienen in ihr und aus der formlosen Masse trat plötzlich eine dunkel gekleidete Gestalt hervor. Sie ging einige Schritte, drehte sich um und hob die rechte Hand. Die graue Masse verflüchtigte sich und zurück blieb nur die Gestalt.

Wieder hob sie die Hand und mit einem Zischen wurden drei riesige Kerzen entzündet, die um den Altar herum standen. Die Flammen ließen diesen Ort schaurig erscheinen, verbreiteten eine düstere Stimmung und flackerten unstetig.

Die Gestalt, welche in einem schwarzen Umhang mit Kapuze gehüllt war, trat zu dem Altar, kniete sich nieder und blickte in eine alte Schale, die früher aus hellem Ton bestanden hatte, heute jedoch dunkel und fleckig vom getrockneten Blut aussah. Sie hob beide Hände, schob die Kapuze zurück und ein männliches Gesicht mit tiefschwarzen Haaren kam hervor. Seine Augen, welche hellbraun waren, zogen sich zu Schlitzen zusammen, als er den Inhalt der Schale betrachtete. Es war nur noch sehr wenig Blut in ihr vorhanden. Kopfschüttelnd erhob er sich und drehte sich um.

Sein schwarzer Umhang, der über den Boden schleifte, bewegte sich und unter ihm kam eine Echse hervor. Ihre Schuppen schimmerten rötlich und ihre Augen funkelten gelblich. Sie kletterte an dem Mann hoch, erreichte die rechte Schulter und ließ sich dort nieder, ihren langen Schwanz um den Oberarm des Mannes gewickelt.

 Wann kommt der Meister?

Die Stimme erklang in den Gedanken des Mannes und er warf einen Blick auf die Echse. Er wird gleich hier sein! Sei nicht so ungeduldig!

Die Echse zischte, schloss die Augen und legte ihren Kopf auf die Schulter des Mannes.  Er sollte uns aber nicht warten lassen. Wenn die anderen merken, dass wir nicht da sind, könnten sie misstraurig werden. Renthoial wartet doch nur darauf, dass wir einen Fehler machen und seine Reiterin ist ebenfalls vorsichtig.

Mach dir um diese beiden keine Gedanken. Der Meister hat gesagt, dass er für heute eine Ablenkung besorgt hat. Die werden dementsprechend andere Sorgen haben.

 Die Echse öffnete die Augen und zischte wieder. Sie sprach mit belustigter Stimme: Das werden sie. Die Ablenkungen unseres Meisters sind immer gut!

Stille breitete sich nach dem Worten aus, sowohl in den Gedanken der beiden als auch außerhalb. Die Flammen der Kerzen zuckten unstetig und der Geruch von abgebranntem Wachs breitete sich in der Höhle aus.

Dann, ohne Vorwarnung, kam eine heftige Windbrise auf, zerrte an dem Umhang des Mannes und zerwühlte dessen Haare. Die Echse zischte auf seiner Schulter und krallte sich in den Stoff.

Der Wind sammelte sich an einer Stelle, wirbelte feinen Staub auf und inmitten dieses Wirbels erschien eine hoch gewachsene Gestalt. Der Wind flachte ab, Steine und Sand fielen zu Boden und in der Höhle breitete sich eine finstere Aura aus.

Der Mann, der erschienen war, trug eine schwarze Robe, die mit blutroten Symbolen bedeckt war, welche leicht leuchteten. Sein kantiges Gesicht wurde von grauen strohigen Haaren eingerahmt und von einer hässlichen Narbe geziert, die unter seinen Haaransatz begann und sich über die Nase zu seinen Mund zog. An einer Stelle, die sich bei der Nase befand, floss Eiter als ein feines fast übersehbares Rinnsal. Das Auffälligste jedoch waren die Ohren, welche spitz unter sein Haar hervorschauten, wobei bei dem linken ein Stück fehlte. Es sah aus, als wäre es vor langer Zeit herausgerissen worden.

„Meister“, sprach der Mann mit der Echse auf der Schulter und ging in die Knie, während er sich verbeugte. Seine Stimme klang ehrfurchtvoll und ergeben.

„Steh auf“, ertönte eine herrische Stimme und der Mann kam der Aufforderung nach. Er sah gespannt und neugierig aus. Die Echse auf seiner Schulter hatte den Kopf erhoben und ihre Augen funkelten.

„Ihr sagt, dass es Neuigkeiten gibt?“ Der Mann spürte, wie seine Echse sich auf seiner Schulter unruhig bewegte, doch fragte nicht nach. Er blickte seinen Meister an und ein Gefühl von Freude und tiefste Ergebenheit kamen in ihm auf. Er sah es als eine Ehre an, in der Gegenwart seines Herrn sein zu dürfen.

Der Mann mit der Narbe nickte und trat zu dem Altar. Auch seine Augen zogen sich zusammen als er erkannte, dass kaum noch Blut in der Schale vorhanden war. Er schloss die Augen, rief in Gedanken seinen Diener und trug ihm auf, eine der Gefangene hierher zu bringen. Dann öffnete er seine Augen wieder und wandte sich zu dem ersten Mann, der ihn wartend betrachtete.

„Wir sind sehr nah! Nicht mehr lange und die Kalten Flammen werden sich in unseren Besitz befinden. Es ist nur noch eine Frage von wenigen Monden.“ Ein zufriedenes Grinsen trat in sein Gesicht. „Niemand wird uns mehr aufhalten können…vor allen nicht, die nervige Königin Leandria Draconi und ihre Echse. Die Drachengarde wird ihr auch nicht helfen können, dafür habe ich gesorgt. Nicht mehr lange und das Feuer von Vlaar wird uns gehören!“

Freude kam in dem Mann auf, als er die Worte vernahm. Wieder fühlte er sich geehrt, dass sein Meister ihm das persönlich mitteilte. Dann traten kurzzeitige Zweifel in ihr auf. „Was ist mit den Drachenhütern? Soweit mir bekannt ist, suchen sie schon nach euch und euren Verbündeten. Die erste Drachenhüterin soll ziemlich begabt sein.“

Der Meister schnaubte und wischte das Gesagte mit einer Handbewegung weg. „Die ist nicht einmal halb so gut, wie die eigentliche erste Hüterin. Um die jetzige brauchst du dir keine Sorgen zu machen…du jedoch musst vorsichtig sein, denn es ist geplant einige Hüter nach Dracheim zu schicken. Sie dürfen dich nicht erkennen, sonst werde ich dir nicht helfen können.“

Der Mann mit der Echse nickte. Dies war ihm bewusst und er würde es auch nicht von seinem Meister verlangen. Dafür war er nicht wichtig genug.

„Was verlangt ihr von mir?“

„Ich möchte, dass du die Hüter in Dracheim geobachtest. Achte auf jede Kleinigkeit. Welche Personen sie für wichtig erachten. Ob sie Informationen bezüglich uns finden  und führe sie in die Irre. Lass ein paar Tote in Dracheim auftauchen und sie damit beschäftigen!“

Der Mann nickte als er die Anweisungen bekam, verbeugte sich noch einmal tief, ehe er beide Hände hob und leise murmelte. Sofort begann die Luft wieder zu wabern. Wurde unstetig, schien zu brennen und als die formlose graue Masse erschien, trat er in sie hinein. Es gab einen leisen Knall und die Masse löste sich auf. Zurück blieb der Mann mit der Narbe.

Er trat wieder an den Altar, nahm die Schale in beide Hände und hielt sie vorsichtig. Er schenkte sie, sah, wie die kleine Pfütze voll Blut sich bewegte und erkannte den Boden der Schale. Es war wirklich nicht mehr viel in ihr vorhanden.

Ein Ziehen in seinem Hinterkopf ließ ihn aufblicken. Er sah, dass sich einige Meter vor ihm die Luft kräuselte und ein kleiner Wirbel entstand. Wie auch bei ihm zuvor, erschien eine Gestalt in ihm, die eine andere in den Armen hielt. Die Luftbewegungen erstarben und ein buckliger kleiner Mann trat einige Schritte vor, wobei er eine junge Frau mit sich zehrte. Diese hatte die Augen weit aufgerissen und Panik spiegelte sich in ihnen wieder. Sie wollte schreien, doch ihr Mund war verbunden, sodass sie nur unverständliche Laute von sich gab. Tränen liefen ihr über das Gesicht.

„Mein Herr“, sagte der Bucklige und stieß die Frau zu Boden. „Ihr habt nach einer Gefangenen gefragt?“

Ein gemeines Lächeln erschien auf dem verunstalteten Gesicht und der Mann nickte. Er stellte die Schale auf dem Boden und trat zu der Frau, welche ihn mit tränenverschmierten Gesicht anstarrte. Sie wollte zurückweichen, doch der Bucklige stand hinter ihr und stieß sie wieder nach vorn. Sie verlor das Gleichgewicht und fiel auf dem Boden.

Der Mann ergriff sie hart an den Haaren und zehrte sie hoch. Wieder drang ein unverständlicher Laut aus der Frau und sie wollte sich wehren, doch der Griff war hart und unnachgiebig. Der Mann beugte sich vor, fuhr mit der anderen Hand sanft über ihre Wange und flüsterte leise. „Scht…scht… alles wird gut. Du brauchst keine Angst zu haben.“

Seine Stimme klang samtig und beruhigend. Er streckte dann seine freie Hand aus und der Bucklige legte einen Dolch in dieser.

Die Frau sah dies und riss ihre Augen noch weiter auf.

Der Bucklige ergriff vorsichtig die Schale und stellte sie unter dem Kopf der Frau.

Mit einem kalten Lächeln und rascher Bewegung, schnitt der Mann die Kehle der Frau auf. Er hielt sie so, dass sich das Blut strömend in die Schale ergoss. Als diese voll war, schleuderte er die leblose Frau weg und nahm die Schale vorsichtig in die Hände. Ohne auf die Tote oder auf dem Bucklige zu achten, trat er an den Altar und stellte das Gefäß an seine alte Stelle. Sofort begann das Blut zu leuchten und das Leuchten ging auf dem Altar über.

Zufrieden betrachtete der Mann sein Wirken, ehe er sich abwandte. Sein Gesicht verzog sich angewidert als er das restliche Blut auf dem Boden sah. Er warf einen scharfen Blick zu seinen Diener.

„Mach hier sauber!“

Der Bucklige nickte, beugte sich zu der toten Frau hinunter und achtete nicht auf seinen Meister, der durch einen Luftwirbel verschwand.

 

***

 

Mithilfe der grauen Masse erreichte der Mann mit der Echse das Grundstück von Dracheim und trat aus der dieser. Er betrat eine grüne Wiese und sah zum Himmel auf. Der Mond stand hoch am Firmament und ließ die Nacht in ein schwaches Licht erscheinen. Der Mann wandte sich ab und ging mit festen Schritten in Richtung des Schlosses, dass sich einige hundert Meter entfernt in die Luft erhob. Er brauchte nicht lange zu gehen, um aufgeregte Stimmen zu vernehmen.

Da scheint etwas passiert zu sein, sagte die Echse in seinen Gedanken und der Mann stimmte ihr zu.

Der Meister hat ja gesagt, dass er für eine Ablenkung sorgen wollte. Ich nehme an, dass es sich hierbei um dieser handelt.

Der Mann ging weiter und sah wenig später von weiten zwei Personen, die aufgeregt umher rannten. Er gab sich nicht die Mühe, sich zu verstecken, sondern trat offen auf diese zu, wobei er ein verwirrtes Gesicht aufsetzte.

„Was ist hier passiert, Seith Razoreth“, fragte er einen älteren Mann, sah dabei jedoch die Frau an, die bei ihm stand. Ihr liefen Tränen über das Gesicht und Sorge stand in ihren Augen.

„Die Eier sind weg oder zerstört“, antworte Razoreth und warf einen mitleidigen Blick zu der Frau. „Seithà Orona hat dies vor knapp einer halben Stunde gemerkt. Niemand hat etwas gesehen.“ Der Mann riss die Arme hoch. „Keiner hat auch nur eine Ahnung, wie Diebe hierher kommen konnten!“

Der Mann mit der Echse sah zu der Frau. Diese nickte.

„Ja. Alle Eier sind zerstört und drei fehlen…die waren kurz  vor dem Schlüpfen“, presste die Frau weinerlich hervor und schniefte. „Ich versteh das nicht. Die Schutzbanne hätten uns warnen müssen.“

Nicht, wenn unser Meister dahinter steckt ertönte die Stimme der Echse in den Gedanken des Mannes. Dieser gab ihr schweigend recht und legte tröstend einen Arm um die Schulter von Orona. „Mach dir keine Vorwürfe, Seithà Orona. Niemand hätte ahnen können, dass so etwas kurz vor dem neuen Schuljahr passieren würde. Ich nehme an, dass die Wächter schon Bescheid wissen“, wandte er sich fragend an Razoreth. Dieser nickte. „Siehst du, Seithà Orona. Die Wächter werden eine Spur zu den Dieben finden und die Eier sicher zurückbringen.“

Die Frau sah ihn zweifelnd an, ehe sie leicht nickte. „Hoffentlich bevor sie schlüpfen.“

1. Kapitel

Der letzte Schultag! Der wohl schönste und am meisten herbeigesehnte Tag den es auf Erden gab. Der Tag, an ein langes langweiliges Schuljahr endete und der Tag, der die Sommerferien einläutete. Eine Zeit, die sechs volle Wochen anhielt und in der man nicht von Lehrern, Noten und Schulpflicht geplagt wurde. Der Tag, an dem man morgens freiwillig aufstand und sogar mit Freude in die Schule ging.

So war es jedenfalls bei mir.

Ich liebte den letzten Tag eines Schuljahres und konnte es nicht erwarten, dass er schnell enden würde. Ich erschien sogar pünktlich im Klassenraum. Dies lag aber daran, dass wir einen Film in den ersten beiden Stunden angeschaut hatten. Würde ja auch nicht viel bringen, wenn wir die letzten zwei Geschichtsstunden des Jahres mit Lehrstoff verbringen würden. Herr Sansot hatte genauso wenig Lust darauf wie wir, sodass er letzte Woche gesagt hatte, dass wir einen Film ansehen werden. Wenn ich allerdings gewusst hätte, dass es sich hierbei um einen Dokumentarfilm über die Französische Revolution handelte, wäre ich wohl heute auch erst nach dem Stundenklingeln gekommen. Aber leider konnte man nicht alles haben. Ich versuchte mir die Stimmung nicht kaputt zu machen und nutzte die zwei Stunden mich mit meiner besten Freundin Christin zu beratschlagen, was wir im Sommer so alles machen wollten. Sie interessierte sich auch nicht für die Revolution, sodass wir nur mit einem halben Ohr zuhörten und leise flüsternd Vorschläge machten.

Die nächste Stunde war Geographie, wo die Lehrerin ein lockeres Quizz alà „Wer wird Millionär“ machte. Ich beteiligte mich nicht daran, sondern sonnte mich in der Vorstellung, dass in zwei Stunden die Schule aus und ich endlich frei war.

Der letzte Schultag! Der beste Tag des ganzen Jahres. Na gut, Weihnachten und Geburtstag ausgenommen.

Dass dieser Tag jedoch auch seine Schattenseite besaß, versuchte ich die ersten vier Schulstunden zu ignorieren. Ich wusste, dass die fünfte Stunde wohl die schlimmste Stunde im ganzen Jahr war. Gut, das ist jetzt vielleicht verwirrend. Der Tag an sich, war der beste, denn er kündigte das Ende des Schuljahres an. Die letzte Stunde in der Schule jedoch war die schlimmste, weil wir in dieser diesen dämlichen Wisch namens Zeugnis bekommen. Ein Zettel auf den ich wirklich verzichten konnte!

Die Stunde der Ausgabe rückte näher und als es soweit war, war meine gute Laune mit einem Schlag wie weggewaschen. Missmutig setzte ich mich an meinen Platz in der hintersten Reihe genau am Fenster, nahm am Rande wahr, wie Christin sich neben mich setzte und begann auf dem Tisch mit dem rechten Zeigefinger zu klopfen. Christin warf mir einen amüsierten Blick zu.

„Deine Laune hat sich aber schnell geändert!“

Ich nickte und stöhnte leise auf. „Ist doch kein Wunder…das letzte was ich heute gebrauchen kann ist, dass mir die werte Dame Hauffer sagt, dass ich nichts im Kopf habe.“ Ich ließ das Klopfen und sah zu Christin. „Das weiß ich selber und brauche nicht ihre Meinung dazu. Ich meine, so oft wie sie es mir schon gesagt hat, müsste ich es doch schon selber wissen, oder Chris?“

Wie erwartet grinste mich meine Freundin an und nickte. Sie wollte noch etwas sagen, aber in den Moment ertönte die Klingel und Frau Hauffer betrat das Klassenzimmer.

Meine Laune wurde noch  niedriger als ich sie erblickte. Frau Hannelore Hauffer war seit der fünften Klasse meine Klassenlehrerin und irgendwie konnte ich sie schon damals nicht leiden. Vielleicht lag es daran, dass ich im Unterricht kaum aufpasste, dass ich oft zu spät kam und meine Lernmotivation offen zeigte: nämlich, dass ich keine besaß. Sie hatte schon oft bei mir Zuhause angerufen und viermal in den fünf Jahren mussten meine Mutter und ich bei ihr antanzen. Das Ergebnis war, dass meine Mutter wütend auf mich wurde und ich Hausarrest, Fernsehverbot und andere Bestrafungen bekam. Geholfen haben diese allerdings nicht. Die Fächer Englisch und Deutsch, welche Frau Hauffer unterrichtete, waren meine Hassfächer und dabei kann ich nicht sagen, ob es an der Frau oder an dem Stoff lag.

Mit nur einen halben Ohr hörte ich die Worte von Frau Hauffer zu, während ich aus dem Fenster schaute. Draußen war ein herrliches Wetter! Die Sonne schien, es war warm und keine einzige Wolke war am Firmament zu sehen. Viel versprechender konnte das Wetter nicht sein. Gelangweilt sah ich kurz nach vorne, sah, dass der Schüler Matthias Andrecht aufgerufen wurde. Ich würde demzufolge erst die fünfte Person sein, die aufgerufen werden würde.

Chris kritzelte etwas auf einem Stück Papier und schob es mir zu, sodass das Wetter meine komplette Aufmerksamkeit verlor. Ich nahm den Zettel.

>Lust heute Nachmittag etwas zu unternehmen?<

Ich nickte. >Klar. Sag wann und wo. Ich bin dabei.<

Die Tatsache, dass Mutter mir verbieten könnte, heute Nachmittag raus zu gehen, ignorierte ich. Ich wusste jetzt schon, dass sie nicht über meine Noten begeistert sein würde, jedoch hoffte ich, dass sie einsehen würde, dass es nichts brachte, wenn sie mir wieder Hausarrest aufbrummen wollte. Als ob ich in den Sommerferien lernen würde.

„Rosette N. Draconi-Shallan!“

Ich stöhnte innerlich auf. Die Frau war nun seit fünf Jahren meine Klassenlehrerin, da würde sie doch wohl mittlerweile wissen müssen, dass ich diesen Namen hasste. Sie wusste, dass ich mich nur mit Rose Shallan vorstellte und ich hasste es, wenn die anderen jedoch der Meinung waren, dass ich meinen vollständigen Namen achten sollte. Da konnte ich ja schon froh sein, dass die Schule nicht wusste, wofür das N. stand. Meine Eltern haben diese Abkürzung in meinen Namen bei meiner Geburt mit angegeben, aber wofür sie stand, nicht gesagt. Ich selber habe vor Jahren gefragt, wofür das N stand und danach sofort gewünscht, ich hätte es nicht getan. Das N stand für Nyandra! Mal ehrlich! Was ist das für ein Name: Rosette Nyandra Draconi Shallan! Das einzige, womit ich mich anfreunden konnte war der Nachname meines Vaters: Shallan, aber alles andere… Rosette war ja nun wirklich alt und eine Strafe. Das einzige gute war, dass die meisten mich Rose nannten. Selbst die Lehrer haben sich dies angewöhnt, da ich einfach nicht auf Rosette reagierte. Wer tat das schon freiwillig! Wenn man jedoch dachte, dass Rosette furchtbar war, dann kannte man noch nicht Nyandra. Nyandra! Bitte, was ist das denn für ein Name? Ist das überhaupt ein Name? Meine Mutter hatte vor Jahren gemeint, dass ich nach meiner Großmutter benannt worden war, wobei es sich dabei um die Mutter meiner Mutter gehandelt hatte, denn Vaters Mutter hieß Hildegard. Oma Hilde halt. Der Nachname meiner Mutter: Draconi war auch nicht besser.  Warum musste ich solche Namen haben!

„Rosette!“

„Jaja“, stöhnte ich und erhob mich. Ich warf Christin einen tödlichen Blick zu, als sie amüsiert grinste und ging dann nach vorne. Dort angekommen hielt ich meine rechte Hand auf, nahm das Zeugnis entgegen und drehte mich schon um, um wieder auf meinen Platz zu gehen, als mich Frau Hauffer zurückhielt.

„Rose…ich bitte dich nach der Stunde noch kurz hierzubleiben. Ich möchte mit dir reden.“ Ihre Stimme klang freundlich, hatte aber einen festen Unterton.

Das wurde ja noch besser! Das `ich aber nicht mit ihnen´ verkniff ich mir und schlurfte zu meinen Platz. Das Zeugnis legte ich in meine Zeugnismappe, ohne auch  nur einen Blick darauf zu werfen. Ich wusste, dass es schlecht war und musste meine miese Laune nicht noch verschlechtern. Der Tag, der letzte Schultag, der so schön angefangen hatte, wurde langsam zu einer Qual.

 

Nachdem nun auch endlich meine Freundin Christin Zuller ihr Zeugnis bekommen hatte und Frau Hauffer noch dies und das sagte, klingelte es. Das Klingeln war wie eine Erlösung. Ich stopfte die Mappe mit meinen Noten in den Rucksack und warf einen Blick zu Chris.

„Wartest du kurz vor der Tür? Hauffer will noch was sagen…nicht das es mich interessiert.“

Chris nickte, nahm ihren Rucksack und folgte den anderen Schülern, die dabei waren, dass  Zimmer zu verlassen. Alle waren fröhlich und lachten, denn für die nächsten sechs Wochen würden sie das Gebäude nicht mehr betreten müssen.

Ich wartete bis alle Schüler draußen waren und ging dann zum Lehrertisch.

Frau Hauffer steckte ihre Sachen in ihrer Tasche, doch als ich zu ihr trat, sah sie auf. Ihr Gesicht war streng. Na toll, sollte es jetzt noch eine Standpauke geben, bevor ich in die Freiheit entlassen werden würde?

„Rosette, du musst…“

„Rose“, unterbrach ich sie und dabei war es nicht einmal böse gemeint. Ich habe es mir einfach nur angewöhnt, jeden automatisch zu korrigieren, wenn man mich mit Rosette ansprach.

Frau Hauffer zog die Augenbrauen zusammen und verschränkte die Arme. „Rose“, sagte sie und betonte den Namen. „Hast du dir eigentlich mal Gedanken darüber gemacht, was du machen möchtest, wenn du mit der Schule fertig bist? Beziehungsweise, wenn du die zehnte Klasse fertig hast?“

Ich zuckte mit den Schultern. Über die Zukunft machte ich mir doch keine Gedanken. Erst recht nicht, was in einem Jahr war. Ich habe nun die neunte Klasse fertig und was nach der zehnten kommt, ist mir ehrlich gesagt egal. Wahrscheinlich noch zwei weitere Jahre, wenn es nach meiner Mutter ging.

„Also geplant ist das Abi“, sagte ich herausfordernd. Ich wusste schon lange, dass Frau Hauffer der Meinung war, dass ich die zehnte Klasse in der Realschule machen sollte, damit ich einen richtigen Abschluss habe.

„Abitur“, wiederholte sie und hob die Augenbrauen. „Wenn das so ist, solltest du dringend deine Lerneinstellung ändern, junge Dame. Du hast es gerade so geschafft, in die zehnte Klasse versetzt zu werden. Eine Fünf mehr und du hättest das Jahr nochmal machen müssen.“ Sie seufzte und sah plötzlich alt aus. „Du bist nicht dumm, Rose. Du bist einfach unmotiviert, faul und rebellisch!“

Wow! Das waren knallharte Fakten. So direkt war die Frau sehr selten. Andererseits hatte sie recht. Ich war wirklich faul, besaß keine Motivation und mochte es nicht, wenn mir jemand etwas vorschreiben wollte. Ich zuckte wieder die Schulter. „Ich habe doch die neunte Klasse geschafft. Die zehnte werde ich auch schaffen.“

Zweifel traten in den Augen meiner Lehrerin. Sie seufzte wieder. „Es geht nicht darum, dass du es schaffst, sondern darum, wie du es schaffst. Du wirst dir deine ganze Zukunft verbauen, wenn du deinen Abschluss gerade so schaffst. Wie schon gesagt, du bist nicht dumm. Es wäre wirklich schade. Du solltest dir vielleicht ein Beispiel an deiner Schwester nehmen.“

Das war das schlechteste was sie hätte sagen können. Ich konnte diese Worte einfach nicht mehr hören. `Ein Beispiel an deiner Schwester nehmen.´ Dass ich nicht lachte. Als ob ich so wie Anni sein wollte. Ich kniff die Augen zusammen, wandte mich ab und presste ein `Auf Wiedersehn` vor, obwohl ich auf ein Wiedersehn sehr gut verzichten konnte. Die schöne Ferienwünsche ignorierte ich gekonnt und als ich das Klassenzimmer verlassen hatte, rannte ich die zwei Treppen runter. Die Regel, die das Rennen verbat, ignorierte ich auch und als ich endlich das Schulhaus verließ, atmete ich auf.

Schnell warf ich einen Blick über den Platz vor der Schule, erkannte, dass Christin neben den Fahrradständer wartete und ging zu ihr.

„Na, was wollte die Hauffer von dir?“

Ich zog die Augenbrauen zusammen und blickte Chris an. Das war nichts neues, das sie sofort wissen wollte, was passiert war.

„Nichts besonderes…das alltägliche halt.“ Wir verließen den Platz vor der Schule und warteten an einer Ampel. „Meinte, dass ich aufpassen muss und dass ich knapp einer Ehrenrunde entgangen bin. Ach ja und dass ich motivierter und fleißiger sein soll. Mit anderen Worten, so wie immer.“

Chris kicherte. Sie kannte mich und wusste, dass solche Reden bei mir nichts nutzen. Christin Zuller und ich waren seit dem Kindergarten befreundet und diese Freundschaft ist in den Jahren immer enger geworden. Ich sagte ihr alles und sie mir. Wir hatten keine Geheimnisse. Selbst meinen seltsamen Mittelnamen wusste sie.

„Meinst du, dass du heute raus kannst, deine Mutter dein Zeugnis gesehen hat“, fragte Chris nach einiger Zeit und sah mich an. „Wenn nicht, dann sag Bescheid und ich komme zu dir.“

„Ach was. Was soll sie denn machen? Das Schuljahr ist eh um, die Noten stehen schon fest und ich bin in die zehnte versetzt worden. Mit anderen Worten, es gibt keinen Grund mir Hausarrest zu geben. Ich würde doch eh nicht heute oder morgen lernen.“

„Stimmt auch wieder.“

Wir erreichten einen Park und Chris schlug mir auf die Schulter. „Mach dir nichts draus. Deine Mutter wird dich schon nicht gleich umbringen.“

Ich schnaubte. Dies wusste ich und mir war auch die Reaktion meiner Mutter egal. Dass sie sich nicht freuen wird, ist mir bewusst. Da musste ich mir nicht den Kopf zerbrechen. Sollte sie doch das Zeugnis von Anni anschauen, dann würde ihre Laune wieder hoch sein.

Ich verabschiedete mich von Chris. Sie versprach mit eine SMS zu schreiben, wann und wo wir uns treffen wollten und bog dann in eine Straße ein. Ich blieb noch kurz stehen und sah ihr nach, ehe ich den Park betrat. Unser Haus lag am Stadtrand und dazu musste ich erst durch diesen Park gehen und dann auch noch mit dem Bus fahren. Dafür wohnten wir in einem eigenen Haus, das meinen Eltern gehörte. Chris selber wohnte in einer Fünfraumwohnung mit ihren Eltern und ihren jüngeren Bruder. Ich wusste, dass Chris neidisch auf mich deswegen war und konnte sie verstehen, wenn sie so oft wie möglich bei mir übernachten wollte. Mutter hatte nie etwas dagegen.

Seufzend lief ich den Weg durch den Park entlang. Ich hatte es nicht wirklich eilig nach Hause zukommen, denn ich wusste, dass es ein Donnerwetter wegen meinen Noten geben würde. Vielleicht hatte ich ja Glück und Anni war schon da. Dann könnten wir Mutter ihr Zeugnis zeigen und ihre Laune hoch schrauben, sodass sie nicht fiel, wenn sie meins sehen würde.

Plötzlich hörte ich ein Rascheln und blieb verwirrt stehen. Hoffentlich ist es jetzt nicht ein Hund, der der Meinung ist, dass ich ein Opfer war. Diese Erfahrung habe ich schon sehr oft gemacht. Es gibt nichts nervigeres als Hunde, die einen ankläffen und am liebsten einen auch anspringen würden. Da zog ich andere Tiere vor.

Ich sah mich genau in der Umgebung um. Nahe mir standen einige Bäume, ansonsten war rechts und links vom Weg nur Wiese. Die nächste Baumgruppe würde erst in fünfzig Meter wieder beginnen.

Wieder ein Rascheln.

Schnell wandte ich meinen Blick zu einer Gruppe von Büschen, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, dann Wacholder, und sah, wie sich einige Äste bewegten. Also Hund schied schon einmal aus, es sei denn es ist so kleiner Chihuahua.

Es raschelte erneut, die letzten Äste bogen sich zur Seite und hervor kam ein…

Ich riss überrascht meine Augen auf und starrte ungläubig auf das Tier vor mir. Unglauben kam in mir hoch. Vor mir stand eine kleine Echse…nicht so eine normale Eidechse, die es in freier Natur gab, sondern eine, die sonderbar aussah.

Die Echse war anderthalb mal so lang wie meine Handfläche, besaß vier kräftige Beine und einen Kopf, der viel zu groß für den Körper war. Von der Nase bis zur Stirn ragten kleine Stacheln hervor, welche sich auf dem Rücken fortsetzen. Auf jeder Seite des Rückens befanden sich kleine Auswülste bei denen ich das Gefühl hatte, dass sie pulsieren würden. Die Schuppen der Echse schillerten in verschiedenen Farben. Mal waren sie grün, dann hellblau und andermal silbrig.

Bekam ich nun Tagträume?

Ich schloss meine Augen, atmete tief durch und öffnete sie wieder in der Hoffnung, dass sich das Bild geändert hat. Leider verfüllte sich mein Wunsch nicht. Die Echse blieb wo sie war und verschwand nicht.

Als ich das Tier betrachtete, wünschte ich, dass es doch ein Hund war. Hunde konnte ich zwar nicht leiden, aber Echsen waren mir noch verhasster. Meine Mutter besaß ein Chamäleon als Haustier und ich hasste das Tier regelrecht. Wenn Mutter das Tier wie andere normale Menschen auch in ein Terrarium halten würde, wäre es ja noch in Ordnung. Aber nein, das Glas zum Terrarium stand immer angelweit offen, sodass Stan – unser Chamäleon im ganzen Haus frei rum spazieren konnte.

Plötzlich trat die Echse einige Schritte in meine Richtung, setzte sich hin, wobei es die Hinterbeine einknickte und reckte den Kopf in meine Richtung.

Ich zuckte zusammen.

Ich schwöre, dass das Vieh mich gerade fragend anschaute. So richtig mit Emotionen und nicht einfach so starr und stumm wie die meisten Tiere. Es blickte mich genau an und schien etwas zu wollen.

„Verschwinde“, rief ich und ging einige Schritte zurück. Das letzt was ich wollte, war eine Echse, die anhänglich werden würde. „Hau ab!“

Ich hob einen Stein vom Boden auf und warf ihn in Richtung der Echse. Er kam knapp neben dem Tier auf und es fauchte in seine Richtung. Die Stacheln auf seinen Rücken richteten sich auf, doch als es merkte, dass der Stein ruhig liegen blieb, senkten sich diese wieder.

Was für ein seltsames Tier.

Ich nahm einen weiteren Stein und warf noch einmal. Dieses Mal traf ich und mit einen leisen seltsamen Geräusch verschwand die Echse in dem Wacholder-Busch. Zufrieden starrte ich den Busch an, ehe ich mich weiter auf dem Weg machte, denn ich wollte nicht meinen Bus verpassen.

Ich verließ den Park, überquerte eine Straße und als ich gerade die Haltstelle erreichte, kam auch schon der Bus. Glücklicherweise fand ich einen Platz und als ich auf dem Weg nach Hause war, hatte ich die Echse auch schon vergessen.

 

Endlich zu Hause angekommen, schloss ich die Tür auf und trat ein. Ich zog meine Schuhe aus, stellte sie an die Wand und hängte meine Jacke an den Haken. Meine Laune war wieder am Boden, denn ich sah die Schuhe von Anni, meiner jüngeren Schwester. Auch wenn ich mir vorhin gewünscht hatte, dass sie schon da sei, fühle ich von dem Wunsch jetzt nichts mehr.

„Ich bin wieder da“, rief ich als ich den großen Flur betrat und aus meinen Rucksack die Zeugnismappe holte. Ich ging in die Küche, sah, dass meine Schwester sich gerade etwas in der Mikrowelle erhitzte und erkannte, dass auf dem Küchentisch schon ihr Zeugnis lag. Neugierig trat ich an den Tisch.

Wut und Erniedrigung durchfuhren mich als ich die Noten meiner Schwester betrachtete. Ihr Durchschnitt des Zeugnisses war 1,4 und ihre Beurteil war tadellos. Hätte ich denken können! Annika Z. Draconi Shallan war nun mal die Streberin und ihre Noten spiegelten dies wieder. Sie war der Liebling aller Lehrer und jeder meinte, ich sollte mir ein Beispiel an ihr nehmen. Das ich nicht lache!

„Oh…du bist auch schon da“, sagte ich und warf meine Mappe auf dem Tisch. „Ist Ma auch da?“

Anni stellte die Zeit in der Mikrowelle, ehe sie sich zu mir umdrehte und mich betrachtete. Ein kurzer Blick fiel auf meine Mappe, ehe sie den Kopf schüttelte.

„Nein, Ma ist einkaufen.“ Sie zeigte auf meine Mappe. „Und wie ist es bei dir ausgefallen?“

Für diese Frage hätte ich Anni am liebsten eine gescheuert. Sie wusste genau, wie meine Noten waren und auch, dass ich nur knapp versetzt wurde. Wieso musste sie dies auch noch fragen. Ich warf einen giftigen Blick zu ihr und trat an den Herd, um zu schauen, was Ma heute gekocht hat.

Anni schien von meiner fehlenden Antwort nicht überrascht zu sein. Sie wandte sich wieder der Mikrowelle zu und als diese ein lautes „Ping“ von sich gab, öffnete sie diese und holte ihren Teller hervor. Zum Mittag gab es eine Fadennudelsuppe. Da hatte Mutter sich ja große Arbeit bei dem Essen machen gegeben. Meine Schwester ging zum Tisch, stellte ihren Teller ab und schob meine Mappe beiseite, um diese nicht ausversehen zu verschmutzen. Dann setzte sie sich an den Tisch, aß aber nicht. Stattdessen blickte sie mich an.

„Du weist schon, dass Ma enttäuscht sein wird?“

Ich funkelte sie an und stellte meinen Teller in die Mikrowelle.

„Du hast Ma hoch und heilig versprochen, dass du einen 3 Komma Durchschnitt machen willst. Sie wird maßlos enttäuscht sein, wenn sie liest, dass du die neunte Klasse gerade so geschafft hast.“ Anni legte ihren Kopf schräg und ihre Augen verengten sich. Das tat sie immer, wenn sie nachdachte. „Mal ehrlich, ich verstehe dich nicht, Rose. Wieso kannst du nicht mal etwas mehr für die Schule machen. Du verbaust dir deine ganze Zukunft!“

Na toll! Es ist schon schlimm genug, dass ich mir dies von der Hauffer anhören muss, aber dass dies nun auch noch meine eigene Schwester von sich gibt. Das war die Höhe.

„Was kümmert es dich“, fuhr ich Anni an und verschränkte die Arme. Das „Ping“ der Mikrowelle ignorierte ich. „Kümmere dich um deine eigene Zukunft, Streberin!“

Ich konnte sehen, dass diese Anrede meine Schwester verletzte. Sie zuckte leicht zusammen und blickte auf ihren Teller.

Schweigen breitete sich aus.

Gut, vielleicht war dies nicht nett von mir gewesen, aber es regte mich tierisch auf, wenn Anni mir sagt, dass ich mehr für die Schule machen soll.  Nur weil es ihr leicht fiel, sie immer gute Noten bekam und der Liebling der Lehrer war, hieß das noch lange nicht, dass es für mich auch galt. Ich war nun mal ein hoffnungsloser Fall und hasste es, dass jeder mich will, mehr zu lernen. Ein Glück, dass Chris nicht so ist.

„Bei mir fällt es nicht alles in den Schoß, Anni“, fuhr ich fort und drehte mich zur Mikrowelle um, um mein Essen herauszuholen. „Ich kann so viel lernen wie ich möchte, es hilft letztendlich dennoch nichts…also mache ich nicht viel und genieße lieber das Leben!“

Anni sah vom Essen auf.

„Genießen? Wie stellst du dir deine Zukunft vor, Rose? Ma hat recht, dass du es später schwer haben wirst, wenn du nicht wenigsten etwas mehr machst.“ Sie zeigte mit dem Löffel zu meiner Mappe. „Ma wird wütend werden, ob es dir gefällt oder nicht!“

Ich musste mich beherrschen den Teller nicht zu Boden zu schmeißen und stellte ihn auf dem Tisch. Meine Wut auf Anni wurde großer. Immer gab es nur ein Thema in der Familie: Noten. Langsam hielt ich das nicht mehr aus.

„Wenn sie wütend wird, werde ich verschwinden“, presste ich hervor und mir wurde bewusst, dass ich es ernst meinte. Wenn Ma heute wieder so einen Aufstand machen würde, wie letztes Halbjahr, würde ich meine Sachen packen und einfach verschwinden. Und zwar auf nimmer und wiedersehn!

Anni sah mich zweifelnd an. Mir war klar, dass sie mir nicht glaubte.

„Du sollest nicht so leichtfertig darüber reden“, sagte sie und konzentrierte sich darauf, eine Nudel auf ihren Löffel zu halten. Diese rutschte immer wieder vom Besteck runter.

„Ich meine es ernst, Anni“, erwiderte ich und wurde ungewollt lauter. Meine Wut suchte einen Weg nach draußen. „Ein einziges Wort von Ma, das darauf hindeutet, dass sie wütend über mein Zeugnis ist und ich packe meine Klamotten. Überall ist es besser als hier!“

Anni gab es auf, die eine Nudel verspeisen zu wollen und sah mich an. Neben den Zweifeln schlich sich Unsicherheit in ihren Blick. „Das meinst du nicht ernst. Wovon willst du denn bitte schön leben? Außerdem meint es Ma doch nur gut mit dir…sie hat sogar mal überlegt, ob sie dich vielleicht in den Internat bringt, damit du besser lernen kannst, um wenigsten einen akzeptablen Abschluss zu machen.“

Ich starrte meine jüngere Schwester an und versuchte so etwas wie Spott oder Belustigung zu finden. Irgendetwas, was mir zeigte, dass sie nur Spaß machte. Dass ihre Worte nicht ernst gemeint waren. Doch der Blick in ihren Augen zeigte Ehrlichkeit. Kälte durchfuhr mich. Konnte es wirklich stimmen, dass Ma mich in ein Internat stecken will? Zutrauen würde ich es ihr. Ja, je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer wurde ich, dass sie dies wirklich zustande bringen würde.

„Nein!“ Obwohl ich wusste, dass Anni nichts dafür konnte, fuhr ich sie an und sprang vom Stuhl auf. „Wenn sie dies macht, werde ich erst recht abhauen!...Das…das ist alles deine Schuld! Wenn du nicht so ein Streber wärst, würde Ma nicht denken, dass ich ein Versager bin…verdammt Anni! Ich hasse dich wirklich in solchen Momenten!“

Ich sah den Schmerz in Annis Augen, doch kümmerte mich nicht darum. Ich ließ mein Essen stehen und verließ die Küche. Ich rannte die Treppe zu meinem Zimmer hinauf und schmiss die Tür hinter mir zu. Die Drohung, dass ich in ein Internat gesteckt werden würde, saß tief und plötzlich stieg Angst in mir auf. Würde Ma dies wirklich machen?

Ich legte mich auf das Bett und starrte die Zimmerdecke an. Der Gedanke war mir nie gekommen, dass meine Mutter mich in ein Internat abschieben würde. Ich wusste, dass es ihr wichtig war, dass meine Noten gut sind, aber das sie so weit gehen würde….dass hätte ich nicht gedacht. Wieder durchfuhr mich Wut. Wut auf meine kleine Schwester, die im Grunde genommen nichts dafür konnte. Ich wusste, dass die Schuld bei mir lag. Doch es war schon immer einfacher, die Schuld anderen zu geben, sodass ich jetzt einfach nur wütend auf Anni war. Wenn ihre Noten nicht so gut wären…wenn sie nicht die perfekte Schülerin wäre, würde Ma nicht denken, dass ich eine Versagerin wäre.

Schritte ertönten und kurz darauf klopfte es leise an der Tür.

„Rose?“

Annis Stimme klang leise und fragend.

Meine Wut auf ihr wurde größer. Das fehlte mir noch, wenn sie jetzt kam um sich zu entschuldigen. Das würde Anni ähnlich sehen. Immer darauf bedacht, Frieden mit allen und jeden zu halten.

„Verschwinde!“ Ich warf ein Kissen an meine Tür. „Lass mich in Frieden! Geh lernen…darin bist du doch gut.“

„Bitte!“ Ein flehender Ton schwang in ihrer Stimme mit. „Darf ich reinkommen?“

Ich atmete tief durch. Ich weis, dass es Anni wichtig war, dass wir Frieden miteinander halten. Immerhin waren wir Geschwister und früher hatten wir ein sehr gutes Verhältnis. Früher, als meine Noten noch akzeptabel waren und ihre nicht so perfekt. Ich dachte an die Zeit zurück. An die Zeit, wo wir zusammen gelacht, Ma Streiche gespielt und Ausflüge unternommen hatten. Eine schöne Zeit war es gewesen. Heute war es nicht mehr so.

„Rose?“

Normalerweise würde ich bei diesem leisen zögernden Ton immer weich, doch jetzt war es nicht so. Jetzt war ich immer noch wütend auf sie und ich wusste, dass sie recht hatte, dass Ma wütend wegen meinen Noten werden würde. Und daran gab ich nur Anni die Schuld.

„Ich sagte, du sollst verschwinden!“

Obwohl ich es nicht sehen konnte, wusste ich, dass ein verletzter und trauriger Blick in Annis Augen bei meinen Worten trat. Kurz darauf konnte ich hören, wie sie ging und war erleichtert, dass sie nicht beschlossen hat, mich weiter zu nerven.

Ich erhob mich vom Bett und ging zu meinen Schreibtisch. Auf diesen lagen ein paar Schulbücher, welche ich kurzerhand auf dem Boden schob und wollte ein Blatt Papier holen, als mein Handy kurz piepte. Das Wissen, dass Chris mir Bescheid sagen wollte, wann und wo wir uns treffen, trat in meinen Gedanken und ich blickte auf dem Display. Zu meiner Überraschung jedoch war keine SMS von meiner Freundin eingegangen, sondern von meiner Ma. Misstraurig öffnete ich diese.

>Bist du schon da? Wenn ja, schau bitte nach, ob wir noch Milch haben. Wenn ja, wie viel? Grüße Mutti<

Ich starrte auf die Nachricht. Ich brauchte erst eine Weile um mich zu erinnern, dass sie einkaufen gegangen war und wahrscheinlich nun vergessen hatte, nachzuschauen, ob wir genug Milch hatten. Ich starrte auf das leere Blatt, ehe ich die Schulter zuckte und mein Zimmer verließ. Ich ging die Treppe runter, sah, dass Anni im Wohnzimmer war und suchte die Tür zum Keller auf. Unten im Speisezimmer überprüfte ich unseren Vorrat an Produkte von der Kuh. Schnell hatte ich die Antwort auf die Frage und schrieb ihr zurück.

>3 Stück.<

Vielleicht hätte ich mehr schreiben sollen, aber dazu ich hatte dazu keine Lust. Das Wissen, dass sie mir wieder mal eine Standpauke halten würde, war allgegenwärtig.

Wieder ein Piepen des Handys. Dieses Mal war es von Chris.

>Hey! Lebst du noch? Heute um 16 am Stadtbrunnen?<

>Klaro!<

Ich sah auf die Uhr. Es war gerade erst halb drei. Mit dem Bus brauchte ich ungefähr eine halbe Stunde bis zum Park und von dort aus waren es nur noch zehn Minuten. Ich hatte also genügend Zeit. Andererseits wusste Chris, dass ich auf die Verkehrsmittel angewiesen war, sodass es mich nicht wunderte, dass sie mir genügend Zeit gab.

Ich verließ den Keller und blieb an der Tür zum Wohnzimmer stehen. Ich sah, dass Anni sich gerade an dem Klavier setzen wollte und rührte mich nicht. Anni konnte sehr gut spielen. Ich selber hatte auch vor Jahren Unterricht genommen, aber seit zwei Jahren spielte ich nicht mehr. Ma meinte, dass ich die Zeit lieber für das Lernen verwenden sollte…was ja auch nicht viel gebracht hatte.

Das erste Lied, was meine Schwester spielte, war eins von Mozart. Den Titel kann ich jetzt nicht auf Anhieb sagen, aber es war ein schönes Lied. Anni hatte Talent dafür, dass musste selbst ich zugeben.

Als sie fertig war, sah sie zur Tür, sah mich und sie stockte. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch ich kam ihr zuvor.

„Ich werde verschwinden…zu Chris. Sag Ma, dass ich abends irgendwann wieder da sein werde.“

Es war leicht zu erkennen, dass sie etwas erwidern wollte, wie `du solltest warten bis Ma wieder da ist´ oder `du ziehst damit die Konfrontation nur weiter hinaus´ oder `Ma wird es nicht gefallen, wenn du weg bist, ehe sie da ist´. Ich mir sogar sehr sicher, dass diese Worte durch ihren Kopf gingen, doch zu meiner Überraschung nickte sie nur.

Mir sollte es recht sein. Auf ein weiteres Gespräch, das sowieso in einen Streit enden würde, hatte ich keine Lust. 

Ich ging wieder in mein Zimmer und zog mich um. Ich hatte zwar keine Ahnung, was Chris und ich unternehmen werden, aber ich wollte lockere Kleidung anziehen. Da es draußen warm war und es auch nicht nach Regen aussah, zog ich ein älteres T-Shirt, dessen ursprüngliche Farbe nicht mehr zu erkennen war und eine Jeans, die schon zwei Flicken besaß, aber noch passend passte, an.

In einem kleineren Rucksack steckte ich meine Brieftasche und stieg die Treppen hinrunter. Ich hörte, dass Anni immer noch Klavierspielte, sodass ich  das Haus verließ ohne mich zu verabschieden. Anni habe ich sagt, dass ich zu Chris wollte, sodass ich mich nicht nun auch noch verabschieden muss. Ich schloss die Haustür hinter mir und als ich in den Garten trat überkam mich ein seltsames Gefühl. Ich wusste nicht wieso, aber ich hatte das Gefühl, dass heute noch etwas passieren würde.

2. Kapitel

Vierzig Minuten später stand ich wieder vor dem Parkeingang und sah auf die Uhr. Es war grad zehn Minuten vor halb vier, sodass ich noch vierzig Minuten Zeit hatte, ehe ich mich mit Chris treffen würde. Währenddessen war wieder eine SMS vom meiner Ma eingetroffen, doch vorsichtshalber öffnete ich diese nicht. Ich ahnte, dass sie wieder daheim war und nun wollte, dass ich nachhause kommen würde. Um mit mir über meine ach so guten Noten zu sprechen. Kurz darauf kam wieder eine Nachricht von Ma und als sie sogar mich anrufen wollte, drückte ich sie weg. Mir war bewusst, dass ich dadurch alles schlimmer machte, aber ich wollte den Nachmittag in Ruhe mit Chris verbringen. Sozusagen das Streitgespräch so weit wie möglich nach hinten zu verschieben.

Ich betrat den Park und nahm den langen Weg durch diesen, da ich ja genügend Zeit hatte bis ich am Stadtbrunnen sein musste. Ich genoss die Wärme auf meinem Gesicht und fragte mich, wie Chris Eltern auf ihre Noten reagiert hatten. Bestimmt besser als wie es meine Ma machen würde. Gedankenverloren erreichte ich plötzlich die Stelle, wo ich um die Mittagszeit diese seltsame Echse getroffen hatte. Mir fiel das Tier auch erst wieder ein als ich vor dem Wacholder-Busch stand.

Ich fragte mich, wo es sich gerade aufhalten mochte als ich ein bekanntes Rascheln vernahm und ehe ich überhaupt reagieren konnte, stand wieder die kleine Echse vor mir und sah mich mit leuchtenden gelben Augen an. Wieder erinnerte es mich an das Chamäleon meiner Ma und Wut kam in mir auf. Es war zwar nicht fair gegenüber diese fremde Echse, aber ich konnte meine Gefühle nicht ändern. Ich verglich alle Echsen mit Stan und da ich Stan regelrecht hasste, machte es dies nicht einfacher.

Die Echse war schön, schillerte wieder in vielen Farben und normalerweise würde ich es wohl faszinierend finden, dass sich solch eine Echse im Stadtpark sich befindet…normalerweise.

Ich wandte mich ab und lief den Weg wieder entlang, als ich merkte, dass das Rascheln mich folgte. Ich stöhnte leise auf. Folgte mir die Echse etwa?

Ein Blick hinter meine Schulter bestätigte meine Annahme. Das Tier folgte mir tatsächlich. Es tapste in ein fünf Meter Abstand hinter mir hier und blieb stehen als ich stehen blieb.

„Hau ab! Ich brauch dich nicht!“

Ich bückte mich, um einen Stein zu heben, doch ehe ich mich versah, stupste die Echse meine Hand an. Ein schwacher elektrischer Schlag ging durch meine Hand und ich stolperte zurück, sodass ich mit dem Po auf dem Boden fiel. Fassungslos sah ich meine Hand an und wandte dann meinen Blick zu der Echse, die mich aufmerksam betrachtete.

Es war nicht das erste Mal, dass mich ein kleiner elektrischer Schlag durchfuhr, aber meistens geschah es, wenn ich statisch aufgeladene Kleidungstücke oder andere Personen berührte. Ich konnte mir aber nicht vorstellen, dass die Echse statisch aufgeladen war.

Ein fiependes Geräusch trat an meine Ohren und ich konnte erkennen, dass die Echse mich wieder fragend ansah. Diese schien auf irgendetwas zu warten. Aber auf was?

„Du bist schon seltsam“, murmelte ich und sah mich um. Kein einziger Mensch befand sich zurzeit im Park. Ich war quasi alleine mit dem merkwürdigen Tier. Erleichterung durchfuhr mich. Dies bedeutete, dass  niemand gesehen hatte, wie ich auf meinem Hintern gefallen bin.

Wieder ein Fiepen und die Echse trat einen Schritt näher an mich heran.

„Bleib mir ja vom Leib“, zischte ich und rutschte auf dem Hintern etwas zurück. Mir wurde das Tier immer ungeheuerlicher. „Verschwinde und lass mich in Frieden.“ Auf einen erneuten fragenden Blick der Echse, fuhr ich fort. „Wir haben schon ein Chamäleon. Dieses besitzt ein sehr starkes Territorialverhalten. Es würde dich wohl mit einem Happs verschlingen. Deswegen geh einfach.“

Ich wedelte mit der rechten Hand und kam mir plötzlich sehr dumm vor. Redete ich gerade wirklich mit einer Echse?

Als ich wedelnd die Hand ausstreckte, schnellte die Echse vor und leckte – jawohl leckte – über meine Finger. Auf die Erwartung, dass wieder ein elektrischer Schlag mich durchführen würde, verzog ich das Gesicht, doch es geschah nichts. Verwirrt und nun auch etwas verängstigt, starrte ich das Tier an. Ich spannte mich an, als es näher kam und mit einem Sprung auf meiner Hand war. Seine kleinen Krallen stachen in meine Haut, aber es tat nicht weh. Vorsichtig krabbelte die Echse auf meinem rechten Arm hoch und als es meine Schulter erreicht hatte, leckte es über meine Wange.

Ein Gefühl von Ekel kam in mir auf und ich schüttelte den ganzen Arm in der Hoffnung, die Echse würde den Halt verlieren und auf dem Boden fallen. Leider erreichte ich nur, dass sie sich fester in den Stoff meines T-Shirts krallte.

„Verdammt! Hau ab!“

Als ich es mit der linken Hand von meiner Schulter stoßen wollte, fauchte die Echse, sodass ich vorsichtshalber diese Hand wieder aus die Reichweite des Tieres brachte. Panik stieg in mir auf. Ich habe noch nie davon gehört, dass Wildechsen jemanden ablecken oder auf dem Arm klettern. Gehörte diese Echse irgendjemand und ist ausgebücks?

Ich  legte meinen Kopf etwas schief und sah die Echse von schräg oben an.

Ihre Augen funkelten und sahen wieder fragend aus.

Verlor ich den Verstand, wenn ich nun sicher war, dass der Blick wirklich fragend aussah? Ich wusste es nicht, nur, dass mir dieser Gedanke nicht gefiel.

Wieder entrang den Tier ein fiependes Geräusch. Nun klag es fast hilflos. Es war so als wollte die Echse etwas von mir.

„Was willst du denn“, entfuhr es mir ungeduldig und hoffte, dass ich nicht zu spät zu Chris kommen würde. Ich beugte meinen Kopf etwas weiter vor, als plötzlich die Echse mit den Vorderpfoten auf meine Wange stieg. Erstarrt hielt ich inne. Ein Gefühl von Angst und Panik schoss in mir hoch und ich versuchte ein Zittern zu unterdrücken. Was war hier nur los?

In der Hoffnung, dass wenn ich mich nicht bewegen würde, die Echse mich auch nicht beißen würde, versuchte ich mich so wenig wie möglich zu rühren. Selbst das Zwinkern versuchte ich einzustellen, sodass nach kurzer Zeit meine Augen zu tränen begannen.

Dann hob die Echse ihren Kopf, ihre lange rötliche Zunge kam hervor und ehe ich überhaupt reagieren konnte, fuhr die Zunge über meine Augen.

Ein stechender greller Schmerz durchfuhr meinen Kopf und ich schrie auf. Ich presste meine Hände auf meine Augen, rieb sie, in der Hoffnung, dass der Schmerz vergehen würde, doch stattdessen wurde er einfach nur stärker. Er fraß sich regelrecht in meinen Kopf. So stellte ich mir vor, wenn jemand ein glühendes Eisen in meine Augen stechen würde. Der Schmerz breitete sich über mein ganzes Gesicht aus. Es schien zu brennen. Buchstäblich in Flammen zu stehen. Irgendwann hielt ich den Schmerz nicht mehr aus und fiel in eine tiefe Dunkelheit.

 

Leise Stimmen, die ich nicht verstand, durchdrangen die Finsternis um mich herum. Ich hörte diese, doch konnte sie nicht zuordnen. Ich verstand nicht einmal, was sie sagten, denn es war weder deutsch, englisch oder klang wie lateinisch.

Ich versuchte mich zu erinnern, wo ich mich befand, doch auch dies gestaltete sich als schwierig. Selbst als ich mich an das Datum erinnern wollte, gab es da nichts.

Was war passiert?

Erst als ich genauer nachdachte, spürte ich, wie etwas nasses Feuchtes auf meiner Stirn lag und nasse Bahnen über mein Gesicht zog. Dieses schien zu kribbeln und zu jucken. So als hätten mich unzählige Mücken gestochen. Es war überhaupt kein angenehmes Gefühl.

Wieder hörte ich diese Stimmen. Sie klangen ganz leise, aber auch bestimmt. Es schien so als würden sich welche streiten. Eine männliche Stimme klang ganz wütend, woraufhin eine helle weibliche Stimme etwas genervt erwiderte. Eine andere Frauenstimme mischte sich ein und sie klang ernst und bestimmt, woraufhin die männliche Stimme wieder wütend etwas sagte.

Je länger ich dem Kauderwelsch zuhörte desto sicherer wurde ich mir, dass ich die Sprache nicht kannte. Sie klang auch nicht ähnlich anderer Sprachen, die ich mal so gehört hatte, sodass ich diese überhaupt nicht einordnen konnte.

Träge Angst machte sich in mir breit. Hatte man mich entführt?

Krampfhaft versuchte ich mich zu erinnern, was passiert war. Kurzzeigt erschien der Begriff `Zeugnis` in meinen Gedanken, doch ich konnte nichts damit anfangen. Hatte ich mein Zeugnis bekommen? Oder war die Ausgabe erst morgen? Ich wusste es nicht.

Ein Gefühl von Hilflosigkeit machte sich in mir breit. Hatte ich alles vergessen? Schnell dachte ich darüber nach, wie ich hieß und war erleichtert, dass mir mein Name sofort einfiel: Rosette Nyandra Draconi-Shallan. Ich war so sehr erleichtert, dass ich sogar vergaß, dass ich diesen Namen eigentlich hasste. Jetzt war es der schönste Name, den ich überhaupt haben konnte.

In der Ferne drang plötzlich das Schlagen einer Turmuhr in meine Gedanken und automatisch zählte ich mit. Eins – zwei – drei – vier – fünf – sechs – sieben – acht…Acht Schläge. Irgendwie wusste ich, dass es acht Uhr nachmittags war, beziehungsweise abends.

Plötzlich erinnerte ich mich. Ich wusste, dass heute der letzte Schultag war, dass meine Noten wieder schlecht ausgefallen waren und dass ich das Haus verlassen hatte, um mich mit Chris zu treffen. Chris! Sie wartete bestimmt schon auf mich.

Mit dieser Erkenntnis riss ich meine Augen auf und richtete mich auf.

Greller scharfer Schmerz durchfuhr mein Gesicht und meine Augen brüllten gepeinigt auf.

Ich schrie, schloss sie wieder und spürte wie mich jemand auf dem Boden zurück drückte. Angst kam in mir auf und vermischt mit den Schmerzen, ahnte ich, dass ich kurz vor einer Panik war. Ich versuchte mich gegen den Druck zu wehren, doch die Schmerzen füllten meinen ganzen Kopf aus, sodass ich den Kampf verlor und kurz darauf wieder auf dem Boden lag.

Irgendeine Frau sagte etwas und es klang beruhigend, doch dies nahm ich nur am Rande wahr. Ich selber dachte nur daran, dass mir alles weh tat und dass Fremde um mich herum waren. Dass ich ihnen hilflos ausgeliefert war.

Als der Druck auf meiner Brust verschwand war mein erster Gedanke, mich wieder aufzurichten und wegzulaufen. Dummerweise erinnerten mich die Schmerzen, dass ich meine Augen wahrscheinlich nicht öffnen konnte, sodass dieses Vorhaben wohl nicht gelingen würde.

Mein Herz schlug immer heftiger und trotz, dass ich versuchte mich zu beruhigen, ahnte ich, dass ich den Kampf gegen die Panik verlieren würde.

„Du brauchst keine Angst zu haben“, ertönte eine sanfte Stimme an meinem rechten Ohr. Sie besaß einen seltsamen Akzent und klang hell. Sie schien Ruhe auszustrahlen.

Jedoch erreichte mich diese nicht.

Ich riss wieder meine Augen auf, doch auch dieses Mal heulten sie protestierend auf. Ich schloss sie wieder und merkte erst jetzt, dass Tränen über mein Gesicht flossen.

„Nicht doch…du musst deine Augen noch geschlossen halten, Kindchen.“

Was für ein Rat! Darauf wäre ich selber nicht gekommen. Doch die Wut flackerte nur kurz auf. So wie eine Flamme inmitten eines Regens. Angst, Schmerzen und Panik waren gegenwärtiger.

Wieder ertönte die männliche Stimme und sie klang abermals wütend. Die erste Frau erwiderte etwas, dass anhand ihres Tons nicht jugendfrei klang. Jedenfalls vermutete ich dies, denn ich verstand sie immer noch nicht.

Sac`het! Könnt ihr euch einmal nicht streiten? Das wird langsam nervend“, ertönte wieder die sanfte Stimme, nur dass sie dieses Mal genervt klang. Dann drang ein Rascheln an meine Ohren und kurz darauf spürte ich, wie jemand meinen Kopf anhob. „Hier. Trink das. Das wird helfen, deine Schmerzen zu bannen.“

Alles in mir schrie danach, der Forderung nicht nachzukommen. Doch eine kleine feine Stimme in meinen Hinterkopf sehnte sich danach, dass die Schmerzen aufhören würden und flehte mich an, der Aufforderung nachzukommen. Meine Entscheidung wurde mir abgenommen, denn als ich spürte, dass etwas an meinen Mund gehalten wurde, öffnete ich diesen automatisch und eine kühle Flüssigkeit drang in meinen Mund. Sie schmeckte scheußlich und brannte auf meiner Zunge. Ich wollte diese ausspucken, doch jemand hielt mir meinen Mund zu, sodass mir nichts anderes übrigblieb als zu schlucken. Ich spürte, wie das kühle Nass durch meine Speiseröhre in meinen Magen glitt und von dort breitet sich die Kälte aus. Es war ein angenehmes Gefühl und als sie meinen Kopf erreichte, verschwand der Schmerz. Nicht abrupt, sondern langsam, aber es war dennoch wohltuend. Es vergingen nur sehr wenige Sekunden und alles war weg. Das Brennen in den Augen, das Stechend in meinen Gedanken.

Ich genoss es. Die Tatsache, dass fremde Personen um mich herum waren, vergaß ich für einige Zeit und fühlte mich einfach nur frei.

„Du kannst deine Augen jetzt öffnen.“

Wie mit einem Messer wurde das wohlige Gefühl um mich herum zerschnitten und mir wurde wieder bewusst, dass ich nicht wusste, wo ich war und wer um mich herum war. Vorsichtig öffnete ich die Augen und blickte in den Himmel. Dieser war dunkler geworden und mir kam ins Bewusstsein, dass es schon nach zwanzig Uhr war.

Ich richtete mich langsam auf und erstarrte.

Unglauben kam in mir hoch, während ich auf die wohl vier seltsamsten Personen blickte, die ich je in meinen ganzen Leben gesehen hatte. Kurzzeitig fragte ich mich, ob Fasching oder Halloween war, aber dann erinnerte ich mich, dass ich mein Zeugnis heute bekommen hatte. Demzufolge schieden diese beide Events aus. Dennoch musste hier in der Nähe eine Kostümpartie geben.

Wie schon fast erwartet war einer ein Mann und die anderen waren Frauen.

Der Mann trug ein zorniges Gesicht. Er hatte blonde kurze Haare und trug auf der Stirn ein Stirnband, welches smaragdgrün und mit verschiedenen hellgrünen Symbolen bedeckt war. Auch seine Kleidung war grünlich. Er schien so etwas wie eine Robe zu tragen und hatte einen dunkelgrünen Umhang, der samtig glänzte. Auf seiner linken Brust prangte ein Wappen, das ein Drache vor einer Flamme zeigte. Das wohl verrückteste jedoch waren seine Augen. Diese waren gelblich und die Pupille war nicht rund, sondern oval…wie bei manchen Tieren. Es war beängstigend.

Die Frauen sahen unterschiedlich aus. Das einzige, was sie gemeinsam hatten, war, dass auch ihre Augen gelblich schimmerten und sie eine ovale Pupille besaßen.

Die Frau, die an meiner rechten Seite hockte, hatte langes blondes Haar, das leicht bläulich schimmerte und unter ihren Haaren ragten zwei spitze – jawohl spitze – Ohren hervor. Ihr Gesicht war ganz glatt und sah jung aus. Sehr im Gegensatz zu der Tiefe in ihren Augen. Sie trug weiße Kleidung, die mich sehr an eine Priesterin erinnerte. Um ihre Stirn ragte ein Diadem mit einem hellen bläulichen Stein.

Die zweite Frau trug genauso eine Robe wie der Mann. Eine grüne und auch auf ihrer Brust prangte dieses seltsame Wappen. Sie lächelte mich freundlich an, doch ihre seltsamen Augen nahmen das Beruhigende an ihrem Gesicht.

Die dritte und letzte Frau war furchteinflößend. Im wahrsten Sinne. Sie trug irgendwelche Lederkleidung, die so aussah, dass sie glatt von der Serie „Xena – Die Kriegerprinzessin“ entstammen konnte. Ihr Blick war unleserlich und ihre Haltung zeugte von Wachsamkeit. In meinen Gedanken notierte ich mir, dass ich mich vor dieser Frau in acht nehmen musste.

Die seltsame Kleidung hatte mich so sehr in Gedanken genommen, dass ich eine gewisse Zeit brauchte, um zu realisieren, dass auf der Schulter des Mannes und den der zweiten und dritten Frau eine Echse saß. Ich blinzelte.

Die Tiere verschwanden nicht, sondern lagen reglos auf den Schultern.

Wurde ich nun endgültig verrückt?

Ich wusste nicht wie lange ich auf die Tiere gestarrt hatte, aber irgendwann ist die eine seltsame Echse in meinen Gedanken gekommen und ich sah mich um. Ich erinnerte mich wieder, dass sie mich abgeleckt hatte. Danach hatten meine Schmerzen begonnen. Besaß die Echse etwas ätzenden Speichel? Sozusagen als Schutz. Ich war mir nicht sicher. Wenn dies so gewesen wäre wieso hat sie mich dann „angegriffen“? Ich dachte daran, dass ich sie von meinem Arm hatte haben wollen. Gut, dies konnte man vielleicht als einen Angriff sehen, obwohl ich mich in dem Moment selber nur verteidigen wollte.

Echsen. Immer wieder Echsen.

Ich dachte an Stan, das nervende Chamäleon. Bei dem wusste ich wenigsten woran ich war. Aber bei dieser seltsamen Echse…

Erst als der Mann sich kurz bewegte, wurde mir bewusst, dass ich immer noch auf dem Boden vor vier wildfremde seltsam gekleidete Personen saß, die Echse auf ihre Schultern haben.

„Wie geht es dir?“

Es war die Frau mit den spitzen Ohren, die mich fragte und ich erkannte, dass sie auch diejenige gewesen war, die vorher gesprochen hatte.

Ich dachte schweigend nach. Was sollte ich ihr antworten? Meine Schmerzen waren weg, aber das war es dann auch schon. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand und vor allen wer diese seltsamen Personen waren. Und wenn ich so darüber nachdenke, wusste ich auch nicht, wo eigentlich diese seltsame Echse abgeblieben ist.

„Hast du noch Schmerzen“, fragte mich Spitzohr und ihre Stimme klang besorgt.

Diese Sorge regte etwas tief in mir. Es erinnerte mich daran, wie Ma immer klang, wenn ich mich verletzt hatte oder ich krank war. Ma, die zwar wütend werden konnte, wenn die Noten schlecht waren, aber gleichzeitig immer da ist, wenn ich sie brauchte. Jetzt würde ich sie gerne an meine Seite haben.

Ich schüttelte den Kopf. Wie schon erwähnt, waren die Schmerzen nicht mehr vorhanden. Ich fühlte mich sogar richtig gut.

Der Mann sagte etwas in einer seltsamen Sprache und auch wenn ich sie nicht verstand, so ahnte ich, dass diese Worte nicht freundlich waren. Sie klangen abgehackt und seine Stimme genervt. Die Frau, die ähnliche Kleidung wie er trug, fuhr ihn an und die „Xena“ Frau schien plötzlich krampfhaft ein Lächeln zu unterrücken.

Sac`het! Lasst es endlich bleiben, ihr zwei!“

Der Mann warf Spitzohr einen scharfen Blick zu, doch sagte nichts. Die zweite Frau jedoch schüttelte leicht den Kopf.

„Ich muss mir nicht von Seith Sheedas sagen lassen, dass ich inkompetent bin, Nria Llyandrei. Es ist nicht meine Schuld, dass diese Situation nun entstanden ist und da kann der werte Herr noch so drauf beharren. Er trägt genauso viel Schuld daran wie ich.“ Die Frau funkelte den Mann wütend an.

Wenn ich gedacht hatte, dass meine Namen seltsam waren, so wird mir jetzt klar, dass es wesentlich verrücktere Namen gab. Seith Sheedas oder Nria Llyandrei. Da hatte ich noch Glück bei meinen: Rosette N. Draconi Shallan, auch wenn ich wieder langsam beginne diesen Namen zu hassen.

„Niemand trägt Schuld daran“, sagte Spitzohr und sah beide streng an. „Weder du Seithà Kadlin noch du, Seith Sheedas! Das Schicksal hat es so bestimmt und daran gibt es nichts zu ändern. Also hört auf euch gegenseitig die Schuld zu geben, wie kleine Kinder!“

Oho…Spitzohr konnte auch wütend werden, selbst wenn sie für meinen Geschmack seltsame Dinge sagte. `Das Schicksal hat es so bestimmt…´ mal ehrlich, wer glaubte denn heute an sowas, dass alles vorherbestimmt ist. Diese Leute hatten wirklich nicht mehr alle an der Waffel.

Plötzlich drang ein Klingeln an meine Ohren und ich zuckte zusammen, genauso wie die vier anderen. „Xena“ zog sogar ein Schwert! Diese Frau ist wirklich beängstigend.

Ich brauchte eine Weile um zu begreifen, dass es mein Handy war, was da klingelte und ich holte es aus meiner Hosentasche. Ein Blick auf dem Display zeigte an, dass Ma mich anrief. Als ich dies sah, musste ich wieder an mein Zeugnis denken und daran, dass sie wütend werden würde. Die Tatsache, dass ich einfach so gegangen bin ohne auf sie gewartet zu haben, machte es auch nicht besser. Ich drückte sie weg und fühlte mich aus irgendeinem Grund elendig dabei. Ich wusste, dass Ma nur das Beste wollte. Als ich mein Handy wieder einsteckte, sah ich, dass die anderen mich anstarrten.

„Xena“ misstraurig. Spitzohr nervös. Die dritte Frau neugierig und der Mann finster.

„Sorry“, murmelte ich, obwohl ich nicht wusste wieso ich mich dafür entschuldigte. Es war ja nun wirklich nicht meine Schuld, dass meine Ma mich gerade jetzt anrufen wollte.

Spitzohr war die erste, die sich fing und aus irgendeinem Grund lächelte sie mich plötzlich an.

Ich jedoch nahm das Lächeln kaum wahr, denn mein Blick ging an ihr vorbei. Etwas weiter hinter ihr saß auf der Wiese dieses verdammte Tier, das mir alles eingebrockt hatte. Wut kam in mir hoch. Wut auf diese kleine Echse.

Ich schloss kurz die Augen und hoffte, dass dieses Vieh weg sein würde, wenn ich sie wieder öffnete. Zu meinen Schrecken jedoch war die Echse nicht verschwunden, sondern näher gekommen, sodass sie fast meine Füße erreicht hatte.

„Verschwinde“, zischte ich automatisch.

Der fremde Mann polterte plötzlich los. Ich verstand ihn nicht und wenn ich ehrlich war, so interessierte es mich auch nicht, was er sagte. Ich wusste nur, dass diese Echse mich wieder berühren wollte und darauf konnte ich sehr gut verzichten. Ich sprang auf die  Beine und ehe überhaupt jemand reagieren konnte, drehte ich mich um und rannte los.

Ich wollte weg von diesem Tier und weg von diesen seltsamen Personen.

Weit kam ich nicht.

Wie aus dem Nichts stand plötzlich „Xena“ vor mir und als ich sie umgehen wollte, ergriff sie mich fest an den Arm. Ich wollte mich losreißen, doch ihr Griff wurde Schmerzhafter, sodass ich begann auf sie mit der freien Hand einzuschlagen. Ich schrie, merkte, wie Panik in mir hochstieg und musste wieder an Entführung und sogar Mord denken.

„Lass mich los“, schrie ich, zehrte an meinen Arm und wollte nur noch weg. Jetzt wünschte ich, dass ich ans Handy gegangen wäre. Dass ich mit Ma gesprochen hätte. Doch hätten diese Leute dies zugelassen? Ich wusste es nicht.

Die Panik in mir wurde immer stärker. Ich hatte keine Ahnung, was die Leute von mir wollten. Die „Xena“ Frau machte mir Angst, der Mann schien überaus wütend zu sein und die Frau mit den spitzen Ohren sah seltsam aus…Ach ja und dann gab es ja auch noch diese seltsamen Augen. Angst schnürte meine Luft ab. Ich versuchte der Frau auf dem Fuß zu treten, in der Hoffnung, dass sie mich dann loslassen würde, doch so sehr ich mich auch wehrte, sie ließ nicht locker. Dann trat ein finsterer Blick in ihre Augen und ich sah nur noch, wie sie den Arm ausholte. Danach verspürte ich einen heftigen Schlag gegen den Kopf und Dunkelheit hüllte mich ein.

 

Das war nun das zweite Mal, dass ich in einer Dunkelheit aufwachte, ohne zu wissen, was passiert war und wo ich mich befand. Allerdings kamen dieses Mal meine Erinnerungen schneller zurück. Die merkwürdige Echse, die seltsamen Personen, die komischen Namen und dieses Schicksalsgerede. War ich in den Fängen einer wahnsinnigen Sekte gelandet?

Ich hielt meine Augen geschlossen, denn ich hatte Angst davor, was ich sehen könnte. Ich spürte, dass ich auf etwas weichem lag und dass Wärme mich umgab. War ich in einem Haus? Auf jeden Fall war ich nicht mehr im Park. Wie spät es wohl jetzt sein mochte? Ob Ma wieder versucht hatte, mich zu erreichen?

Ich hörte schnell auf, mir Fragen zu stellen und sie zu beantworten, denn mein Kopf schmerzte höllisch. War auch kein Wunder, denn soweit ich mich erinnerte, hat diese „Xena“ mich niedergeschlagen. Neben den Schmerzen kam die allzeit bekannte Angst.

Was wollten die Leute von mir?

Wieder konnte ich Stimmen hören. Jedoch verstand ich diese immer noch nicht.

Die Stimme von Spitzohr klang wütend und vorwurfsvoll, während eine andere Frau verteidigend etwas erwiderte. Der Mann mischte sich ein und dann erklang eine völlig mir fremde Stimme. Waren nun mehr Personen anwesend?

Wahrscheinlich. Ich wusste immer noch nicht, wo ich mich befand und ich wollte einfach nur nach Hause. Selbst das Streitgespräch mit Ma wäre mir jetzt recht gewesen. Ja, ich wünschte mir sogar regelrecht, dass Ma hier auftauchte, dass ich aufwachte und alles sich als ein Traum entpuppte. Doch je länger die Stimmen um mich herum zu hören waren, desto sicherer war ich mir, dass dies kein Traum war. Kein Alptraum, aus dem ich erwachen konnte.

Plötzlich spürte ich, wie jemand etwas nasses auf meiner Stirn legte.

Mit einem ungewollten Schrei riss ich meine Augen auf und wollte mich aufrichten, doch jemand drückte mich auf dem weichen Untergrund.

„Ganz ruhig…ganz ruhig. Alles ist in Ordnung“, ertönte die ruhige Stimme von Spitzohr.

Ich jedoch wollte mich nicht beruhigen. Zwar gab ich meine Versuche auf, mich doch noch aufzurichten und schloss auch meinen Mund, doch ich starrte die anderen immer noch mit weit aufgerissenen Augen an.

Mir wurde bewusst, dass ich auf etwas liegen musste und ich nahm an, dass es sich hierbei um so etwas wie eine Couch handelte, denn ich konnte die Lehne an meiner linken Seite sehen und erkennen. Vor der Couch hockte Spitzohr und hatte ein nasses Tuch in der Hand. Ich erkannte, dass dies das nasse war, was ich auf meiner Stirn gespürt hatte. Ohne es zu wollen, wurde ich rot.

Hinter ihr stand der mürrische Mann, doch aus irgendeinen Grund sah er mich nicht mehr wütend an, sondern eher mitleidig. Neben ihm stand die Frau, die dieselbe Kleidung trug wie er. Sie hatte wieder diesen neugierigen Blick aufgesetzt. „Xena“ war auch anwesend und sie sah wütend aus.

Ich erinnerte mich daran, dass sie mich niedergeschlagen hatte und eine erneute Welle von Angst kroch in mir hoch. Mit dieser Frau war nicht gut Kirschen essen!

„Geht`s wieder“, fragte der Mann und seine Stimme klang tief aber freundlich. „Salà Pandeia hat einen ziemlich harten Schlag. Aber sie hat es nicht so gemein.“

„Xena“ warf den Mann einen vernichtenden Blick zu, doch sie nickte. Kurzzeitig sah sie sogar so aus, als würde es ihr Leid tun. Nicht, dass es eine Meinung ihr gegenüber ändern würde. Ich hatte Angst vor dieser Frau und nahm mir fest vor, sie nicht mehr zu reizen.

„Das hätte dennoch nicht geschehen dürfen“, ertönte die mir völlig unbekannte Stimme und in mein Blickfeld trat eine hochgewachsene Frau. Ihr Blick war streng und das erste was mir auffiel, war, dass ihre Augen völlig normal waren. Unwillkürlich sah ich die anderen an und merkte, dass auch deren Augen runde Pupillen hatten und nicht mehr gelb waren.

Ich stutzte.

Hatte ich mir dies nur eingebildet. Unsicher sah ich die Fremden an. Ein was habe ich mir nicht eingebildet: die Echsen. Auf jedem saß eine und auch auf der Schulter von der neuen Frau.

Angst kam in mir hoch. Ich dachte wieder an die Echse, die mich abgeleckt hatte und hoffte, dass diese nicht in der Nähe war.

„Wie geht es dir“, wandte sich die neue Frau zu mir zu und betrachtete mich intensiv. Sie hatte kurzes braunes Haar, das schon mit grauen Strähnen durchzogen wurde. Ihre Haltung war aufrecht, so als hätte sie einen Besenstiel verschluckt und ich musste automatisch daran denken, dass ihr eine Brille gut stehen würde. Dann würde sie einen Charakter von große und kluge Chefin bekommen. Sie trug auch eine Robe, doch ihre war in verschiedenen Rottönen. Ein breiter roter Gürtel schlängelte sich um ihre Hüfte und unzählige Taschen und Beutel hingen an diesem. Es befand sich sogar ein Dolch dort. Um ihre Schulter lag ein großer Umhang, der innen hellrot und außen weinrot aussah. Auch auf ihrer Brust prangte dieses Wappen mit dem Drachen, der vor einer Flamme war. Jedoch sah ihre Flamme anders aus als die der anderen beiden Personen. Der Blick mit dem sie mich betrachtete, war mir unheimlich. Ich hatte das Gefühl, dass sie bis in meine Seele blickte und alle meine Gedanken vor ihr offenbar wurden.

Sie runzelte die Stirn, wohl deshalb weil ich noch nicht geantwortet hatte.

Meine Gedanken rasten. Waren dies Entführer? Wenn ja, dann war es verständlich, dass sie sicher gehen wollten, dass es mir gut ging. Sonst würden sie kein Lösegeld für mich bekommen. Automatisch dachte ich wieder an meine Ma. Würde sie das Geld bezahlen oder würde sie froh sein, dass ich endlich weg war. Ich dachte an die Internats-Drohung von Anni und ohne es zu wollen traten Tränen in meine Augen. Schon verrückt. War ich nicht mal ein Tag von Ma und Anni weg und vermisste sie schon.

„Nicht doch…nicht weinen“, sagte Spitzohr und ehe ich reagieren konnte, wischte sie die Tränen von meinem Gesicht. „Alles wird gut werden. Versprochen.“

Die Frau hatte gut reden! Sie war ja nicht die Entführte.

Plötzlich war ich wütend und ohne zu wissen, woher der Mut kam, verschränkte ich meine Arme und kniff die Augen zusammen.

„Egal was sie verlangen, meine Ma wird ihnen keinen Cent zahlen und die Polizei sie eher schnappen als es ihnen lieb sein wird!“

Ich wusste nicht, wie die fünf Leute auf meine Drohung reagieren würden, aber mir war es in dem Moment egal. Ich war Rose Shallan! Ich ließ mir nicht von Lehrern Angst einjagen und erst recht würde ich mir nicht von fremden Irren etwas sagen lassen. Das war zwar nicht klug von mir, aber Weisheit konnte man bei mir sowieso vergebens suchen.

In „Xena“ trat ein amüsierter Ausdruck, während alle anderen zuerst verwirrt aussahen. Die haben wohl nicht damit gerechnet, dass ich so etwas sagen würde.

Die fremde Frau räusperte sich, nickte aus mir einen unersichtlichen Grund und setzte wieder ein freundliches Gesicht auf.

„Oh, Kindchen…das hast du völlig falsch verstanden. Wir sind keine Entführer und wollen auch niemanden erpressen“, sagte sie und warf einen scharfen Blick zu „Xena“, welche leise kurz kicherte. „Die ganze Situation ist hier nur völlig aus dem Flug geraten.“

Aus dem Flug geraten? Was sollte Bitte schön aus dem Flug geraten heißen? Ich kannte nur den Begriff: aus dem Ruder geraten, aber wie bitte schön soll die Situation nicht verständlich sein. Diese fremden Leute hier schienen etwas mit der merkwürdigen Echse zu tun haben, haben mich niedergeschlagen und nun war ich an einem fremden Ort.

„Ach ja?!“ Ich sah die hochgewachsene Frau herausfordernd an. „Dann will ich nach Hause! Meine Ma wird sich schon Sorgen machen.“

Nun sahen die anderen aus, als wäre ihnen etwas unangenehm. Ich habe es gewusst! Die haben gar nicht vor, mich gehen zu lassen. Heißt also: die haben mich entführt.

„Du kannst nicht nach Hause zurückgehen“, sagte eine nun völlig andere Stimme. Ein Mann mit rabenschwarzen Haaren und einer roten Echse auf der Schulter trat in mein Blickfeld. Seine Nase sah aus, als wäre sie mehrfach gebrochen und seine Augen waren seltsam. Mit anderen Worten: Er besaß gelbe Augen mit einer ovalen Pupille. „Das ist jetzt nicht mehr möglich, da der Drache auf dich geprägt ist und sogar dich schon mit dem Blick gezeichnet hat. Dir bleibt demzufolge nichts anderes übrig, als hier zur Schule zu gehen und ein Reiter zu werden!“

Ich starrte den Mann ungläubig an.

Drachen? Geprägt? Blick gezeichnet? Schule gehen? Reiter werden?

Ich wusste nicht, was von dem Gesagten verrückter klang. Drachen waren nur Wesen aus  Mythen und Märchen. Geprägt wurden nur Tiere und heute haben die Ferien begonnen. Da werde ich bestimmt nicht auf einer Schule gehen. Und Reiter werden? Ich mochte Pferde, habe aber nie den Wunsch verspürt reiten zu lernen.

„Okay“, sagte ich zögernd. „Entweder war der Schlag auf dem Kopf härter als ich gedacht hatte, oder aber ihr alle habt sie ja nicht mehr alle beieinander! Mal ehrlich. Drachen. Sehe ich so aus, als würde ich an übernatürliche Wesen glauben? Und außerdem: Seht euch doch mal an. Sind wir hier in einen Fantasy-Film alà Harry Potter gelandet? Ich will sofort wissen was hier los ist und ich will nach Hause! Euretwegen werde ich noch Hausarrest bekommen.“

Schweigen.

Es hat mir gut getan, alles von der Seele zu reden und ich fühlte mich danach auch wesentlich freier. Die Leute sollen wissen, woran sie bei mir waren und dass ich nicht leichtgläubig bin. Da hätten sie sich wirklich etwas Originelleres ausdenken müssen.

Aus irgendeinem Grund kicherte „Xena“ wieder. Ihr Blick war amüsiert und sie verkniff sich ein breites Lächeln. Wenigsten hatte einer bei dem ganzen hier eine gute Laune.

„Ich muss dich enttäuschen“, erwiderte der Mann. Ein gemeines Lächeln trat in seinem Gesicht, doch niemand außer mir schien dies zu merken. „Wie schon gesagt, du kannst nicht mehr zurück.“

Plötzlich Angst und aufkommende Wut kämpften in mir. Wie immer verlor die Angst und es war die Wut, die gewann. Ich richtete mich auf, spürte eine neue Welle Kopfschmerzen, doch ignorierte diese. Wenn der Schnösel dachte, dass ich etwas auf seinen Worten gab, musste ich ihn enttäuschen.

„Ich habe die Schnauze voll“, fuhr ich ihn an. „Zuerst nervt mich diese dämliche Echse, dann leckt diese mich ab – wer weiß, ob sie Krankheiten überträgt? – Dann werde ich niedergeschlagen, dann heißt es, dass ich nicht entführt worden bin und nun sagen sie mir, dass ich hier gefangen bin? Was denn nun? Bin ich ihr Gefangener oder nicht?“

Ich zitterte vor Wut.

„Du bist keine Gefangene“, sprach Spitzohr. Es war leicht zu erkennen, dass ihr diese Situation nicht gefiel. „Aber du kannst nicht einfach nach Hause. Das Schuljahr fängt in wenigen Tagen an und da wäre es sinnlos, wenn du vorher wieder nach Hause gehst…Aber du wirst es verstehen. Da bin ich mir sehr sicher.“

Ich sah Spitzohr an. Etwas wie leichte Hoffnung schwang in ihren Blick mit. Hoffnung, dass ihre Worte mich beruhigten, doch da musste ich sie ebenfalls enttäuschen.

„Schule? Was für ne Schule? Ich habe erst heute mein Zeugnis bekommen. Morgen ist der erste Ferientag!“

„In deiner Welt, möglich“ sagte die rot gekleidete Frau. „Hier in Dracheim jedoch fängt dass Schuljahr in sieben Tagen an. Da es immer gefährlich ist, zwischen den Welten zu reisen, ist es einfach nicht klug, dich für die wenigen Tagen wieder zurückzuschicken. Außerdem kannst du die wenigen Tage nutzen, dich hier einzugewöhnen.“

Meine Welt? Diese Worte brachten mich aus dem Konzept. War ich denn nun wirklich in einem Raum voller Irren gelandet? Meine Wut wurde wieder gedämpft, stattdessen war die Angst wieder präsent. Ich starrte die anderen fassungslos an. Ich suchte in ihren Mienen einen Hinweis darauf, dass dies alles hier nur ein schlechter Scherz war, doch ich konnte keinen erkennen. Alle Anwesenden hier meinten dies ernst.

Spitzohr lächelte mich an. „Dir wird es hier gefallen. Da bin ich mir sicher.“

Ich wusste nicht, was schlimmer war. Die Tatsache, dass ich mich in einer anderen Welt befinden soll, oder die, dass ich immer mehr die Furcht bekam, dass ich denen glaubte. Dies konnte doch nicht stimmen! Ich konnte doch nicht einfach glauben, dass ich nicht mehr in Deutschland war. Automatisch suchte ich mein Handy heraus und sah auf dem Display. Kein Netzt. Nun, dass hatte nichts zu bedeuten. Vielleicht befand ich mich ja in ein Funkloch.

Ich erkannte, dass ich acht neue SMSs bekommen hatte und dass drei Nachrichten auf meiner Mailbox gesprochen waren. Obwohl ich sehr stark versucht war, die Nachrichten zu lesen oder abzuhören, steckte ich mein Handy wieder ein.

„Vielleicht solltest du erst einmal darüber schlafen“, meinte die rot gekleidete Frau und schenkte mir ein Lächeln. „Morgen wird alles in einem viel besseren Licht scheinen.“

Erst bei diesen Worten merkte ich, dass ich müde war. Der Gedanke jedoch an einen Ort zu schlafen, den ich nicht kannte, war unheimlich, doch ich ahnte, dass mir keine andere Wahl blieb. Ich nickte. Vielleicht wachte ich ja morgen auf und stellte fest, dass das alles hier nur ein Scherz oder Traum war.

3. Kapitel

Es war das Gezwitscher von Vögeln, das mich aus einem traumlosen Schlaf weckte. Wahrscheinlich hatte ich das  Fenster aufgelassen und nun konnte ich nicht ausschlafen, weil die Tiere der Meinung waren, dass sie den Tag mit einem Lied begrüßen mussten. Das konnte einem wirklich die gute Laune vermiesen.

Ich riss die Augen auf, um aufzustehen und das Fenster zu schließen. Automatisch sah ich rechts, wo neben meinem Bett der Nachttisch mit dem Wecker stand und riss meine Augen noch weiter auf.

Ich war nicht in meinem Zimmer!

Mit dieser Erkenntnis kamen auch die Erinnerungen an den gestrigen Tag. Ich wich heftig zurück und kam zu nahe an den Bettrand, wedelte mit den Armen, doch ehe ich es versah, fiel ich auf dem Boden. Die Luft wurde aus meine Lungen gepresst, doch ansonsten verletzte ich mich nicht. Das Bett war ja auch nicht dafür hoch genug. Dennoch blieb ich einige Minuten liegen, denn meine Gedanken rasten. Die Hoffnung, dass alles nur ein böser Traum war, verging und mir wurde bewusst, dass ich mich der Realität stellen musste. Diese sah so aus, dass mich Irre gefangen hielten. Ich glaubte immer noch nicht, dass ich in einer anderen Welt war. Dennoch ließ es sich nicht leugnen, dass die Leute anders waren. Ja und dann gab es noch diese Echse. Wieder musste ich Stan, dem Chamäleon meiner Ma denken. Mir wurde bewusst, dass ich Echsen einfach nicht leiden konnte.

Bei dem Gedanken an Ma, wurde es mir schwer ums Herz. Ob sie sich schon Sorgen um mich machte? Gut, ich war ja gerade Mal eine Nacht nicht nach Hause gekommen…kein Grund, um panisch zu werden. Wenn es jedoch stimmte, dass dies hier eine andere Welt war, dann war es sehr möglich, dass ich viel länger nicht  nach Hause kommen konnte.

Ich erhob mich vom Boden und sah mich im Raum um. Er war klein und neben dem einfachen Bett befanden sich ein kleines Regal und ein niedriger Tisch hier drinnen. Die Wände waren in gräuliche Töne gestrichen und das Holz der Möbel war im dunklen braun. Das Bettzeug bestand aus einem weißen Lacken, das auf einer mit Stroh gefüllten Matratze lag und einer Decke, die aus schwerem dunklem Stoff war. Das Kissen selber war klein und hart.

Mit einem Kopfschütteln trat ich an den einzige Fenster in dem Raum und sah hinaus. Das Fenster war klein und besaß keine Glasscheibe. Kein Wunder, dass ich die Vögel hören konnte.

Ich konnte eine Wiese erkennen und als ich mich aus dem Fenster raus beugte, stolperte ich wieder panisch ins Zimmer zurück. Mein Herz raste. Ich befand mich in ein sehr hohes Stockwerk, denn als ich runter schaute, schien der Boden endlos entfernt zu sein. Mein Blut rauschte in meinen Ohren und ich spürte, dass ich zu zittern anfing. Höhe war noch nie etwas, dass ich gut vertrug. Bis zum vierten Stockwerk unserer Schule aus dem Fenster schauen war in Ordnung, doch alles was darüber hinaus ging und sogar dann noch ohne Glasscheibe als Schutz war einfach unmöglich für mich. Ich notierte in meinen Gedanken, dass ich aus dem Fenster in Zukunft nicht hinaussehen werde. Dafür war meine Neugierte nicht groß genug, dass ich wissen wollte, wo ich mich befand.

Als ich an mich runter blickte, merkte ich, dass ich immer noch meine Kleidung von gestern trug. Da ich nicht fror und auch in der Nacht nicht gefroren hatte, nahm ich fest an, dass auch hier in dieser Welt Sommer herrschen musste. Jedenfalls war es angenehm warm.

Ein Klopfen an der Tür ließ mich zusammenzucken und ich warf einen Blick zu dieser. Kurzzeitig war ich versucht, den Tisch vor der Tür zu stellen, um zu verhindern, dass die Irren herein kamen, doch ich ahnte, dass es nichts bringen würde. Deswegen ließ ich mich auf der Bettkante nieder.

„Ja?“

Mir war es egal, wer draußen vor der Tür stand, es sei denn, es wäre jemand, der mich nach Hause brachte. Dies wäre wirklich sehr toll. Meine Hoffnung starb, als ich sah, dass es Spitzohr war, die eintrat. Sie lächelte mich freundlich an.

„Ein schönen Morgen wünsche ich dir“, sagte sie und ich sah, dass sie ein Tablett mit sich trug. Ich nahm an, dass es sich bei den Dingen darauf um Essen handelte, doch ganz sicher konnte ich mir nicht sein, denn ich kannte nichts von den Sachen, die sich auf dem Tablett befanden. Sie trat ins Zimmer, stellte das Tablett auf dem Tisch ab und drehte sich zu mir um. Sorge stand in ihren Augen. „Ich hoffe, dass es dir besser geht.“

Auch wenn mich ihre Sorge leicht rührte, so vergaß ich nicht, dass ich immer noch eine Gefangene von denen war. Ich verschränkte meine Arme und kniff meine Augen zusammen. „Mir würde es wesentlich besser gehen, wenn ich nach Hause gehen dürfte!“

Traurigkeit trat in Spitzohrs Augen. Sie nickte leicht. „Das verstehe ich vollkommen, Kindchen. Aber du musst verstehen, dass es nicht so einfach ist. Niemand hätte gedacht, dass der Drache, in deiner Welt sich an jemanden prägt. Dennoch ist es geschehen. Es ist deswegen wichtig, dass du eine ordentliche Ausbildung bekommst…glaub mir: Es ist wunderbar, ein Drachenreiter zu sein.“

Was war verwirrender? Die Tatsache, dass sie ihren eigenen Worten wahrhaftig glaubte, oder die Tatsache, dass etwas tief in mir ahnte, dass diese Worte wahr sein konnten. Ich wusste es nicht. Nur, dass es mir Angst machte.

„Ich heiß nicht Kindchen“, murmelte ich. Nicht mehr darüber, weil es mich ärgerte, so genannt zu werden, sondern weil ich das Gefühl hatte, etwas sagen zu müssen.

Ein verzeihender Ausdruck trat auf Spitzohrs Gesicht. „Natürlich nicht, Kin…“ Sie brach ab und legte ihren Kopf etwas schräg. „Wie heißt du denn?“

„Rose Shallan“, sagte ich automatisch. Erst danach dachte ich an meinen vollständigen Namen und dass mein Mittelname: Nyandra gut in einer anderen Welt passen würde. Ein Grund diesen nicht zu nennen. Auch den Nachname meiner Ma würde ich nicht sagen. Nicht in einer Welt, wo man an Drachen glaubte und wo ein Ort Dracheim hieß. Da würde Draconi zu gut dazu passen. Ein guter Grund, nichts zu sagen.

Ich konnte sehen, dass Spitzohr meinen Namen lautlos wiederholte. Vielleicht klang er fremd in ihren Ohren, genauso wie ihre Namen fremd in meinen Ohren hallten.

„Es ist mir eine Freunde, dich kenne zu lernen, Rose“, sagte Spitzohr und zu meiner Überraschung schien sie dies auch zu meinen. „Mein Name ist Llyandrei.“

Ich glaube, da blieb ich lieber bei Spitzohr. Konnte ich mir sicher besser merken, als Lyandr-irgendwas.

Ich nickte. Nicht sicher, ob sie etwas von mir erwartete. Sollte ich sagen, dass ich mich auch freute? Dies wäre jedoch eine Lüge.

Llyandrei blieb noch einige Zeit. Sie meinte zwischendurch, dass ich ruhig vom Tablett essen sollte, doch ich war misstraurig was das Essen anging. Zwar lag Brot dabei und etwas, dass wie Käse aussah, aber sicher war ich mir dabei nicht. Auch das Wasser rührte ich nicht an. Unsicher, ob es mit einer Droge versetzt war oder nicht. Ich merkte, dass Spitzohr darüber traurig war, doch sie drängte nicht. Jedoch konnte ich spüren, dass sie sich wirklich Sorgen um mich machte.

Nachdem sie gegangen war, setzte ich mich auf das Bett und aus mir einen unergründlichen Grund fing ich an zu weinen. Vielleicht lag es daran, dass ich mich immer noch wie eine Gefangene fühlte oder dass ich einfach nicht wusste, wie ich auf alles reagieren sollte. War ich wirklich an einer Schule für Dachenreiter? Dies hörte sich schon verlockend an, doch dies anzunehmen würde bedeuten, diese seltsame Echse anzunehmen. Etwas, dass ich überhaupt nicht vorhatte. Nein, ich wollte einfach nur weg von hier. Weg und nach Hause.

 

Später am Tag kam diese rot gekleidete Frau von gestern vorbei. Ich erfuhr, dass sie Maighdlin hieß und sie die Direktorin von Drachheim war. Auf ihrer Schulter saß wieder eine Echse.

Verstanden diese Leute nicht den Unterschied zwischen Drache und einer gewöhnliche Echse?

Maighdlin versuchte mir deutlich zu machen, dass weder ich noch sie eine Wahl haben. Ich muss diese Schule besuchen, da die Echse mich auserwählt hatte und als ich meinte, dass es mir egal war und die Echse sich jemanden anderes suchen sollte, meinte die Frau traurig, dass dies nicht möglich sei. Man prägte sich aufs Leben.

Na toll. Dies bedeutete, dass eine Echse für den Rest meines Lebens auf mich geprägt war. Die Frau merkte, dass mir diese Vorstellung nicht gefiel, was sie sehr verwirrte. Sie erklärte mir, dass in ihrer Welt es als Ehre angesehen wurde, wenn ein Drache jemanden aussuchte. Schön. Jetzt musste ich mich wohl auch noch geehrt fühlen dürfen, dass ich diese Schule besuchen darf. Ich versuchte der Frau klar zu machen, dass es ein Fehler war. Ich war grottenschlecht in der Schule. Dies wusste jeder und würde wahrscheinlich auch überall durchfallen. Als ich dies jedoch sagte, meinte sie nur, dass bisher jeder die Ausbildung abgeschlossen hatte und auch wenn ich aus einer anderen Welt käme, es schaffe würde. Sie meinte sogar, dass sie persönlich dafür sorgen wollte. Das hatte meiner Laune wieder einen Dämpfer aufgesetzt.

Irgendwann war sie dann gegangen, jedoch nicht ohne mir vorher zu sagen, dass ich es besser akzeptieren sollte. Es würde jeden einfacher machen.

Nachdem ich wieder alleine war, verbrachte ich den restlich Tag damit, im Zimmer auf und ab zu gehen. Ich hatte ein unsicheres Gefühl einfach hinauszugehen, doch ahnte gleichzeitig, dass ich hier drin wahnsinnig werden würde. Dennoch war die Angst vor dem Unbekannten vor dieser Tür zu groß, dass ich beschloss lieber im Raum zu bleiben als das Risiko einzugehen. Was schon seltsam war, denn normalerweise hätte ich schon längst versucht, diesen Ort alleine den Rücken zu kehren.

Als es dunkler wurde, fing es draußen an zu regnen. Mittlerweile hatte ich großen Hunger, doch ich wollte immer noch nichts essen. Zu misstraurig war ich. Dennoch ahnte ich, dass ich lange nicht ohne Trinken  auskommen würde. Deswegen beschloss ich, das Wasser aus dem Tonbecher auszugießen und diesen mit Regenwasser zu füllen. Lieber trank ich dieses und gehe das Risiko ein, dass es sich hierbei um saures Regenwasser handelt, als dass ich das trinke, was die mir hier gebracht hatten.

Zu meiner Überraschung schmeckte das Regenwasser und nachdem ich vier Mal den Becher nachgefüllt hatte, war mein Durst auch gelöscht. Selbst das Grummeln meines Magens hatte aufgehört. Lag wohl daran, dass dieser nun voll Wasser war. Das Hungergefühl jedoch war immer noch vorhanden.

Schließlich schlief ich irgendwann ein und selbst dann immer noch mit der Hoffnung, dass es sich hierbei um einen langen seltsamen Traum handelte.

 

Der Vormittag des nächsten Tages verlief recht Ereignislos. Ich erwachte gut ausgeruht, aber hungrig und war am Anfang wieder verwirrt gewesen. Dieses Mal dauerte es sogar lange, ehe mir bewusst wurde, dass ich nicht Zuhause, sondern in einer angeblich anderen Welt war. Auch dieses Mal beschloss ich, das Zimmer nicht zu verlassen. Wohl deshalb weil ich tief im Inneren immer noch hoffte, dass alles nur ein böse langer Traum war oder die Leute ihr Interesse an mir verloren. Als es jedoch klopfte und ich zusammenzuckte, wusste ich, dass meine Hoffnungen sich nicht verfüllen würden. Meine Schultern sacken nach unten.

„Ja?“

Tief in mir drinnen hoffte ich dennoch bis zum Schluss, dass vielleicht meine Ma reinkommen würde.

Jedoch war es nicht meine Mutter, die hineinkam, sondern Spitzohr.

Als ich sie sah, kämpfte Wut und Verzweiflung in mir. Wut, weil sie eine der Personen war, die mich entführt hatten und Verzweiflung, weil ich keine Ahnung hatte, was mit mir nun geschehen würde. Sicher, vorgestern hat dieser Typ etwas von Schule gesagt, aber ich wollte nicht auf eine Schule in einer anderen Welt gehen. Ich hatte Ferien und wollte nach Hause!

Spitzohr – ich glaube sie hieß irgendwie Lydan…so genau konnte ich mich aber nicht mehr erinnern – trat ins Zimmer. Sie hatte wieder so ein Lächeln im Gesicht, welches jedoch erfror, als sie erkannte, dass ich aber auch rein gar nichts gegessen hatte.

Ich verschränkte die Arme, starrte auf das neue Tablett, dass sie mitgebracht hatte und versuchte das Knurren meines Magens zu ignorieren. Ich würde bestimmt nichts essen, dass ich nicht kannte. So ganz nach dem Motto: „Was der Bauer nicht kennt, dass frisst er nicht!“

Spitzohr seufzte und stellte das neue Tablett neben dem anderen. Danach versuchte sie ein Gespräch anzufangen, aber ich schwieg nur. Ich wollte alleine sein…nein, nicht alleine…ich wollte zu meiner Familie. Nach einer Weile gab Spitzohr seufzend auf, nahm das alte Tablett und verließ den Raum. Ich blieb zurück.

Da ich gestern, als es geregnet hatte, noch vorsichtshalber den Tonbecher gefüllt hatte, konnte ich wenigsten meinen Durst mit Regenwasser stillen und setzte mich dann auf das Bett. Wieder dachte ich lange nach. Was sollte ich am besten machen? Sollte ich mich aus dem Raum schleichen und versuchen hier zu entkommen? Der Gedanke war verlockend, doch dann erinnerte ich mich, dass ich ziemlich weit oben war und ich mich hier nicht auskannte. Ich ahnte, dass ich mich eher verlaufen würde, als zu entkommen. Doch hier zu bleiben, wollte ich auch nicht. Während ich hin und her überlegte, klopfte es plötzlich wieder an der Tür und ich zuckte zusammen. Gott, dass musste aufhören! Ich konnte doch nicht immer zusammenzucken, nur weil jemand so freundlich war und an der Tür klopfte.

„Ja?“ Wenn es wieder Spitzohr ist, würde ich sie aus dem Zimmer jagen! Vielleicht meinte es sie nur gut mit mir, aber ich wollte sie nicht sehen…es sei denn, sie würde mich nach Hause bringen.

Jedoch war es nicht Spitzohr, die eintrat, sondern eine mir völlig unbekannte Frau. Auf ihrer rechten Schulter saß eine Echse, deren Schuppen silbern glänzten und auf ihren linken Arm trug sie – ich sog die Luft heftig ein und wich auf dem Bett zur Wand zurück – diese kleine nervige Echse, die wahrscheinlich für den ganzen Sch*** verantwortlich war.

Die Frau, die gekommen war, trug eine ähnliche Robe wie der Mann und die Frau von vorgestern. Ihre war gräulich und mit dunklen Symbolen verziert und auch auf ihrer Brust prangte dieses seltsame Wappen. Dies war wohl das Zeichen für ihre Sekte, oder wo ich nun auch immer gelandet war.

„Ich wünsche dir einen schönen Tag“, sagte sie und trat an das Bett, woraufhin die kleine Echse von ihrem Arm auf dem Bettposten kletterte und mich wieder mal fragend anblickte.

Ich sagte nichts, sondern ließ diese Echse nicht aus den Augen. Das letzte was ich wollte, war, dass sie mich wieder ableckte. Schon alleine der Gedanke an die Schmerzen verursachte ein unkontrolliertes Zittern meiner Hände, sodass ich diese in die Decke des Bettes krallte.

Die Frau warf einen Blick zu der Echse auf dem Pfosten und dann zu mir. Sie seufzte.

„Dein Name ist Rose, nicht wahr?“

Ich nickte zögerlich. Das hatte sich wohl rumgesprochen. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, dass ich denen meinen Namen gesagt hatte und ich war mehr als froh, dass ich nicht meinen Vollständigen Namen verwendet hatte, denn wenn ich irgendwie doch hier entkommen konnte, würde ich von da an nur noch meinen richtigen verwenden. Sodass diese Irren mich nicht mehr finden konnten.

„Mein Name ist Orona“, stellte sie sich mit einem Lächeln vor, „und dies hier ist Ur.“ Dabei zeigte sie auf die silberne Echse, die noch auf ihrer Schulter saß. Diese hob kurz den Kopf und starrte mir direkt in die Augen. Es war unheimlich. Ebenso die Tatsache, dass diese Frau ovale Pupillen besaß. „Ich hoffe, dass es dir gut geht?“

Die Frage war ernst gemeint, dass konnte ich heraushören und doch war ich viel zu emotional, um dies zu akzeptieren, sodass ich meine Arme verschränkte und die Frau weiterhin schweigend anblickte.

Plötzlich begann die kleine Echse zu fiepen und begann an den Bettpfosten nach unten zu klettern um auf die Matratze zu gelangen. Mein Zittern wurde stärker, doch ich krallte immer noch in die Decke, sodass es kaum zu merken war. Wenn dieses Vieh zu mir wollte, würde ich aus dem Bett rennen und zwar ohne wenn und aber.

Als hätte die Echse meinen Gedankengang vernommen, hielt sie plötzlich inne und reckte ihren Kopf in die Höhe. Wieder dieser fragende Blick. Was wollte die Echse bloß von mir?

Ein erneutes Seufzen der Frau – Orona – und sie legte ihre Hand auf das Holz des Bettes. „Dir scheint es wirklich nicht einfach zu gehen.“ Sie warf einen Blick zu der kleinen Echse. „Dein Gefährte sehnt sich nach dir, aber du willst ihn nicht annehmen. Das ist sehr verwirrend für ihn…es ist verwirrend für euch beide.“

Ich starrte die Frau ungläubig an. Was war dass denn für ein Gerede? Die Echse sehnt sich nach mir? Dass ich nicht lache. Ich sehne mich jedenfalls nicht nach ihr. Wieso sollte ich auch Sehnsucht nach einem Vieh haben, dass mir Schmerzen bereitet hatte.

Orona nickte, obwohl ich keine Ahnung hatte, wieso und strich kurz über den Kopf der kleinen Echse. „Wir können nachvollziehen, dass es schwierig für dich ist. Vor allen, wenn man in der Welt aufwächst, in der es keine Drachen mehr gibt und dann wirst du noch ohne deinen freien Willen hierher verschleppt.“ Sie hob ihren Kopf und sah mich an. Ihre Augen waren wirklich unheimlich und passten genau zu dem der Echsen. „Es war auch nicht vorhergesehen, dass eines der Eier in deiner Welt schlüpfen und das Jungtier sich dort einen Gefährten aussuchen würde.“

Ich hob misstraurig die Augenbrauen. „Ach ja“, erwiderte ich und sprach zum ersten Mal seitdem die Frau hier war. „Wieso ist es dann passiert…hat wohl jemand nicht genau aufgepasst.“

Obwohl ich das nicht vorgehabt hatte, merkte ich, dass meine Worte die Frau ziemlich hart trafen. Sie wurde bleich und eine große Traurigkeit trat in ihrem Gesicht. Nun meldete sich mein schlechtes Gewissen. Schon seltsam. Diese Leute haben mich entführt und ich bekam ein schlechtes Gewissen, nur weil ich meine Meinung sagte.

„Du hast recht…die Sicherheitsmaßnahmen wurden durchbrochen“, begann die Frau, doch brach dann wieder ab. Das schlechte Gewissen war in ihrem Gesicht zu lesen. „Niemand hatte damit gerechnet, dass jemand kurz vor dem Schuljahr versuchen würde, die Eier zu stehlen oder gar zu zerstören…“

Dies ließ mich aufhorchen. Jemand hatte Eier – Dracheneier? – gestohlen und zerstört. Nun wurde mein schlechtes Gewissen intensiver. Diese Frau machte sich wohl selber Vorwürfe. Ich warf einen Blick zu der Echse auf meinem Bett. Der Gedanke, dass diese Echse auch hätte tot sein können, weil jemand die Eier zerstört hatte, regte etwas tief in mir. Ich konnte nicht sagen, was es war, aber ich war froh, dass das Tier es überstanden hatte.

„Insgesamt wurden drei Eier gestohlen“, fuhr Orona fort. „Einige Diebe konnten gefasst werden, jedoch nicht alle. Einem ist es gelungen in deine Welt zu fliehen und hat dabei auch ein Ei mitgenommen. Jedoch ist der Drache bei ihm geschlüpft und ehe der Dieb reagieren konnte, auch entflohen. Die Wächter konnten den Dieb fangen, doch da war der Drache schon längst weg…als sie ihn dann endlich gefunden hatten, war es auch schon passiert. Er hat dich als seinen Gefährten gezeichnet und den anderen blieb rein gar nichts übrig, als dich dann mitzunehmen.“ Die Frau sah mich wieder intensiv an. „Jeder Drache sucht sich nach seiner Geburt einen Gefährten. Nach welchen Kriterien ist unklar, aber es steht fest, dass der Drache Zeit seines Lebens seinen Gefährten treu bleibt und dass nie ein Drache eine falsche Wahl getroffen hatte…Der Kleine hier“, sie zeigte auf die Echse auf dem Bett, „hat dich zu seinen Gefährten erwählt. Damit hat niemand gerechnet, aber es ist nun mal geschehen. Wir können dies nicht rückgängig machen, sondern können nur das einzig Richtige unternehmen: Dich hier in Dracheim aufnehmen und dir alles beibringen, was wir jeden angehenden Drachenreiter lehren.“

Schweigen.

Ich wechselte meinen Blick zwischen der kleinen Echse auf dem Bett und der Frau. Ich hatte keine Ahnung, was ich von den Worten halten sollte. Gut, es erklärte einiges und dennoch war ich nicht gewillt, alles einfach so zu akzeptieren. Was würde wohl als nächstes kommen? Ich warf meinen Blick zu der silbernen Echse.

„Ist das ihr Gefährte?“

Orona nickte und strich über die silbernen Schuppen der Echse, welche daraufhin den Kopf gegen ihre Hand drückte. „Ja. Dies ist Ur.“

Eindeutig ein komischer Name, aber Orona und Lyand-irgendwas war ja auch nicht besonders besser. Jedoch bestätigte es nur meine Meinung, dass diese Leute tatsächlich diese kleinen Echsen als Drachen ansahen. Enttäuschung kam in mir auf. Wenn ich einen Augenblick daran glaube würde, dass es Drachen gab und ich einen als Gefährte besaß, dann würde dies bestimmt toll werden. Drachen waren groß, konnten fliegen und Feuer speien…wenn ich jedoch diese Echsen sah…daran war weder etwas groß, noch besaßen sie Flügel und dass sie Feuer spuckten, konnte ich mir auch nicht vorstellen.

Ich sah wieder zu der Echse, mit der alles angefangen hatte. Im Gegensatz zu vorgestern sah sie jetzt rot aus und schimmerte nicht mehr in allen möglichen Farben, sodass sie meiner Meinung nach jetzt hässlicher aussah. Mein Blick wanderte zu Ur, dessen Kopf schräg zu mir blickte. Ich schüttelte den Kopf. Ich musste Vorsichtig sein, sonst würden diese Leute mich doch tatsächlich in ihre seltsame Weltvorstellung hineinziehen.

„Das ist doch alles Blödsinn“, murmelte ich und schüttelte wieder den Kopf. „Ich werde mich doch nicht davon überzeugen lassen…ihr habt sie ja nicht mehr alle beieinander!“

Wieder dieser traurige Blick von Orona. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch schloss ihn dann wieder. Ihr Blick wurde konzentrierend und kurz drauf nickte sie.

„Ich verstehe…du hast natürlich recht, Ur.“ Sie sah mich wieder an und lächelte dabei. „Du brauchst einfach Zeit, um dass alles zu verstehen. Lass mich dir deswegen ein was raten: Vertraue auf deinen Gefährten. Du musst ihn akzeptieren und sobald du dies getan hast, wird alles andere wesentlich einfacher für dich werden, Rose.“ Sie wandte sich zur Tür, hielt jedoch noch einmal kurz inne. „Wir wollen alle nur das Beste, dass musst du verstehen.“

Es dauerte eine Weile, ehe ich bemerkte, dass die kleine rote Echse immer noch auf meinem Bett saß und die Frau diese gar nicht mitgenommen hatte. Diese fiepte wieder leise und sah mich abermals fragend an.

Sowas soll ein Drache sein?

Ich verließ das Bett, wobei ich die Echse nicht aus dem Augen ließ. Ich wollte, dass sie verschwand und mich in Ruhe ließ!

Den Rest des Tages verbrachte ich auf dem Boden sitzend und an einer Wand lehnend, denn das Bett war von der Echse besetzt und ich würde mich hüten, auch nur in die Nähe des Tieres zu kommen. Wieder verbrachte ich die Zeit mit nachdenken. Mir wurde bewusst, dass diese Leute an alles glaubten, was sie sagten und dass meine Chancen, nach Hause zu kommen, sehr gering standen. Ich dachte an Ma und meine kleine Schwester. Wie es ihnen ging, ob sie mich suchten und dann dachte ich an Chris. Was würde sie wohl zu alledem hier sagen? Wahrscheinlich würde sie diese Leute hier auch für verrückt halten.

Mein Hungergefühl würde stärker, doch meine Skepsis gegenüber den Essen war immer noch vorhanden. Die Zeit verging und irgendwann wurde es dunkel.  Ich hatte meine Beine angewinkelt und mein Kopf lag auf meinen Knien. In den letzten Minuten kreisten meine Gedanken um den einen bestimmten Satz der Frau: Dich hier in Dracheim aufnehmen und dir alles beibringen, was wir jeden angehenden Drachenreiter lehren. Der Gedanke daran war schon verlockend und irgendwie ahnte ich auch, dass ich dann auch nicht mehr zur Schule in meiner Welt gehen musste. Das hieß keine Frau Hauffer mehr, keine langweiligen Geschichtsstunden und keine Noten, die meine Ma immer enttäuschten.

Rose! Reiß dich zusammen! Du kannst doch den Blödsinn hier nicht glauben!

Ich atmete tief durch. Die Stimme in meinem Kopf hatte Recht! Ich durfte mich nicht von denen einlullen lassen. Ich musste stark sein und vor allen musste ich einen Weg hier weg finden.

Obwohl es Dunkel war, schaute ich genau auf die Tür. Vielleicht sollte ich morgen einen Fluchtplan entwickeln und versuchen von hier abzuhauen.

Und was ist, wenn ich wirklich in einer anderen Welt war? Dann würde es mir nichts nützen, denn ich wusste nicht, wie ich nach Hause kommen konnte.

Vor meinem inneren Auge sah ich meine Ma und Anni. Ich sehnte mich sehr nach ihnen und würde jede Standpauke, jede Strafe auf mich nehmen, nur um bei Ma zu sein. Selbst wenn sie drohte, mich in ein Internat zu stecken.

Ich merkte erst, dass ich weinte, als meine Hände, auf denen mein Kopf lag, feucht wurden. Ein Schluchzern entfuhr mir und ich fühlte mich so einsam wie noch nie zuvor ihn meinem ganzen Leben.

Irgendwann schlief ich ein. Die Echse auf meinem Bett vergessend.

4. Kapitel

Es war etwas Feuchtes, dass mich aus meinem tiefen Schlaf riss. Ich öffnete träge die Augen, mit einem beißenden Kommentar auf den Lippen, da ich dachte, dass Anni sich irgendeinen Scherz erlaubte. Bei dem Anblick von dem, was mich jedoch wirklich geweckt hatte, erstarben die Worte und stattdessen entrang sich ein Schrei meiner Kehle.

Ich schrie, rappelte mich an der Wand nach oben und sah, wie die kleine rote Echse von meinem Knie auf dem Boden fiel. Sie fiepte protestierend auf und schüttelte ihren Kopf, ehe sie mich ansah.

Ich sah, dass die Tür aufgerissen wurde und dass „Xena“ mit gezogenem Schwert rein stürmte. Sie sah sich mit wachsamem Blick im Raum um. Als ihr Blick mich traf und dann zu der Echse wanderte, die vor mir stand und mich anfiepte, lockerte sich ihre Haltung und sie steckte ihre Waffe ein. Ihr grimmiger Blick wich Belustigung. Ich jedoch achtete nicht darauf, denn meine ganze Aufmerksamkeit besaß die Echse vor mir, welche immer noch auffordernd fiepte. „Mach …mach das weg!“

Eigentlich war es wirklich peinlich und unrealistisch, dass ich vor einer kleinen Echse Angst hatte, aber die Erinnerung an die Schmerzen, als sie mich abgeleckt hatte, kreiste in meinen Gedanken. Ebenso war dieses Tier an meiner jetzigen Situation Schuld.

„Xena“ hob fragend die Augenbrauen, ehe sie sich zu der Echse niederbeuge und ihren rechten Arm ausstreckte. Das Tier kletterte auf diesen und erklomm diesen bis zur Schulter, wo sie sich in dem Leder krallte. Ihren Kopf jedoch drehte das Tier zu mir. Erst jetzt fiel mir auf, dass auf der anderen Schulter der Kriegerin ebenfalls eine Eidechse saß – irgendwie nicht unerwartet.

„Alles in Ordnung“, fragte die Frau und es war ihr anzusehen, dass sie die ganze Situation lustig fand.

Ich warf ihr einen wütenden Blick zu, doch schluckte meine bissige Bemerkung runter, denn ich erinnerte mich noch gut daran, dass sie es gewesen war, die mich niedergeschlagen hatte.

„Xena“ sah zu dem Tisch, auf dem das unberührte Tablett stand, und hob abermals eine Augenbraue, als das Knurren meines Magens durch die Stille schnitt. Ich spürte, wie ich rot wurde.

„Wenn du hungrig bist, sollest du etwas essen“, meinte die Frau und ging zu de Tisch. Sie ergriff eine bläuliche ovale Frucht – oder Gemüse, keine Ahnung, was es war – und biss herzhaft hinein. Dunkler Saft floss aus ihren Mundwinkeln. „Es wäre schade um das Essen.“

Ich verschränkte meine Arme. Das war mittlerweile meine Standardantwort zu den Leuten. „Ich esse nichts, was ich nicht kenne! Außerdem möchte ich heim!“

Die Kriegerin legte ihren Kopf schräg und kniff die Augen zusammen. Dadurch erinnerte sie mich sehr stark an meiner kleinen Schwester. „Du willst nichts essen, weil du die Lebensmittel nicht kennst … verständlich. Aber wenn du nichts Neues ausprobierst, wirst du verhungern …ich glaube nicht, dass du dies gerne machen würdest.“ Sie sah wieder zum Tablett. „Ich kann dir auch was anderes bringen, wenn du möchtest.“

„Klar … ein Apfel wäre gut“, murmelte ich und auf ihre fragenden Blick hin, erklärte ich: „Etwas von Pflanzen … rund … rot … saftig und voll gesunder Inhaltsstoffe.“

Ein erkennender Ausdruck trat in den Augen von „Xena“ und sie nickte. „Sicher …so etwas haben wir … warte hier kurz.“

Ich sah der Frau skeptisch nach. Was glaubte sie denn, wo ich hingehen würde? Erleichtert stellte ich fest, dass die rote Echse weg war, denn sie befand sich immer noch auf der Schulter der Kriegerin. Stirnrunzelnd blickte ich die Tür an. Schon seltsam, dass diese Frau so schnell nach meinen Schrei angriffsbereit in mein Zimmer gestürmt war. Fast so, als hätte sie draußen Wache gehalten.

Mein Herz wurde schwer. Wahrscheinlich war dies auch so gewesen. So viel zum Thema, mich unbemerkt raus zu schleichen und abzuhauen. Diese Leute warten bestimmt nur darauf. Ich seufzte und setzte mich auf das Bett. Einige meiner Muskeln schmerzten. Auf dem blanken Boden zu schlafen war nicht etwas, woran ich gewöhnt war und irgendwie hoffte, dass ich es nicht noch einmal machen müsste.

Die Tür wurde wieder aufgerissen und herein kam die Kriegerin. Sie trug einen kleinen Korb und in diesen waren…ich riss meine Augen ungläubig auf und musste auf einmal ein heftiges Lachen unterdrücken. In dem Korb waren Tomaten! Gut, diese waren auch rund, rötlich und wuchsen auf Pflanzen…aber es waren definitiv keine Äpfel.

Die Frau hielt mir den Korb hin und ich nahm ihn ihr ab. Auffordernd sah sie mich an. Okay, Memo an mich selbst: Die Leute kannten hier keine Äpfel oder diese Frucht hatte in dieser Welt einen anderen Namen. Dafür kannten sie Tomaten, was auch ein gutes Zeichen war, denn dies bedeutete, dass es vielleicht doch Dinge hier gab, die ich kannte und deswegen essen konnte.

Halt! Stop! Rose reiß dich zusammen! Du bist in keiner anderen Welt und diese Frau lacht sich bestimmt schon ins Fäustchen, weil sie genau wusste, dass sie mir Tomaten statt Äpfel gebracht hatte. Oder?

Ich sah prüfend zu der Frau, welche mich immer noch auffordernd ansah. Nichts deutete darauf hin, dass sie wissend war und sich ein Scherz erlaubte. Da jedoch mein Magen immer lauter protestierte, war es mir in dem Moment egal und ich biss in eine Tomate. Sie schmeckte gut.

„Kann man essen“, murmelte ich zwischen zwei Bissen. „Sind aber Tomaten und keine Äpfel.“

Die Frau sah mich fragend an, ehe sie mit den Schultern zuckte. Das tat sie wirklich, trotz, dass auf jeder Seite eine Echse saß. Sie setzte sich auf die Bettkante und ließ mich nicht aus den Augen. Ich selber verspeiste alle Tomaten, die im Korb waren…es mussten bestimmt so an die zehn Stück oder mehr gewesen sein, doch ich hatte ja auch seit zwei Tagen nichts gegessen. Das ebenfalls gute war, das ich meinen Durst gleichzeitig mit den Tomatensaft stillen konnte…sozusagen: Zwei Fliegen mit einer Klappe.

Als ich fertig war, stellte ich den Korb neben dem Tisch auf dem Boden und starrte dann die Kriegerin an. Ihr Drache war braun, hatte aber eine grau-grünliche Schwanzspitze. Das Leder ihrer Rüstung war ebenfalls in solchen Farben gehalten. Ich dachte an Orona, die gestern da gewesen war und dass ihre Robe ebenfalls farblich zu ihren Drachen gepasst hatte. Ich runzelte die Stirn. Wenn ich genauer darüber nachdachte, galt dies auch für die Personen, die ich an meinen ersten Abend getroffen hatte. War wohl so eine Macke von denen.

„Hey, tut mir sehr Leid, dass ich dich niedergeschlagen habe“, begann auf einmal die Frau und lächelte. „War nur selber in großen Stress gewesen. Erst der Angriff hier, dann das Verschwinden dreier Eier und der Übergang in deine Welt. Ich habe halt meine Nerven verloren, als du dann auch noch angefangen hast, mich anzuschreien, als ob ich dich abstechen würde. Tut mir wirklich sehr Leid.“

Okay…das war mal eine Entschuldigung. Jedoch spürte ich, dass die Frau es ernst meinte und nickte.

„Joar…kein Problem. Ich habe mich wohl nicht besonders gut benommen“, meinte ich und dachte an den Abend zurück. Im Grunde genommen ist nur die Echse daran schuld gewesen.

Schweigen breitete sich aus, welches jedoch immer wieder durch das Fiepen der roten Echse unterbrochen wurde. Diese wurde immer unruhiger und ich konnte es ihr förmlich ansehen, dass sie viel lieber bei mir gewesen wäre als bei der anderen Frau. Dass das Vieh auf ja keine dummen Gedanken kam!

Als das Schweigen für mich unerträglich wurde, hielt ich es nicht mehr aus.

„Wie heißt du?“ Die Frau sah mich fragend an und ich fuhr schnell fort. „Ich heiße Rose.“ Gut, das wusste diese bestimmt schon, aber es schadete nicht, wenn ich mich selber noch einmal vorstellte.

Ein breites Lächeln erschien auf dem Gesicht der Frau.

„Mein Name ist Salà Pandeia und dies hier ist Allanar“, sagte sie und zeigte auf ihre brauen Echse, welche kurz ihren Kopf hob. „Ich bin Wächterin hier in Dracheim.“

Aha. Ich hatte keine Ahnung was dies bedeutete, aber dies hieß wohl, dass sie hier an dieser Schule arbeitete. Ich warf einen Blick auf ihre Waffen. Jedoch konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie Lehrerin war oder besser gesagt, hoffte ich dies.

Plötzlich stand Pandeia auf.

„Wir sollten jetzt besser gehen … Nria Llyandrei möchte dich noch einmal untersuchen und glaube mir, die Heilerin kann ganz schön ungehalten werden, wenn jemand sie warten lässt.“

Ich starrte die Kriegerin ungläubig an. Den Raum verlassen? Ich schüttelte ungewollt den Kopf. Das war das Letzte, was ich machen wollte.

„Komm schon“, sprach Pandeia. „Du kannst ja wohl kaum für den Rest deines Lebens in diesem Zimmer hier verbringen.“ Sie breitete die Arme so aus als würde sie den Raum umarmen wollen. Sie sah mich an direkt an. „Ich selber habe ja schon gedacht, dass du eher rauskommen würdest…glaub mir: Es gibt nichts Langweiligeres als vor einer Tür Wache zu stehen, wo sich nichts regt.“

Irgendwie wurde ich gerade nicht schlau aus der Frau. Sie hatte zugegeben, dass sie Wache vor meiner Tür geschoben hatte und nun beschwerte sie sich, weil ich nicht versucht hatte zu fliehen? Ich kniff die Augen zusammen.

„Wie lange ich in den Raum bleiben kann, ist meine Sache“, erwiderte ich und verschränkte wieder einmal meine Arme.

Pandeia lachte auf. „Sicher…nur wird Nria Llyandrei dies nicht gefallen. Sie ist der Meinung, dass es dir wesentlich besser gehen wird, wenn du dich hier einmal umschaust.“ Ohne Vorwarnung ergriff die Kriegerin meinen Oberarm und zog mich in Richtung Tür. Ich versuchte mich mit den Beinen dagegen zu stemmen, doch diese Frau hatte so eine große Kraft, dass sie dies nicht zu merken schien. Dann fiel mir ein, dass sie mich schon einmal niedergeschlagen hatte und die Furcht, dass sie dies wieder machen könnte, kam in mir auf. „Nun wehr dich nicht …es wird dich schon niemand auffressen“, sagte Pandeia und ließ meinen Arm los. Sie sah mich auffordernd an und irgendwie hatte ich das Gefühl, das sie gerade einen Witz gemacht hatte, den ich jedoch nicht verstand.

Ich sah zur offenen Tür und dann wieder zu der Kriegerin. Meine Gedanken rasten. Ich wollte nicht den Schutz des Zimmers verlassen, aber ich ahnte, dass diese Frau mich notfalls mit Gewalt rauszehren würde.

„Nun komm schon. Glaub mir, du willst Nria Llyandrei nicht warten lassen. Sie kann dann sehr unausstehlich werden.“

Mit einem tiefen Seufzer ergab ich mich meinem Schicksal und trat aus dem Zimmer.

Der Flur, auf dem ich landete, war groß. Er bestand aus alten Steinen und wurde von beiden Seiten durch Statuen geziert. Diese zeigten unterschiedliche Wesen, welche ich noch nie gesehen hatte. Sicher, es gab Spitzohren und kleine gedrungene Wesen, die man wohl in meiner Welt als Zwerge bezeichnen würde. Es gab aber auch Kreaturen, die ich noch nicht kannte. Wesen, die einen Fischkopf oder einen Schildkrötenpanzer besaßen und dennoch auf zwei Beine gingen. Ab und zu gab es auch Menschen. Das Einzige, was alle gemeinsam hatten, war, dass auf ihren Gesichtern so etwas wie eine Flamme eingemeißelt war.

Während ich die Figuren betrachtete, gingen wir den Flur entlang und kamen zu einem Turm, wo an dessen Wände eine Wendeltreppe nach oben und nach unten führte. Pandeia ging nach unten und ich folgte ihr. Wir kamen dabei an einige Ausgänge vorbei, die zu niedrigeren Stockwerken führten und durch Fenster, die in regelmäßigen Abständen kamen, konnte ich erkennen, dass wir dem Boden immer näher kamen.

Während der ganzen Zeit sagte Pandeia nichts und ich war froh darüber, denn das Gebäude, in dem ich mich befand, war einfach überwältigend. Mir wurde bewusst, dass ich mich in einem Schloss oder einer Burg befand und ich musste zugeben, dass es mir gefiel. Vielleicht war es ja doch nicht so schlecht, dass – Stop! Ich musste aufhören, so zu denken. Ich durfte nicht mein Ziel verlieren, dass ich wieder nach Hause wollte und deswegen…

Meine Gedanken brachen ab, als wir in einem anderen Flur bogen, welcher jedoch auf der einen Seite so gestaltet war, dass man auf einen großen Platz blicken konnte, der sich im Freien befand. Ich blieb an einer Säule stehen und starrte auf diesen Ort. Schweiß bildete sich auf meiner Stirn. Ich kniff die Augen zusammen und öffnete sie wieder in der Hoffnung, dass das was ich sah, nur ein Traum war. Andererseits hoffte etwas tief in mir drin, dass es keine Einbildung war.

Auf dem Platz stand ein riesiger großer Drache! Ein echter Drache und nicht so eine kleine Echse, die auf den Schultern der Personen standen. Nein! Ein Großer mit richtigen riesigen Schwingen. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich da gestanden und ungläubig auf das Wesen gestarrt hatte, aber irgendwann spürte ich, wie jemand mich an der Schulter berührte. Ich machte einen Satz laut aufschreiend nach hinten.

„Hey! Jetzt schrei nicht so … ich beiß schon nicht“, sagte Pandeia und sah mich mit schrägem Kopf an. Belustigung stand wieder in ihren Augen.

„Das … das ist ein Drache“, flüsterte ich und zeigte auf das majestätische Wesen, dass auf dem Platz immer noch stand.

Die Kriegerin hob eine Augenbraue und sah zu dem Drachen. „Ja und? Was ist so besonders daran? Immerhin ist Dracheim die Schule für Drachenreiter …außerdem ist er ja nicht der erste Drache, den du gesehen hast.“ Sie zeigte auf die rote Echse. „Deinen Gefährten kennst du doch auch und Allanar hast du auch schon kennen gelernt.“ Ihre braune Echse hob den Kopf bei dem letzten Namen und zischte leise.

Ich starrte sie ungläubig an. „Das sind Echsen …Eidechsen…und keine Drachen.“ Ich zeigte auf das Tier, das außerhalb des Gebäudes war. „Aber das da…das ist ein echter großer Drache!“

Pandeia sah mich zweifelnd an und sah zwischen den Drachen und mir hin und her, ehe Erkenntnis in ihren Augen trat und sie zu lachen anfing.

Ich verschränkte meine Arme. Wenn ich es nicht besser wissen würde, lachte die Frau mich gerade aus. Wut kam in mir hoch und ich kniff meine Augen zusammen.

„Du …du …du dachtest …“, begann Pandeia, brach aber wieder ab, denn das Lachen erschwerte ihr das Reden. Die atmete tief durch. „Das sind keine Eidechsen, Rose. Das sind Drachen…nur in ihrer Zweitform…ich meine, stell dir doch mal vor, wie groß alles sein müsste, damit ich mit Allanar in seiner wahren Gestalt überall hinkommen würde…einfach unpraktisch!“

Zweitform? Wahre Gestalt? Wovon zu Teufel sprach diese Frau.

Pandeia schien zu merken, dass ich keine Ahnung hatte. Sie lächelte, ergriff mich beim Arm und zog mich zwischen den Säulen auf dem freien Platz.

Angst kam in mir auf, denn je näher wir den Drachen kamen, desto größer und bedrohlicher wurde er. Ich wollte stehen bleiben, aber wie auch schon zuvor in meinem Zimmer, fiel es Pandeia sehr leicht, mich mit sich zu ziehen.

„Nein …nicht…“

„Jetzt hab dich nicht so …Von wird dich schon nicht fressen.“

Plötzlich blieb Pandeia stehen und ließ mich los. Ich duckte mich hinter ihr, als ich sah, dass der Drache uns gesehen hatte und seinen mächtigen Kopf zu uns rüber schwenkte. Mir stockte das Herz. Sein Kopf war größer als ich und seine Zähne so lang wie mein Unterarm. Die Schuppen des Drachens leuchteten dunkelblau und seine Augen blitzten gelblich auf. Diese waren direkt auf uns gerichtet.

Pandeia ging einige Schritte auf dem Kopf zu, und als sie direkt vor ihm stand, klopfte sie auf seinen Schuppen.

„Na, Großer …wo ist denn Sal Zolern?“

Der Drache schnaubte und Dampf stieg aus seinen Nasenlöchern, welcher jedoch Pandeia nicht störte. Ihre eigene Echse – Drache? – richtete sich auf ihrer Schulter auf und zischte den großen Drachen an. Ebenso konnte ich erkennen, dass die rote kleine Echse aufgeregt war.

Die Kriegerin nickte plötzlich. „Verstehe …und da lässt er dich hier einfach warten?“

Ein erneutes Schnauben entfuhr dem Drachen und er richtete sich auf.

Pandeia nahm die rote Echse von ihrer Schulter und setzte sie auf der Wiese ab. Diese rannte sofort in meine Richtung, doch ehe ich zurückweichen konnte, hielt sie inne und setzte sich hin. Wieder der fragende Blick von ihr.

„Nun gut, Rose“, sagte Pandeia und wandte sich zu mir. „Dann werde ich dir mal die wahre Gestalt von Allanar zeigen …du wirst begeistert sein.“

Ich zog zweifelnd die Augenbrauen hoch. Da war ich aber nun gespannt, wie die wahre Form von der braunen kleinen Echse auf der Schulter der Kriegerin aussah.

Pandeia setzte ihre eigene Echse auf dem Boden, machte eine verscheuchende Bewegung zu dem großen Drachen, welcher daraufhin zum Rand des Platzes ging. Dort setzte er sich auf dem Boden und ließ uns nicht aus den Augen.

Meine Aufmerksamkeit jedoch besaß die kleine braune Echse.

Pandeia ging selber einige Schritte zurück, warf einen lächelnden Blick zu mir – also dafür, dass sie wie eine harte Kriegerin aussah, lächelte sie ziemlich oft – und nickte dann.

Plötzlich verschwammen die Konturen der braunen Echse. Ihre Gestalt fing an im schwachen Licht zu pulsieren, ihre Umrisse wurden unruhig und auf einmal schien das Tier zu wachsen. Die Schuppen wurden größer, härter und dunkler. Ihre Hinterbeine wurden kräftiger und dicke scharfe Krallen entstanden. Auch die Vorderbeine wurden größer, doch blieben im Vergleich zu den Hintergliedmaßen kleiner. Der Kopf der Echse wurde ebenfalls größer, dass Kinn endete in einem gewaltigen Horn und über die Augen entstanden zwei dicke Wülste, die Spitz nach hinten ausliefen. Der Schwanz verlängerte sich, kleine Stacheln wuchsen aus ihm und er endete in drei großen Stacheln. Auf der Stirn bildeten sich zwei Hörner und zwischen ihnen entstand ein drittes Auge, welches sich jedoch sofort wieder schloss und es so aussehen ließ, als wäre dort nichts. Dann wurden die Konturen wieder fester und das schwache Licht erstarb.

Aus der kleinen braunen Echse mit grün-gräulichem Schwanz ist ein großer gewaltiger Drache geworden!

Ich starrte das Tier mit offenem Mund an. Nicht wissend, ob ich nun doch träumte und mit einem seltsamen Gefühl tief im Herzen.

Pandeia trat an den Drachen und klopfte ihn auf die Vorderbeine. Der Drache knickte sie ein und stieß seinen Kopf gegen ihren Oberkörper. Mir wurde bewusst, dass dieser mit einer Leichtigkeit die Frau mit einem Happen verschlingen könnte.

„Und“, fragte Pandeia und sah mich an. „Ist dir die kleine Echse nun drachig genug?“

Ich nickte. Plötzlich durchfuhr mich Angst. Der Gedanke, dass jede kleine Echse, der ich in de letzten Tagen begegnet war, in Wirklichkeit ein riesiger Drache war, ließ mich erzittern. Ich warf einen Blick zu der roten Echse, die immer noch vor mir auf dem Boden saß. Sollte diese sich auch in so einen großen Drachen verwandeln können? Plötzlich schien die Aussicht, der Gefährte der Echse zu sein, nicht mehr so abwegig.

„Das …das ist unglaublich“, sagte ich und sah wieder den braunen großen Drachen an. „Und…und kann er auch Feuer speien?“

Ein Grinsen breitete sich auf Pandeias Gesicht aus. Sie nickte.

Der Drache warf seinen Kopf in den Nacken, ein leises Grollen ertönte, er öffnete den Mund und kurz darauf schoss eine gewaltige Flamme in den Himmel.

„Wow …“

„Ach … das ist noch gar nichts“, ertönte hinter mir eine fremde helle Stimme und ich machte einen Satz zur Seite. Mit klopfenden Herzen drehte ich mich um.

Hinter mir stand ein junger Mann mit blondem kurzen Haar und einem 3-Tage-Bart. Er trug eine hellblaue Tunika und über diese eine dunkelblaue Weste. Seine Hosen waren ebenfalls in einen bläulichen Ton. Auf der Weste war ein Wappen zu sehen, welches allerdings nicht so aussah wie das von Orona oder den anderen. Es beinhaltete auch einen Drachen, aber anstatt einer Flamme im Hintergrund, war dort ein Schwert zu sehen.

„Na, Salà Pandeia. Gibst du wieder mal mit deinem Schoßhündchen an“, rief er der Kriegerin zu und lief auf dem Platz. Er warf einen Blick zu den braunen Drachen, ehe er zu den anderen Drachen ging, der immer noch am Rand des Platzes wartete. „Und du Von? Lässt du dich einfach von den beiden hier verjagen?“

Der andere bläuliche Drache stieß ein lautes Grollen aus und beugte seinen Kopf zu dem Mann runter. „Jaja, mein Lieber. Hat länger gedauert als erwartet.“ Er streichelte über die Schuppen, ehe er sich zu Pandeia wandte. „Und was machst du hier? Abgesehen davon, dass du meinen kleinen Liebling ärgerst.“

Pandeia verschränkte ihre Arme. „Ich zeige einer neuen Schülerin den Unterschied zwischen der wahren Form und der Zweitform eines Drachens … und bringe sie ganz nebenbei zu Nria Llyandrei, Sal Zolern!“

Der Mann sah mich genau an. Ein erkennender Blick trat in seine Augen. „Verstehe! Du bist die Neue, die aus der anderen Welt kommt. Stimmt es, dass es dort keine Drachen mehr gibt?“ Nicht nur sein jetziger Blick, sondern auch seine Stimme klang neugierig.

Ich nickte. „Die … die sind nur Mythen und kommen in Märchen und Sagen vor.“

Der Mann – Zolern – schüttelte betrübt den Kopf. „Traurig, traurig. Kein Wunder, dass heutzutage kaum einer von uns in diese Welt mehr geht…Was für ein Verlust.“

Unsicher, was ich darauf antworten sollte, beschloss ich erst einmal gar nichts zu sagen, sondern zu schweigen. Pandeia nickte zustimmend, ehe sie einen Blick zum Himmel warf und zusammenzuckte. „Ahh…es ist schon nach Mittag“, sagte sie und klopfte ihren Drachen wieder auf dem Vorderbein. „Komm, Allanar. Wir müssen heute noch zu der Heilerin!“

Sofort verschwammen die Umrisse des Drachens und er schien in sich zu einzufallen. Wurde kleiner, die Stacheln und Hörner bildeten sich zurück und kurz darauf saß auf der Wiese wieder die kleine braune Echse. Diese kletterte schnell auf die rechte Schulter von Pandeia. Sie sah mich an.

„Komm…sonst wird die Heilerin wirklich ungehalten.“

Ich sah zu ihrer kleinen Echse, während mein Verstand immer noch die Verwandlung nachvollziehen wollte. Dann war es also wahr…es gab wirklich Drachen. Langsam, aber sicher wurde mir bewusst, dass dann auch alles andere stimmen musste. Ich riss meine Augen auf. Dann war ich wirklich in einer anderen Welt?

Plötzlich wurde es mir schwindlig und ich begann zu zittern. Eine Angst, die ich vorher nur in Unterbewusstsein gespürt hatte, brach auf mich ein. Ich war in einer anderen Welt! Ich konnte nicht mehr so einfach nach Hause gehen! Nun wurde mir auch bewusst, dass diese Leute hier garantiert kein Erpresserschreiben zu meiner Ma geschickt hatten. Mit anderen Worten, diese Leute würden mich nicht einfach so gehen lassen, da mich wirklich ein Drache gezeichnet hatte und …

„Hey! Ist alles in Ordnung“, fragte Pandeia und sah mich mit zusammengekniffen Augen an.

Sicher, alles war in Ordnung! Ich war in einer anderen Welt, würde meine Familie wohl nie wieder sehen und befand mich auf einer Schule für Drachenreiter. Wie sollte da bitte schön alles in Ordnung sein?!

Pandeia schien zu ahnen, was in mir vorging. Sie trat zu mir und legte eine Hand auf meiner Schulter.

„Das wird schon wieder werden, Rose. Glaub mir … dir wird es hier gefallen.“

Ich erwiderte nichts darauf, und als die Kriegerin mich mehr oder weniger mit sich zehrte, ließ ich es geschehen. Pandeia verabschiedete sich von den jungen Mann und die kleine rote Echse – mein Gefährte? – kletterte auf die Schulter der Kriegerin.

 

Wo wir hingingen, bekam ich nicht so wirklich mit. Ich zollte der Umgebung keine Aufmerksamkeit mehr, denn die Wucht der Erkenntnis hatte mich immer noch voll im Griff. Das Wissen, nicht mehr nach Hause kommen zu können, fraß mich innerlich halb auf. Ich sah Ma und Anni vor meinem geistigen Auge, wusste, dass ich sie nicht mehr sehen würde und Tränen stiegen in meine Augen auf. Sollte dies wirklich wahr sein?

Wir betraten einen Raum, in dem mehrere Betten standen und der durch große bogenförmige Fenster mit Licht durchflutet wurde. Pandeia zog mich immer noch mit und die rote Echse fiepte ab und zu. Als wir vor einer Tür standen, hielt die Kriegerin inne und klopfte an dieser.

Kurz darauf öffnete Spitzohr diese.

„Oh …da seit ihr ja“, sagte sie und zog die Tür ganz auf.

Pandeia dirigierte mich zu einem Stuhl und wandte sich dann der Heilerin zu. Sie flüsterte ihr etwas in Ohr, dass ich nicht verstand und kurz darauf nickte diese.

„Rose?“ Llyandrei hockte sich vor mir nieder und sah mir direkt in die Augen. Ich konnte Sorge in ihnen erkennen.

„Ich kann nicht mehr nach Hause“, flüsterte ich, und als ich es aussprach, wurde die Verzweiflung in mir größer.

Die Heilerin schüttelte den Kopf. „Nicht doch …du kannst nur jetzt nicht gehen, da dieses zwischen Welten-reisen immer gefährlich ist und in wenigen Tagen das Schuljahr anfängt. Das heißt aber nicht, dass du nicht nach Hause gehen kannst, wenn dann wieder die Ferien beginnen.“

Ich sah Spitzohr an und meine Tränen versiegten. Neue Hoffnung kam in mir auf, doch diese wehrte nur kurz. Ich wollte nicht an einer Schule gehen, die in einer anderen Welt war und wo ich nichts und niemanden kannte. Meine Schultern sackten nach unten. „Warum ich?“

Darauf hin, begann wieder die rote Echse zu fiepen. Es musste wohl stimmen, dass sie mich auserwählt hatte. Mich? Wo ich doch Echsen hasste und nur schlechte Erfahrungen mit denen gemacht hatte. Außerdem hatte die Echse mir Schmerzen bereitet. Wieso sollte ich einen Gefährten haben wollen, der mir weh tun konnte …vor allen, da es sich hierbei um einen starken Schmerz gehandelt hatte. Gezeichnet zu werden ist nicht etwas, dass ich gerne wiederholen würde.

Llyandrei seufzte. „Drachen suchen sich einen Gefährten aus, dem sie sich hingezogen fühlen. Er trifft nur einmal in seinem Leben die Entscheidung und diese ist auf dich gefallen. Weshalb er dies getan hat und welche Kriterien er verwendet hat, kann ich dir nicht sagen. Nur, dass er sich bei seiner Wahl sicher war, sonst hätte er dich nicht auch gleich gezeichnet … obwohl …“ Sie brach ab und warf einen Blick zu der roten Echse.

Dies ließ mich aufhorchen. Gab es doch eine Möglichkeit, dass dieses Tier sich geirrt hatte? „Obwohl was?“

Die Heilerin blickte nun mich an. „Normalerweise zeichnen die Drachen ihren Gefährten erst viel später. Es ist ein Zeichen des vollständigen Vertrauens und Hingabe …dein Drache jedoch hat dich gezeichnet, weil er verunsichert war.“

Okay, das verstand ich nun überhaupt nicht. Das war doch widersprüchlich!

„Du musst verstehen, dass Drachen sich mithilfe der Telepathie verständigen …wir Reiter können mit ihnen über unsere Gedanken reden. Wenn ein Drache sich einen Gefährten aussucht, dann beginnt er, sich mit ihm zu unterhalten. Neugeborene Drachen reden ausschließlich nur mit ihren Reiter und erst später auch mit anderen…er hat versucht mit dir zu reden, doch du hast nicht darauf reagiert. Ich nehme an, dass du ihn nicht hörst, oder?“

Ich starrte Spitzohr ungläubig an. Der Drache will sich mithilfe seiner Gedanken mit mir unterhalten? Mein Blick schwang zu der Echse. Die Heilerin hatte recht, denn ich höre überhaupt nichts. Weder an diesen einen Abend noch jetzt oder sonst irgendwann. Nun erklärte sich auch das Verhalten einiger. Ihre seltsame Gesten oder Wörter, welche ich nicht nachvollziehen konnte. Dies war ja auch nicht verwunderlich, wenn die anderen sich in ihren Gedanken unterhielten.

Die rote Echse fiepte wieder und es klang sogar fast verzweifelt. Diese versuchte wohl immer wieder sich mit mir zu unterhalten, aber ich hörte sie einfach nicht.

„Ich höre gar nichts“, flüsterte ich und für einen kurzen Moment hatte ich Mitleid mit der Echse.

Llyandrei nickte. „Das haben wir uns schon gedacht. Dein Drache ist dementsprechend verwirrt und fühlt sich auch zurückgestoßen. Das ist etwas Gefährliches, wenn ein Reiter seinen Drachen abweist und da deiner auch gerade erst geboren war, hatte er das Einzige getan, das ihm instinktiv einfiel: Er hat dich mit dem Blick gezeichnet.“ Auf meinen fragenden Ausdruck meines Gesichts fuhr sie fort. „Der Blick erlaubt es einen, besser die Magie eines Drachens zu nutzen und fördert unsere Sinne. Allerdings ist das Zeichnen beim ersten Mal sehr schmerzhaft, da sich zu diesem Zeitpunkt die Augen und alles andere zum ersten Mal verändern. Wie du vielleicht schon gemerkt hast, sehen bei einigen die Augen den der Drachen sehr ähnlich. Dies ist immer dann, wenn wir den Blick verwenden oder aber stark mit der Magie hantieren.“

Gut, das erklärte die Tatsache, dass die Leute hier mal ovale Pupillen haben, dann aber wieder völlig normal aussahen. Ich stockte als ich die Worte der Heilerin noch einmal durchging. Sollte das heißen, dass meine Augen für einen Augenblick auch so seltsam ausgehen hatten? Dann war es ja kein Wunder, dass mein ganzes Gesicht so sehr geschmerzt hatte. Ich sah wieder die Echse an. Meine vorherige Wut und Angst wich Mitleid. Das arme Tier hatte nur verzweifelt versucht mit mir zu kommunizieren und fühlte sich von mir zurückgestoßen.

„Werden die Schmerzen wiederkommen?“

Llyandrei sah mich mitleidig an. „Erst einmal nicht … der Trank, den ich dir damals gegeben hatte, unterdrückt die Wirkung. Selbst wenn du selber den Blick zu dir rufen würdest oder aber dein Drache diesen in dir wecken wöllte, wird es erst einmal nicht funktionieren. Du musst aber unbedingt üben diesen zu kontrollieren und nach einiger Zeit wird der Blick auch dann ganz ohne Schmerzen kommen. Es wird sogar so sein, dass er auch von alleine kommt, ohne, dass man sehr stark an ihn denken muss…er wird ein Teil von dir werden.“

Da war ich mir aber nicht so sicher.

Ich schloss meine Augen und versuchte meine Gedanken zu ordnen.

Ich befand mich wohl wirklich in einer anderen Welt, die kleine rote Echse ist ein Drache und mein Gefährte, ich soll ihr Reiter werden und muss deswegen auf diese Schule hier gehen. So wie es aussah, hatte ich keine Wahl, und wenn ich wirklich wieder nach Hause gehen wollte, musste ich erst einmal wohl oder übel mitspielen.

Ich öffnete meine Augen.

Ich sah wieder zu der Echse. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, mich zu zeichnen?

„Mit bleibt also nichts anderes übrig, als hier zu bleiben und auf diese … Schule zu gehen“, fasste ich laut alles zusammen. Der Gedanke gefiel mir überhaupt nicht. Ich hasste Schule und das Wissen, dass ich eigentlich Ferien gehabt hätte, machte es auch nicht gerade einfacher.

Sowohl Llyandrei also auch Pandeia nickten.

„Dir wird es hier gefallen“, wiederholte Pandeia ihre Worte von vorhin und lächelte mich an. „Du musst dich nur eingewöhnen, und sobald du dies getan hast, wird alles besser werden. Glaub mir! Es gibt nichts Besseres als einen Drachengefährten zu haben.“

Ich war mir bei diesen Worten noch unsicher, aber da ich keine Wahl hatte, beschloss ich dieses ganze hier zu akzeptieren. Die Zukunft würde schon zeigen, ob es mir gefallen wird oder nicht.

5. Kapitel

Am nächsten Tag erwachte ich mit einem besseren Gefühl. Vielleicht lag es daran, dass mir nun endlich bewusst geworden ist, dass die anderen die Wahrheit gesagt hatten, oder aber auch daran, dass ich mir eingestanden hatte, dass ich nicht so leicht wieder nach Hause kommen konnte. Sicher, das Wissen schmerzte in mir, aber es gab mir gleichzeitig auch ein abenteuerliches Gefühl. Ich befand mich in einer anderen Welt und die nervende rote Echse ist wirklich ein Drache. Dies schien vielversprechend zu sein, wenn es da nicht die Tatsache gab, dass ich hier zur Schule gehen musste und ich nun keine Ferien haben würde. Ebenfalls vermisste ich sehr stark meine Familie. Ich wusste nun, dass ich sie nicht so schnell wieder sehen würde, und fragte mich, wie sie es aufnahmen, dass ich verschwunden bin.

Ein leises Fiepen riss mich aus den Gedanken, und ohne, dass ich es sehen musste, wusste ich, dass die Echse hier im Raum war. Ich erinnerte mich daran, dass ich sie mir gefolgt war, als ich wieder in das Zimmer gegangen war.

Als ich mich umschaute, erkannte ich, dass sie auf dem Tisch neben dem Tablett saß und mich mit fragenden Augen anblickte. Mitleid kam in mir auf. Das Tier versuchte mit mir in den Kontakt zu treten, wusste aber nicht, wie es dies machen sollte. Warum verstand ich nicht seine Gedanken?

Ich verließ das Bett und trat an dem Tisch.

„Na du“, sagte ich und betrachtete die Echse genau. Die Farbe Rot sah ungewöhnlich an der Echse aus und kurzzeitig erinnerte ich mich daran, dass sie bei unseren ersten beiden Begegnungen im Park in mehren Farben geschillert hatte. Warum war es jetzt nicht mehr so? Hatte ich es mir nur eingebildet?

Vorsichtig streckte ich meine Hand zu der Echse aus und strich ihr über den Rücken. Zuerst zaghaft, weil ich nicht wusste, ob ich wieder einen elektrischen Schlag abbekam, doch dann, als nichts passierte, intensiver.

Ein leises Grollen kam von der Echse und ich brauchte einige Sekunden, um mitzubekommen, dass es nicht gefährlich klang …sondern eher so, als würde das Tier es genießen. Ein leises Lachen entfuhr mir.

Ich nahm mit der freien Hand ein Stück Brot und biss ab. Gestern Abend hatte ich zusammen mit Pandeia das fremde Essen hier probiert. Da ich schon hier bleiben musste, blieb mir nichts anderes übrig. Ich konnte mich ja nicht nur von Tomaten ernähren. Dabei hatte ich festgestellt, dass das Brot sehr gut schmeckte und auch ein Käse, der grünlich war, gewann meine Aufmerksamkeit. Am Anfang hatte ich gedacht, dass er schimmlig war, aber dies war nicht der Fall gewesen. Er schmeckte so ähnlich wie ein Stinkkäse, roch dafür aber nicht so furchtbar.

„Du hast mein ganzes Leben auf dem Kopf gestellt“, sagte ich und strich wieder über die Schuppen. Ich fragte mich, wie die Echse wohl in ihrer wahren Gestalt aussah. „Na gut…wenn ich schon hier bleiben muss, muss ich dir ja auch einen Namen geben“, flüsterte ich und hockte mich vor dem Tisch nieder, um dem Tier genau in die Augen zu blicken.

Gestern hatte ich erfahren, dass der Reiter den Namen des Tieres über den Gedanken hört, aber dies war ja bei mir leider nicht möglich. Was bedeutete, dass ich mir selber einen Namen ausdenken musste. Wie also sollte ich die Echse nennen, die mein Leben verändert und mich gezeichnet hat? Das Problem des Ganzen war, dass ich tief in inneren, Echsen immer noch nicht leiden konnte und ich das Tier vor mir nur eine Chance gab, weil ich mir vorstellte, dass es in Wirklichkeit ein Drache war. Ich ging in Gedanken viele Namen durch, wobei mir kein Einziger richtig passend erschien. Ich dachte an Filmen, die ich kannte und wo Drachen vorkamen, aber keiner gefiel mir. Das ganze war doch ein totaler Mist! Es konnte doch nicht so schwer sein, für diesen kleinen Misthaufen einen Namen zu finden.

Ich hielt inne, als mir der passende Name einfiel. Darauf hätte ich wirklich eher kommen müssen!

„Mist! Ich werde dich Mist nennen, denn du Misthaufen hast mein Leben auf dem Kopf gestellt“, sagte ich und die Echse fuhr so schnell, ohne dass ich reagieren konnte, mit der Zunge über mein Gesicht. In Erwartung, dass es wieder schmerzen würde, schloss ich meine Augen, doch es passierte nichts! Vorsichtig öffnete ich wie und sah, dass die Echse mich mit erwartungsvollen Augen anblickte und sogar mit dem Schwanz wackelte. Okay…bei Hunden bedeutete dies ja, dass sie sich freuen, aber wie war es bei Drachen?

„Dir scheint der Name ja zu gefallen“, flüsterte ich und erhob mich wieder. „Du bist schon wirklich seltsam, Mist.“

Ein Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken und ich hob fragend eine Augenbraue. Ich hoffte, dass es Pandeia war, da ich mich mit ihr ziemlich gut verstand.

„Ja?“

Zu meiner Enttäuschung war es nicht die Kriegerin, sondern wieder die Direktorin. Also die Frau, die so aussah, als hätte sie einen Besenstiel verschluckt. Ihr Name fing irgendwie mit Maigh an.

„Ich wünsche dir einen schönen guten Morgen, Rose“, sagte die Frau. Sie schien sich über irgendetwas zu freuen, doch ihre Stimme klang ernst. Ich ahnte, dass mit ihr keine guten Kirschen zu essen war und nahm mir fest vor, sie nicht zu verärgern. „Ich habe gehört, dass du endlich eingesehen hast, was das Beste für dich ist.“

So konnte man dies auch nennen. Ich selber sah es so, dass mir keine andere Wahl blieb und ich das Beste aus der Situation machen musste. Jedoch sagte ich dies nicht, sondern nickte nur.

Dies schien der Frau zu genügen.

„Gut“, sagte sie und klatschte in die Hände. „Dann werde ich dich zu deinem neuen Zimmer begleiten, dass du während des Schuljahres zusammen mit drei anderen Schülern bewohnen wirst.“

Ich starrte die Frau an. Gut, dass ich hier in der Burg wohnen würde, hatte ich befürchtet, aber dass ich mein Zimmer mit jemandem teilen musste ... Dies kam doch etwas unerwartet, da ich ja auch keinerlei Ahnung hatte, wie die anderen waren und wie sie reagieren werden, dass ich von einer anderen Welt kam.

Der Gedanke gefiel mir überhaupt nicht. Ich war es nicht gewöhnt, mein Zimmer mit jemandem zu teilen, da ich immer ein Einzelzimmer hatte. Die Frau schien zu ahnen, was ich dachte, denn sie schien plötzlich zu lächeln. „Mach dir keine Gedanken darüber. Alle sind sehr nett und wir sind eine große Familie. Wenn du Fragen oder Probleme hast, dann frag einfach. Wir werden dir helfen.“

Das war ja schön und gut, half mir aber nicht wirklich. Jedoch ahnte ich, dass es hier keine Diskussionmöglichkeiten gab, sodass ich nur noch hoffen konnte, dass die Mitbewohner wirklich nett waren.

Danach brachte die Frau mich in einem anderen Zimmer und verließ mich wieder. Mist hatte sich derweil auf meiner Schulter bequem gemacht und ich muss sagen, dass ich es einfach nicht verstand, dass die Leute den ganzen Tag diese Echsen auf ihren Schultern tragen konnten. Er war zwar nicht gerade schwer, aber bequem war es dennoch nicht … jedenfalls nicht für mich.

Das Zimmer war groß. Es hatte vier Betten, wobei zwei an der Seite standen, wo es drei riesige Fenster gab und eins jeweils rechts und links von der Tür. Ebenfalls gab es vier Schränke und vor jedem Bett stand eine Truhe. Auch gab es vier Schreibtische, sowie vier Stühle.

Ich seufzte und suchte mir ein Bett aus, das am Fenster stand. Dort setzte ich mich drauf. Ich blickte die Schränke an. Was nützte es mir, dass ich auf dieser Schule gehen durfte, wenn ich keinerlei Kleidung oder andere Dinge besaß. Auch wurde mir jetzt bewusst, dass ich seit drei Tagen keine Zähne geputzt hatte …der Gedanke daran, ist irgendwie ekelhaft. Gut, ich hatte kaum etwas gegessen, aber dennoch…ein tolles Gefühl war es nicht.

Mist hob seinen Kopf und drückte sie an meine Wange, so als wollte er mich aus meinen Gedanken reißen. Ich ließ es geschehen und dachte wieder an meine Familie. Was sie jetzt wohl machte? Wie ging es eigentlich Chris? Ob sie sauer war, dass ich nicht erschienen bin? Ich seufzte. So schnell würde ich keine Antwort bekommen.

Plötzlich fiel mir ein, dass ich ja Nachrichten auf meiner Mailbox und dass ich SMSs bekommen hatte. Schnell holte ich mein Handy hervor. Der Akku war fast leer und wie schon erwartet, besaß ich kein Netz. Ich öffnete die älteste Nachricht. Wie damals schon erwartet, schrieb Ma, dass ich sofort nach Hause kommen sollte. Die nächste war auch wieder die Aufforderung. Diese beiden Nachrichten hatte ich bekommen, als ich auf dem Weg zu Chris war und da ich gewusst hatte, dass Ma sauer sein würde, hatte damals beschlossen, diese nicht zu öffnen. Die dritte war von Chris. Sie fragte nach, wo ich blieb und ob meine Ma mir nun doch verboten hatte, zu kommen. Die vierte und fünfte waren wieder von meiner Ma. In diesen schrieb sie, dass ich mir großen Ärger einhandelte, wenn ich nicht endlich nach Hause kommen würde. Die sechste war von Anni. In ihr stand ebenfalls, dass ich kommen und ja keine Dummheiten machen sollte. Die siebte war wieder von meiner Freundin. Sie schrieb, dass ich mich bei ihr melden sollte. Die letzte und achte SMS war wieder von meiner Ma. In dieser verkündigt sie, dass ich die nächsten drei Wochen Hausarrest bekommen werden, wenn ich mich nicht sofort bei ihr melden würde.

Ich seufzte. Dies würde nun egal sein, denn ich würde wahrscheinlich wochenlang nicht mehr nach Hause kommen. Traurigkeit machte sich in mir breit. Ich hatte damals Anni gesagt, dass ich abhauen würde, doch vorgehabt hatte ich dies nie wirklich. Nun war ich weg …in einer anderen Welt und die anderen mussten denken, dass ich meine Drohung wahr gemacht hatte. Ob Anni dies Ma schon gesagt hatte?

Ich beschloss, die drei Nachrichten auf der Mailbox abzuhören. Nicht weil ich wissen wollte, was sie so gesagt hatten, sondern weil ich einfach nur die Stimmen hören wollte.

Die erste Nachricht war von Ma: Rosette N. Dracon Shallan! Wenn du dich nicht sofort melden wirst, wird es ein Nachspiel haben. Was hast du dir dabei gedacht, schon zu gehen, ohne dass ich da war. Und deine Noten…darüber werden wir uns auch zu unterhalten haben. Ruf zurück!

Ja, dass war Ma wie sie leibt und lebt. Es war deutlich herauszuhören, dass sie wütend war. Kein Wunder, denn immerhin hatte sie mir vorher vier SMSs geschrieben, die ich ja nicht beantwortet hatte. Sie musste denken, dass ich einer Konfrontation aus dem Weg ging.

Die zweite war von meiner Schwester.

Rose. Du machst doch keinen Blödsinn oder? Das war doch nur ein Scherz von dir, dass du einfach abhauen wolltest, nicht wahr? Ma ist zwar wütend auf deine Noten, aber du weißt doch, dass sie dies nur macht, weil sie möchte, dass du etwas in deiner Zukunft erreichst. Mach bitte deswegen nichts, was du später bereuen wirst. Melde dich!

Oh meine kleine Schwester Anni! Ihre Stimme bebte vor Sorge und ich ahnte, dass Anni wirklich Angst gehabt hatte, dass ich einfach abgehauen bin. Ich seufzte. Gerne würde ich ihr sagen, dass ich dies nicht habe und dass ich am liebsten nach Hause kommen würde…dies jedoch war nicht möglich. Ich spielte mit den Gedanken, dass ich die Leute hier fragen sollte, ob sie nicht eine Nachricht zu meiner Familie schicken könnten … nur um sicher zu gehen, dass diese wissen würden, dass es mir gut ging.

Die letzte Nachricht war wieder von Ma.

Rose? Was erhoffst du dir von deinen Verhalten. Du musst doch wissen, dass du dadurch überhaupt nichts erreicht. Anni hat von deiner Drohung erzählt…du machst es doch dadurch immer schlimmer. Und abzuhauen ist keine Lösung! Ich mache mir doch nur Sorgen. Bitte melde dich!

Tränen flossen über mein Gesicht. Ma Stimme klang dieses Mal besorgt. Anni hatte ihr also erzählt, dass ich abhauen wollte und nun dachte Ma, dass ich dies wirklich machen würde? Ich presste meine Augen zusammen, um die Tränen zurückzuhalten und legte mich auf das Bett. Ich spielte die letzte Nachricht immer wieder ab, nur um die Stimme von Ma zu hören, während ich dabei weinte. Ich vermisste beide sehr.

 

Ich wusste nicht, wie lange ich im Bett gelegen und geweint hatte. Erst als Mist mich leise fiepend abgeleckt hatte, schreckte ich aus dem Zustand und starrte die Echse an. Kurzzeitig war ich wütend. In mir tobte ein riesiger Zorn; war doch dieses Tier daran schuld, dass ich nicht bei meiner Familie war. Doch dann blickte ich in seine Augen. Merkte, wie er mich traurig und flehend ansah und mein Zorn verrauchte wieder. Ich konnte ihm nicht die wirkliche Schuld geben. Er selber war ja auch in einer unsicheren Situation, denn wir konnten uns nicht verständigen.

Ich richtete mich im Bett auf, schaltete mein Handy ab, um so den Rest des Akkus zu sparen und sah mich wieder im Zimmer um. Mein Blick fiel auf einem Tisch, wo einige Bücher und andere Dinge langen. Ich trat näher heran.

Ich ergriff das erste Buch, das auf einen von zwei Stapeln lag, und las die Überschrift: „Vom Ei bis zum ausgewachsenen Drachen – Grundlagen für das richtige Pflegen seines Gefährten“. Ich runzelte die Stirn und sah auf dem Titel des zweites Buches, dass unter dem ersten gelegen hatte: „Urhariens Geschichte – Teil 1“. Ich schluckte. In mir kam der Verdacht auf, dass es sich hierbei um Lehrbücher handeln musste. Seufzend legte ich das Buch in meiner Hand wieder auf dem Tisch. Neben den beiden Stapeln gab es eine Unmenge an Pergament, Federkiele und kleine Glasbehälter mit Tinte. Ebenfalls lag ein großes Blatt auf dem Tisch, dessen Inhalt wie ein Stundenplan aussah. Ich nahm diesen in die Hand.

Stirnrunzelnd betrachtete ich die Spalten. In der Ersten standen Zeitangaben und danach gab es neun weitere Spalten. In den ersten drei standen Fächer drin, danach gab es eine leere Spalte und dann wieder drei Spalten mit Fächern. Die letzten beiden waren frei. Verwirrung kam in mir auf. Wieso neun Spalten? Soweit ich wusste, hatte eine Woche doch sieben Tage und keine Neun. Dann fiel mir wieder ein, dass ich ja in einer anderen Welt war. Da war es anzunehmen, dass die Woche hier vielleicht mehr Tage besaß als bei uns. Ich sah auf die allererste Zeile, wo seltsame Begriffe standen: Primtag, Sectag, Tertag, Quartag, Quintag, Hextag, Heptag, Octag und Noutag. Mein Stirnrunzeln wurde stärker. Etwas in mir vermutete, dass so die Wochen (?) – Tage hießen. Die Silben Prim, Sec und Ter erinnerten mich stark an Chemie und standen für 1, 2 oder 3. Auch die anderen Silben kamen mir bekannt vor. Also hatte die Woche doch neun Tage!

Ich sah den Stundenplan an und merkte, dass er mir überhaupt nicht gefiel. Vormittags gab es vier Fächer, danach eine größere Pause – vielleicht fürs Mittag? – und dann wieder vier Stunden. Wobei bei drei Tagen es Nachmittag nur drei Stunden gab und bei zwei Tagen, sogar spät abends noch eine Stunde. Mit anderen Worten: Am Primtag und Hexa fanden neun Stunden, am Sectag, Quintag und Heptag sieben Stunden und am Tertag acht Stunden statt. Bei den Tagen Quartag, Octag und Noutag waren die Spalten leer. Hatte ich da frei? Wenigsten etwas!

Kopfschütteln sah ich mir die Bezeichnung der einzelnen Fächer an und ahnte, dass ich die Schule hier auch nicht mögen würde. Einige Fächer sagten mir was, wie Geschichte, Geographie oder Literatur … andere Bezeichnungen klangen einfach seltsam: Allgemeine Drachologie; Grundlagen des magischen Formens oder Erziehung und Haltung eines Drachens. Mein Frust wurde größer als ich sowas las wie „Grundlagen der Alten Sprache“ – musste ich jetzt noch andere Sprachen lernen? Ich dachte an Englisch und Latein, die Fremdsprachen ich in der Schule lernte. In Sprachen war ich grottenschlecht!

Ich schmiss den Stundenplan wieder auf dem Tisch. So einen vollgepackten Stundenplan kann einem wirklich den Tag rauben und wieder bin ich mir unsicher, ob ich es überhaupt schaffen konnte. Ich kannte gar nichts in dieser Welt!

Neben den Schulsachen lag auch noch Kleidung auf dem Tisch. Es gab Tuniken, Roben und Hosen. Die Farbwahl jedoch ließ zu wünschen übrig ... alles war in rötlichen Tönen gehalten. Ich erinnerte mich daran, dass bei den anderen die Farbe ihrer Kleidung zu ihren Drachen gepasst hatte und warf einen scharfen Blick zu Mist. Warum musste er unbedingt rot sein! Jedoch kam kurz darauf auch Erleichterung, als ich mich erinnerte, dass er ja auch mal in dutzenden Farben geschillert hatte. Der Gedanke, dass ich kunterbunt hätte rumlaufen müssen, kam in mir auf und ich schauderte. Da war rot viel besser! Es gab auch zwei Umhänge, wobei einer aus festem warmem Wollstoff war, während der andere aus leichterem Stoff gewebt worden war. Unter dem Tisch selber standen einige Paar Schuhe bereit. Als ich die Kleidung genauer betrachtete, erkannte ich, dass auf fast jeder Tunika und Robe auch so ein Wappen war. Es sah ähnlich dem der anderen aus, nur, dass der Drache hier zwei Schwänze besaß. Er war Schwarz und befand sich auf einem rötlichen Untergrund. Das Wappen wurde von einem gelblichen Rand umrahmt, in dem selber merkwürdige Symbole gestickt waren. Im Gegensatz zu den anderen Wappen, gab es hier nur den Drachen alleine und keine Flamme oder Schwert.

Mit einem Kopfschütteln trat ich vom Tisch zurück und setzte mich wieder auf das Bett. Mist, der mich die ganze Zeit vom Bett aus beobachtet hatte, kletterte auf meinen Schoß und sah mich auffordernd an. Ich begann seinen Kopf zu streicheln, wobei ich merkte, dass seine Stacheln auf der Stirn sich leicht bogen, als ich darüber fuhr.   „Ach Mist! In was für einer seltsamen Situation hast du mich da gebracht!“

Ich sah mich wieder im Zimmer um. Drei andere Betten. Dies hieß, dass ich wahrscheinlich drei Mittbewohner bekommen würde. Hoffentlich waren diese nett.

Mein Blick fiel auf einer Tür, die sich zwischen zwei Schränke befand und ich vorher nicht bemerkt hatte. Neugierig geworden, erhob ich mich und öffnete diese. Dahinter befand sich ein kleinerer Raum. Auf einem kleinen Tisch stand eine große Schüssel und es gab eine abgegrenzte Kabine, wo ich erkannte, dass oben so etwas wie ein Rohr raushing. An der Wand befand sich eine dünne Kette. Ich sah zu dieser und dann wieder zu dem Rohr. Leicht ahnend, was sich dahinter verbarg, zog ich an der Kette und sofort rauschte Wasser aus dem Rohr. Ich zog wieder die Kette und der Wasserfall erstarb. Ahja…diese Welt kannte auch so etwas wie eine Dusche. Gut zu wissen! Ich sah dann zu der Schüssel und sah, dass hinter dem Tisch an der Wand ebenfalls ein kleines Rohr rausschaute, wo daneben auch eine kleine Kette war. Ich nahm an, dass dies so etwas wie ein Waschbecken sein sollte. In einer anderen Ecke befand sich im Boden ein Loch, wo ein Gitter darüber war und den Durchmesser meiner ausgestreckten Hand besaß. Der Abfluss! Ich befand mich demzufolge im Bad. Das Klo selber befand sich außerhalb auf dem Gang, dies hatte mir die Direktorin auf dem Weg zum Zimmer schon gezeigt.

Ich ging wieder ins große Zimmer. Nachdenklich sah ich mich um und warf einen Blick aus dem Fenster. Es wurde schon langsam dunkler und mein Magen beschwerte sich auch schon. Ich blickte zu Mist.

„Komm … lass uns etwas zu essen suchen!“

Die Echse sprang vom Bett und kletterte an meiner Kleidung hoch, bis sie auf der Schulter war. Zusammen verließen wir den Raum.

 

Am Morgen zwei Tage nachdem ich das Zimmer bezogen hatte, erwachte ich aufgeregt. Heute würden meine Mitbewohner ankommen und morgen würde die Schule beginnen. Mittlerweile hatte ich mich schon besser eingelebt. Der Tisch, wo meine Sachen gelegen hatten, war nun leer und die Dinge in der Truhe oder im Schrank verstaut. Ich verließ mein Bett und ging zum Schrank. Gestern hatte ich Pandeia versprochen, endlich mal Kleidung von hier anzuziehen. Ich suchte eine langärmlige rötliche und eine kurzärmlige weinrote Tunika heraus. Dazu eine passende Stoffhose. Diese legte ich auf das Bett und ging dann ins Bad. Ich beschloss heute nicht zu duschen, denn zu meinem Entsetzen hatte ich vorgestern herausgefunden, dass das Wasser kalt war. Ich ging zur Waschschüssel, ließ es mit Wasser volllaufen und wusch mich. Neben der Schüssel lag ein Stück Seife, sowie ein Tonbecher mit unzählig vielen Stöcken drin, die faserig waren. Den ihre Version von einer Zahnbürste! Man biss das ober Ende des Stockes ab und rieb sich dann damit an den Zähnen. Der Saft des Stockes soll angeblich gegen Bakterien und Schmutz helfen. Ein Stock selber soll für drei bis vier Mal reichen. Man musste nur das benutzte zerfaserte Ende mit einem Messer abschneiden und konnte dann später das neue Ende verwenden. Dies schien zwar zu funktionieren, aber ich selber zog doch lieber eine echte Zahnbürste vor! Dummerweise gab es hier so etwas nicht.

Als ich im Bad fertig war, zog ich mich an und betrachtete mich im Spiegel, der an einem Schrank außen hing.

Wenn es gewöhnungsbedürftig war, dann war es die Farbe Rot! Jedoch musste ich zugeben, dass der sogenannte Schalenlook, über den ich mal zu Hause gelesen hatte, ziemlich gut aussah. Die helleren langen Ärmel, die unter der kurzärmligen dunkleren Tunika hervorschauten. Ich schnallte  dann auch noch einen Gürtel um, an dem zwei Gürteltaschen und ein Beutel hingen. Davon benutze ich nur eine Gürteltasche, denn in dieser steckte ich mein Handy und einige Stofffetzen, die hier wohl so etwas wie Taschentücher waren.

Ich warf einen Blick zu Mist, der wie immer auf dem Bett saß. „Mal ehrlich … ich sehe doch total bescheuert aus. So als wäre ich aus dem Mittelalter oder einem Fantasyfilm entsprungen.“

Ein zustimmendes Fiepen. Gestern hatte ich herausgefunden, dass Mist unterschiedliche Geräusche von sich gab. Es war meistens ein leichter Unterton, der entweder freundlich, nervend, zustimmend, fragend oder einmal sogar auch gereizt klang. Da ich nun mal nicht seine Gedanken verstand, musste ich mich halt so mit ihm unterhalten.

Nachdem ich etwas gegessen hatte, war ich wieder in meinem Raum und wartete darauf, dass endlich die anderen Schüler ankommen würden. Die Zeit kroch dahin und ich wurde immer nervöser. Würden die anderen mich akzeptieren? Wie sahen ihre Drachen aus? Wie würden sie es aufnehmen, dass ich aus einer anderen Welt kam?

Es dauerte lange, doch irgendwann ertönten viele Schritte und ein heftiges Gemurmel auf dem Gang draußen. Mein Herz begann zu rasen und ich blickte nervös zur Tür. Wer würde wohl nun reinkommen?

Als die Tür mit einem heftigen Ruck aufgerissen wurde, zuckte ich zusammen.

Herein kamen zwei Mädchen, die sich unterhielten. Jedoch verstummten sie, als sie mich sahen. Auf ihren Schultern saßen – wie sollte es auch anders sein – Echsen. Eine davon war grünlich, der andere kupferfarben. Die Mädchen sahen mich neugierig an.

„Wer bist du denn?“, fragte die mit der grünlichen Echse und legte ihren Kopf schräg.

Kurzzeitig kam ein heftiger Schmerz in mir auf, denn der Blick und die Geste erinnerten mich sehr stark an Anni. Ich schluckte und verwischte diesen Gedanken. Ich erhob mich vom Bett.

„M-Mein Name ist Rose … Rose Shallan“, sagte ich nervös und schalt mich in Inneren, da meine Stimme zitterte.

„Oh…du bist unsere Mittbewohnerin“, sagte das Mädchen mit der kupfernden Echse und sah mich strahlend an. Sie zeigte auf das andere Mädchen. „Das hier ist Desa mit Firn und ich bin Luana. Mein Gefährte heißt Ujon.“ Die kupfernde Echse hob ihren Kopf und sah zuerst mich und dann Mist an, der auf meiner Schulter saß.

„Mein Gefährte heißt Mist“, erwiderte ich nervös. Gestern hatte ich Orona gesagt, wie ich ihn getauft hatte und sie war sehr verwirrt gewesen. Ist ja auch kein Wunder, da bestimmt kaum ein Drache nach einen Misthaufen benannt wurde, aber ich rettete mich in der Erklärung, dass ich das englische Wort mist meinte, dass Nebel bedeutete. Und Nebel war ja etwas geheimnisvolles…genauso wie meine rote Echse. Diese Erklärung hatte Orona letztendlich angenommen.

Der erste Eindruck von den Mädchen war, dass sie wohl in Ordnung waren. Desa hatte lange braune Haare und ihre Augen schimmerten etwas grünlich, was gut zu ihrem Drachen passte. Ihre Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten. Luana selber hatte blonde kurze Haare und schien von lustiger Natur zu sein. Jedenfalls lachte sie sehr viel und nahm das andere Bett, das an den Fenstern stand, in Beschlag. Die beiden kamen wie ich es verstanden hatte aus derselben Stadt und kannten sich schon seit Jahren. Als beide mich fragten woher ich kam, wurde meine Nervosität größer, doch ehe ich antworten konnte, kam ein weiteres Mädchen in das Zimmer.

Dieses hatte ebenfalls blonde Haare, welche leicht bläulich schimmerten und lang waren. Was jedoch meine volle Aufmerksamkeit hatte, waren die die spitzen Ohren, die zwischen ihren Haaren hervorschauten. Sie war wohl auch ein sogenanntes Spitzohr, genauso wie Llyandrei.

Luanas Gesicht strahlte als sie unsere letzte Mitbewohnerin sah und auch Desa schien erfreut zu sein. Ich selber war etwas verwirrt. Ich ahnte sofort, dass dieses Mädchen kein Mensch war, so wie ich es auch bei der Heilerin vermutete. Jedoch hatte ich bis jetzt nicht den Mut gehabt, jemanden darauf anzusprechen.

„Hallo! Wer bist du denn“, fragte Luana und  das Strahlen ihrer Augen wurde stärker. Die Neue schien etwas nervös zu sein und auch ihr Lächeln war zögerlich. „Ich bin Gwynna aus dem Hause Shilwai“, sagte sie. Ihre Augen sahen sich im Zimmer um, während unter ihrem Umhang plötzlich eine bläuliche Echse hervorkam.

Desa sah Gwynna genau an, ehe sie nickte. Sie schien jemanden zuzustimmen und ich vermutete, dass es ihr Drache war. Ich warf einen Blick zu Mist und fragte mich, wie es wohl wäre, wenn ich ihn in meinen Gedanken reden hören könnte.

„Du kommst aus dem Westen von Urharien…aus dem Nebelwälder“, sagte Desa und Gwynna sah sie überrascht an. Sie nickte zögerlich. „Toll“, meinte Luana und klatschte in die Hände. „Desa und ich kommen aus Landark…Stadt der heilenden Künste …und du kommst aus den Nebelwäldern.“ Sie wandte sich zu mir und ich ahnte schon, was sie fragen wollte. „Fehlt nur noch einer! Wo kommst du her?“

Mein Herz raste. Ich wollte ihnen wirklich sagen, woher ich kam, aber ich hatte gleichzeitig auch Angst davor. Wie würden sie reagieren? Ich sah die neugierigen Blicke der drei anderen und wünschte, ich wäre zu Hause. Bei meiner Familie und nicht an einen Ort, wo ich nichts und niemanden kannte.

„Also?“

Luana sah mich fragend an, während ihre Augen immer noch strahlten.

Ich atmete tief durch.

„Ich komme nicht aus der Gegend … also … ich meine … ich …“ Ich atmete noch einmal tief ein und aus. Jetzt oder nie! „Ich komme nicht aus dieser Welt…ich komme aus Uthar`kien.“ Gestern hatte ich erfahren, dass Uthar`kien der Name meiner Welt in der sogenannten alten Sprache war.

Schweigen folgte auf meinen Worten.

Die anderen drei starrten mich mit weit aufgerissenen Augen an. Ich konnte erkennen, dass sie überrascht waren und vielleicht sogar auch etwas schockiert. Ich verdenke dies ihnen auch nicht. Bestimmt würde ich auch genauso reagieren.

Luana sah zu Mist und sie runzelte ihre Stirn, ehe wieder ein freundlicher und strahlender Gesichtsausdruck bei ihr erschien. „Wow…und du besitzt wirklich einen Gefährten?“ Sie sah von Mist wieder zu mir. Ich nickte, weil ich mir unsicher war, was ich sagen sollte. Plötzlich hob Mist seinen Kopf und stieß ein ungeduldiges Fiepen aus, ehe er vom Bett sprang und zu mir lief. Kurz darauf hatte ich wieder das allzeit bekannte Gewicht auf meiner Schulter. Als hätten seine Bewegungen das Eis gebrochen, bestürmten mich die anderen drei mit den unterschiedlichsten Fragen. Desa wollte unbedingt wissen, wie mein Gefährte es geschafft hatte, zu mir zu kommen und alle drei waren ziemlich überrascht als ich ihnen sagte, dass ich von dem hier erst seit ganze sechs Tage wusste. Gwynna sah mich mitleidig an und fragte mich, ob ich mit allem gut zurechtkam. Das war eine Frage, die ich mir dann auch noch Stunden später im Bett stellte. Ich hörte das gleichmäßige Atmen der anderen, war froh, dass diese die Neuigkeit meiner Herkunft so gut aufgenommen hatten, und horchte tief in mich hinein. Ja, wie kam ich mit allem zurecht? Ich wusste es nicht. Zwar sagte ich mir, dass ich sowieso keine andere Wahl hatte und deswegen es auch akzeptierte. Aber war dies die Wahrheit?

Ich schloss meine Augen. Morgen würde der erste Schultag beginnen und ich fragte mich, wie dieser ablaufen würde. Ich war neugierig und gleichzeitig auch ängstlich. Wie würde es wohl werden?

 

6. Kapitel

Da ich erst spät eingeschlafen war, hatte ich das Gefühl nur kurz zu schlafen, als mich ein lauter heller Gong-Schlag aus dem Schlaf riss und ich unsanft geweckt wurde. Verschlafen nahm ich war, wie Gwynna als erste aufstand und ins Bad ging, während die anderen beiden sich die Decke wieder über dem Kopf zogen und leise fluchten. Ich selber stand auch gleich auf, denn ich wusste, dass ich sofort wieder einschlafen würde, wenn ich noch einmal die Augen schloss. Müde erkannte ich, dass Mist wieder einmal auf meinen Kopfkissen neben mir zusammengerollt geschlafen hatte. Ich sollte ihn wohl endlich mal Manieren beibringen! Dann jedoch erkannte ich, dass auch in den anderen Betten die Drachen bei ihren Gefährten schliefen.

Kopfschüttelnd ging ich zum Schrank und zog eine Robe hervor, die unsere Schuluniform war. Wie nicht anders zu erwarten, war sie in rötlichen Tönen gehalten und hatte das Drachenwappen auf der Brust. Mittlerweile wusste ich, dass dies wirklich das Wappen von Dracheim war.

Als Gwynna das Bad verließ, ging ich hinein. Langsam wurde ich aufgeregt, denn heute war der erste Schultag. Und das obwohl ich erst vor einer Woche mein Zeugnis bekommen hatte. Neugierig und mit klopfenden Herzen verließ ich das Bad und sah, dass die anderen beiden nun auch schon aufgestanden waren. Als Gwynna und ich darauf warteten, dass sie fertig werden würden, nahm ich noch einmal den Stundenplan in die Hand. Ich las, dass ich zuerst „Allgemeine Drachologie“ bei einer gewissen Rhyanna hatte und fragte mich, was wir dort so lernen würden. An einem Vermerk las ich, dass wir die Bücher „Der Drache und sein Gefährte“ und „Drachen im historischen Überblick“ mitnehmen sollten. Ich suchte die Bücher raus, welche zu meinem Entsetzen dick waren.

Nachdem alle endlich fertig waren und wir gefrühstückt hatten, gingen wir zu dem Klassenraum. Zum Glück schienen die anderen zu wissen, wohin wir gehen mussten, sodass ich ihnen einfach folgte. Der Raum war groß, besaß an der einen Wand riesige bogenförmige Fenster und an einer anderen große Regale voller Bücher. Es gab immer Zweiertische, was ich ja auch aus meiner alten Schule kannte und ich sah, dass Desa mit Luana zu dem vorletzten Tisch in der Reihe am Fenster gingen. Ich beschloss daraufhin den letzten Tisch in der Reihe zu nutzen und sah, dass mich Gwynna fragend anblickte.

„Darf ich mich neben dich setzen?“

Ich nickte. Sollte mir recht sein, dass mein Tischnachbar jemand war, denn ich wenigsten schon kannte. Auch wenn unsere Bekanntschaft erst seit einem Nachmittag und Nacht dauerte. Ich legte die Bücher auf dem Tisch, sowie auch leere Pergamentrollen. Als ich dann eine Feder samt Tintenfass hervorholte, runzelte ich die Stirn. Ich hatte noch nie mit Feder geschrieben und schalt mich, dass ich nicht wenigsten einmal geübt hatte. Hoffentlich wird es nicht so schwer sein!

Nach und nach füllte sich das Klassenzimmer. Ich erkannte, dass alle in einer Altersklasse waren und die Verteilung von Mädchen und Jungen ungefähr gleich war. Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen. Bis auf wenige sahen all nett aus und alle besaßen Echsen auf ihren Schultern. Ich sah welche, die so rot waren wie Mist, aber auch die Farben blau, grün, braun, grau und einer sah sogar silbern aus. Ich seufzte. Es war wirklich unvorstellbar, dass sich jetzt in diesem Raum fast dreißig Drachen aufhalten sollen. Mist bewegte sich auf meiner Schulter und ich sah ihn an. So schön der Gedanke ist, einen Drachen zu besitzen, so ist er auch gleichzeitig beängstigend. Wieder fragte ich mich, wie er wohl in seiner wahren Gestalt aussah?

Plötzlich betrat eine hoch gewachsene Frau den Raum und schlagartig wurde es ruhiger. Ich ahnte, dass diese Frau die Lehrerin war und beäugte diese genauer. Die Frau war klein und sah irgendwie nett aus, doch der Drache, der auf ihrer Schulter saß, schimmerte bläulich und sah sich mit einen stechenden Blick im Raum um. Ich runzelte die Stirn. Vielleicht sah ja die Frau nett aus, aber ihr Gefährte nicht. Ich spürte, wie Mist auf meiner Schulter unruhig wurde und automatisch strich ich beruhigend über seine Schuppen. Die Lehrerin ging in die Mitte des Raumes, wo ihr Tisch stand und während sie uns alle genau betrachtete, sprang ihr Gefährte auf dem Tisch. Die Zeit verging, in der die Frau uns einfach nur anschaute und ich wurde langsam nervös. Auf der einen Seite wollte ich, dass der Unterricht endlich beginnen würde, aber auf der anderen Seite erinnerte ich mich daran, dass ich eigentlich Ferien gehabt hätte. Ich seufzte leise und dachte plötzlich an Chris. Was sie jetzt wohl machte? Eigentlich hatten wir geplant, dass wir gemeinsam zelten fahren wollten, doch nun war dies nicht mehr möglich. Kurzzeitig flackerte Wut in mir auf, doch dann versiegte sie wieder. Es würde mir sowieso nichts nützen. Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf die Lehrerin vor mir.

Die Frau lächelte auf einmal und breitete die Arme aus, als würde sie uns alle umarmen wollen.

„Herzlich willkommen in Dracheim, der Schule für Drachenreiter. Mein Name ist Salà Rhyanna und bin eure Lehrerin für „Allgemeine Drachologie“, sagte sie und sah uns dabei erwartungsvoll an. „In diesen Fach werde ich euch einiges über das Verhältnis von Drachen und seinen Gefährten erzählen, aber auch über das Ansehen, dass wir hier in Urharien besitzen und auch, wie es in anderen Ländern aussieht. Ehe wir jedoch mit dem Unterricht beginnen, möchte ich, dass ihr in der ersten Stunde alles aufschreibt, was ihr über Drachen wisst und wie sie von der Bevölkerung aufgenommen werden. Wer nicht die ganze Stunde braucht, kann dann schon Pause machen, aber dies leise, da der Unterricht überall noch läuft!“ Sie schenkte uns allen ein Lächeln. Dann jedoch fauchte ihr Drache und sie schlug sich gegen die Stirn. „Das hätte ich ja beinahe vergessen … verzeih mir, mein Lieber!“ Sie deutete auf ihren Gefährten. „Ich vergesse es immer wieder ihn vorstellen, aber egal…dies hier ist Housch, mein Gefährte!“ Sie strich ihn über die Stirn, ehe sie uns wieder ansah. „Dann los! Ihr kennt eure Aufgabe!“

Während alle um mich herum sofort begannen, ihre Tintenfässer aufzuschrauben und leere Pergamentblätter vor sich zu legen, fragte ich mich ernsthaft, was ich schreiben sollte. Alles was ich über Drachen weiß? Plötzlich fühlte ich mich fehl am Platze, denn mir wurde bewusst, dass ich nur Dinge aus Fantasybücher oder Filmen kannte und irgendwie bezweifelte ich, dass diese Fakten hier als wahr gelten würden. Nervös nahm ich ein leeres Pergament und schraubte dann das Tintenfässchen aus. Sofort stieg der stechende Geruch von Tinte in meiner Nase. Dann warf ich einen Blick auf die Schreibfedern. Das kann ja heiter werden. Ich nahm eine dunkle Feder und tauchte das spitze Ende in die Tinte.

Zitternd zog ich probehalber einen Strich über das Pergament und staunte nicht schlecht, dass sogar einer entstand. Allerdings habe ich zu ruckhaft die Feder zum Stillstand gebracht, sodass einige Tropfen Tinte auf das Papier fielen. Ich runzelte die Stirn, sah die Feder an und schrieb dann meinen Namen. Dies war schon nervender. Nach zwei Buchstaben kratzte die Feder über das Pergament und die Tinte war weg. Als dann endlich `Rose Shallan´ auf dem Blatt stand, hatte ich insgesamt viermal die Feder neu in die Tinte halten müssen, es prangten zwei große Tintenflecke unter den Namen und einige Buchstaben sahen verkrüppelt aus. Ich stöhnte auf. Dass kann ja noch heiter werden!

Nachdem wohl eine viertel Stunde vergangen war, prangte mein Name wohl zwanzig Mal zusammen mit Stichen, Kreise, Vierecke und ein Morgen Kinder wird’s was geben auf dem Pergament. Und zwar von vielen Tintenflecken umrahmt; von den Flecken an meinen rechten Fingern möchte ich gar nicht reden. Den Krampf vom Federhalten verschweige ich auch mal. Ich sah auf und erkannte, dass alle fleißig schrieben. Gwynna neben mir hatte schon mehrere Blätter vollgeschrieben und sah sehr konzentriert aus. Ich seufzte abermals, nahm mir ein leeres Pergamentblatt vor und dachte nach.

Was sollte ich schreiben?

Mir fielen einige Dinge ein, doch konnte ich dies wirklich schreiben? Ich ahnte, dass die Leute hier Drachen anders ansahen als in meiner Welt. Andererseits hatte ich ja eine klare Aufgabe bekommen. Wenn die Frau also wollte, dass ich alles aufschreibe, was ich über Drachen wusste, dann soll sie sich nicht beschweren, wenn es Dinge sind, die nicht nett klangen. Ich atmete tief ein und begann dann zu schreiben. Es war ein schwieriger langwieriger Akt und ich fluchte mehrfach leise. Jedoch nicht leise genug, denn die Elbin neben mir sah mich öfters schockiert oder fragend an. Ich beachtete sie nicht, sondern schrieb stur das auf, was mir gerade in den Kopf kam. Solche Dinge wie: das man in Mittelalter Jungfrauen den Drachen geopfert hatte, damit diese nicht Städte angriffen; dass so ein heiliger George einen Drachen erledigte; dass Drachen gemeine blutrünstige Drachen waren; dass sie in den östlichen Ländern jedoch auch als Glückbringer und weise angesehen werden. Ich versuchte dabei ernst zu bleiben und auch die Tatsache zu berücksichtigen, dass Drachen ja existierten … jedenfalls hier. Deswegen war es wohl nicht gut, dass ich schrieb, dass diese als Mythen und Aberglaube angesehen werden. Dann schrieb ich auf, dass Drachen gerne einen Goldhort sich zusammensuchen und jeden töten, der etwas von ihren Hort klaute. Am Rande nahm ich wahr, dass einige Schüler aufstanden und ihre Arbeiten bei der Lehrerin abgaben und auch Desa, sowie Luana erhoben sich und waren eher fertig. Ich jedoch nutzte die Zeit bis zum Schluss und war mehr als froh, wenigsten ein Pergament abgeben zu können. Ein Blick zu Gwynna sagte mir, dass sie fünf Pergamente abgab und diese waren in einer kleinen fein säuberlichen Schrift verfasst. Mein Text sah so aus, als wäre ein Haufen Schweine darüber gegangen. Kleckse, keine geraden Linien und fast alle Buchstaben waren unterschiedlich groß. Dies hieß wohl, dass ich wohl mehr üben musste, etwas zu schreiben.

Nach der Stunde hatten wir zehn Minuten Pause und danach ging es dann auch schon weiter mit „Allgemeine Drachologie“. Salà Rhyanna gab uns die Aufgabe, einen Text im Buch zu lesen und Notizen zu machen, während sie die schriftlichen Arbeiten durchging. Ich schlug das Buch auf und begann zu lesen, wobei ich mich jedoch nicht darauf konzentrierte. Ich fragte mich, was die Frau zu meinen Aufsatz sagen würde … von dem Aussehen mal ganz zu schweigen.

Die Stunde zog sich in die Länge. Ich machte mir irgendwelche Notizen über Vermutungen, wie Drachen entstanden sind oder Theorien, dass diese von einer anderen Welt hierher kamen und war dann mehr als froh, als Rhyanna verkündigte, dass wir gehen dürfen. Ich packte meinen Kram zusammen und wollte den anderen aus dem Raum folgen, als mich die Lehrerin zurückhielt. Ich konnte meinen Aufsatz auf dem Tisch erkennen, der ganz oben lag. Nachdem alle gegangen waren, sah sie mich kurz an, ehe sie lächelte. Ein Lächeln war gut, oder?

„Du musst Rose Shallan sein?“

Ich nickte zögerlich.

„Das muss für dich alles ganz neu sein, oder?“ Sie wartete nicht einmal eine Antwort ab, sondern fuhr einfach fort, während sie etwas aus einem Beutel suchte. „Ich würde dich bitten, dieses Buch zu lesen, damit du einen Einstieg in dem Thema Drachen bekommst.“ Sie hielt mir ein Buch mit dem Titel „200 Fakten über Drachen“ hin und lächelte wieder. Dieses Mal war es ein trauriges Lächeln. „Ich weiß nicht, wie die Menschen in deiner Welt darauf gekommen sind, aber hier werden keine Jungfrauen geopfert und man wird auch nicht heiligt gesprochen, wenn man einen Drachen tötet. Ich hoffe sehr, dass du nicht denkst, dein Gefährte wäre eine blutrünstige Kreatur.“

Ich zögerte. Zum einen wegen den fast flehenden Ton, den die Frau plötzlich hatte und dann weil mir die Schmerzen wieder in den Sinn kamen, die Mist in mir verursacht hatten. Doch dann schüttelte ich den Kopf. Nicht, weil ich dies nicht denke, sondern weil ich dies Frau nicht beunruhigen wollte.

Rhyanna nickte und meinte dann, dass ich sie jederzeit fragen könnte, wenn ich etwas nicht verstand. Dann schickte sie mich aus dem Raum, damit ich nicht zu spät zur nächsten Stunde kommen würde. Erleichtert sah ich, dass Gwynna draußen im Gang auf mich gewartet hatte. Ich hatte nämlich keine Ahnung, wo der Raum war, in dem die nächste Stunde stattfinden sollte.

 

Die nächste Stunde war Geschichte bei einem alten Mann namens Ostralin, dessen Stimme so monoton und langweilig klang, dass ich ernsthaft dagegen ankämpfen musste, nicht einzuschlafen. Der Mann begann zum Glück nur mit einer Einführung, sodass ich mir keine Notizen machte. Die Stimme war so benebelnd, dass ich erst am Ende der Stunde mitbekommen habe, dass bei diesem Lehrer keine Echse auf der Schulter saß. Dies verwirrte mich sehr, denn alle hier machten ja so ein großes Theater daraus. Dann jedoch erfuhr ich, dass sein Gefährte schon vor Jahren in einem Krieg gestorben war und Mitleid kam in mir auf. Auch wenn ich keine große Bindung zu Mist hatte, so konnte ich mir sehr gut vorstellen, dass so ein Verlust nicht gerade angenehm war. Dennoch war ich froh, als es endlich hieß, die Stunde sei vorüber.

Danach hatten wir ein Fach, das „Typologie“ hieß und von einem jungen Mann namens Razoreth unterrichtet wurde. Sein Gefährte war ein Weibchen und hieß Riea. Spätestens ab hier habe ich mir vorgenommen, die Namen und die dazugehörigen Drachennamen aufzulisten. Es würde bestimmt lange dauern, ehe ich alle Namen richtig zuordnen würde können.

„Typologie“ war ein Fach, indem alle Arten von Drachen vorgestellt werden sollen und in der heutigen Stunde erklärte der Lehrer, zu welcher Art unsere Drachen gehörten. Die meisten wussten dies schon, doch einige – darunter ich – hatten keine Ahnung und ich musste zugeben, dass ich interessiert war. Als ich den Raum verließ wusste ich, dass ich einen Feuerdrachen besaß. Kennzeichen dafür waren die roten Schuppen und auch die Form seines Schädels, welche man jedoch nur in der wahren Form richtig erkennen konnte. Ich wusste nicht, ob ich stolz darauf sein sollte, einen Feuerdrachen zu besitzen oder nicht. Letztendlich gab es immer noch ein Teil tief in mir, dem das alles egal war und der nachhause wollte. Nach Hause zu meiner Ma und Anni. Ich blieb mitten im Gang stehen, als ich an meiner Familie dachte und musste Tränen zurückhalten.

„Alles in Ordnung“, ertönte ein fragende Stimme hinter mir und ich drehte mich so schnell herum, dass Mist gefährlich auf meiner Schulter schwankte und seine Krallen in den Stoff fuhr.

Hinter mir stand eine Mitschülerin, die ich nur von sehen her kannte. Sie hatte langes blondes Haar und auf ihrer Schulter saß ein Silberdrache, wenn ich mich richtig erinnerte. Die Schuppen ihrer Echse schillerten wirklich so, als würde sie aus purem Silber bestehen. Der Blick des Mädchens war besorgt, sodass ich nickte.

„Ja…alles gut“, murmelte ich. Ich wollte nicht, dass alle anderen dachten, ich hätte Heimweh oder würde mich hier nicht wohlfühlen.

Das Mädchen kniff die Augen zusammen und sah mich fest an. Ich ahnte, dass sie mir nicht glaubte, doch zu meiner großen Erleichterung, ging sie nicht darauf ein, sondern hielt mir plötzlich die rechte Hand hin.

„Mein Name ist Lailea Draconi“, sagte sie und zeigte dann mit der linken Hand auf ihren Gefährten. „Sie heißt Saileen.“

Ich nickte erst, doch dann stockte ich. Draconi? Das Mädchen hieß mit dem Nachnamen Draconi? Ich riss meine Augen auf. Konnte dies ein Zufall sein, oder war es wirklich möglich, dass wir miteinander verwand waren? Stopp! Das ist nicht möglich. Ich komme immerhin aus einer anderen Welt. Da war es irrsinnig, dass ich mit jemandem hier verwandt bin. Auf den fragenden Blick von Lailea, schob ich meine Gedanken zurseite.

„Ich bin Rose Shallan“, erwiderte ich und ergriff ihre Hand. „Nett dich kennen zu lernen.“

Ich konnte die Freude in den Augen der anderen erkennen, obwohl ich diese nicht so genau verstand. Plötzlich stand hinter ihr ein anderes Mädchen, dass ich noch nie gesehen hatte. Jedoch erkannte ich, dass beide miteinander verwandt sein mussten.

„Lailea! Du bleibst du denn“, fragte die Neue und sah mich dabei kritisch von oben bis unten an. Ich erkannte zu meinem Entsetzen, dass dieses Mädchen ein Schwert am Gürtel trug und fragte mich, wer sie war.

„Tut mir leid, Lyrana“, sagte Lailea und sah verzeihend bittend zu der neuen. „Ich habe dich nicht vergessen. Ich wollte nur sichergehen, dass es Rose gut geht.“ Sie wandte sich zu mir hin. „Rose, das hier ist meine ältere Schwester Lyrana und ihr Gefährte Azrethrohon. Lyrana, dies hier ist Rose Shallan und …?“

„Mist“, sagte ich automatisch, während ich erkannte, dass in Lyranas Augen plötzlich ein verstehender Ausdruck stand. Sie nickte, während sie mich betrachtete, ehe sie ihre Hand ausstrecke. „Schön dich kennen zu lernen, Rose“, meinte sie lächelnd, doch sah dann sofort wieder ernst aus. „Ich warne dich, solltest du meiner Schwester auch nur ein kleines Haar krümmen, bekommst du es mit mir zu tun.“ Dann drehte sie sich um und ging.

Ich sah das Mädchen ungläubig hinterher. War das gerade eine Drohung gewesen? Verunsichert sah ich zu Lailea, die die Augen verdrehte.

„Mach dir nichts draus, Rose“, beruhigte sie mich. „Lyrana nimmt ihre zukünftige Aufgabe einfach viel zu ernst.“ Sie sah zu der Stelle, wo ihre Schwester verschwunden war, ehe sie mit den Schultern zuckte. „Lass uns was essen gehen. Nicht dass es heißt, dass kein Mittag mehr vorhanden ist und wir deswegen hungern müssen. Heute wird es noch ein langer Tag werden.“

Auf ihren fragenden Blick hin, folgte ich Lailea und sah sie stirnrunzelnd von der Seite an. Plötzlich war ich froh, dass ich den Leuten hier nicht den Nachnamen meiner Mutter gesagt hatte. Der Gedanke, dass andere glauben würden, es gäbe eine Verbindung zwischen mir und Lailea war zwar nicht beunruhigend, aber es war verwirrend. Ich dachte an meine Ma und fragte mich, ob sie etwas über diese Welt wusste. Oder war es wirklich ein Zufall? Ich hatte einfach keine Ahnung.

 

Das Mittagessen hatte nicht schlecht geschmeckt und danach hatten wir noch Zeit, ehe die nächste Stunde beginnen würde. Ich  verabschiedete mich von Lailea und ging dann in mein Zimmer, wo schon die anderen drei waren. Gwynna saß an ihrem Schreibtisch und schien etwas zu lesen, während Desa und Luana sich leise auf einem Bett sitzend unterhielten. Alle drei sahen auf, als ich eintrat.

„Ah…Rose“, sagte Desa und sah mich erwartungsvoll an. „Was wollte denn Rhyanna von dir?“

Meine Laune, die sich während des Mittags gehoben hatte, fiel wieder. Ich legte meine Sachen auf dem Tisch und ließ mich auf mein Bett fallen, wobei meine Echse auf das Kissen sprang. Plötzlich war ich hundemüde.

„Nichts besonderes“, antwortete ich etwas verspätet und schloss die Augen. „Sie hat mir nur ein Buch gegeben, damit ich mir einige Grundlagen über Drachen anlesen kann. Denn die Vorstellung, die in meiner Welt über Drachen gibt, sind nicht ganz richtig.“

Ich merkte, wie Mist neben mich trat und sich an meine Seite kuschelte.

„Oh“, entfuhr es Desa. „Es muss ziemlich hart für dich sein, oder?“

Ich schloss die Augen fester, um so zu verhindern, dass ich nicht in Tränen ausbrach. Sicher würde ich denen nicht sagen, dass ich Heimweh hatte und am liebsten bei meiner Familie wäre.

„Geht so“, murmelte ich. Dann war es ruhig. Ich vermute, dass die anderen merkten, dass ich nicht darüber reden wollte und war froh, dass keiner näher darauf einging.

Die Mittagspause war für meinen Geschmack viel zu kurz, denn es kam mir vor, dass ich nur wenige Minuten auf dem Bett gelegen hatte, als Luana meinte, dass wir uns auf dem Weg zur nächsten Stunde machen sollten. Ich verzog mein Gesicht, stand aber auf und wie schon erwartet, kletterte Mist auf meine Schulter. Gemeinsam mit den anderen verließ ich das Zimmer.

Das nächste Fach, was anstand hieß „Grundlagen des magischen Formens“ und sagte mir überhaupt nichts. Es klang irgendwie nach Magie und daran glaubte ich nicht. Dass Drachen wirklich existierten, davon war ich nun überzeugt, aber ich würde bestimmt nicht an Magie glauben. Andererseits … wenn es Drachen gab, warum dann nicht auch  richtige Magie?

Der Raum, wo die Stunde stattfinden sollte, war groß und nur im vorderen Teil befanden sich Tische mit Stühlen. Hinten gab es eine große freie Fläche und an den Wänden standen große Regale mit Büchern. Wie schon bei den anderen Fächern setzte sich wieder Gwynna neben mich und vor unseren Tisch saßen Desa und Luana. Schräg vor uns erkannte ich Lailea und als ich sie ansah, musste ich wieder daran denken, dass wir denselben Nachnamen hatten. Dies war wirklich verwirrend und irgendwie beunruhigte es mich auch.

Die Tür zum Klassenzimmer öffnete sich und herein kam … Ich stockte und meine Augenbrauen zogen sich zusammen. Es war dieser Mann, der auch damals im Park dabei gewesen war und prinzipiell zu den Leuten gehörte, die mich entführt hatten. Meine Laune sank zu einem Tief.

Der Mann trat hinter einem Pult und ließ seinen Blick durch die Klasse streifen. Als er bei mir ankam, verharrte er kurz und sein Mund verzog sich zu einem Lächeln. Mir war sofort klar, dass ich den Mann nicht gut leiden konnte.

„Willkommen in Dracheim“, sagte der Mann, als er endlich mit den Betrachten fertig war. „Mein Name ist Seith Sheedas und meine Gefährtin heißt Tilly.“

Als ich den Namen des Drachens vernahm, musste ich mir ein Schmunzeln verkneifen. Das war ja nun wirklich kein Name, den ich einen Drachen geben würde. Andererseits hatte Llyandrei gemeint, dass man den Namen über die eigenen Gedanken vernahm … vielleicht hieß der Drache ja wirklich so. Doch als ich diesen genauer betrachtete, konnte ich es mir nicht vorstellen.

Die Stunde selber war … langweilig. Dieses eine Wort beschrieb es sehr gut. Vielleicht lag es daran, dass ich nicht an Magie glaubte, oder einfach nur daran, dass ich überhaupt kein Wort verstand, wovon der Typ sprach. Er meinte, dass er uns einen kurzen Überblick geben wollte und sagte dann solche Sachen wie: Strom der Macht; magische Seele; bannen und wirken. Ab einen bestimmten Punkt hatte ich dann ganz einfach mein Gehirn ausgeschaltet und so getan, als würde ich mir Notizen machen. In Wahrheit jedoch schrieb ich Kinderreime, Verse aus Gedichten und Namen, nur um zu üben mit Tinte und Feder zu schreiben. Manchmal sah Gwynna zu mir herüber und runzelte dann immer die Stirn, wenn sie sah, dass ich nicht aufpasste.

Es war eine gewaltige Erlösung, als es dann endlich hieß, dass die Stunde vorbei war. Ich schraubte mein Tintenfass zu, schnappte mir meine Sachen und war dann mit als erste aus dem Raum raus. Ich folgte einfach der Masse, denn ich hatte keinen Plan, was als nächstes dran war. Kurz darauf saß ich wieder auf einen Stuhl und ich schaute gerade auf meinen Stundenplan nach, um zu wissen, was wir als nächstes haben würde, als dann auch schon Gwynna sich neben mich setzte. Sie sah mich vorwurfsvoll an.

„Was“, fragte ich sie, als sie nicht ihren Blick abwandte, sondern ihre Augenbrauen hob. Sie schüttelte ihren Kopf bei meiner Frage.

„Du hast überhaupt nicht bei „Grundlagen des magischen Formens“ aufgepasst, sondern nur zusammenhanglose Sachen aufgeschrieben … wie willst du gut in Magischen Formen werden, wenn du nicht aufpasst?“

Ich sah sie an und versuchte dabei ein sehr zweifelndes Gesichts zu machen. „Magisches Formen?  Ich sehe ja ein, dass Drachen existieren, aber wenn ihr jetzt anfängt auch von Magie zu reden …  nein danke … daran glaube ich nicht.“

Gwynna sah mich schockiert an und irgendwie mussten auch Desa, sowie Luana meine Worte mitbekommen haben, denn sie schauten mich auch mit großen Augen an.

„Was?!“

Dies war langsam nervig und ich hatte keine Lust auf eine Diskussion darüber, was real war und was nicht. Ich verschränkte die Arme. „Kann euch doch egal sein, ob ich daran glaube, oder nicht.“

Als ich die verletzten Blicke der anderen sah, taten mir meine Worte auch sofort leid, aber irgendwie dachte ich nicht daran, mich zu entschuldigen. Denn mir wurde wieder bewusst, dass ich in einer anderen Welt war, ich nichts davon glaubte, was hier passierte und im Grunde genommen, einfach nur nach Hause wollte. Nach Hause zu meiner Familie … zu Anni und Ma. Selbst Stan, Ma`s Chamäleon würde ich allen Drachen hier bevorzugen.

Schweigen kam auf und in den Moment, wo Gwynna doch den Mund öffnete, um etwas zu sagen, traten zwei Frauen in den Raum. Sie stellten sich als Brangwen mit T`vana und Myrielle mit Dwar vor. Ich warf schnell einen Blick auf meinen Stundenplan und erfuhr, dass ich nun „Tränke“ hatte. Meine Laune wurde noch tiefer. Dieses Fach hörte sich überhaupt nicht interessant an und ich ahnte, dass wieder eine langweilige Stunde auf mich zukommen würde.

Als erstes erklärten uns die Lehrerinnen, dass sie beide abwechselnd den Unterricht halten würde und das Fach in zwei Teile untergliedert war. Der erste Teil ist der theoretische, den haben wir immer am Primtag und am Hextag kam dann der zweite Teil, welcher praktisch war. In diesen sollten wir dann das in die Tat umsetzen, was wir vorher theoretisch gelernt hatten. Der Grund, dass vier Tage dazwischen lagen, war, dass wir uns sehr intensiv mit dem theoretischen Teil nach dem Unterricht beschäftigen können … weil ich auch nichts besseres vorhatte, als mich nach den Unterricht, der schon eh lange geht, auch noch mit Tränke zu beschäftigen.

Nach diesen einleitenden Worten ging Myrielle und zurück blieb die Frau mit den Namen Brangwen. Brangwen war groß, hatte lange hellbraune Haare, die zu einem Zopf geflochten waren und schaffte es doch tatsächlich, für den Rest der Stunde meine Aufmerksamkeit zu erlangen, trotz, dass ich dachte, dass dieses Fach langweilig werden würde. Zuerst gab sie eine kurze Übersicht, welche Tränke wir in diesem Halbjahr behandeln würden. Es waren nur kleine Tränke, die meistens dazu dienen sollten, dass Personen oder aber auch Tiere sich beruhigten, einige Schlaftränke wollten wir durchnehmen, sowie Stärkungstränke. Danach nannte sie einige Tränke, die wir in den späteren Halbjahren durchnehmen würden und darüber freute ich mich schon eher (nicht das ich vorhatte, länger als nötig hier zu bleiben). Denn dann würde es um Verwandlungstränke, Tränke, womit man die eigene Wahrnehmung stärken konnte oder auch anderen schaden konnte, gehen. Nachdem sie den Überblick gegeben hatte, ging es auch schon mit dem theoretischen Teil los. Allerdings leider nicht so, wie ich gehofft hatte. Anstatt den ersten Trank schon vorzustellen, begann sie Geräte aufzulisten. Welche es gab, wofür sie genutzt wurden und dann stellte sie Bücher vor. Zwei davon besaß ich schon und eines, welches sie ganz zum Schluss vorstellte, hörte sich so gut an, dass ich sogar mit den Gedanken spielte, mir diese irgendwie zu beschaffen. Als sie dann meinte, dass die meisten in der Bibliothek hier geben sollte, wusste ich, dass ich diesen Abschnitt von Dracheim garantiert einmal aufsuchen werde.

Als es dann hieß, die Stunde sei zu Ende und die meisten Schüler schon gingen, wandte ich mich Gwynna zu, die gerade dabei war, sich zu erheben. Ich sah sie kurz an, ehe Mist auf meiner Schulter an meinen Haaren zehrte, so als würde er mir einen Ruck geben wollen.

„Gwynna?“ Sie sah zu mir hin, ihr Blick unleserlich. Ich atmete tief durch. „Es tut mir Leid! Ich wollte euch nicht so angehen, aber ich irgendwie … irgendwie vermisse ich alles. Meine Familie, meine Freunde … einfach alles. Gut, ich bin erst nur wenige Tage hier, aber der Gedanke, dass ich … verdammt lange … hierbleiben musst ist … manchmal ist es einfach zu viel…“

Die Elbin sah mich an, Mitleid trat in ihren und sie nickte. „Das ist verständlich … aber wenn du nichts für den Unterricht machst, dann könnest du Schwierigkeiten bekommen und musst dann das komplette Jahr überwiederholen. Das wollen wir nicht, denn immerhin sind wir ja Mitbewohner. Und wenn du Fragen hast, weil du etwas nicht verstehst, dann werden wir dir mit Freude helfen.“

Daraufhin schwieg ich. Ich verstand nicht, wieso die anderen wollen, dass ich unbedingt das Halbjahr schaffte. Wir kannten uns doch erst seit gestern. Mit gemischten Gefühlen folgte ich Gwynna und wir suchten den Raum für die letzte Stunde heute auf … naja, fast die letzte Stunde, denn am Abend hatten wir noch eine.

 

„Erziehung und Haltung eines Drachens“ war ein Fach, das ich noch nicht so genau einordnen konnte, ob ich leiden konnte, oder nicht. Die Lehrerin war wieder eine Bekannte, denn war Orona, die mir damals verraten hatte, wie es dazu gekommen war, dass ein Drache in meiner Welt geschlüpft war. Ich konnte sehr leicht erkennen, dass sie sich freute, ich zu sehen und dann der ganzen Klasse einen Vortrag darüber hielt, sensibel Drachen waren und wie wichtig es war, dass wir uns mit unseren Gefährten verstanden. Dabei sah sie die meiste Zeit mich an und irgendwie hatte ich auch das Gefühl, dass sie dies vor allen wegen mir sagte. Damit mir noch einmal bewusst wurde, wie wichtig es war, dass ich Mist akzeptiere und ihn nicht einfach ignorierte.

Danach begann Orona auch schon gleich mit dem Unterricht. Ich machte mir einige Notizen, wobei ich mir jedoch Gedanken darüber machte, wieso Mist ausgerechnet mich ausgewählt hatte. Ich sah da keinen richtigen Grund und auch wenn es hieß, dass die Drachen immer die richtige Entscheidung trafen, so hatte ich dennoch meine Bedenken.

Mist jedoch schien diese nicht zu besitzen, denn er kuschelte sich auf meine Schulter zusammen und legte seinen Kopf an meinen, ehe er seine kleinen Augen schloss. Kurz darauf konnte ich spüren, dass er gleichmäßig ruhig atmete. Na toll! Ich muss hier im Unterricht aufpassen und der kleine Racker konnte schlafen.

Ich wandte meine Gedanken von ihm ab und sah mich im Klassenraum um. Sehr deutlich war zu erkennen, dass die meisten eine innige Verbindung zu ihren Drachen haben mussten. Ich seufzte und wieder einmal fragte ich mich, wieso ich nicht die Gedanken meines Gefährten vernehmen konnte. Es musste doch dafür einen verdammten Grund geben. Andererseits war ich froh darüber, denn die Vorstellung, dass ich plötzlich eine fremde Stimme in meinen Kopf hörte, war nicht gerade etwas, worauf ich mich freuen würde.

Nach dem Unterricht hieß es, dass in knapp einer Stunde der letzte Unterricht beginnen würde und wir wurden gebeten, Abendessen zu uns zu nehmen, ehe dies der Fall sein würde. Ich stöhnte innerlich auf, denn nach acht Stunden Unterricht, hatte ich wirklich keine Lust auf die letzte Stunde. Dennoch war ich neugierig und zugleich auch beängstigt, denn diese hieß „Grundlagen des Fliegens“.

 

 

7. Kapitel

Die eine Stunde verging wie im Fluge und dann war es schon soweit. Die anderen und ich aßen etwas zum Abendbrot, doch ich bekam kaum etwas hinunter. Die Aufregung wurde immer größer, je mehr die Zeit Fortschritt und  kurz bevor die letzte Stunde losging, machten Gwynna und ich uns auf dem Weg. Die anderen beiden waren schon nach dem Essen verschwunden.

Da ich wieder einmal nicht den Weg genau wusste, obwohl ich ja schon Tage hier war, folgte ich einfach der jungen Elbin. Wir verließen das Schloss und kamen auf einen großem Platz, dessen Gräsern mit einem saftigen Grün bedeckt waren. Mir gefiel der Ort und ich stellte mir vor, dass es herrlich sein musste jetzt im Sommer auf einer Decke hier zu liegen und einfach faulenzen. Ich nahm mir fest vor, dies zu tun, denn soweit ich wusste, war ja der Quartag frei.

Desa und Luana waren mir ihren beiden Echsen auch schon auf dem Platz und wir gesellten uns zu ihnen. Beiden stand die Aufregung im Gesicht geschrieben und ich musste zugeben, dass es mir genauso erging. Ich war aufgeregt, aber auch gleichzeitig kam in mir eine ungute Vorahnung hoch.

„Grundlagen des Fliegens“. Ein Fach, das sehr interessant klang, aber nicht gerade etwas ist, was mir lieb war. Jedenfalls dann nicht, wenn es sich um das handelte, was ich dachte.

Bisher hatte ich noch keinen Drachen fliegen gesehen und konnte es mir schwer vorstellen. Zwar wusste ich nun, dass jede Echse hier ein großer Drache ist, wenn er ausgewachsen war, aber auf einen zu fliegen? Ich hatte ja Allanar, den Gefährten von Pandeia und auch Vron, Zolorns Drache in der wahren Gestalt gesehen. Sie waren riesig … doch auf einen zu fliegen? Ein Schaudern befiel mich.

Ich spürte, wie Mist unruhig auf meiner Schulter wurde und hob automatisch die Hand um ihn zu beruhigen. Spürte er meine Unruhe? Wieder einmal wurde mir bewusst, dass es ein Hindernis war, dass ich nicht seine Gedanken hören konnte. Wie sollte es jemals klappen, dass wir uns fehlerfrei verständigen können?

Plötzlich kam Gemurmel auf und ich unterbrach meine Gedanken. Ich sah, wie die meisten meiner Mitschüler nach oben schauten und folgte ihren Blick. Sofort wurde es mir eiskalt!

Hoch oben in der Luft flog ein großer Drache, dessen Flügel weit ausgebreitet war. Er kam immer näher und wurde immer größer. Je näher er uns kam, desto unruhiger wurde ich. Der Drache näherte sich dem Boden und als er fast gelandet war, wirbelten seine Flügelschläge Erde und einige lockere Grashalme auf. Ich wich weiter zurück, nahm im Hintergrund wahr, dass ich die einzige war und riss die Augen immer weiter auf. Das Tier war riesig … viel größer als die anderen beiden Drachen, die ich schon gesehen hatte. Ich hörte, wie mein Herz raste und plötzlich musste ich gegen eine Panik ankämpfen. Was war ich doch naiv gewesen! Es war doch nicht natürlich, dass so mächtige Wesen schwächliche Menschen als ihre Gefährten erwählen würden.

Der Drachen kam auf dem Boden, schlug ein letztes Mal mit den Flügeln und legte sie dann an seinen Körper. Er besaß silbrige Schuppen, schillerte in der Abendsonne und hatte einen schmalen Kopf. Das Auffälligste jedoch waren die Ohren: diese besaßen drei knorrige Auswüchse, welche mit Haut bespannt waren. Im Gegensatz zu den anderen Drachen, war sein Rücken glatt und er besaß keine Dornen. Sein Schwanz endete in einen spitzen Dorn. Alles in Allen war er eine imposante Erscheinung. Imposant und gefährlich. Das war ein Raubtier!

Ich versuchte ein Zittern zu unterdrücken und wich nochmal zwei Schritte zurück. Mist drückte seinen Kopf gegen meinen und irgendwie schien mich dies ein wenig zu beruhigen. Der Griff seines Schwanzes um meinen Oberarm verstärkte sich. So als würde er mir Halt geben wollen. Der Silberdrache knickte seine Vorderbeine ein und erst dann konnte ich eine Person auf seinem Rücken, direkt vor seinem Hals erkennen. Diese erhob sich leicht und sprang auf die Erde.

Sofort wagten sich einige Schüler etwas näher heran. Ich sah, wie auch Desa und Luana sich an anderen Schüler vorschoben. Gwynna jedoch sah zur Seite und bemerkte erst jetzt, dass ich nicht mehr dort war. Sie sah sich suchend um, ehe sie erkannte, dass ich zurückgewichen war. Verwirrung stand in ihren Augen.

„Rose?“

Sie trat auf mich zu und hielt dann inne, als sie merkte, dass ich noch weiter zurückwich.

Das Zittern in mir wurde größer. Mein Blick war wieder auf dem Drachen gerichtet. Wieder kam mir in den Sinn, dass er eine Bestie war. Wahrscheinlich konnte er mit einer Leichtigkeit seinen Reiter einfach verschlingen. Bestimmt musste er nicht einmal kauen, sondern einfach nur Schlucken.

„Rose?“

Langsam wandte ich meinen Blick von dem Tier ab und sah die Elbin an. Sie stand nun direkt neben mir und sah mich besorgt an. Bestimmt musste ich lächerlich aussehen, doch ich konnte nichts gegen die Angst tief in mir machen. Neben der Erkenntnis, dass diese Dachen eigentlich Bestien sind, wurde mir nun bewusst, dass ich Recht hatte mit meiner Vermutung. Ich wusste nun, was in diesem Fach unterrichtet werden würde und diese Erkenntnis war viel schlimmer als die Angst vor den eigentlichen Drachen.

Es würde ein Flugunterricht sein!

Ich zuckte zusammen als Gwynna mich an Arm ergriff und mit einen leisen erschrecktem Geräusch riss ich mich los. Ich atmete immer heftiger.

Flugstunden? Auf einen Drachen? Hoch im Himmel?!

Ohne dass ich was dagegen tun konnte, traten Tränen in meine Augen und dass zittern wurde nun so stark, dass ich glaubte, dass Klappern meiner Zähne zu vernehmen.

„Was ist hier los“, fragte eine andere Stimme und ich erkannte, dass nun Lailea neben Gwynna trat.

Seltsamerweise kam in mir die Frage auf, ob ich doch mit ihr verwandt sein konnte. Eine Frage, die jetzt gerade fehl am Platze war.

Gwynna wandte sich zu ihr. „Ich weiß nicht. Ich glaub, dass Rose einen Schock hat … weiß aber nicht, woran dass liegen könnte.“ Sie sah mich wieder an. „Rose?“

Tränen liefen mir uns ganz über das Gesicht. Ich wollte sie zurückhalten, doch dann fiel mein Blick wieder auf dem Drachen und ein undefinierbarer Laut verließ mein Mund. Dann sah ich all die anderen kleinen Echsen. Die Echsen, die in Wirklichkeit große mächtige gefährliche Bestien waren. Ich sah Laileas Tier und Gwynnas Tier und mit einem Mal wurde mir bewusst, dass selbst so ein Ungeheuer auf meiner Schulter saß. Dieses Mal schrie ich laut auf und nahm nur am Rande wahr, wie plötzlich jeder zu mir schaute.

Ich schüttelte meinen Arm, wo Mist drauf saß. Ich wollte, dass er da verschwindet. „Haut ab … verschwinde …“ Doch egal, was ich machte, es half nicht. Ganz im Gegenteil. Der Griff seines Schwanzes wurde stärker. Seine Krallen gruben sich mehr in meine Schulter. „Hau ab …“

Tief in inneren wurde mir klar, dass ich nun vollends in Panik verfallen würde, wenn Mist nicht verschwinden würde. Dann stand eine Frau mit langen bräunlichen Haaren vor mir. Ich wich quickend zurück. Wer war die denn?

„Beruhige dich“, sagte sie ganz sanft und wollte mich an der freien Schulter ergreifen. Ich schrie wieder auf und wich weiter zurück.

„Mach ihn weg … mach ihn weg …“

Plötzlich prallte ich gegen etwas und mir wurde klar, dass ich nicht weiter zurück konnte. Das Atmen wurde schwerer und die Angst immer großer. Ich konnte dass Rauschen meines Blutes in meinen Ohren hören und dann wurde es schwarz um mich herum. Ich wurde in einer dicken festen Dunkelheit gezogen, ohne dass ich etwas gegen tun konnte. Jedoch war ich froh darüber, sodass ich mich nicht dagegen wehrte.

 

„Rose? … Rose? … Wach auf, Rose?”

Ich spürte, wie jemand an meine Schulter rüttelte und wollte denjenigen wegstoßen, doch als ich meine Hand gehoben hatte, merkte ich, wie jemand sie ergriff.

„Komm schon Rose … öffne deine Augen …“

Ich kannte diese Stimmte nicht. Dass war das erste was mir in den Sinn kam und dann kamen die Erinnerungen. Ich sah vor mein geistiges Auge diesen riesigen Silberdrachen und mit neuer aufkommender Panik, richtete ich mich auf und riss meine Augen auf.

„Ganz ruhig … es ist alles gut.“

Jemand drückte mich auf dem Boden zurück und ich blickte in das freundliche Gesicht einer mir unbekannten Frau. Nein, nicht unbekannt. Ich hatte sie gesehen, bevor ich ohnmächtig geworden war und mit einem zweiten Blick erkannte ich, dass es die Reiterin sein musste. Die Person, die auf dem Silberdrachen hergekommen war. Ach ja, Silberdrache! Ich sah an ihr vorbei und konnte die Umrisse des riesigen Drachen erkennen. Erneute Panik drohte mich zu ergreifen. Regungslos starrte ich das Tier an.

Die Frau rüttelte mich wieder an der Schulter, doch folgte dann meinen Blick. Sie sah ebenfalls zu den Drachen, ihre Stirn runzelte sich und dann nickte sie. Plötzlich drehte der Drache sich um und verschwand aus meinen Blick.

„Rose?“

Ich sah wieder die Frau an, ehe mir bewusst wurde, dass um uns herum die anderen Schülern standen. Die meisten sahen besorgt aus, doch einige hatten einen verächtlichen Blick aufgesetzt. Ich erkannte, dass Gwynna neben Lailea stand. Die Sorge stand in ihrem Gesicht geschrieben. Direkt neben ihnen standen Desa und Luana. Sie sahen ebenfalls so aus. Es dauerte eine Weile ehe mir bewusst wurde, dass Lailea nicht nur einen Drachen bei sich hatte. Auf ihrer anderen Schulter saß noch ein roter. Es war Mist.

Als Mist erkannte, dass ich ihn anstarrte, fiepte er leise und wollte zu mir, doch Lailea hielt ihn fest und strich beruhigend über seine Schuppen.

„Rose?“

Abermals sah ich die Frau an. „Geht es wieder?“

Ich schloss die Augen. Ob es mir wieder besser ging? Ich wusste es nicht. Der Gedanke, dass die Drachen eigentlich Bestien sein mussten, kam wieder. Ich dachte an die Geschichten in meiner Welt. Es musste doch einen Grund geben, warum diese entstanden sind. Dann wiederum wurde mir bewusst, dass dies hier eine andere Welt war. Vielleicht waren die Drachen ja doch anders. Ich öffnete die Augen wieder und nickte.

Plötzlich wurde ich rot und mir war die Sache peinlich. War ich wirklich in Panik geraden, nur weil ein Drache gelandet war? Er hatte ja nichts Weiteres gemacht. Niemanden angegriffen, ja nicht einmal einen Ton von sich gegeben.

„Tut mir Leid“, murmelte ich. Mir wurde klar, dass ich überreagiert hatte.

Die Frau half mir beim Aufstehen. Dann wandte sie sich zu den anderen um. „Hier gibt es nichts mehr zu sehen! Ihr versammelt euch wieder um Flay. Ich komme gleich nach.“

Ein Gemurmel entstand, doch die meisten drehten sich um. Nur Gwynna, Desa, Luana und Lailea blieben zurück. Alle sahen mich immer noch besorgt an. Die Frau sah mich wieder an.

„Geht es dir wirklich besser? Wenn nicht, dann solltest du lieber zu Nria Niena oder Nria Llyandrei gehen.“

Ich wurde noch röter. Dass würde mir fehlen, wenn ich jetzt zu Spitzohr gehen würde. Im Grunde genommen war ja nichts Schlimmes passiert. Es wäre einfach nur peinlich, wenn ich ihr sagen würde, dass ich ohnmächtig wurde, weil ich einen Drachen gesehen hatte. Ich schüttelte den Kopf. Dass wäre das letzte, was ich machen wollte.

Die Frau nickte. „Gut. Ruh dich noch etwas aus. Wenn es dann dir besser geht, kannst du nachkommen.“ Sie sah dann die anderen an. „Ihr kommt jetzt mit. Der Unterricht wird gleich stattfinden.“

Drei nickten, doch Lailea schüttelte den Kopf. „Ich würde gerne bei Rose bleiben, falls es wieder schlimmer wird.“

Abermals nickte die Frau. „Selbstverständlich. Wenn es euer Wunsch ist. Sie sollte vielleicht jetzt doch nicht alleine sein.“

Gwynna, Desa und Luana sahen noch einmal kurz zu mir, ehe sie mit der Frau gingen. Zurück blieb Lailea zusammen mit ihren Drachen und Mist.

Abermals fiepte er und wollte wieder zu mir.

Lailea sah mich fragend an, doch ich schüttelte den Kopf. Ich wusste, dass Mist kein Ungeheuer war, doch der Gedanke, dass er in meiner Nähe war, gefiel mir dennoch nicht. Mir war klar, dass ich ihn damit verletzte, doch ich konnte es einfach nicht über mich bringen. Ich hockte meine Beine an und legte meinen Kopf auf meine Knie. Jetzt wollte ich einfach nur nach Hause.

Bei diesen Gedanken, kamen wieder die Tränen.

Ich wollte nach Hause. Jetzt und sofort.

Lailea setzte beiden Echsen etwas entfernt auf den Boden und machte Mist klar, dass er sich nicht rühren sollte. Dann ließ sie sich neben mir nieder und umarmte mich schweigend. Im Nachhinein kann ich nicht sagen, wie lange ich geweint hatte. Lange konnte es jedoch nicht gewesen sein, denn ich konnte in der Ferne hören, dass der Unterricht noch lief. Lailea hat die ganze Zeit geschwiegen und mich im Arm gehalten. Vielleicht wusste sie, dass es keine Worte waren, die ich brauchte, sonder eher das Gefühl, dass ich nicht alleine war. Genau dieses verlieh sie mir gerade.

Ein leises Fiepen drang an meine Ohren.

Mir war bewusst, dass Mist unbedingt zu mir wollte, doch der Gedanke, dass er in der Nähe war, ließ mich schaudern. Ich wollte ihn nicht verletzten. Ich wollte für ihn da sein, doch ich konnte es einfach nicht. Auf einmal musste ich an Stan denken. Ich wusste, dass meine Mutter unser Chamäleon sehr mochte. Wenn ich sogar genauer darüber nachdachte, dann war ihre Beziehung sogar sehr eng. Ein verzweifeltes Lachen entfuhr mir. Man könnte meinen, dass Stan der Gefährte meiner Mutter war. Ein ziemlicher absurder Gedanke! Ich hob meinen Kopf und sah Mist an. Sein kleines Köpfchen war in meine Richtung ausgestreckt und sein Blick war verzweifelt; beinahe flehend. Es brach mir das Herz ihn so zu sehen, doch das Wissen, dass er eine Bestie war, war allgegenwärtig. Ich konnte einfach nicht in seine Nähe sein.

Mein Blick ging zu Lailea, die mich besorgt ansah.

„Es geht wieder“, flüsterte ich und atmete tief ein. Das Heimweh war in mir immer noch vorhanden und irgendwo war auch noch die Panik präsent sofort wieder auszubrechen, doch der Drang zu Weinen war weg. Die Tränen halfen sowieso nicht.

„Bist du dir sicher?“ Laileas Stimme klang immer noch besorgt. „Wir können auch zu Nria Niena oder Nria Llyandrei gehen. Das ist überhaupt kein Problem.“

Kein Problem? Es wäre peinlich!

Ich schüttelte den Kopf.

„Dann vielleicht zu den anderen?“

Ich dachte nach. Ich besaß keinen Drang danach, wieder in die Nähe des riesigen Silberdrachen zu  gelangen. Dennoch stieg langsam Neugierde in mir auf. Wie war eigentlich der Unterricht? Der Unterricht, an den ich garantiert nie aktiv teilnehmen werde.

Zum Schluss nickte ich. Ich vermutete, dass Lailea viel lieber am Unterricht teilnehmen würde und wollte nicht, dass sie nun wegen mir diesen verpasste. Lange würde dieser bestimmt sowieso nicht mehr gehen. Also eine Möglichkeit vielleicht doch noch etwas mitzubekommen. Hauptsache ich blieb den Drachen weit genug entfernt.

Lailea half mir beim aufstehen und gemeinsam gingen wir zu den Teil des Platzes, wo die anderen Schüler in einem Halbkreis vor der Frau und ihren Silberdrachen standen. Mist saß wieder auf der Schuler von Lailea, doch sein Blick ging immer wieder zu mir. Mir war klar, dass dies keine dauerhafte Lösung war.

Je näher wir den anderen kamen, desto größer wurde der Drache. Er hatte seinen Kopf genau neben den Körper der Frau, was mir deutlich den Größenunterschied vor Augen zeigte. Allmählich wurde ich langsamer. Alles in mir schrie danach, mich umzudrehen und wieder die Ferne zu suchen. Ich merkte, dass meine Hände wieder anfingen zu zittern.

Lailea drehte sich um und sah mich mit hochgezogenem Augenbrauen an. Auf ihren fragenden Blick nickte ich leicht. Ich wollte nicht umdrehen. Verdammt! Ich war Rose Shallan! Ich würde jetzt nicht kneifen.

Als wir fast bei den anderen waren, senkte ich meinen Blick. Nur nicht auf dem Drachen schauen! Überallhin, aber nicht auf ihn. Plötzlich fragte ich mich, ob dieser Drache überhaupt männlich war. Ich betitelte ihn in meinen Gedanken zwar so, konnte aber nicht sagen, ob es der Wahrheit entsprach. Auf der anderen Seite war es eigentlich egal, ob es sich um ein Männchen oder ein Weibchen handelte. Es würde nichts ändern.

Als wir da waren, blieb ich vier Schritte hinter der Masse stehen. Zum einen wollte ich zu nahe an den anderen Echsen sein und zum anderen wollte ich die Blicke der anderen nicht in meinen Rücken spüren.

Ich deutete Lailea an, dass sie weitergehen könnte und sie stellte sich neben Gwynna, die kurz zu mir sah. Sorgte stand in ihren Augen. Ich versuchte ihr ein Lächeln zu schenken, doch irgendwie gelang es mir nicht. Vielleicht lag es daran, dass ich sie einfach nicht belügen wollte. Es fühlte sich einfach nicht richtig an.

Mit nur einem halben Ohr hörte ich auf die Worte von der Lehrerin, während mein Blick wieder auf dem Boden gerichtet war.

„… es ist sehr wichtig, dass ihr euch am Anfang immer festhaltet. Natürlich wird Flay bei euren ersten Flügen vorsichtig sein und darauf aufpassen, dass euch nichts passiert. Dennoch liegt die Verantwortung bei euch. Ihr seit der Reiter und der Drache wird dies machen, was ihr ihm sagt …“

Mir wurde es wieder eiskalt. Dies hier war wirklich Flugunterricht. Fliegen! Etwas, was furchtbar für mich ist. Dabei spielt es nicht einmal eine Rolle, ob es sich hier bei um einen Drachen, oder Bestie handelt. Fliegen bedeutet in der Luft zu sein. Hoch in der Luft. Dabei ist Höhe etwas, was ich gesagt, überhaupt nicht mochte. Gelinde ausgedrückt. Ich wurde schon unruhig, wenn ich etwas von dem Dach unseren Schuppen holen musste, weil etwas dort gelandet war. Und dabei ist unser Schuppen nicht gerade hoch. Durch Fenster von hohen Gebäuden zu schauen, war etwas, dass ich zwar konnte, aber je höher es war, desto unwohler fühlte ich mich dabei. Höhe war etwas, dass ich nicht vertrug!

Ich schüttelte mich und sah nur ganz zum Silberdrachen.

Mich würde da niemand auf dieses Tier bekommen … ob Drache oder Bestie spielte keine Rolle!

„…wie gesagt, werde ihr in diesem halben Jahr mit Flay üben, sowie andere Drachen, die schon ausgewachsen sind. Eure sind noch viel zu klein, selbst in ihrer wahren Form. Doch seit versichert, dass jeder Drache danach ausgesucht wurde, von Fluganfängern geritten zu werden. Später, wenn eure eigenen Drachen kräftig und groß genug sind, werdet ihr mit ihnen fliegen. Dabei werdet ihr dann feststellen, dass es wesentlich einfacherer sein wird. Den eigenen Gefährten zu fliegen ist nun mal natürlicher als einen fremden Drachen.“

Natürlicher? Was soll daran natürlich sein, wenn Menschen auf Drachen flogen?! Dies war nicht natürlich. So ein mächtiges gefährliches Tier konnte sich doch so etwas nicht gefallen lassen.

„…so, dass waren erst einmal genug Worte für die Einführung. Die Stunde ist auch fast um, doch wenn es jemanden gibt, der vielleicht schon mal gerne auf Flay sitzen würde, können wir auch etwas länger machen. Gibt es vielleicht freiwillige?“

Ich musste mich nicht umschauen, um zu sehen, dass einige Leute ihren Arm hoben. Wie konnte man sich da freiwillig melden? Ich sah zu Gwynna und die anderen und erstellte erstaunt fest, dass auch Desa ihren Arm gehoben hat. Ihr Gesicht war erwartungsvoll aus.

Ich schüttelte den Kopf. Mir kam alles unwirklicher vor und ich merkte, wie ich langsam wieder zu zittern begann. Was machte ich hier? Ich hatte hier nichts verloren! Ich könnte nie ein Drachenreiter werden, denn dazu hatte ich eine vielzugroße Angst. Selbst wenn ich die Tatsache, dass die Drachen Bestien sind, vergessen könnte, so werde ich dennoch kein Reiter werden. Ich wusste rein gar nichts über diese Wesen. Und auch wenn ich etwas über diese Tiere in der Schule lernen würde. Ich konnte kein Reiter werden. Was war unmöglich! Ich hatte Höhenangst! Nie im meinen Leben würde ich auf einem Drachen reiten! Also konnte ich auch gleich wieder gehen. Ich könnte nach Hause zu meiner Ma und meiner Schwester gehen.

Wieder spürte ich Tränen in mir aufsteigen. Nach Hause, wo alles normal war. Das wäre schön. Jetzt einfach zu meiner Ma zu gehen und mich von ihr umarmen zu lassen. Was sie wohl gerade machten? Ob sie schon eine Suchanzeige aufgegeben haben? Ob sie mich so vermissten, wie ich sie?

Plötzlich brach die Einsamkeit wieder in mir durch und ich musste heftig blinzeln, da die Tränen immer mehr wurden. Glücklicherweise waren alle auf den Silberdrachen fixiert, wo gerade ein Bursche mithilfe von der Lehrerin auf ihm kletterte. Ich drehte mich um und ging. Ich wollte nur noch weg von hier.

Ich bin noch nicht weit gekommen, als mich jemand aufholte. Ich sah kurz zur Seite. Es war Lailea, die mich wieder besorgt ansah.

„Rose? Ist alles in Ordnung?“

Als ich die Frage hörte, fragte ich mich selber, wieso sie das wissen wollte. Wieso sie versucht mir zu helfen? Wir kannten uns ja nicht wirklich.

„Rose?“

Ich schüttelte den Kopf. Es war gar nichts in Ordnung. Ich wollte nur noch eines: Nach Hause und zwar sofort. Ich wollte zu meiner Familie und all das verrückte Zeug hinter mir lassen.

„Ich will nach Hause“, presste ich hervor und sank auf dem Boden. „Ich will hier weg und meiner Ma!“

Als ich es ausgesprochen hatte, wurde es nur noch schlimmer. Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Nur daran, dass ich Heimweh hatte und hier alleine war.

Plötzlich war jemand auf meiner anderen Seite. Es war Gwynna.

„Rose … was ist denn los?“

Ich antwortete nicht. Wieso musste mich dass jeder fragen und wieso klang jeder besorgt. Ich war eine Fremde. Jemand von einer anderen Welt. Ich hatte hier einfach nichts zu suchen und sollte einfach verschwinden.

„Rose hat Heimweh … ich glaube, dass ist ihr gerade alles zu viel“, antwortete Lailea an meiner statt. Da sie den Nagel auf dem Kopf getroffen hatte, sagte ich nichts dazu. Es stimmte alles.

Ich sah, wie Gwynnas Blick noch trauriger wurde – was mich ehrlich gesagt verwunderte, da es ja schon vorher traurig ausgesehen hatte.

„Ich will hier weg“, stimmte ich zu.

Lailea wollte mich umarmen. Wohl, um zu trösten, doch da waren diese beiden Echsen auf ihren Schultern und diese wollte ich nicht in unmittelbarer Nähe haben. Ich wich zurück, die Augen weit aufgerissen und auf Mist starrend. Auf die Kreatur, die für alles verantwortlich war. Auf dem Misthauses meines Lebens!

Kurzzeitig war da wieder der Zorn. Der Zorn auf das kleine Tier. Es hatte mir Schmerzen bereitet, war Schuld daran, dass man mich entführt hatte und ich nun nicht mehr nach Hause gehen konnte. Vielleicht in den Ferien!? Das ich nicht lache. Ich bezweifle, dass diese Leute mich einfach so gehen lassen würden. Ich würde doch nicht freiwillig wieder hierherkommen und ich vermutete, dass die anderen dies auch wussten. Mit anderen Worten, die Personen hier würden mich nie mehr in meine Welt lassen.

Aus Zorn wurde wieder Verzweiflung. Nie mehr … ich würde nie mehr nach Hause gehen können.

Lailea sah mich traurig an, genauso wie Gwynna. Dies konnte ich einfach nicht mehr aushalten. Ich lief wieder los. Da ich nicht wusste, wohin ich gehen konnte, führte mich mein Weg einfach in mein Zimmer. Dabei achtete ich genau darauf, dass ich niemanden mit einer Echse zu nahe kam. Zu meiner Überraschung folgte mir Lailea und auch Gwynna, doch beide sagten überhaupt nichts. Was wohl auch daran lag, dass sie merkten, was für einen Weg ich genommen habe.

Vor dem Zimmer angekommen, hielt ich kurz inne. Ich wollte alleine sein, aber dies war hier einfach nicht möglich. Nicht wenn ich mit drei anderen Mädchen mein Zimmer teilen musste. Drei Mädchen und vier Drachen. Abermals raste Kälte durch meinen Körper. Wie sollte ich diese Nacht bloß schlafen können, wenn ich wusste, dass vier solcher Bestien im Zimmer waren. Daran mochte ich gar nicht erst denken.

Ich betrat das Zimmer und ließ die Tür offen. Ohne auf die anderen zu achten, ging ich zu meinem Bett, legte mich voll angezogen hinein und zog die Decke über meinen Kopf. Ich weinte wieder.

Leise konnte ich hören, wie die anderen ebenfalls ins Zimmer traten, doch sie sagten nichts. Vielleicht wussten sie nicht, was sie sagen sollten, oder aber sie spürten, dass ich einfach nicht reden wollte.

Ich weinte lange. Wie lange, konnte ich nicht sagen. Ich wusste nur, dass ich irgendwann immer müder wurde und ich letztendlich auch einschlief, ohne dass irgendjemand noch etwas sagte. Die ganze Zeit über, blieb es still. Eine Stille, die ich zwar willkommen hieß, die mir aber auch gleichzeitig zeugte, dass ich alleine war.

Alleine in einer fremden Welt.

8. Kapitel

Die nächsten zwei Tage vergingen wie in einem Traum, wobei es hier um keinen angenehmen Traum handelte. Als mich Gwynna am Sectag weckte, da ich sonst den Unterricht verpassen würde, sah sie mich richtig besorgt an. Doch sie fragte mich nicht, wie es mir ging und darüber war ich sehr froh. Was hätte ich auch schon antworten sollen? Ich hatte letztendlich nicht gut geschlafen. Mehrfach war ich nachts aufgewacht. Dann war es schwierig gewesen wieder einzuschlafen, da ich wusste, dass Drachen hier im Raum waren. Aus diesem Grund war ich nicht auf meine Höhe und es wenn es nach mir ginge, hätte ich das Bett überhaupt nicht verlassen.

Der Unterricht am Sectag war verging sehr langsam. Ich hörte überhaupt nicht zu, dachte immerfort an meine Ma und an Anni. Je mehr der Tag fortschritt, desto mehr wünschte ich wieder zu Hause zu sein. Ich fühlte mich einsam, trotz dass Gwynna und auch Lailea die ganze Zeit an meiner Seite waren. Lailea war vor der ersten Stunde zu uns gestoßen und auch sie fragte mich glücklicherweise auch nicht, wie es mir ging. Die ersten beiden Stunden waren glaube ich Heilen und auch wenn es vielleicht interessant war, so hörte ich nicht zu. Ich wollte hier nichts lernen. Ich wollte nach Hause! Ich machte mir keine Notizen, saß einfach in der hintersten Ecke und starrte die meiste Zeit einfach irgendwo hin. Bevorzug weise dorthin, wo keine Echsen zu sehen waren. Danach hatten wir Grundlagen der Alten Sprache. Ein Fach, wo ich erst recht nicht aufpasste. In Sprachen war ich noch nie gut und ich wollte auch keine lernen. Alles in allen war der Tag so produktiv, dass ich wirklich überhaupt nicht hätte aufstehen müssen.

Der nächste Tag, Tertag, verlief genauso. Ich aß kaum etwas, weigerte mich auch nur in die Nähe von Mist zu kommen und war zwar körperlich beim Unterricht anwesend, aber nicht geistlich. Vor allen, da diese Fächer sowieso furchtbar waren: Typologie. Ich wollte nichts über verschiedene Drachentypen wissen. Ich wollte hier weg! Grundlagen des magischen Formens bei einen meiner Entführer – kurzzeitig stieg riesiger Hass in mir auf. War er doch mit an meiner Situation dran schuld. Danach kam Physik, ein Fach, das ich auch bei meiner Schule in meiner Welt hasste und zum Schluss Allgemeine Drachologie bei Rhynna. Sie fragte mich als ich eintrat, ob ich schon im Buch gelesen habe, dass sie mir gegeben hatte. Ich schüttelte einfach den Kopf, trat zu meinen Platz und ließ mich dort ohne ein Wort nieder. Gwynna sprach zu der Lehrerin einige Worte und diese sah dann mich besorgt an, ehe der Unterricht begann.

Letztendlich war ich mehr als froh, dass diese beiden Tage vorbei waren und der Quartag begann. Ein Tag, wo kein Unterricht stattfinden würde. Eigentlich dafür gedacht, dass man diese Zeit zum Lernen und aufarbeiten nutzte, doch ich nutzte ihn anders. Ich blieb im Bett, dachte gar nicht daran, aufzustehen und aß auch nichts. Zwar versuchten Gwynna, Desa und Luana mich zum aufstehen zu bewegen, doch ich zog die Decke einfach über meinen Kopf und ignorierte ihre Worte. Später kam Lailea hinzu, doch auch sie ignorierte ich. Ich wollte wieder allein sein … nein, nicht allein … ich wollte zu Hause sein!

Irgendwann ließen mich die anderen in Ruhe. Wahrscheinlich merkten sie, dass ihre Worte nicht besonders viel bewegten und darüber war ich mehr als froh. Doch die Ruhe hielt nicht lange an. Es musste wohl kurz nach Mittag sein. So genau konnte ich es nicht sagen, aber da wurde die Tür aufgerissen und jemand trat mit heftigen Schritten zu meinem Bett. Hielt davor inne und zog dann mit einem Ruck meine Bettdecke weg.

„Aufstehen, Rose! Es ist ein schöner Tag draußen und den wirst du nicht hier drinnen verbringen!“

Es war Pandeia, die „Xena“-Kriegerin, die auch dabei gewesen war, als man mich hierher verschleppt hatte. Ihre Fröhlichkeit in der Stimme, machte mich rasend. Trug sie doch auch Schuld an der ganzen Situation!

„Lass mich in Frieden“, schnappte ich und wollte die Decke wieder über meinen Kopf ziehen, doch Pandeia hielt sie fest.

„Nichts da, Rose“, meinte sie und ihre Stimme klang plötzlich ernst. „Du machst dir selber keinen Gefallen, wenn du den ganzen Tag im Bett hockst. Du hast Heimweh … dass ist verständlich, aber es wird nicht besser werden, wenn du nichts machst. Du solltest alles eine Chance geben und vor allen solltest du für deinen Gefährten da sein. Seit zwei Tagen lässt du ihn nicht zu dir heran. Das ist für einen Jungdrachen nicht gut. Und für dich auch nicht!“

Meine Wut wurde größer. Wie es Mist ging, war mir egal. Er trug von allen die größte Schuld. „Das ist sein Problem, nicht meines. Er ist eine Bestie … die alle hier sind Bestien und ich will nichts mit den Monstern etwas zu tun haben! Ich will hier weg!“

Pandeia wurde bei diesen Worten bleich. Ich konnte nicht sagen wieso, aber wahrscheinlich deshalb, weil ich es endlich ausgesprochen hatte. Die eine Angst, die mich innerlich aufwühlte. Das Wissen, dass jede kleine Echse ein großes Raubtier war. Wie sollte es mir besser gehen, wenn ich mich auf so eines einließe?

Für einen Moment sah es so aus, als wüsste die Kriegerin nicht, was sie sagen sollte. Dies zu sehen war sogar ihre Störung fast wert gewesen, doch dann riss sie sich zusammen.

„Bestien“, wiederholte sie fragend und sah dann zu ihren eigenen Gefährten. Allanar war glaube sein Name. „Aber die Drachen sind doch keine Bestien, Rose. Wie kommst du darauf? Hat jemand versucht dir etwas anzutun?“

Nein, dass hatte niemand, aber man müsste schon blind sein, um nicht zu erkennen, dass Drachen Bestien waren. Dies war doch etwas Natürliches. Ein Drache ist ein Raubtier … ein wohl viel größeres als der Mensch. Er stand wahrscheinlich bei der Nahrungskette sogar hinter den Menschen. Vor meinem geistlichen Auge sah ich den großen Kopf des Silberdrachen und die Lehrerin – ihren Namen habe ich irgendwie bei der ganzen Sache nicht mitbekommen – und ich nickte. So ein Drache konnte einen Menschen sehr leicht töten.

„Rose! Sag es mir. Wie kommst du darauf?“

Ich wollte Pandeia nicht antworten, doch die Intensität des fragenden Tons ließ mich inne halten. Sie wollte wirklich wissen, warum ich so dachte. Na schön, ganz wie es wollte.

„Drachen sind Bestien! Sie sind riesige Raubtiere … Fleischfresser. Ihre Maul ist so groß wie ein Mensch … und die Zähne…die sind … die sind … die könnten uns doch mit einem Happen einfach so verschlingen.“ Ich zitterte wieder am ganzen Körper. „Wieso sollte ich freiwillig so etwas bei mir haben wollen. Ich könnte mich gar nicht wehren, wenn einer beschließen würde mich fressen zu wollen.“

Pandeia schwieg bei diesen Worten. Wahrscheinlich wurde ihr nun wirklich bewusst, dass ich Angst hatte. Riesige Angst vor diesen Tieren. Sie sah wieder zu Allanar.

„Du hast Recht, Rose. Drachen sind Raubtiere und sie sind gefährlich, aber sie würden nie ohne Grund einen Menschen anfallen. Geschweige denn fressen. Drachen fressen keine Menschen … die meisten sind der Meinung, dass unser Fleisch zäh und ungenießbar ist. Du brauchst keine Angst haben, dass dich jemand fresse würde.“

Oh, und weil sie es mir sagte, musste es wohl auch stimmen!? Ich schüttelte den Kopf. Ich würde mich nicht einfach so täuschen lassen. Niemand konnte mir garantieren, dass nicht doch einer mich fressen würde. Ich schüttelte den Kopf.

Die Kriegerin seufzte.

„Du siehst doch Allanar hier. Er ist ganz friedlich und war es doch die ganze Zeit über. Du hast ihn sogar schon in seiner wahren Gestalt gesehen. Da hat er doch keinen angegriffen oder sich negativ dir gegenüber verhalten. Du hast doch keine Angst vor ihm, oder?“

Ich sah die braun-gräuliche Echse auf ihrer Schulter an. Er hatte den Kopf etwas schräg gelegt und sah mich mit großen Augen an. Wenn man ihn so sah, dann wirkte er wirklich nicht gefährlich, doch dies war ja auch nicht seine wirkliche Gestalt. Vor mein geistliches Auge sah ich wieder den riesigen Drachen vor mir. Den großen Kopf mit den spitzen Wülsten über seinen Augen. Den Schwanz, der in drei Stacheln endete. Vor dem hatte ich Angst.

Als keine Antwort von mir kam, seufzte Pandeia noch einmal.

„Rose … dies hier ist eine Schule für Drachenreiter. Selbst wenn es Drachen geben würden, die einen angreifen, dann würden sich diese hier nicht aufhalten. Dies ist ein Ort der Lehre und Ausbildung. Wir würden niemals unsere Schüler in Gefahr bringen. Jeder Reiter hat seinen Drachen unter Kontrolle und keiner wäre hier angestellt, wenn sein Gefährte leicht reizbar wäre.“ Sie hielt inne, ehe sie fort etwas leiser fortfuhr. „Was ist mit deinen Gefährten? Hast du Angst, dass er dich angreifen könnte? Ist das der Grund, warum du ihn nicht in deiner Nähe haben möchtest? … Selbst wenn er so reizbar wäre, dass er jeden gleich angreifen würde: Er ist noch ein Jungtier und nie würde ein Drache seinen Reiter angreifen. Nie! Du bist sein Gefährte, sozusagen sein menschlicher Teil von ihm. Er würde natürlich andere angreifen, wenn diese dir schaden würden, aber nie würde er dir etwas antun. Du brauchst vor Mist keine Angst haben.“

Ich schwieg. Irgendwie machten diese Worte auch Sinn, aber tief in Inneren änderte es nichts daran, dass er eine Bestie war. Vielleicht keine ausgewachsene und noch ein Jungtier, aber dennoch ein Raubtier. Ich würde mir doch auch keinen kleinen Wolf oder Tiger halten. Am Anfang können diese niedlich sein, doch der Instinkt zu jagen und Beute zu machen, dringt letztendlich immer durch.

Er würde natürlich andere angreifen, wenn diese dir schaden würden, aber nie würde er dir etwas antun.

Diese Worte beschäftigen mich. Mist würde also jemanden angreifen, wenn er mir schaden wollte. Ob er mich auch vor einen ausgewachsenen Drachen beschützen würde? Ich musste daran denken, wie er reagiert hatte, als ich langsam Angst vor den Silberdrachen bekommen habe. Wie er sich an meine Wange gepresst hatte. Wie er mich hatte beruhigen wollen. Ein schwaches Lächeln erschien auf meinem Gesicht. Für einen kurzen Moment hatte ich sogar das Gefühl gehabt, dass er mir Halt geben würde. Doch was sagte das? Es mochte ja stimmen, dass er mir nichts tun und mich sogar beschützen würde, aber es gab über hundert Drachen hier! Sicherheit konnte mir der Kleine nicht geben.

„Rose, dein Gefährte braucht dich. Vor allen in der Zeit kurz nach der Prägung. Ich weiß, dass du ihn nicht hören kannst und dies alles schwieriger macht. Er hat jetzt schon Schwierigkeiten … er isst kaum, sitzt die meiste Zeit regungslos da und lässt sich von kaum jemanden berühren … abgesehen von Lailea Draconi.“ Pandeia sah mich genau an. „Rose, wenn du ihn weiterhin abweist, dann wird er sterben!“

Ich starrte die Kriegerin an. Mist würde sterben? Für einen Moment kam in mir die Frage hoch, ob ich dann nach Hause gehen dürfte. Wenn ich keinen Gefährten mehr hatte, dann gab es doch keinen Grund für die anderen, mich hier festzuhalten, oder? Dann sah ich Mist vor meinem innerlichen Auge. Wie er das erste Mal auf mich zugekommen war … so zögerlich und fragend. Wie er etwas von mir gewollt hatte und ich einfach nicht wusste, was es war. Wollte ich wirklich, dass er starb?  Ich schüttelte den Kopf. Nein, ich wollte nicht, dass die kleine rote Echse sterben würde. Doch wollte ich in seiner Nähe sein. Ich schloss die Augen. Es ließ sich nicht abstreiten, dass er mir ein gewisses Maß an Ruhe vermittelte. Dass ich ihn am Anfang nicht leiden konnte, lag ja auch nur daran, dass ich schlechte Erfahrungen mit Echsen – sprich Stan – gemacht und dass die Echse mir ungewollt Schmerzen verursacht hatte. Als ich dann gewusst hatte, dass es nicht seine Absicht gewesen war, sondern nur, weil er verunsichert war, war ich ihn auch nicht mehr Böse gewesen. Erst dann, als ich den riesigen Silberdrachen gesehen hatte, war die Angst vor Mist wiedergekommen. Er hatte gar nichts getan. Die Schuld selber lag bei jemand anderem.

„Wo ist er jetzt“, fragte ich leise und öffnete die Augen wieder.

Pandeia sah mich kurz an und zwar so, als wollte sie meinen jetzigen Zustand genau analysieren. Dann seufzte sie wieder.

„Er ist bei Seithà  Orona. Sie ist für die Jungdrachen verantwortlich und zwar schon dann, wenn sie noch in den Eiern sind. Von allen Personen ist sie diejenige, die sich um die Drachen kümmert, die noch keinen Gefährten haben … oder dessen Gefährte anderweitig nicht verfügbar ist.“

Orona. Ich erinnerte mich an die Frau, die damals schuldbewusst ausgesehen hatte, als ich gemeint hatte, dass wohl jemand nicht aufgepasst hat, da Dracheneier gestohlen worden waren. Jetzt verstand ich es. Sie war dafür verantwortlich und nun machte sie sich deswegen Vorwürfe. Auch den ersten Tag, den ich hier verbracht hatte, war Mist bei der Frau gewesen. Und nun war er wieder dort, weil ich ihn nicht haben wollte.

Ich winkelte meine Beine an und legte meinen Kopf auf meine Knie. Was sollte ich machen? Ich wollte nicht, dass Mist starb, doch der Gedanke, dass er eine Bestie war. Stopp! Ich musste aufhören an ihn als eine Bestie zu denken. Wenn ich mir immer wieder sagen würde, dass er mein Gefährte war, ein – wie die anderen sagten – Teil von mir, dann könnte ich ihn eventuell bei mir haben. Außerdem war der Gedanke beruhigen, dass mich ein Drache notfalls vor den anderen Drachen beschützen würde … auch wenn mein Drache da wohl noch etwas klein ist. Ich sah zu Pandeia.

„Dann sollte ich wohl zu ihm hin gehen.“

Meine Stimme zitterte leicht. Es war einfach nicht fair! Ich konnte nur dann nach Hause, wenn er starb, aber ich wollte nicht, dass die kleine Echse sterben würde.

Pandeia merkte, dass ich innerlich immer noch sehr unruhig war. Sie legte mir eine Hand auf die Schulter. „Du brauchst keine Angst haben, Rose. Niemand wird dir hier etwas antun, dass verspreche ich dir.“ Sie hielt kurz inne und lächelte dann leicht. „Und Allanar meint auch, dass er dich beschützen wird, wenn doch jemand dir schaden will.“

Verdutzt sah ich die gräuliche Echse an. Er würde mich beschützen? Wieder sah ich seine riesige Gestalt vor meinen Augen. Wenn er dies wirklich tun würde, dann wäre ich in der Tat in Sicherheit. „Wirklich? Er würde mich schützen?“

Die Kriegerin nickte und auch Allanars kleiner Kopf hob und senkte sich. Dann sprang er vor auf meine Knie und ehe ich reagieren konnte, leckte er mir über das Gesicht. Zuerst hatte ich panische Angst, doch dann merkte ich, wie er mich freundlich ansah. Ja, Allanar war keine Bestie. Jedenfalls dann nicht, wenn er in seiner Zweitform war.

Ich von ihm zu Pandeia. „Dann sollte ich wirklich zu Mist gehen. Ich will nicht, dass stirbt. Dazu ist er viel zu niedlich.“

Meine Worte schien Pandeia sehr zu gefallen und sie nickte wieder. Allanar kletterte wieder auf ihre Schulter und ich erhob mich aus dem Bett.

„Mach dich frisch, Rose. Ich warte derweil draußen“, sagte Pandeia und ging dann auch schon aus dem Zimmer.

Ich blieb zurück und atmete tief durch. Was ich gesagt hatte, meinte ich auch so. Ich würde nicht zulassen, dass Mist starb. Wenn er schon mein Gefährte war, dann würde ich dafür sorgen, dass er der beste Drache unter allen werden würde und dazu muss er groß und stark werden. Nur so würde er mich wirklich aktiv gegen andere beschützen können. Und deswegen muss er wieder anfangen richtig zu essen.

„Ich komme Mist … es wird alles wieder gut.“

 

Gemeinsam mit Pandeia und Allanar machte ich mich dann auf dem Weg zu Mist. Ich hatte keine Ahnung, wo Orona ihre Büro oder Zimmer hatte, sodass ich einfach der Kriegerin folgte. Diese führte mich aus dem Schloss heraus und ging dann einen kleinen Hügel hinunter. Ich folgte ihr schweigend und sah dabei immer wieder zu Allanar. Hatte er es wirklich gemeint, als er meinte, dass er mich beschützen würde? Würde er sich wirklich einen anderen Drachen entgegenstellen, um mich vor Unheil zu bewahren? Mich…einer Fremden? Jemand aus einer anderen Welt?

Plötzlich wurde mir bewusst, dass niemand es mir vorgehalten hat. Niemand hat negativ darauf reagiert, als es hieß, dass ich von einer anderen Welt komme. Sie hatten mich alle freundlich aufgenommen und viel Verständnis gezeigt … abgesehen von meinen Wunsch nach Hause zu gehen.

Ich sah zu Pandeia. Auch sie ist sehr nett mir gegenüber. Gut, sie hat mich einmal niedergeschlagen, aber auch nur, weil sie selber mit den Nerven am Ende war und ich mich selber nicht nett aufgeführt hatte. Wenn ich genauer darüber nachdachte, würde ich sogar sagen, dass ich sie als eine Art Freundin ansah. Auch Gwynna und Lailea waren so etwas wie Freundinnen. Ich kannte diese beiden zwar erst seit vier Tagen, aber sie haben mir geholfen und versucht mir beizustehen. Also etwas, was doch Freunde machten, oder?  Dies galt auch für Desa und Luana. Mit einem Mal wurde mir bewusst, dass ich vielleicht doch nicht allzu alleine war, wie ich gedacht hatte. Ich war überhaupt nicht alleine!

Unten an dem Hügel gab es einen kleinen Pfad, der in Richtung eines Waldes führte. Ich folgte mit dem Blick den Pfad und erkannte, dass vor dem Wald eine kleine Hütte stand. Ob dort Orona lebte? Doch vor allen: ob Mist dort war?

Ich folgte immer noch Pandeia und sie schien genau auf die Hütte zu gehen. Kurz darauf waren wir dann dort.

Die Hütte sah nicht gerade groß aus, hatte aber eine Oberetage, wenn ich es richtig deutete. Hinter der Hütte gab es einen abgezäunten Platz, sowie mehrere … ich riss meine Augen auf. Es gab auf dem Platz mehrere Nester. In diesen lag jeweils immer ein Ei.

Neugierig trat ich näher an einen Zaun und sah mir ein Nest genauer an.

Es war aus Holz, Späne und Heu und sah ehrlich gesagt gemütlich aus. Das Ei selber war viel größer als ein Hühnerei und irgendwie war mir auch klar, dass keine Hühner diese Eier gelegt hatten. Das Ei war länger als meine Handbreite und besaß eine rötliche Schale mit dunklen Schattierungen. Ein rotes Ei! Irgendwie würde man sich zu Ostern eine Menge Zeit sparen. Ich sah zu anderen Nestern und auch da waren die Eier farbig. Es gab grünliche, gräuliche, bläuliche und auch ein glänzendes schneeweißes.  Ob die Eierschalen so aussahen wie die Drachen? Ob mein Mist aus einem roten Ei geschlüpft war?

Pandeia trat neben mich und sah ebenfalls zu den Nestern.

„Ein schöner Anblick, nicht wahr?“

Ich nickte. In jedem Ei musste eine kleine Echse – oder Drache – darauf warten, bis es schlüpfen konnte. Ein ehrlich gesagt wundervoller Gedanke. Wie konnte jemand eine Bestie sein, der aus so einen schönen Ei schlüpfte?

„Hat hier auch mal Mist gelegen?“

Ich musste es unbedingt wissen. Keine Ahnung wieso, aber irgendwie schien es mir wichtig. Ich wusste ja eigentlich wirklich nichts über ihn. Wo er herkam. Wer seine Eltern waren. Dinge, die plötzlich für mich wichtig waren, dies zu wissen.

„Ja, dass hat er“, ertönte eine Stimme hinter uns und ich wirbelte herum. Es war Orona, die neben uns ebenfalls an den Zaun trat. Ihr Blick lag fast sanft auf den Eiern und mir wurde bewusst, dass diese Eier der Frau sehr viel bedeuteten. Was musste es da für ein Schock gewesen sein, dass einige zerstört und gestohlen worden waren. Mitleid kam in mir auf. Es musste furchtbar gewesen sein.

„Was ist mit Mists Eltern?“

Orona sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Dies verunsicherte mich, doch dann lächelte sie.

„Das weiß ich nicht. Mists Ei wurde in einem Gebirge gefunden, wo es eine Gruppe von wilden Rotdrachen gibt. Als diese weitergezogen sind, haben sie das Ei zurückgelassen.“

„Zurückgelassen?!“ Schock durchfuhr mich. Das war ja so, als wenn eine Mutter sein Kind einfach aussetzte und zum Sterben überließ. Doch als ich Orona ansah, sah sie nicht schockiert aus. Sie nickte.

„Ja. Viele wilde Drachen lassen ihre Eier zurück. Es ist für wilde Drachen nicht einfach, Junge zu erziehen und in manchen Jahren werden mehr geboren, als es Kapazitäten für sie gibt. Damit diese Jungen dann nicht sterben, werden sie schon in den Eier zurückgelassen. Drachen können Jahrhunderte in ihren Eiern ausharren. Sie gehen dabei in eine Art Stasis und erst wenn gewisse Bedingungen erfüllt sind, entwickelt sich das Jungtier. Die Eier, die von den Wilddrachen zurückgelassen werden, werden von Reitern aufgesammelt und dann zu Brutstationen gebracht. Eine befindet sich hier in Dracheim. Dort wird sich dann um die Eier und dann auch um die schlüpfenden Jungen gekümmert. So lange, bis sie sich einen Gefährten erwählen, oder sie aber in die Wildnis gehen und zu einem Wilddrachen werden.

Jeder hat etwas davon. Wir kümmern uns um die zurückgelassenen Eier in der Hoffnung, dass ein Jungtier einen Reiter sich erwählt und die Wilddrachen können sicher sein, dass sich gut um ihre Nachkommen gekümmert wird. So muss keines sterben.“

Ich dachte über diese Worte nach. Es war gut zu hören, dass kein Ei zum Sterben zurückgelassen wird. Doch dies bedeutet auch, dass Mist keine Ahnung hatte, wer seine Eltern war. Im Grunde genommen war er ganz alleine. Vor allen, als er geschlüpft war. In einer anderen Welt, wo es keine Drachen gab. Kein Wunder, dass er sich einen Gefährten gesucht hat. Ob seine Wahl auf mich fiel ein Zufall war? Ich dachte an den Tag zurück. In dem Park sind immer viele Menschen unterwegs. Er hätte also die große Wahl zwischen unzähligen Menschen haben können. Doch seine Wahl fiel auf mich. Ich erinnerte mich daran, dass er unter einem Busch genau auf mich zukam. Ich war seine Wahl gewesen. Nicht, weil er niemand anderes zur Auswahl hatte, sondern weil er genau mich haben wollte. Ein Gefühl der Wärme durchfuhr mich. Ich war vom auserwählt. Plötzlich fühlte ich mich schlecht. Er hatte mich erwählt und ich habe ihn zurückgestoßen. Das musste furchtbar für den Kleinen gewesen sein. Ich sah zu Orona.

„Wo ist Mist jetzt?“

Plötzlich ich so schnell wie möglich zu ihn hin.

Pandeia grinste mich an. Wahrscheinlich ahnte sie, was ich gerade dachte. Auch Allanar sah irgendwie zufrieden aus … naja, jedenfalls so sehr zufrieden wie ein Drache aussehen konnte. Orona sah im Gegensatz dazu eher erleichtert aus.

„Er ist drin“, sagte sie und wir gingen in die Hütte.

Drinnen sah es sehr gemütlich aus. Es gab eine Treppe, die nach oben führte und drei Räume im Erdgeschoss. Zu einem der Räume führte sie mich und neben einem Kamin, in dem ein Feuer prasselte lag auf einem Strohlager Mist.

Ich blieb am Eingang stehen. Unsicher, was ich nun eigentlich machen sollte. Mist musste denken, dass ich ihn zurückgewiesen habe. Da konnte ich doch nicht einfach zu ihn hingehen und zu tun, als wäre alles in Ordnung. Ich hatte ihn innerlich verletzt. Es war zwar nicht meine Absicht gewesen, aber dennoch war es geschehen. Plötzlich hob Mist seinen Kopf und sah mich an. Mir war so, als würde er direkt in meine Augen blicken, in mein Herz. Seine kleinen Stacheln auf de Rücken stellten sich auf, doch nicht auf einer bedrohlichen Art und Weise. Ein fiependes Geräusch entfuhr ihm und es klang erwartungsvoll. Einer Eingebung folgend, hockte ich mich hin und wie ein Blitz war er plötzlich bei mir. Setzte sich vor mir auf dem Boden und sah mich erwartungsvoll an. Er schien so, als würde er etwas von mir wollen. Wieder folgte ich einer inneren Stimme und streckte meine rechte Hand aus. Vorsichtig und langsam. Dann hielt ich kurz vor ihm inne. Er streckte sich, presste seinen Kopf gegen meine Handfläche und rieb sich daran. Dann leckte er über die Hand und fiepte abermals. Dies Mal klang es hoffnungsvoll. Ich drehte meine Hand, sodass die Handfläche nach oben zeigte und er kletterte langsam hinauf. Dabei konnte ich deutlich fühlen, dass er versuchte, ganz vorsichtig auszutreten. So als wollte er mir keine Angst einjagen.

Wärme durchfuhr mich. Eine friedliche und wunderbare Wärme. Ich wusste nicht, ob Mist dies tat, oder ob es etwas anderes war. Ich wusste nur, dass es mir gefiel und dass ich Mist nie mehr hergeben wollte. Er war mein Gefährte. Mein Drache!

Mist kletterte auf meinen Arm entlang bis er auf der Schulter war und ließ sich dort nieder. Er drückte seinen Kopf gegen meine Wange und sein Schwanz wickelte sich um meinen Arm, damit er mehr Halt bekam.

Aus der Wärme in mir wurde Freude. Riesige Freude. Trotz dass ich ihn mies behandelt hatte, wollte er mein Gefährte sein. Er wollte bei mir sein und bei sonst niemanden. Dann fiel mir ein, dass er lange nichts gegessen hatte. Dies Erklärte wohl, warum er sich irgendwie leichter anfühlte als beim letzten Mal, als er auf meiner Schulter gesessen hatte.

„Na du Kleiner“, flüsterte ich. „Hast du Hunger?“

Er fiepte. Zustimmend und mit vollem Nachdruck. Ich sah zu Orona und Pandeia. Beide sahen sehr zufrieden aus und auch Allanar hatten diesen Ausdruck in seinen Augen. Ich hatte wohl alles richtig gemacht. Nun würde wohl Mist doch nicht sterben und dies erfüllte mich mit Freude.

Später habe ich Mist dann etwas zu essen gegeben und er hat alles so ziemlich runter geschlungen. Er musste wirklich Hunger gehabt haben, vor allen, wenn ich an die Masse denke, die er verputzt hatte. Dass soviel in einen so kleinen Magen geht, ist wirklich beeindruckend. Danach habe ich mich mit Lailea, Gwynna, Desa und Luana zusammengesetzt. Ich habe mich bei ihnen entschuldigt, obwohl diese beteuerten, dass dies nicht notwendig sei. Sie verstanden mich und versicherten mir, dass sie alles daran setzten wollten, dass ich mich hier wohl fühlte. Auch Pandeia kam noch einmal vorbei und meinte, dass ich jederzeit mit ihr sprechen könnte, wenn ich wollte. Da wurde mir sehr stark bewusst: Ich war nicht allein in Dracheim. Ich hatte Freunde und vor allen hatte ich einen Gefährten.

 

Lange währte meine Freude nicht. Das lag aber daran, dass der Unterricht am nächsten Tag weiterging. Und schon in den ersten beiden Stunden wurde mir wieder voll bewusst, dass ich von ganz woanders herkam: Magie der Elemente. Ich glaubte nicht an Magie, jedenfalls nicht wirklich. Drachen waren magische Wesen, dass räumte ich gerne ein und irgendwie musste ich auch in eine andere Welt kommen, aber ich glaubte nicht daran, dass ich Magie ausüben konnte. Dass war nun wirklich etwas, dass nicht möglich sein konnte. Gwynna meinte, dass dies nicht stimmte. Ein Drache hat mich auserwählt, also musste ich auch Magie wirken können. Doch so sehr sie auch versuchte mich zu überzeugen, ich blieb da skeptisch. Dass dann auch noch die Lehrerin Seithà Kadlin sein musste, machte es nicht besser. Diese Frau war ebenfalls an meiner Entführung anwesend gewesen. Wer weiß, vielleicht hatte sie mich auch in die andere Welt verschleppt. Mit ihrer Magie?

Auch die anderen Fächer … ich konnte nicht sagen, dass mir eines irgendwie gefiel. Andere Sprachen wollte ich nicht lernen, da ich sowieso nichts verstand. Gut, das Fach Geographie war interessant. Es war schon gut zu wissen, wo ich mich überhaupt in dieser Welt befand. Der Hextag war auch nicht viel besser. Den Anfang machte wieder Allgemeine Drachologie – wo ich immer noch nicht in dem Buch gelesen habe. Dann gab es wieder das nervige Fach bei Sheedas: Grundlagen des magischen Formens. Ich glaubte nicht an Magie und kann auch keine wirken! Dass sollten die sich endlich einprägen. Das Fach Tränke war jedoch interessant. Heute gab es den praktischen Teil. Da wir jedoch am Primtag nur die Geräte und einige Fachbegriffe durchgenommen hatten, hatten wir jetzt die Gegenstände in Natura vor uns stehen. Dennoch glaubte ich, dass das Fach dann interessant wird, wenn wir wirklich Tränke brauten. Darauf freute ich mich irgendwie. Der Abend des Tages jedoch war nicht so schön. Es stand wieder „Grundlagen des Fliegen“ auf dem Plan und ich weigerte mich beharrlich dorthin zu gehen. Bisher wusste niemand von meiner Höhenangst, doch mir war klar, dass ich es nicht lange verstecken konnte. Eigentlich wollte ich es nicht verstecken, doch wie würden diese reagieren? Mit Höhenangst konnte ich kein richtiger Drachenreiter werden! Die anderen versuchten zwar mich zu überreden, zum Platz wenigsten mitzukommen, doch ich schüttelte den Kopf. Es wäre eh sinnlos.

Am Heptag lernte ich, dass ich nicht nur eine Fremdsprache, sondern gleich zwei lernen musste: Die Alte Sprache, nun am Heptag auch noch Elbisch? Was sollte das? Ich wollte nicht mal eine Sprache lernen, wie sollte ich da zwei bitte schön lernen? Zwar versprach mir Gwynna mir zu helfen, denn als Elbin konnte sie ja Elbisch und auch schon die Alte Sprache, doch es gefiel mir überhaupt nicht. Das einzig Gute am Heptag war Grundlagen der Bogenkünste. Bogenschießen! Man lernte hier Bogenschießen. Am Sectag und Quintag hatten wir auch schon irgendwas übers kämpfen gelernt, aber so wirklich fand ich das nicht so interessant. Doch Bogenschießen! Das war etwas wovon ich was verstand. Ich war für anderthalb Jahren in einem Sportverein gewesen, doch dann entschied meine Ma, dass Schule wichtiger war. Damals war ich sehr traurig gewesen, aufhören zu müssen, doch Ma ließ sich nicht erweichen. Nun würde ich wieder die Möglichkeit haben. Zwar lernten wir heute nur einige Begriffe und wie man einen Bogen spannte, doch es toll wenigsten etwas zu wissen. Ich konnte einiges fehlerfrei bezeichnen und auch ohne Hilfe einen Bogen zu spannen. Wenn man den Dreh heraushatte, war es einfach. Man durfte nur keine Angst haben, dass man den Bogen zerbrechen konnte. Ich half sogar Gwynna, die bei ihren Bogen Probleme hatte und sah, wie die Lehrerin, ihr Name war Salà Dantaree mit ihren Drachen Derrorio, mir zunickte. Dies war ein tolles Gefühl. Wenigsten etwas zu können.

Nachdem dann die erste Woche auch um war und wir zwei Tage frei hatten, kam es mir sehr deutlich, dass ich so gut wie gar nichts konnte. Dann hatte auch noch Gwynna, die darauf bestanden, mir dabei zu helfen, die zwei Tage, wo ich wirklich nichts gemacht hatte, aufzuholen. Dass war sehr nett, aber den Tag hätte ich dann doch lieber anders verbracht. Schlimmer wurde es, als es hieß, dass wir für Typologie einen Aufsatz schreiben mussten und dass bis zum Primtag. In zwei Tagen also. Was für eine Fülle von Stoff. Da habe ich mich beschwert, dass wir zu Hause zu viele Hausaufgaben bekamen und nun dies!

Am Abend des Noutag war ich fix und fertig und der Gedanke, dass morgen dann die zweite Woche und damit der Unterricht wieder anfing, war noch schlimmer. Wie sollte ich das bloß durchstehen? Dass war doch gar nicht zu schaffen! Ich hatte insgesamt elf Fächer, wenn ich das Kampftraining und die Flugstunde weglassen würde. elf Stück: Allgemeine Drachologie, Grundlagen des Magischen Formens, Erziehung und Haltung eines Drachens, Geschichte, Typlogie, Tränke, Heilen, Grundlage der Alten Sprache, Magie der Elemente, Geographie und Grundlagen Elbisch. Dann kam noch das Kampftraining mit Grundlagen des Waffenlosen Kampfes, Grundlagen der Einhandwaffen und Grundlagen Bogenkünste. Zum Schluss noch mein Hassfach: das Fliegen. Wie sollte ich alles unter einen Hut bekommen? Gut, die Woche hatte hier neun Tage und drei Tage davon waren frei, um zu lernen, aber selbst wenn ich gewillt wäre, etwas für die Schule zu machen … die Zeit würde doch nie ausreichen! Da kam dann noch hinzu, dass mir kein Fach gefiel. Gut, ich mochte Tränke und das Bogenschießen. Orona mochte ich, sodass ich ihren Unterricht folgen konnte, doch ansonsten? Mir wurde sehr klar, dass ich diese Schule hier wohl mehr hassen würde, als die Zuhause.

Na dann, prost Mahlzeit!

Zwischenspiel 1

Der Mann mit der rötlichen Echse stand zwischen zwei Säulen und zog seine Kapuze tiefer in sein Gesicht. Er wollte verhindern, dass man ihn sah und dies konnte er nur so erreichen. Seine Echse befand sich auf seiner linken Schulter und war ganz ruhig. Er hatte ihr schon vorher sehr deutlich gemacht, dass man sie um keinen Preis entdecken durfte. Der Befehl seines Meisters war klar gewesen: Stifte in Dracheim für Unruhe und lass ein paar Tote auffallen. Tote, um die sich dann die Drachenhüter kümmern mussten. Dafür würden sie dann seinen Meister in Frieden lassen.

Der Mann trat zwischen den Säulen hervor und sah sich in der Bibliothek um. Er war öfters hier und auch sein jetzigen Ziel befand sich noch hier. Eigentlich war es schon viel zu spät, doch Schüler hatten immer die Angewohnheit die Schlafzeiten zu missachten. Vor allen dann, wenn man noch schnell eine Aufgabe für ein morgiges Fach fertig stellen musste.

Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Tote gaben eine gute Ablenkung für die Hüter ab. Wenn es sich bei den Toten dann auch noch um Schüler handelt, dann war die Ablenkung noch viel besser. Da mussten die Hüter erst recht alle Ressourcen einbringen, ob diese aufzuklären. Je mehr sie dann damit beschäftigt waren, desto besser war es für seinen Meister.

Mit leisen Schritten ging er zu einem großen Regal und blickte dann um die Ecke. Von dem schwachen Schein einer kleinen Fackel wurden zwei junge Schüler erhellt, die gerade dabei waren, leise einige Bücher in ein Regal zu stellen. Auf einem kleinen Tisch lagen noch Pergamentrollen, deren Schrift noch trocknete. Zwei Schüler, die im dritten Halbjahr waren und einen Bericht für die Geschichtsstunde fertig gestellt hatten. Dem Mann würde schon ein Schüler reichen, doch da diese beiden sich ein Zimmer teilten, war er gezwungen beide zu töten. Wenn er einem am Leben ließ, würde dieser Alarm schlagen und dann könnte er entdeckt werden. Etwas, was er unbedingt vermeiden musste.

Als die Schüler sich auf dem Weg zu den Schlafräumen machten, folgte er ihnen leise.

Er kannte die beiden, es waren zwei Jungen. Er hatte sie selber schon in seinen Unterricht gehabt und wusste um deren Angewohnheit, immer bis zur letzten Minute mit dem Hausarbeiten warteten. Deswegen war es zu erwarten gewesen, dass er auf diese beiden in der Bibliothek treffen würde. Da sie erst im dritten Halbjahr waren, würden sie auch keine Gefahr für ihn darstellen. Wahrscheinlich würden sie nicht einmal merken, wer sie töten würde.

Der Mann spürte die Unruhe seines Drachens und er fuhr ihn beruhigend über dessen Schuppen. Gleich, Kleiner. Du weist, was du zu tun hast!

Ein Zustimmendes Geräusch verließ die Echse und sie zuckte mit dem Schwanz. Sie wartete schon freudig darauf.

Als die Schüler den Gang mit den Schlafräumen der Neuankömmlinge erreichten, hielten sie kurz inne. Was sie flüsterten konnte der Mann nicht verstehen, aber sein Plan nahm eine neue Teufelei an. Er würde sie nicht in irgendeinen Seitengang töten. Nein, er würde es dramatischer für die Hüter machen. Der Mann streckte seinen rechten Arm aus, hielt die Handfläche nach oben und krümmte leicht die Finger. Dann begann er leise zu murmeln. Dabei ließ er die Schüler nicht aus den Augen. Auf seiner rechten Handfläche entstand leichter dunkler Nebel. Er wurde immer größer und mit einem geistlichen Befehl gab er dem Nebel einen Befehl. Dieser nahm Gestalt an. Die Gestalt zweier dämonenhafter Wesen. Sie hatten zwei klumpige Beine, vier dürre Arme mit langen Klauen und einen Kopf mit plattgedrückten Gesicht. Als die beiden Wesen ihre Form besaßen, gab er einen neuen Befehl. Sofort setzten sich diese in Bewegung.

Langsam gingen die beiden Wesen auf die Schüler los, welche sich im Gang immer noch leise unterhielten.  Ehe die Wesen sie erreichten oder die Schüler etwas merkten, webte der Mann einen zweiten Zauber. Einen, der dafür sorgte, dass niemand hören würde, was im Gang gleich geschah.

Fasziniert sah der Mann zu, wie seine Dämonen die beiden Schüler töteten. Sie taten es qualvoll und sehr blutig. Selbst die beiden Jungdrachen der Schüler konnten sie nicht beschützen. Auch sie starben mit ihren Gefährten. Es war schnell vorbei und als die Wesen sich in Rauch auflösten blieben nur die leblosen Körper der Getöteten zurück. Ein breites Grinsen erschien auf das Gesicht des Mannes. Er ging auf die Stelle zu, wo diese lagen und beugte sich vor. Plötzlich hatte er eine kleine Phiole in der Hand. Vorsichtig fing er etwas von dem Blut auf. Insgesamt füllte er vier kleine Flaschen, wo jede einzelne das Blut eines bestimmten Körpers in sich inne hatte. Zwei für die Menschen. Zwei für die Drachen. Als er die vierte mit einem Korken verschloss, tauchte er mit dem Zeigefinger in eine Blutlache und zeichnete einige Runen auf dem Boden neben den Körpern. Es war eine Warnung und die Aufforderung, etwas den rechtmäßigen Besitzer zu übergeben. Dann erhob der Mann sich und strich über die rötlichen Schuppen seines Gefährten.

Es ist vollbracht. Dies wird die Hüter aufschrecken und uns hat es sogar mit Blut gedient.

Mit einem Gefühl der Freude verließ der Mann den Gang und begab sich auf dem Weg in seinem Zimmer. Dabei achtete er wieder darauf, dass ihn niemand beobachtete. Bei eines war er sicher. Der Tod der beiden Schüler würde erst der Anfang sein.

9. Kapitel

Es war ein Schrei, der mich weckte. Als ich die Augen aufriss, blickte ich zur Decke. Unsicher, ob ich mir den Schrei eingebildet hatte oder ob er wahr war. Als er sich dann wiederholte, war mir klar, dass da wirklich jemand schrie. Und zwar voller Horror.

Mit wenigen Schritten war ich aus dem Bett und an der Tür.

Eine gute Idee, Rose! Geh sofort zur Quelle des Schreies, dass ist das sicherste, was du machen kannst!

Mir war klar, dass meine innere Stimme recht hatte, aber irgendetwas zog mich zu den Schreien hin.

Als ich die Tür öffnete, war Desa auf einmal neben mir. Sie sah mich kurz an und ich erkannte die Entschlossenheit in ihren Blick. Wir würden nicht zurückweichen. Wir würden nachschauen, was da los war!

Draußen im Gang waren mehrere Schüler. Ich kannte die meisten von dem Unterricht her, doch nicht alle. Da sehr viele um eine bestimmte Stelle standen, gingen Desa und ich darauf zu. Ich zwängte mich zwischen zwei Mitschüler, erkannte, worauf alle starrten und wandte mich ab. Übelkeit stieg in mir auf. So heftig, dass ich zur Seite wich und mich erbrach. Sich zu erbrechen war grauenvoll. Das Gefühl, wenn die Masse die Speiseröhre wieder hochkommt und man nichts dagegen tun konnte. Mit einer gewissen Erleichterung stellte ich fest, dass andere Würggeräusche zu meinen Ohren traten. Wenigsten war ich nicht die einzige, die sich erbrechen musste!

Als der Brechreiz endlich aufhörte, wischte ich mir über meinen Mund und sah dann wieder zu der Masse. Nun konnte ich zwischen ihnen hindurch sehen.

Es war grauenhaft!

An der Wand lagen auf de Boden zwei Personen. Dass diese nicht mehr lebten, war auf dem ersten Blick sofort zu erkennen. Mir wurde es eiskalt.

Es gab zwei Tote und diese lagen nicht weit von unserem Zimmer entfernt. Jemand oder etwas hatte diese getötet und zwar auf einer grauenhaften Weise. Überall war Blut, Hautfetzen und auch Reste von deren Kleidung. Vor ihnen auf dem Boden lagen zwei kleinere Körper und mit Schrecken wurde mir bewusst, dass es zwei Echsen waren. Auch diese sahen aus, als wären sie qualvoll gestorben. Mir wurde es noch kälter und ich sah mich nach Mist um, von einer plötzlichen Angst ergriffen. Da war er. Er schlängelte sich gerade zwischen Schüler hindurch und war kurz darauf bei mir. Ich ging in die Knie, den rechten Arm ausgestreckt und er kletterte sofort auf meine Schulter. Er drückte beruhigend seinen Kopf gegen meinen und grollte leise. Es war ein leises besänftigendes Grollen. Ich erhob mich wieder und sah abermals zu den Toten. Ich kannte sie nicht, doch dass nahm nicht den Schrecken. Plötzlich war Gwynna und Lailea neben mir. Beide starrten schockiert auf die Toten. In mir kam eine Erleichterung auf, dass es sich bei denen nicht um Freunde von mir handelte.

Irgendwie war es ein makabrer Zufall. Gestern noch habe ich riesige Angst gehabt, dass Drachen mit anfallen und töten konnten und nun gab es zwei Tote. Die Kälte in mir wurde größer und ich begann zu zittern. Es schien so, als wäre meine Angst nicht wirklich fehl am Platze gewesen.

Dann wurde es schlimmer. Ich erinnerte mich an etwas. Ganz schwach. Es war ein Traum gewesen. Naja, jedenfalls dachte ich, dass es ein Traum gewesen war. Es war ganz verschwommen. Irgendwie hatte es sich bei diesen um eine Gestalt gehandelt, die jemanden gefolgt war. Ganz leise und dann hatte diese Gestalt einen Nebel erschaffen. Ein Nebel, der die Gestalt von etwas furchtbaren gehabt hatte. Dieser Nebel hatte dann jemanden getötet. Ich schüttelte den Kopf. Dass konnte doch nicht sein. Das war nur ein Traum gewesen und außerdem habe ich nicht erkennen können, wer da getötet worden war. Es gab also keinen Grund anzunehmen, dass diese Sache mit de Traum im Zusammenhang stand. Oder doch? Ich sah auf die Toten und versuchte mich daran zu erinnern, wie die Person im Traum ausgesehen hatte. Es konnte doch kein Zufall sein, dass ich von einem Mord träumte und nun wirklich welche getötet worden waren.

Dann waren plötzlich mehrere Erwachsene da und auch die Schuldirektorin. Maighdlin warf nur einen Blick auf die Toten, wurde leichenblass und klatschte dann laut in die Hände. »Ruhe … ich bitte um Ruhe!«

Ihre Stimme hallte durch den Gang und klang so gebieterisch, dass alle anderen verstummten. Jeder blickte zu ihr, abgesehen von den Erwachsenen, die sich aufmerksam im Gang umschauten und zwei, die sich vor den Toten niederließen.

»Jeder geht sofort auf sein Zimmer zurück und verlässt es nicht. Ihr bleibt so lange dort, bis eine andere Anweisung kommt. Der Unterricht wird heute nicht stattfinden.«

Normalerweise freuten mich die letzten Worte, doch dieses Mal klangen sie Unheilverkündigend. Jemand wurde in der Schule getötet. An einem Ort, der laut Pandeia sicher sein sollte. Wie hätte dies geschehen können? Und wer war dafür verantwortlich?

Ich sah, wie die meisten Schüler der Aufforderung nachkamen und in verschiedenen Zimmern auf dem Gang verschwanden. Ich selber konnte nicht meinen Blick von den Toten lassen. Noch immer versuchte ich mich daran zu erinnern. An den vollständigen Traum, doch ich konnte einfach nicht mehr hervorholen. Es musste sich demzufolge um einen Zufall handeln.

Plötzlich bemerkte ich etwas bei den Toten. Etwas, dass vor ihnen auf dem Boden geschrieben war. Mir wurde es noch schlechter. Es war mit Blut geschrieben. Ich versuchte die Zeichen zu erkennen, doch diese sagten mir nichts. Verdammt! Wieso musste ich auch in einer anderen Welt sein!

Dann war da eine Hand auf meine Schulter und ich zuckte leise aufschreiend zurück.

»Ruhig … ganz ruhig … ich bin es.«

Ich drehte mich um und erkannte das ernste Gesicht von Pandeia. So ernst hatte ich sie noch nie gesehen. Sie ergriff mich an der Schulter und drehte mich in Richtung meines Zimmers.

»Komm Rose. Du solltest dir das nicht mit ansehen«, murmelte sie und schob mich ins Zimmer. Dort angekommen sah sie die anderen Mädchen an. »Ihr habt gehört, was die Direktorin gesagt hat: Niemand verlässt das Zimmer!«

Die anderen drei nickten.

»Was ist eigentlich passiert«, fragte ich und sah die Kriegerin an. Diese sah zu mir. Aus dem Ernst wurde Sorge.

»Das wissen wir noch nicht, aber wir werden es herausfinden!«

Mit diesen Worten drehte sich Pandeia um und verließ das Zimmer. Sie schloss die Tür hinter sich und dann waren wir alleine.

Luana und Desa saßen auf einem Bett und sahen sehr blass aus. Desa hatte Luana umarmt und hielt sie ganz fest. Gwynna selber stand neben dem Bett und sah auch bleich aus. In allen stand der Schock im Gesicht geschrieben. Ich fragte mich, wie ich wohl aussehen würde. Dann fielen mir die Symbole ein, die ich gesehen hatte. Die, die mit Blut geschrieben waren. Schnell holte ich ein Blatt Pergament hervor und ein Kohlestift … mit diesen konnte ich viel besser schreiben, als mit Feder und Tinte. Aus dem Gedächtnis heraus begann ich die Zeichen aufzuschreiben. Ich wollte unbedingt wissen, was sie bedeuteten.

 

Der Rest des Tages verlief in einer bedrückenden Stimmung. Den ganzen Vormittag lang durften wir das Zimmer nicht verlassen. Selbst wenn wir mal auf die Toilette mussten, ging die ganze Zeit eine Kriegerin neben einem. Später, so um die Mittagzeit, begannen dann die Fragen. Dazu kam die Direktorin, Maighdlin und eine mir unbekannte Kriegerin zu jeden Raum. Wir erfuhren, dass diese Kriegerin Caellach hieß und erst nach diesem Gespräch wurde mir klar, dass es neben den Lehrerinnen auch Wächterinnen gab. Drachenreiter, die für die Sicherheit der Schule und deren Schüler verantwortlich sind. Nach längerem Überlegen kam ich zu dem Entschluss, dass Pandeia auch eine Wächterin sein musste. Kein Wunder, dass sie so ernst und wütend gewirkt hatte.

Dass Seltsamste an der ganzen Sache war, dass niemand etwas gehört hatte. Ich meine, da konnte doch wirklich nicht etwas stimmen. Diese beiden Schüler wurden fast vor unserer Zimmertür ermordet und dennoch haben wir nichts vernommen. Ich nichts und auch die anderen drei nichts. Dies führte mich wieder zu meinen Traum. Natürlich sagte ich nichts davon, denn ich wollte nicht als verrückt dastehen … dennoch … irgendwie kam mir dies wichtig vor. Wieso konnte ich mich einfach nicht erinnern!?

Nach dem Mittag durften wir die Räume wieder verlassen und dass erste was mir auffiel war, dass sehr viele Krieger in den Gängen der Schule umherliefen. Viel mehr als sonst.

Den Rest des Tages verbrachte … Wunder oh Wunder … in der Bibliothek. Es war das erste Mal, dass ich hier war und dies stimmte selbst mich überraschend, aber ich wollte unbedingt mehr über die Symbole erfahren. Was sich als sehr schwierig herausstellte.

Ich fragte Curiana, die Bibliothekarin hier, wo ich etwas über die Symbole der Alten Sprache finden könnte und sie schickte mich zu einem ganzen Regal! Ein komplettes Regal und da will mir Gwynna weismachen, dass es einfach werden würde, diese Sprache zu lernen! Dass ich nicht lache!

Am Ende des Tages erkannte ich, dass er nicht produktivreich gewesen war und dann hieß es, dass am nächsten Tag der Unterricht wieder normal fortlaufen sollte. Mit anderen Worten, dass ich dann keine Zeit haben werde, mich mit diesen Symbolen zu beschäftigen.

 

Der nächste Tag war interessant. Anders konnte ich es nicht beschreiben und auch ein wenig hilfreich, denn wir hatten »Grundlagen der Alten Sprache«. Zwar wollte ich nach wie vor nicht eine neue Sprache lernen, aber es half mir bei den Symbolen. Einige, die die Lehrerin, ihr Name war Lorena, an die Tafel schrieb, waren ähnlich derer, die ich mir gemerkt hatte. Und ähnliche Symbole, bedeuten doch auch ähnliche Bedeutungen, oder?

Mithilfe eines Wörterbuches und den Erklärungen von Lorena, gelang es mir einen Teil der Botschaft zu übersetzen:

Dies … eins … Warnung. Geben …  zurück … Meister/ Besitzer.

Gut, auf dem ersten Blick ergab es nicht besonders viel Sinn, aber wenn man es sich näher betrachtete, dann durchaus! Diese beiden Tote waren wohl eine Warnung und die eins stand garantiert für erste. Mit anderen Worten: Dies war die erste Warnung. Dann gab es noch eine Aufforderung, etwas jemanden zurückzugeben. Einen Meister oder einen Besitzer … das war mir nicht schlüssig, denn die Symbole waren fast identisch. Aber was zurückgeben? Was war wertvoll genug, um dafür zwei Schüler zu töten?

Mir war klar, dass die Antwort auf dem Zeichen bestand, dass ich nicht kannte und ich auch kein Äquivalentes dazu fand. Am nächsten Tag fragte ich Lorena danach, was es bedeuten konnte, doch sie hatte nur auf das Symbol gestarrte. Und war weiß geworden!

»Wo … woher … woher hast du dieses Zeichen?« Die Frau sah mich ernst an und auch ihr Gefährte, sodass Mist leise zischte. Ich berührte ihn beruhigend.

Ich überlegte. Ich konnte doch nicht die Wahrheit sagen, oder? Dass ich das Zeichen neben den Toten gesehen hatte. Bestimmt gefiel es den Erwachsenen nicht, wenn ich mich damit beschäftigte. »Ich habe es in einem Buch gesehen … in der Bibliothek«, antwortete ich stattdessen. »In der Bibliothek?« Lorenas Blick war überrascht und sie sah mich wieder genauesten an. »In welchem Buch?«

Bei dieser Frage wurde mir bewusst, dass dieses Symbol, oder genauer gesagt, dass wofür es stand, wohl etwas war, das nicht der Allgemeinheit zugelassen war.  Ich zuckte mit den Schultern, denn in Wirklichkeit habe ich es ja nirgendwo gesehen.

»Weis ich nicht mehr … da gibt es so viele Bücher mit der Alten Sprache … da blick ich nicht durch.« Keine Lüge, sondern Wahrheit.

Lorena sah nochmal auf das Blatt Papier und nahm es mir aus der Hand. Sie faltete es zusammen und sah mich dann lächelnd an. »Das Symbol bedeutete nichts Besonderes. Es ist eine Abwandlung von dem Wort … Fliegen … Nichts Wichtiges. Wahrscheinlich hast du es in einem der Flug und Drachenbücher gelesen.«

Ich nickte langsam, wohl darauf bedacht, meine Mine nicht zu verändern. Belog diese Frau mich da gerade? Ich glaubte ihr kein Wort. Was sollte denn dann auch die Warnung bedeuten:

Dies war die erste Warnung. Gib das Fliegen dem Meister/ Besitzer zurück.

Nein! Egal was es bedeutete, dies konnte nicht die Wahrheit sein. Warum also belog mich diese Lehrerin? Was war die wahre Bedeutung dieses Symbols und warum war sie so schockiert, als sie es gesehen hatte. Fragen über Fragen.

Mit ein paar freundlichen Worten bat mich die Lehrerin dann weg und ich verließ ihr Klassenzimmer. Erst später fiel mir dann auf, dass sie den Zettel mit dem Symbol behalten hatte. Zu meinem Glück hatte ich vorher eine Kopie angelegt.

Da die Sicherheitsvorkehrungen stärker geworden waren und auch die Wächter zuversichtlicher aussahen, verloren die meisten Schüler ihre Angst. Auch Gwynna, Desa und Luana waren wieder munterer und auch Lailea, wobei diese überall – und zwar wirklich überall – von ihrer älteren Schwester Lyrana begleitet wurde. Dies war seltsam, aber nicht so seltsam wie das geheimnisvolle Symbol.

Der Unterricht nahm wieder seinen ganz normalen Gang und mir blieb leider keine Zeit, mich mit dem Zeichen zu beschäftigen. Ich versuchte ein wenig den Unterricht zu folgen, doch meine Aufmerksamkeit hielt nicht besonders lange an. Sehr zum Verdruss von Gwynna und Lailea, die mir immer wieder halfen, wenn ich etwas nicht verstand. Die magischen Fächer mochte ich überhaupt nicht. Ich weigerte mich irgendwelche Gesten oder Aufgaben mitzumachen, denn ich bin nach wie vor überzeugt, dass ich keine Magie wirken konnte. Ich wollte ehrlich gesagt auch keine wirken. Dem Lehrer Sheedas gefiel dies überhaupt nicht. Er fuhr mich mehrfach an und meinte, dass ich ernste Probleme bekomme, wenn ich nicht langsam anfangen würde mehr für seinen Unterricht zu machen. Kadlin, die Lehrerin für Magie der Elemente, versuchte es mit Verständnis. Sie gab den anderen eine Aufgabe und widmete sich ganz mir alleine. Sie erklärte irgendwelche Begriffe, die ich nicht verstand und ermutigte mich, doch selber etwas auszuprobieren. Ich weigerte mich hartnäckig.

Da kommt dann in einem die Frag auf, ob sie mich doch noch nach Hause schicken, wenn sie merken, dass ich nichts für den Unterricht machte. Wenn ihnen klar wurde, dass ich sowieso nichts lernte und ich auch keine Lust dazu hatte. Wenn ich in jedem Fach durchfallen würde. Dann hätten sie doch keinen Grund, mich hier zu behalten, oder?

Mist unterbrach diese Gedanken, denn es kam automatisch die Frag auf, was aus ihm werden würde. Würden sie ihn mir wegnehmen? Wohl kaum, denn dann würde er wohl nicht mehr fressen wollen und langsam eingehen. Ich konnte mir schlecht vorstellen, dass diese Personen hier dies wollten. Wenn ich jedoch kein Reiter werden würde, hatte ich dann das Recht auf einem Gefährten?

Ich wusste es nicht und so blieb mir keine andere Möglichkeit, als wenigsten zu tun, als würde ich im Unterricht aufpassen.

 

Sechs Tage nach dem Mord, fand am um die Mittagzeit wieder zwei Tote.

Ich habe gerade dabei gewesen, mich auf für Grundlagen der Bogenkünste vorzubereiten, als ein neuer Schrei durch den Gang und auch mein Zimmer hallte. Wie schon damals, war ich bei der Tür, ehe ich überhaupt richtig realisiert hatte, was los war. Wie gefährlich es war, sich auf die Schreie zuzubewegen und nicht davon weg.

Dieses Mal kam der Schrei aus dem Mädchentoiletten und als ich meinen Weg durch mehrere Schülerinnen gebahnt hatte, sah ich die zwei. Wie schon bei den Jungen, waren diese beide übel zugerichtet und vor ihnen lagen zwei Echsenkörper. Diese waren so verdreht, dass sie einfach nicht mehr am Leben sein konnten!

Mist zischte auf meiner Schulter und legte seinen Kopf an meinen Hals. Ich spürte, wie er zitterte und konnte selber nur mit Mühe mein Zittern unterdrücken.

Es gab zwei neue Tote und wieder einmal hatte niemand etwas gesehen oder gehört.

Dieses Mal waren die Erwachsen viel schneller da und scheuchten uns Schüler weg. Jedoch nicht schnell genug, sodass ich einen Blick auf die Nachricht aus Blut erhaschen konnte. Es waren fast dieselben Symbole, nur dass dieses Mal nicht mehr Erste Warnung, sondern zweite dastand. Dies konnte ich sofort entziffern, denn gestern Abend hatte mir Gwynna bei den Alten Runen geholfen und mir die Zahlen beigebracht.

Irgendjemand meinte es sehr ernst und schreckte nicht zurück, weitere Morde zu begehen. Doch warum? Was bedeutete, dass eine Zeichen, dass mir selbst meine Lehrerin nicht erklären wollte. Was wollte der Mörder für seinen Meister unbedingt haben?

Ich ging dieses Mal sofort in mein Zimmer, als wir dazu aufgefordert wurden und trat dabei auf meine Mitbewohner. Diese sahen mich fragend und ängstlich an. Ich sagte nicht, doch mein Blick musste für sie ausgereicht haben, denn die junge Elbin brach in Tränen aus. Die anderen beiden wurden bleicher.

Für den Rest des Tages fiel wieder der Unterricht aus. Dies war nicht anders zu erwarten gewesen und auch nicht, als es hieß, dass wir nicht unser Zimmer verlassen durften. Die Zeit zog sich hin. Es gab wieder Fragen, doch niemand hatte etwas gesehen oder gehört. Viele junge Schüler, die wie ich gerade im ihren ersten Halbjahr waren, waren verängstigt und einige Ältere forderten, dass sie bei der Schule mithelfen wollten. Doch die Wächter verboten es und erst zum Abendbrot durften wir unser Zimmer verlassen.

Ich ging mit den anderen. Die Stimmung war trübe und niemand schien etwas sagen zu wollen. Die Angst hier im Speisesaal war fast greifbar. Ich spürte, wie Mist immer noch unruhig auf meiner Schulter saß und er immer wieder leise fiepte. Der arme Kerl. Er hatte bestimmt große Angst und ich konnte ihn nicht einmal wirklich in seinen Gedanken ihn beruhigen. Verdamm! Wieso konnte ich ihn eigentlich nicht hören? Das würde vieles einfacher machen.

Kurz nachdem Gwynna, Desa, Luana und ich uns an einem Tisch niedergesetzt hatten, kamen auch Lailea und Lyrana zu uns und ließen sich dort nieder. Lailea sah überhaupt nicht gut aus. Ihr Gesicht war bleich und sie Lippen bebten, als wöllte sie gleich wieder in Tränen ausbrechen. Lyrana, ihre Schwester sah auch nicht besonders gut aus. Ihre Augen waren unstetig und flogen im Saal umher, als wollte sie allen und jeden im Blick behalten. Ihre rechte Hand blieb dabei immer auf dem Griff des Schwertes liegen.

Ich wurde aus ihr nicht schlau. Gut, als ältere Schwester hält sie es bestimmt für ihre Pflicht sich um ihre kleinere Schwester zu kümmern, doch dies kam mir gerade richtig übertrieben vor. Es schien so, als würde sie einen Angriff auf Lailea erwarten.

Kopfschüttelnd wandte ich mich meinem Essen zu, als ich merkte, dass fast alle Wächterinnen, die hier im Raum waren, immer wieder einen Blick zu Lailea und Lyrana warfen. So, als wollten sie sich vergewissern, dass es den beiden gut ging.

Dass wurde ja immer seltsamer! Wer waren diese beiden?

Wenn ich an die letzten Tage zurückdenke, dann benahmen sich die meisten Schüler vorsichtig in der Nähe von Lailea und auch die eine Lehrerin von der Fliegenstunde. Was war ihre Antwort darauf gewesen, als Lailea meinte, sie wollte bei mir warten? Selbstverständlich. Wenn es euer Wunsch ist. Würde eine Lehrerin so auf eine Frage von einer Schülerin reagieren? Auch hatte ich das Gefühl, dass sich Lailea immer entspannte, wenn ich mich mit ihr unterhielt. Warum?

Fragen über Fragen, doch die wichtigste war immer noch, wer und weshalb jemand diese Schüler tötete. Und um diese Frage beantworten zu können, musste ich unbedingt das Symbol entziffern.

Normalerweise war ich nicht detektivisch veranlagt, aber nun war ich neugierig. Wahrscheinlich müsste ich eher ängstlich sein, doch dies war nicht der Fall. Ganz im Gegenteil. Ich war wütend. Wütend darüber, dass meine Freunde Angst hatten und darüber, dass mich diese Lehrerin angelogen hatte, als ihr eine Frage gestellt hatte. Warum hatte die Lehrerin gelogen? Wusste man, wer diese Schüler ermordete?

Kurz bevor das Essen zu Ende war, erschien die Direktorin und verkündete, dass eine Stunde nach Abendessen alle Schüler ab sofort in ihre Zimmer sein mussten. Für diejenigen, die noch »Grundlagen des Fliegens« hatten, war eine Eskorte aus Wächter zusammengestellt, die die Schüler von ihren Zimmern abholten und zum Gelände führten, genauso auf dem Rückweg.

Ich stöhnte. Eine Ausgangssperre? Wie sollte ich dann in der Bibliothek etwas über das Symbol herausfinden, wenn ich nach dem Unterricht nicht zu den Büchern gelangen konnte. Die Zeit zwischen Unterricht und Abendbrot war ein Witz und die Stunde danach auch … einen großen Teil brauchte ich, in die Bibliothek zu gelangen und dann wieder zurück.

Im eigenen Zimmer angekommen, beschloss ich einfach auf das ganze zu gehen und jemanden anderes zu fragen. Lehrer kamen natürlich nicht in Frage, denn etwas in mir sagte, dass diese mir auch ausweichen oder mich anlügen würden. Wer konnte also genug etwas über die Symbole der Alten Sprache wissen, um mir eventuell helfen zu können?

Ich warf einen Blick zu Gwynna. Sie war nicht dumm und würde mir bestimmt helfen können.

Ich war gerade dabei, sie anzusprechen, als es an unserer Tür klopfte und Lailea hineinkam. Dicht gefolgt von ihrem neuen Schatten: Lyrana.

Sofort wurden Desa, Luana und auch Gwynna etwas angespannter. Wahrscheinlich hätte ich es nicht gemerkt, wenn ich nicht darauf geachtet hätte. Wieder die Frage: Wer waren diese beiden Geschwister?

Lyrana stellte sich vor der Tür und starrte das Fenster an. Ihr ganzer Körper war angespannt und ihr Gesicht ernst. So als würde sie wirklich jeden Moment mit einem Angriff rechnen.

Ich stand neben meinem Bett, den Zettel mit de Symbol in der Hand und sah sie an. Lyrana war im dritten Halbjahr, also schon ein ganzes Jahr hier in Dracheim. War sie gut im Unterricht? Wusste sie vielleicht mehr über alte Symbole als die Elbin.

Plötzlich richtete sich Mist auf meiner Schulter auf und fiepte. Es klang auffordernd. Ich machte einen Entschluss und trat auf Lyrana zu. Bisher hatte ich kein Wort gewechselt, außer das eine Mal als ich sie kennen gelernt hatte. Ich hielt ihr den Zettel hin und sie sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Sag mal, weist du, was das Symbol bedeutet?«

Ich ignorierte Desa und Luanas geschockte Blickte und wartete auf eine Antwort. Lyrana sah mich an, als würde sie mich zum ersten Mal sehen, ehe ihr Blick zu dem Zettel ging. Neben ihr stand auf einmal Lailea, die einen Blick auf das Symbol warf.

»Ist von der alten Sprache, oder?« Lailea nahm mir den Zettel aus der Hand und studierte das Zeichen lange. »Es sieht seltsam aus, oder? Lyrana?«

Ihre ältere Schwester wandte den Blick von mir ab und sah zu dem Symbol. Sie kniff die Augen zusammen, ehe sie nickte. »Ja. Ich kenne nicht so ein Symbol.« Meine Hoffnung wurde zunichte gemacht, doch Lyrana nahm nun das Papier in die Hände und drehte es in verschiedene Richtungen. »Auf dem ersten Blick könnte man es für das uralte Zeichen von Feuer halten, doch da sind Verbindungen und Striche, die dagegen sprechen. Wenn man jedoch einiges wegnehmen würde, könnte auch das Zeichen für kalt oder Eis bedeuten.« Sie gab den Zettel ihrer Schwester zurück. »Es sieht so als, als wären diese beiden Zeichen miteinander gemischt: Feuer und Eis oder kalt.«

Lailea nickte. Sie schien ihrer Schwester zuzustimmen. Dann sah sie mich an. »Woher hast du das?«

Ich überlegte schnell. Irgendwie schien ich nicht zu glauben, dass ich die Wahrheit sagen sollte, weshalb ich auf die Lüge zurückgriff, die ich auf bei der Lehrerin verwendet hatte. »In so ein Buch in der Bibliothek. Ich wollte mehr über diese Alte Sprach herausfinden … ist ziemlich verwirrend … und da bin ich das Zeichen gestoßen. Habe nirgendwo etwas Ähnliches gefunden.«

Diese Antwort schien auch ihnen zu genügend. Laileas Blick wurde sogar etwas mitfühlend. Wahrscheinlich dachte sie daran, dass es mir immer noch schwer fallen würde, hier zu sein. Zu meiner Überraschung muss ich zugeben, dass ich immer weniger an Zuhause dachte. Lag wohl daran, dass ich viele Gedanken auf die Symbole verwendet hatte. Da bin ich einfach nicht darauf gekommen, dass ich eigentlich nicht hierher gehörte. Nun hatte ich alle Symbole übersetzt und dennoch half es mir nicht weiter:

Dies war die erste Warnung. Gib das Feuer/ Eis/ kalt dem Meister/ Besitzer zurück.

Was bedeutete dies wirklich alles?

Ein Gefühl sagte mir, dass ich die Antwort in naher Zukunft wissen wurde und dass diese mir nicht gefallen würde. Etwas Großes war dabei sich zu entwickeln und irgendwie war ich mitten drin verwickelt. In einer anderen Welt, wo es Drachen und grauenhafte Mörder gab. Wo ein Symbol existierte, dessen wahre Bedeutung wohl niemand wissen sollte.

Ich fragte mich, was Chris wohl in dieser Situation machen würde?

Nun, ich wusste, was ich machen würde. Ich würde Antworten finden.

10. Kapitel

Mit finsterem Blick starrte ich auf die große freie Fläche, die sich vor dem Schloss befand und beobachtete wie sie sich nach und nach füllte. Immer mehr Drachen kamen in den letzten Tagen an und dies machte auch mir bewusst, dass die Situation immer angespannter wurde. Ich schloss die Augen, wandte mich ab und ging langsam auf meinem Zimmer, wohl darauf gedacht, keinem Wächter zu begegnen. Diese zu sehen, erinnerten auch einen immer mehr daran, wie schlimm die Situation ist.

Seit den vier Toten sind drei Wochen vergangen und in diesen drei Wochen sind insgesamt mehr als neun Personen gestorben. Fünf waren Schüler, drei waren Wächter und eine war ein Lehrer gewesen. Mit dem vier vorherigen machte es dreizehn! Ein Gedanke, der einem mit sehr großer Angst erfüllte.

Jeder war schreckhaft und auch wenn der Unterricht weiterging, so konnte man nicht von einem normalen Tag reden. Im jeden Gang standen mindestens vier Wächter und nach dem Abendbrot durfte niemand mehr das Schloss verlassen. Flugstunden wurden auf den Nachmittag des Quartag und Octag gelegt, welche normalerweise frei gewesen wären. Da ich mich weiterhin weigerte auch nur einen Fuß in der Nähe der richtigen Drachen zu setzen oder auf einem zu klettern, ging ich zwar zum Rand der Übungslichtung, doch nicht weiter hinein. Ein paar Mal hatte Seithà Naliane mit mir geredet, doch ich weigerte mich auch nur etwas auszuprobieren. Sie meinte zwar, dass ihr Gefährte Flay ein ganz sanfter war, doch dies half mir auch nicht weiter. Ich hatte Höhenangst und auch wenn ich es noch nicht so deutlich den anderen gesagt hatte, so wusste ich, dass ich nie auf einem Drachen reiten würde. Bisher wusste es noch keiner, doch lange werde ich es wohl nicht verheimlichen können.

Die meisten Schüler versuchten den Unterricht zu folgen. Dies war nicht einfach. In jedem Klassenzimmer gab es ebenfalls eine Wächterin und auch auf der Toilette. Im Grunde genommen konnte niemand irgendwohin ohne auf einen Drachenwächter zu treffen. Dass die Anzahl der Wächter sich erhöht hatte, war beruhigend zu wissen, doch es half nicht. Gestern war die dreizehnte Tote aufgefunden worden. Eine Schülerin, die schon im fünften Halbjahr gewesen war. Einige hatten gemeint, dass sie sehr gut in der Magie gewesen war, weshalb ihr Tod noch schockierender gewesen war.

Ich verstand das Ganze nicht. Wieso schickte man die Schüler nicht nach Hause? Warum wurde der Unterricht aufrechterhalten, obwohl immer mehr Tote auftauchten? Das war nicht richtig! Es konnte quasi jeden treffen. Abends wenn ich einschlafe habe ich Angst, dass am nächsten Morgen Desa, Luana, Gwynna oder Lailea tot sein könnten. Auch um die Wächterin Pandeia machte ich mir sorgen, doch diese meinte dann lächelnd, dass sie auf sich aufpassen könnte. Doch ihre Worte beruhigten mich nicht. Es waren schon drei andere Wächter gestorben!

Gestern hatte ich Lailea gefragt, warum die Schule noch offen war und wir zum Unterricht gehen mussten.

»So einfach ist das nicht, Rose«, meinte sie darauf und warf einen Blick zu einem Wächter, der in der Nähe stand. »Dracheim ist die Schule der Drachenreiter! Wenn sie geschlossen wird, dann wird Panik ausbrechen. Außerdem ist dieser Ort hier der sicherste.«

»Sicherste?« Ich hatte daraufhin Lailea mit aufgerissenen Augen angestarrt. »Was soll hier sicher sein? Heute Morgen ist wieder jemand tot aufgefunden worden.«

Lailea sah mich traurig an und nickte. »Ja … aber was wenige wissen ist, dass im ganzen Land immer mehr Orte angegriffen werden. Überall wo sich Drachenreiter aufhalten. Wenn die Schule also geschlossen wird und die Schüler nach Hause gehen, dann wird es dort niemanden geben, der sie beschützt. Sie wären den Angreifern schutzlos ausgeliefert. Hier haben wir wenigsten eine kleine Chance. Deswegen werden morgen noch mehr Drachenwächter kommen. Es wird eine Abteilung der Hüter erscheinen … die beste Elite der Drachenreiter. Ab morgen, Rose, wird alles besser werden.«

Lailea schien diese Worte fest zu glauben. Ich jedoch war weiterhin skeptisch.

»Wenn überall in euren Land Übergriffe gibt, dann schickt die Schüler doch woanders hin!« Ich wurde wütend. »Schick sie doch in meine Welt. Verdamm, Lailea. Wenn ich Zuhause wäre, dann wäre ich in Sicherheit. Dann müsste ich keine Angst haben, dass mich jemand ermorden würde.«

Da! Jetzt war es heraus! Ich sah, wie Lailea erschrocken zurück wich und mich anstarrte. Sie war bleich bei meinen Worten geworden, doch ich würde mich jetzt bestimmt nicht entschuldigen. Dafür, dass ich die Wahrheit sagte.

Heute, einen Tag später, bereute ich es, dass ich Lailea angefahren bin. Sie war ja auch nur eine Schülerin und konnte nichts dafür. Dennoch blieb ich bei meinen Worten. Wenn ich in meiner Welt wäre, dann wäre ich auch sicher. Und ich wäre bei meiner Mom und Anni.

Vor der Tür zu meinem Zimmer blieb ich stehen. Ich bin nun seit fast sechs Wochen hier. Sechs Wochen in dieser Zeit, was umgerechnet vierundfünfzig, 54, Tage bedeuten würde. Ein Seufzen entfuhr mir. Es war kaum zu glauben und es gab Tage, wo ich hoffte, dass alles ein Traum wäre und ich einfach aufwachen würde. Doch so wie jeder Tag verschwand, so wurde mir bewusst, dass es sich um keinen Traum handelte. Dies war die Wirklichkeit und ich musste mich dieser stellen.

Neben den Toten machten  mir meine Träume zu schaffen. Immer wieder träumte ich von der seltsamen Gestalt und mehr als einmal war ich mir sicher, dass ich auch von einen der Morde geträumt hatte. Doch dies war nicht alles. In den letzten Tage taucht eine Stimmte auf. Eine weibliche Stimme, die um Hilfe rief.

Mit einem Kopfschütteln vertrieb ich die Traumerinnerungen und betrat das Zimmer. Wie erwartet war Gwynna drin und schien an einem Aufsatz zu schreiben. Ich wusste nicht welchen, denn in der letzten Woche haben wie vier aufbekommen. Einen für Geschichte, für Tränke, für Grundlagen des magischen Formens und gestern haben wir in Erziehung und Haltung eines Drachens ebenfalls die Aufgabe bekommen, einen zu verfassen. Bisher habe ich zur Hälfte etwas für Tränke geschrieben und ich war mir ziemlich sicher, dass ich für Sheedas`s magischen Aufsatz bestimmt nichts schreiben würde. Ich konnte diesen Mann einfach nicht leiden und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er mich auch nicht mochte. Musste wohl auf Gegenseitigkeit beruhen.

Im Allgemeinen ging es im Unterricht sowieso schlecht. Ich ging in letzter Zeit mit Kopfschmerzen ins Bett, hatte die seltsamen Träume und wachte dann müde auf. Die Folge war, dass ich kaum während einer Stunde etwas Wichtiges aufnahm und nur sporadische Notizen machte. Ich hing immer mehr den Stoff nach und auch mit Gwynnas oder Laileas Hilfe gelang es mir nicht, alles aufzuholen. Natürlich spielte da meine eigene Unlust eine große Rolle. Ich verstand nicht, warum ich was lernen sollte, wenn mich jederzeit jemand angreifen könnte. Dies bedeutete, dass ich in den Tests, die wir bisher hatten, ziemlich schlechte Noten hatte und es dann hieß, dass ich mich mehr anstrengen müsste. Ein Lied, das ich von der Hauffern sehr gut kannte.

Die Hauffern! Ich seufzte und schloss die Tür zum Zimmer. Mittlerweile musste in meiner Welt wieder die Schule begonnen haben. Was wohl Frau Hauffer, meine ehemalige Englischlehrerin zu meinen Verschwinden gesagt hatte? Und Chris? Ob Christine sich Sorgen machte, oder mich schon vergessen hatte? Und dann noch meine eigene Familie! Ma und Anni. Wie es ihnen ging? Ob sie mich noch suchten? Ob sie mich überhaupt gesucht hatten?

Ohne es zu wollen, traten Tränen in meine Augen. Nächste Woche würde am Quartag so etwas wie Besuchertag sein und dann würden die Eltern der Schüler kommen. Desa und Luana freuten sich schon riesig darauf. Auch Lailea und Lyrana, obwohl sie meinten, dass sie sich nicht sicher waren, ob ihre Eltern kommen würden. Jeder Schüler freute sich auf diesen Tag. Jeder, außer ich.

Ich freute mich nicht, denn ich wusste, dass meine Mom mich nicht besuchen kommen würde. Sie wüsste es nicht einmal, wo ich mich befand.

Plötzlich wurde ich wütend. Sogar so groß, dass ich abrupt die Tür wieder aufriss und auf den Gang trat. Das war einfach nicht fair! Ich wollte nach Hause … ich wollte, dass meine Familie wusste, dass es mir gut ging. Ich wollte einfach beide ganz fest umarmen und nicht mehr loslassen.

Mit schnellen Schritten suchte ich den Weg zum Büro der Direktorin. Da ich vor zwei Wochen einmal zu ihr kommen musste, wusste ich genau, wohin ich gehen musste. Ich wollte sie zur Rede stellen und klar machen, dass ich zu meiner Familie wollte. Was sollte ich auch hier? Warten, bis der Mörder vielleicht mich erwischen würde?

Als ich das Büro der Direktorin erreichte, wurde ich langsamer. In diesem Gang befanden sich keine Wächter und dies stimmte mich misstrauisch. Warum waren alle Gänge so gut bewacht und dieser nicht. Dann hörte ich Stimmen. Diese kamen vom besagten Büro. Wahrscheinlich waren die Wächter nicht im Gang, sondern im Zimmer und unterhielten sich. Schön zu wissen, wie die Sicherheit hier groß geschrieben wurde!

Ich atmete tief ein, trat zur Tür und riss sie ohne zu Klopfen auf!

Was vielleicht keine gute Idee gewesen war, denn sofort wirbelte eine Frau mit blank gezogenem Schwert herum und hielt es an meiner Kehle. Hinter ihr konnte ich Maighdlin, die Direktorin, von ihrem Schreibtisch aufstehen sehen. Sie sah nicht erfreut aus.

»Rose Shallan!«

Irgendwie tat es gut zu hören, wie jemand diesen Namen wütend sagte, ohne meinen vollständigen Namen zu nutzen. Etwas völlig ungewohntes.

»Was soll das? Du kannst nicht einfach in ein Zimmer so platzen. Ich weiß ja nicht, wie dass bei euch gehand…«

»Ich will nach Hause«, unterbrach ich sie und ignorierte das Schwert, das immer noch auf mich zielte. Ich war wütend. »Ich will nach Hause und zwar sofort! Es ist mir egal, ob Weltenreisen kompliziert sind oder gefährlicher. Diese sind bestimmt sicherer, als hier zu bleiben, wo einer nach dem anderen umgebracht wird. Ich weiß ja nicht, wie es hier ist, aber wenn bei uns jemand an der Schule getötet wird, dann wird die Schule geschlossen und die Schüler bleiben zu Hause. Und da will ich hin. Ich will nach Hause!«

Wieder einmal tat es gut, mir alles von der Seele zu reden. Nachdem ich fertig war, sah ich Maighdlin herausfordernd an. Ich würde nicht gehen, bis sie mir eine anständige Antwort gegeben hat. Und zwar diese, dass sie mich nach Hause bringen würden.

Maighdlin selber starrte mich an. Ihr Gesicht war ungläubig verzogen. Ich wusste nicht, ob es daran lag, dass ich sie unterbrochen, oder angeschrien oder bei etwas wichtigem gestört hatte. Mir war es auch egal.

Die Frau mit dem Schwert, ließ es langsam sinken und betrachtete mich dabei genau. Dann warf sie einen Blick zu Maighdlin. »Ich nehme an, dass dies die Schülerin von Uthar`kein kommt?«

Maighdlin nickte. Sie sah plötzlich müde aus. »Das ist korrekt, Valàna Shandria.«

Die Frau sah mich wieder an und ich spannte mich ungewollt an. Ich wusste nicht wieso, aber irgendwie war mir die Frau nicht geheuer. Sie sah aus, als hätte sie schon viele Schlachten geschlagen und würde nicht zögern, jemanden sofort zu töten.

»Ja«, sagte ich und erwiderte den Blick dieser Frau. »Ich komme aus Uthar`kein und will da sofort hin. Dort ist es wesentlich sicherer, als hier.«

Shandria, wenn dies ihr Name war, blickte mich weiterhin an. Sie schien irgendwie nachzudenken und dies gefiel mir nicht. Was nicht verwunderlich war. Mir fiel in letzter Zeit gar nichts. Ich sah wieder die Direktorin an.

»Haben sie gehört? Ich will nach Hause. Ich finde es nicht recht, wenn nächste Woche die Schüler ihre Eltern treffen können und ich nicht! Ich will heim! Zu meiner Ma … und zu meiner Schwester!«

Aus dem müden Blick der Direktorin wurde ein trauriger. Sie schüttelte den Kopf. »Das ist nicht möglich und viel zu gefährlich. Es …«

»Gefährlich!?« Wieder unterbrach ich sie. »Gefährlicher als dass hier ein Mörder rumläuft? Das können sie nicht ernst meinen. Verdammt! Sie können mich hier nicht festhalten!«

Als ich Mörder sagte, zuckte Maighdlin zusammen und sah wieder müde aus. Für einen winzigen Augenblick hatte ich Mitleid. Es durfte für sie nicht leicht sein, sich um die Schule zu kümmern, wenn ein Mörder frei rumlief. Nun trat ich auf den Plan und stellte Forderungen. Doch mein Mitleid verschwand so schnell wie es gekommen war.

»Rose? Dein Name war doch Rose, oder«, sagte plötzlich die Frau mit den Schwert. Ich nickte und sie fuhr fort. »Du kannst jetzt nicht nach Uthar`kein reisen, denn alle Zwischenweltreisen wurden untersagt. Dazu wurde eine magische Barriere errichtet, damit die Personen, die für die Morde im ganzen Lande verantwortlich sind, nicht einfach fliehen können. Zum anderen, ist es nicht sicher, dass du in deiner Welt in Sicherheit bist. Diejenigen, die morden, können auch hinter dir her sein und in deine Welt folgen. Dort wäre niemand, der dich beschützen könnte. Hier bist du am sichersten. Dass, kann ich dir versprechen.«

Je mehr ich hörte, desto deutlicher wurde mir meine Situation wieder vor den Augen geführt. Ich war in einer anderen Welt und konnte nicht so einfach in meine zurückkehren. Dazu kam, dass nun durch Magie diese Reisen blockiert waren? Eine Eiseskälte trat in mir und ich schluckte hart. Dies war nicht fair! Ich spürte, wie Mist sich an meiner Schulter bewegte und wieder einmal seinen Kopf gegen meinen rieb. Mir war klar, dass er mich beruhigen wollte. Dass er mir zeigen wollte, dass ich nicht alleine war.

»Ich will aber nach Hause«, murmelte ich leise. Wieder musste ich gegen die Tränen kämpfen. Maighdlin sah mich traurig an.

»Es tut mir sehr Leid, aber dies wird nicht möglich sein. Nicht solange die Mörder hier noch sind. Sobald diese erfasst sind, können wir darüber reden, aber nicht jetzt.«

Ich nickte, drehte mich um und verließ das Büro. Sobald die Mörder gefasst sind, dass ich nicht lache. Seit vier Wochen versuchte man schon, die Mörder zu finden und …

Moment mal!

Hatte die Frau Mörder gesagt? Also Mehrzahl? Gab es nicht nur eine Person, die hier die Leute tötete, sondern mehrere? Sie sah nochmal kurz zum Büro, doch ging dann weiter. Wenn man wusste, dass es mehrere waren, dann wusste man bestimmt auch, wer dahinter steckte! Automatisch musste ich an die Warnung denken. Bei jedem Toten tauchte sie auf. Die Aufforderung dieses Eisfeuer den Meister zu geben. In den letzten Wochen hatte ich nicht viel Freizeit, doch wenn ich welche hatte, dann war ich in der Bibliothek und suchte Informationen über Feuer und Eis. Es musste etwas bedeuten und dabei auch wichtig sein. So wichtig, dass der Mörder (oder die Mörder) es haben wollen und die Lehrer nicht gewillt waren, darüber zu reden.

Vor drei Tagen hatte ich den Begriff Kaltes Feuer gefunden, doch mehr auch nicht. Ich vermutete, dass mit dem seltsamen Symbol das Kalte Feuer gemeint ist, doch kann es nicht nachweisen. Es ist so ein Gefühl von mir und auch Mist schien dies wichtig zu finden. Er war ganz aufgeregt, als ich diese beiden Wörter laut vorgelesen hatte. Doch selbst wenn die wahre Übersetzung des Symboles Kalte Feuer ist, half es mir nicht wirklich weiter. Was war das Kalte Feuer? In dem Text, wo es erwähnt worden war, kam noch der Begriff Kalena und dass es etwas mit Macht zu tun hatte. Was oder wer Kalena war, wusste ich auch nicht. Es war furchtbar! Ich hatte Begriffe, mit denen ich nichts anfangen konnte. Bekam immer wieder heftiges Heimweh, konnte aber nicht nach Hause. Wurde im Unterricht immer mehr mit Informationen vollbeladen, ohne dass ich richtiges etwas aufnahm. Und irgendwo lauerten ein oder mehrere Mörder, die mich umbringen könnten. Ach ja, dann gab es noch die seltsamen Träume und diese Stimme, die in diesen vorkam.

Es würde mich nicht wundern, wenn ich in den nächsten Tagen wirklich verrückt werden würde.

Mist fiepte leise und seine kleinen Krallen krallten sich fester in meine Schulter. So, als wollte er mir sagen, dass er mich schon in der Wirklichkeit halten würde. Sehr beruhigend zu wissen!

 

Als ich wieder in meinen Zimmer war, erkannte ich, dass Gwynna immer noch dabei war, irgendeinen der vielen Aufsätze fertig zu schreiben. Für einen Moment war ich versucht, wieder zu gehen und die anderen beiden Mitbewohner zu suchen. Desa und Luana würden bestimmt wieder auf den freien Trainingsplatz sein und miteinander den Waffenlosen Kampf üben. Dies taten sie in jeder freien Minute und je mehr Tote auftauchten, desto mehr waren sie darauf versessen. Sie wollten sich verteidigen können, doch ich sah dies als Zeitvergeudung. Wenn die Mörder in der Lage waren Lehrerinnen und auch Wächter zu töten, dann würden Erstklässer ihnen nichts entgegen zusetzen haben.

Seufzend setzte ich mich auf mein Bett und zog ein Geschichtsbuch hervor. Geschichte fand ich hier genauso langweilig, wie bei mir daheim, doch es war immerhin besser, als einen magischen Aufsatz für Seith Sheedas zu schreiben!

Bisher habe ich noch nicht in dem Geschichtsbuch gelesen, denn so große Hausaufgaben haben wir dort noch nicht bekommen. Zwar mussten wir mal eine Frage beantworten, doch da habe ich einfach Gwynna in ein harmloses Gespräch verwickelt und dann nach und nach die Antwort herausbekommen. Ich glaube, dass sie dies bis heute nicht herausgefunden hat. Leider war es mit einem Aussatz nicht so einfach.

Thema des Aufsatzes war, dass wir über eine Schlacht schreiben sollten und dabei war es uns überlasen, über welchem. Da ich über keinem eine Ahnung hatte, war es bei mir sowas wie Qual der Wahl. Ich blätterte durch das Buch, sah mir irgendwelche Skizzen an und las die Überschriften: Die Schlacht von Sarz (1138 des Ersten Alters), Grashosts Belagerung (376 des Zweiten Alters), Die große Schlacht von Re Handren (2994 des Ersten Alters) und so weiter. Weder die Namen der Orte, noch die Schlachten selber sagten mir etwas. Vielleicht sollte ich einfach die Augen schließen, blind blättern und mit dem Finger irgendwohin zeigen.

Plötzlich wurde Mist unruhig und sprang auf das geöffnete Buch in meinen Schoß. Er drehte seinen Kopf zu mir und fiepte leise.

»Was ist, Mist«, fragte ich ihn und hob eine Augenbraue. »Soll es etwa diese Schlacht sein?«

Ich schob die kleine Echse etwas beiseite und las die Überschrift: Die Schlacht um Andrakath (532 des Zweiten Alters).

Ich runzelte die Stirn, während ich das Datum ansah. 532 des Zweiten Alters war nicht allzu lange her. Genau genommen hatte diese Schlacht vor knapp fünfundzwanzig Jahre stattgefunden und zwar ging es dabei um die Hauptstadt von Urharien, dem Land, wo sich Dracheim befindet.

Nickend schob ich Mist vom Buch. Warum nicht über eine Schlacht schreiben, die noch nicht allzu lange her war. Der Kleine würde schon einen Grund haben, warum ausgerechnet diese. Ich begann zu lesen.

 

Im Jahre 532 des Zweiten Alters, am Ende des Großen Schwarzflammen-Krieg, schaffte es Zanthrok immer mehr des Landes  mit Krieg zu überziehen und die Entscheidungsschlacht direkt vor den Toren von Andrakath zu bringen. Da dies schon von den Drachenhüter und der Garde hervor gesehen wurde, ordnete Nriandra, die Herrschende an, dass alle Bewohner der Stadt in Sicherheit gebracht werden sollten. Dabei wurde auch darauf geachtet, dass Leandra Draconi, die Erbin der Drachenkönige ebenfalls in Sicherheit gebracht wurde. Es war wichtig, dass mindestens eine der Draconi überleben würde um die Thronfolge zu gewährleisten.

 

Stirnrunzelnd hielt ich inne und starrte auf die Buchseite. Es wurde mir eiskalt und meine Hände begannen wieder langsam zu zittern.

Wieder Draconi!

Konnte es sich um einen Zufall handeln? Ich dachte an Lailea und Lyrana. Daran, wie alle Lehrer und Wächter sich um die beiden aufführten und sie nicht aus den Augen ließen.

… Draconi, die Erbin der Drachenkönige … Thronfolge …

Was hatte das zu bedeuten? Hieß dies, dass es sich bei den beiden um Mitglieder der königlichen Familie handelte? War eine von den beiden ebenfalls die Thronerbin, so wie diese Leandra, von dem der Text sprach?

Wenn ich genau darüber nachdachte, dann konnte es nur Lailea sein, denn diese wurde selbst von Lyrana nicht aus den Augen gelassen. So, als müsste sie um jeden Preis geschützt werden.

Eine Freundin von mir war die nächste Herrscherin dieses Landes?

»Mist, was soll dies«, fragte ich leise und sah ihn Vorwurfsvoll an. Dieser saß auf dem Bett neben dem offenen Buch und sah mich mit schrägem Kopf an. Ein leises Fiepen war seine Antwort.

Ich ließ mich mit dem Rücken auf das Bett längs fallen und schloss die Augen. Mit einem Mal war ich mehr als froh, dass ich nicht meinen kompletten Namen gesagt hatte. Was wäre für eine Aufregung entstanden, wenn sie den Nachnamen meiner Mutter wüssten.

Ich riss die Augen auf.

Meine Mutter. Wieso hieß sie ebenfalls Draconi? War dass ein Zufall? Ich rollte mich zur Seite und sah Mist genau an.

»Was soll dies alles«, fragte ich Mist noch einmal, doch dieser regte sich nicht. Stattdessen sah er mich schweigend an.

Ich nahm das Buch in die Hand und las weiter.

 

Die erste Hüterin, welche in dieser Schlacht schon Isandria Draconi war, stellte sich zusammen mit ihrem Gefährten Stanbribosh, einem weißen Drachen dem Feind entgegen. Ihr zur Seite stand Shandria Hallarn, die zweite Hüterin der Drachengarde und langjährige Mitstreiterin von Isandria. Gemeinsam führten sie die Drachenhüter in die große Schlacht um Andrakath. Auch Nyandra, die Herrschende …

 

Abermals hielt ich bei dem lesen inne. Der Name Shandria sagte mir etwas und ich fragte mich, ob es sich dabei um die Frau handeln könnte, die vorhin im Büro der Direktorin getroffen hatte. War dies möglich, oder nur ein Zufall, dass beide gleich hießen. Dann wandte mein Blick sich zu den Namen Nriandra und die Kälte in mir wurde größer.

Nyandra.

Ich sprang aus dem Bett und holte aus der Gürteltasche meine Brieftasche hervor. Bisher hatte ich sie nie verwendet, wenn hier gab es nichts, wo ich Geld ausgeben könnte. Ich zog mein Personalausweis hervor und starrte auf dem Namen, der darauf stand:

Rosette N. Draconi-Shallan.

Dabei blieb bei Blick auf das N gerichtet. Dass N, wo ich vor einigen Jahren meine Mutter gefragt hatte, wofür es stand.

 

Lange sah mich Ma an und ich hatte das Gefühl, dass ich etwas Falsches gesagt hatte. In meinen Händen hielt ich meinen ersten Perso und darauf war ich stolz! Endlich kein Kinderausweis, sondern einen richtigen Personalausweis. Ich hatte ihn erst heute Nachmittag nach der Schule abgeholt und dabei festgestellt, dass wieder einmal dieses N nach meinen Vornamen stand. Das N, das mich schon immer neugierig gemacht hatte. Nun, gerade habe ich Ma gefragt und nun sah sie mich so an. So seltsam, als würde sie diese Frage nicht beantworten wollen.

»Ma?«

Ich sprach sie zögernd an und erkannte, dass sie leicht zusammenzuckte. Seltsamerweise ging ihr Blick zu unserem dämlichen Chamäleon! Das geschah in letzter Zeit sehr oft und verwirrte mich immer mehr. Manchmal schien es mir so, als würde sie ihn schweigend etwas fragen und auf eine Antwort von ihm warten. Ich verstand Ma einfach nicht. Jeder normale Haushalt besaß ein normales Haustier, aber nein, wir mussten ja unbedingt ein Chamäleon besitzen! Wie ich dieses Tier hasste. Einmal hatte ich Ma gefragt, ob ich eine Schlange haben könnte, doch darauf hieß es nur, dass Stan sich nicht darüber freuen würde. Warum stand er bloß immer an erster Stelle.

»Ma?«

Abermals zuckte sie zusammen und sah dann mich wieder an. Dann Lächelte sie. Es kam so plötzlich, dass ich überrascht einen Schritt zurücktrat.

»Das N, Rose, steht für den Namen deiner Großmutter: Nyandra. Es ist ein sehr wichtiger Name und du solltest ihn in Ehren behalten.«

 

Damals war ich wütend gewesen, als ich endlich herausgefunden hatte, wofür der Buchstabe stand. Ich hatte gehofft, dass es ein normaler Name gewesen wäre und dabei war dann Nriandra herausgekommen.

…steht für den Namen deiner Großmutter …

Mein Blick ging vom Personalausweis zu dem Buch. Wie groß konnte der Zufall sein, dass es sich um die gleiche Person handelte.

Nyandra, die Herrschende …

…deiner Großmutter: Nyandra…

Beide, die den Namen Draconi trugen. Den Nachname meiner Mutter.

Ich ließ mich auf das Bett nieder und musste wieder gegen das Zittern ankämpfen, das in mir größer wurde. Konnte es denn wirklich sein, dass es die gleiche Person war. Sollte meine Großmutter eine Königin gewesen sein? Was würde dies bedeuten?

Ich kniff meine Augen zusammen. Die wohl größere Frage war, wenn meine Mutter wirklich von dieser Welt stammte, wieso war sie dann bitte schön, in der anderen? Warum lebten Ma, Anni und ich nicht hier? Was für einen Grund könnte es geben?

Ich erhob mich wieder und nahm das Buch. Heute würde ich bestimmt keinen Aufsatz mehr schreiben!

Eine Bewegung von Gwynna sagte mir, dass sie sich für die heutige nachmittägige Flugstunde vorbereitete. Eine Stunde, die ich bestimmt nicht aufsuchen würde! Ich verließ das Zimmer vor der jungen Elbin und ging auf geraden Weg in die Bibliothek. Sicher, ich hätte Bescheid sagen sollen, damit man mich nicht vermissen würde, doch ich wollte keine Zeit verlieren. Ich musste es unbedingt wissen!

In der Bibliothek angekommen, winkte ich Curiana zu, ehe ich zu der Abteilung ging, wo die Geschichtsbücher aufbewahrt wurden. Mit schnellen Blicken las ich die Titels und zog dann nach einigen Minuten ein Buch hervor, das mir hilfreich erschien: Urharien und seine Herrscher – Band VI.

Ich nahm extra das letzte Band dieser Reihe, weil wir uns ja in der Gegenwart befanden und es sehr neu aussah. Mit diesem Buch ging ich zu einem Schreibtisch und ließ mich dort nieder.

Vorsichtig blätterte ich auf die erste Seite und konnte dort einen Stammbaum erkennen. Ganz unten standen die beiden Namen von Lailea und Lyrana, was meine Vermutung bestätigte, dass diese beiden der königlichen Familie angehören mussten. Unter ihnen stand etwas kleiner, die Namen Saileen und Azrethrohon. Da ich wusste, dass Saileen, der Name von Laileas Drache war, musste wohl Azrethrohon, der Gefährte von Lyrana sein. Neben den beiden stand der Name Theodren, doch hinter diesen war ein Kreuz. Hatten die beiden einen Bruder, der schon verstorben war?

Mein Blick wanderte auf die Namen, die über die beiden stand Es waren insgesamt fünf: Isandria, Leandria, Jandrix, Siniria und Theodronal. Die beiden Schwestern standen direkt unter Siniria und Theodronal, worauf ich vermutete, dass diese beiden ihre Eltern waren. Hinter Jandrix war ein Kreuz und hinter Leandria eine Krone und ein anderes Symbol, dass mir nichts sagte.

Ich vermutete, dass die Krone für die Königstitel stand und schloss daraus, dass Leandria zurzeit die Herrscherin sein musste.

Hinter Leandria war ebenfalls ein Symbol, das ich nicht deuten konnte. Über ihnen standen wieder andere Namen, darunter Nyandra, die auch eine kleine Krone und ein Kreuz daneben hatte.

…Nyandra, die Herrschende …

Also war Nyandra die Königin vor Leandra gewesen und Leandra damals bei der Schlacht die Thronerbin.

Ich lehnte mich im Stuhl zurück.

…deiner Großmutter: Nyandra…

Was hatte dies alles zu bedeuten? War es wirklich nur ein einfacher Zufall?

Mein Blick ging zu den kleineren Namen unter den großen: Isandria - Stanbribosh, Leandria - Zanthorikl, Jandrix - /, Siniria - Drogan und Theodronal - /. Die Namen der Gefährten und dabei blieb ich bei Stanbribosh hängen.

Stanbribosh.

Meine Gedanken schweiften zu unserem verhassten Haustier. Stan.

War das ebenfalls ein Zufall, dass unser Chamäleon so hieß, wie die erste Silbe des Drachens von Isandria?

Ich schüttelte den Kopf. Das war doch Blödsinn. Wir besaßen ein Chamäleon und keinen Drachen. Ich hatte zwar noch nie gesehen, wie er seine Farben geändert hatte, aber dass war auch nicht nötig. Mutter hatte gesagt, dass es sich hierbei um einen Chamäleon handelte und wieso sollte sie auch uns anlügen.

Ja, wieso? Weil wir in einer Welt lebten, wo es keine Drachen gab. Und wenn wirklich Stanbribosh unser Stan war, dann musste Ma ja Isandria heißen.

Ich schloss die Augen.

Meine Ma hieß Isabell Draconi. Ein Zufall, dass der Vorname ähnlich von Isandria war.

Wenn ja, dann waren dass eine Menge Zufälle. Und wenn nicht, dann war da wieder diese Frage, warum wir in Uthar`kein lebten. Was war da passiert?

Ich blätterte im Buch nach ganz weit hinten und kam zu dem Abschnitt, der als Überschrift Isandria Draconi trug.

 

Isandria Draconi, Erstgeborene von Nriandria, die Herrschende, war es dazu bestimmt, für die Sicherheit der nächsten Thronerbin zu gewährleisten. Aus diesem Grund musste sie schon von Klein an ausgebildet werden und hat auch schon sehr früh einen Gefährten gefunden. Es handelt sich hierbei um Stanbribosh, einer der letzten Weißen Drachen…

 

Danach kamen irgendwelche Informationen über ihre Kindheit und Ausbildung. Wenn es sich wirklich um Ma handelte, würde es mich interessieren, doch jetzt hatte ich nur eine Frage: War es wirklich Ma oder alles nur ein dummer Zufall?

Ich blätterte so weit um, bis ich zu den letzten Abschnitten kam.

 

Kurz bevor die Schlacht von Grekard entbrennen konnte, fällte Isandria Draconi einen folgenschwere Entscheidung. Sie ermordete Graf Sylen und seinen Gefährten Amash. Ihre Schwester Leandria blieb deswegen keine andere Wahl, als Isandria nach Uthar`kein zu verbannen. Später fand man heraus, dass es Graf Sylen gewesen war, der hinter den Umsturzplänen gesteckt hatte und deswegen Isandria ihn beseitigt hatte. Doch zu dem besagten Zeitpunkt, sah es eher danach aus, dass sie einen mächtigen Verbündeten der Draconi ohne Grund ermordet hatte. Als jedoch die Wahrheit ans Licht kam, widerrief Leandria, die Herrschende, das Urteil und ließ verkünden, dass Isandria wieder in Urharien willkommen wäre. Bisher ist sie nicht zurückkommen, weshalb ihr Schicksal unbekannt ist. Einige vermuten, dass sie schon längst tot ist, andere glauben, dass sie zu zornig auf die Herrschende ist und deswegen nicht zurückkommen will…

 

Taub. Ich war innerlich taub und starrte auf diese Worte.

Isandria nach Uthar`kein zu verbannen.

Uthar`kein, die andere Welt. Die Welt, aus der ich kam. Nun glaubte ich nicht mehr an einem Zufall. Isandria war nach Uthar`kein verbannt worden. Isabell klang ähnlich nach Isandria. Der Name Stan von unserem Chamäleon könnte von Stanbribosh stammen. Und zu allen Überfluss noch der Nachname meiner Ma: Draconi.

Nein, es konnte kein Zufall sein.

Meine Mutter wurde von ihrer eigenen Schwester nach Uthar`kein verbannt, obwohl sie diese gerettet hatte. Wusste Ma, dass die Verbannung aufgehoben war? Oder hatte sie keine Ahnung davon.  Ich schloss das Buch und atmete tief durch. Was sollte ich tun? Sollte ich den anderen sagen, wer ich war?

Ich schüttelte den Kopf und Wut kam in mir auf. Meine Ma wurde von ihrer Schwester unschuldig verbannt! Warum sollte ich da sagen, wer ich war? Plötzlich hörte ich viele Stimmen und kurz darauf sah ich, wie Pandeia um die Ecke kam. Sie sah mich zuerst mit weit aufgerissen Augen an, ehe Wut in diese trat.

Toll. Hatte ich nun etwas getan, was verboten war?

»Rose! Jeder sucht dich schon«, rief sie mir zu und ergriff mich am Arm. »Verdamm! Du weist, dass jeder angeben muss, wohin er geht und als du nicht auf dem Flugplatz warst, da haben sich die anderen Sorgen gemacht.«

Ich sah die Kriegerin an, ehe ihre Worte zu mir durchkamen. Sorgen gemacht? Ich fragte mich, ob sich auch Lailea Sorgen gemacht hatte. Wie würde sie reagieren, wenn sie erfuhr, dass wir verwandt waren.

Oh mein Gott! Dies hieß ja, dass ich eine Cousine hatte. Ich hatte noch nie eine gehabt, geschweige denn zwei. Früher hatte ich mir welche gewünscht, doch da Vater keine Geschwister gehabt hatte und ich immer gedacht hatte, Ma auch nicht, war der Wunsch irgendwann verschwunden.

Wieder kam die Frage in mir auf. Wusste Ma, dass die Verbannung aufgehoben war? Wenn nicht, wie würde sie wohl darauf reagieren?

Mit einem Mal wurde wieder mein Heimweh stärker. Ich wollte nach Hause und sei es nur, um Ma zur Rede stellen zu können.

Pandeia führte mich in mein Zimmer zurück und ich musste hoch und heilig versprechen, dass ich nie wieder ohne jemanden zu sagen, verschwinden würde. Als ich im Zimmer eintrat, sah ich Gwynna, Desa und Luana. Alle sahen mich erleichtert an und Gwynna umarmte mich sogar. Tränen lagen auf ihrem Gesicht. Mein Blick jedoch ging zu jemand viertes, der auch in diesen Raum war. Es war Lailea Draconi, die wohl mit wichtigste Person hier in Dracheim. Die Thronerbin von Urharien. Und dazu meine Cousine.

Wie war es bloß möglich gewesen, dass mein Leben sich so schnell und rapide verändern würde?

11. Kapitel

Zeit zu finden, um alleine über alles nachzudenken, war nicht besonders einfach. Dies merkte ich, als ich versuchte, Zeit zu finden, um ungestört zu sein. Zum einem gab die Drachenhüter. Diese waren wesentlich achtsamer als die Wächter, die Dracheim hatte und ihnen entging auch rein gar nichts. Im jeden Gang waren nun neben den zwei Wächtern auch noch zwei Hüter anwesend und wenn wir zu einem Unterricht gehen wollten, mussten wir uns im Gang unseres Zimmers warten, ehe zwei weitere Hüter kamen und uns dann zu den Unterrichtsräumen eskortierten. Wenn jemand auf die Toilette musste, dann ging immer jemand mit. Das war … lästig. Anders war es nicht zu beschreiben. Gut, dafür hat es seit sieben Tagen keine Tote mehr gegeben, doch so langsam vermisste ich meine Privatsphäre. Ich füllte mich immer und überall beobachtet.

Zum anderen gab es noch die Entdeckung was meine wahrscheinliche Verwandtschaft anging. Immer wieder überlegte ich, ob ich Lailea was sagen sollte, doch dann entschied ich mich doch noch dagegen. Warum? Keine Ahnung. Ma wurde verbannt, dann aber wurde die Verbannung aufgehoben. Was machte dies aus ihr nun? Außerdem hatte ich keinen Schimmer, ob Ma es gefallen würde, wenn ich etwas sagte. Ma hatte nie, aber auch nie über ihre Verwandtschaft geredet. Anni und ich sind mit dem Wissen aufgewachsen, dass wir nur eine Großmutter, die Mutter meines Vaters, hatten und das war es auch dann schon. Keine Tante, keinen Onkel oder Cousinen. Nun scheint es aber so, als würde doch noch andere existieren. Die Frage war also, wieso Ma es nicht wollte, dass wir es wussten. War sie wütend auf ihre Schwester, weil diese sie verbannt hatte? Oder wusste Ma einfach nicht, dass die Verbannung aufgehoben worden war? Jetzt irgendetwas Unüberlegtes zu machen, erschien mir nicht ratsam. Dennoch ließ mich der Gedanke nicht los, dass ich noch eine andere Verwandtschaft als Ma und Anni hatte.

Als drittes – irgendjemand hatte mal gemeint, dass alle guten Dinge drei waren – gab es noch dieses seltsame Kalte Feuer, dass der Mörder unbedingt haben wollte. Was war es und wieso schienen die Erwachsenen es für wichtig, dass niemand davon erfuhr?

Fragen über Fragen und keine Gelegenheit, richtig darüber nachzudenken.

Als wir dabei waren, zu warten, bis uns jemand nach dem Abendbrot in unseren Gang begleitete, stützte ich mich mit dem Ellenbogen ab und schloss die Augen. Ich wollte wirklich Zeit für mich haben, denn in unserem Zimmer war ich ja auch nicht alleine. Da waren Gwynna, Desa und Luana. Ich mochte sie, aber ich habe nie ein Zimmer teilen müssen. Daheim hatte ich mein eigenes und Anni hatte ihres.

»Es geht los«, sprach Desa und stupste mich an.

Ich öffnete die Augen und sah, dass zwei Hüter zu unserer Gruppe getreten waren. Beide sahen ernst und hart aus. Ich glaube, dass man besser keine Scherze mit ihnen spielte. Schwerfällig erhob ich mich aus dem Stuhl und folgte dann Desa. Diese schritt direkt hinter Gwynna und Luana, welche wiederum andere aus unserer Gruppe folgten. An der Spitze ging ein Hüter und hinter mir eine Hüterin.

Ob es sich so in einem Gefängnis anfühlte, ging es durch meinen Kopf und ich wurde langsamer. Doch nicht lange, denn die Hüterin hinter mir, stieß mich an und murmelte, dass ich schneller gehen sollte. Ja, eindeutig wie im Gefängnis.

Mist grollte auf meiner Schulter und warf einen wütenden Blick zu der einen Hüterin, woraufhin ihr eigener Drache ihn anknurrte. Ich unterdrückte ein Lachen und lief schneller. Musste ja nicht unbedingt denen einen Grund zu liefern, wütend zu werden.

Kurz bevor wir unseren Gang erreichten, wurde Mist auf einmal unruhig. Er krallte sich fester und auch der Griff seines Schwanzes wurde intensiver. Verwirrt hob ich die rechte Hand und strich über seinem Körper. Er zitterte am ganzen Körper und grollte leise. Dann erhob er sich plötzlich.

Zur selben Zeit erschütterte ein heftiges Beben die ganze Schule und Unruhe brach aus. Meine Mitschüler begannen zu schreien und die Hüter versuchten Ruhe wieder hineinzubringen. Zwischen alle der Panik entschied sich Mist, dass er wegrennen musste. Er war so schnell von meiner Schulter, dass ich kaum Zeit hatte zu reagieren und ihn nur noch nachschauen konnte, wie er in einem kleinen Seitengang verschwand.

»Sach`et«, fluchte ich und war froh, dass Gwynna nicht in meiner Nähe war. Von ihr hatte ich erfahren, dass dies ein übles Wort in der Alten Sprache war. Eins, dass nur selten gebraucht und als sehr vulgär angesehen wurde. Doch es beschrieb genau diese Situation.

Ich warf einen Blick über meine Schulter und sah, dass beide Hüter und noch andere Wächter dabei waren, wieder Ruhe in unsere Gruppe zu bekommen. Keiner sah zu mir, sodass ich leise seufzte und ebenfalls in dem Seitengang verschwand.

»Mist«, zischte ich leise, doch konnte ihn nicht erkennen. Warum musste er sich ausgerechnet jetzt entschließen, einfach so zu verschwinden. Ich drehte mich um, bekam mit, wie tatsächlich Ruhe bei den Schülern eintrat und sah dann wieder nach vorne.

Kurz bevor der Gang in einem anderen mündete, konnte ich noch eine rote Schwanzspitze erkennen, ehe diese um eine Ecke verschwand. Da ich nicht riskieren konnte, dass Mist irgendetwas geschah, folgte ich ihn und bereitete mich innerlich darauf vor, großen Ärger zu bekommen. Die Gruppe unbemerkt zu verlassen war strengstens verboten gewesen. Die Hüter wollten immer wissen, wo man sich gerade aufhielt.

»Wenn ich dich in die Finger kriege, Mist, dass bist du fällig«, murmelte ich und ging den Gang weiter entlang. Bevor dieser einen anderen kreuzte, blieb Mist stehen und sah zu mir zurück. So, als würde er überprüfen, ob ich ihm auch wirklich folgte.

Schnell hatte ich die Distanz zu ihm überwunden und ergriff ihn mit der rechten Hand. Ich öffnete den Mund, um ihn auszuschimpfen, doch da hörte ich plötzlich Stimmen, die um die Ecke kamen. Stimmen, die leise und gefährlich klangen. Ich sah kurz Mist an, dann zur Ecke. Die Stimmen kamen näher.

»Bald … Bald ist es soweit«, sagte die eine und sie klang tief. »Während die Hüter versuchen alles hier unter Kontrolle zu bekommen, können wir unbemerkt nach dem Feuer von Vlaar suchen. Nicht mehr lange und die Drachenkönigin Leandra wird fallen. Das komplette Haus Draconi wird vernichtet werden!«

»Sicher«, erwiderte eine andere Stimme. Eine, die mir irgendwie bekannt vorkam. Jedoch konnte ich sie nicht einordnen. »Doch ehe es soweit ist, müssen wir Vorsicht walten lassen. Renthoial ist misstrauisch und seine Reiterin ebenfalls. Du wirst wohl eine Zeit lang alleine für das Wohl der Schwarzen Flammen arbeiten! Außerdem …«

Die Stimmen wurden immer leiser und ich blieb mit klopfendem Herzen an der Ecke stehen. Eine Stimme in mir sagte, dass ich unbedingt um die Ecke gehen musste, um herauszufinden, der da gesprochen hatte. Eine andere riet mir, mich sofort umzudrehen und den Ort zu verlassen.

Ratet mal, welche gewonnen hat?

Ich setzte Mist auf meine Schulter und lugte dann um die Ecke. Der Gang war leer. Kopfschüttelnd sah ich diesen an und trat dann hinein. Mist drückte seinen Kopf gegen meinen und forderte mich somit auf, weiterzugehen.

Ich ging weiter und fragte mich, wer diese beiden waren, die gesprochen hatte. Eine Stimme kam mir bekannt vor, aber ich konnte sie einfach nicht einordnen. Vielleicht war ich auch einfach zu aufgeregt. Diese Personen haben davon gesprochen, dass das Haus Draconi vernichtet werden wird. Was war damit gemeint? Bedeutete dies, dass Lailea und Lyrana in Gefahr waren? In einer viel größeren, als wir anderen Schüler? Und wer waren die Schwarzen Flammen? Waren dies die Mörder? Diejenigen, die alle die Unschuldigen getötet hatten? Meine Aufregung stieg weiter und ich erreichte eine Kreuzung. Unschlüssig blieb ich dort stehen.

Ich sah nach rechts und dann nach links. Keinerlei Anzeichen, dass hier jemanden vor kurzem entlanggegangen waren. Den Weg gerade aus konnte ich ausschließen, denn dann hätte sie ja gesehen. Wohin waren also die anderen verschwunden. Mit dem Zeigefinger auf meine Lippen tippend, sah ich beide Optionen noch einmal genau an. Linke oder Rechts, das war hier die Frage.

Mist bewegte sich auf meiner Schulter. Auch er sah sich in beiden Gängen um, doch gab mir leider keinen Hinweis darauf, wohin ich nun gehen sollte.

»Ene Mene Muh – Und raus bist du«, murmelte ich und sah, dass mein Finger nach links zeigte. Gut, damit war es geregelt! Rechts ist die Entscheidung.

Ich wollte  rechts abbiegen, als mich jemand an der Schulter ergriff und zurückzog. Automatisch holte ich mit der rechten Hand auf, um zuzuschlagen, doch eine andere Hand stoppte meinen Schlag, während ich herumgewirbelt wurde. Ich wollte aufschreien, doch mein Schrei blieb im Hals stecken als ich dass sehr wütende Gesicht von Shandria, der Ersten Hüterin, blickte.

Erwischt!

Verdammt!

Ich schluckte. Diese Frau sah wirklich sehr wütend aus.

»Was machst du hier?!«

Ihre Stimme zitterte und ihr Blick war bohrend.

»Ich … ich… Mist hat sich erschrocken, als das Beben da war und ist weggerannt. Ich bin ihm gefolgt und …«

»Rasha`El«, sagte sie ziemlich laut und unterbrach mich damit. Sie ergriff meinen Arm und zog mich den Gang entlang, von dem ich gerade gekommen war. Sie sah wirklich nicht besonders erfreut aus und mir war klar, dass ich nun wirklich in großen Schwierigkeiten steckte.

Mist leckte mir über die Wange und grollte dann leise.

»Hören sie, ich wollte nur Mist zurückholen. Ihn hätte etwas passieren können und…«

»Und dir ebenfalls«, unterbrach Shandria mich und warf einen finsteren Blick zu mir. »Du hättest jemanden Bescheid sagen müssen. Ein Hüter hätte sich um deinen Drachen gekümmert.«

Dies machte mich wütend. Wer glaubte war diese Frau eigentlich? Ich blieb so abrupt stehen, dass sie gezwungenermaßen ebenfalls anhalten musste.

»Ach ja? Und was wäre in der Zwischenzeit passier? Außerdem wer sagt mir, dass ich euch Hüter trauen kann?!« Es mochte sein, dass jeder sagte, dass sie da sind, um uns zu beschützen, konnte dies aber auch jemand beweisen? Ich hatte keine Ahnung, wer diese Hüter waren, nur dass sie angeblich die Elite sein sollten. Die Elite von was? »Wer sagt mir, dass ihr nicht hinter diesen Angriffen steckt?«

Shandria sah mich an. Wut stand immer noch in ihre Augen, doch sie sagte nichts. Stattdessen betrachtete sie mich schweigen, so als wollte sie mehr aus mir herauslesen. Als wollte sie mich knacken und verstehen. Sie legte ihren Kopf schräg und kniff die Augen zusammen.

»Kennen wir uns eigentlich von irgendwo her«, fragte sie plötzlich und klang auf einmal misstrauisch.

Dies machte mich vorsichtig. Sollte es sich bei dieser Frau wirklich um Shandria Hallarn handeln, dann war diese Frau eine frühere Freundin meiner Ma gewesen. Ich schluckte und versuchte einen wütenden Blick auf zu setzten. Sie durfte nicht auf die Idee kommen, mich mit Isandria Draconi zu verbinden.

»Das glaube ich nicht, es sei denn, es ist eine Gewohnheit von euch, unschuldige Personen von fremden Welten hierher zu verschleppen!«

Sie riss die Augen auf und dann war von der Wut nichts mehr in ihrem Gesicht zu erkennen. Stattdessen sah stieg so etwas wie Mitleid in ihr auf. Etwas, was ich noch weniger von ihr haben wollte.

Ich trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme.

»Ich bin immer noch der Überzeugung, dass ich bei mir Zuhause in meiner Welt am sichersten wäre.«

Nun seufzte sie und schüttelte dabei den Kopf. »Das sehe ich anders und solange ich für die Sicherheit der Schuler und der Schüler verantwortlich bin, wirst du nicht in deine Welt gehen...«

»Also bin ich ihr Gefangener«, unterbrach ich sie und hörte wie Mist grollte. »Jeder sagt mir, dass ich keine Gefangene bin, aber wenn es darum geht, dass ich nach Hause will … sei es nur für ein-zwei Tage, da heißt es auf einmal, dass dies nicht möglich wäre. Dass ich diesen Ort nicht verlassen darf. Ich weis ja nicht, wie es bei euch so ist, aber für mich sieht es sehr danach aus, dass ich eine Gefangene bin. An einen Ort, wo andere wahllos getötet werden.« Ich warf einen finsteren Blick zu der Frau. »Ein schöner Gedanke als Gefangener ermordet werden zu können.«

Schweigen erfüllte den Raum. Ich konnte deutlich erkennen, dass meine Worte der Frau Unbehagen bereitete und sie nach etwas suchte, was sie mir antworten könnte. Mir war es egal, denn es würden eh nur Ausreden sein. Ich drehte mich um und ging weiter. Ich wollte nur noch in mein Zimmer und niemanden von den Erwachsenen sehen, die mir immer wieder sagten, dass alles gut werden würde. Ich hasste die Lügen!

Nur am Rande nahm ich war, wie Shandria mir folgte. Sie schwieg weiterhin und sah so als, als würde sie wirklich nicht wissen, was sie sagen sollte. Ich meine, ich habe doch die Wahrheit gesagt. Ich war ihr Gefangener und auch wenn sie nett umschrieben, wie Schülerin oder angehende Drachenreiterin, so konnte man nicht leugnen, dass ich nirgendwohin gehen konnte. Ich musste an einem Ort bleiben, wo Mörder frei herumliefen.

Ein Schaudern durchfuhr mich. Vielleicht sollte ich mit dem Gedanken spielen, einfach mein Zimmer nicht mehr zu verlassen. Wenn ich die ganze Zeit dort sein würde, dann würde mich auch niemand töten können, oder?

Da ich den schnellsten Weg zu meinem Zimmer nahm, dauerte es nicht lange und ich stand vor der Tür. Die Tür, die zu mein Zimmer führte, oder wohl besser gesagt zu meiner Zelle. Ich riss diese auf, ging hinein und schlug sie vor dem Gesicht der Hüterin zu.

Gwynna, Desa und Luana sahen mich an. Erleichterung stand in ihren Augen, aber auch eine schweigende Frage. Sie sahen zur Tür und dann zu mir.

Ich warf allen einen finsteren Blick zu und irgendwie schienen sie zu begreifen, dass ich nicht reden wollte, denn plötzlich hatte jeder eine interessante Aufgabe. Schwerfällig ließ ich mich auf dem Bett fallen und kramte von meiner Gürteltasche meine Briefbörse hervor. Zwischen zwei Fünf-Euroscheinen klemmte ein Foto, das ich schon sehr lange nicht mehr angesehen hatte. Es war zerknittert und an einer Stelle schon etwas eingerissen. Vorsichtig holte ich es hervor und blickte darauf.

Auf dem Foto waren ein Mann und eine Frau zu erkennen. Die Frau hatte ein Baby auf dem Armen und auf dem Schoß des Mannes saß ein Kleinkind, das nicht älter als drei Jahre sein konnte. Es war wohl mit das letzte Foto, das gemacht worden war, ehe mein Vater gestorben ist. Ein Bild, das meine ganze Familie zeigte, als so noch komplett war. Anni war zu diesem Zeitpunkt gerade mal drei Monate alt gewesen und ich selber konnte mich an diesen Zeitpunkt nicht erinnern, wo das Bild gemacht worden war. Dazu war ich noch viel zu klein gewesen. Ich seufzte und blickte das Bild an, wobei mein Blick auf meine Ma gerichtet war. Damals hatte sie noch lange Haare gehabt. Seit einigen Jahren war es nicht mehr so und je länger ich das Bild betrachtete, desto mehr fragte ich mich, warum. Dann fiel mein Blick auf die linke Schulter meiner Ma und ich stockte. Deutlich war Stan auf darauf erkennen.

Ich schloss die Augen.

Stan … war er wirklich ein Drache? Auch wenn es einige Beweise dafür gab, so fiel es mit dennoch schwer, daran zu glauben. Ich kannte Stan mein ganzes Leben lang und dies ließ mich stutzen. Wenn Stan wirklich nur ein Chamäleon war, wie könnte er dann so alt werden? Wie alt wurde eigentlich ein Chamäleon? Bestimmt nicht fast sechszehn Jahre!

Ich ballte meine rechte Hand und zerknitterte somit das Foto. War alles nur eine Lüge? War mein ganzes Leben eine Lüge?

Ein Geräusch in meiner Nähe ließ meine Augen sich öffnen und ich erkannte, dass Desa ein Buch hat fallen lassen. Sie wurde rot und murmelte etwas, als sie es aufhob.

Ich sah zu meiner Hand und das zerknitterte Foto. Vorsichtig öffnete ich die Hand und strich dann das Bild glatt. Es war meine einzige Erinnerung an meinen Vater, denn die meisten Bilder hatte Ma kurz nach seinen Tod entfernt. Ich wusste, dass diese noch in alten Fotoalben und Kisten waren, aber diese waren verschlossen. Ohne das Foto würde ich nicht einmal wissen, wie mein Vater aussehen würde.

Langsam steckte ich das Bild zurück in meine Brieftasche. Es waren zwei Diebe gewesen, die meinen Vater getötet hatten, als sie unser Haus ausrauben wollten. Ich selber war damals fünf gewesen und kann mich nicht genau daran erinnern. Ich wusste nur, dass er versucht hatte uns – Anni und mich – zu beschützen und dabei den Dieben in dem Weg gekommen waren. Bis heute wusste ich nicht, was die Diebe eigentlich hatten stehlen wollen und Ma selber hat nie wieder über diesen Tag geredet. Kurz nach dem Überfall hatte Ma das Haus gekauft und wir waren dort eingezogen. Hatten sozusagen ein neues Leben begonnen.

Die Brieftasche wanderte wieder in meine Gürteltasche und ich seufzte.

Ich hatte ein tolles Leben und auch wenn es ab und zu Ärger wegen meiner Noten gab, so wusste ich, dass meine Ma mich liebte. Konnte ich es ihr antun, dass ich nun weg war. Dass sie nicht wusste, was aus mir geworden ist? Meine Ma hatte meinen Vater damals verloren und es nur mit Mühe verkraftet. Wie wird es wohl jetzt sein? Welchen Schmerz würde es ihr bereiten, wenn ich nie mehr zurückkommen würde? Was würde sie jetzt spüren, da ich schon mehr als fünfzig Tage weg war?

Ich wollte nach Hause und alles was ich dieser Hüterin – diese Shandria gesagt hatte, war ernst gemeint. Im Grunde genommen fühlte ich mich wie eine Gefangene, auch wenn ich durch den Unterricht kaum Zeit habe, darüber nachzudenken. Ich wollte und musste nach Hause und dies lebend!

Mit diesen Gedanken versuchte ich einzuschlafen. Zurzeit konnte ich nicht nach Hause, aber ich konnte dafür sorgen, dass ich am Leben blieb!

 

Der Rest der siebten Woche, die ich nun schon hier bin, verlief so, dass keine Toten auftauchten. Dies musste ich der ersten Hüterin Shandria lassen. Seitdem sie hier ist, wurde niemand mehr ermordet. Dass ist ein schöner Gedanke und einige Schüler atmeten auch auf, doch ich ließ mich nicht davon täuschen. Überall waren noch Hüter und Wächter. Überall wurden wir hin eskortiert. Nirgends war man ohne Aussicht. Wie in einem Gefängnis!

Ich versuchte nicht viel darüber nachzudenken, sondern widmete mich in meinem Zimmer einem Buch, das ich schon lange hätte durchlesen sollen. »200 Fakten über Drachen«. Wenn ich plante, hier zu überleben, dass musste ich mehr über diese Drachen wissen, denn letztendlich drehte sich alles um diese Wesen!

Ich lag auf meinem Bett und versuchte dabei zu ignorieren, dass Mist wieder einmal auf meinem Bauch lag und sich dort gemütlich gemacht hatte. Dies tat er in letzter Zeit öfters. Er war zwar nicht schwer, aber dennoch gefiel mir sein Gewicht auf meinem Bauch nicht besonders.

Ich stieß ihn an und versuchte ihn zu ermutigen, sich woanders hinzulegen. Doch dies brachte mir nur ein gereiztes Grollen ein.

»Dämlicher Misthaufen«, murmelte ich und widmete mich meiner Leselektüre.

 

Drachen müssen ein bestimmtes Alter erreichen, ehe sie in der Lage sind, Feuer zu speien. Dies liegt jedoch nicht an ihrer Größe, sondern eher daran, dass sie als Jungtier noch nicht die benötigten Stoffe in ihren Körper produzieren können, um ein Feuer entstehen lassen zu können. Damit ein Drache Feuer speit benötigt er zwei Komponenten: ein Gas, dass während seiner Verdauung entsteht und ein bestimmtes Minerals, dass er regelmäßig zu sich nehmen muss. In dem Moment, wo das Gas und das Minerals zusammen kommen, entsteht eine Flamme.

 

Ich hielt inne, hob mein Buch an und sah zu Mist. Dies war ein Gedanke, worüber ich noch nicht nachgedacht hatte. Mir war klar, dass Mist irgendwann Feuer speien würde, denn er war ja ein Drache, doch wann dies sein würde …

So als würde Mist merken, das sich ihn beobachte, öffnete er ein Auge und sah mich damit an.

»Na du, Kleiner«, sagte ich und lächelte. »Wie alt musst du denn sein, um Feuer speien zu können?«

Durch ein Gespräch mit Lailea hatte ich erfahren, dass ihr Drache schon mehrere Jahre alt war und dass auch dieser Feuer speien konnte. Er war glaube ich fünf Jahre alt Musste Mist auch erst so alt sein?

Da von dem Kleinen keine andere Reaktion kam, las ich in dem Buch weiter.

 

Damit Drachen genügend Gas produzieren und auch speichern können, muss die Ernährung eines Drachen sehr ausgewogen sein. Das bei der Verdauung produzierte Gas wird in zwei großen »Taschen«, welche sich neben dem Magen befinden, gespeichert und kann von dem Drachen bei Bedarf geleert werden. Das Mineral, das zusätzlich aufgenommen werden muss, wird in zwei Seitenhöhlen im Kiefer gespeichert und kann dort sehr lange verharren…

 

Abermals hielt ich inne und runzelte die Stirn. Mein Blick ging vom Buch wieder zu Mist und ich betrachtete ihn ganz genau. Er war nicht besonders groß … halt eine kleine Echse, die auf einer Schulter Platz hatte. So, wie jeder Drache, den ich in seiner Zweitform gesehen habe. Wie viel konnte bitte schön so eine klein Echse an Gas oder Mineral speichern, um ein großes Feuer später zu machen. Gut, ich wusste nicht, wie viel von den Ausgangsstoffen benötigt wurde, um ein ordentliches Feuer zu machen, aber ich konnte es mir einfach nicht vorstellen. Dass so eine kleine Echse genügend für ein Feuer speichern konnte.

Ich setzte mich im Bett auf. So schnell, dass Mist protestierend aufgrollte und auf meine Beine rutschte. Zum Glück hatte er seine Krallen eingezogen, sonst wäre mein Oberteil jetzt garantiert löchrig.

»Mist, wir werden jemanden aufsuchen«, sagte ich und sah mich im Raum um. Ich war allein hier, denn die anderen waren wieder einmal bei einer Flugstunde. Ich schauderte als ich daran dachte und stand vom Bett auf.

Wer konnte mir am besten dieses Problem erklären? Ich wollte unbedingt wissen, wie eine kleine Echse genug Stoff sammelte, um als großer Drache ordentlich Feuer speien zu können. In Gedanken ging ich die Lehrer durch, bei denen ich Unterricht hatte. Am besten schien mir Seithà Rhyanna geeignet, die mir auch das Buch gegeben hatte. Sie musste sich doch sehr gut bei Drachen auskennen.

Ich ging zur Tür und öffnete diese. Zu meinen Bedauern – und keinen Überraschen – stand eine Hüterin davor. Aus irgendeinem Grund war sie oder eine andere Hüterin, immer in der Nähe und schien mich nicht aus den Augen zu lassen. Ich vermutete dass es daran lag, dass Shandria verhindern wollte, dass ich wieder alleine durch das Schloss spazierte. Ob sie jedoch tat, um mich zu schützen, oder aber, um mich besser kontrollieren zu können, wusste ich nicht. Ich wusste nur, dass es nervig war.

»Ich will zu Seithà Rhyanna«, sagte ich und trat aus meinen Zimmer. »Ich muss sie etwas Dringendes fragen.«

Ohne abzuwarten, was die eine Hüterin zu sagen hatte, machte ich mich auf dem Weg. Ich wusste, wo sich das Büro der Lehrerin befand, sodass ich nicht jemanden fragen musste, ob mir einer den Weg zeigen konnte.

Ich erreichte gerade den Gang, wo ihr Büro sich befand, als plötzlich eine Gestalt sich mir im Weg trat. So schnell, dass ich nicht reagieren konnte. Ich sah, wie etwas Metallenes aufblitzte und auf mich zukam.

Jemand trat meine Füße unter mir weg, sodass ich auf dem Boden fiel. In dem Moment fuhr knapp über meinen Kopf eine Klinge. Ich hörte, wie ein Schwert aus einer Scheide gezogen wurde und dann über mir die Hüterin. Ein Klirren entstand als zwei Schwerter aufeinander trafen.

»Verschwinde von hier«, rief die Hüterin und blockte einen weiteren Schwerthieb von der Gestalt ab.

Ich riss meine Augen auf, hörte wie Mist grollte und robbte auf dem Boden zurück.

Zwischen der Hüterin und der Gestalt brach ein Kampf aus. Die Gestalt versuchte immer wieder an der Frau vorbeizukommen und mich zu erreichen, doch die Hüterin drängte den Angreifer immer wieder zurück.

Fassungslos starrte ich auf die beiden Kämpfenden und nur langsam trat in meine Gedanken, dass mich wirklich jemand töten wollte. Dass ich jetzt tot gewesen wäre, wenn nicht die Hüterin mich weggestoßen hätte. Ich kannte mich nicht bei einem Zweikampf aus, aber dennoch erkannte ich, dass die Gestalt nicht schlecht war. Gang im Gegenteil sogar. Mir schien es, dass sie immer mehr an Oberhand gewann. Nicht mehr lange und die Hüterin wird wohl unterliegen. Und wenn sie unterlag, dann …

Ich spürte, wie Mist seine Krallen tiefer in meiner Schulter grub und lauter grollte. Panisch sah ich mich um. Ich verstand das einfach nicht. Hier wurde gekämpft und dass Klirren der Klingen war nicht gerade leise. Wieso kam niemand? Andere Hüter befanden sich doch in der Nähe und auch die Büros. Man musste doch die Kampfgeräusche hören!

Ich wollte zu einer Ecke rennen, um selber Hilfe zu holen, doch weit kam ich nicht. Ich prallte mit voller Wucht gegen etwas und taumelte zurück. Verwirrt sah ich den Gang vor mir an. Da war nichts! Ich streckte meine Hand vor und traf auf etwas Hartes. Doch sehen konnte ich da nichts. Es war so, als würde eine unsichtbare Wand vor mir sein.

Die Panik in mir wurde größer. Ich streckte meine andere Hand vor und tastete den ganzen Gang ab, in der Hoffnung, dass wenigsten irgendwo ein kleines Loch war. Ein Loch, wo ich den anderen Gang erreichen könnte. Leider war nicht zu entdecken.

Ein Keuchen ertönte hinter mir und ich drehte mich um.

Ich riss die Augen auf.

Die Hüterin hatte ihr Gesicht schmerzverzogen. Blut quoll aus ihrer linken Schulter und auch an mehreren kleinen Stellen. Das meiste jedoch kam von der Schulter. Die Gestalt vor ihr, hob wieder das Schwert und drängte mehr auf die Frau ein.

Lange würde die Hüterin wohl nicht mehr aushalten können.

Ich schloss die Augen.

Ich wollte hier nicht sterben. Ich hatte mir vor zwei Tagen geschworen, dass ich überleben und zu meiner Familie zurückgehen würde. Dass ich es Ma ersparen würde, wieder einen Verlust zu erleiden, so wie damals bei meinen Vaters Tod. Ich durfte nicht sterben und auch nicht an einen Ort, der fast wie Gefängnis für mich war. Nein, dass durfte einfach nicht passieren!

Ich riss die Augen auf und sah mich hektisch um. Irgendetwas musste mir doch helfen können. Mein Blick fiel auf einen Kerzenständer, der vor einer Bürotür stand. Die Frage, was ein 1 Meter großer Kerzenständer auf einem Gang machte, ignorierte ich. Ich rannte dorthin und ergriff den Ständer. Er war schwerer als er aussah.

Mit diesen in der Hand drehte ich mich um und erkannte, dass die Gestalt der Hüterin eine zweite große Wunde zugefügt hatte. Diese taumelte und ein Bein knickte ein, sodass sie auf dem Boden fiel. Der Angreifer hob das Schwert und wollte es genau auf dem Kopf der Frau niedersausen lassen.

Ich trat hinter ihn und holte mit dem Kerzenständer aus. Ich legte all meine Kraft hinein und ließ ihn vorschnellen. Jedoch nicht schnell genug.

Die Gestalt musste gemerkt haben, dass ich hinter ihr war, denn sie drehte sich um und änderte auch die Fallrichtung ihres Schwertes. Ein beißender Schmerz drang in meine Hüfte. Indem selben Moment knallte der Kerzenständer gegen den Kopf der Gestalt und sie sackte zusammen.

Ich ließ den Ständer fallen und schrie laut auf. Der Schmerz in meiner Hüfte wurde immer stärker und ich spürte, dass dort meine Kleidung nass wurde.  Verschwommen hörte ich, wie die Hüterin etwas sagte, doch ich verstand es nicht. Der Schmerz erfasste meinen ganzen Körper und dann war nur noch Dunkelheit um mich herum.

Zwischenspiel 2

Es war Wut, die Valàna Shandria Hallarn erfüllte als sie neben dem Bett stehen blieb, wo Riesa Urhen, eine ihrer Hüterinnen auf der Kante saß und gerade von Nria Niena, Erste Heilerin von Dracheim, einen Verband um die Schulter angelegt bekam. Es war Wut und auch gleichzeitig das Gefühl versagt zu haben. Es war ihre Aufgabe, für die Sicherheit der Bewohner von Dracheim zu sorgen und nun dies. Wie hätte dies geschehen können? Ihr Blick ging zu Riesa, deren Gesicht schmerzverzogen war.

»Was genau ist passiert, Riesa«, fragte Shandria.

Riesa sah zu ihrer Vorgesetzten und verzog abermals ihr Gesicht. »Wie befohlen folgte ich der Schülerin, da diese zu einer Lehrerin gehen wollte. Auf dem Weg dorthin gab es keinerlei Anzeichen, dass etwas ungewöhnlich war. Als wir jedoch im letzten Gang eingebogen sind, ist der Angreifer wie aus dem Nichts erschien. Gleichzeitig wurde ein Barrierezauber ausgesprochen, sodass nichts außerhalb des Ganges drang. Ich …«

Sie brach ab, als Shandria eine Hand hob.

Von ihren anderen Leuten wusste sie, dass niemand in der Nähe etwas mitbekommen hatte. Dies sprach in der Tat für eine magische Barriere und dies wiederum bedeutete, dass die Schwarzen Flammen einen mächtigen Magier hier in der Schule eingeschleust haben mussten. Jemand, der nicht der Angreifer hätte gewesen sein können, denn dieser besaß nur ein geringes magisches Potential. Dies wieder war der Beweis dafür, dass die es mehr Personen sein musste, die hinter diesen Angriffen steckte.

Shandria schloss die Augen und sah die Szene vor sich, als sie den Platz des Kampfes erreicht hatte. Sie hatte etwas Wichtiges mit der Direktorin besprechen wollen und war deswegen auf dem Weg zu deren Büro gewesen. Ein Weg, der sie zu dem betroffenen Gang führte. Als sie in diesen eingebogen war, war der Kampf schon zu Ende gewesen und die Barriere wieder aufgehoben. Sie sah noch deutlich, wie Riesa zu der Schülerin gegangen war und die Gestalt des Angreifers reglos auf dem Boden gelesen hatte. Und all das Blut. Dass Blut, dass von Riesa gekommen war und dann – was noch schlimmer war – dass Blut, dass aus der Hüfte der Schülerin geflossen war.

Die Erste Hüterin öffnete die Augen wieder und ihr Blick ging zu einer Tür, die in der Nähe war. Dahinter lag ein Einzelzimmer, wo sich gerade Nria Llyandria befand und sich um die Schülerin kümmerte. Obwohl es nur ein einzelner Schwerthieb gewesen war, den diese abgekommen hatte, schwebte sie in großer Gefahr.

Wut kam wieder in die Frau hoch. Von allen Schülern musste es ausgerechnet diese getroffen haben. Sie erinnerte sich deutlich an dem Gespräch, dass sie mit ihr gehabt hatte. Ein Gespräch, das nicht gerade einfach für sie gewesen war. Diese Schülerin wollte nicht hier in Dracheim sein und fühlte sich wie eine Gefangene. Niemand sollte sich hier an diesen Ort so fühlen. Dracheim war ein Juwel in Urharien und wohl der Ort, mit de Shandria ihre besten Erinnerungen teilte. Dass jemand so anders sich hier fühlte, war ein Schock für sie gewesen. Sie konnte nachvollziehen, warum diese Schülerin nicht hier sein wollte, doch Shandria war sich sicher: In der anderen Welt würde das Kind erst recht gefährdet gewesen sein. Dracheim war der sicherste Ort. Und nun war diese Schüler verletzt worden.

Aus dem wenigen, was sie von Riesa erfahren hatte, hatte diese Schülerin mit ihrer Aktion ihre Hüterin gerettet, doch dadurch selber eine große Lücke in der eigenen Verteidigung gerissen. Doch wenn diese Rose nichts getan hätte, dann hätte der Angreifer Riesa getötet und mit hundertprozentiger Sicherheit danach Rose, ehe er verschwunden wäre. Jetzt jedoch war er gefangen und Riesa lebte noch. Dafür jedoch war die Schülerin schwer verwundet.

»Ihr verdammten Schwarzflammen! Wenn ich euch in die Finger bekomme, werdet ihr euch wünschen, ihr hättet euch nie Dracheim als Wirkort ausgesucht«, murmelte sie wütend und musste an die Warnungen denken, die man neben jeder Leiche gefunden hatte. Die Schwarzflammen wollten unbedingt das Kalte Feuer haben und der ersten Hüterin war klar, dass das Morden weitergehen würde. Zwar hatten sie nun einen Gefangenen, doch dies garantierte nicht, dass alles ein Ende haben würde.

Ihre Gedanken gingen zu Rose zurück. Es war schon so schwierig gewesen, sie davon zu überzeugen, dass sie hier sicherer wäre und nun würde es wohl unmöglich werden. Shandria wusste nicht wieso, aber irgendwie kam ihr dieses Mädchen bekannt vor. Ihre Sturheit, ihr Blick, wenn sie wütend war und die Art, wie sie ihren Gefährten berührte. Alles kam Shandria bekannt vor und dennoch konnte sie es nirgendwo ein einordnen. Wer war dieses Mädchen?

Shandria seufzte und sah wieder zu Riesa. Die erste Heilerin war gerade fertig geworden, sie zu verarzten. Die Hüterin selber sah zwar noch blass aus, doch ihre Wunden würden heilen. Wesentlich besser als die von Rose. Nun, mit Rose würde sich Shandria später beschäftigen. Jetzt gab es andere wichtige Dinge zu erledigen.

»Riesa! Fahre fort. Ich muss auch jedes kleinste Detail wissen. Das könnte sehr wichtig sein.«

Die Hüterin nickte und fuhr mit ihrem Bericht fort.

12. Kapitel

Ich trieb in einer Dunkelheit, die beängstigen und gleichzeitig wohlwollend war. Im Grunde genommen spürte ich überhaupt nichts mehr. Irgendwann drangen leise Stimmen in meine Gedanken, aber ich verstand sie nicht. Zwar versuchte ich sie zu erfassen, aber sie schlüpften immer wieder weg. Dann kam der Schmerz an meiner Hüfte. Sie schien zu brennen und kurzzeitig kam es mir vor als würde ich geschmorrtes Fleisch riechen. Ich wollte mich aufbäumen, meinen Körper wegzehren, aber irgendetwas oder irgendjemand drückte mich auf dem Boden. Ich konnte mich nicht rühren. Der Schmerz an meiner Hüfte wurde immer intensiver und irgendwann holte mich die Dunkelheit zurück. Wieder die Finsternis um mich herum. Etwas nasses Kaltes befand sich auf meiner Stirn und zog Bahnen über mein Gesicht. Meine Hüfte brannte immer noch, aber es war dumpf und weit entfernt. Stimmen schwirrten in meine Gedanken. Stimmen, die ich nicht zuordnen konnte.

Der Schmerz verblasste.

Eine Wärme durchfuhr mich, während ich spürte wie jemand immer wieder meine Stirn berührte. Dieses Gefühl löste eine Geborgenheit in mir aus, die ich schon lange nicht mehr gespürt hatte. Ich fühlte mich sicher und frei. Direkt von der Stirn breitete sich die wohlwollende Wärme aus und erfüllte meinen ganzen Körper.

Die Schmerzen, die ich am Anfang gespürt hatte waren nur noch ein entferntes Pochen meiner Hüfte. Ich versuchte mich zu erinnern was passiert war, stellte aber fest, dass eine große Leere in meinen Erinnerungen herrschte. Ich wusste noch, dass ich sauer auf jemanden gewesen war. Dass ich irgendwo war, wo ich nicht hatte sein wollen. Dass ich zu irgendjemand gehen wollte.

Dass meine Hüfte verletzt wurde, drang irgendwann in mein Bewusstsein. Ich erinnerte mich an kaltes Eisen, an einen qualwollen Schmerz und an ein zischen. Daran, dass der Schmerz meinen ganzen Körper überrollt hatte.

Je mehr ich versuchte aus den Tiefen der Dunkelheit ans Licht zu kommen, desto klarer wurden die Erinnerungen. Stimmt, mich hatte jemand mit einem Schwert getroffen. Aber wer? Ich sah vor meinen inneren Augen einen Gang. Ich stand dort und war auf dem Weg zu einer Lehrerin gewesen. Doch warum?

Unendlich langsam kam alles Stück für Stück zurück.

Ich war auf dem Weg zu meiner Freundin Chris gewesen, doch ich bin dort nie angekommen. Stattdessen waren seltsame Personen aufgetaucht … und eine Echse … und ein heftiger Schmerz.

Plötzlich fiel mir alles wieder ein. Der Streit mit meiner Schwester Anni, dass ich von fremden Leuten in eine andere Welt verschleppt worden war und dass ich eine Schule besuchen musste. Dracheim. Ja, dies war der Name. Alles wurde klarer, bis zu den Punkt, wo in einem Gang eine Gestalt aufgetaucht war. Die Gestalt!

Ein scharfer Schmerz durchfuhr meine Hüfte, doch ich wusste, dass er nicht da war. Aber ich erinnerte mich daran, dass die Gestalt mich mit einem Schwert erwischt hatte.

War ich tot? Ich konnte mich so deutlich an den Schmerz erinnern. Und Blut … ich hatte Blut gesehen, doch konnte nicht sagen, ob es mein eigenes gewesen war.

Die Dunkelheit um mich herum passte gut zu dem Tod. Das Gefühl der Geborgenheit ließ das Ende doch ganz beschaulich anfühlen.

Dann drang eine Stimme an meinen Ohren. Ich kannte die Stimme von irgendwoher, doch ich konnte nicht sagen, woher. Vielleicht einer der Drachenreiter? Ich war verwirrt. Was machte die Stimme eines Drachenreiters im Totenreich? Vielleicht war ein toter Reiter nahe bei mir. Aber die Stimme…sie klang so vertraut, dass es schon beinahe unheimlich war. Woher kannte ich sie?

Ich dachte nach. Überlegte, welche Reiter ich kannte und woher mir die Stimme bekannt vorkam. Plötzlich durchfuhr mich die Kenntnis.

Die erste Hüterin! Shandria!

Die Stimme gehörte eindeutig zu dieser Frau, die ich irgendwie nicht leiden konnte. Doch wieso hörte ich sie im Totenreich? War diese Hüterin tot? Eine Eiseskälte brach in mir aus. Das konnte doch nicht wahr sein. Ich gab ja zu, dass ich sie nicht leiden konnte und sie manchmal sogar hasste, aber die Erkenntnis, dass sie tot war…das hatte ich ihr nie gewünscht.

Eine andere Stimme drang in meine Ohren. Meine Verwirrung wurde größer. Ich kannte diese auch von irgendwoher. Also das war jetzt wirklich verrückt. Wo blieb die beschauliche Dunkelheit? Die wunderbare Ruhe? Die Stimme passte einfach nicht hier her.

Langsam versuchte ich, meine Augen zu öffnen. Vielleicht würde ich es besser verstehen, wenn ich es sehen konnte. Wie sah das Totenreich aus? Wieso war Shandria tot? Und wem gehörte die zweite Stimme, die ich vernehmen konnte.

Das Licht blendete mich und blinzelte, als ich auf eine Steindecke blickte. Steindecke? Naja…warum auch nicht. Im Paradies gab es bestimmt Steindecken.

Plötzlich drangen weitere Stimmen in meine Ohren und ich richtete mich im Bett auf. Was machte die Stimme von Lailea und einer anderen Person hier? Ganz zu schweigen, dass ich immer noch nicht die zweite Stimme zuordnen konnte.

War Lailea denn auch tot? Hatte es sie erwischt, trotz, dass so viele Personen auf sie acht gegeben haten?

Traurigkeit kam im mir hoch. Ich war mir unsicher, ob ich mit ihr verwandt war, doch dies änderte nichts daran, dass ich sie mochte. Gerne würde ich sie mir als meine Cousine vorstellen. Ich war zwar wütend darüber, dass meine Mutter verbannt worden war, aber dafür konnte sie ja nichts. Den Tod hatte ich ihr deswegen nie gewünscht. Dennoch war es verwirrend, dass sie in der Nähe sein musste. War das Totenreich denn so klein, dass sie auch hier war…sowie Shandria…

Ich griff stöhnend an meinen Kopf und versuchte meine Gedanken klar zu bekommen. Irgendetwas stimmte hier überhaupt nicht. Ich sah mich um.

Ich befand mich in einem kleinen Zimmer und erkannte, dass neben einem Bett nur ein kleiner Tisch noch zur Einrichtung gehörte. Ich kannte das Zimmer nicht, doch dies war auch nicht verwunderlich. Wie sollte ich auch ein Zimmer im Totenreich kennen? Dennoch muss ich sagen, dass ich sehr verwirrt war. So hatte ich mir das Totenreich bestimmt nicht vorstellt.

Mein Blick wanderte zu einer Tür, von der aus die Stimmen zu mir drangen. Wie würde es dort draußen aussehen?

War das Totenreich ein Paradies … eine große Wiese, wo man alles finden konnte, was das Herz einem begehrte? Oder war ich in der Hölle gelandet? Waren dann die Stimmen so eine Art Strafe?

Langsam versuchte ich ein Bein aus dem Bett zu schwingen, doch ein scharfer Schmerz rauschte durch meine Hüfte. Ein Stöhnen entfuhr mir und die Verwirrung stieg noch weiter an. Schmerzen im Totenreich? So langsam wurde ich unsicher, ob ich mich wirklich im Totenreich befand. Doch wenn ich nicht tot war, was war dann passiert?

Wieder glitt mein Blick zu der Tür. Wenn ich nicht tot war, dann waren die Personen dort vor der Tür es auch nicht, was wiederum bedeutet, dass ich noch in Dracheim sein musste. Ein Ort, den ich überhaupt nicht mochte.

Ich schlug die Decke von mir weg und starrte auf meine Hüfte. Ein langes Nachthemd verdeckte sie, sodass ich den Stoff anhob. Weißer Verband kam zum Vorschein. Vorsichtig berührte ich ihn und erneuter Schmerz raste durch meine Hüfte. Ein Stöhnen entfuhr mir.

Nein, ich war eindeutig nicht tot!

Neben den Schmerz, der langsam wieder verblasste, kam ein anderes Gefühl in mir hoch, welches durch ein leises Knurren begleitet wurde.

Hunger! Ich hatte Hunger und zwar einen sehr großen, sodass ich mich fragte, wie lange ich hier wohl gelegen haben musste.

Meine Erinnerungen gingen an die Ereignisse in dem Gang zurück und ich spürte, wie ich bleich wurde. Was war mit der Hüterin passiert? Hatte sie es auch überlebt, oder war sie jetzt tot? Schuldgefühle kamen langsam zum Vorschein. Wenn ich mich nicht so aufgeführt hätte, dann hätte man mir niemanden zur Seite gestellt, der auf mich achtgeben musste. Dieser Frau wäre nichts passiert, wenn sie mir nicht hätte folge müssen. Wenn sie dir nicht gefolgt hätte, dann wärst du jetzt tot, ertönte eine hämische Stimme in meinen Hinterkopf.  Diese hatte vollkommen recht! Wenn sie mir nicht meine Beine weggestoßen hätte, wäre ich jetzt nicht mehr am Leben. Doch was war auch ihr geworden? Hatte sie es mit ihren eigenen Leben bezahlen müssen?

Ich atmete tief ein und schwang endgültig erst das eine Bein aus dem Bett und dann das zweite. Ein Keuchen entfuhr mir, als erneuter Schmerz sich bemerkbar machte. Ich kniff die Augen zusammen, um Tränen zurückzuhalten und hielt dann inne. Irgendetwas fehlte!

Panisch sah ich mich nach Mist um, konnte ihn aber nirgendwo erkennen. Was war mit ihm passiert? Ihm war doch nichts geschehen, oder?

„Mist“, flüsterte ich und hoffte darauf, dass er sich zu erkennen gab, doch nichts passierte.

Eine Eiseskälte durchfuhr mich. Ihn ist doch nichts passiert, oder? Ich stellte mich auf die Beine und presste die Zähne zusammen. Wacklig erhob ich mich aus dem Bett und hielt mich an einem Bettpfosten fest. Zitternd versuchte ich zu Atem zu kommen und Kräfte zu sammeln.

Mir tat alles weh. Meine Hüfte, mein Kopf und zusätzlich kam Schwindel in mir auf.

Mist! Ich musste herausfinden, was aus Mist geworden ist!

Langsam tastete ich mich an der Wand zu der Tür hin. Als ich sie erreichte, zitterten meine Beine und drohten nachzugeben. Tränen liefen mir über Gesicht, obwohl ich es verhindern wollte und das Schwindelgefühl wurde stärker. Ich sog die Luft heftig ein und legte meine Hand auf der Klinge. So verharrte ich einige Sekunden, sodass ich die plötzliche Ruhe bemerkte. Die Stimmen waren nicht mehr zu hören und Stille herrschte auf der anderen Seite der Tür.

Langsam drückte ich die Klinge herunter und öffnete die Tür. Ich sah hinaus.

Draußen befand sich ein großer Raum, wo viele Betten standen, welche durch Vorhänge verdeckt werden konnten. Ich kannte diesen Raum, denn durch diesen bin ich damals gegangen als mich Pandeia zu Spitzohr gebracht hatte. Eine Stimme sagte mir, dass es sich hierbei um die Krankenstation handeln musste.

Niemand war im Zimmer zu sehen und es sah ziemlich verlassen aus. So verlassen, dass ich mich fragte, ob ich die Stimmen vorhin mir nur eingebildet hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass bis vor wenigen Minuten hier jemand sich befunden haben sollte. Ich ging einige Schritte hinein. Der Schwindel wurde stärker und plötzlich gaben meine Beine nach.

Mit einem harten Knall landete ich auf dem Boden.

Sofort hörte ich, wie eine Tür aufgerissen wurde. Dann kamen Schritte auf mich zu.

„Rose!“

Ich versuchte mich wieder aufzurichten, doch der Schmerz und der Schwindel ließen dies nicht zu. Ein Wimmern entfuhr mir. Dann war jemand an meiner Seite und ergriff mich an der Schulter.

„Rose!“ Es war die Stimme von Spitzohr und große Erleichterung durchfuhr mich. Ich wusste nicht wieso, aber ich war froh, sie zu hören.

„Was machst du hier draußen“, sagte Llandria und sie klang sehr besorgt. „Du musst im Bett bleiben!“

„Mist“, presste ich hervor. „Wo ist … Mist …“

Dann ertönten andere Schritte und ich spürte, wie mich jemand aufrichtete. Ich konnte das Gesicht von Shandria erkennen, die so besorgt aussah, wie Spitzohr klang. Dies war sehr verwirrend, denn ich hatte noch sehr deutlich den wütenden Ausdruck ihres Gesichtes vor meinen Augen. Sie jetzt so zu sehen, war irritierend.

Kurz darauf lag ich wieder im Bett.

„Rose, du hättest nicht aufstehen dürfen“, sagte Llandria, während sie irgendetwas an meiner Hüfte machte und den Verband neu wechselte. Ich wollte einen Blick auf die Wunde werfen, doch die Erste Hüter stand so, dass sie mir Blick darauf verbarg.

„Ich … wo ist  Mist“, sagte ich und versuchte das Zittern aus meiner Stimme zu bannen, während ich überall hinsah, außer nicht auf die Hüterin. Ich fühlte mich überhaupt nicht gut und es dauerte eine Weile, ehe mir bewusst wurde, wie ich mich fühlte. Es war Angst, die mich plötzlich erfüllte. Eine große Angst. So groß, dass das Zittern stärker wurde.

Ich wäre fast getötet worden! An einen Ort, wo all die anderen immer wieder stark betont hatten, dass dies der sicherste in der ganzen Umgebung wäre.

„Wo ist Mist“, wiederholte ich und versuchte dieses Mal nicht, das Zittern zu verbergen. Ich wollte, dass er bei mir ist. Ich wollte wissen, dass es ihm gut ging. Die Panik in mir wurde größer. „Wo ist er!?“ Ich wollte mich wieder aus dem Bett erheben, doch Shandria drückte mich nach unten. Die Angst in mir wurde großer. Ich begann zu schreien.

„Ganz ruhig … ganz ruhig …“, sagte Shandria und hielt mich immer noch mit ihren Armen auf dem Bett. Sie klang ganz sanft und aus irgendeinem Grund erinnerte sie mich an meiner Ma. Meiner Ma! Ich schrie weiter auf und dann verließ mich meine Kraft.

„Ich will zu meiner Ma“, flüsterte ich und begann zu weinen.

Der Druck auf meinen Oberkörper löste sich.

„Alles wird gut, Rose“, sprach Shandria und strich eine Haarsträhne aus meinem Gesicht. „Alles wird gut.“

Dann legte Llandria ihre Hand auf meiner Stirn und eine große Ruhe begann sich in mir auszubreiten. Ohne dass ich es wollte, wurde ich müde, und auch wenn mein Hintergedanke immer wieder nach Mist schrie, so konnte ich nichts dagegen tun, als mich der Schlaf überrollte.

 

Es war ein dunkler Raum, der kaum erhellt wurde und dennoch konnte man die schattenhaften Figuren Umrisse unzähliger Statuen erkennen. Es gab hunderte, wenn nicht sogar tausende, die sich in hier und in den angrenzenden Räumen befanden. Statuen, die Männer, Frauen und Kinder zeigten. Männer, die wie Soldaten gekleidet waren, oder einfache Sachen eines Bauern trugen. Frauen, die Priestergewänder anhatten, oder Mägde waren. Kinder, die prächtig angezogen waren, oder nur einfach Lumpen trugen. Riesige Hengste, schlanke Wölfe, ausgebreitete Adler und geduckte Hunde konnte man sehen. Selbst magische Wesen, die als die mächtigen galten, waren zu erkennen: Drachen, Greife, Mantikoren und Kreaturen, deren Namen in Laufe der Zeit vergessen wurden. Da diese Statuen reglos waren und eine kälte ausstießen, befiel einen schnell ein unheimliches Gefühl.

Inmitten der Figuren konnte man die Gestalt einer Frau in weiten Gewändern erkennen, an deren Brust und Rücken jeweils eine Flamme befestigt war. Sie trug eine Maske, die die eine Hälfte des Gesichts verdeckte und langes Haar wedelte um diesen. Sie stand inmitten eines Feuers, das nicht rötlich sondern bläulich schien.

„Hilf mir…hilf mir…Draconi….“

Leise und gequält drangen die Worte zu ihr hinüber als sie die Frau erblickt hatte und begann auf diese zu rennen. Sie schenkte der Umgebung keinerlei Beachtung und somit merkte sie nicht, wie sich hinter ihr ein riesiger Schatten bildete. Sie schenkte ihre Aufmerksamkeit ganz allein der Frau, die ihre Hilfe zu brauchen schien, aber immer noch weit entfernt war.

„Hilf mir, Oh Draconi, hilf mir…“

Plötzlich spürte sie, wie etwas an ihr zehrte, so als würde man sie zurückziehen und Panik kam in ihr auf. Sie konnte immer noch die Frau sehen, doch die Worte wurden immer schwächer und kurz darauf verstummten sie. Ihre Angst um die Frau wurde immer größer und sie zehrte gegen die unsichtbaren Fesseln. Sie wollte sich unbedingt losreißen, wollte den harten Griff entkommen und endlich zu der Unbekannten kommen, doch je härter sie sich wand, desto fester wurde der Griff.

„Nein!“

Ein ohrenbetäubender voller Qualen enthaltener Schrei hallte zwischen den Statuen und dann gab es nur noch Stille. Das einzige, was sie vernahm, war ihr eigener Atmen und dann schien die Zeit stillzustehen, als ihr diese Tatsache vollends in Gedächtnis kam. Sie schrie wie ein verletztes Tier auf, stemmte sich gegen die Barriere und dann durchbrach sie sie mit einem lauten Schrei. Sie stolperte einige Schritte, ehe sie inne hielt und sich umsah. Nichts ließ sie erkennen, was sie so festgehalten hatte und konnte sie auch kein Lebenszeichen der Frau erhaschen. „Nein!“

Ihre Knie knickten ein und sie stützte sich mit ihren Händen auf den Boden. Tränen liefen über ihre Wangen und sie fühlte sich verloren. Wieso gelang es ihr nicht, die Frau zu erreichen und zu helfen? Wieso musste sie immer wieder versagen und das jedes Mal. Sie verspürte plötzlich ein bekanntes Gefühl, welches ihn durchfloss und wollte nach diesen greifen. Wollte es benutzen!

Ein Geräusch hinter sich, ließ sie zusammenzucken und sie wusste, dass ihre Verfolgerin sie erreicht hatte. Verfolger, von denen sie nicht wusste, welche das waren. Dann verspürte sie einen schmerzhaften Stich in ihren Rücken…

„NEIN!“

 

Mit einem Schrei richtete ich mich im Bett auf, ehe ich leise aufstöhnend ins Bett zurückfiel. Mein Atem ging heftig und ich sog die Luft tief in mir ein. Der Schmerz in meinen Rücken verstummte, wo als wäre er nie da gewesen. Schweiß floss über mein Gesicht und ich merkte, dass mein Nachtgewand nass war. Langsam beruhigte sich mein Herz und ich konnte klarer denken.

Was war das denn gewesen?

Wieder so ein Traum? Dieses Mal war er anders gewesen, denn ich hatte nicht von einer unbekannten Gestalt geträumt, die andere tötete. Nein, dieses Mal von einer Frau, die nach mir gerufen hatte. Eiseskälte kam in mir auf. Ich kannte sie nicht, aber ich erkannte ihre Stimme. Es war die Stimme, die in meinen letzten Träumen immer wieder aufgetaucht war. Eine Stimme, die mich rief.

Ich ließ mich auf meinen Kissen zurückfallen und schloss die Augen. Was sollte das? Wieso träumte ich solche Dinge. Ehe meine Gedanken jedoch vollständig zu dem Traum schweiften, wurden sie von einer anderen Erkenntnis verdrängt.

Ich lebe noch!

Ein einziger Satz aus drei Wörtern, doch genug um die Erinnerungen an den Angriff im Gang auf die Oberfläche zu holen. Dann erfasste mich die Angst, die ich gehabt hatte, als ich das letzte Mal aufgewacht worden war.

Wo war Mist!

Ich öffnete meine Augen und erst da fiel mir auf, dass etwas Schuppiges neben meinen Kopfkissen zusammengerollt lag. Eine große Erleichterung erfüllte mich und ich hob die rechte Hand, um über Mists Kopf zu streichen. Mit einem leisen Fiepen öffnete er seine Augen und hob seinen Kopf. Er sah mich direkt an und mir schien, als würde sein Blick zwischen Vorwurfsvoll und Erleichterung schwanken. Was echt bemerkenswert bei einer Echse aussah.

„Na, Kleiner“, murmelte ich und mein innerer Frieden wurde größer. Mist gehörte zu mir. Er war ein Teil von mir. „Hast du dir Sorgen gemacht?“

Mist legte seinen Kopf schräg und sah mich weiterhin an. Dann erhob er sich und trat zu meinem Gesicht. Kurz darauf strich seine Zunge über meine Wange und sein besänftigendes Grollen entfuhr ihm. Es schien so, als würde er schnurren … wie eine Katze, die sich wohl fühlte.

Ein Lächeln erschien auf meinem Gesicht und ich sah mich dann im Raum um. Es war immer noch derselbe Raum, wo ich das erste Mal erwacht war. Ein Bett und ein kleiner Tisch … sonst gab es nichts anderes.

Der erste Gedanke war, mich wieder zu erheben, doch die Erinnerungen an letztes Mal, hielt mich davon ab, sodass ich einfach liegen blieb. Ich schloss die Augen und dachte nochmal über den Traum nach. Wer war diese Frau und wieso brauchte sie meine Hilfe? Ich hatte sie noch nie gesehen und dennoch erfüllte mich das Gefühl, dass ich sie von irgendwoher kannte. Doch von woher? Und was war dass für ein Feuer, in dem sie stand. Es schien so, als würde das Feuer ihr nicht schaden. Zwar rief sie nach Hilfe, doch der Grund schien nicht das Feuer zu sein. Doch wenn nicht dass Feuer, was war dann der Grund? Ein blaues Feuer. Eine Farbe, die mich aus irgendeinem Grund an Eis und Kälte erinnerte.

Ich riss die Augen auf und richtete mich wieder auf. Das beruhigende Grollen von Mist ignorierte ich.

Ein Feuer, das kalt aussieht. Handelte es sich hierbei um das Kalte Feuer? Doch was war das Kalte Feuer? Was war es, das die Mörder – aus irgendeinen Grund erschienen die Begriffe Schwarze Flammen in meinen Kopf – so unbedingt haben wollen?

Das Geräusch einer sich öffnenden Tür unterbrach meine Gedanken und ich erkannte, dass Spitzohr ins Zimmer trat. Ihr Gesicht sah besorgt aus, doch als sie mich sah, erhellte es sich.

„Rose! Du bist aufgewacht“, rief sie und trat ans Bett. Ihr Blick wurde sachlich und abschätzend. Mir war es so, dass es ihr nicht gefiel, dass ich nicht lag, sondern aufrecht im Bett saß. Jedoch sagte sie nichts dazu, sondern legte ihre Hand auf meine Stirn. Kurz darauf nickte sie zufrieden. „Wie geht es dir, Rose?“

Ich hob eine Augenbraue. Sollte sie das nicht besser wissen? Immerhin war sie die Heilerin hier.

„Hast du Schmerzen? Schwindel“, fragte Spitzohr weiter, als ich nicht antwortete. Ihr Blick wurde wieder besorgt.

Ich schüttelte den Kopf. Schmerzen hatte ich keine mehr. Nicht von der Hüfte und auch nicht vom Rücken, obwohl dieser ja nur in meinen Traum erschienen war. Jedenfalls hoffte ich dies. „Mir geht’s gut“, murmelte ich und sah, wie Mist sich erhob und auf meine Beine sprang. Er rieb sich gegen meinen Oberkörper und begann ihn zu streicheln. Ich setzte ein Lächeln auf. „Und ihm geht es auch gut.“

In Spitzohrs Gesicht erschien ebenfalls ein Lächeln. „Mist ist überhaupt nichts passiert und das einzige, was besorgniserregend war, war, dass es dir nicht gut geht. Dies hat ihn mitgenommen, doch dies scheint jetzt vorbei zu sein.“ Dann erstarb ihr Lächeln und sie sah mir fest in die Augen. „Du hattest nicht so viel Glück, Rose. Ich werde dich nicht anlügen, obwohl einige dies lieber wollen, aber: Der Angriff hätte dich fast getötet. Du hast zwar nur ein Schwerthieb abgekommen, aber dieser war sehr gefährlich gewesen. Am Anfang sah es nicht danach aus, dass du es schaffen würdest … Aber du hast uns alle das Gegenteil bewiesen und darüber sind wir froh.“

Ich schwieg und brauchte eine Weile, ehe ich das Ausmaß dieser Worte verstand. Ich wäre fast gestorben! Ein leichtes Zittern erfüllte mich und ich krallte meine Hände in die Bettdeckte. Meine Gedanken schweiften zu meiner Familie. Fast wäre es gewesen und ich hätte sie nie wieder sehen können. Meine Ma hätte nie erfahren, dass es mir gut ging. Und Anni … meine kleine Schwester! Was wäre aus ihr geworden? Und was hätten die Leute hier getan? Hätten sie eine Nachricht zu meiner Familie geschickt und ihnen von meinen Tod berichtet?

„Rose?“

Ich sah zu Spitzohr und wusste sofort, dass sie es gewesen war, die mir das Leben gerettet hatte. Ohne sie, wäre ich wohl gestorben. Gestorben in einer anderen Welt und alleine. Mein Blick ging zu Mist. Nein, nicht alleine. Ich war nicht alleine in dieser Welt.

Es gab einen Angriff und ich habe ihn überlebt. War dies ein Zeichen? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich nie wieder in so seiner Situation kommen wollte. Ich wollte am Leben bleiben und ich wollte, wenn dass alles vorbei war, wieder zu meiner Familie! Doch dies bedeutete mein Leben diesen Leuten hier anzuvertrauen. Meine Gedanken gingen zu der Hüterin, die ebenfalls bei diesem Angriff anwesend gewesen war. Was war eigentlich aus ihr geworden? Spitzohr beruhigte mich und meinte, dass es ihr gut ging. Dass es mich wesentlich schlimmer erwischt hätte und dies überraschte mich nicht. Diese Hüterin hatte ja eine Rüstung an und ich nur meine Schulrobe. Aber es war erleichternd zu wissen, dass für diese Frau kein bleibender Schaden entstanden ist. Immerhin wurde sie wegen mir verletzt. Wenn ich nicht so aufmüpfig wäre, dann wären keine Hüter als meinen Begleitschutz ernannt worden. Doch dann wäre ich alleine gewesen und hätte garantiert nicht den Angriff überlebt. Mit anderen Worten: Egal wie man es dreht und wendet … ohne die Frau wäre ich tot gewesen. Es war also meine Schuld, dass sie verletzt worden war.

Mist drückte seinen Kopf stärker gegen meinen Oberkörper und sah mich traurig an. Es schien mir, dass er mir sagen wollte, dass es nicht meine Schuld war. Ich seufzte und meinte dann zu Spitzohr, dass ich schlafen wollte. Zwar war ich nicht müde, doch ich wollte Zeit für mich haben und allein sein. Llandria nickte und meinte, dass ich nur rufen sollte, wenn ich etwas bräuchte. Dann verließ sie den Raum und ließ mich mit Mist alleine zurück. Dieser kuschelte sich an mich und schnurrte leise. Mich würde er nie allein lassen.

Ich legte mich zurück und schloss die Augen.

Nie! Aber auch nie mehr will ich zulassen, dass andere wegen mir in Gefahr geraden!

13. Kapitel

Drei Tage später durfte ich das Krankenzimmer verlassen und ich war mehr als froh darüber. Zum einen war es langweilig, die ganze Zeit im Bett zu liegen und zum anderen hatte ich nichts zu machen. Dies war nicht gut, denn dann begannen meine Gedanken sich im Kreis zu drehen. Ich dachte über alles in Ruhe nach. Darüber, wie ich nach Dracheim gekommen bin und wie mein Leben sich verändert hatte. Darüber, dass mein erster klarer Gedanke Mist gewesen war, als ich erwachte und dass er mir doch einiges bedeutete. Viel mehr, als ich es am liebsten zugeben würde. Zum Schluss dachte ich über diese Angriffe nach. Gab es einen Zusammenhang zwischen der Zerstörung/ Diebstahl der Eier und die jetzigen Angriffe? Ich konnte es mir schwer vorstellen und die Tatsache, dass überall im Lande Drachenreiter angegriffen werden, unterstützte meine Idee zusätzlich. Dummerweise kam ich jedoch zu keinem Ergebnis.

Meine Gedanken waren immer noch dabei, das Rätsel zu lösen, als ich bemerkte, dass mich zwei Hüter in einer gewissen Entfernung verfolgten. Ich blieb stehen. Habe ich nun statt einen zwei Aufpasser? Der Gedanke daran beruhigte mich, denn die Angst wieder angegriffen zu werden, war tief in mir verankert. Bisher habe ich es immer so betrachtet, dass Personen getötet werden, aber mich dies nichts anging, da ich nicht in diese Welt gehörte. Nun war ich mir nicht mehr so sicher … wenn man mich einmal angegriffen hat, dann könnte man dies garantiert auch ein zweites Mal. Da war das Wissen beruhigend, dass zwei ausgebildete Drachenreiter auf mich aufpassten.

Vielleicht bist du aber auch nur ein Köter, sagte eine Stimme leise in mir und ich musste zugeben, dass etwas daran ist. Vorgestern habe ich lauschen können, wie die erste Hüterin meinte, dass man wieder versuchen könnte, mich zu töten, da ich vielleicht irgendetwas mitbekommen habe, um die restlichen Täter überführen zu können. Dass dumme daran war, dass ich mich an nichts anderes erinnern konnte, als nur an den einen Mann. Andere hatte es nicht gegeben.

Langsam ging ich wieder los. Ob man mich nochmal versuchen würde zu töten oder nicht, war etwas, dass ich nicht beeinflussen konnte. Naja … nicht ganz … ich konnte endlich anfangen mich an alle Regeln zu halten und es den Hütern nicht schwerer machen. Außerdem nahm ich mir vor, dass ich mehr im Kampftraining aufpassen wollte.

Als ich mein Zimmer erreichte, spürte ich, wie Mist etwas unruhig wurde. Ich strich über seinen Kopf und wunderte mich, woran dass liegen könnte. Aufmerksam sah ich mich im Gang um, doch außer den beiden Hütern, die mir folgten und den Hütern, die hier sowieso schon Wache hielten, stand niemand auf dem Flur.

»Was ist los, Kleiner«, flüsterte ich und Mist richtete sich auf meiner Schulter auf. Er rieb seinen Kopf an meine Haare und fiepte leise. Ich kraulte ihn unter dem Kinn. »Alles wird gut, Kleiner. Ich pass schon auf, dass dir nichts passieren wird.«

Dies war ernst gemeint. Nie wollte ich noch einmal diese Ungewissheit durchmachen, dass ich keine Ahnung hatte, was aus meinen Kleinen geworden ist. Es war furchtbar gewesen.

Ich versuchte ein erfreutes Gesicht aufzusetzen und trat dann in mein Zimmer. Kaum war ich drinnen, umarmte mich jemand. Dass ging so schnell, dass ich überhaupt nicht reagieren konnte und wegen der Wucht der Umarmung zwei Schritte zurücktaumelte.

»Rose … dem Licht sei dank«, murmelte Gwynna und ich spürte, dass sie weinte.

Plötzlich fühlte ich mich unwohl. Mir war bewusst gewesen, dass meine Mitbewohner mich akzeptierten und wir auch gewissermaßen Freunde waren. Dass die Freundschaft jedoch so eng war, war mir bisher nicht bewusst gewesen. Ich klopfte ihr unsicher auf dem Rücken und sah mich dann im Raum um. Auch Desa und Luana sahen erleichtert aus und hatten Tränen in den Augen. Ja, die Freundschaft musste wirklich tiefer sein, als ich gedacht hätte.

Gwynna löste die Umarmung und trat einige Schritte zurück. Dadurch konnte ich nun ganz eintreten und ich schloss die Tür hinter mich, wobei ich sah, dass meine beiden Aufpasser sich im Flur in der Nähe aufstellten. Ein wirklich beruhigender Gedanke.

Für einen Moment sah ich meine Mitbewohner an und suchte nach Worten. Was sollte ich sagen? Mist selber war wieder ruhiger geworden und kuschelte sich auf meine Schulter, wobei er leise beruhigend grollte.

»Hey Leute«, begann ich und setzte ein grinsen auf. Mir war klar, dass dieses grauenhaft aussehen musste. »Wie es aussieht, lebe ich noch … aber es heißt ja auch: Unkraut vergeht nicht!«

Gwynna sah mich beinahe fassungslos an, während die anderen so aussahen, als müssten sie ein Lachen unterdrücken. Ich sah die junge Elbin an.

»Wirklich, Gwynna. Es gehr mir gut. Ich …« Ich brach ab. Mir wurde immer deutlicher, dass diese Elbin große Angst gehabt haben musste. Angst davor, dass ich gestorben wäre. Ich seufzte. »Ist auch egal. Ich werde keinen Blödsinn mehr anstellen! Ganz im Gegenteil. Ab sofort werde ich mehr für den Unterricht machen … und wenn später wieder jemand versucht mir etwas anzutun, dann werde ich mich zu wehren wissen!«

Langsam nickte Gwynna und dann verschwand ihr besorgtes Gesicht. Sie legte ihren Kopf schräg und sah mich an. »Und wir werden dir helfen, Rose!«

Dankbar nickte ich und fragte mich für einen Augenblick, ob dies vielleicht doch keine allzu gute Idee gewesen war. Immerhin habe ich einige Zeit nicht am Unterricht teilnehmen können und musste nun alles wieder aufholen. Ich verzog mein Gesicht und wünschte mir für einen Augenblick, ich immer würde immer noch  im Krankenbett liegen.

 

Es war schwierig all den ganzen Stoff aufzuholen und auch wenn mir die anderen halfen, so geschah es oft, dass ich abends einfach nur frustriert war. Einige Fächer, die mich interessierten – was eigentlich nur Tränke und Erziehung und Haltung eines Drachen war – konnte ich relativ schnell aufarbeiten, doch bei anderen war es schwieriger. Ein Beispiel dafür war »Grundlagen des Fliegens«. Ich weigerte mich immer noch in die Nähe des Silberdrachen zu kommen und dabei lag es nicht mehr an die Angst vor ihm. Nein, es lag daran, dass ich dann immer an meine Höhenangst denken musste. Lange würde ich es nicht mehr geheim halten können.

Das noch schlimmere Beispiel jedoch war Grundlagen des magischen Formens und Magie der Elemente. Ich glaubte immer noch nicht daran, dass ich selber Magie wirken konnte. Gut, meine vorherige Ausrede, dass ich aus einer anderen Welt komme, galt nicht mehr, da ja höchstwahrscheinlich meine Ma von hier kam, aber dies überzeugte mich nicht. Der Gedanke, dass ich zaubern könnte, war einfach lächerlich. Seith Sheedas gefiel meine Einstellung ganz und gar nicht. Er wurde sehr schnell wütend und machte mir mehrfach deutlich, dass ich bei ihm durchfallen würde. Eine Drohung, die mich nicht im Geringsten beeindruckte und dies sagte ich ihn auch. Seine Reaktion war … vorhersehbar gewesen. Ich glaube nach unseren letzten Gespräch sind die letzten Hoffnungen, dass wir Freunde werden könnten, vollkommen verschwunden.

Seithà Kadlin, die Lehrerin für Magie der Elemente versuchte es auf einen verständnisvolleren Weg. Deswegen war ich auch nicht überrascht, als sie bei einer Stunde den anderen Schülern eine Aufgabe gab und mich beiseite nahm.

Innerlich wappnete ich mich gegen all ihre »logischen« Argumente und suchte schon Gegenargumente heraus.

»Rose«, begann sie und sah mich dann genauesten an. »Wir wollen heute mal etwas ganz anderes ausprobieren, damit du deinen Zugang zur Magie findest.«

Ich verschränkte meine Arme und sah die Frau selber genau an. Mir war klar, dass sie mir helfen wollte, doch im Hinterkopf war sie immer noch die Frau, die bei meiner »Entführung« dabei gewesen war. Keine gute Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit, doch mir war auch gleichzeitig bewusst, dass sie nichts dafür konnte. Es war nicht ihre Schuld gewesen, dass Mist mich auserwählt hatte.

Als Kadlin sah, dass mir dieser Gedanke nicht besonders behagte, seufzte sie leise.

»Rose. Es ist wichtig, dass du den Zugang findest. Die Magie ist hier allgegenwärtig und es könnte sein, dass du auf diese zurückgreifen musst, wenn du …« Sie brach ab und sah plötzlich so aus, als wäre es ihr unwohl weiterzusprechen. Mir war es nicht, denn ich wusste, was sie meinte.

»Wenn mich das nächste Mal wieder jemand töten will«, beendete ich den Satz und war sogar froh, dass meine Stimme fest klang. In den letzten sieben Tagen, die ich nun aus dem Krankenzimmer raus bin, hat es drei Vorfälle gegeben, die … unschlüssig waren. Einmal war eine Außenstatue vom Dach neben mir auf dem Boden gefallen und hatte mich nur knapp verfehlt. Ein anderes Mal war in meinem Essen etwas gewesen, was nicht dorthin gehörte und beim dritten Mal waren drei Pfeile aus dem Nichts erschienen und hatten mich aufspießen wollen. Zum Glück hatte eine Hüterin schnell genug reagiert und mich zur Seite gestoßen. Natürlich könnte man meinen, dass es Zufall war. Am Tag gingen hunderte Personen den Weg entlang, wo die Statue runtergefallen war und dass ich mir ausgerechnet dieses Steak ausgesucht habe, dass vergiftet gewesen war, konnte auch zufällig gewesen sein. Gut, bei den Pfeilen war es eher unwahrscheinlich, dass die jemanden anderen gegolten haben, denn diese haben genau auf mich gezielt und außer meinen beiden Aufpassern gab es niemanden, der noch im Gang gewesen war.

Ich sah meine Lehrerin an und zuckte dann mit den Schultern. »Es mag sein, dass Magie mir helfen könnte, aber dies wird nicht gehen. Ich kann keine anwenden!«

Der Blick in Kadlins Augen veränderte sich ein wenig. Ich glaube, es war Frustration, die in ihren Augen trat. »Rose! Jeder Drachenreiter, ob zukünftig oder noch in der Ausbildung ist in der Lage, Magie zu wirken. Dein Gefährte hätte dich nicht ausgesucht, wenn er nicht bei dir die Gabe gespürt hätte. Ihr würdet nicht zueinander gehören, wenn du keinen Funken Magie in dir hättest.«

Ich nickte, doch dieses nicken war eher ungeduldig. »Jaja … ich weiß, aber sie scheinen zu vergessen, dass ich nicht in der Lage bin, ihn zu hören? In meinen Gedanken. Dies ist doch etwas Magisches und wenn ich nicht einmal das kann, dann werde ich auch nichts anderen können. Ich weis nicht, wieso Mist mich ausgesucht hat – ich halte es immer noch für einen Fehler von seiner Seite – doch es kann nicht daran liegen, dass ich Magie besitze. Ich meine, dass hätte ich doch all die Jahre gemerkt, wenn ich zaubern könnte!«

Kadlin schüttelte den Kopf und setzte nun einen Blick auf, als würde sie einem kleinen Kind etwas geduldig erklären wollen. »Das ist nicht wahr. Es stimmt, dass du und dein Gefährte nicht miteinander kommunizieren könnt, doch ich bin mir sicher, sobald du deine Magie gefunden hast, wird auch dies möglich sein. Ich denke eher, dadurch, dass du in einer Magie-freien Welt aufgewachsen bist, hat sich deine Gabe nicht manifestiert, da es nicht notwendig gewesen war. Stattdessen hat sich eine Art Barriere darum geschlossen, welche durch deine Überzeugung, dass du keine Magie besitzt, verstärkt wird. Je mehr du dir einredest, dass du es nicht kannst, desto schwieriger wird es für dich werden! Du solltest offen für alles sein und dich nicht von vornherein verschließen. Kein Drache macht einen Fehler, wenn er jemanden erwählt. Du musst deine Zweifel im Griff bekommen.«

Ich schwieg daraufhin. Irgendwie waren ihre Worte ja schlüssig, doch ich konnte es einfach nicht irgendwie glauben. Es war nicht so, dass ich es nicht wollte. Ganz im Gegenteil, Magie wirken zu können, ist schon etwas Cooles.

»Rose. Lass es uns einfach nur noch einmal versuchen. Du hast doch nichts zu verlieren, oder? Wenn du es nicht versuchst, dann wirst du keine Magie wirken können. Doch wenn du allen eine Chance gibst, dann kannst du deine Magie finden. Sollte es nicht klappen, ändert sich doch für dich nichts.«

An diesen Worten war etwas dran. Sie hatte recht. Ich konnte nicht mehr verlieren, als es ohnehin schon war. Dennoch war ich skeptisch. Natürlich wäre es wundervoll, wenn sie recht hatte und ich wirklich die Magie der Elemente nutzen könnte. Vor allen, wenn mich wirklich jemand wieder direkt angreifen würde.

Ich nickte zögerlich und sah, dass Freude in den Augen von Kadlin trat. Sie schien in der Tat davon überzeugt zu sein, dass ich es schaffen könnte. Dann sollte ich ihr vielleicht doch eine Chance geben, es mir zu beweisen.

»Gut«, sagte Kadlin und nickte erfreut. »Als erstes möchte ich, dass du dich auf dem Boden setzt und dich vollkommen von allen Gedanken befreist. Ich möchte, dass du aufhörst darüber zu denken, was nicht möglich ist und deinen Geist leerst. Du darfst dich nicht an irgendwelche Gedanken festklammern. Öffnet dich der Möglichkeit!«

Ich sah die Frau skeptisch an, doch kam der Aufforderung nach. Ich setzte mich im Schneidersitz auf dem Boden und schloss die Augen. Meine Gedanken befreien? An nichts mehr denken? Wie sollte dies denn bitte schön möglich sein? Dass war doch überhaupt nicht machbar! Wenn ich daran denke, an nichts zu denken, denke ich doch. Und zwar daran, dass ich an nichts denken möchte. Also war dass doch so ein Kreislauf, dem man nicht entkommen konnte, oder etwas nicht? Ich öffnete die Augen wieder und sah die Frau an.

»Ich glaub nicht, dass ich das kann, Seithà«, sagte ich. »An nichts denken, ist doch nicht machbar.«

Kadlin seufzte.

»Du gibst dir nicht einmal Mühe, Rose. Es ist mir bewusst, dass es nicht einfach ist, doch um den ersten Zugang zu der Magie zu finden, musst du dich erst einmal öffnen. Dies kannst du nicht, wenn du voller Zweifel bist!« Sie hielt kurz inne und hob dann die Hand. »Warte kurz. Ich bin gleich zurück.«

Mit diesen Worten verschwand die Lehrerin aus meinem Blickfeld. Warte kurz. Als ob ich jetzt woanders hingehen würde oder könnte.  Jedoch dauerte es wirklich nicht lange und die Frau war wieder da. Sie hatte eine Schale aus Bronze dabei und stellte diese vor mir auf dem Boden.

Was sollte nun dies werden?

»Gut, Rose. Ich bitte dich abermals zu konzentrieren…ja genau so und nun möchte ich, dass du dich von all deinen Gefühlen frei macht«, sprach Seithà Kadlin, während ich zweifelnd auf die leere Schale blickte und mich sich innerlich fragte, ob sie gerade nicht zugehört hatte, als ich meine, dass ich mich nicht so einfach befreien könnte. Vor allen dann nicht, wenn ich daran denken musste, dass mich jemand töten wollte. Dies konnte ich doch nicht einfach vergessen.

»Lass dich von einer Leere erfüllen…spüre sie überall…und nun möchte ich, dass du dich auf die Schale konzentriert und in einen festen Punkt an eine Flamme denkst. Konzentrier dich auf die Schale und auf dem Punkt. … Jetzt nur auf dem Punkt. … Stell dir vor, dass dort ein Feuer wäre und lass es geschehen. Du musst es dir ganz genau vorstellen und alle Zweifel von dir allen. Denk nur an das Feuer und an nichts anderes. Du bist eins mit dem Feuer und kannst es befehligen. Dein Drache ist ein Feuerdrache und sein Element ist das Feuer! Das Feuer wird dir deswegen gehorchen. Du musst es nur zulassen, verstanden?«

Ich nickte und fragte mich immer mehr, was ich nun eigentlich genau machen sollte. Einfach den Punkt anstarrten und wünschen, dass dort eine Flamme erscheinen würde? Das war doch totaler Blödsinn. So etwas war einfach nicht machbar … Feuer entstand nicht aus dem Nichts, denn Feuer war doch Energie, oder? Und Energie erschien nicht einfach … soviel habe ich in Physik schon gelernt. Energie verschwand nicht und entstand auch nicht einfach … sie wurde nur umgewandelt und …

»Rose, du konzentrierst dich nicht genau. Du bist immer noch von Zweifel umgeben und dies darf nicht sein. Du musst dich genau konzentrieren und darfst dich nicht durch irgendwelche Gedanken ablenken lassen. Konzentration ist das sogenannte A und O…stelle dir vor, dass der Punkt eine Flamme ist … erst nur ein Funken, dann immer größer und größer…bist du zum Schluss ein komplettes Feuer hast.«

Ich fixierte genau den Mittelpunkt der Schale und stellte mir vor, dass dort eine große Flamme sein würde. Jedenfalls versuchte ich es, doch es passierte gar nicht, sodass meine Konzentration dabei war, wieder zu verschwinden. Langsam kam Wut in mir auf. Ich kam mir einfach dämlich vor. Wie sollte ich eine Flamme erzeugen, wenn ich den Punkt nur anblickte? Das war so widersinnig, dass ich beinahe wütend aufgeschrien hätte.

Brenn…Brenn…du sollest brennen!

Die Tatsache, dass ich keinerlei Gefühle einbringen sollte, vergaß ich nun vollkommen, da einfach nichts passierte. Auf der einen Seite freute ich mich, denn dies würde ja bedeuten, dass ich recht gehabt habe. Ich konnte keine Magie wirken und dies war der Beweis dafür. Doch auf der anderen Seite wollte ich nicht einfach versagen. Ich wollte zeigen, dass ich zu etwas nütze war und dass ich es wert war, dass Mist mich ausgesucht hatte.

Brenn endlich!!

Plötzlich durchzuckte mich ein seltsames Gefühl und es flammte auf. Allerdings nicht in der Feuerschale, sondern im ganze Raum!

Ich schrie erschrocken auf und wollte schon in Panik verfallen, als mit einem Mal das Feuer aus war und es keinerlei Anzeichen mehr für dieses gab. Ich blickte verwirrt zu Kadlin, auf deren Stirn hat sich ein dünner Schweißfilm gebildet. Sie schüttelte leicht den Kopf.

»Das war…«, fing sie an, doch brach dann wieder an, als sie mich anblickte. Mit zwei Sätzen war sie neben mir und legte ihre Hand auf meine Stirn. »Ist alles in Ordnung, Rose? Hast du Schmerzen? Schwindel? Übelkeit?« Sie war erstaunt, als ich den Kopf schüttelte. »Dir geht es gut?« Ein Stirnrunzeln zeigte ihr Unglauben. »Naja…das ist gut…das ist gut…das…« Plötzlich hielt sie inne und rannte zur Tür, welche sie mit einen Rück aufriss. Der ganze Gang stand in Flammen!

Kadlin wechselte ihren Blick zwischen den Feuer und mir. Sie schien nicht so recht wissen, was sie davon halten sollte. Dann schloss sie die Augen und wenig später waren alle Flammen eingegangen und zurück blieb nur der schwarze Ruß an den Wänden. Sie schüttelte wieder den Kopf und wandte sich dann an die anderen Schüler, die mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrten. Einige sahen schockiert auf, einige ängstlich und einige wütend.

»Tut mir Leid«, sagte ich und Kadlin drehte sich zu mir herum. »Ich wollte das nicht…ich…«

Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. War ich das wirklich gewesen? Habe ich ein Feuer erzeugt, nur weil ich daran gedacht habe? Dass war so irrsinnig und beängstigend, dass ich zu zittern anfing. Dass war einfach nicht natürlich. Fast flehend sah ich zu der Lehrerin und hoffte, dass sie mir sagen würde, dass ich es nicht gewesen war. Dass es wieder ein Angriff von den Schwarzen Flammen war und diese dafür verantwortlich waren.

»Du musst dich nicht entschuldigen«, sagte Kadlin und sah sich dann wieder im Raum um. Erst  jetzt wurde mir bewusst, dass im Raum nichts angebrannt ist. Ich konnte keinen Ruß erkennen und auch die anderen Schüler schienen unverletzt zu sein. Wie war das möglich? Dann erinnerte ich mich daran, was die Lehrerin zur allerersten Stunde gesagt hat. Dass dieser Raum hier einen Schutzzauber besaß, der dafür sorgte, dass wenn Unfälle passieren, niemand  verletzt werden würde. Damals hatte ich nicht daran geglaubt, doch jetzt war ich mir ziemlich sicher, dass eine andere Magie den der Flammen entgegen gewirkt hatte.

Kadlin sah wieder zu mir und ihr Blick gefiel mir irgendwie nicht. Sie sah mich so an, als würde sie tief in mein Inneres blicken und wandte dann ihren Blick zu Mist, welcher regungslos auf meiner Schulter saß. Die ganze Zeit über hatte er nichts gemacht. Er war reglos und still gewesen.

Mit wenigen Worten schickte Kadlin die anderen Schüler weg und als wir nur noch alleine im Raum waren, sah sie mich abermals an. Wieder der stechende Blick, als wollte sie die Wahrheit ans Licht holen. Ich schluckte und war mir ziemlich sicher, dass ich dieses Mal einen großen Fehler gemacht habe. Ein verdamm großen Fehler.

»Rose.« Ihre Stimme klang zögerlich und sah dann wieder zu Mist, ehe sie mir in die Augen blickte. »Du hast nie vorher Magier angewendet? Wirklich nicht?« Ich schüttelte den Kopf, doch dies schien sie nicht zu beruhigen. »Denk nach, Rose. Denk ganz genau nach!«

Diese Worte verunsicherten mich und ich bejahte ihre Frage abermals. Ich habe nie in meinen Leben Magie gewirkt und dies wusste ich auch. Ich konnte keine Zauberei wirken … naja … bis jetzt jedenfalls nicht.

Kadlin tippte mit ihren Zeigefinger auf ihre Lippen und betrachtete mich weiterhin, ehe sie dann seufzte.

»Ich habe mit Absicht das Element Feuer gewählt, weil du deinen Feuerdrachen besitzt. Jede Drachenart ist einem Element ganz besonders zugetan und so ist für einen Feuerdrachen das Element Feuer das natürlichste. Genauso natürlich, wie ein Gefährte eines Wasserdrachen das Element Wasser viel besser manipulieren kann, als andere Elemente. Dass es jedoch zu einer so großen Reaktion gekommen ist … Feuer scheint wirklich dein Element zu sein und deine Kräfte in diesen sind nicht schwach.« Sie hielt inne und sah abermals zu Mist. »Meisten korreliert die Kraft mit dem des Drachen. Dies bedeutet, dass Mist ein mächtiger Feuerdrache ist  und …«

Ich hörte der Frau zu und versucht aufmerksam zu sein, doch während sie sprach, verspürte ich eine große Müdigkeit. Ich versuchte mich dagegen aufzulehnen, doch dies war schwierig. Ihre Worte drangen nur noch leise an meine Ohren und dann, ohne, dass ich etwas dagegen unternehmen konnte, glitt ich in einem Schlaf.

 

Es war ein dunkler Raum, der kaum erhellt wurde und dennoch konnte man die schattenhaften Figuren Umrisse unzähliger Statuen erkennen. Es gab hunderte, wenn nicht sogar tausende, die sich in hier und in den angrenzenden Räumen befanden. Statuen, die Männer, Frauen und Kinder zeigten. Männer, die wie Soldaten gekleidet waren, oder einfache Sachen eines Bauern trugen. Frauen, die Priestergewänder anhatten, oder Mägde waren. Kinder, die prächtig angezogen waren, oder nur einfach Lumpen trugen. Riesige Hengste, schlanke Wölfe, ausgebreitete Adler und geduckte Hunde konnte man sehen. Selbst magische Wesen, die als die mächtigen galten, waren zu erkennen: Drachen, Greife, Mantikoren und Kreaturen, deren Namen in Laufe der Zeit vergessen wurden. Da diese Statuen reglos waren und eine kälte ausstießen, befiel einen schnell ein unheimliches Gefühl.

Inmitten der Figuren konnte man die Gestalt einer Frau in weiten Gewändern erkennen, an deren Brust und Rücken jeweils eine Flamme befestigt war. Sie trug eine Maske, die die eine Hälfte des Gesichts verdeckte und langes Haar wedelte um diesen. Sie stand inmitten eines Feuers, dass nicht rötlich sondern bläulich schien.

»Hilf mir…hilf mir…Draconi….«

Leise und gequält drangen die Worte zu ihr hinüber als sie die Frau erblickt hatte und begann auf diese zu rennen. Sie schenkte der Umgebung keinerlei Beachtung und somit merkte sie nicht, wie sich hinter ihr ein riesiger Schatten bildete. Sie schenkte ihre Aufmerksamkeit ganz allein der Frau, die ihre Hilfe zu brauchen schien, aber immer noch weit entfernt war.

»Hilf mir, Oh Draconi, hilf mir…«

Plötzlich spürte sie, wie etwas an ihr zehrte, so als würde man sie zurückziehen und Panik kam in ihr auf. Sie konnte immer noch die Frau sehen, doch die Worte wurden immer schwächer und kurz darauf verstummten sie. Ihre Angst um die Frau wurde immer größer und sie zehrte gegen die unsichtbaren Fesseln. Sie wollte sich unbedingt losreißen, wollte den harten Griff entkommen und endlich zu der Unbekannten kommen, doch je härter sie sich wand, desto fester wurde der Griff.

»Nein!«

Ein ohrenbetäubender voller Qualen enthaltener Schrei hallte zwischen den Statuen und dann gab es nur noch Stille. Das einzige, was sie vernahm, war ihr eigener Atmen und dann schien die Zeit stillzustehen, als ihr diese Tatsache vollends in Gedächtnis kam. Sie schrie wie ein verletztes Tier auf, stemmte sich gegen die Barriere und dann durchbrach sie sie mit einem lauten Schrei. Sie stolperte einige Schritte, ehe sie inne hielt und sich umsah. Nichts ließ sie erkennen, was sie so festgehalten hatte und konnte sie auch kein Lebenszeichen der Frau erhaschen. 

»Bitte nicht…bitte nicht…«

 

»Bitte nicht«, murmelte ich und spürte, wie jemand an meiner Schulter rüttelte. Es war nervig und störte mich in meinen Schlaf. Ich versuchte es zu ignorieren, doch dies war nicht möglich, denn abermals rüttelte mich jemand. Dies Mal intensiver.

»Rose!«

Träge öffnete ich die Augen und sah in das Gesicht von Seithà Kadlin. Für einen Augenblick war ich verwirrt, doch dann wurde mir bewusst, dass ich abermals geträumt hatte. Als ich mich daran erinnerte, wurde es mir eiskalt. Wieder dieser Traum von dieser Frau, die in Flammen stand. In ein Feuer, dass irgendwie kalt aussah.

Das Kalte Feuer.

Nun war ich mir sehr sicher, dass es sich um das Kalte Feuer handeln musste. Ich wusste nicht wieso, aber diese Frau stand im Zusammenhang mit diesem Feuer und somit auch mit den Angriffen.

»Rose? Ist alles in Ordnung?«

Ich sah Kadlin an. Sie sah besorgt aus. Ich nickte.

»Ja…ich … ich war auf einmal so müde«, sagte ich und wurde rot. Konnte es schlimmeres geben, als einzuschlafen, während jemand etwas erzählte? Doch Kadlin schien nicht wütend zu sein, sondern nickte nur. Verständnis stand plötzlich in ihren Augen.

»Das ist verständlich«, sagte sie. »Du hast heute das erste Mal die Magie der Elemente genutzt. Da ist es kein Wunder, dass dein Körper erschöpft ist. Am besten gehst du auf dein Zimmer und ruhst dich aus. Ich werde den anderen Lehrern Bescheid sagen, dass du nicht kommen wirst.« Sie sah mich lächelnd an. »So wie es aussieht, hattest du unrecht, Rose. Du kannst Magie wirken, wenn du es wirklich willst.«

Ich nickte und erhob mich. In der Tat fühle ich mich erschöpft und irgendwie war es gut, dass ich die Schuld das Magiewirken geben konnte. Ich ging zu meinen Tisch, wo noch meine Sachen lagen und sammelte diese ein. Ehe ich jedoch gehen konnte, hielt mir Kadlin ein Buch hin.

Das Element Feuer und seine Besonderheiten.

Ich hob eine Augenbraue, als ich den Titel las und sah dann die Lehrerin an.

»Ich möchte, dass du dieses Buch liest, wenn du Zeit hast«, sagte sie und gab es mir. »Dort steht alles Wichtigste über die Magie des Feuers drin. Du bist sehr stark in diesen Element … es wird dir helfen, dich zurechtzufinden.«

Ich nickte, doch war nicht erfreut. Ein weiteres Buch, das ich lesen sollte. Dabei war ich nicht einmal weit mit 200 Fakten über Drachen und dieses Buch hatte ich schon über sechs Wochen.

Später, als ich in meinen Zimmer zurück war, legte ich mich auf das Bett. Ich war wirklich müde und froh, zu keinen weiteren Unterricht gehen zu müssen. Doch der Gedanke, dass ich den Stoff später nachholen musste, war nicht besonders erfreuend. Als ich im Bett lag, kletterte Mist auf meinen Schreibtisch und fiepte auffordernd, während er seine Vorderbeine auf das Buch legte, dass mir Kadlin gegeben hatte.

»Was soll das, Mist? Ich werde jetzt nicht lesen!«

Entweder schien Mist diese Worte nicht zu hören, oder aber er ignorierte sie. Abermals fiepte er und es klangt lauter und fordernder. Missmutig erhob ich mich vom Bett und nahm dass Buch in die Hand. Der Einband sah schön aus: Er bestand aus rotem Leder und war mit Gold verziert. In der Mitte war eine große goldene Flamme und darüber stand der Titel. Unter dem Feuer waren andere Zeichen und ich erkannte das Symbol der Alten Sprache und auch die elbische Rune für Feuer.  Ich sah wieder zu Mist, welcher auffordernd zurücksah. Ich seufzte.

»Na gut … du hast gewonnen«, sagte ich und setzte mich auf das Bett. Vorsichtig öffnete ich das Buch und sah mir das Inhaltsverzeichnis an. Bei einer Zeile stockte ich und ich sah zu Mist, der nun belustig fiepte. Ein Unterkapitel dieses Buches hieß: Die Legende des Kalten Feuers.

Ohne weiter darüber nachzudenken, blätterte ich das Buch zu der gewünschten Stelle und begann zu lesen:

 

Die Legende des Kalten Feuers

 

In folgenden wird eine Version der Legende um die Entstehung des Kalten Feuers wiedergegeben. Dabei ist zu beachten, dass es unzählige Varianten gib und niemand sagen kann, welche der Wahrheit entspricht. Ebenfalls handelt es sich hier um eine gekürzte Variante.

 

I

Die Burg ragte aus dem Berg wie ein Denkmal in einer stürmischen Nacht. Dunkel war der Himmel – so wie auch die Gemäuer der Burg. Sie wirkte verlassen und halb verfallen. Vereinzelte Ratten huschten über den Hof, doch nur wenige erreichten die Mauern, denn Blitze trafen ein und verkohlten sie. Ein hohen Quicken und dann war es ruhig. Ein Falke saß auf einem nahe liegenden Baum und er hatte seine Bernsteinfarbende Augen auf die einzige Straße gerichtet, die zur Burg führte.

Ein Reiter, der auf einem schwarzen Pferd saß, galoppierte ohne auf den Vogel zu achten an dem Baum vorbei und hielt direkt auf das Gebäude zu. Er trug einen schwarzen weiten Umhang – er war mit silbernen Metallornamenten verziert – und seine anderen Kleider waren auch dunkel, mit einem Stich von roter Farbe. Sein Gesicht war glatt, weiß und hatte eine Narbe, die vom rechten Ohr zum linken führte – seine Nase war mehrmals gebrochen. In seinen Augen, die blutrot waren, schimmerte aufkommender Wahnsinn. An seiner rechten Seite des Gürtels trug er ein langes Schwert, das aus drei Zacken bestand anstatt die eigentliche Klinge.  An der linken Seite eine Peitsche, die mit  Metall beschlagen war und rot leuchtete.

Der Falke schrie kurz auf, schwang sich in die Luft und flog davon.

Es dauerte eine halbe Stunde, ehe der Reiter im schnellen Tempo das Burgtor durchquerte und dann absaß. Seine Augen hatten nun die restliche Vernunft verloren. Er ließ sein Pferd einfach stehen und rannte mit wehendem Umhang ins Innere der Burg.

Der Mond wurde nun von einer dunklen Wolke überdeckt, sodass nichts – aber auch gar nichts zu erkennen war.

 

II

Ein Mann, dessen Alter schwer zu erkennen war, rannte von einer Ecke in seinen Zimmer zur anderen. Rasch suchte er wichtige Dinge zusammen, doch war er nicht in der Lage alles zu finden, was er suchte. Mit einem Fluch auf den Lippen, packte er alles, was er fand, in eine Truhe, die vor langer Zeit von den Zwergen geschaffen wurde.

Hastige Schritte ertönten von außen und er drehte sich mehrfach um die eigene Achse. Schweiß hatte sich auf sein Gesicht gebildet und er japste nach Luft.

Ohne zu achten, was er nun ergriff, riss er die Dinge von den Halterungen und schmiss sie in das Feuer des Kamins. Mit einer beruhigten Genugtuung sah er zu, wie diese Gegenstände im Feuer aufgingen. Dann drehte er sich um und...

....RUMMS....

 

III

Der Reiter hatte nun die Welt des Verstandes vollends verlassen und rannte leise aufjaulend den Gang entlang, wo er dann vor einer großen mächtigen Eichentür stehen blieb. Diese waren mit seltsamen Symbolen geschmückt, die immer wieder anfingen aufzuleuchten. Er stieß gegen die Tür, doch sie hielt stand. Nur ein leises –Rumms – gab sie von sich.

»Verdammt!«

Er schrie laut auf und warf sich wieder gegen die Tür. Er schrie und fluchte. Dann gab die Tür ein wenig nach und er trat noch mal gegen sie. Sie gab mehr nach. Nach dreimal Treten war sie endlich offen.

Er trat in das Zimmer, sah einen Kamin, eine Truhe und seine Augen wanderten suchend umher. Dann trat er zum Tisch, beugte sich über diesen und hörte etwas hinter sich. – Schritte! Er wirbelte um sich.

»Du kommst zu spät, Gorzagh!«

Es gab einen lauten Knall, viel Licht und dann war der Platz, wo vorher sich der Mann befunden hatte, leer. Nur Gorzagh blieb übrig und dieser schrie wieder laut auf. Er rammte sein Schwert in den Tisch, zerstörte alles in seiner Wut, zog seine Waffe wieder raus und verließ den Ort.

 

IV

Der Mann war tot, doch nachdem das Ungetüm die Burg wieder verlassen hatte, blitzte es kurz auf und dort wo vorher der Mann sich befunden hatte, erschien eine Flamme. Sie war anders als alles Feuer, das bis dahin bekannt war. Es war ein Feuer, das kalt war.

Kurz darauf traten zwei Personen in dem Raum. Eine Frau und ein Mann. Es waren die Zwillinge Kalaran und Kalena. Diese blickten auf das Feuer und große Trauer erschien auf ihrem Gesicht.

»Keloron«, flüsterte der Mann und trat zu dem Feuer. Er hielt seine Hand hinein. »Was hast du getan, Bruder?«

Der Mann und die Frau nahmen das Feuer zu sich, damit es nicht in die Hände des Bösen gelangen würde. Denn dieses Feuer war mächtig. Es war das Erbe von Keloron.

Nachdem beide die Burg verlassen hatten, verschwand das Kalte Feuer von dieser Welt. Doch es hieß, dass es eines Tages wieder erscheinen würde und wenn es erscheint, dann würde der große Kampf zwischen dem Licht und der Dunkelheit wieder entflammt werden. Ein Krieg, der schon zwischen Gorzagh und Keloron gewütet hatte.

 

Schweigend starrte ich auf die Worte. Das war … das war irgendwie interessant und auch beängstigend. Das Kalte Feuer war eine Person gewesen? Eine Person, die Keloron hieß und gegen einen gewissen Gorzagh gekämpft hatte? Wer war Keloron? Oder Gorzagh? Oder die Zwillinge Kalaran und Kalena?

Die Hoffnung, endlich eine zufriedenstellende Antwort zu bekommen, wenn ich das Kapitel gelesen hätte, verschwand. Stattdessen waren nun noch mehr Fragen aufgetaucht. Doch einige waren auch beantwortet: Das Kalte Feuer war mächtig und würde einen Krieg entfachen. Einen, der zwischen Licht und Dunkelheit sein würde. Kein Wunder, dass die Schwarzen Flammen, die meiner Meinung nach, nicht zum Licht gehörten, dieses Feuer haben wollte. Wahrscheinlich würde die Seite gewinnen, die das Feuer besaß.

Doch war dies alles wahr? Immerhin stand da selber, dass es sich um eine Legende handelte. Personen konnten doch nicht einfach zu Feuer werden, oder? Gut, sie konnten verbrennen, doch irgendwie klang es danach, dass das Feuer … diese Flamme einfach existierte, ohne irgendetwas zu verbrennen.

Ich dachte an meinen Traum. Was hatte diese Frau dort mit dem Feuer zu tun? War sie für das Licht oder für die Dunkelheit? Und warum rief sie meinen Namen?

»Ach Mist«, flüsterte ich und sah ihn an. »Warum muss alles so kompliziert sein?«

Er fiepte leise und sein Schwanz zuckte. Ansonsten gab er keine Antwort.

»War ja klar, Kleiner … du weist es auch nicht.«

Ich schloss das Buch und legte mich aufs Bett. Vielleicht hing alles zusammen? Dass Mist mich erwählt hatte, dass ich diese Träume hatte und wie es aussah auch eine besondere Kraft in Feuer. Der Gedanke daran war erschreckend, denn ich wollte nicht in irgendeinen Krieg verwickelt werden. Ich wollte einfach in Frieden bei meiner Familie leben.

Ich schloss meine Augen. Dass dies nicht mehr möglich war, wurde mir nun noch deutlicher bewusst.

 

14. Kapitel

»Kalaran und Kalena?« Gwynn sah mich überrascht an. Vor gerade mal einer Minute hatte ich beschlossen, direkter nachzufragen, wer diese Personen waren, die in dieser Legende vorkamen. Weil ich jedoch unsicher war, wie die Lehrer darauf reagieren würden, hatte ich meine Mitbewohnerin gefragt.

»Ja. Weist du, wer die sind?«

»Sicher … das sind die Götterzwillinge, welche für Wissen und Weisheit stehen. Der Gott Kalaran steht für Wissen und seine Schwester Kalena für Weisheit. Allgemein heißt es, dass sie von allen Göttern die jüngsten sind«, antwortete Gwynn.

Ich seufzte. Götter? Dies war wieder etwas, woran ich ja nun überhaupt nicht glaubte. Zwar hatte ich schon mitbekommen, dass die Leute hier eine Reihe von Göttern anbeteten, doch genau hatte ich noch nie nachgefragt.

»Und gibt es noch andere Götter?«

Zuerst sah mit Gwynn an, als wäre ich verrückt, doch dann trat ihr allzeit bekannter mitleidiger Ausdruck in den Augen. Wahrscheinlich erinnerte sie sich gerade daran, dass ich ja nicht von hier kam und keine Ahnung von etwas hatte. Dies war zwar nicht besonders toll, es immer als Ausrede zu benutzen, aber so konnte ich nach Dingen fragen, die hier normalerweise alltäglich waren.

»Ja …unzählige. Jetzt alle aufzuzählen würde nicht besonders viel bringen, doch einige kann ich dir nennen. Die Götter, die vor allen für die Drachenreiter wichtig sind«, sagte die Elbin und setzte sich auf ihren Bett. Wir, dass hieß Gwynna und ich, waren gerade alleine im Zimmer, weil Desa und Luana für einen Aufsatz in der Bibliothek recherchierten. Einen Aufsatz, den Gwynna schon längst fertig hatte und den ich immer noch schreiben musste. Etwas, worauf ich mich überhaupt nicht freute und ich deswegen immer weiter vor mir herschob.

»Na gut … zum einen haben wir  den Gott Ileseùr«, begann sie und streckte ihren rechten Daumen aus. »Er ist der Gott der Magie und wird von all dem Drachenreiter verehrt, die letztendlich den Weg der Magie beschreiten werden. Dann gibt es noch die Göttin Nyritha, welche für das Leben steht und deswegen vor allen von den Heilern geliebt wird. Es heißt, sie sei sehr verständnisvoll und liebt jedes Lebewesen auf der Erde. Danach gibt es noch die Göttin Eriona, welche vor allen von den Drachenwächtern angepriesen wird. Sie ist die Herrin des Krieges und des Kampfes. Aus diesem Grund wird sie auch von den Hütern gemocht, doch neben Eriona verehren sie aber auch noch die Göttin Aleyn, welche für Sieg und Frieden steht. Allgemein für die Drachenreiter ist Eriond wichtigt, denn er ist der Schutzherr der Drachen und deswegen hält er auch seine schützende Hand über uns. All die genannten Götter und noch einige andere stehen hinter dem mächtigsten Gott, Elar, dessen Name auch gleich für das Licht steht. Er ist das Gute und sorgt dafür, dass die Finsterniss, welche von seinen Bruder Drakath vertreten wird, nicht allzu mächtig wird.« Gwynna hielt kurz inne und nickte dann. »Ja…das sind erst einmal die wichtigsten Götter. Aber wie gesagt, gibt es noch unzählige andere, doch da kenne selbst ich nicht alle, die existieren.«

Ich starrte Gwynna an. Mir reichte jetzt schon die Anzahl von Götter, die es gab und nun wollte sie mir sagen, dass es noch wesentlich mehr existierten? Die Hoffnung, dass sie auch Keloron erwähnen würde, aus dem ja das Feuer geworden ist, hat sich leider nicht erfüllt. Was bedeutete dies? Dass dieser Gott nicht allzu mächtig war oder dass er in Vergessenheit geraden war? Ich vermutete letzteres, denn so wie es aussah wollten ja die Lehrer nicht, dass man vom Kalten Feuer erfuhr … naja … dass man nicht erfuhr, dass die Mörder hinter diesen Flammen her waren.

Ich setzte mich auf mein eigenes Bett und dachte über die Worte von Gwynna nach. »Was meinst du mit dem Weg der Magie zu beschreiten? Ich dachte, dass alle Drachenreiter Magie ausüben können?«

»Das stimmt schon, Rose. Aber wenn wir im vorletzten Ausbildungsjahr sind, dass heißt im siebten Halbjahr, müssen wir uns endscheiden, ob wir den Weg des Kampfes, der Magie oder des Lebens gehen werden. Dadurch bekommen wir spezielle Fächer, die andere nicht haben werden. Der Weg des Kampfes ist für alle Drachenreiter, die entweder Wächter oder Soldaten werden wollen. Der der Magie ist für alle Magier und der des Lebens kennzeichnet die Heiler.«

Nickend gab ich zu verstehen, dass ich es mehr oder weniger verstanden habe. Kurzzeitig kam deswegen in mir die Frage auf, welchen Weg ich gehen sollte, doch dann schob ich diesen Gedanken beiseite. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, darüber nachzudenken. Wer weis, ob ich dann noch hier wäre.

»Hmm…hast du etwas über einen gewissen Keloron gehört? Ich glaube ich habe irgendwo gelesen, dass er etwas mit diesen Götterzwillingen zu tun haben sollte?«

Gwynna tippte ihren Zeigefinger fragend an die Lippen und dachte nach, ehe sie den Kopf schüttelte. »Nein, aber es heißt in manchen Legenden, dass  die beiden Verwandte haben sollen, die verloren sind. Was damit jedoch gemeint ist, kann ich nicht sagen.«

»Und Gorzagh?«

»Der Name sagt mir auch nichts. Aber wie schon erwähnt, kenne ich mich nicht bei allen Göttern gut aus. Es kann also gut sein, dass er und dieser Keloron auch Götter sind. Wenn den so ist, solltest du vielleicht in der Bibliothek nachschauen … dort wirst du sicher Antworten finden.« Dann sah mich Gwynna genau an und ihr Ausdruck wurde ernst. »Du solltest sowieso in die Bibliothek gehen und endlich etwas für deinen Aufsatz heraussuchen. Lange wirst du es nicht mehr vor dir herschieben können und du weist, dass du dann Ärger bekommen wirst.«

Ich versuchte meine scharfe Erwiderung runterzuschlucken und nickte stattdessen nur. Irgendwie hatte sich Gwynna zur Aufgabe gemacht, darauf aufzupassen, dass ich ja auch alle Hausaufgaben erledige. Auf der einen Seite fand ich es sehr nett von ihr, doch auf der anderen Seite, war es einfach nur lästig. Konnte sie mich nicht mit dieser Sache in Frieden lassen?

Ich erhob mich vom Bett und streckte meinen Arm zum Tisch aus. Mist lag auf diesen und hatte geschlafen, doch kaum hatte ich die Tischkante berührt, wachte er auf und kletterte auf meine Schulter, wo er dort wieder seinen Kopf zwischen die Vorderpfoten nahm und weiterschlief.

Was für ein Faulpelz!

»Nun gut … ich geh dann mal in die Bibliothek«, sagte ich und sah, wie Gwynna zufrieden blickte. Dass ich jedoch dorthin ging, um mehr über das Kalte Feuer und die Götter herausfinden, sagte ich ihr nicht. Sollte sie ruhig glauben, dass ich fleißig an einem Aufsatz arbeite.

Ich verließ mein Zimmer und nahm nur noch am Rande war, dass mich wieder zwei Hüter verfolgten. Ich war froh darüber, denn dies vermittelte mir ein Gefühl der Sicherheit. In den letzten Tagen waren die Anschläge weniger geworden, doch gerade wenn ich dachte, dass nun nichts mehr kommen würde, geschah etwas Neues. Irgendjemand wollte mich unbedingt tot sehen und dies ging mir gewaltig gegen den Strich! Kurz bevor ich mein Ziel erreichte, rief mich eine Stimme zurück.

»Rose?«

Ich hielt inne und verzog das Gesicht. Jedoch nicht lange und setzte dafür eine neutrale Miene auf, ehe ich mich umdrehte. Wie schon bei der Stimme erwartet, kam Seithà Naliane auf mich zu. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, was sie von mir wollte, denn dass Schuljahr lief nun schon knapp neun Wochen und ich habe nicht ein einziges Mal beim »Grundlagen des Fliegens« mitgemacht. Sicher, ich habe irgendwelche schriftliche Aufgaben erfüllt, doch war nie praktisch dabei gewesen. Und ich würde es auch nie sein!

»Ja, Seithà Naliane«, sagte ich und hoffte, dass das Gespräch mit ihr nicht allzu lange dauern würde.

»Rose … wir müssen miteinander reden«, begann Naliane und sah mich dabei ernst an. So ernst, dass mir klar wurde, dass ich dieses eine Mal nicht so einfach davon kommen würde. »Rose, wann gedenkst du zum praktischen Unterricht zu kommen?«

Die Frage war ruhig gestellt und nicht fordernd oder wütend. Die Lehrerin dachte, dass ich noch zu viel Angst vor Flay hatte, ihren Drachen und deswegen nicht zum Unterricht komme. Sie war demgegenüber sehr verständnisvoll, doch etwas an ihr sagte mir, dass dies nicht ewig so sein würde. Auf diese Frage gab ich keine Antwort, denn wenn es nach mir ginge, würde ich nie zum Unterricht kommen.

Nach kurzem Schweigen seufzte die Lehrerin. »Ich weis ja, dass du Angst vor Flay hast, aber ich versichere dir, dass er dir nichts tun wird.« Sie hielt inne, ehe sie weitersprach. »Du musst langsam anfangen die Grundlagen des Fliegens auch praktisch zu lernen, Rose. Das ist sehr wichtig. Ich bin bereit in dieser Hinsicht auch eine Ausnahme zu machen. Du hast Angst vor Flay … ich weis nicht wieso, doch ich werde dich in dieser Hinsicht nicht drängen. Nun jedoch ist es so, dass du das fliegen lernen musst.« Abermals hielt sie kurz inne und sah mich genauesten an. »Ich habe mit Salà Pandeia gesprochen. So wie ich mitbekommen habe, hast du keine Angst vor Allanar. Deswegen hat sie zugestimmt, dass du auch auf ihm üben kannst. Auch Allanar wäre damit einverstanden.«

Ich starrte die Lehrerin an und musste gegen eine Panik im Inneren kämpfen. So hatte ich es mir nicht vorgestellt! Ich war froh darüber gewesen, dass ich meine Angst vor Flay als Ausrede nutzen konnte und nun soll ich statt Flay auf Allanar fliegen? Ich wich einige Schritte zurück. Was mich bisher davon abhielt, auf einem Drachen zu klettern war nicht die Angst vor diesen Tieren, sondern meine verdammte Höhenangst. Ich konnte und wollte nicht einfach auf einem Drachen reiten!

Da mich Naliane erwartungsvoll ansah, wurde mir bewusst, dass sie glaubte, mir einen Gefallen getan zu haben. Ich schüttelte den Kopf.

»Rose … du kannst nicht ewig davon weglaufen. Ich kann dich nicht dieses Halbjahr durchbringen, wenn du nicht wenigsten einmal auf einen Drachen gesessen hast. Du möchtest doch nicht, dass ich dich durchfallen lassen muss, oder? Und ich möchte dies auch nicht!«

Langsam stieg die Panik, die ich immer bei dem Gedanken an zu großer Höhe hatte, in mir auf und ich wurde unruhig. Dies schien Mist zu merken, denn er erhob sich auf meiner Schulter und drückte seinen Kopf beruhigend gegen meinen.  Dabei grollte er leise.

Abermals schüttelte ich den Kopf. »Das … das kann ich nicht …«

Naliane seufzte und sah plötzlich müde aus. »Rose. Ich versichere dir und Salà Pandeia ebenfalls, dass dir nichts passieren wird. Niemand wird dich angreifen oder fressen oder …«

»Ich kann es nicht, weil ich Höhenangst habe«, schrie ich auf einmal und fühlte mich danach irgendwie erleichtert. Es tat gut, endlich die Wahrheit ausgesprochen zu haben und meine Panik legte sich ein wenig.

Naliane starrte mich ungläubig an. Sie schien wohl mit allem gerechnet zu haben, doch nicht damit. Ich kann es ihr auch nicht einmal übelnehmen, denn mir war klar, dass Drachenreiter keine Höhenangst haben durften. Doch was konnte ich schon dagegen tun.

»Ich habe Höhenangst und werde nie – aber auch nie – auf einen Drachen klettern, geschweige denn reiten …«

Heftig unterdrückte ich ein Aufschluchzen. Das würde mir noch fehlen, wenn ich anfangen würde, in Tränen auszubrechen.

»Verstehe«, sagte Naliane sehr langsam und sah mich plötzlich mit einem ganz anderen Blick an. Er war nicht abschätzend oder verächtlich, stattdessen nachdenklich und teilweise auch verstehend.

Mist hatte sich an meiner Schulter gekuschelt und sein ganzer Körper vibrierte und irgendwie schien dies ich auch zu beruhigen. Langsam verebbte meine Panik und zurück blieb nur das Gefühl versagt zu haben.

»Nun Rose, dass würde einiges erklären, aber warum hast du dies nicht eher gesagt«, fragte Naliane und hielt immer noch ihren Blick auf mich gerichtet. »Du hast doch keine Angst gehabt, dass wir dich deswegen verstoßen würden, oder? Dies macht es zwar schwieriger, doch es gab schon ein paar Drachenreiter, die zu Beginn Höhenangst hatten, doch diese dann überwunden haben. Es ist also möglich und wenn ich dies vorher gewusst hätte, dann hätte ich schon viel eher darauf reagieren können.« Sie legte den Kopf schräg. »Was ist mit Flay … hast du wirklich Angst vor ihm oder ist es eher deine Höhenangst, die dich von ihm fernhält?«

Eine gute Frage! Mir war in den letzten Wochen bewusst geworden, dass ich keine Angst vor den Drachen haben musste. Dass sie mich nicht fressen würden. Auch konnte ich im Nachhinein nicht genau sagen, was mich wirklich damals in Panik hat verfallen lassen. War es der Silberdrache gewesen, oder der Gedanke daran, dass ich fliegen müsste?

Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung … ich …« Ich brach ab. Es war wirklich zum heulen, wenn man sich nicht sicher über die eigenen Gefühle war. Verstohlen blickte ich zur Seite, wo etwas entfernt die beiden Hüter standen. Diese mussten das Gespräch mitbekommen haben, doch wenn es so war, dass ließen sie es sich nicht anmerken.

Ein Drachenreiter der Angst vor Drachen in ihrer wahren Form und dazu noch Höhenangst hat. Hat dies denn schon mal gegeben? Wahrscheinlich nicht.

»Ich weis, dass er mich nicht fressen würde, aber … es ist schwierig zu erklären …« Flay war der Drache gewesen, wo mir bewusst geworden war, dass Drachen Raubtiere und wesentlich größer waren als ich gedacht hatte. Wo mir klar wurde, dass Drachen am Ende der Nahrungskette standen und wir nur ein Happen für sie wären. Dies jedoch war nicht seine Schuld … es hätte ja auch bei einem anderen Drachen geschehen können. »Ich will ja keine Angst vor ihm haben, aber … immer wenn ich an ihn denke oder sehe, muss ich an das Fliegen denken und dann … Ich kann das einfach nicht!«

Es war zum Verzweifeln! Im Gegensatz zum Anfang des Schuljahres, wo ich mir immer wieder eingeredet hatte, dass ich keine Reiterin werden und sofort nach Hause gehen wollte, hatte ich mich nun an den Gedanken gewöhnt, doch eine Drachenreiterin zu werden. Nun jedoch wird mir vor Augen geführt, dass dies nie möglich sein würde.

Meine Höhenangst überwinden … dass ich nicht lache! Soweit ich zurück denken konnte, hatte ich Angst vor Höhen und dies wird auch immer so bleiben.

»Tut mir Leid … ich kann es einfach nicht«, sagte ich leise und drehte mich um. Ich ging einfach. Mit war  klar, dass dies keine gute Entscheidung war, einfach der Tatsache aus dem Weg zu gehen und noch dazu gleichzeitig eine Lehrerin einfach im Gang stehen zu lassen. Doch Naliane rief mich nicht zurück, sodass ich einfach weiterging. Gedankenverloren ging ich in Richtung meines Zimmers. Auf einen Besuch in der Bibliothek hatte ich auf einmal keine Lust mehr. Jetzt wollte ich einfach nur alleine sein.

Kurz bevor ich wieder in mein Zimmer war, betrat ich den Raum, wo sich die Toiletten befanden. Ich ging in eine Kabine, schloss diese und setzte mich auf dem Boden vor der Toilette. Ich winkelte meine Beine an und legte meinen Kopf darauf. Jetzt in diesen Moment fühlte ich mich unendlich einsam. Ich sehnte mich nach einer Umarmung meiner Ma und dann konnte ich es nicht mehr zurück halten. Unaufhaltsam kamen die Tränen zum Vorschein und kurz darauf weinte ich. Mein Körper bebte unter den Schluchzern und ich merkte, dass meine Nase lief. Das Leben war doch einfach unfair. Warum musste ich so eine große Höhenangst haben? Warum konnte nicht einfach alles normal sein.

Ich weinte lange und war froh darüber, dass ich es nicht allzu laut tat. Während ich weinte, wurden meine Augenlider immer schwerer und schwerer. Irgendwann schlief ich ein.

 

Sie rannte einen Gang entlang und hörte in der Ferne qualvolle Schreie. Dieses Mal musste sie es schaffen! Sie musste zu der Frau gelangen und ihr endlich helfen. Es war so, als würde eine Macht sie dazu antreiben, doch gleichzeitig spürte sie, wie etwas an ihr zerrte, um zu verhindern, dass sie vorankam. Panik kam in ihr auf und sie schrie auf. Dann sah sie plötzlich einen Schatten hinter sich und sie wirbelte herum. Sie konnte eine Person mit flammenden Haaren erkennen und wich zurück. Ein Verfolger! Mit dies im ihren Gedanken drehte sie sich um und rannte. Sie wollte dieser Person entkommen und zu der anderen Frau gelangen, ehe ihr etwas zustoßen konnte. Die hilfesuchenden Schreie wurden immer leise und dann verstummten sie mit einem letzten hohen schmerzhaften Schrei.

»Nein!«

Ihre Knie knickten ein und sie stützte sich mit ihren Händen auf den Boden. Tränen liefen über ihre Wangen und sie fühlte sich verloren. Wieso gelang es ihr nie, diese Frau zu erreichen und ihr zu helfen? Wieso musst sie immer wieder versagen und das jedes Mal.

Ein Geräusch hinter ihr ließ sie zusammenzucken und sie wusste, dass ihr Verfolger sie erreicht hatte. Dann hörte sie ein leises »Draconi« und verspürte einen schmerzhaften Stich in ihren  Rücken …

 

»Arhhh«, schrie ich und riss meine Augen auf. Mein Herz klopfte wild und ich sog die Luft heftig um herum ein. Meine Lungen schmerzten, als wäre ich einen Marathon gelaufen und nur mit Mühe gelang es mir, zu atmen. Der Schmerz in meinen Rücken verblasste langsam und zog sich zurück.

Ohne zu wissen, wo ich mich befand, sah ich mich um. Ich war in einer Kabine der Toiletten. Wie war ich hierher gekommen? Was war passiert? Und was hatte diese Stille zu bedeuten?

Die Erinnerungen kamen und ich verzog mein Gesicht. Ich bin doch tatsächlich beim weinen eingeschlafen. Vorsichtig stand ich auf und schüttelte mich. Auf dem Klo einzuschlafen war widerlich, selbst wenn ich auf dem Boden gesessen hatte. Ich schloss die Augen und versuchte mein Herzrasen zu beruhigen. Wieder hatte ich so einen dämlichen Traum. Langsam wurde dass wirklich unheimlich. Dieses Mal war ein Verfolger vorgekommen und ich hatte ihn sogar auch gesehen. Er kam mir auch irgendwie bekannt vor, doch ich konnte ihn einfach nicht einordnen. Wer war der Mann gewesen?

Dann wurde mir die Stille um mich herum bewusst und dies ängstigte mich. Ich hatte doch geschrien und das nicht gerade leise. Hätten meinen beiden Aufpassern dies nicht bemerken müssen?

Vorsichtig trat ich aus der Kabine und sah mich um. Niemand befand sich hier im Raum. Es war regelrecht unheimlich. Normalerweise kam immer eine Hüterin mit hinein und dies verstand ich auch. Immerhin sind schon einige Schüler auf den Toiletten umgebracht worden.  Da war die Chance hoch, dass dies wieder geschehen könnte. Doch wo war die Hüterin?

Ein ungutes Gefühl kam in mir auf und ich schluckte. Angst kroch in meinen Hinterkopf und zehrte an mir. Plötzlich fühlte ich, dass sich noch jemand in diesem Raum aufhielt und die Angst in mir wurde größer. Wer war noch hier? Und was wollte diese Person? Mir war klar, dass diese Person nichts Gutes vorhatte und ich begann zu zittern. Dass war doch wirklich zum Verzweifeln! Da hatte ich nun Aufpasser bekommen und war ich dennoch alleine hier. Ich merkte, dass Mist unruhig wurde und dann laut grollte.  Er hatte sich auf meiner Schulter erhoben und seine Krallen waren ausgefahren.

Eine Bewegung links neben mir, ließ mich zusammenzucken und dann spürte ich einen kräftigen Schlag im Rücken. Ich wurde nach vorne geschleudert und kam hart an der Wand auf. Schmerzen durchzogen mein Gesicht und mein Arm, der zwischen mir und der Wand eingeklemmt wurde. Ich schrie auf und sank auf dem Boden. Benommen lag da und biss die Zähne zusammen. Ich wollte den Schmerz rausbrüllen, doch dies war irgendwie nicht möglich.

Unruhig sah ich mich im Raum um, doch ich konnte niemanden sehen. War es nun möglich, dass es Magie gab, die einen Unsichtbar machte? Mist sprang von meiner Schulter und stellte sich vor mir hin. Seine Stacheln auf dem Rücken waren aufgestellt und er fauchte. Wenn die Situation nicht so gefährlich wäre, würde ich jetzt lachen, denn es sah bei so einer kleinen Echse einfach nur drollig aus. Doch das Lachen blieb in meinen Hals stecken, denn ich wusste zwei Dinge: jemand griff mich an und ich konnte denjenigen nicht sehen.

Plötzlich sprang Mist und er dann schwebte er in der Luft. Jedenfalls sah es so aus und ich brauchte einige Sekunden, bis mir bewusst wurde, dass er nicht schwebte, sondern an jemanden festgekrallt war, den ich nicht sehen konnte. Dort, wo seine Krallen den unsichtbaren Körper berührten, drang Blut hervor und tropfte auf dem Boden. Irgendjemand keuchte wütend auf und dann sah ich, wie Mist durch die Luft geschleudert wurde.

Ich schrie auf und folgte ängstlich seine Flugbahn. Er flog gegen einen Spiegel und fiel dann ins Waschbecken. Dort blieb er regungslos liegen.

Wut kam in mir auf. Die Wut verdrängte die Angst und richtete mich auf. Was hatte ich damals geschworen? Ich würde nicht zulassen, dass jemand wegen mir sich verletzte und dies meinte ich ernst. Ich sah mich um und erkannte rötliche Flecken, die in der Luft schwebten und wusste, dass sich genau dort der Feind befand. Dann, ohne zu zögern, sprang ich die Stelle an, wo ich den Gegner vermutete.

Ich bekam wirklich etwas zu fassen, doch meine Freude währte nicht lange, denn dann spürte ich einen Schlag in meiner Magengegend und ich krümmte mich. Plötzlich rumorte mein Magen und ich hatte das Gefühl mich zu übergeben. Ich sah auf und blickte auf die Stelle, wo sich das Blut befand und dann zur Tür. Vielleicht sollte ich einfach wegrennen? Mein Blick wanderte zu Mist und mir war klar, dass wenn ich nicht fliehen würde, dann würde mir niemand helfen können.

Ich rannte zum Waschbecken, ergriff Mist und wollte schon zur Tür, doch da ergriff mich jemand an der Schulter und schleuderte mich gegen eine Kabinentür. Erneuter Schmerz durchfuhr mich und ich schrie auf. Tränen traten in meine Augen und alle Gefühle waren wie weggewischt. Zurück blieb nur ein einziges: Angst. Ich keuchte und drehte mich um, während mein Blick den Gegner suchte.

Dann hörte ich plötzlich Stimmen und irgendjemand machte sich an der Tür zu schaffen. »Ich bin hier«, schrie ich in der Hoffnung, dass nun welche kamen, um mich zu retten. »Jemand will mich umbringen!«

Ein erneuter Schlag, dieses Mal in meinem Gesicht, ließ Blitze vor meinen Augen erscheinen und ich schmeckte plötzlich etwas Metallenes. Meine Lippe war aufgeplatzt. Ich hob meine Arme, um mein Gesicht vor weiteren Schlägen zu schützen, doch dann spürte ich abermals einen Schlag in meiner Magengegend. Ich klappte zusammen und stöhnte.

Mit einem lauten Knall wurde die Tür aus den Angeln gerissen und als wäre dadurch der Zauber gebrochen, waberte die Luft und vor mir stand eine verhüllte Gestalt, welche ihre Hand zum neuen Schlag ausgeholt hatte.

»Rose!«

Zwei Personen kamen hinein, eine war Shandria und dann noch jemanden, den ich nicht kannte. Er war auch ein Hüter, doch ihn hatte ich noch nie gesehen. Sein Gesicht sah ganz konzentriert aus und seine Augen waren ovalförmig. Ohne zu wissen woher, wusste ich, dass er die Tür und somit den Zauber gebrochen hatte.

Dann war Shandria bei mir, holte aus und schlug nach der Gestalt. Diese wich gerade so aus und wollte sich zur Tür wenden. Wahrscheinlich wollte sie fliehen, doch da war der zweite Hüter und versperrte den Weg.

»Ergib dich! Du wirst hier nicht entkommen«, sagte Shandria und ihre Stimme klang eisig. Ihr ganzes Gesicht war voller Wut verzogen und ihr Gefährte zischte auf ihrer Schulter. »Du hast verloren!«

Für einen Moment sah es so aus, als würde die Gestalt den Worten nachkommen, doch dann ging ein Ruck durch sie und sie hielt plötzlich eine Phiole in den Händen. Diese warf sie auf dem Boden und in Sekundenschnelle war der ganze Raum vom Rauch erfüllt.

Rauchbombe, fuhr es durch meine Gedanken, während ich hustete und versuchte Luft einzuatmen. Dann ergriff mich jemand an der Schulter und zog mich aus dem Raum. Zuerst wollte ich dagegen ankämpfen, doch dann wurde mir bewusst, dass es Shandria war und ich sackte in mich zusammen. Sie zehrte mich auf dem Gang und sprach einige Befehle, während sie mich an einer Wand auf dem Boden drückte. Widerstandlos setzte ich mich hin und sog die Luft heftig ein, während Tränen über mein Gesicht liefen.

»Rose?« 

Auf einmal war Spitzohr an meiner Seite und sah mich besorgt an. Ich sagte nichts, sondern starrte einfach in die Luft, während ich Mist an mich drückte. Ich konnte spüren, dass seine Brust sich hob und senkte, sodass Erleichterung mich durchfuhr. Er war nicht tot!

Nria Llyandrei untersuchte mich, doch sie konnte keine schweren Verletzungen finden. Mein Arm, der zwar heftig geschmerzt hatte, war nicht gebrochen und außer eine geplatzte Lippe und blaue Flecke würde ich wohl nur mit den Schrecken davon kommen.

Zwischenspiel 3

Ein Krug prallte gegen die Wand und verbrach in unzählige Scheiben, während der Mann fluchte. Er konnte es einfach nicht fassen. Schon wieder war dieses Mädchen mit dem Leben davongekommen und abermals haben seine Schergen versag. Wenn dass so weiterging, dann wäre er gezwungen, sich der Schülerin anzunehmen. Doch dies war einfach zu riskant! Die Hüter waren aufmerksamer und es wurde immer schwieriger jemanden an der Schule zu töten.

Ein weiterer Krug teilte das Schicksal des Ersten und die Scheiben prasselten zu Boden. Warum musste er immer alles selber in die Hand nehmen?

Beruhige dich. Sie wird nicht immer Glück haben, ertönte die Stimme seines Gefährten in seinen Kopf und der Mann atmete tief durch. Irgendwann wird sie einen Fehler machen und dann ist sie tot. Doch warum soll sie eigentlich so dringend sterben?

Der Mann verzog sein Gesicht und starrte die rötliche Echse an, die auf einen Tisch saß und ihn auffordernd ansah. Der Mann atmete tief ein, ehe er seinen Gefährten antwortete. Der Meister hat dies angeordnet und wir werden das tun, was er von uns verlangt. Er wird seine Gründe haben. Außerdem will ich sie tot sehen, weil sie es immer wieder schafft zu entkommen! Ebenfalls schnüffelt sie rum und dass gefällt mir ganz und gar nicht. Abgesehen von den Hütern und ein paar anderen, weis niemand, warum wir morden. Die Schüler sind ahnungslos und dabei soll es auch bleiben.

Die Echse legte ihren Kopf schräg. Verstehe. Doch du sollest nicht deine ganzen Gedanken an der einen Schülerin vergeuden. Hetzte doch den Seelenfresser auf sie … ich weis, dass die Beschwörung kompliziert ist und du einige Zeit dafür brauchen wirst, doch dieser wird nicht versagen.

Der Mann sah die Echse an und dachte nach. Irgendwie gefiel ihm der Gedanke und je mehr er darüber nachdachte, desto verlockender wurde er. Doch wie sein Gefährte schon gesagt hatte, würde diese Beschwörung Zeit in Anspruch nehmen. Vielleicht sollte er den Seelenfresser beschwören und dennoch einen weiteren Krieger damit beauftragen, sich um die Schülerin zu kümmern. Selbst wenn der Krieger erfolgreich sein würde, so könnte er den Seelenfresser für jemanden anderes einsetzen.

Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht und er schloss die Augen.

Er wusste schon genau, wer die zweite Wahl sein würde und der bloße Gedanke daran ließ ihn kichern.

Du hast recht, mein Freund. Der Seelenfresser ist eine sehr gute Idee. Leider wird es dauern, bis er zum Einsatz kommen kann, doch dann wird es nur so von Toten hageln. Oh, du hast immer die allerbesten Ideen.

Ich weis. Die Echse legte sich auf dem Tisch und sah selbstzufrieden aus. Alles wird gut werden. Das Ende ist nahe und bald wird unser Meister das Feuer gefunden haben. Und dann … dann wird es Blut regnen!

Bei diesen Gedanken musste der Mann nun laut auflachen und Freude stand in seinen Augen. Vergessen war die Wut darüber, dass der Anschlag heute ebenfalls nicht funktioniert hatte. Stattdessen trat Vorfreude in seinem Gesicht und er war froh darüber, dass sein Zimmer abhörsicher war. Niemand würde ihn jetzt lachen hören, denn dies würde nur Fragen aufwerfen. Fragen, die er nicht beantworten wollte.

Nicht mehr lange und die Welt wird brennen!

15. Kapitel

Ich lag im Bett und meine Augen waren geschlossen. Die letzten zwei Tagen, seit dem erneuten Angriff auf der Toilette, verbrachte ich die meiste Zeit im Bett und hielt dabei meine Augen geschlossen. Die Dunkelheit war irgendwie beruhigend, denn da musste ich an nichts anderes denken. Meine ganzen Gedanken waren immer bei Mist, denn die Angst, dass ich ihn beinahe verloren hätte, saß noch tief in mir. Vorsichtig öffnete ich meine Augen und sah ihn an.

Mist lag auf meiner Brust und hatte seinen Schwanz um seinen Körper gerollt. Sein Kopf lag auf seinen Vorderpfoten und seine Augen blickten in meine. Er sah traurig und irgendwie lustlos aus. Mir war klar, dass es ihm nicht gefiel, wie ich mich weigerte weiter voranzugehen, doch die Angst saß tief in mir. Vor zwei Tagen war mir vor Augen geführt worden, dass ich nicht sicher war. Es spielte keine Rolle, wie viele Personen auf mich aufpassten. Die anderen würden dennoch einen Weg finden, um mich zu erwischen … ich meine, die waren unsichtbar gewesen! Wie sollte ich mich verteidigen können, wenn ich nicht sah, wer mich angriff?

Ein Fiepen riss mich aus meinen Gedanken und ich sah wieder Mist genau an. Er hatte seinen Kopf gehoben und ein fordernder Ausdruck lag in seinen Augen. »Ach Mist … warum musstest du ausgerechnet mich aussuchen? Hättest du nicht jemanden anderen nehmen können?«

Nun richtete sich Mist ganz auf und ich konnte auf meiner Brust seine Pfoten deutlich spüren. Er war zwar nicht schwer, aber dennoch reichte es aus, um ihm zu merken. Es gefiel mir, denn immer wenn ich ihn spürte, war ich mir sicher, dass er nicht weg war. Dass es ihm gut ging und alles in Ordnung war.

In Ordnung?

Ich seufzte und richtete mich auf. Mist grollte protestierend auf, als er wieder einmal von meinen Oberkörper nach unten rutschte und auf meinen Beinen liegen blieb. Er schüttelte seinen kleinen Kopf und sah mich an. Dieses Mal vorwurfsvoll.

»Beschwer dich nicht, Kleiner. Du hast dir dein Schlafplatz selber so ausgesucht«, murmelte ich und strich ihn über den Kopf. Er drückte ihn gegen meine Finger und ließ seine Zunge hervorschnellen. Wo ich früher Angst davor hatte, weil seine Zunge mir damals Schmerzen bereitet hatte, war nur noch ein leichter Anteil von Egel zu spüren. Ist ja auch kein Wunder, denn letztendlich war es eine Echse, die mich ableckte. Aber es war meine Echse, sodass es in Ordnung war.

Ich blickte mich im Zimmer um und war froh, dass niemand anderes hier war. Die anderen waren beim Unterricht und wenn ich nicht die Zeit vollkommen verloren hatte, müssten sie jetzt Geschichte haben.

Ich war froh, nicht beim Unterricht zu sein und da ich höchstwahrscheinlich sowieso in fast allen Fächern durchfallen werde, kümmerte es mich nicht, dass mir immer mehr Stoff fehlte. Ich könnte mich sowieso nicht konzentrieren und …

Es klopfte an der Tür und ich sah zu dieser misstrauisch. Ich hoffte, dass es nicht wieder Spitzohr oder Pandeia waren. Diese beiden waren die letzten beiden Tage immer wieder vorbeigekommen und hatten mit mir reden wollen. Sie hatten versucht mich dazu bewegen, das Zimmer zu verlassen und mich nicht zurückzuziehen. Sie meinten, wenn ich dies täte, dann würden die Angreifer gewinnen. Mir war klar, dass die beiden damit wohl recht hatten, doch der Gedanke, dass die dort draußen immer noch auf mich lauerten, war unerträglich. Das Klopfen wiederholte sich und ich verzog mein Gesicht. Konnten die mich nicht einfach in Frieden lassen?

»Rose? Darf ich reinkommen?«

Überrascht nahm ich wahr, dass es Shandria, die Erste Hüterin war, die wohl hineinwollte. Für einen Moment war ich versucht, nein zu sagen, doch ich schwieg. Wenn die Erste Hüterin hineinwill, dann würde sie reinkommen. Ich glaubte nicht, dass ein »nein« von mir dies ändern würde. Ganz wie erwartet, öffnete sich die Tür und die Hüterin trat hinein. Allerdings nicht alleine, denn sie wurde von Seithà Kadlin begleitet. Die Frau, die meine magische Kraft zum Feuer geweckt hatte.

»Rose. Mir müssen reden«, sagte Shandria und in den Moment wurde mir etwas bewusst. Ja, die Frau hatte recht! Wir mussten uns tatsächlich unterhalten. Immerhin hatte diese Frau geschworen, dass ich hier sicher war. Dass mir hier nichts passieren würde und in diesen Punkt hatte sie gelogen.

Wut kam in mir auf.  Eine so große Wut, dass ich am allerliebsten jemanden etwas angetan hätte.

»Ja, müssen wir«, zischte ich und verschränkte die Arme. »Es ist mir egal, was sie dazu sagen, doch ich will nach Hause! Ich will hier weg, denn hier werde ich sowieso umgebracht! Ich bin hier nicht sicher!«

»Da muss ich dir zustimmen und …«, begann Shandria, doch ich unterbrach sie. Ich werde mir keine Lügen mehr von ihr anhören.

»Hören sie auf zu behaupten, dass … was … wie bitte«, brach ich überrascht ab. Mit dieser Entgegnung von ihr hätte ich nicht gerechnet. Stimmte sie mir tatsächlich zu, dass ich in Dracheim nicht mehr sicher war? Ich kniff die Augen zusammen. »Wenn sie mir zustimmen, dann können sie mich ja nach Hause schicken.«

Die Erste Hüterin blickte mich genau an und etwas an ihren Blick gefiel mir wieder nicht. Ich wusste nicht wieso, aber abermals kam es mir so vor, als würde sie bis tief in mein Inneren blicken. Nach einer Minute Schweigen, nickte sie.

 »Ganz genau! Deswegen haben wir nachgedacht, was wir am allerbesten machen sollten. Der Kampf hier geht dich nicht wirklich etwas an und du bist in etwas reingezogen worden, ohne dass du eine Wahl gehabt hattest. Dass ein Drache dich ausgesucht hat, sollte kein Grund sein, um über dein Leben zu bestimmen.« Sie hielt inne und warf einen Blick zu Mist, der auf dem Bett saß und uns beobachtete. »Er musste einen Grund haben und wir dürfen seine Entscheidung nicht in Frage stellen. Aus diesem Grund wurdest du auch in Dracheim aufgenommen. Allerdings hat sich die Situation zwischen damals und jetzt sehr verändert. Ich weis nicht wieso, aber die Feinde wollen dich tot sehen und ich kann für deine Sicherheit hier nicht mehr sorgen.«

Bei diesen Worten bekam ich eine Gänsehaut. Wenn schon die Erste Hüterin der Meinung ist, dass sie nicht für meine Sicherheit garantieren konnte, dann steckte ich wirklich in Schwierigkeiten. Ich hatte erfahren, dass irgendjemand die beiden Hüter, die mir an den einen Tag gefolgt sind, außer Gefecht und dann reglos liegen gelassen hatte. Später waren dann zwei Schüler aufgefallen, dass vor den Bad diese beiden bewusstlos gelegen hatten und sie nicht ins Bad gehen konnten. Sofort war Alarm geschlagen worden und es hatte einen mächtigen Magier der Hüter gebraucht, um den Bann um den Toilettenraum zu brechen … gerade noch rechtzeitig, ehe es mit mir aus gewesen wäre. Und nun sagt die Frau, dass sie mich nicht schützen konnte.

»Ich muss natürlich auch an die anderen Schüler denken«, fuhr Shandria fort und sah mich dabei genau an. »Seitdem es die Angriffe auf dich gibt, wurde niemand anderes mehr angegriffen, geschweige denn getötet. Ich vermute, dass es daran liegt, dass irgendjemand auf dich fixiert ist. Warum, das kann ich nicht sagen … nun stellt sich die Frage, was passiert, wenn du gehst: Entweder fangen die Angriffe auf die anderen von vorne an, oder aber der Feind wird dir folgen, wenn du nicht mehr in Dracheim bist. Jedoch besitze ich nicht die Macht, einfach zu bestimmen, dass du dein Leben riskierst, damit die anderen in Sicherheit sind. Dafür habe ich kein Recht und auch die anderen nicht. Es ist dein Leben.« Sie hielt abermals inne und warf einen Blick zu Kadlin, welche leicht nickte. Die Hüterin seufzte. »Nun gut. Es wurde beschlossen, dass wir dich wieder in deine Welt schicken. Auf der einen Seite hoffen wir, dass du dort in größerer Sicherheit bist, als hier und auf der anderen Seite, dass man versuchen wird, dir zu folgen. Natürlich werden die Feinde nicht in deine Welt gelangen können, so lange es diese Barriere gibt. Wir werden diese nur ganz kurz öffnen, um dich durch zuschicken und dann eine neue aufbauen, die als Falle wirken wird. Wenn also jemand versucht in deine Welt zu gelangen, wird die Falle zuschnappen und wir werden jemanden gefangen nehmen. Niemand wird in deine Welt kommen, sodass du dort sicher bist.«

Nach dem Satz es wurde beschlossen, dass wir dich wieder in deine Welt schicken, hörte ich nicht mehr genau zu. Zum einen dachte ich, dass dies ein Traum sein musste und zum anderen dass ich mich vielleicht verhört hatte. Dann jedoch wurde mir bewusst, dass die mich als Köder verwenden wollten. Aber ich wäre zuhause! War es dass wert? Nach Hause zu gehen und gleichzeitig ein Köder zu sein? Die Antwort fiel mir nicht besonders schwer. Ich wollte nach Hause. Ich wollte zu Ma, zu Anni und zu Stan … obwohl … auf Stan konnte ich verzichten.

»Ich darf nach Hause?« Irgendwie war ich noch skeptisch. All die Wochen haben die zu mir gesagt, dass dies nicht möglich wäre und nun soll es auf einmal kein Problem mehr sein?

Shandria nickte. »Ja. Ich kann nicht mehr für deine Sicherheit wirklich sorgen. Aus irgendeinen Grund wollen die dich tot sehen, Rose.« Sie legte ihren Kopf schräg. »Es sei denn, du könnest mir den Grund nennen, warum sie es auf dich abgesehen haben?«

Ich starrte die Hüterin an. Einen Grund? Wenn ich darüber nachdachte, fiel mir keiner ein. Niemand wusste, wie ich wirklich hieß, sodass ich nicht wusste, ob es wegen meines Nachnamen Draconi war … außerdem war es ja nur eine Vermutung, dass ich vielleicht mit den Draconis von hier verwandt bin. Und wenn es so wäre, dann mussten doch auch die anderen – Lailea und Lyrana – verstärkt angegriffen werden und dass war ja nicht der Fall.  

»Nein«, antwortete ich und hielt dann inne. Vielleicht versuchte man mich zu töten, weil ich herausgefunden habe, dass die Angreifer dass Kalte Feuer haben wollten? Ich sah Shandria an. »Es sei denn, die wollen mich töten, weil ich … naja … ich weis, dass die das Kalte Feuer haben wollen …«

Shandria starrte mich an und auch Kadlin hatte ihre Augen weit aufgerissen. Ich schluckte.

»Naja … ich … ich habe damals die Nachricht gelesen, die bei den ersten Opfern war und herausgesucht, was diese bedeutet. Aber mehr weis ich auch nicht … man findet ja nicht wirklich etwas über dieses Feuer«, sagte ich und klang auch ein klein wenig anklagend.

»Verstehe«, sagte Shandria langsam und schüttelte dann den Kopf. »Ich glaub nicht, dass dies der Grund ist. wir wissen auch, was die wollen. Die haben es ja deutlich gemacht … nein, es muss einen anderen Grund geben. Ich vermute aber stark, dass es letztendlich daran liegt, dass sie es zu Ende bringen wollen. Ihnen wird es nicht gefallen, dass du noch lebst und sie finden, dass ihr Ruf gefährdet ist.«

Toll! Die wollen mich töten, weil ich nicht beim ersten Mal brav gestorben bin. Verdammte Schweine!

»Aber ich kann nach Hause … das ist kein Scherz oder so?«

»Du kannst nach Hause, Rose«, sagte nun Seithà Kadlin. »Wir werden dich zurückschicken. Jedenfalls so lange, wie noch das Problem aktiv ist. Sobald Dracheim jedoch sicher ist und alle von den Schwa…Angreifern…gefangen genommen sind, werden wir dich wieder zurückholen. Doch es nützt nichts, auf deine Ausbildung zu beharren, wenn jemand gleichzeitig nach deinen Leben trachtet. Du darfst also gehen, wenn du versprichst, dass du ohne Probleme wieder nach Dracheim kommst, wenn es sicherer ist.«

Ich biss auf meine Lippe und dachte nach. Im Grunde genommen kam dies nicht überraschend und wenn die ganze Situation mit den Toden nicht wäre … wer weiß, vielleicht hätte ich mich jetzt auch schon richtig eingelebt. Ich nickte zögernd, da ich bezweifelte, dass sie mich gehen lassen würden, wenn ich nicht zustimmen würde. Wer weis, wie lange es dauern würde, bis die Hüter die Verantwortlichen bekommen würden und vielleicht würde ja den ihre Falle zuschnappen. Obwohl es mir lieber wäre, wenn mir niemand folgen würde.

»Gut«, sagte Shandria und hielt mir plötzlich einen Brief hin. Ich starrte auf diesen und hob eine Augenbraue. »Der ist für deine Eltern«, erklärte sie mir. »Er wird hoffentlich alles erklären.«

Zögernd nahm ich den Brief entgegen und starrte ihn an. Ein lächerlicher Brief, der alles erklären würde? Dass war so absurd, dass ich ein Lachen unterdrücken musste. Als ob ein Brief meiner Ma sagen könnte, warum ich all die Zeit weg war.

»Schön«, sagte Kadlin und klatschte in die Hände. »Dann geht es los. Pack deine Bücher ein … damit du auch in deiner Welt weiter lernen kannst und dann geht es auch schon los.«

»Wie … was … jetzt sofort?« Ich starrte die Lehrerin an. Also irgendwie ging mir dies gerade etwas zu schnell.

Seithà Kadlin nickte. »Ja … je eher desto besser. Noch glaubt der Feind, dass du dich in deinem Zimmer aufhältst. Wenn wir zögern und es in die Länge ziehen, dann besteht die Gefahr, dass er es eher erfährt, als wenn du sofort gehst. Außerdem ist es schwierig die Barriere auch nur für einen Augenblick zu senken. Da jedoch zurzeit »Grundlagen des magischen Formens«  des dritten Jahrganges läuft und die Umgebung sowieso magisch stark aufgeladen ist, werden sie es nicht bemerken. Und wenn doch, dann ist es schon zu spät. Wenn du also gehen willst, dann muss es jetzt sofort sein.«

»Ja«, stimmt Shandria zu. »Dies ist am sichersten.«

Ich nickte. Irgendwie war dies doch kaum zu glauben. Schnell begann ich einige Bücher in einen Sack zu stopfen, den mir Kadlin gegeben hatte. Dann hielt ich inne und sah zu den leeren Betten. Was würde aus meinen Mitbewohnern werden, wenn ich einfach so verschwand? Ob sie es verstehen würden? Dann jedoch sah ich Chris vor meinem geistigen Auge und kurz darauf Anni. Ich hatte hier Freunde gefunden, doch ich hatte auch zu Hause Personen, die auf mich warteten. Ich schloss die Augen und atmete tief durch, ehe ich sie wieder öffnete. Viel zu packen hatte ich nicht, denn im Grunde genommen besaß ich hier ja nichts. Für einen Moment hielt ich inne und sah meine Kleidung an, doch dann zuckte ich mit den Schultern. Irgendwo im Schrank hatte ich zwar noch meine alten normalen Klamotten, doch ich ahnte, dass Kadlin mir keine Zeit zum umziehen geben wollte.

Ich ergriff den Sack und hielt dann meinen Arm zu Mist. Er kletterte auf meine Schulter und krallte sich dort fest.

»Schön …. Schön …« Shandria betrachtete mich und nickte zufrieden. »Gut. Ich weiß, dass es jetzt ziemlich hektisch zugeht, aber so ist es besser. Für alle.«

Wow! Langsam bekam ich den Verdacht, dass die mich hier loswerden wollten. So was von nett. Mich erst entführen, dann mich hier fest halten und nachdem sie erkannte haben, dass die mich nicht schützen können, wollen die mich loshaben. Nett. Einfach nur nett.

»Von mir aus kann es losgehen«, sagte ich und wurde plötzlich aufgeregt. Ich würde nach Hause kommen! Nach all der Zeit! Vergessen war die Angst, dass mich jemand töten wollte. Kadlin schloss kurz die Augen und als sie diese wieder geöffnet hatte, besaß sie diese seltsamen ovalen Pupillen und mir war klar, dass sie Magie wirkte.

Vor ihr – zwischen mir und ihr - entstand grauer Nebel. Erst als kleiner Kreis, ungefähr in meiner Kopfhöhe, und dann breitete er sich immer weiter aus. Er wurde größer und verdichtete sich zu einer grauen Masse. Eine Masse, die formlos war und deren Ränder unstetigen schienen. Irgendwie sah dies unheimlich aus.

»Dies ist dein Weg, Rose«, sagte Shandria und deutete auf die Masse. »Du musst einfach nur durchgehen und schon wirst du in deine Welt sein.« Sie hielt inne und sah mich dann an. »Es tut mir Leid, dass ich nicht in der Lage gewesen war, für deine Sicherheit zu sorgen. Was du alles durchmachen musstest und ich kann nur hoffen, dass wenn alles vorbei ist, wir alle einen Neuanfang starten können. Außerdem hoffe ich, dass du bei dir zuhause wirklich sicherer bist, als hier. Ich wünsche dir bis zu unseren nächsten Treffen alles Gute!«

Sie hielt mir ihre Hand hin und ich ergriff sie zögerlich. Es mag zwar stimmen, dass ich sie nicht mochte, doch dies änderte nicht daran, dass sie wenigsten versucht hatte, mich zu beschützen. Naja… wohl eher ihre Hüter haben es versucht.

Dann nickte ich dankbar zu Kadlin und sah dann zu der Masse. Einfach durchgehen? Klang einfach, war aber irgendwie unheimlich. Ich meine … einfach in eine graue Masse zu steigen … wer weis, wo ich rauskommen würde?

Mist drückte seinen Kopf gegen meinen und grollte beruhigend.

Ich holte tief Luft und trat in die Masse.

Um mich herum wurde es stockfinster, doch ich schritt einfach weiter.

 

Als ich aus der grauen Masse trat, erfasste mich ein Gefühl der Erleichterung. Es war zwar dunkel, aber ich erkannte sofort, wo ich mich befand. Ich sah den Wacholder-Busch, wo alles angefangen hatte und wusste, dass ich mich im Park befand. Meine Erleichterung wurde größer. In der Nähe befand sich meine alte Schule – nicht, dass ich unbedingt Sehnsucht nach dieser hatte – und nicht weit entfernt wohnte Chris. Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schulter und ich schrie leise auf.

»Ruhig … ich bin es…«

Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass Seithà Kadlin mir gefolgt war. Ich wurde rot, doch dies war zum Glück in der Dunkelheit nicht zu erkennen und … Moment mal! Es war dunkel hier? Also war es Nacht. In Dracheim war es Mittag gewesen. Gab es eine Zeitverschiebung, wenn man zwischen den Welten reiste?

»Ja, Rose«, sagte Kadlin. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ich die Frage laut ausgesprochen hatte. »Aber Zeitverschiebung ist nicht das richtige Wort dafür. Doch dies dir jetzt zu erklären, würd viel zu lange dauern. Vielleicht erkläre ich es dir, wenn die Gefahr vorbei ist und du wieder in Dracheim bist.«

Ich nickte. Ich war mir zwar immer noch nicht sicher, ob ich nach Dracheim zurückwollte, doch dies stand erst einmal nicht im Vordergrund. Ich meine … ich war in meine Welt! Ich war in meiner Heimatstadt! Ich war …

»Wohnst du hier in der Nähe«, fragte mich Seithà Kadlin und sah sich um.

Ich sah mich ebenfalls um. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es wirklich war, sodass ich nicht sagen konnte, wann ein Bus fuhr, oder ob überhaupt noch einer fuhr. Allerdings wollte ich plötzlich nicht, dass die Frau erfuhr, wo genau ich wohnte. Sicher war sicher!

»Joar«, murmelte ich und hoffte, dass sie nicht merkte, dass ich gerade log. »Ich muss nur kurz laufen und dann bin ich da. Es ist nicht weit.«

Kadlin nickte. Sie schien nicht zu merke, dass ich gerade geflunkert hatte und schenkte mir ein Lächeln. »Dann werden wir uns sehen, wenn alles wieder in Ordnung ist.« Sie griff in ihre Gürteltasche und holte einen glatt polierten Stein hervor. »Sollte es allerdings sein, dass du doch hier angegriffen wirst, dann kannst du uns über diesen Stein rufen. Dafür musst du ihn nur mit einem Wort aktivierten«, sagte sie und beugte sich zu mir. Flüstern sagte sie mir das Wort und richtete sich wieder auf. »Vergiss es nicht!«

Ich nickte und versprach ihr, dass ich immer an das Wort denken würde. Jedoch bezweifelte ich, dass ich genügend Zeit haben würde, wenn mich jemand angegriff, doch es war beruhigend zu wissen, das ich mit den Lehrern auf der anderen Seite in Kontakt treten konnte.

Dann umarmte mich plötzlich Kadlin. »Ich hoffe, dass du hier sicherer bist, Rose!« Sie strich Mist über seinen Kopf. »Und du, pass gut auf deine Gefährtin auf!« Mit einem letzten Lächeln trat sie in die graue Masse, die immer noch in der Luft hin. Kaum war sie verschwunden, löste sich diese Masse auf. Sie wurde zu Nebel und verflüchtigte.

Zurück blieben nur Mist und ich.

Ich seufzte, ergriff meinen Beutel fester und warf dann Mist einen Blick zu. Er saß auf meiner Schulter, sein Schwanz war wieder um meinen Arm gewickelt und sah mich mit gelben Augen an.

»Na Kleiner! Bist du bereit meine Familie kennen zu lernen.« Ich grinste plötzlich. »Ich hoffe, dass du es Stan zeigen wirst, dass du der Chef bist. Lass dich also nicht von diesen einschüchtern, Kleiner.«

Mist hob seinen Kopf und leckte mir über das Gesicht. Er fiepte und es klang ungeduldig. Ich hob beide Hände.

»Schon gut! Schon gut. Ich mach mich ja auf die Socken!«

Ich atmete tief durch, ehe ich mich langsam in Bewegung setzte.

 

Während ich zu Bushaltestelle ging, ertönten plötzlich Glockenschläge und ich blieb stehen. Automatisch zählte ich mit. Zwei Schläge. Kurze Zeit lauschte ich, doch da war nichts mehr zu hören. Ich seufzte. Es war also zwei Uhr früh und somit wusste ich, dass kein Bus mehr fahren würde. Mit anderen Worten, ich musste nach Hause laufen oder ich würde bis früh um fünf warten müssen, wo dann der erste Bus in meine Richtung fahren würde. Dann wurde mir etwas anderes bewusst. Ich trug immer noch die Kleidung von Dacheim und da wusste ich, dass ich nicht mit den Bus fahren würde. Was sollten denn die anderen davon halten, wenn sie mich so sahen? Und dann noch Mist, der auf meiner Schulter ritt? Man würde mich für verrückt halten!

»Dann also ein Spaziergang!«

Der Bus selber brauchte ungefähr eine halbe Stunde, doch er musste oft halten und einen Umweg fahren. Ich selber würde knapp anderthalb Stunden brauchen, um nach Hause zu kommen. Da die Nacht sternenklar und es auch nicht kalt war, machte mir dies nichts aus. Ich genoss den Spaziergang und dachte dabei nach. Wie würde Ma reagieren, wenn ich vor der Tür stehen würde? Insgesamt war ich fast zehn Wochen weg … zehn Wochen in der Drachenwelt! Was machte dies in meiner Welt? Fast dreizehn Wochen! Abrupt blieb ich stehen. Dreizehn Wochen! War wirklich schon so viel Zeit vergangen? Da mussten wir ja schon Oktober haben.

Toll! Der ganze Sommer ist hin.

Ich ging wieder los und hatte plötzlich den Brief in der Hand. Ein Brief, der angeblich alles erklären würde. Ich lachte auf. Ich hatte zwar keine Ahnung, was drinnen stand, doch ich bezweifelte, dass dieser Brief irgendetwas erklären konnte. Dies war so irrsinnig, dass ich den Kopf schüttelte.

Als ich in die Straße bog, wo ich sich das Hause meiner Ma befand, wurde ich langsamer und dann stand ich plötzlich vor dem Gartentor. Ich blieb stehen. Mist bewegte sich auf meiner Schulter und leckte mir über die rechte Wange. Ich begann ihn abwesend zu streicheln und sah, dass keine Lichter im Haus brannten.

Gut, es war früh halb vier, doch irgendwie war der Anblick des dunklen Hauses traurig. Mir war klar, dass die anderen schlafen mussten.

Ich kramte in meiner Gürteltasche nach dem Hausschlüssel und war froh, dass ich ihn nicht verloren hatte. Ich öffnete das Gartentor und lief den Weg zur Haustür. Aufregung stieg in mir auf und ich brauchte drei Anläufe, um den Schlüssel in das Schloss zu stecken. Ich schloss auf und öffnete die Tür.

Leise trat ich ein und schloss die Tür hinter mir. Ich versuchte leise zu sein, doch dann erkannte ich, dass die Schuhe von Ma und meiner Schwester fehlten.

»Hallo? Jemand zuhause?!«

Stille.

Leichte Enttäuschung kam in mir auf. Ich sah mich im Haus um und erkannte, dass wirklich keiner da war. Was sollte das?

»Wo könnten die nur sein, Mist?«

Als ich ins Wohnzimmer trat, bemerkte ich, dass auch Stan nicht da war. Doch dann fiel mein Blick auf den Kalender. Es war tatsächlich Oktober und es waren Herbstferien. Vier Tage waren markiert und es stand *Nordsee* dort. Ich seufzte. Hieß das, dass meine Familie gar nicht zu Hause war, sondern irgendwo Urlaub machte? Urlaub, wenn ich nicht da war? Ob sie mich überhaupt vermissten? Doch dann freute ich mich irgendwie. Dies würde bedeuten, dass sie doch ihr Leben weiter lebten und nicht irgendwie in Depression verfielen sind oder so. Wenn sie also im Urlaub waren, wie lange würden sie dann noch weg sein. Waren sie erst heute gefahren oder schon vor drei Tagen? Würde es noch drei Tage dauern, ehe sie kommen würden, oder war es schon heute?

Ich wandte mich von Kalender ab und wollte schon in die Mitte des Wohnzimmers gehen, als ich vor einem Spiegel stehen blieb. Eine mir unbekannte Person blickte mir entgegen. Naja … nicht wirklich unbekannt, sondern eher ungewohnt.

Mein schwarzes Haar, das ich sonst immer kurz getragen hatte, war nun länger und sah aus, als wäre es schon lange nicht mehr geschnitten worden. Es war auch nicht besonders gepflegt aus, denn ich mochte die kalte Dusche in Dracheim einfach nicht. Mein Spiegelbild blickte mit bräunlichen müden Augen zurück und irgendwie sah auch sonst alles müde in meinem Gesicht aus. Naja … nicht müde, sondern erschöpft. Seufzend wandte ich mich vom Spiegel ab.

Ich legte meinen Sack auf dem Wohnzimmertisch und setzte mich auf die Couch.

Welchen Tag hatten wir heute?

Kurzerhand schaltete ich den Fernseher ein und sah auf dem Videotext nach. Freude kam in mir auf! Heute war der Tag, an dem meine Familie laut Kalender zurückkommen würde. Was für ein perfektes Timing! Ich schaltete den Fernseher wieder aus und überlegte, was ich machen sollte. Es konnte ja sein, dass die anderen erst abends kommen würden.

Ich legte mich auf Couch. So richtig müde war ich nicht, denn immerhin war es ja Mittag gewesen, als ich aufgebrochen war, sodass es jetzt erst Nachmittag war und nicht früh um vier. Ich seufzte und merkte, wie Mist wieder einmal auf meiner Brust kletterte.

Irgendwann wurde ich doch müde. Ob es an dem Warten lag, oder daran dass ich anderthalb Stunden gelaufen bin, oder doch der Abend meiner inneren Uhr anbrach, wusste ich nicht. Ich wusste nur, dass mein letzter Gedanke meine Familie war und dass ich sie bald wiedersehen würde.

16. Kapitel

Sie rannte einen Gang entlang und hörte in der Ferne qualvolle Schreie. Ohne zu wissen, weshalb, wusste sie, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb. Sie rannte, ignorierte den Schmerz in der Hüfte und setzte einen Fuß nach dem anderen. Die Angst, die in ihr aufkam, erfüllte beinahe ihr ganzes Denken.

Rennen. Rennen. Ich muss schneller werden!

Die Schreie wurden immer lauter. Fraßen sich in ihre Gedanken und schienen ihr den Weg zu weisen.

Der Gang kam an einer Kreuzung und ohne zu zögern rannte sie um die linke Ecke. Immer weiter und weiter. Es war so, als würde eine fremde Macht sie leiten. Sie wusste, wo sie bei einer Kreuzung entlang musste und vergeudete dadurch keine Zeit.

Dieses Mal musste sie es einfach schaffen! Sie musste zu der Frau gelangen und ihr endlich helfen. Dieses Mal durfte sie nicht versagen.

Sie rannte und rannte immer weiter. Einmal stolperte sie fast, doch in letzter Sekunde fing sie sich und rannte weiter. Ohne zu zögern. Ohne eine Pause.

Es war so, als würde eine ihr unbekannten Macht sie dazu antreiben, doch gleichzeitig spürte sie, wie etwas an ihr zerrte. Etwas Unheimliches und dieses Etwas zerrte stark an ihr, um zu verhindern, dass sie vorankam.

Panik kam in ihr auf. Verdrängte die Angst und erfüllte sie. Jede Faser ihres Dasein wurde davon eingenommen und sie schrie gepeinigt auf.

Der Gang endete plötzlich und führte zu einem großen Raum. Es war ein dunkler Raum, der kaum erhellt wurde. Doch von irgendwoher kam dennoch genügend Licht, sodass man die Umrisse von schattenhaften Figuren, von unzähligen Statuen erkennen konnte. Es gab hunderte, wenn nicht sogar tausende, die sich in hier und in auch den angrenzenden Räumen befanden. Unzählige, die ein düsteres Bild vermittelten und ihre Panik verstärkten. Es waren Statuen von Männern, Frauen und Kinder. Männer, die wie Soldaten gekleidet waren, oder einfache Sachen eines Bauern trugen. Es gab Frauen, die Priestergewänder trugen, oder die Tracht von Mägden. Zwischen ihnen standen Kinder, die prächtig angezogen waren, oder einfache Lumpen trugen. Inmitten den Personen befanden sich Tiere, welche ebenso zahlreich waren wie die Menschen. Riesige Hengste, geduckte Wölfe, Adler mit ausgebreiteten Schwingen und angriffslustige Hunde. Selbst magische Wesen, die als die mächtigen galten, waren zu erkennen: Gewaltige Drachen, imposante Greife, hinterlistige Mantikoren und seltsame Kreaturen, deren Namen in Laufe der Zeit vergessen wurden. Diese Statuen waren reglos und stießen eine unnahbare Kälte aus.

Während sie zwischen den Statuen rannte, befiel sie ein unheimliches Gefühl. Eines, das ihr sagte, dass Gefahr drohte.

Inmitten der Figuren konnte sie die Gestalt einer Frau in weiten Gewändern erkennen, an deren Brust und Rücken jeweils eine weiße Flamme gestickt war. Sie trug eine Maske, die die eine Hälfte des Gesichts verdeckte und langes weißes Haar wedelte um diesen. Sie stand inmitten eines Feuers, das nicht rötlich sondern bläulich schien.

»Hilf mir…hilf mir…Draconi….Es bleibt nicht mehr viel Zeit…«

Leise und gequält drangen die Worte zu ihr hinüber, als sie der Frau immer näher kam und sie begann noch schneller auf sie zu zurennen. Sie schenkte der Umgebung keinerlei Beachtung mehr und aus diesem Grund merkte sie auch nicht, wie hinter ihr ein riesiger Schatten entstand. Sie schenkte ihre Aufmerksamkeit ganz allein der Frau, die ihre Hilfe zu brauchen schien, aber immer noch weit entfernt war.

»Hilf mir, Oh Draconi, hilf mir…«

Plötzlich spürte sie, wie etwas an ihr zehrte, so als würde man sie zurückziehen und Panik kam in ihr auf. Sie konnte immer noch die Frau sehen, doch die Worte wurden immer schwächer und kurz darauf verstummten sie. Ihre Angst um die Frau wurde immer größer und sie zehrte plötzlich gegen die unsichtbaren Fesseln. Sie wollte sich unbedingt losreißen, wollte den harten Griff entkommen und endlich zu der Unbekannten kommen, doch je härter sie sich wand, desto fester wurde der Griff.

»Nein!«

Immer mehr stemmte sie sich gegen den Griff und nur sehr langsam gelang es ihr, sich dort loszureißen. Doch als sie endlich losgekommen war, wusste sie, dass es ihr nicht helfen würde. Sie sah plötzlich einen Schatten hinter sich und sie wirbelte herum. Sie konnte eine Person mit flammenden Haaren erkennen und wich zurück. Ein Verfolger! Mit dies im ihren Gedanken drehte sie sich um und rannte. Sie wollte dieser Person entkommen und zu der anderen Frau gelangen, ehe ihr etwas zustoßen konnte. Die hilfesuchenden Schreie wurden immer leise und dann verstummten sie mit einem letzten hohen schmerzhaften Schrei.

»Nein!«

Ein ohrenbetäubender voller Qualen enthaltener Schrei hallte zwischen den Statuen und dann gab es nur noch Stille. Das einzige, was sie vernahm, war ihr eigener Atmen und dann schien die Zeit stillzustehen, als ihr diese Tatsache vollends in Gedächtnis kam. Sie schrie wie ein verletztes Tier auf, konnte es einfach nicht fasse, dass sie wieder zu spät gekommen war und wollte ihre ganze Wut hinaus brüllen. Ihre Knie knickten ein und sie stützte sich mit ihren Händen auf den Boden. Tränen liefen über ihre Wangen und sie fühlte sich verloren. Wieso gelang es ihr nie, diese Frau zu erreichen und ihr zu helfen? Wieso musst sie immer wieder versagen und das jedes Mal.

Sie sah auf, blickte sich im Raum um, doch sie konnte kein Lebenszeichen der Frau erhaschen. 

»Bitte nicht…bitte nicht…«

Ein Geräusch hinter ihr ließ sie zusammenzucken und sie wusste, dass ihr Verfolger sie erreicht hatte. Dann hörte sie ein leises »Draconi« und verspürte einen schmerzhaften Stich in ihren  Rücken …

 

Ein scharfer Schmerz im Rücken weckte mich. Ich zuckte zusammen, spürte eine Kante und kurz darauf lag ich auf dem Boden. Benommen öffnete ich meine Augen und sah mich um. Für einen Augenblick wusste ich nicht, wo ich mich befand und Verwirrung machte sich in mir breit. Doch dann sah ich die Unterseite eines Tisches, der mir sehr bekannt vorkam und als ich meinen Kopf drehte, sah ich ein Teil einer Couch.

Zuhause!

Das eine Wort erfüllte meine ganzen Gedanken und selbst jetzt war es noch zu unglaublich, als dass es wahr sein konnte. Ich stand vom Boden auf und sah, dass Mist auf dem Couchtisch saß und mich mit großen vorwurfsvollen Augen anstarrte. Dann ging mein Blick zu der Couch.

Ich musste eingeschlafen sein und als mir dies bewusst wurde, kamen die Erinnerungen an diesen Traum. Dieses Mal war der Traum länger gewesen, obwohl ich das Gefühl hatte, dass Ereignisse von mehreren in diesen vereint waren. Ich schloss die Augen und griff an meinen Kopf. Wer war diese Frau und warum verspürte ich immer das Gefühl, dass ich sie unbedingt retten musste?

Plötzlich hörte ich, wie ein Auto vor dem Haus in unsere Einfahrt fuhr und ich riss meine Augen auf.

Ma und Anni!

Der Gedanke, dass sie wahrscheinlich von einem Ausflug endlich kommen würden, erschien in meinen Kopf und mein Herz fing an zu rasen. Wie würden sie reagieren, wenn sie mich sahen? Würden sie erleichtert sein oder eher wütend?

Ein Fiepen durchdrang meine Aufregung und ich sah zu Mist, welcher mich auffordernd ansah. Zuerst hatte ich keine Ahnung, was er von mir wollte, doch dann traf es mich wie ein Blitz. Ich beugte mich zum Tisch vor und hielt meinen Arm ausgestreckt.

Mist kletterte auf diesen und ging bis zu meiner Schulter, wo er seinen Lieblingsplatz einnahm. Er drückte sein Gesicht in meine Haare und schnurrte leise. Obwohl grollen eher die Beschreibung wäre, denn Echsen schnurren ja nicht. Sie waren ja keine Katzen!

Ich hörte, wie eine Autotür zugeschlagen wurde und dann Schritte näher kamen. Kurz darauf wurde die Haustür geöffnet.

»Gut, Anni. Ich hol noch den Rest«, ertönte eine Stimme, die ich verdammt lange nicht mehr gehört hatte und ich spürte, wie Tränen in meine Augen traten. Mist krallte sich fester in meine Schulter und rieb beruhigend seinen Kopf an meinen. Er schenkte mir Gelassenheit und Ruhe.

Dann hörte ich, wie Schritte näher zum Wohnzimmer kamen und kurz darauf sah ich meine kleine Schwester. Meine kleine Anni, die im Türrahmen stehen blieb und mich anstarrte als wäre ich ein Geist.

Ich hob meine rechte Hand. »Hallo Anni«, sagte ich und war froh, dass meine Stimme nicht zitterte. »Hast du mich vermisst?«

Anni stand einfach da und starrte mich an. Ihre Augen waren weit aufgerissen und Unglauben spiegelte sich in diesen wieder.

»Rose?«

Leise kam das Wort fragend über ihre Lippen. Fast wie ein Hauch und ich konnte nicht anders, als zu lächeln. Ich nickte und breitete die Arme aus.

»Rose!«

Anni rannte zu mir und umarmte mich. Sie drückte mich so fest, dass man meinen könnte, dass sie Angst hatte, ich könnte mich in Luft auflösen. Sie presste ihren Kopf an meine freie Schulter und ich spürte, wie dort der Stoff langsam feucht wurde. Ihr ganzer Körper bebte, als sie anfing zu weinen.

Ich erwiderte die Umarmung und hielt sie fest an mich gedrückt. Auch ich weinte und in den Moment wurde mir sehr deutlich bewusst, wie sehr ich meine kleine Schwester vermisst hatte. Wie sehr ich gehofft hatte, endlich nach Hause kommen zu können.

»Du bist wieder da«, presste Anni hervor.

»Ja«, murmelte ich und strich durch ihr Haar. Ich war tatsächlich wieder da und für einen kurzen Augenblick fragte ich mich, ob der Preis dies wert war. War es richtig gewesen, die anderen in Dracheim zu verlassen, während sich dort ein Mörder aufhielt? Ich hatte Gwynna, Desa, Luana und Lailea lieb gewonnen und der Gedanke, dass sie dort in Gefahr waren, kam in mir auf. Doch nur ganz kurz, denn Freunde waren wichtig, doch die Familie wichtiger. »Ja, ich bin endlich wieder da.«

Neue Schritte ertönten und kurz darauf hörte ich, wie die Eingangstür geschlossen wurde.

»Anni, könnest du…« Im Türrahmen, den ich gut im Blick hatte, erschien meine Ma und sie brach inmitten des Satzes ab, als sie uns sah. Unglauben spiegelte sich auch in ihrem Gesicht, doch dann sah ich, wie ihr Blick finster wurde, als dieser zu der Schulter ging, wo Mist saß. Er hatte seinen Kopf erhoben und erwiderte den Blick meiner Ma.

In den Moment, wo meine Ma fassungslos und finster meinen Gefährten anblickte, wusste ich sofort, dass ich mit meiner Vermutung recht gehabt hatte. Ma wusste, was die Echse auf meiner Schulter war und dies konnte sie nur, wenn sie die Welt kannte, wo sich Dracheim befand. Und dies bedeutete, dass ich wirklich mit Lailea und Lyrana verwandt war.

Der finstere Blick meiner Ma verschwand und an seiner Stelle trat Erleichterung und … ein Gefühl der Wärme durchzog mich … Liebe. Ich hatte keine Ahnung, was nun kommen würde, doch ich wusste, dass ich keine Angst haben musste. Ma würde mir nicht die Schuld daran geben, dass ich verschwunden bin.

»Rose«, flüsterte sie und umarmte mich so, dass Anni in der Mitte steckte. »Du bis wieder da.«

Ich nickte, denn ich konnte nicht reden. Ich wusste, wenn ich sprach, dann würde ich vollkommen in Tränen ausbrechen und laut schluchzen.

 Nach ein-zwei Minuten trat Ma einige Schritte zurück und sah mich genau an. Ihr Blick lag auf meiner Kleidung und verharrte einige Sekunden auf dem Wappen, dass nur zur Hälfte zu erkennen war. Die andere Hälfte verdeckte Anni, die mich immer noch festhielt. Dann sah sie wieder zu Mist und beugte sich vor. Sie strich ihn über den Kopf.

Erst dann bemerkte Anni ihn auch und wich zurück. Sie wischte die verblieben Tränen aus ihrem Gesicht und sah die Echse noch einmal an.

»Ja … also das ist Mist«, sagte ich leise und sah, wie Ma eine Augenbraue hob. Ihr Blick war fest auf Mist gerichtet und nickte dann, während ihr Blick etwas düster wurde. Sie nickte und dies erregte meine Aufmerksamkeit. Ich wollte noch was sagen, doch Ma war schneller.

»Anni … ich denke, dass ein gutes Abendbrot genau das richtige wäre.« Sie legte ihren Kopf schräg und von Anni zu mir und dann wieder zu Anni. »Bestell am besten etwas beim Italiener. Wir haben was zu feiern.«

Anni starrte Ma an und wechselte den Blick zwischen mir und Ma. Sie schien zu merken, dass Ma mir etwas sagen wollte und dass sie nicht dabei sein sollte. Sie lächelte mich am, ehe sie das Wohnzimmer verließ.

Als Anni weg war, sah Ma mich an und etwas an ihren Blick gefiel mir überhaupt nicht. Ich wusste nicht wieso, aber mir wurde sehr deutlich bewusst, dass dies noch ein langer Tag werden würde.

»Dracheim?«

Ich nickte. »Ja…aber Ma…ich wollte das nicht. Die haben mich einfach gekidnappt und wollten mich dann nicht gehen lassen. Sie meinten, dass ich eine Ausbildung brauche und …«

Ich brach ab, als Ma eine Hand hob. »Du musst dich nicht entschuldigen, Rose. Azeithir hat es mir erklärt.« Sie hielt inne und sah mich wieder mit diesen Blick an, der mir immer weniger gefiel.

Moment mal! Aze-was? Wer war dass denn bitte schön und von woher sollte der denn wissen, was genau passiert war.

Ma schien zu merken, dass ich verwirrt war, denn plötzlich lächelte sie. Sie beugte sich abermals vor und strich Mist über den Kopf. »Einen Gefährten nach einem Misthaufen zu benennen ist nicht sehr nett, Rose. Ich dachte, ich hätte dich da besser erzogen.«

Ich drehte meinen Kopf so, dass ich Mist sehen konnte und sah dann wieder zu meiner Ma, ehe mich die Erkenntnis mit einem Schlag traf. »Das ist sein Name … Aze-irgendwas?«

»Azeithir und ja, dass ist sein Name.«

»Ich glaub, ich bleibe da bei Mist. Dass kann ich mir wenigsten merken«, murmelte ich und Mist leckte mir über die Wange. Dann traf mich etwas anderes. »Du…du kannst ihn hören?«

Ma nickte und richtete sich wieder auf. Sie sah zur Tür und ein sehr verhasstes Chamäleon kam ins Wohnzimmer. Es flitzte zu meiner Ma und war kurz darauf auf ihrer Schulter. Auch wenn ich es schon geahnt hatte, war solch ein Anblick verwirrend. Ma streichelte Stan über den Kopf, dann sah sie mich an.

»Ich weis nicht, wie viel zu weist, aber…«

»Ich weis, dass dich deine Schwester verbannt hat und du deswegen hier lebst«, unterbrach ich Ma und bereute es sofort. Wenn es etwas gab, das meine Ma nicht leiden konnte, dann war es, unterbrochen zu werden. Ihr Gesichtsausdruck wurde finster und ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass dies nicht mir galt. »Ma…die Verbannung wurde aufgehoben.«

»Ich weis«, sagte sie knapp und schloss die Augen. Als sie dies wieder öffnete war ihr Gesicht nicht mehr finster. Stattdessen stand Stolz in ihren Augen. Stolz und … ich stutzte. Und Angst.

»Ma? Wenn du es weist, warum sind wir …äh … bist du noch hier?«

Eine Zeit lang sagte Ma nichts und seufzte dann tief. »Das ist schwierig zu erklären.« Sie sah zur Tür, wo Anni in der Küche zu hören war. »Ich erkläre dir später alles. Ich will nicht, dass Anni zu viel mitbekommt … jedenfalls jetzt erst einmal nicht.« Dann sah sie mich an und abermals sah ich Liebe in ihren Blick. »Ich bin so froh, dass es dir gut geht, Rose.«

Darauf sagte ich nichts und vermutete stark, dass Mist ihr nichts von den Angriffen erzählt hatte. Worüber ich ehrlich gesagt auch froh war. Ich folgte Ma in die Küche. Mir war irgendwie klar, warum Ma nicht wollte, dass Anni zu viel mitbekam und aus irgendeinem Grund schien Anni meine Kleidung nicht seltsam zu finden. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass  sie einfach zu glücklich war, dass ich endlich wieder daheim war. Ich erfuhr, dass Anni und auch Ma tatsächlich gedacht hatten, dass ich abgehauen bin. Jedenfalls am Anfang, doch je mehr Zeit verstrich und ich mich auch nicht bei Chris gemeldet hatte, wurden allen bewusst, dass ich nicht freiwillig verschwunden bin. Als ich dies hörte verspürte ich Wut. Große Wut auf die Personen, die mich nach Dracheim gebracht hatten. Die im Grunde genommen an meiner Entführung Schuld und die somit auch für die Schmerzen meiner Familie verantwortlich waren.

 

Später, als Anni sich schlafen gelegt und ich endlich normale Kleidung angezogen hatte, deutete meine Ma auf die Couch und mir war klar, dass jetzt das Gespräch kommen würde. Ich hatte viele Fragen. Zum einen wollte ich unbedingt wissen, wieso Ma immer noch in dieser Welt lebte, ob sie etwas über das Kalte Feuer wusste und warum sie nie etwas erzählt hatte.

Ich ließ mich auf die Couch nieder. Mist hatte sich auf meiner Schulter niedergelassen und starrte zu unseren Chamäleon…ich meine…zu den Gefährten meiner Ma. Ich konnte spüren, dass mein Kleiner angespannt war, sodass ich ihn beruhigend streichelte, während ich zu Ma sah.

Diese sah nicht gerade erfreut aus. Oh, sie war erfreut, dass es mir gut ging und ich daheim war, doch alles andere schien ihr nicht zu gefallen. Nun, dies überraschte mich nicht besonders, wenn ich daran dachte, dass ihre eigene Schwester sie verbannt hatte.

»Rose«, begann Ma und ließ sich in einen Sessel nieder. »Ich möchte, dass du mir alles ganz genau erklärst, was passiert ist.«

Ich nickte. Dass meine Fragen warten mussten, bis sie zufrieden war, war mir bewusst.

»Alles hat an dem Tag begonnen, wo die Zeugnisausgabe war. Als die Schule aus war, bin ich wie immer durch den Park zur Haltestelle gegangen und dort habe ich das erste Mal …«, begann ich und sah alles noch einmal vor mir. Wie Mist das erste Mal unter den Wacholder-Busch vorgekommen war. Wie ich ihn das zweite Mal gewesen habe und wie sich dann mein Leben verändert hat. Ich erzählte von meinen ersten Eindruck, den ich von den Personen hatte und dass diese mich nach Dracheim mitgenommen hatten. Als ich dies erzählt hatte, unterbrach mich meine Ma das erste Mal.

»Maighdlin ist die Direktorin«, fragte sie und sah mich mit erhobenen Augenbrauen an. Ich nickte und sie lachte leise. »Dass kommt jetzt unerwartet. Ich hätte nicht gedacht, dass sie diesen Weg einschlagen würde.« Ma warf einen Blick auf mich und sah, dass ich verwirrt war. »Oh, ich kenne Maighdlin und auch Renthoial, ihr Gefährte. Wir waren im selben Jahrgang, doch ansonsten kann ich nicht sagen, dass wir Freunde waren. Sie war immer so…ernst und darauf bedacht, dass alles ganz und gar nach Regeln läuft.«

Ich starrte meine Ma ungläubig an. Auf den Gedanken, dass sie einige Personen kannte oder gar mit welchen auf der Schule gegangen war, bin ich bisher noch nicht gekommen. Ich dachte an die Frau und konnte es irgendwie nicht glauben. Dass sie jedoch keine Freunde waren, dass wiederum konnte ich sehr gut glauben.

»Sie sieht aus, als hätte sie einen Besenstil verschluckt«, murmelte ich leise. Doch nicht leise genug, denn nun lachte Ma laut auf.

»Ein sehr guter Vergleich, Rose«, sagte sie und lächelte mich an. »Ich hoffe jedoch, dass du dies ihr nicht gesagt hast. Sie kann in dieser Hinsicht sehr oft … ungehalten werden.«

»Sie ist eine Lehrerin, Ma. Was glaubst du, wie ich ihr gegenüber war?«

Darauf erwiderte meine Ma nichts, doch ich konnte sehen, dass ihre Mundwinkel immer noch verräterisch zuckten. Dann jedoch wurde sie ernst und forderte mich auf, mit meiner Erzählung fortzufahren. So sprach ich von meinen ersten Tagen, von meinen Freunden und da unterbracht sie mich erneut.

»Lailea und Lyrana? Sie sind die Töchter von Leandria?«

Ich schüttelte den Kopf und rief mit dem Stammbaum vor den Augen, den ich in dem einen Buch gesehen habe. »Nein … die sind die Kinder von Sini…Siniri…«

»Siniria«, half mir meine Ma und kniff die Augen zusammen. »Ist Siniria die Königin?«

Ich schüttelte abermals den Kopf und fragte mich, warum Ma mich dies fragte.

»Und die Königin? Hast sie Nachkommen?«

Da war ich überfragt. Ich erinnerte mich zwar daran, dass ich keine Namen auf dem Stammbaum gelesen habe, doch dies hatte ja nichts zu bedeuten. Vielleicht war das Buch schon zu alt. »Keine Ahnung. Ich kenn nicht deine Familie. Ich weis nur, was auf diesen Stammbaum zu sehen war und da habe ich keine Namen gelesen.«

Ma lehnte sich in ihren Sessel zurück und schloss die Augen. Ich hatte zwar keine Ahnung, was genau los war, aber irgendwie schien es mir, als ob die Nachricht ihr nicht besonders gefiel, dass Lailea und Lyrana die Töchter von Siniria sind und nicht von der Königin. War dies wichtig?

»Ma?«

Sie öffnete ihre Augen und sah mich an. Sie blinzelte und richtete sich wieder auf.

»Erzähl weiter. Wie kommt es, dass du hier bist. So wie ich Maighdlin in Erinnerung habe, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie dich einfach hat gehen lassen. In einer Hinsicht hat sie nämlich recht. Du musst ausgebildet werden. Also, was hast du angestellt, dass sie dich hat gehen lassen?«

Für einen Moment war ich überrascht.  Was habe ich angestellt? Wie kommt sie darauf, dass ich etwas angestellt habe? Ich presste die Zähne zusammen und warf einen finsteren Blick zu meiner Ma, welche daraufhin mit ihren Schultern zuckte.

»Sieh mich nicht so an, Rose. Wie du schon gesagt hast: Sie ist eine Lehrerin. Und ich weis, was du von Lehrern und Schule hältst.«

Da war was dran. Dass jedoch Ma gleich denken musste, dass ich etwas angestellt habe, war dennoch nicht besonders nett. Immerhin bestand doch die Möglichkeit, dass ich mich benommen habe, oder etwa nicht? Ich holte tief Luft und fuhr mit meiner Erzählung fort. Ich erzählte von den Angriffen und davon, dass man mich mehrfach versucht hat, zu töten. Auch sprach ich von Shandria und erkannte, dass Ma da besonders zuhörte. Als ich zum Schluss fertig war, schwieg sie einen Augenblick.

Stan, das Chamäleon … für mich wird er immer ein Chamäleon bleiben … zischte und sah sehr angespannt aus. Ma sah zu ihm und ich wusste, dass beide sich unterhielten. Na toll, sie konnten sich unterhalten, ohne dass ich mitbekam worüber. Wer weis, wie oft sie dies schon gemacht haben und wie oft die verdammte Echse mich bei etwas verpfiffen hatte. Ich kniff die Augen zusammen und starrte Stan sauer an. Ich mochte ihn immer noch nicht und dass er in Wirklichkeit ein Drache war, änderte nichts an meinen Gefühlen. Für mich blieb er eine Spanner-Echse!

»Und sie wollen das Kalte Feuer haben«, sagte auf einmal Ma und sah mich an.

Ich nickte. »Ja. Aber was ist das Kalte Feuer, Ma? Man findet ja überhaupt nichts darüber. Nur die eine komische Legende, wo es angeblich heißt, dass das Feuer früher ein Mensch war.«

Ma schüttelte den Kopf. »Nein, das Feuer war kein Mensch … in den Legenden wird erwähnt, dass das Feuer das Erbe eines Gottes ist, der gestorben ist.« Sie erhob sich und begann im Wohnzimmer auf und ab zugehen. »Dass du nichts darüber findest, wundert mich nicht. Seit Jahrhunderten wird dafür gesorgt, dass nur wenige Auserwählte von dem Feuer wissen. Die Königsfamilie, die Drachenhüter und einige mächtige Magier. In Dracheim dürfte es kein Buch geben, wo auch nur einmal das Kalte Feuer erwähnt wird.« Sie blieb stehen und sah mich an. »Dass du ein Buch von dieser Lehrerin bekommen hast, in dem etwas steht, ist sehr verwunderlich. Andererseits denke ich, dass die Frau nicht daran gedacht hat oder nicht glaubte, dass du diesem Kapitel große Aufmerksamkeit zeigst. Ansonsten hätte sie dir dieses Buch nie gegeben!«

»Warum? Warum will man nicht, dass man von diesen Feuer erfährt?«

Stan sprang von ihrer Schulter auf dem Wohnzimmertisch und sah mich an. Ich erwiderte seinen Blick, denn ich konnte ihn immer noch nicht leiden und hatte nicht vor, dies zu ändern. Stan wandte seinen Blick als erster ab, doch ich vermutete, dass es eher daran lag, dass meine Ma ihn etwas gedanklich mitgeteilt hatte. Jedenfalls glaubte ich nicht, dass ich den Blickkampf gewonnen hatte. Er sah zu Ma und dies bestätigte meine Vermutung.

»Das Kalte Feuer wird den Krieg zwischen Licht und Finsternis beenden und die Seite, die es hat, wird einen großen Vorteil haben. Das Problem ist, dass niemand weis, wo sich das Feuer befindet und man hofft, dass es nicht auftaucht. Denn wenn das Feuer erscheint, dann wird der Krieg beginnen. Zwar herrscht immer Krieg zwischen dem Gute und dem Bösen, doch er wird sehr grausam werden, wenn das Kalte Feuer in die Öffentlichkeit erscheint. Dass die Schwarzen Flammen dieses Feuer suchen, ist nicht verwunderlich. Diese haben das eigentlich schon immer getan.« Meine Ma hielt inne und ihr Gesicht wurde finster. »Dass sie jedoch anfangen, Schüler in Dracheim zu töten ist verwunderlich. Sie haben nichts davon. Es sind Schüler, die sie auf ihre Seite bringen könnten und dies wird für sie schwer werden, wenn sie die Schule angreifen. Nein, es muss einen Grund geben, warum sie Dracheim angreifen. Die Schwarzflammen wissen, dass man das Feuer ihnen nicht geben kann, da wir das Feuer nicht besitzen. Wenn sie also die Schüler … oder Lehrer töten, dann hat es einen anderen Grund!«

Ich starrte meine Ma an. Zum einen war es unheimlich, wie teilnahmslos sie von den Toten redet und zum anderen, weil mir das Ausmaß der Worte bewusst wurde. Man tötete und gab eine Forderung, die niemand erfüllen konnte? Plötzlich bekam ich Mitleid mit Maighdlin. Wie schwer musste es für die Direktorin sein, für das Wohl der Schüler zu sorgen, wenn sie nicht einmal die Forderung erfüllen konnte? Plötzlich erfüllte mich Wut. Was bildeten sich diese Schwarzen Flammen ein? Wer waren diese eigentlich genau?

»Ma? Was sind die Schwarzen Flammen?«

Der Blick meiner Ma wurde noch finsterer. »Etwas, von dem ich hoffte, dass du nie davon erfahren würdest. Sie sind eine Vereinigung, die der Finsternis dienen und Drakath anbeteten. Sie sind das Böse schlechthin und Verräter an die Drachenreiter. Ihr Merkmal ist, dass sie eine Schwarze Flamme auf ihren Rücken tätowiert haben … welche jedoch durch sehr starke Magie verdeckt wird. Deswegen ist es schwierig zu erkennen, wer eine Schwarzflamme ist und wer nicht. Wenn das Kalte Feuer in deren Hände gelangt, dann wird das Licht sehr große Schwierigkeiten haben, zu gewinnen.«

Okay – Schwarzflammen waren die Bösen. Dass hatte ich mir schon gedacht, doch dies nun von meiner Ma bestätigt zu bekommen, gab der Information eine noch größere Bedeutung. Ich sah Ma an, musste an die Schlacht denken, von der ich gelesen habe und dann an die Schlacht, wo meine Ma verbannt worden war. Hatte sie da ebenfalls gegen die Schwarzen Flammen gekämpft? Ich sah Ma an.

»Dieser Graf … war der auch eine Schwarze Flamme?«

Ma riss ihre Augen überrascht auf. Mit dieser Frage hatte sie wohl nicht gerechnet. Sie atmete tief ein und nickte dann. Ihr Blick ging zu einem Schrank, der in der Ecke des Wohnzimmers stand und abgeschlossen war. Ein Schrank, den Anni und ich nie öffnen durften. Für einen Moment fragte ich mich, was wohl in diesen war, ehe ich meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenkte.

»Warum bist du nicht zurückgegangen? Die Verbannung ist doch aufgehoben worden.«

Ein leichtes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, doch nur ganz kurz, ehe es wieder verschwand. »Weis du noch, als du wütend auf Anni warst, weil sie mir gesagt hat, dass du dich wegschleichen wolltest, obwohl du Hausarrest hattest?«

Nun war ich es, die die Augen überrascht aufriss. Damit hatte ich nun nicht gerechnet. Ich nickte, denn damals war ich auf Anni mehr als sauer gewesen. Ich hatte ihr etwas gesagt und mich dabei verlassen, dass ich ihr vertrauen konnte. Doch was hatte das mit dem hier zu tun? Es war ja nicht so, dass Anni mich verbannt hatte oder so.

»Du hast es Anni verraten, obwohl du wusstest, dass sie es mir sagen würde. Doch du hast dich darauf verlassen, dass du ihr Vertrauen konntest und sie dir Gelegenheit gibt, alles besser zu erklären. Was hat sie gemacht? Sie ist zu mir gekommen und hat es mir gesagt. Du hast dich verraten gefühlt, weil du ihr vertraut hast und obwohl du wusstest, dass sie dies machen würde, macht es dies nicht besser. Später, als Anni wusste, warum du dich raus schleichen wolltest, hat sie dich bei dir entschuldigt, doch du bist weiterhin wütend auf sie gewesen. Sie hat ihren Fehler eingesehen, doch bis heute hast du ihr nicht wirklich verziehen.

Bei mir ist es ebenfalls so gewesen.

Ich habe gewusst, wie Leandria reagieren musste, als ich Graf Sylen getötet habe, doch ich habe darauf gehofft, dass ich es ihr erklären konnte. Dass ich ihr Vertrauen konnte und sie mir die Gelegenheit geben würde, alles zu erklären. Du hast es getan, obwohl du wusstest, dass Anni zu mir kommen würde und ich habe es getan, obwohl ich wusste, dass Leandria mich verurteilen musste. Doch genau wie du, hatte ich gehofft, es ihr erklären zu können. Ich hätte einen einzigen Tag gebraucht und alles wäre in Lot gekommen. Doch so wie Anni dir keine Zeit gelassen hat, hat mir Leandria auch keine gelassen. Im Gegensatz zu Anni, war Leandria natürlich die Königin, doch ich hatte sie angefleht, dass sie mir einen Tag schenken sollte. Einen einzigen! Doch so wie Anni dich »hintergangen« hat, hat dies auch meine Schwester getan. Natürlich war es klar, dass sie früher oder später die Wahrheit erfahren würde und dass sie meine Handlung verstehen würde. Daraufhin hat sie die Verbannung aufgehoben, so wie Anni dich um Verzeihung gebeten hat.

Du hast ihr bis heute noch nicht verziehen, weil sie dein Vertrauen missbraucht hat. Ich habe Leandria nicht verziehen, weil sie meins missbraucht und stattdessen lieber auf irgendwelche Adligen gehört hatte.

Ein Tag, Rose. Ein Tag mehr und alles wäre anders gekommen, doch meine eigene Schwester wollte mir nicht diesen Tag schenken.«

Ich schwieg. So hatte ich noch nicht darüber nachgedacht. Ich erinnerte mich daran, wie ich mich gefühlt hatte, als Anni zu Ma gerannt und gepetzt hatte und bis heute nahm ich ihr dies übel. Wie schwer musste es da für Ma sein, wenn sie ihre Schwester durch den Mord an diesen Graf das Leben gerettet hatte und zum Dank verbannt wurde.

»Mir ist klar, dass Leandria damals keine Wahl gehabt hatte, doch es war nur ein Tag gewesen, um den ich gebeten hatte. All die Jahre davor habe ich mein Leben in erster Linie gebracht, damit ich sie schützen konnte und als ich ein einziges Mal ihren Schutz benötigt hatte, hat sie ihn mir nicht gegönnt. Die Verbannung aufgehoben…« Ma lachte düster auf. »Als ob dies es ändern würde. Und selbst wenn ich ihr verziehen habe, dann gab es noch einen anderen Grund, warum ich nicht zurück gegangen bin.«

Ich sah auf. »Welchen?«

Nun lächelte Ma abermals. »Du warst es. Du und Anni. Euer Leben wäre ganz anders verlaufen, wenn ihr drüben aufgewachsen wärt. Ihr wärt dann in der königlichen Familie aufgewachsen und dies hat nicht nur Sonnenseiten. Ganz im Gegenteil. Ich wollte euch nicht in Gefahr aufziehen und das wäre passiert. Du hast gesagt, dass du gehört hast, wie die Schwarzen Flammen gemeint haben, dass sie die Draconi töten wollen. Das ist schon immer gewesen. Das Leben in der königlichen Familie ist wie auf einen Präsentierteller. Man muss immer damit rechnen, dass jemand einen umbringen will. Ich wollte, dass ihr eine Kindheit habt. Ein Kindheit, wo es keine Attentäter und Schmeichler gibt.«

Nun, ich musste sagen, dass es mir lieb war, dass Ma so gehandelt hatte. Der Gedanke, an einen königlichen Hof zu leben, war irgendwie unheimlich. Ich dachte an Anni. Der Gedanke, dass jemand versuchen würde sie zu töten, verursachte ein schlechtes Gefühl in mir. Nie, aber auch nie würde ich dies zulassen.

Ma seufzte. »In dieser Hinsicht bin ich froh, dass du dich nur mit Rose Shallan vorgestellt hast. Wenn du deinen ganzen Namen gesagt hättest, dann hätte sich unser aller Leben in dieser Nacht geändert. Für Anni bin ich erleichtert … jetzt jedoch…« Sie presste die Lippen zusammen und sah mich nachdenklich an. »Dir kann ich es nicht verbieten. Wenn du willst, dann kannst du Anspruch erheben und in die königliche Familie aufgenommen werden. Du hast das Recht dazu. Du und Anni.«

»Aber wenn ich es mache, dann wird Anni in Gefahr kommen?«

Ma nickte. »Ja … und du auch.«

Ich war ja schon in Gefahr, aber dies musste ich nicht weiter vertiefen. Wichtig waren andere Personen. »Du willst es aber nicht, oder?«

»Ich werde nicht mit meiner Schwester einfach so Frieden schließen, doch wenn du mit ihnen verkehren willst, dann kann ich es dir nicht verbieten. Denk darüber nach und mache deine eigene Entscheidung. Jetzt jedoch …« Sie sah aus dem Fenster. »Jetzt jedoch werde ich ins Bett gehen und du sollest es auch. Zwar wird es einige Tage dauern, ehe du dich den Zeitrhythmus hier wieder angepasst hast, doch ich bin mir sicher, dass du in Ruhe nachdenken möchest. Über alles weitere – wie die Angriffe und so – werden wir morgen reden. Und sage Anni nichts davon.«

Ich nickte und erhob mich.

»Rose?«

Ich sah zu Ma und abermals sah ich diesen wunderbaren Blick in ihren Augen.

»Ich bin froh, dass du wieder hier bist!«

17. Kapitel

Es war schon seltsam. Ich bin nun seit drei Tagen wieder zuhause und dennoch fühlte ich mich nicht richtig wohl. Als ich am nächsten Morgen, nachdem ich hier da war, aufgewacht bin, hatte ich das Gefühl, das etwas nicht stimmte. Ich war verwirrt gewesen, und wenn ich ganz ehrlich zu mir war, dann vermisste ich auch meine Mitbewohner. Wieder ein Zimmer für sich alleine zu haben, war ungewohnt. Als dann jedoch Anni zu mir ins Zimmer gekommen war … da war wieder alles in Ordnung.

Ich sah Anni an, dass sie Fragen hatte und dennoch stellte sie diese nicht. Sie war so froh, dass ich wieder da war, dass sie ihre Neugierte zügelte und nur wenige Fragen stellte. Dafür jedoch klebte sie die ganze Zeit an mir. Egal, wo ich hinging. Den ganzen Tag über.

Ma selber war … sie war auf jeden Fall auch froh und zeigte dies auch offen, doch sie hatte mir gleich am nächsten Tag deutlich gemacht, dass ich nicht offen vor Anni reden sollte. Was ziemlich schwierig war, denn ich wollte meine Schwester nicht belügen. Dies schien Ma auch zu merken, denn am Abend nahm sie Anni beiseite und sprach mit ihr. Danach sprach mich Anni nicht mehr auf diese Sache an.

Ein Problem mehr oder weniger gelöst, doch dafür waren die anderen umso präsenter.

Ich durfte das Haus nicht verlassen, denn offiziell galt ich noch als vermisst und Ma wollte unangenehme Fragen aus dem Weg gehen. Was ich irgendwie auch verstand, denn mir war klar, dass die Polizei von mir wissen würden wollen, wo ich die ganze Zeit gesteckt habe. Da konnte ich ja schlecht sagen, dass ich in einer fremden Welt auf einer Schule für Drachenreiter gewesen war. Also hörte ich auf Ma und verließ das Haus nicht. Am Anfang hatte es mich nicht gestört, denn ich war so froh, endlich eine warme Dusche nehmen zu können, oder andere Annehmlichkeiten, die es in Dracheim nicht gegeben hatte. Das Gespräch, das mir Ma versprochen hatte, war jedoch noch nicht gekommen. Sie selber meinte, dass sie zu viel zu tun hatte und ich mich gedulden sollte. Gedulden? Wie sollte man sich gedulden, wenn man erfährt, dass die eigene Mutter von einer anderen Welt kommt und wir all die Jahre mit einen Drachen gelebt haben. Stan selber gehe ich aus dem Weg, da Mist irgendwie unruhig bei ihm wird.

Anni ist von Mist begeistert und er scheint sie auch zu mögen. Immer wenn sie in der Nähe war – was wie gesagt ja fast immer war – kletterte er auf ihre Schulter und ließ sich von ihr verwöhnen. Sie fütterte ihn, streichelte ihn und ließ sich alles von ihm gefallen. Nein, ich bin nicht eifersüchtig! Wenn Mist dies gefällt und es Anni davon abhielt zu neugierig zu sein, dann sollte es mir recht sein.

Jedoch nach drei Tagen im Haus eingesperrt zu sein, zeigte sich schnell, dass es nicht zum aushalten war. Ich wollte hinaus und nicht die ganze Zeit hier im Haus sein. Neben dieser Sache, kamen dann noch die Träume. Immer wieder und wieder träumte ich von dem Gang, der Stimme und jedes Mal, wenn ich aufwache, habe ich das Gefühl, dass ich etwas verpasste. Dass ich etwas ganz Wichtiges wissen musste und einfach nicht darauf kam, was es sein konnte. Es war zum Verzweiflen!

Natürlich versuchte ich nicht allzuviel darüber nachzudenken, aber dies war nicht einfach. Ich wusste, dass der Traum etwas zu bedeuten hatte und konnte einfach nicht sagen, was es war. Vielleicht sollte ich mit mich mit meiner Ma unterhalten. Immerhin kannte sie sich doch mit übernatürlichen und magichen Dingen aus, oder?

Ich saß gerade an meinen Schreibtisch und hatte auf einem Blatt Papier mir Notizen gemacht, was ich alles über meinen Traum wusste und nachdem ich fertig war, erkannte ich, dass es sehr viele Fragezeichen gab. Mein Blick fiel auf ein anderes Blatt Papier, dass so mit Notizen überfüllt war, dass man es kaum lesen konnte. Dies waren meine Gedanken über das Schwarze Blut, die Angriffe und das Kalte Feuer. Diese Notizen hatte ich gestern angefertigt, und wenn ich mir diese ansah, dann überkam mich das Gefühl, dass ich etwas verpasste. Doch was es war, das konnte ich nicht sagen!

Ich seufzte und meine Hand ging automatisch zu meiner Schulter, nur um festzustellen, dass Mist ja garnicht hier war. Dieser war wieder bei meiner Schwester und es schien ihm dort zu gefallen.

Wie gesagt, ich bin nicht eifersüchtig!

Ein Klopfen an meiner Tür riss mich aus meine Gedanken und ich sah zu dieser.

»Ja?«

»Ich bin, Rose«, ertönte die Stimme meiner Ma und ich hob fragend eine Augenbraue. Was wollte sie hier? Wie gesagt, in den letzten Tagen hatte sie viel zu tun gehabt und heute morgen auch gemeint, dass sie die meiste Zeit außer Haus sein würde. Da wundert es mich schon, dass sie nun hier war.

»Komm rein!«

Ma betrat mein Zimmer und blieb dann kurz stehen. Sie sah mich an und wieder erkannte ich, wie sehr meine Ma mich doch liebte. Abermals wurde mir bewusst, was die Lehrer und anderen Leute meiner Familie angetan hatten, als sie mich einfach entführt hatten. Abermals stieg Wut in mir auf.

»Ist alles in Ordnung«, fragte ich und sah erleichtert, wie meine Ma mit dem Kopf nickte. Sie setzte sich auf meinem Bett und sah mich dann lange schweigend an. Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr etwas angestellt habt und dann vor euren Eltern steht und auf das große Donnerwetter wartet? Genauso fühle ich mich jetzt, obwohl ich ja nun wirklich nichts angestellt hatte. Dennoch fühlte ich mich schuldig.

»Rose, wir müssen reden«, fing sie an und irgendwie wusste ich sofort, dass es mir nicht gefallen würde, worüber wir reden würden.

Ich nickte zögerlich.

»Mir ist bewusst, dass du sehr viele Fragen haben musst und dies ist selbstverständlich.« Sie hielt inne und sah mir dann fest in die Augen. »Ich hätte mir nie träumen lassen, dass du die ganze Sache auf diese Art und Weise herausfindest. Um ehrlich zu sein, wäre es mir lieber gewesen, wenn du nie etwas über diese andere Welt herausgefunden hättest. Dies liegt nicht daran, dass ich etwas euch enthalten wollte, sondern einfach daran, dass es gefährlich ist, Rose. Wie gesagt, gehörst du durch dein Blut der königlichen Familie an und dies bedeutet einfach Gefahr. Als ich damals die Nachricht bekommen hatte, dass die Verbannung aufgehoben worden war, war ich glücklich für einen Augenblick. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nichts vermisse!« Ma fuhr sich nervös durch ihr Haar. »Himmel! Ich habe zwei Nichten, von denen ich nichts wusste!«

Ich sah Ma an und langsam wurde mir bewusst, wieso sie nicht mit mir in den letzten Tagen geredet hatte. Es lag nicht nur daran, dass sie keine Zeit hatte, sondern auch daran, dass sie innerlich aufgewühlt war. Das konnte ich verstehen. Ich würde mich genauso fühlen, wenn ich erfuhr, dass ich Nichten hätte, von denen ich vorher nie etwas gewusst hätte! Dadurch, dass Ma nicht nach der Aufhebung zurückgegangen war, hatte sie freiwillig beschlossen, keinen Kontakt zu ihrer Schwester zu haben. Ihrer andere Schwester, die ja überhaupt nichts mit der Verbannung zu tun hatte.

»Warum hast du nicht versucht, dich mit Siniria zu treffen«, fragte ich. »Ich meine, ich kann verstehen, warum du nichts mit der Königin zu tun haben wolltest, doch wieso deinen Groll auch auf den Rest deiner Familie verbreiten?«

Ma seufzte und sah mich an. »Weil ich dies nicht konnte. Es war entweder alles oder nichts, Rose. Wenn ich mich mit Siniria getroffen hätte und sie hätte etwas über euch herausgefunden, dann hätte Leandria darauf bestanden, euch kennen zu lernen!«

Wow! Das tat weh und Ma musste dies auch erkennen, denn sie schüttelte heftig den Kopf.

»Ich habe das nicht so gemeint, Rose! Du und Anni seid die größten Schätze, die es für mich gibt! Als ich damals den Brief bekommen hatte, wollte ich sofort meine Sachen packen und nach Hause zurückkehren! Doch dann bist du ins Zimmer gekommen und warst ganz aufgeregt, da Anni in ihrer Wiege geweint hatte. Du hattest nicht gewusst wieso und glaubtest das Schlimmste. Als ich dich gesehen und Anni gehört hatte, war mir bewusst, dass ich eine Entscheidung hatte treffen müssen!

Nach Urharien und meiner Heimat zurückkehren, und zwar mit dem Wissen, euch der Gefahr auszusetzen, oder aber hier zu bleiben und dafür euch in Sicherheit zu wissen. Im Grunde genommen, war es keine schwierige Entscheidung!«

Ich nickte leicht. Ich konnte Ma verstehen, und wenn ich mir so Lyrana und Lailea ansehe, dann wusste ich, dass sie kein einfaches Leben haben. Lailea war die Thronerbin und ihr Leben war dadurch gepägt, dass sie immer und überall beobachtet wurde. Leibwächter, die Lehrer und ihre eigene Schwester. Im Grunde genommen ein furchtbares Leben!

»Ich wollte, dass ihr eine sorgenfreie Kindheit habt und dass euch nichts vorgeschrieben wird! Dass ihr selber entscheiden könnt, wie ihr euer Leben verbringen wollt. Dass wäre als Mitglied der Draconi-Familie nicht möglich gewesen. Und die Tatsache, dass Leandria keine eigene Kinder hat, verstärkt meine Entscheidung!«

Ich runzelte meine Stirn bei dieser Aussage und fragte mich, was meine Ma damit meinte. Ich erinnerte mich ziemlich gut daran, dass sie sehr über diee Tatsache, dass Lyrana und Lailea nicht die Kinder der Königin waren, sondern die ihrer Schwester. Warum?

»Doch die Tatsache, dass ein Drache dich auserwählt hat, ändert alles, Rose! Auch wenn es dir nicht gefällt, so musst du ausgebildet werden. Du hast einen Feuerdrachen und dies heißt, dass deine Magie das Element Feuer ist. Und leider ist Feuer eins der unkontrollieresten und gefährlichsten Elemente, die es gibt. Dies wiederum bedeutet, dass du ausgebildet werden musst!«

Na toll! Mein ungutes Gefühl wurde immer stärker, doch ich schwieg.

Ma erhob sich und begann im Zimmer auf und ab zu laufen. Sie sah wütend und nervös aus.

»Dies bedeutet, dass du nach Dracheim gehen musst! Du musst lernen, dich zu schützen und auch andere. In dieser hinsicht, hat Maighdlin mehr als recht! Ich bin froh, dass du die ganze Zeit dort gewesen bist, auch wenn ich es sehr gerne gewusst hätte. Doch kann Maighdlin verstehen. Auf der anderen Seite bin ich mehr als froh, dass du wieder hier bist, denn Dracheim ist zurzeit ein gefährlicher Ort. Doch dies ändert nicht dass du dort sein müsstest!«

Mir wurde bewusst, wie sehr Ma innerlich zerrissen war.

»Kannst du mir nicht das Wichtigste beibringen«, fragte ich. »Sodass ich nicht zurück gehen musst.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Du hast einen Feuerdrachen, Rose und Stan ist ein Weißdrache. Zwar könnte ich dir beibringen, Feuer zu beherrschen, doch alles andere wäre besser, wenn es jemand machen würde, der dafür ausgebildet worden war.« Sie seufzte. »Solange natürlich die Gefahr in Dracheim herrscht, kann und werde ich dich nicht zurückschicken.« Plötzlich sah Ma müde aus. »Ich weis wirklich nicht, was wir machen sollen.«

Schweigen erfüllt den Raum und ich dachte an meine Freude in Dracheim. Diese waren immer noch in Gefahr. Zwar ging es mir gut, doch ihnen nicht. Langsam fühlte ich mich selbstsüchtig. Sicher, ich wollte auf jeden Fall nach Hause, doch war es fair gegenüber den anderen? Mein Blick fiel auf meine Ma, die nun am Fenster stand und nach draußen blickte. Ich musste mich nicht bewegen, um zu wissen, dass Anni draußen im Garten war und mit Mist spielte. Mir wurde bewusst, dass Ma sehr gerne helfen würde, doch wenn sie dies tat, dann würde sie damit Anni in Gefahr bringen.

»Ich bin mir sicher, dass die das Problem schnell lösen werden«, sagte ich, um Ma zu beruhigen. »Immerhin habe ich gehört, dass Shandria die beste Kriegerin ist, die es in Urharien gibt. Sie und ihre Drachenkrieger werden ganz schnell den Mörder finden!«

Ein leichtes Lächeln erschien in Mas Gesicht und sie nickte. »Ja! Wenn jemand herausfindet, was los ist, dann ist es Shandria.«

Ich blinzelte und in mir kam der Verdacht auf, dass Ma auch diese Person sehr gut kannte. Andererseits war dies nicht überraschend, denn Ma war ja die damalige Erste Drachenhüterin und nun war es diese Shandria. Ich war mir deshalb ziemlich sicher, dass die beiden Personen sich kennen mussten.

Ein Seufzen entfuhr meiner Ma und sie wandte sich vom Fenster ab. Sie ging zur Tür und sah dann zu mir. »Wir werden eine Lösung zu diesem Problem finden, Rose«, sagte sie leise und verließ dann mein Zimmer.

Zuerst fragte ich mich, was aus meinen eigenen Fragen war, doch ich sagte nichts. Mir war bewusst, dass Ma jetzt Zeit für sich brauchte.

 

Den Rest des Tages verbrachte ich damit, dass ich über die Worte meiner Ma nachdachte und auch über alles andere. Ich verstand sie, dass sie nicht wollte, dass Anni in diese ganze Sache hineingezogen wurde und je mehr ich darüber nachdachte, desto deutlicher wurde es für mich, dass ich nicht zulassen konnte, dass die Leute herausfanden, wer meine Ma war. Dass, wenn ich zurückgehen würde, ich nie andeuten konnte, dass mein Name Draconi war. Dies stimmte mich auf der einen Seite traurig! Es wäre toll gewesen, Lailea zu sagen, dass wir verwandt waren. Unsere Familie war klein! Es gab nur Ma, Anni und mich. Mein Vater ist vor vielen Jahren bei einem Einbruch getötet worden und seine Familie hat sehr selten Kontakt mit uns, da sie nicht wirklich mit der Heirat einverstanden gewesen waren. Es wäre deshalb schön gewesen, die Familie meiner Ma besser kennenzulernen. Doch wenn dies bedeutete, dass Anni in Gefahr kommen würde, dann wollte ich es einfach nicht!

So viele Gedanken schwirrten in meinem Kopf, dass es lange dauerte, ehe ich es schaffte, endlich wieder einzuschlafen.

 

Sie rannte einen Gang entlang und hörte in der Ferne qualvolle Schreie. Ohne zu wissen, weshalb, wusste sie, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb. Sie rannte, ignorierte den Schmerz in der Hüfte und setzte einen Fuß nach dem anderen. Die Angst, die in ihr aufkam, erfüllte beinahe ihr ganzes Denken. Ich muss mich beeilen! Ich muss schneller werden!

Die Schreie wurden immer lauter. Fraßen sich in ihre Gedanken und schienen ihr den Weg zu weisen.

Der Gang kam an einer Kreuzung und ohne zu zögern, rannte sie um die linke Ecke. Immer weiter und weiter. Es war so, als würde eine fremde Macht sie leiten. Sie wusste, wo sie bei einer Kreuzung entlang musste und vergeudete dadurch keine Zeit. Dieses Mal musste sie es einfach schaffen! Sie musste zu der Frau gelangen und ihr endlich helfen. Dieses Mal durfte sie nicht versagen.

Sie rannte und rannte immer weiter. Einmal stolperte sie fast, doch in letzter Sekunde fing sie sich und rannte weiter. Ohne zu zögern. Ohne eine Pause.

Es war so, als würde eine ihr unbekannten Macht sie dazu antreiben, doch gleichzeitig spürte sie, wie etwas an ihr zerrte. Etwas Unheimliches und dieses Etwas zerrte so stark an ihr, um zu verhindern, dass sie vorankam. Panik kam in ihr auf. Verdrängte die Angst und erfüllte sie. Jede Faser ihres Dasein wurde davon eingenommen und sie schrie gepeinigt auf. Der Gang endete plötzlich und führte zu einem großen Raum. Es war ein dunkler Raum, der kaum erhellt wurde. Doch von irgendwoher kam dennoch genügend Licht, sodass man die Umrisse von schattenhaften Figuren, von unzähligen Statuen erkennen konnte. Es gab hunderte, wenn nicht sogar tausende, die sich in hier und in auch den angrenzenden Räumen befanden. Unzählige, die ein düsteres Bild vermittelten und ihre Panik verstärkten. Es waren Statuen von Männern, Frauen und Kinder. Männer, die wie Soldaten gekleidet waren, oder einfache Sachen eines Bauern trugen. Männer, die alt oder jung waren. Es gab Frauen, die Priestergewänder trugen, oder die Tracht von Mägden. Zwischen ihnen standen Kinder, die prächtig angezogen waren, oder einfache Lumpen trugen. Inmitten den Personen befanden sich Tiere, welche ebenso zahlreich waren wie die Menschen. Riesige Hengste, geduckte Wölfe, Adler mit ausgebreiteten Schwingen und angriffslustige Hunde. Selbst magische Wesen, die als die mächtigen galten, waren zu erkennen: Gewaltige Drachen, imposante Greife, hinterlistige Mantikoren und seltsame Kreaturen, deren Namen in Laufe der Zeit vergessen wurden. Diese Statuen waren reglos und stießen eine unnahbare Kälte aus. Während sie zwischen den Statuen rannte, befiel sie ein unheimliches Gefühl. Eines, dass ihr sagte, dass Gefahr drohte.

Inmitten der Figuren konnte sie die Gestalt einer Frau in weiten Gewändern erkennen, an deren Brust und Rücken jeweils eine weiße Flamme gestickt war. Sie trug eine Maske, die die eine Hälfte des Gesichts verdeckte und langes weißes Haar wedelte um diesen. Sie stand inmitten eines Feuers, das nicht rötlich sondern bläulich schien.

»Hilf mir…hilf mir…Draconi….Es bleibt nicht mehr viel Zeit… Du musst mich finden, sonst wird die ganze Welt in einer tiefen Finsternis verfallen! Du musst dich beeilen, wenn du nicht willst, dass deine Freunde einen quallvollen Tod sterben werden. Beeile dich!«

Leise und gequält drangen die Worte zu ihr hinüber, als sie der Frau immer näher kam und sie begann noch schnell auf sie zu zu rennen. Sie schenkte der Umgebung keinerlei Beachtung mehr und aus diesem Grund merkte sie auch nicht, wie hinter ihr ein riesiger Schatten entstand. Sie schenkte ihre Aufmerksamkeit ganz allein der Frau, die ihre Hilfe zu brauchen schien, aber immer noch weit entfernt war.

»Hilf mir, Oh Draconi, hilf mir. Du bist die letzte Hoffnung! Hilf mir, Draconi!«

Plötzlich spürte sie, wie etwas an ihr zehrte, so als würde man sie zurückziehen und Panik kam in ihr auf. Sie konnte immer noch die Frau sehen, doch die Worte wurden immer schwächer und kurz darauf verstummten sie. Ihre Angst um die Frau wurde immer größer und sie zehrte gegen die unsichtbaren Fesseln. Sie wollte sich unbedingt losreißen, wollte den harten Griff entkommen und endlich zu der Unbekannten kommen, doch je härter sie sich wand, desto fester wurde der Griff.

»Nein!«

Sie schrie laut auf und stemmte sich immer mehr gegen den Griff. Nur sehr langsam gelang es ihr, sich loszureißen. Doch als sie endlich losgekommen war, wusste sie, dass es ihr nicht helfen würde. Sie sah plötzlich einen Schatten hinter sich und sie wirbelte herum. Sie konnte eine Person mit flammenden Haaren erkennen und wich zurück. Ein Verfolger! Mit dies im ihren Gedanken drehte sie sich um und rannte. Sie wollte dieser Person entkommen und zu der anderen Frau gelangen, ehe ihr etwas zustoßen konnte. Die hilfesuchenden Schreie wurden immer leise und dann verstummten sie mit einem letzten hohen schmerzhaften Schrei.

»Nein!«

Ein ohrenbetäubender voller Qualen enthaltener Schrei hallte zwischen den Statuen und dann gab es nur noch Stille. Das einzige, was sie vernahm, war ihr eigener Atmen und dann schien die Zeit stillzustehen, als ihr diese Tatsache vollends in Gedächtnis kam. Sie schrie wie ein verletztes Tier auf, konnte es einfach nicht fasse, dass sie wieder zu spät gekommen war und wollte ihre ganze Wut hinaus brüllen. Ihre Knie knickten ein und sie stützte sich mit ihren Händen auf den Boden. Tränen liefen über ihre Wangen und sie fühlte sich verloren. Wieso gelang es ihr nie, diese Frau zu erreichen und ihr zu helfen? Wieso musst sie immer wieder versagen und das jedes Mal.

Sie sah auf, blickte sich im Raum um, doch sie konnte kein Lebenszeichen der Frau erhaschen. »Bitte nicht…bitte nicht…«

Ein Geräusch hinter ihr ließ sie zusammenzucken und sie wusste, dass ihr Verfolger sie erreicht hatte. Dann hörte sie ein leises »Draconi« und verspürte einen schmerzhaften Stich in ihren Rücken. Sie wollte aufschreien. Wollte endlich, dass das alles ein Ende haben wird und wusste gleichzeitig, dass dies nicht passieren würde. Sie war hier gefangen und konnte nicht die Frau retten. Die Frau, die verzweifelt nach ihr gerufen hatte.

Sie spürte, dass die Schmerzen in ihren Rücken etwas etwas wurden un drehte sich um.

Etwas entfernt konnte sie ihren Verfolger erkennen. Er hatte einen Dolch in seiner rechten erhobenen Hand und von diesem tropfte Blut auf dem Boden. Erst jetzt spürte sie, dass der Stoff auf ihrem Rücken feucht wurde und irgendwie ahnte sie, dass es sich hierbei nicht um Wasser handelte. Ihr Rücken schien zu brennen, doch sie achtete nicht darauf, sondern starrte ihren Verfolger an.

Es war eine Gestalt, die in schwarzen Gewändern gehüllt war und eine Kapuze verdeckte ihr Gesicht, sodass sie nicht erkennen konnte, ob es sich um einen Mann oder einer Frau handelte. Sie wusste nur, dass diese Person gefährlich war!

Die Gestalt trat einige Schritte vor und ungewollt wich sie zurück.

»Du kannst mir nicht entkommen«, zischte die Person und sie erkannte, dass es sich um einen Mann handelte. »Du wirst ihr nicht helfen können! Es war törisch von dir, hierher zu kommen und du wirst diese Torheit mit deinem Leben zahlen!«

Sie wich weiter zurück, denn sie ahnte, dass diese Person recht hatte. Dann jedoch stockte sie. Die Stimme kam ihr bekannt vor. Doch wo hatte sie diese gehört. Lange konnte sie nicht nachdenken, denn die Gestalt hob ihre rechte Hand und ein dichter schwarzer Nebel bildete sich vor dieser zu einer dunklen Kugel. Als diese sich fertig gebildet hatte, schoss diese blitzschnell auf sie zu.

Sie öffnete den Mund, um zu schreien, doch ihr Körper war so von Schmerzen erfüllt, dass sie keinen Ton ausbrachte…

 

Ich riss meine Augen auf und rang nach Luft. Ein lautloser Schrei entfuhr meinen Lippen und für einen kurzen Augenblick hatte ich das Gefühl, als würde ich keine Luft bekommen. Panik kam in mir auf. Dann spürte ich Mist an meiner Seite und wie er begann, mein Gesicht abzulecken. Seltsamerweise beruhigte dies mich und kurz darauf konnte ich atmen. Ich versuchte tiefe und langsame Atemzüge zu machen, und als mein Körper sich wieder beruhigt hatte, sackte ich auf meiner Matraze und schloss die Augen. Ich atmete tief durch und nahm das beruhigende Gefühl in mir auf, dass Mist ausströmte.

Wieder dieser seltsame Traum und dieses Mal schien er länger und realer zu sein.

Meine Gedanken gingen zu dieser Gestalt am Ende und etwas nagte an meiner Erinnerung. Ich kannte tatsächlich diese Stimme, doch konnte leider nicht sagen, woher.

»Verdammt«, fluchte ich und erhob mich. Zitternd ging ich zu meinem Schreibtisch und suchte den Zettel mit meinem Notizen. Ich notierte mir kurz, an was ich mich erinnerte und materte mein Gehirn, dass ich mich sehr gerne erinnern würde.

Woher kannte ich diese Stimme.

Ein Fiepen drang an meine Ohren und ich sah zum Bett, wo Mist lag. Er sah mich mit großen Augen an und gab besorgte Geräusche von sich. Tief durchatemd setzte ich mich auf die Bettkante und er sprang auf meinen Schoß. Ich begann, ihn zu streicheln.

»Was haben die Träume zu bedeuten«, flüsterte ich und spürte, dass Mist anfing zu vibrieren. Dabei war ein leichtes Grollen von ihm zu vernehmen. Es klang beruhigend und ich schloss die Augen. »Irgendetwas muss es doch bedeuten. Es ist so, als wollten sie mir sagen und irgendwie glaube ich, dass das alles etwas mit diesen Angriffen in Dracheim zu tun haben. Ob es ein Fehler war, darauf zu bestehen, dass ich heim gehen durfte?«

Je mehr ich darüber nachdachte, desto unsicherer wurde ich.

Ich legte mich hin, sodass meine Beine zwar noch auf dem Boden standen, aber mein Oberkörper auf meinen Bett lag. Mist ließ sich nicht stören. Ich streichelte ihn weiter und sah zu meiner Zimmerdecke.

»Diese Frau … wer ist sie? Woher weis sie, dass ich eine Draconi bin? Warum habe ich das dringende Gefühl, dass ich sie retten musste?« Abermals schloss ich die Augen. »Und dieser Mann? Er ist bestimmt eine Schwarze Flamme. Doch wer ist er? Wieso kommt mir seine verdammte Stimme bekannt vor!«

Frust und Wut kam in mir auf. Ich wusste nicht, wieso, doch ich hatte das Gefühl, das ich etwas ganz wichtiges verpasste. Ich richtete mich wieder auf und mein Blick fiel auf meinen Schreibtisch. Speziell auf die beiden Zettel, doch ich wusste, dass diese mich nicht weiterbrachten. Ich übersah etwas und eine Stimme flüsterte mir zu, dass es etwas mit dieser Person war. Der Person, dessen Stimme mir bekannt vorkam.

Je mehr ich versuchte, mich daran zu erinnern, woher ich diese Stimme kannte, desto mehr frustierter wurde ich. Es war einfach so, als würde eine Barriere in meinen Kopf herrschen und ich konnte einfach nichts dagegen machen. Ich konnte sie nicht durchbrechen!

Ich seufzte abermals und traf eine Entscheidung. Ich brauchte jemanden, der mir helfen konnte und seltsamerweise glaubte ich nicht, dass dies Ma sein würde. Kurzerhand zog ich mich an und schlich mich aus dem Haus.

Ich wusste genau, wen ich um Hilfe bitten würde!

 

18. Kapitel

 Im Nachhinein gesehen war es eine dumme Idee einfach das Haus zu verlassen, wenn ich gerade erst von einer geglaubten Entführung nach Hause gekommen bin. Doch in dem Moment konnte ich einfach nicht klar denken! Der Frust, dass ich etwas wissen musste, aber nicht genau wusste, was, war einfach zu groß. Ich hätte eine Nachricht für meine Ma und Anni hinterlassen sollen, aber der Gedanke kam mir nicht einmal. Ich musste nicht weit gehen, da ich eine Abkürzung durch eine Gartenanlage nahm und eine knappe halbe Stunde später stand ich vor dem Wohnblock, wo meine Freundin Christin Müller wohnte. Ich starrte auf die Klingel mit ihrem Namen und erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich nicht einfach zu klingeln konnte. Was ist, wenn ihre Eltern daheim waren? Dies war zwar eher unwahrscheinlich, aber dennoch möglich.

Ich atmete tief durch und spürte plötzlich, wie etwas an meiner Hose zehrte, und sprang erschrocken nach hinten. Ich sah nach unten und erkannte die Umrisse von Mist. Sofort beruhigte sich mein klopfendes Herz. Es war nur mein kleiner Freund. Wahrscheinlich war er mir gefolgt, denn ich hatte so schnell das Haus verlassen, dass ich ehrlich gesagt überhaupt nicht an ihm gedacht hatte.

»Komm her«, flüsterte ich und beugte mich nach unten. Mist kletterte über meinen rechten Arm auf meine Schulter und machte sich dort bequem. Er schlängelte seinen Schwanz um meinen Oberarm und krallte sich in den Stoff auf meiner Schulter.

Tief durchatmend drückte ich auf die Klingel, ehe ich meine Meinung ändern würde. Die Chance, dass die Eltern Müller daheim waren, war ziemlich gering. Diese waren immer beruflich unterwegs und nur sehr selten daheim. Kein Wunder also, wieso Chris die meiste Zeit sowieso immer bei mir daheim verbracht hatte.

Ich musste viermal klingel und zum Schluss hielt ich sogar einige Sekunden lang die Klingel gedrückt. Mir war klar, dass Chris ziemlich wütend sein würde, dass jemand sie um diese unchristliche Uhrzeit wecken würde.

Ein Knacksen war zu hören und dann ertönte aus den Lautsprechern eine ziemlich wütende Stimme.

»WAS!«

Ein Grinsen machte sich auf meinem Gesicht breit, trotzt, dass meine Situation nicht gerade rosig war. Doch ich hatte Chris dafür einfach zu sehr vermisst.

»Ich bin es … Rose«, sprach ich und schaffte es sogar ein Zittern aus meiner Stimme zu halten.

Schweigen dröhnte aus der Sprechanlage.

»Rose?«

Chris Stimme war von Unglauben geprägt und dies überraschte mich überhaupt nicht. Immerhin war es sogar verständlich. Ich galt einige Monate als vermisst, und soweit ich wusste, hatte Ma noch nichts der Familie Müller von meinem Erscheinen erzählt.

»Ja, ich bin es«, erwiderte ich. »Könntest du mich bitte rein lassen? Es ist ziemlich kalt hier draußen.«

Nun, kalt es war eher nicht aber ich wollte wirklich in die Wohnung. Je länger ich hier draußen war, desto eher die Möglichkeit, dass mich jemand sehen und die Polizei alarmierend würde. Dies wollte ich unbedingt verhindert.

»Si-Sicher!«

Kurz darauf ertönte das Summen an der Tür und ich konnte diese öffnen. Schnell betrat ich das Gebäude und rannte die Treppen zu dem Stockwerk hoch, wo Chris mit ihrer Familie wohnte.

Ich erreichte die sechste Etage und die Tür zu der Wohnung stand schon offen. Im Türrahmen war Chris in ihrem Schlafanzug und starrte mich ungläubig mit weit aufgerissenen Augen an.

»Hey«, sagte ich leise und blieb stehen. Plötzlich wusste ich nicht, was ich sagen sollte, sodass ich einfach nichts sagte. Mir war einfach nicht bewusst, was man in so einer Situation sagte. Ich wusste, dass Chris mich für vermisst oder sogar tot gehalten hatte und dies stimmte mich ehrlich gesagt ziemlich traurig. Chris war meine beste Freundin seit dem Kindergarten und zu wissen, was sie wegen mir durchgemacht hatte, war einfach unverzeihlich!

»Du bist es wirklich, Rose«, brach es aus Chris hervor und sie ging einige Schritte auf mich zu. In ihren Augen war immer noch zu erkennen, dass sie nicht ganz glaubte, was sie sah. »Du bist hier!«

Ich nickte und fuhr nervös durch meine Haare. Diese Situation war wirklich unangenehm.

»Ja, Chris. Ich bin es wirklich.« Ich sah mich im Treppenhaus um und dann wieder zu meiner Freundin. »Könnten wir reingehen? Ich werde dir alles erzählen, aber das würde ich sehr ungern hier draußen machen.«

Als hätte jemand Chris aus einem Tagtraum geholt, blinzelte sie und nickte heftig. Ihr schien bewusst zu werden, wo wir uns befanden.

Drinnen in der Wohnung war es stockfinster, außer einer kleinen Lampe, die auf einer Kommode im Flur stand und neben dieser lehnte ein Besen … an einem Ort, wo dieser normalerweise nicht lag. Ich sah Chris mit hochgezogenen Augenbrauen fragend an.

Diese schloss die Tür und plötzlich befand ich mich in einer festen Umarmung wieder.

»Du bist hier! Es geht dir gut«, flüsterte sie und ich sah, dass sie Tränen in ihren Augen hatte. Sie musste mich wirklich sehr vermisst haben. »Ich kann es nicht glauben!«

Ich atmete tief durch und nickte dann. Chris trat einige Schritte zurück, doch es zu erkennen, dass sie dies sehr ungern tat. Plötzlich stand Wut in ihren Augen.

»Wo sind die! Was ist mit den Entführern passiert?« Sie sah sich in ihrer Wohnung wild um, so als würde sie diese in dieser vermuten. »Wie konntest du ihnen entkommen?«

Ich sah Chris an und wurde unsicher. Plötzlich war ich mir sehr unsicher, wie sie alles aufnehmen würde. Immerhin klang meine Geschichte ja ziemlich ungläubig. Bei Ma war es ja ganz anders gewesen. Sie kannte diese andere Welt. Kannte die Schule und wusste sofort, was passiert war, als sie Mist und meine Kleidung gesehen hatte. Bei Chris war dies etwas ganz anderes!

»Lass uns hinsetzen«, murmelte ich. »Ich werde dir alles erzählen!«

Chris nickte, als sie sich gegen ihren Kopf schlug. »Mensch, deine Ma und deine Schwester! Wir müssen sie anrufen und ihnen sagen, dass es dir gut geht. Sie machen sich solche Sorgen um dich!«

»Dass ist nicht nötig, Chris«, sagte ich und als sie mich ungläubig anblickte, fügte ich hinzu: »Sie wissen schon, dass es mir gut geht. Ich komme gerade von daheim.«

Als Chris diese Worte hörte, wusste sie sofort, dass etwas nicht stimmte. Mir war bewusst, dass sie glaubte, ich wäre meinen Entführern entkommen und sofort zu ihr gekommen, weil es am nächsten war. Jetzt jedoch blickte sie mich genau an und erkannte, dass meine Kleidung sauber war. Dass es mir gut ging und … der Blick stockte, als dieser bei Mist landete, der die ganze Zeit ruhig auf meiner Schulter gesessen hatte.

»Oh … gut, dass sie wissen, dass es dir gut geht«, sagte Chris ruhig und sah dann in Richtung Wohnzimmer. »Dann … kannst du mir ja erzählen, was bitte schön, los ist?«

Ich nickte und spürte, wie Aufregung in mir aufstieg. Es würde bestimmt nicht einfach werden, Chris alles zu erzählen. Obwohl, einfach würde es bestimmt werden. Nur die Tatsache, sie zu überzeugen, dass ich nicht verrückt geworden bin. Dass würde schwieriger werden!

Das Wohnzimmer war nicht besonders groß, doch dafür gemütlich eingerichtet. Es gab eine Anbauwand, wo der Fernseher sich befand, eine kuschlige Couch sowie zwei Sessel. Zwischen ihnen befand sich ein kleiner Tisch. Christine setzte sich auf einem der Sessel und lehnte sich mit aufforderndem Blick zurück. Ihre Augen sagten mir deutlich, dass sie unbedingt Antworten haben wollte.

Tief durchatmend setzte ich mich auf die Couch und sah dann überall hin. Nur nicht zu Chris. Ich wurde immer aufgeregter und fragte mich langsam, ob es doch eher eine schlechte Idee war, hierher zu kommen. Auf der anderen Seite war ich mehr als erleichtert, denn ich musste mit jemanden darüber reden. Mit jemanden, der nicht meine Ma war.

»Ja … also …«, begann ich und verstummte dann. Wie sollte ich anfangen?

Chris schien zu merken, dass ich nervös war und ihr Gesichtsausdruck änderte sich. Sie schenkte mir ein leichtes Lächeln.

»Ich bin froh, dass es dir gut geht«, sagte sie und ich konnte heraushören, dass sie es ehrlich meinte. »Deine Ma und Anni sind bestimmt mehr als froh, dass du wieder da bist. Wann hat man dich gefunden? Und was wurde aus den Entführern?«

Ich schloss die Augen kurz, atmete nochmal tief durch, ehe ich meine beste Freundin anschaute.

»Ich bin seit drei Tagen wieder da und …« Die Wut in Christines Augen ließ mich verstummen. Es geschah selten, dass sie wütend wurde und sie so zu sehen, was nicht gerade angenehm.

»Drei Tage! Du bist seit drei Tagen wieder da und hast dich nicht bei mir gemeldet!«

Sie klang wütend, aber auch gleichzeitig enttäuscht.

»Ich … ich wollte ja, aber es ist so alles kompliziert«, sagte ich und sah Chris flehend an. »Sei mir nicht böse, aber wenn ich dir alles verzählt habe, dann wirst du es bestimmt verstehen.« Jedenfalls hoffte ich dies.

Chris kniff die Augen zusammen, ehe sie nickte.

Na dann, los geht’s!

»Ich bin nicht weggelaufen und wurde auch nicht entführt«, begann ich und stockte dann. Nein, dass war gelogen … ich wurde ja wirklich entführt, nur nicht so, wie Chris es dachte, sodass ich schnell hinzufügte: »Falsch, dass stimmt nicht. Ich wurde schon entführt, aber nicht weil man ein Verbrechen an mir ausüben wollte!«

Ein Schnauben ertönte und Chris sah mich zweifelnd an.

»Und warum hat man es dann getan? Weil man dir helfen wollte? Weil es etwas normales ist, dass man einfach Personen gegen seinen Willen woanders hinbringt. Weil …« Sie brach ab und sah mich dann fest in die Augen. »Hast du etwa jemanden darum gebeten, dass er dich entführen sollte?!«

»Was!?« Ich riss meine Augen auf und konnte nicht glauben, dass Chris so etwas von mir dachte. »Nein … ich wollte dies garantiert nicht. Himmel, ich habe denen immer wieder gesagt, dass sie mich nach Hause gehen lassen sollten.«

So etwas wie Erleichterung trat in Christins Augen und ich erkannte, dass sie wirklich für einen Augenblick gedacht hatte, dass dies ein sehr schlechter Scherz von mir gewesen war.

»Im Grunde genommen, ist das alles seine Schuld«, rief ich und zeigte dann auf Mist, der immer noch auf meiner Schulter saß und dabei meine Freundin anblickte.

Chris sah zu der Eidechse und schnaubte abermals.

»Wie jetzt? Erzählst du mir jetzt, dass eine Echse dich entführt hat?«

»Nein.« Ich schüttelte meinen Kopf. »Aber er ist der Grund, warum mich … entführt hatte. Mist ist keine gewöhnliche Eidechse.« Ich atmete tief durch. »Er ist ein Drache.«

Für einen Moment sah mich Chris sprachlos an, ehe ein besorgter Ausdruck in ihre Augen trat. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen und ich war mir ziemlich sicher, dass es etwas mit einem Verstand zu tun haben musste. Ich ließ sie deshalb nicht zu Wort kommen.

»Mir ist bewusst, dass dies sich total verrückt anhört, aber dies ist die Wahrheit. Hör mich bitte bis zum Schluss an, ehe du etwas sagen willst. Bitte!«

Zögerlich schloss Chris ihren Mund und nickte dann. Dabei sah sie die ganze Zeit zu Mist, welcher ihren Blick erwiderte.

Ohne mehr Zeit zu verlieren, erzählte ich Chris von meiner Begegnung im Park, von den seltsamen Leuten, der Schule Dracheim und der anderen Welt. Zu meiner Erleichterung unterbrach mich Chris nicht ein einziges Mal, obwohl sie sehr oft mich zweifelnd ansah und bestimmt gerne etwas gesagt hätte. Es war leicht zu erkennen, dass sie mir nicht glaubte und dies schien mich traurig zu stimmen. Auf der anderen Seite jedoch konnte ich sehr gut verstehen, warum Chris mir nicht glaubte. Dies alles klang unglaubwürdig und hätte ich es nicht erlebt, dann würde ich es auch nicht ohne weiteres glauben.

»Und als es deutlich wurde, dass die Angriffe schlimmer werden würden, hatten die Leute endlich eingesehen, dass es für mich sicherer wäre, wenn ich daheim wäre. Also haben sie mich endlich wieder hierhergeschickt«, schloss ich und sah dann meine Freundin nervös an.

Chris schwieg. Sie blickte mich ungläubig an, doch sagte nichts. Dieses Schweigen fand ich fürchterlich. Es war bedrückend und wusste einfach nicht, woran ich bei ihr an. Hielt sie mich für verrückt? War es Fehler ihr alles zu erzählen.

Als das Schweigen unangenehmer wurde, wusste ich, dass ich etwas sagen sollte. Einfach nur, um das Schweigen zu beenden. Also sprach ich das aus, was mich neben den Angriffen ebenfalls beschäftigte.

»Und das Verrückteste an der ganzen Sache ist, dass Ma auch aus dieser Welt stammte.« Nun riss Chris ihre Augen auf. »Was?«

»Ja.« Ich nickte. »Ich meine, als sie mich vor drei Tagen gesehen hatte, wusste sie sofort, was los war. Sie hatte Mist und meine Kleidung gesehen und wusste, wo ich die ganze Zeit gewesen war. Nicht dass es ihr gefallen hat. Sie ist ziemlich wütend auf die Leute von Dracheim.«

Chris sah zu Mist und dann zu mir. »Ich weis nicht so recht, Rose. Das klingt alles so …«

»Wahnsinnig? Verrückt? Idiotisch?« Ich riss meine Arme verzweifelt in die Höhe. »Glaube mir, dass weis ich selber. Und um dem Ganzen noch eine Krönung aufzusetzen: Meine Ma ist die Schwester der Königin dieses Landes!«

»Oh…« Nun sah es so aus, als würde Chris wirklich nicht wissen, was sie sagen sollte. Sie atmete tief durch, öffnete ihren Mund und schloss ihn dann wieder.

»Ich weis, Chris, dass das alles unglaublich klingt, aber es ist die Wahrheit«, sagte ich leicht flehend. »Ich würde doch nie einfach abhauen, selbst wenn ich wüsste, dass ich monatelang Hausarrest wegen meines Zeugnisses haben würde. Himmel, dass würde ich Anni und Ma nie antun.«

Meine Freundin schloss die Augen, und schien nachzudenken. Ich wünschte, ich könnte es irgendwie beweisen, dass ich die Wahrheit sagte, wusste aber leider nicht, wie. Hätte ich einen Beweis mitnehmen sollen? Doch was? Dass einzige, was ich von dieser Welt habe, sind die Kleidung und meine Lehrbücher … hätte ich eines von den Bücher mitnehmen sollen?

»Ich glaube dir«, ertönte es leise und ich sah überrascht zu Chris.

»Was?«

»Ich glaube dir«, wiederholte meine Freundin und sah mich fest an. »Ich will nicht sagen, dass es einfach ist, aber irgendwie ist es mir dies so lieber, als wenn fiese Verbrecher dich entführt und … und …« Sie brach ab und Tränen stiegen in ihre Augen. »Ich habe wirklich gedacht, man hätte dich getötet und vorher … vorher …«

Plötzlich wurde mir bewusst, was jeder wirklich gedacht haben musste. Es war nichts Ungewöhnliches in der heutigen Zeit, dass Personen verschwanden. Die Nachrichten waren voll davon und sehr oft waren die vermissten Personen Opfer von Gewaltverbrechen geworden. Es war nachvollziehbar, dass Chris dies gedacht haben musste. Und Anni. Und Ma.

Die Wut auf die Lehrer von Dracheim wurde immer größer. Die haben wirklich keine Ahnung, was sie angerichtet haben und irgendwie glaube ich auch nicht, dass es ihnen groß interessierte. Für war es nur wichtig, dass man lernte, ein Drachenreiter zu sein. Alles andere war ihnen egal.

Ich erhob mich und ging zu meiner Freundin. Sie weinen zu sehen, hatte mir noch nie gefallen. Ich hockte mich hin und umarmte sie.

»Shhh…shhh… Alles ist gut. Mir ist ja nichts wirklich etwas schlimmes passiert«, flüsterte ich und versuchte meine Freundin zu beruhigen.

Chris sah auf. »Aber du hast gesagt, dass es Angriffe gegeben hat. Dass du angegriffen worden bist.«

Ich seufzte. »Ja, schon. Aber es ist alles gut gegangen. Mir geht es gut und ich bin hier. Das ist doch das Wichtigste.«

Meine Freundin nickte leicht. Sie wischte die Tränen von ihren Augen und sah dann zu Mist. Immer noch war ein Hauch von Skeptik in ihnen zu erkennen. »Und dies soll sein Drache sein?«

Ich nickte und grinste dann. In wenigen Worten erzählte ich ihr von meiner ersten Begegnung mit einem ausgewachsenen Drachen und wie Pandeia dies lustig gefunden hatte. Als ich fertig war, konnte ich auch einen Hauch von Erheiterung in Chris Augen erkennen.

»Und weist du, was das Schlimmste von allem ist?« Sie schüttelte den Kopf und sah mich auffordernd an. »Stan! Unser verdammtes Chamäleon! Er ist Ma`s Drache.«

»Echt jetzt?« Plötzlich lachte Chris auf. »Heißt das, dass ein Drache dich damals bespannt hatte?«

Ich sah Chris finster an. Wie wusste, wie sehr ich dieses Erlebnis hasste und dass sie sich darüber lustig machte, war nicht besonders schön. Auf der anderen Seite sagte es mir, dass vielleicht doch alles gut werden würde. Dass mich Chris nicht für verrückt erklären würde.

Chris kicherte und sah dann wieder Mist an. Dieser hatte sich erhoben und beugte seinen Kopf neugierig in Richtung meiner Freundin. Zögerlich streckte sie ihre Hand nach ihm aus und sah mich dann fragend an. Ich nickte und sie berührte ihn dann an seinem Kopf. Mist, der immer Streicheleinheiten liebte, beugte sich noch weiter vor und grollte leise zufrieden.

Für einige Minuten sagten niemand etwas und ich ließ Chris meinen Gefährten streicheln. Es dauerte nicht lange und Mist befand sich dann auf dem Schoß meiner Freundin. Diese sah ihn bewundernd an, ehe sie dann wieder zu mir blickte.

»Ich nehme an, du hast dich nicht in den letzten Tagen gemeldet, weil ihr noch nicht wisst, was ihr der Polizei sagen sollt?«

Ich nickte. »Ja, Ma meinte, sie würde das klären, aber ich habe keine Ahnung, was oder wie sie dies machen will. Es ist ziemlich frustrierend. Die Wahrheit können wir nicht sagen. Aber einfach so zu sagen, dass ich mich an nichts erinnere, ist auch irgendwie nicht in Ordnung.« Ich seufzte. »Alles ist do dämlich.«

Christine sah mich wieder schweigend an ehe sie zu einer Wanduhr blickte. Es war halb vier früh. Dies bedeutete, dass ich schon knapp eine Stunde bei ihr war und ich demzufolge so circa nachts um zwei mein Haus verlassen habe. Ihr schien bewusst zu werden, dass ich mehr auf meinen Herzen hatte.

»Rose … warum bist du hier?«

Ich sah meine Freundin an und dachte über ihre Frage nach. Warum bin ich nochmals hierhergegangen? Ach ja, ich brachte jemanden, der mir half Licht in die Sache zu bringen. Meine Träume, die Stimme und die komplette Situation in Dracheim. Ich nickte.

»Ich brauche deine Hilfe!«

Danach erzählte ich Chris alles genauer. Von den Angriffen und der Aufforderung. Von dem Kalten Feuer und den Schwarzen Flammen. Von meinen Träumen und der Stimme.

Abermals hörte Chris mir zu und unterbrach mich nicht ein einziges Mal. Sie hatte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck aufgesetzt. Als ich fertig war, fühlte ich mich irgendwie erleichtert und wusste tief im Inneren, dass jetzt alles besser werden würde.

»Lailes und Lyrana sind mit dir verwandt?« Ich nickte. »Du machst dir demzufolge sorgen, weil du ja gehört hast, dass diese Leute sie töten wollen. Vielleicht ist das der Traum. Ich meine, hast du die Frau wirklich vollkommen sehen können? Ich meine, erkennst du sie oder ihre Stimme?«

Ich dachte nach. Ihre Stimme kannte ich nicht und da war ich mir ziemlich sicher, da ich diese einfach nicht vergessen konnte. Die Verzweiflung und die Schmerzen, die in ihr immer mitschwangen. Nein, ich wusste nicht, wer sprach. Und die Frau selber? Ich sah immer, dass sie von Flammen umgeben war, sie selber habe ich nicht sehen können. Ich konnte nicht einmal sagen, was für eine Haarfarbe sie hatte.

Ich schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, wer dies ist. Ich weis nur, dass ich sie retten muss und dass sie weist, wer ich bin. Ich meine, dass sie weist, dass ich eine Draconi bin und dies wissen ja eigentlich nur meine Ma und jetzt du. Ich glaube sie kennt mich, aber ich sie nicht.«

»Hmm…« Chris nach nachdenklich aus. »Die kennst du nicht. Aber sie dich. Dass ist wirklich unheimlich. Und diese Gestalt, die dich jagt und dann auch angreift. Du meinst, dass du ihre Stimme kennst?«

»Ja! Ich bin mir sicher, dass ich diese irgendwoher kennen. Ich habe sie schon einmal gehört, doch ich kann einfach nicht sagen, woher.«

»Gut«, rief Chris und sprang auf. So schnell, dass Mist auf dem Boden landete. Wahrscheinlich hatte sie vergessen, dass er noch auf ihrem Schoß war. Sie verließ das Wohnzimmer und war kurz darauf wieder da. Und zwar mit einem Block und Stift. »Fangen wir mit der Stimme an: Männlich? Weiblich?«

Ich dachte kurz nach. »Männlich. Auf jeden Fall!«

Chris nickte und schrieb was auf dem Papier.

»Glaubst du die Stimme von hier zu kennen oder von dieser anderen Welt? Beziehungsweise hast du sie erst vor kurzem gehört oder schon länger her?«

Ich dachte nach. Wo konnte ich diese Stimme schon einmal gehört haben? Ich schloss die Augen und ließ in meiner Erinnerung diese Stimme erklingen. Denk nach! Denk nach! Plötzlich wusste ich woher.

»Dass ist genau dieselbe Stimme, die ich auch in diesem Gang gehört habe. Die zugestimmt hat, dass bald das Haus Draconi ausgelöscht werden würde. Die Gestalt muss demzufolge eine vom Schwarzen Flammen sein.«

Meine Freundin nickte abermals und schrieb wieder etwas auf dem Papier.

»Dies bedeutet, dass du diese Stimme in dieser Welt gehört hast. Dass lässt vermuten, dass du diese Stimme demzufolge auch von dieser Welt kennst. Denke nach, Rose. Sie ist männlich. Ist es eine deiner neuen Mitschüler?«

Mitschüler? Ich runzelte die Stirn und schüttelte dann den Kopf. »Nein, sie klingt viel älter … tiefer.«

Ein erneutes Nicken und etwas Niedergeschriebenes.

»Was ist mit Lehrern oder diese Krieger, die an der Schule sind?«

Ich dachte zuerst an die Drachenwächter. Mit denen habe ich kaum verkehrt. Im Grunde genommen nur mit Pandeia und die anderen nur in Vorbeigehen. Nein, ein Wächter konnte dies nicht sein. Ich glaube ich nicht, dass es sich um einen Drachenhüter handelte. Diese waren ja erst nach dem ersten Mord an der Schule gekommen und von denen hatte ich so gut wie niemanden reden hören. Blieben demzufolge nur noch die Lehrer. Ich riss meine Augen auf. Konnte es sich bei dieser Person wirklich um einen Lehrer handeln? Dies war eine Katastrophe. Keiner kannte die Schule so gut wie das Lehrpersonal. Es würde schwierig werden, jemanden zu finden und zu fangen, wenn dieser jemand sich an dem Ort verdammt gut auskannte. Ich hatte immer gedacht, dass der Mörder von draußen kam. Aber was ist, wenn es einer war, der von innen kam?

»Rose? Ist alles in Ordnung?«

Ich sah zu meiner Freundin und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, dass es ein Lehrer ist.«

Für einen Moment sah mich Chris überrascht an, ehe sie leicht lächelte. »Irgendwie überrascht es mich nicht. Du sagt, dass dir die Stimme bekannt vorkommt, kannst sie aber nirgendwo zuordnen. Dies bedeutet, dass du sie zwar gehört hast, aber nicht auf die geachtet hast.« Sie seufzte. »Du hörst immer Lehrer zu, aber achtest nicht wirklich auf sie.«

Dieser Tatsache konnte ich nicht widersprechen, sodass ich schwieg. Es war immer noch ziemlich verstörend, dass es sich hierbei um einem Lehrer handeln konnte.

»Nun gut, ein Lehrer. Hast du viele Lehrer?«

Tief durchatmend, begann ich im Inneren zu zählen. Geschichte – ja. Allgemeine Drachologie – nein, dass war eine Frau. Elbisch, Magie, Alte Sprache – nein, nein, nein. Typlogie – Ja. Magisches Formen – ja. Haltung eines Drachens – nein. Geographie – ja…

»Nicht viele«, sagte ich. »So vier oder fünf.«

»Das ist gut. Erinnerst du dich an ihre Stimmen?«

Ich stöhnte auf. Es war schon so schwierig zu wissen, wen ich so hatte, aber mich auch noch an ihren Stimmen zu erinnern, war nicht besonders einfach. Doch ich etwas in mir sagte, dass ich kurz davor war, die Frage zu lösen. Wem gehörte diese Stimme?

Wen hatte ich noch einmal in Geschichte? Meister Ostralin. Nein, seine Stimme klang langweilig und einschläfernd. Der Lehrer von Magisches Formen war es auch nicht. Und an die Stimmen der anderen konnte ich mich nicht wirklich erinnern. Außer …

Ich riss meine Augen weit auf und starrte Chris fassungslos an.

Das konnte nicht stimmen.

Ich sprang auf und begann im Wohnzimmer auf und ab zulaufen. Dies konnte wirklich nicht stimmen.

»Rose?«

Ich warf einen Blick zu meiner Freundin und dann zu Mist.

»Ich weis, woher ich diese Stimme kenne. Ich habe mich nicht daran erinnert, weil er sonst immer nett redet und keinen kalten Unterton dabei hat.« Ich schlug mir gegen die Stirn. Wut auf mich selber kam in mir auf. Ich hätte mich sofort daran erinnern müssen. »Einmal, da hat er so kalt zu mir geredet, weshalb ich mich jetzt daran erinnere. Gott! Ich … ich muss sofort mit Ma reden und …«

Ich brach ab. Und was dann? Was sollte ich ihr sagen? Ich wusste, dass sie nicht in diese Welt zurück wollte. Doch der Gedanke, dass dieser Typ in der Nähe von meinen Freunden war … in der Nähe von Lailea und Lyrana machte mich einfach krank. Er könnte so leicht an die beiden heran und sie leicht töten.

»Ich muss das verhindern«, flüsterte ich und erkannte, dass Mist mich ansah. Dann grollte er zustimmend und klettere an meinen Bein wieder hoch bis zu meiner Schulter und ließ sich dort nieder. »Ich muss wieder zurück.«

Chris sah mich traurig an, dann zu den Blatt mit ihren Notizen und wieder zu mir zurück. »Ich glaube nicht wirklich an Magie oder so. Doch so wie ich es verstehe, wird es einen Grund geben, wieso du diese Träume hast und ich bin mir ziemlich sicher, dass es deshalb ist, damit du ihnen helfen kannst. Aber was ist mit deiner Ma. Wäre es nicht besser, wenn du sie um Hilfe bittest? Ich meine, nicht dass du eine Wahl hättest, denn wie sonst willst du bitte schön zu dieser Welt gelangen?«

Ich starrte Chris an und fluchte leise. Sie hatte recht. Doch irgendwie glaube ich nicht wirklich, dass Ma mir gestatten würde, zurückzugehen. Vielleicht würde sie selber gehen, aber mich garantiert nicht! Doch ein Gefühl sagt mir, dass ich es unbedingt sein muss. Immerhin habe ich ja diese Träume bekommen!

»Ich werde mir was einfallen lassen«, sagte ich und sah dann Chris an. »Könntest du Ma nichts sagen? Nur, dass ich dich einfach sehen wollte, weil ich dich vermisst habe? Ich meine, dass ist ja auch wahr … aber halt nichts den Träumen und der Stimme?«

Der Konflikt in Christines Augen war leicht zu erkennen, doch sie nickte dann. »Ich hoffe du weist, was du vorhast.«

»Ja…nein…mehr oder weniger. Was ich weis, ist, dass ich dringend nach Dracheim zurückmuss und zwar ohne, dass Ma etwas davon mitbekommt.«

Ein lachender Laut entfuhr Chris. »Na dann, viel Glück«, sagte sie und sah dann wieder zur Uhr. »Wenn du nicht willst, dass deine Ma denkt, dass wieder etwas passiert ist, solltest du wohl besser wieder gehen. Und du musst mir versprechen, mir alles zu erklären, wenn du wieder hier bist. Vor allen, dass es dir gut gehen wird!«

»Sicher … wenn ich in Dracheim bin, werde ich den Lehrern alles sagen«, versicherte ich Christine und sie begleitete mich zur Wohnungstür.

»Pass auf dich auf«, sagte sie und umarmte mich fest.

Ich drückte Chris an mich und nickte. Ich würde auf jeden Fall auf mich aufpassen!

 

 

Zwischenspiel 4

 Wut durchströmte ihn! Unsagbar große Wut. Er konnte es immer noch nicht glauben, dass diese Schülerin ihn entkommen war. Dass Maighdlin zugestimmt hatte, sie gehen zu lassen. Das war wesentlich schlimmer, als er sich hatte träumen lassen. Er hatte gewusst, dass die Erste Hüterin und die Direktorin etwas direktes Unternehmen würden, wenn ihnen klar werden würde, dass diese Rose Shallan in direkter Gefahr sich befand. Doch damit hatte er nicht gerechnet!

Wie konnte dies passieren! Er fuhr seinen Gefährten an und wusste gleichzeitig, dass dieser nun gar nichts dafürkonnte. Doch dies linderte nicht seine Wut. Alles läuft doch nach Plan! Nur nicht das, was sie betrifft.

Sein Gefährte saß auf einer Kommode neben einer hell flackernden Kerze und versuchte seinen Reiter zu beruhigen. Es ist doch nicht ganz so schlimm. Denk doch mal nach. Wenn sie nicht hier ist, dann wird sie uns nicht mehr behindern und wir können unsere ganze Energie auf der Draconi-Brut richten.

Der Mann beruhigte sich ein klein wenig. Sein Gefährte hatte recht. Im Grunde genommen sollte er froh darüber sein, dass diese Schülerin nicht mehr da war. Seit er sie das erste Mal gesehen hatte, hatte er gewusst, dass sie nur Schwierigkeiten machen würde. Sein Gefühl hatte ihn gewarnt, dass sie ihm gefährlich werden konnte. Wieso, das konnte er nicht erkennen. Es war ja nicht so, dass diese Schülerin gut in irgendwas war. Schlecht in der Magie? Schlecht in Kämpfen? Und sie hatte Höhenangst. Nein, es gab wirklich nichts, was ihm beunruhigen sollte.

Ich weis, dass du recht hast, mein Freund! Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass sie eine Gefahr für uns darstellt.

Sein Gefährte ließ ein Grollen von sich vernehmen. Wie denn? Sie ist nicht hier und sollte sie doch zurückkommen, dann wird der Seelenfresser auf sie warten.

Ein hämisches Grinsen erschien auf dem Gesicht des Mannes. Dies stimmte! Sollte die Schülerin zurückkommen, dann würde sie sich wünschen, wie wäre nie geboren!

19. Kapitel

 Ich weis nicht, wie ich es geschafft hatte, unbemerkt wieder nach Hause zu kommen, sondern nur, dass sowohl Anni als auch Ma noch schliefen, als ich leise das Haus betrat und in mein Zimmer schlich. Während des Rückweges habe ich über meine Entdeckung nachgedacht. Ich konnte es einfach immer noch nicht fassen, dass er dahintersteckte. Auf der anderen Seite machte es Sinn. Ich meine … es musste jemand sein, der Insiderwissen über Dracheim hatte und wer war da besser als ein Lehrer?

Als ich in mein Zimmer war, zog ich mich schnell um und legte mich ins Bett. Schlafen konnte ich sowieso nicht mehr, aber ich konnte wenigsten zu tun!

Mist legte sich aufs Kopfkissen neben meinen Kopf und starrte die Decke an.

Was sollte ich machen? Ich wusste es einfach nicht. Das einfachste war natürlich meine Ma alles zu erzählen, doch dann müsste ich auch die Träume erwähnen und etwas in mir ist da zögerlich. Ich meine, ich hatte damals von den ersten Morden geträumt, ehe sie passiert waren und ich war mir ziemlich sicher, dass das nicht normal war. Auf der anderen Seite wiederum, konnte Ma eventuell endlich allem einen Sinn geben. Was auf jeden Fall fest stand, war, dass ich wieder nach Dracheim musste!

Je länger ich darüber nachdachte und wenn es stimmte, dass die Träume mehr als Träume waren, dann musste ich sogar unbedingt wieder zurück! In meinen Traum war ich in der anderen Welt und wenn dieser wahr werden sollte, dann konnte ich nicht hierbleiben.

Ich atmete tief durch. Warum musste alles so kompliziert sein?

Ich glaube nicht, dass Ma mich einfach so wieder gehen lassen würde. Jedenfalls nicht, wenn Mörder in der Schule rumlaufen. Und Ma wollte auch nicht, dass die Lehrer oder ihre Familie erfuhren, dass ich auch eine Draconi war. Sie meinte, dass es für Anni gefährlich war. Ich kniff meine Augen zusammen. In den letzten drei Tagen hatte sie immer wieder ziemlich deutlich gemacht, dass es für Anni gefährlich war. Immer wieder betont. Zwar hatte sie auch mal erwähnt, dass es für mich nicht leicht werden würde, aber dennoch … Anni war ihre Hauptsorge? Warum? Weil sie jünger war? Weil Ma sie lieber hatte? Ich schüttelte den Kopf. Nein, es musste etwas anderes sein. Ich weis, dass Ma mich liebte. Dies hatte ich in den letzten Tagen mehr als mitbekommen.

Ma würde mich nicht gehen lassen. Was blieb demzufolge übrig?

Es war ja nicht so, als dass ich in einen Bus oder Zug steigen konnte, um dorthin zu gelangen. Bei dem Gedanke an einen Zug, musste ich sofort an Harry Potter denken. Dort wäre es leichter gewesen, denn Hogwarts befand sich nicht in einer anderen Welt. Aber Dracheim?

Ich konnte in der Ferne hören, wie sich etwas im Schlafzimmer meiner Ma regte und wusste, dass sie dabei war, aufzustehen. Nicht lange und sie würde bei mir vorbeischauen und zum Schluss bei Anni.

Ein Seufzen entfuhr mir.

Wie konnte ich nach Dracheim kommen, wenn ich keine Ahnung hatte, wie. Mein Blick fiel auf die Bücher, die auf dem Boden neben meinen Schreibtisch standen und ich starrte sie schweigend an. Besonders fiel mein Blick auf das Buch »Grundlagen und Formen der Magie«. Im Unterricht selber hatten wir dieses noch nicht benutzt, doch mich überkam ein seltsames Gefühl, als ich es anstarrte. Ich erhob mich vom Bett und in wenige Augenblicke später hatte ich das Buch in meinen Händen. Vorsichtig schlug ich es auf und sah mir das Inhaltsverzeichnis an. Dabei fiel mein Blick zielgenau auf eine Kapitelüberschrift: Magischen Reisen. Neugierig geworden schlug ich das Kapitel auf und begann zu lesen.

 

Im Allgemeinen wird das Magischen Reisen in vier Gruppen unterteilt, wobei diese Gruppierung auf die Entfernung des Reisens beruht. So gibt es das Kurzstreckenreisen, in dem eine Person innerhalb eines Gebäudes oder innerhalb von einem Kilometer den Ort wechseln möchte. Dann gibt es das Mittelstreckenreisen, dass bis zu circa hundert Kilometer Radius beinhaltet und das Langstreckenreisen, in dem man theoretisch unendlich weit reisen kann. Die vierte und letzte Gruppe ist das Zwischenweltenreisen und somit die komplizierteste Art.

 

Ich runzelte die Stirn. Der Gedanke, , dass man mithilfe von Magier – nicht dass ich an dieser glaubte – einfach so den Ort wechseln konnte, war irgendwie reizvoll. Keine längeren Bus- oder Bahnfahrten. Keine Zeitvergeudung und man ganz schnell seine Meinung ändern, ohne dass es problematisch werden würde. Ich blickte zu Mist, der immer noch auf dem Kopfkissen lag und mich neugierig anblickte.

»Was meinst du, Mist? Wäre es nicht toll, einfach so den Ort zu wechseln? Dies klingt teilweise wie Beamen …«

Mist ließ ein Grollen von sich vernehmen und ich grinste breit, ehe ich mich wieder dem Text zuwandte.

 

Je nach Gruppe des Reisens, beziehungsweise nach Entfernung gibt es unterschiedlichste Möglichkeiten, dies zu machen. Im Grunde genommen unterteilt man das Reisen auch in zwei andere Hauptgruppen: »Reisen mithilfe der kompletten eigenen Magiequelle« oder »Reisen mithilfe von zusätzlichen Komponenten«, wobei die zweite Gruppe, nochmal in das »Reisen mit zusätzlichen Komponenten + der eigenen Magie« und »Reisen komplett ohne der eigenen Magie« unterteilt wird.

 

Ich kniff abermals die Augen zusammen, als ich die letzte Untergruppe las. Dies machte mich neugierig! Ich meine, ich bin nicht so naiv, dass ich glaubte, dass ich mit meiner – nicht vorhandenen – Magie zaubern könnte. Gut, ich kann Feuer erschaffen und so, aber all das andere … davon war ich noch nicht wirklich überzeugt. Auch wenn Ma meinte, dass ich es könnte. Demzufolge fiel das Reisen, wo ich meine eigene Magiequelle nutzen musste, weg. Dass würde ich nicht machen können.

Ein Klopfen an meiner Tür ließ mich zusammenzucken.

»Ja?«

»Bist du schon wach, Rose«, kam die Frage von meiner Ma und ich rollte meine Augen. Was für eine Frage! Diese konnte man doch nur beantworten, wenn man wirklich wach war. Und wenn ich geschlafen hätte, dann hätte Ma so lange geklopft, bis ich wach gewesen wäre. Mit anderen Worten, diese Frage war einfach sinnlos!

»Ja! Ich komm runter, wenn ich umgezogen bin.«

Ich konnte hören, wie Ma von meiner Tür verschwand und in Richtung Treppe ging, um in die Küche zu verschwinden.

Für einen kurzen Augenblick fragte ich mich, wie alles geworden wäre, wenn Ma damals nicht verbannt worden wäre. Doch diese Gedanken verwarf ich wieder schnell. Wenn sie nicht verbannt worden war, dann hätte sie nie meinen Vater kennen gelernt und Anni, sowohl ich wären nie geboren worden. Mit anderen Worten, ich hatte in einer gewissen Hinsicht meiner Tante zu verdanken, dass ich am Leben war. Ziemlich verkorkst!

Schnell war ich wieder umgezogen und als Mist auf meiner Schulter geklettert war, machte ich mich auf dem Weg in die Küche. Zwischendurch hatte Ma auch meine Schwester geweckt, sodass sie kurz darauf auch erschien. Anni blieb im Türrahmen stehen und blickte mich mit erfreutem Gesicht an. Dies machte sie jeden Morgen und ich vermute, dass es daran lag, dass ihr dann immer bewusst wurde, dass ich wirklich wieder hier und es kein Traum war.

»Morgen, Rose«, sagte sie leise und umarmte mich.

Ich fand dies auf der einen Seite sehr süß, denn es zeigte mir, dass meine Schwester mich wirklich liebte. Auf der anderen Seite wiederum war es nicht schön, denn es sorgte dafür, dass ich mich daran erinnerte, was die Leute von Dracheim meiner Familie angetan hatten!

Ich atmete tief durch und erwiderte die Umarmung meiner Schwester, während meine Gedanken wieder rasten.

Warum wollte ich noch einmal wieder zurück? Immerhin schuldete ich diesen Leuten gar nichts! Sie waren daran schuld, dass meine Familie geglaubt hatte, dass ich entführt oder tot war. Dies machte mich wütend! Warum sollte ich mich also darum kümmern, dass Mörder in Dracheim rumlaufen?

Ganz einfach! Auch wenn die Lehrer daran Schuld tragen, die Schüler können nichts dafür und es wäre nicht fair, nichts zu unternehmen, wenn du weist, wer dahintersteckt.

Na und? Ich könnte ja immer noch Ma sagen, wer der Mann hinter dieser Stimme ist und sie könnte bestimmt eine Nachricht nach Dracheim schicken. Ich müsste demzufolge nicht einmal in die Nähe dieses Ortes gehen!

Und was ist mit der Frau, die deine Hilfe braucht?

Nur ein Traum! Dass ist alles nur ein Traum!

Und wenn nicht?

Und genau dass war die große Frage! Was ist, wenn das alles kein Traum ist. Sondern eine Art … Vision? Zukunftsehen? Was würde das bedeuten? Dass mich jemand – ich wusste genau wer – jagen würde und zwar in einem Labyrinth, wo eine Frau inmitten von Flammen stand, die sie umgaben? Dass mich mein Verfolger verletzten würde?

Eiseskälte durchfuhr mich. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Wenn es wirklich wahr werden würde, dann würde der Typ mich versuchen, zu töten und ich hatte keine Ahnung, wie dass alles ausgehen würde! Es wäre wahnsinnig, freiwillig zurückzugehen, wenn quasi mein Mörder (?) dort auf mich warten würde und …

»Rose?«

Die fragende Stimme von Ma unterbrach meinen Gedankengang und ich blinzelte. Ich erkannte, dass Ma mich besorgt anblickte.

»Alles in Ordnung?«

Ich nickte und wusste, dass ich Ma nichts von meinen Träumen sagen konnte. Sie würde dann erst Recht darauf bestehen, dass ich hier bleiben würde.

»Ja. Ich bin nur etwas müde« sagte ich leise und setzte mich an dem Tisch.

Warum musste alles so kompliziert sein!

 

Es war Nachmittag, als ich endlich die Zeit hatte, weiter in dem Buch zu lesen. Zwischendurch hatte Christine mir aufs Handy geschrieben und nachgefragte, ob alles bei mir in Ordnung war. Als ich die Nachricht erreicht hatte, kam wieder Wut auf diese Leute auf, die mich damals einfach entführt hatten. Nicht nur meine Familie hatten sie damit verletzt, sondern auch meine beste Freundin. Abermals dachte ich darüber nach, wieso ich mir die Gedanken machte, denen zu helfen.

Doch die Antwort war einfach. Ich musste nur an meine Zimmermitbewohner denken und ich wusste dann sofort warum. Auch an Lailea und Lyrana. Zwar wussten sie es nicht, aber wir waren verwandt und ich konnte einfach nicht zulassen, dass jemand versuchte, sie zu töten. Vor allen, wenn ich wusste, wer dahintersteckte!

Ich schlug den Absatz auf, der sich mit Zwischenweltenreisen beschäftigte, und begann wieder zu lesen.

 

Das Reisen in der Art der letzten Gruppe ist die Komplizierte und auch Gefährlichste. Dies liegt daran, dass man nicht nur die Ebenen innerhalb einer Welt durchbricht, sondern die zwischen Welten. Dies ist sehr gefährlich, da es einen Grund gibt, warum diese Welten voneinander getrennt sind. Deswegen sollte man sich vorher bewusst sein, warum man zwischen diesen reisen wollte. Es gibt viele verschiedene Welten, die wohl bekannsten sind: Uthar`kien, die Welt ohne Magie, Varsarieka, die Welt der Langlebigen und Zraik`ren, die Welt der Dämonen.

 

Ich hielt inne und starrte auf die Worte. Es gab noch andere Welten, als meine und die, wo sich Dracheim befindet? Das hatte ich nicht bewusst. Mein Blick blieb bei dem Wort: Langlebigen hängen und ich wusste, dass die Elben damit gemeint waren. Es gab demzufolge eine ganze Welt, wo nur Elben lebten? Irgendwie fand ich dies sehr faszinierend und ich fragte mich, wie diese wohl aussah. Danach fiel mein Blick auf das Wort Zraik`ren. Eine Welt voller Dämonen? Dies fand ich wiederum nicht so begeisternd. Dennoch fragte ich mich, wie diese aussah. So wie man sich hier die Hölle vorstellte? Oder komplett anders? Und wie sahen Dämonen aus?

Fragen, Fragen, Fragen.

Ich schüttelte den Kopf. Dafür hatte ich nun wirklich keine Zeit, sodass ich begann, den Text weiter zu lesen. Ich erkannte, dass man wirklich sehr gut in der Kunst der Magie sein musste, um zwischen den Welten reisen zu können. Schnell wurde mir klar, dass das alles meine nicht vorhandenen Künste überstieg. Frust kam in mir auf, als ich zu einem weiteren Absatz kam.

 

Um das Zwischenweltenreise auch Personen zu ermöglichen, die keine magischen Künste besitzen, gibt es drei Arten:

  1. Die betroffene Person reist zusammen mit einer, die eine sehr große Macht besitzt und deswegen in der Lage ist, nicht nur sich selber, sondern auch noch eine zweite Person mitzunehmen.
  2. Die betroffene Person ist im Besitz eines Amuletts, das in der Lage ist, den Weg zwischen den Welten zu öffnen, sodass sie den geöffneten Durchgang nutzen kann.
  3. Die betroffene Person ist im Besitz des Reisepulvers (wie im vorher erklärt), dass auf einen bestimmten Ort in der anderen Welt fixiert ist und einen dort hinbringt.

 

Na toll! Nun wusste ich zwar, wie man auch ohne eigene Magie reisen konnte, doch helfen tat es mir nicht. Die erste Variante kannte ich ja schon in vorherein, da dies ja die Art war, wie man mich damals nach Dracheim geschaffen hatte und auch wieder zurück. Es war Seithà Kadlin gewesen, die zusammen mit mir gereist war. Dies half mir jetzt nicht gerade, da sie ja nicht hier war. Ich war mir sicher, dass Ma auch zusammen mit jemand reisen konnte. Immerhin war Stan ein Weißdrache und diese standen für mächtige Magie. Doch Ma konnte mir auch nicht helfen, da ich bezweifle, dass sie mich nach Dracheim zurückkehren ließ. Ich atmete tief durch und blickte zu Mist, der auf meinem Schreibtisch saß und mich mit fragendem Blick ansah.

»Du hast auch keine Idee, wie ich nach Dracheim zurückkommen könnte, oder?«

Da ich keine Antwort von Mist erwartete, sah ich wieder zum Buch. Es half mir überhaupt nicht!

Was sollte ich also machen!?

»Verdammt!«

Ich schlug mit der Faust auf meinen Tisch und mein Gefährte sprang auf die Beine. Er ließ ein Grollen von sich vernehmen und trat auf meine Hand zu. In wenigen Schritten war er bei ihr und leckte über sie.

»Ihhh! Mist, das ist ekelhaft«, sprach ich und sprang auf. Wild mit meiner Hand wedelnd. Er ließ sich auf seine Hinterpfoten nieder und sah mit auffordernd an.

»Was willst du von mir?«

Plötzlich sprang er wieder auf und vom Tisch. In wenigen Augenblicken war er bei meiner Tür und sah dann zu mir zurück.

Ich hob eine Augenbraue fragend, ehe ich mich erhob. Etwas in mir sagte, dass er wollte, dass ich ihm folgen sollte und mal ehrlich? Was hatte ich zu verlieren? Gar nichts!

Es war ruhig im Haus. Dies lag wahrscheinlich daran, dass Ma und Anni einkaufen gefahren waren und ich alleine hier war. Am Anfang war Anni nicht begeistert gewesen. Ich hatte das Gefühl, das es ihr nicht gefiel, mich lange aus den Augen zu verlieren. Ma war in dieser Hinsicht gleich, doch sie versuchte, es nicht offen zu zeigen.

Mist ging mit festen Schritten ins Wohnzimmer und blieb vor dem Schrank stehen, den weder Anni noch ich öffnen durften. Ich sah diesen an und dann zu Mist. Er stand vor diesem und begann mit seiner rechten Vorderpfote am Holz zu kratzen. Was er wollte, war ziemlich deutlich.

Ich beäugte den Schrank. Es gab sicherlich einen Grund, warum Ma, wollte, warum wir diesen in Ruhe lassen sollten. Sie war in dieser Hinsicht sehr klar gewesen.

Neugierde kam in mir auf.

Mist musste einen guten Grund haben, warum er wollte, dass ich eine der wichsten Regel im Haus brechen sollte. Hatte dieser Grund etwas mit meiner verzweifelten Suche nach einer Möglichkeit den Zwischenweltenreisens zu tun?

Nun gesellte sich Hoffnung zu meiner Neugierde.

Ich sah mich im Wohnzimmer um und konnte nirgendwo Stan finden. Wo dieser sich befand? Mir war klar, dass Stan klüger war, als ich immer angenommen hatte. Immerhin war er ein Drache. Und zwar nicht irgendeiner, sondern ein Weißdrache! Ich wusste, dass er es Ma sagen würde, wenn ich an den Schrank gehen würde. Andererseits … vielleicht gab es wirklich etwas, was mir helfen könnte?

Ich ergriff die Türgriffe und atmete tief durch, ehe ich sie mit einem Ruck öffnen wollte.

Natürlich ging sie nicht auf. Was war auch anders zu erwarten gewesen?

Ich erkannte unter den Griffen ein Schlüsselloch und wusste sofort, dass der Schrank abgeschlossen war.

Was sollte das!

Ich zehrte mit mehr Kraft an der Tür, doch diese gab leider nicht nach. Ich versuchte mehr Kraft aufzuwenden, doch sie wollte einfach nicht nachgeben.

»Verdammt! Scheiße!«

Mist grollte abermals, ehe an mir hochkletterte, und zwar bis zum Kopf. Dort hockte er sich nieder, wackelte mit seinem Körper und stieß sich mit seinen Beinen von mir ab. Kurz darauf war er auf dem Schrank. Er schritt auf eine leere Vase, die dort stand, zu und stieß sie an.

Mit einem lauten Knall zerbrach sie auf dem Fußboden.

»Was zum …«, fluchte ich und sprang zur Seite, als die Scherben sich auf dem Teppich verteilten. »Bist du wahnsinnig geworden, Misthaufen!?«

Mist grollte und sah vom Schrank auf mich nieder. Dann ging sein Blick zum Boden und ich folgte diesen.

Inmitten den Scherben lag ein kleiner Schlüssel!

Vergessen war meine aufkommende Wut auf meine Echse und ein Grinsen machte sich auf meinem Gesicht breit. Jackpot!

Ich bückte mich und hob den Schlüssel auf. Kurz darauf war er im Schlüsselloch und umgedreht. Abermals tief durchatmend öffnete ich die Tür.

Meine Kinnlade flog auf dem Fußboden zu. Naja, nicht wirklich, aber Überraschung und Schock war schon in meinen Gesicht zu sehen. Ich konnte einfach nicht glauben, was vor mir zu sehen war.

Im Schrank waren oben zwei Regalfächer und unten zwei Schubfächer. Dazwischen hing an der Schrankrückwand zwei Schwerter! Eins davon sah prunkvoll aus. Es war mit mehreren Edelsteinen verziert und der Schwertknauf besaß die Form eines Drachenkopfes. Das andere Schwert hingegen sah eher schlich aus. Fast so, wie die Übungsschwerter, die ich in Dracheim gesehen hatte. Beide steckten in einer Scheide, wobei die vom ersteren Schwert genauso prunkvoll aussah, wie die Waffe. Die vom Zweiten genauso schlicht wie die Waffe. Neben den zwei Schwertern hingen insgesamt vier Dolche an der Rückwand und nochmals jeweils vier an den beiden Seitenwänden. Einige sahen prunkvoll aus. Andere schlich.

»Wow«, entfuhr es mir und in dem Augenblick wurde mir bewusst, dass alles wirklich stimmen musste. Ma musste von einer anderen Welt kommen, wenn sie solche Waffen im Schrank hatte. Und es erklärte auch, warum es verboten war, diesen zu öffnen.

Ich zuckte zusammen, als Mist auf meiner Schulter sprang und dann auf dem Boden. Er schritt zum Schrank und stieß mit seinem Kopf gegen die unterste Schublade.

Ich hockte mich hin und zog diese auf.

In dieser befanden sich zwei kunstvoll verzierten Kisten. Ich holte eine raus und öffnete sie. Unzählige Murmeln sahen mich an.

»Was ist das?«

Ich holte eine rote Kugel aus und merkte, dass deren Oberfläche spiegelglatt war. Keine einzige raue Stelle konnte ich spüren. Die Murmel selber besaß einen Durchmesser von nicht größer als einen Zentimeter. Mist grollte abermals. Erschrocken ließ ich die Murmel fallen. Sie kam auf dem Fußboden auf und zerbrach. Sofort stieß eine Feuerflamme in die Höhe.

»Was zum…«

Ich sprang auf und trat auf das Feuer, ehe es größer werden konnte. Mein Blick fiel auf die Kiste mit den Kugeln. Ich nahm abermals eine rote und ließ sie wieder auf dem Boden fallen. Abermals flammte Feuer auf und ich trat es sofort aus. Nun nahm ich eine kupfernde und warf sie auf dem Boden. Ein Donner und kleiner Blitzschlag entstand an der Stelle, wo die Murmel auf dem Boden trat.

»Cool!«

Diese Murmeln waren wesentlich besser als Knallerbsen!

Ich schloss die Kiste und holte die zweite hervor. In dieser befanden sich kleine Säckchen. Auf diesen waren unterschiedliche Namen geschrieben: Andrakath, Landark; Dracheim; Sarz und Val Thoril. Dies mussten Orte sein. Ich wusste, dass Andrakath die Hauptstadt des Reiches war, dass von der Familie Draconi beherrscht wurde. Dracheim eine Schule und Val Thoril war der Sitz der Magier, glaube ich. Ich nahm das Säckchen mit der Aufschrift Dracheim und öffnete es. Drinnen war feines Pulver zu erkennen.

Ich hielt inne, ehe ich von dem Pulver zu Mist blickte und wieder zurück.

Die dritte Möglichkeit ohne eigene Magie zwischen den Welten zu reisen war Reisepulver. Ich frage mich …

Mist bewegte seinen Kopf auf und ab, was einem Nicken sehr ähnlich kam. Eine Eidechse, die nickte, war nicht gerade etwas alltägliches, aber wenn es sich bei dieser Echse um einen Drachen handelte, dann vermute ich mal, dass es nicht wirklich überraschend war.

»Dieses Pulver bring mich nach Dracheim?«

Abermals nickte Mist und Aufregung stieg in mir auf. Ich hatte einen Weg gefunden, um nach Dracheim reisen zu können! Das war einfach wunderbar.

Ich steckte das Säckchen in meine Hosentasche und sah dann die Kiste mit den Murmeln an.

Sollte mein Traum wirklich so etwas wie eine Vorsehung sein, dann würde ich mit hundertprozentiger Wahrscheinlich auf die Gestalt treffen, die mich dann angreifen würde. Und ich machte mir nichts vor. Ich konnte nicht kämpfen und auch keine Magie wirken. Kurzerhand ergriff ich eine Handvoll von den Murmeln und steckte diese in meine andere Hosentasche. Diesen Vorgang wiederholte ich zweimal bis meine Tasche voll war. Dann nahm ich zwei Dolche und das schlichte Schwert von der Schrankinnenwand. Ich konnte zwar nicht damit kämpfen, aber ich dennoch nicht ohne gehen.

Als ich alles hatte, schloss ich die Schranktür und schloss sie wieder ab. Dann legte ich den Schlüssel auf dem Schrank und kehrte schnell die Scherben der Vase weg. Zufrieden sah ich mich um. Auf dem ersten schnellen Blick war nicht zu erkennen, dass ich am Schrank war. Zwar würde Ma auffallen, dass die Vase nicht mehr dort stand, aber hoffentlich nicht schnell.

Ich rannte in mein Zimmer und holte meinen Rucksack. Mit schnellen Handgriffen füllte ich ihn mit Dingen, die ich für nützlich hielt. Taschenlampe mit Ersatzbatterien. Mein Schweitzer Taschenmesser. Desweiteren suchte ich eine kleine Pappkiste, wo ich die Murmeln von meiner Hosentasche reintat. Ich wollte ja nicht, dass diese in meiner Hose zerbrachen. Die Kiste verstaute ich ebenfalls im Rucksack. Zum Schluss holte ich noch eine 1,5 Liter Wasserflasche, sowie mein Deospray und ein Feuerzeug. Ich konnte zwar keine Magie wirken, aber Feuerzeug und Deospray … sagen wir mal, dass dies auch wirksam sein konnte.

Als ich fertig gepackt hatte, zog ich meine Sachen von Dracheim an, die ich anhatte, als man mich wieder in meine Welt gebracht hatte. Statt einen Umhang jedoch zog ich eine dicke Jacke drüber … zufälligerweise dieselbe, die ich auch während meiner Flucht im Traum anhatte. Ich steckte die beiden Dolche ebenfalls im Rucksack und wickelte den Umhang, den ich hatte, um das Schwert, sodass man nicht gleich erkennen konnte, um was es sich handelte.

Als dies ebenfalls abgeschlossen war, schlug ich das Buch mit dem Kapitel des Zwischenweltenreisen und den Abschnitt mit dem Zauberpulver auf. Schnell las ich es durch. Es klang ganz einfach. Etwas Pulver in die Hand nehmen, fest an den Zielort denken und das Pulver gegen eine Wand werfen. Dann müsste sich ein Durchgang öffnen.

Ich setzte meinen Rucksack auf, nahm das umwickelte Schwert in die Hand und hielt dann meinen rechten Arm zu Mist. Dann entnahm ich etwas Pulver und blickte meine Zimmerwand an.

Ich zögerte.

Es war zum greifen nah, dass ich nach Dracheim kommen konnte. Dass ich denen helfen und sagen konnte, wer der Verräter war. Doch war dies fair gegenüber Anni und meiner Ma? Ma würde wissen, wohin ich verschwunden worden bin. Doch Anni? Wenn ich einfach so wieder verschwand … dass würde ihr das Herz brechen. Etwas was ich eigentlich nicht wollte.

Wenn ich jedoch wartete, dann würde Ma verhindern, dass ich gehen würde. Und ich bekam einfach nicht das Gefühl los, dass ich gehen musste. Etwas zehrte an mir, dass ich dringend wieder nach Dracheim musste. Es war so ein Zehren, das ich auch im Traum gespürt und mich zu dieser Frau geführt hatte.

»Ach was soll es! Scheiß drauf!«

Ich dachte fest an Dracheim und warf dann das Pulver gegen die Wand.

Funken sprühen an den Stellen, wo das Pulver die Wand traf und diese vermehrten sich. Kurz darauf blitzte es auf und ein hell leuchtender Eingang war zu erkennen.

Ich starrte auf dem Eingang. Meine Gedanken rasten.

Anni. Ma. Der Verräter. Die unbekannte Frau. Das kalte Feuer … Was sollte ich machen? Was war die richtige Entscheidung? Ich hatte immer darum gekämpft, dass ich Dracheim verlassen und endlich nach Hause kommen konnte und nun wollte ich freiwillig wieder zurück? Das war einfach … unglaublich. Dennoch wusste ich tief im Inneren, was die richtige Wahl war.

Ich atmete tief durch und trat auf den Eingang zu. Eine endgültige Entscheidung treffend, trat ich in das Licht.

20. Kapitel

Das Licht blendete mich und ich musste meine Augen schließen. Dennoch ging ich mit langsamen Schritten weiter. Ich hatte das Gefühl, als würde ich mich im Wasser befinden und mich dort bewegen. So, als würde es einen Widerstand geben und ich kam nur mühsam an.

Urplötzlich war es auf einmal leichter, mich zu bewegen und ich stolperte einige Schritte nach vorne. Ich konnte Gras unter meinen Füßen spüren und ein Lufthauch, der mein Gesicht berührte. Ich blieb stehen und betete zu Gott, an dem ich eigentlich nicht glaubte, dass ich auch wirklich dort gelandet bin, wo ich gehofft hatte.

Ich öffnete meine Augen.

Es war dunkel um mich herum und ich brauchte einige Zeit, um zu begreifen, dass es hier nachts war. Dies verwirrte mich schon ein wenig, da es ja Nachmittag war, als ich das Weltentor in meinem Zimmer geöffnet hatte. Dennoch war ich nicht allzu sehr überrascht, denn immerhin war es ein Reisen zwischen Welten. Da war es nicht verwunderlich, wenn es nicht alles eindeutig war.

Trotz, dass es dunkel war, konnte ich Umrisse erkennen und es dauerte nicht lange und ich erkannte vor mir die Burg Dracheim.

»Ja«, flüsterte ich und spürte, wie Mist sich auf meiner Schulter rührte und seinen Kopf auf meinem legte. Er grollte leise beruhigend.

Nun, da ich endlich wieder in Dracheim war, musste ich mir darüber Gedanken machen, wie ich es am besten anstellte. Ich wusste, dass ich Christine versprochen hatte, den Lehrern alles zu sagen, doch ich musste vorsichtig sein. Sicher, ich wusste, wer der Verräter war, doch dies bedeutete nicht, dass es nicht noch andere gab. Dies war etwas, was mich doch beunruhigte. Immerhin hatte der Mann sich damals im Flur mit jemand unterhalten und dies bedeutete, dass es noch mindestens eine andere Person gab. Da diese auch männlich gewesen war, konnte ich jedoch sicher sein, dass es sich hierbei um keine Frau handelte. Doch wer sagte mir, dass diese beiden alleine waren?

Ich atmete tief durch und begann langsam zu der Burg zu laufen. Sollte ich der Direktorin Bescheid sagen? Oder Shandria, der Ersten Hüterin? Würden sie mir glauben?

Ich blieb abrupt stehen.

Wie erklärte ich ihnen, wie ich hierherbekommen bin, ohne etwas von meiner Ma oder dem Reisepulver zu erwähnen?

»Verdammt«, entfuhr es mir. Dies machte mir ziemlich deutlich bewusst, dass es nicht einfach werden würde. Dass ich nicht über alles genauer nachgedacht hatte.

Ein Seufzen entfuhr mir. Ich begann wieder langsam zu laufen und materte mein Gehirn, um eine einfache Erklärung zu finden, die ich den anderen sagen konnte.

Plötzlich spürte ich, wie Mist sich auf meiner Schulter versteifte und seinen Krallen sich so sehr in den Stoff meiner Jacke krallten, dass ich sie spüren konnte. Verwirrt blieb ich wieder stehen.

»Was ist los, Kleiner«, flüsterte ich und sah mich dann genau in der Umgebung um. Erst jetzt fiel mir auf, dass es ruhig war. Für meinen persönlichen Geschmack sogar etwas zu ruhig. Eine Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen und Rücken, trotz ich eine Jacke trug.

Es war dunkel um mich herum. Es war schweigend still und nur der Wind fuhr leichte über mein Gesicht und durch mein Haar. Und dies tat er auch ohne ein Geräusch von sich zu geben. Etwas stimmte hier überhaupt nicht!

Mist begann auf einmal zu knurren. Es klang tief und bedrohlich und da wurde mir bewusst, dass es schlimmer war, als ich Gedacht hatte. Wenn es sich um Drachtenwächter oder – Krieger gehandelt hätte, dann würde Mist nicht solche Geräusche von sich geben. Da bin ich mir ziemlich sicher!

Ich wickelte mein Schwert aus dem Umhang und zog es aus der Scheide.

Ich wollte es schützend vor mir halten, doch es war leider viel schwerer, als ich am Anfang gedacht hätte, sodass ich es nicht mit einer Hand halten konnte. Und ich war mir sicher, dass es sich hierbei um einen Einhandhänder handelte.

Plötzlich ertönte ein Kreischen. Es war schrill und klingelte in meinen Ohren.

Mist sprang von meiner Schulter und stand mit aufgerichteten Rückenstacheln vor mir.

Dann konnte ich es sehen und ich wich ungewollt einige Schritte zurück.

»Was … was ist das ….«

Vor mir, einige Meter entfernt, stand eine seltsame Kreatur. Sie stand auf zwei Beinen und besaß sechs Arme. In diesen befanden sich jeweils ein Schwert, das gebogen und messerscharf war. Die Gestalt besaß keine Kleidung, sondern eine grünlich ledrige Haut, die so straff über ihren Körper gezogen war, dass man unzählige Ausbuchtungen und Wölbungen unter dieser erkennen konnte. Ihr Kopf hatte eine leicht eckige Form und in ihrem Mund konnte ich unzählige scharfe Zähne erkennen. Sie besaß drei Augen, wobei das dritte sich auf der Stirn befand. Das Wesen besaß keine Haare und auf dem ersten Anblick konnte ich auch keine Nase oder Ohren erkennen.

Ich hatte keine Ahnung, um was es sich hierbei handelte und es machte mir richtige Angst.

Das Wesen ging zwei Schritte auf mich zu und Mist fing wieder an, zu knurren. Er duckte sich und ich konnte erkennen, dass er kurz davor war, zu springen.

»Mist! Nicht«, rief ich, da ich wusste, dass so eine kleine Eidechse nichts gegen dieses … dieses Ding ausrichten konnte. Er würde sich einfach in zu großer Gefahr begeben und das wollte ich nicht.

Die Kreatur öffnete ihren Mund und ihm entfuhr ein Kreischen.

Ich zuckte zusammen und merkte, dass ich langsam zu zittern begann.

Was war das für ein Wesen? Ein Dämon? Ich hatte noch nie einen gesehen und da ich wusste, dass es eine Welt der Dämonen gab, war dies eine glaubwürdige Antwort. Ich sah mir die sechs Schwerter an und blickte ich auf ein eigenes.

Wem machte ich etwas vor? Es war ziemlich klar, dass ich nichts gegen dieses Ding ausrichten konnte. Ich hatte noch nie in einem ganzen Leben mit einem Schwert gekämpft. Himmel und Hölle! Ich hatte bisher nur wenige Male eines Mal in der Hand gehabt!

Zitternd sah ich zur Burg und dann wieder zu der Kreatur. Ich hatte keine Ahnung, wie schnell es war, aber vielleicht … wirklich nur vielleicht, war ich ja schneller.

Ich drehte mich zur Seite und rannte los, wobei ich hoffte, dass Mist verstand, was ich vorhatte.

Ich machte nicht einmal drei Schritte und konnte hören, wie die Kreatur näher zu mir kam und ein schrilles Kreischen ausstieß. Etwas leiser konnte ich das Grollen und Fauchen von Mist verstehen und warf einen Blick über meine Schulter. Ich erkannte, während ich rannte, dass die Kreatur mir folgte und dies gefiel mir überhaupt nicht. Hinter ihr konnte ich Mist sehen, wie er dem Wesen folgte.

Ich sah wieder nach vorne und rannte weiter … immer weiter und versuchte auch schneller zu werden, doch dies war nicht einfach. Das Schwert lag schwer in meinen Händen, sodass ich es mit der Schneide auf meiner Schulter abstützte. Ich wollte es nicht loswerden, obwohl ich wusste, dass es mich sehr langsamer machte. Dicht hinter mir konnte ich das Wesen hören, sowie mein Blut in meinen Ohren. Abermals hatte ich Angst um mein Leben!

Es war doch eine dumme Idee gewesen, einfach hierher zurückzugehen. Ich hätte wissen müssen, dass etwas Schlimmes passieren würde. Vor allen jedoch, hätte ich Ma Bescheid sagen sollen.

Ich rannte so schnell, wie ich konnte und erkannte mit Schrecken, dass ich einfach nicht näher zu dem Schloss kam. Das Wesen schien mir immer wieder den Weg abzuschneiden und es war schnell. Es würde nicht lange dauern und es würde mich eingeholt haben. Ich musste mir etwas anderes einfallen lassen.

Plötzlich hörte ich eine andere Art von Kreischen und drehte mich um. Ich konnte erkennen, dass Mist das Wesen angesprungen hatte, und blieb überrascht stehen. Wie konnte Mist dies nur machen. Die Kreatur war wesentlich größer und Mist … Mist war noch zu jung. Er war eine kleine Echse!

Ich sah, wie Mist das Wesen mehrfach biss, immer wieder dessen Hände auswich.

Während Mist die Kreatur abgelenkt hatte, fasste ich eine schnelle Entscheidung. Ich riss mir den Rucksack vom Rücken, warf ihn von mir, dann rief ich Mist und rannte wieder los.

Es war ein Unterschied, dass ich nun weniger zu tragen hatte. Das Schwert hielt ich immer noch in meinen Händen, denn ich wollte es noch nicht aufgeben. Allerdings fragte ich mich immer wieder, ob es eine gute Idee war, oder nicht.

Ein Fiepen trat an meine Ohren und ich sah über meine Schulter. Ich erkannte, dass die Kreatur Mist ergriffen und zu Boden geschleudert hatte.

»Mist!«

Ich wollte zu ihm rennen, doch etwas in mir sagte, dass es sehr törisch wäre. Dass Mist dies nicht wöllte, sodass ich einfach weiterrannte.

Es dauerte nicht lange und das Wesen bestätigte mir, dass es gefährlich war. Es war schneller, und auch nachdem ich meinen Rucksack weggeworfen hatte, hatte es mich fast eingeholt. Ich blieb stehen und drehte mich zu der Kreatur hin, die nun knapp hundert Meter von mir entfernt stand und mich an kalten Augen anstarrte.

Ich schluckte. Ich hatte wirklich keine Ahnung, was ich machen sollte. Ich wollte weiter wegrennen, doch anstatt näher zum Schloss zu kommen, hatte es mich weiter entfernt getrieben. Ich konnte es zwischen den Bäumen erkennen, doch es war zu entfernt, um nach Hilfe zu rufen.

Plötzlich ging die Kreatur in die Knie und drückte sich ab. Es sprang auf mich zu und ich ließ mein Schwert nun endgültig fallen. Dieses würde mir sowieso nicht gegen das Wesen helfen. Ich konnte es ja kaum tragen, und auch wenn die einzige Waffe war, die ich nun besaß, so wusste ich, dass ich damit nicht kämpfen konnte. Warum also nutzloses Gewicht mit mir mitschleppen.

Ich wollte zur Seite ausweichen und wieder losrennen, doch da hatte es mich schon ergriffen und schleuderte mich gegen einen Baum.

Meine Knochen schrien auf und ein Stöhnen entfuhr mir. Ich konnte ein Knacksen hören und fragte mich, ob es etwas in mir war, dass gebrochen wurde, oder das Holz des Baumes.

Benommen rutschte ich auf den Boden. Da war das Wesen wieder vor mir und riss mich auf. Abermals schleuderte es mich gegen einen anderen Baum. Ich spürte, wie etwas abermals knirschte. Dieses Mal wusste ich, dass es in meinem linken Arm war. Ein Schrei entfuhr mir.

Wieder war das Wesen vor mir und trat mir in die Brust, sodass ich mich zusammenkrümmte. Die Luft wurde aus meinen Lungen gepresst und ich versuchte verzweifelte nach Atem zu ringen. Nachdem es mich ein paar Mal getreten hatte, ging es einige Schritte zurück und kreischte leise auf.

Ich lag auf dem Boden und war so benommen, dass ich für einen Moment nicht wusste, wo ich mich befand.

Plötzlich war das Wesen wieder direkt vor mir, ergriff mich am linken Oberarm und zehrte mich hoch.

Ich schrie auf!

Der Schmerz in meinen Arm, den ich vorher angeknackst hatte und sich nun in einem brutalen Griff sich befand, ließ einen scharfen stechenden Schmerz durch meinen Körper rasen.

Ich versuchte mich frei zu bekommen, das Wesen wegzudrücken, doch dessen Griff war stahlhart. Plötzlich ertönte ein bekanntes Grollen und kurz sah ich, wie Mist die Kreatur ansprang und in dessen Arm biss, der mich hielt. Der Griff lockerte sich und ich fiel zu Boden. Das Wesen wich einige Schritte zurück und Mist sprang von dessen Arm. Er landete direkt zwischen mir und der Kreatur.

Dessen kreischen ließ mich zusammenzucken und plötzlich hielt es wieder sechs Schwerter in den Händen. Ich hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass es zwischendurch keine hatte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich auf die Kreatur und konnte es immer noch nicht fassen, dass dies nun das Ende sein sollte. Dies sollte doch nicht möglich sein, wenn meine Träume wirklich so etwas wie Visionen waren. Doch nun lag ich hier und blickte auf die sechs Schwerter, die auf mich gerichtet waren.

Mist stand immer noch vor mir und grollte das Wesen an. Doch es war zu erkennen, dass er nicht mehr viel Kraft hatte. Ich konnte Blut erkennen, dass aus Wunden an seinem Körper floss und Tränen stiegen in meine Augen. Nicht nur, dass meine dummsinnige Idee mich umbrachte, sie würde auch Mist das Leben kosten und dies war etwas, was ich nun wirklich nicht wollte.

Mein Blick ging dann zu dem Schloss, das immer noch zu weit entfernt war und fragte mich, ob es meinen Freunden gut ging. Ob es Lailea und Lyrana gut ging. Ich wollte ihnen wirklich helfen und ihnen sagen, wer dahintersteckte, doch nun würde ich dies nicht mehr machen können.

»Verdammt«, flüsterte ich und verzog mein Gesicht, als ein Schmerz durch meine Brust raste. Ich war mir nicht sicher, ob einige Rippen gebrochen oder nur geprellt waren. Doch egal, was es war, es schmerzte höllisch, genau wie mein Arm und mein Kopf.

Die Kreatur kreischte und hob alle sechs Arme.

Ich schloss meine Augen und versuchte ruhig zu atmen. Wenn es wirklich das Ende sein sollte, dann wollte ich wenigsten mit Würde gehen!

Plötzlich verstummte das Grollen von Mist, und ehe ich nachdenken konnte, was dies zu bedeuten hatte, spürte ich, wie jemand mich an meiner rechten Schulter ergriff und zur Seite riss. Ich konnte das dumpfe Aufschlagen von Schwertern auf dem Boden und ein wütendes Kreischen vernehmen.

Verwundert öffnete ich meine Augen und blickte ungläubig auf dem Rücken einer Person, die nun zwischen mir und der Kreatur stand.

»Was …«

Während ich noch versuchte, zu verstehen, was überhaupt los war, drehte sich die Person um und ich konnte Pandeia erkennen. Die Drachenwächterin, die mich damals bewusstlos geschlagen hatte. Die Frau, die ich als eine Art Freundin ansah und die mir teilweise geholfen hatte, mich mit meinem Schicksal abzufinden. Ich hatte keine Ahnung, wie sie hierhergekommen ist, dich in dem Moment war es mir ziemlich egal. Jemand war hier und ich war nicht mehr alleine. Vielleicht würde es nun doch nicht das Ende sein.

Die Frau starrte mich ungläubig an. Es schien so, als hätte sie mich hier nicht erwartet, aber dies war keine Überraschung. Immerhin sollte ich mich ja in meiner Welt befinden und nicht hier in Dracheim. Doch Pandeia schien ihre Überraschung schnell zu überwinden. Sie blinzelte und sah dann wieder zu der Kreatur.

»Du wirst dein Ende nun finden, Fresser”, flüsterte Pandeia und ich konnte ich kaum verstehen. Ich sah, wie ihr Gesicht voller Konzentration war und versuchte zu ruhig wie möglich zu sein. Vielleicht würde ich ja heute nicht sterben!

Kurz darauf spürte ich, wie eine ungeahnte Macht von der Kriegerin ausging und etwas in mir wusste, dass Allanar, ihr Gefährte auf dem Weg zu ihr war. Ich ahnte, dass es nicht mehr lange dauern würde und alles würde gut werden. Ich wusste nicht wieso, aber ich war mir sehr sicher. Es war genau dasselbe Gefühl, dass ich hatte, als ich die Entscheidung getroffen hatte, wieder nach Dracheim zu kommen. Dass ich wusste, dass es das einzige Richtige war, obwohl es immer noch Zweifel hatte. Dieses Gefühl, dass einem sagte, dass es passieren musste.

Ich blickte zu Pandeia, deren Aufmerksamkeit der Kreatur … wie hatte sie es genannt? Fresser … galt und es so aussah, als würde sie alles um ihr herum ignorieren. Aber ich wusste, dass dies nicht stimmte. Dass die Frau wusste, dass ich hier war!  

Plötzlich schien es, als würde die Welt in einen Meer von Flammen untergehen. Ich verspürte ein ungutes Gefühl im Nacken und sah, dass der Wald um uns in Flammen stand, doch diese schienen das Holz der Bäume nicht zu zerstören.

Illusion!        

Ohne zu wissen woher, wusste ich, dass dies eine Illusion war, denn ich konnte das Feuer berühren, ohne davon verletzt zu werden. Gut, vielleicht lag es auch daran, dass Feuer mein Element und Mist ein Feuerdrache war, aber dies glaubte ich nicht. Das Feuer war nicht echt und Pandeias Reaktion bestätigte mir dies.

Sie stand ruhig vor dem Wesen und schien sich nicht um die Flammen zu kümmern, die auch ihren Körper umwirbelten. Für einen Moment musste ich an die Frau aus meinem Traum denken. Auch sie stand inmitten von Flammen. Nur das diese bläulich waren.

Während ich noch an meine Traumfrau – dass klingt anders als gemeint! – dachte, begann die Kreatur wieder leise zu kreischen und zu knurren. Es war so, als würde sie reden, doch was sie sagte, konnte ich nicht verstehen. Allerdings schien Pandeia zu wissen, was das Wesen sagte, denn sie ergriff ihr Schwert fester und schüttelte grimmig den Kopf.

»Das werde ich nicht tun, du Kreatur der Finsternis«, zischte sie und in der Ferne war das Grollen eines ausgewachsenen Drachen zu vernehmen. »Allanar und ich werden nicht zulassen, dass du Rose oder Mist etwas antust!«

Ein unbekanntes Gefühl machte sich in mir breit. Es war eine Mischung aus Dankbarkeit, Schuldbewusstsein und andere Dinge. In dem Moment wusste ich, dass Pandeia nicht nur eine Drachenwächterin in Dracheim war, sondern auch meine Freundin.

Das Wesen kreischte abermals und hob zwei ihrer Schwerter und ließ sie auf Pandeia niedersausen. Diese jedoch duckte sich, wich einige Schritte zur Seite aus und hob dabei ihr eigenes Schwert. Ein lautes Klirren entstand, als Stahl auf Stahl traf. Ich erkannte, dass Pandeias Arm von dem Schlag zitterte, doch sie hielt ihr Schwert in dergleichen Position, sodass die Kreatur wütend grollte und einige Schritte zurückwich. Pandeia trat zwei Schritte zurück und schwang dieses Mal selber ihre Waffe. Dabei duckte sie so tief, dass unter einen erneuten Schwertschlag auswich und nun im Rücken der Kreatur stand. Sie schlug ihre Waffen auf dessen ungeschützten Rücken und abermals hallte ein Kreischen durch die Luft. Ungläubig starrte ich auf dem Kampf, der nun dabei war, auszubrechen. Es war gewaltig. Ich hatte schon immer gewusst, dass Pandeia eine gute Kämpferin war, doch wie gut, dass hatte ich nicht gewusst! Ich saß untätig auf dem Boden, ignorierte meinen Schmerz und gab mich der Hoffnung hin, dass ich heute nun doch nicht sterben würde. Mist kletterte auf meinen Schoß, rollte sich auf diesem zusammen und blickte zusammen mit mir zu den Kämpfenden.

Wo ist Allanar?

Erst jetzt fiel mir genauer auf, dass der Drache nicht hier war. Dies wunderte mich schon sehr. Drache und Gefährte waren immer zusammen und erst recht, wenn es einen Kampf gab. Dies war etwas, was ich schon zeitig gelernt hatte.

Ich wandte meinen Blick von den Kämpfenden ab und sah mich in der Umgebung um. Alles um uns herum stand immer noch in Flammen und ich fragte mich, ob die anderen im Schloss diese sahen. Ob noch andere Hilfe zu uns kommen würde. Dann jedoch hörte ich wieder ein Kreischen und wandte mich wieder zu den Kämpfenden, wobei ich etwas Schattenhaftes blitzschnell an mir vorbei raste. Ich sah mit Schrecken, dass Pandeia alleine auf der Wiese stand und die Kreatur plötzlich weg war. Dann spürte ich einen Hauch in meinen Rücken und ich wurde steif. Ich starrte Pandeia bleich an, welche ihr Gesicht wütend verzogen hatte. Doch ihre Augen sagten mir, dass ich nicht in Panik verfallen sollte. Leichter gesagt, als getan!

Ich sah langsam über meine Schulter und sah die Kreatur hinter mir stehen. Sie hatte abermals alle sechs Schwerter erhoben. Plötzlich riss ich meine Augen weit auf.

Über dem Wesen, weit hinten am Himmel konnte ich einen Schatten erkennen, der immer schneller näher kam. Ich hielt meinen Atem an, als ich erkannte, um was es sich dabei handelte!

Wie ein blitzschneller Pfeil schoss Allanar zu Boden, ergriff die Kreatur mit seinem gewaltigen Maul und schleuderte es in Richtung Pandeia. Ich drehte mich wieder zu der Kriegerin, die auf die Kreatur gewartet hatte. Als diese vor Pandeia zu Boden kam, schlug die Frau mit ihrem Schwert auf die Kreatur ein und schaffte es, zwei Arme zu durchtrennen. Ein qualvolles schrilles Kreischen erfüllte den Himmel.

Allanar kam hinter mir auf dem Boden auf und beugte sich so vor dass mein mächtiger Kopf neben meinen Körper war und er stieß Feuer auf.

Pandeia wich dieses leicht aus und die Flammen hüllten das Wesen ein.

Ich wusste nicht so wirklich, worauf ich zuerst reagieren sollte. Darauf, dass ein riesiger Drache hinter mir stand? Dass seine messerscharfen Zähne direkt neben meinen Kopf sind. Darauf, dass dieses Mal echtes heißes Feuer knapp vor mir eine finstere Kreatur einhüllte? Ich wusste es wirklich nicht.

Mist hatte sich auf meinen Schoß erhoben und grollte Allanar an. Doch es war ein dankbares Grollen.

Ich drehte meinen Kopf so, dass ich Allanar direkt in die Augen blicken konnte. Ich erkannte meine Spiegelung in diesen und fragte mich, warum ich jetzt keine Angst davor hatte mich neben den mächtigen Kiefer eines Drachen zu befinden. Ich erinnerte mich sehr gut daran, dass ich panische Angst hatte, dass mich ein Drache fressen könnte und nun war einer so nahe, dass er es quasi machen konnte. Dann erinnerte ich mich daran, dass Pandeia gemeint hatte, dass Allanar mich beschützen würde und genauso fühlte ich mich im Augenblick. Beschützt!

Das Kreischen der Kreatur riss mich abermals aus meinen Gedanken und ich wandte mich wieder zu Pandeia und dem Wesen.

Die Kreatur stand zwar immer noch im Flammen, doch nun schienen diese ihr nicht zu schaden. So, als hätte sie sich an diese gewöhnt!

Pandeia begann wieder gegen den Feind zu kämpfen.

Klirr!!!

Ein Schlag halte durch den ganzen Wald und klang ungewöhnlich hoch. Doch weder das Wesen, noch die Frau machten sich darüber Gedanken, sodass der Kampf weiterging. Ich versuchte diesen zu folgen, doch dies war sehr schwierig. Es war ein einstecken und austeilen von Schlägen. Ich konnte kaum ausmachen, wer im Vorteil sich befand. Dennoch sah man nach einiger Zeit, dass die Kreatur langsam unsicher wurde und einige Schritte zurückwich, bis sie gegen einen Baum stieß und dadurch nicht weiter konnte.

Die Kreatur war überrascht, wenn nicht sogar verwirrt, dass sie nicht den tödlichen Schlag des Schwertes vor sich vernahm. Ein hoher schriller Schrei hallte durch den Wald und die grausame Kreatur bäumte sich auf. Man konnte silbrige Flammen erkennen, die aus der Wunde schlugen, wo sich das Herz des Wesens befinden musste und sich dabei immer höher fraßen. Und nach einiger Zeit verstummten die Schreie und von der Kreatur blieb nur noch ein Haufen Asche übrig.

Es dauerte lange, ehe ich wirklich begriff, dass das Wesen tot war und nicht mehr existierte. Ich starrte auf den Aschehaufen, sodass ich nicht merkte, wie Pandeia zu mir ging. Erst als sie vor mir auf dem Boden hockte und mich ansprach, zuckte ich zusammen.

»Rose?«

Ich blinzelte und starrte in Pandeias Gesicht. Ihre Haare waren schweißverschmiert und sie sah erschöpft aus. Gleichzeitig jedoch auch besorgt.

Ich wollte etwas sagen, doch ich spürte, wie etwas mich nach unten zog. Ohne, dass ich etwas dagegen unternehmen konnte, hüllte mich auf einmal Dunkelheit ein.

 

 

21. Kapitel

 »Hilf mir…hilf mir…Draconi….Es bleibt nicht mehr viel Zeit… Du musst mich finden, sonst wird die ganze Welt in einer tiefen Finsternis verfallen! Du musst dich beeilen, wenn du nicht willst, dass deine Freunde einen quallvollen Tod sterben werden. Beeile dich!«

Leise und gequält drangen die Worte zu ihr hinüber, als sie der Frau immer näher kam und sie begann, noch schneller auf sie zu zurennen. Sie schenkte der Umgebung keinerlei Beachtung mehr und aus diesem Grund merkte sie auch nicht, wie hinter ihr ein riesiger Schatten entstand. Sie schenkte ihre Aufmerksamkeit ganz allein der Frau, die ihre Hilfe zu brauchen schien, aber immer noch weit entfernt war.

»Hilf mir, Oh Draconi, hilf mir. Du bist die letzte Hoffnung! Hilf mir, Draconi!«

Plötzlich spürte sie, wie etwas an ihr zehrte, so als würde man sie zurückziehen und Panik kam in ihr auf. Sie konnte immer noch die Frau sehen, doch die Worte wurden immer schwächer und kurz darauf verstummten sie. Ihre Angst um die Frau wurde immer größer und sie zehrte gegen die unsichtbaren Fesseln. Sie wollte sich unbedingt losreißen, wollte den harten Griff entkommen und endlich zu der Unbekannten kommen, doch je härter sie sich wand, desto fester wurde der Griff.

»Nein!«

Sie schrie laut auf und stemmte sich immer mehr gegen den Griff. Nur sehr langsam gelang es ihr, sich loszureißen. Doch als sie endlich losgekommen war, wusste sie, dass es ihr nicht helfen würde. Sie sah plötzlich einen Schatten hinter sich und sie wirbelte herum. Sie konnte eine Person mit flammenden Haaren erkennen und wich zurück. Ein Verfolger! Mit dies im ihren Gedanken drehte sie sich um und rannte. Sie wollte dieser Person entkommen und zu der anderen Frau gelangen, ehe ihr etwas zustoßen konnte. Die hilfesuchenden Schreie wurden immer leise und dann verstummten sie mit einem letzten hohen schmerzhaften Schrei.

»Nein!«

Ein ohrenbetäubender voller Qualen enthaltener Schrei hallte zwischen den Statuen und dann gab es nur noch Stille. Das einzige, was sie vernahm, war ihr eigener Atmen und dann schien die Zeit stillzustehen, als ihr diese Tatsache vollends in Gedächtnis kam. Sie schrie wie ein verletztes Tier auf, konnte es einfach nicht fasse, dass sie wieder zu spät gekommen war und wollte ihre ganze Wut hinaus brüllen. Ihre Knie knickten ein und sie stützte sich mit ihren Händen auf den Boden. Tränen liefen über ihre Wangen und sie fühlte sich verloren. Wieso gelang es ihr nie, diese Frau zu erreichen und ihr zu helfen? Wieso musst sie immer wieder versagen und das jedes Mal.

Sie sah auf, blickte sich im Raum um, doch sie konnte kein Lebenszeichen der Frau erhaschen. »Bitte nicht…bitte nicht…«

Ein Geräusch hinter ihr ließ sie zusammenzucken und sie wusste, dass ihr Verfolger sie erreicht hatte. Dann hörte sie ein leises »Draconi« und verspürte einen schmerzhaften Stich in ihren Rücken. Sie wollte aufschreien. Wollte endlich, dass das alles ein Ende haben wird und wusste gleichzeitig, dass dies nicht passieren würde. Sie war hier gefangen und konnte nicht die Frau retten. Die Frau, die verzweifelt nach ihr gerufen hatte.

Sie spürte, dass die Schmerzen in ihren Rücken etwas etwas wurden und drehte sich um.

Etwas entfernt konnte sie ihren Verfolger erkennen. Er hatte einen Dolch in seiner rechten erhobenen Hand und von diesem tropfte Blut auf dem Boden. Erst jetzt spürte sie, dass der Stoff auf ihrem Rücken feucht wurde und irgendwie ahnte sie, dass es sich hierbei nicht um Wasser handelte. Ihr Rücken schien zu brennen, doch sie achtete nicht darauf, sondern starrte ihren Verfolger an.

Es war eine Gestalt, die in schwarzen Gewändern gehüllt war und eine Kapuze verdeckte ihr Gesicht, sodass sie nicht erkennen konnte, ob es sich um einen Mann oder einer Frau handelte. Sie wusste nur, dass diese Person gefährlich war!

Die Gestalt trat einige Schritte vor und ungewollt wich sie zurück.

»Du kannst mir nicht entkommen«, zischte die Person und sie erkannte, dass es sich um einen Mann handelte. »Du wirst ihr nicht helfen können! Es war törisch von dir, hierher zu kommen und du wirst diese Torheit mit deinem Leben zahlen!«

Sie wich weiter zurück, denn sie ahnte, dass diese Person recht hatte. Dann jedoch stockte sie. Die Stimme kam ihr bekannt vor. Doch wo hatte sie diese gehört. Lange konnte sie nicht nachdenken, denn die Gestalt hob ihre rechte Hand und ein dichter schwarzer Nebel bildete sich vor dieser zu einer dunklen Kugel. Als diese sich fertig gebildet hatte, schoss diese blitzschnell auf sie zu.

Sie öffnete den Mund, um zu schreien, doch ihr Körper war so von Schmerzen erfüllt, dass sie keinen Ton ausbrachte.

Die Schmerzen schienen jede Faser ihres Körpers zu erfüllen und dann mit einem einzigen Schlag waren sie verschwunden. Sie wusste nicht wieso, aber sie war mehr als Dankbar darüber.

Sie sog Luft tief in ihre Lungen und versuchte ihr pochendes Herz zu beruhigen. Plötzlich drang ein Kichern an ihre Ohren und sie riss ihren Kopf hoch. Direkt vor ihr befand sich immer noch die Gestalt mit der Kapuze.

»Hast du es endlich verstanden, Weib! Du kannst mir nicht entkommen und dafür werde ich sorgen. Dafür, das du alles vernichtest hast … das du nicht deinen Mund hattest halten können. Dafür wirst du bestraft werden. Ich werde dir so viele Qualen bereiten, dass du…«

Sie sah die Gestalt schwer atmend an. Sie zweifelte nicht an seine Worte, doch sie ließ sich dies nicht anmerken. Stattdessen griff sie in ihre Hosentasche und ihre Finger berührten eine Murmel. Sie würde nicht kampflos untergehen!

Als die Gestalt vor ihr wieder den Arm hob und sich abermals eine Kugel bildete, riss sie ihre Hand aus der Tasche und warf die Murmel auf die Person. Es war eine rote und als sie am Umhang der Gestalt zerbrach, stachen flammen hervor, welche die Gestalt sofort einhüllte. Diese schrie laut auf.

Sie wich einige Schritte zurück und nahm erneut eine rote Kugel und warf sie wieder auf die Gestalt. Dann drehte sie sich um und rannte abermals los. Sie musste die Frau erreichen. Sie musste von der Gestalt wegkommen!

Sie rannte weiter und immer weiter. Immer weiter weg von ihrem Feind und in die Richtung, wo sie wusste, dass sich die Gestalt dort befand. Sie erreichte eine neue Höhle und in dieser befanden sich abermals Statuen. Unzählig viele, welche alle in Richtung Mitte des Raums blickten.

Sie wich einigen Statuen aus, während sie lauschte. Eine riesige Erleichterung durchfuhr sie, so als würde ein massiver Stein von ihrem Herzen fallen, als ihr bewusst wurde dass sie nur Stille vernahm. Niemand folgte ihr mehr.

Sie spürte, wie ihr Hemd am ihren Rücken klebte und ein stetiger Schmerz von einer bestimmten Stelle durch ihrem ganzen Körper fuhr. Doch darauf achtete sie nicht, denn sie ging weiter, da sie immer noch den Sog verspürte. Der, der ihr den Weg wies.

Plötzlich befanden sich keine Statuen mehr vor ihr und sie erkannte einen leeren Platz vor ihr.

Nein, nicht leer!

Vor ihr, genau in der Mitte des Ortes befand sich ein prasselndes Feuer und in diesem befand sich eine Frau. Es war die Frau, die sie so verzweifelt erreicht hatten wollen.

Ihr hoher Puls, das Adrenalin, das sie verspürt hatte, als sie auf die Frau zugerannt hatte, war verschwunden. Stattdessen erfüllte sie ein Gefühl von Frieden und Geborgenheit. Es war ein wunderbares Gefühl, dass ihr gut tat, denn ihr ganzer Körper füllte sich an, als wollte er zerspringen. Schmerzen durchfuhren ihm, aber diese nahm sie kaum war. So als würden sie sich hinter einem Schleier befinden.

Nur die Frau existierte für sie.

Die Flammen des Feuers ragten in die Höhe und hüllten sie Frau komplett ein, doch dies schien sie nicht zu stören. Es war sogar fast so, als wären die Flammen ein Teil der Frau.

Die Frau selber war wunderschön. Dass war mit das Erste, was sie bemerkt hatte, als sie die Frau beobachtete. Die Umgebung um ihr herum verschwand und nur die Person im Feuer vor ihr existierte.

Die Frau war in weißen Gewändern gehüllt, welche mit Silber- und Goldfäden verziert waren. Wundersame und komplizierte Muster bildeten die Fäden und ergaben ein herrliches Bild. Ihr Haar war schneeweiß und so lang, dass sie den Boden berührten. Ihre Augen zeigten eine tiefe Weisheit und auf ihrer Stirn war ein Diadem zu erkennen, in dessen Mitte ein blauer Stein funkelte. Der Stein hatte genau dieselbe Farbe, wie die Augen der Frau und dies war einfach wunderschön.

Sie war so fasziniert von der Frau, dass sie alles vergaß. Sie vergaß, warum sie sich in den Gewölben befunden hatte. Sie vergaß, dass der Mann sie verfolgt hatte, irgendwo sich doch noch befinden musste. Sie vergaß die Schmerzen, die ihren Körper durchdrangen.

»Endlich bist du hier, Draconi«, erklang die bekannte Stimme der Frau und sie erkannte, dass die Frau sie betrachtete. »Endlich wird sich das Schicksal erfüllen!«

Es dauerte einen Moment, bis ihr bewusst wurde, dass sie zwar die Frau hörte, doch nicht sah, wie sich ihr Mund bewegte. Die Frau betrachtete sie weiterhin durch die Flammen. Sie weisen Augen auf sie gerichtet und ihre Stimme erklang, ohne dass sich ihr Gesicht veränderte.

»Alles wird sich so erfüllten, sie es sein sollte. Du bist hier, Draconi und wirst der nächste Träger werden!«

Ehe sie sich fragen konnte, was die Frau mit diesen Worten, die direkt in ihrem Kopf erklangen, gemeint hatte, ertönte ein Geräusch direkt hinter ihr. Sie erkannte, dass die Augen der Frau sich vor Schreck weiteten, und wusste, dass sich nichts Gutes hinter ihr befand. Sie wollte nicht wissen, was dort war.

Sie drehte ihren Kopf, um hinter sich zu schauen, als etwas ihren Rücken traf und sie mit einem Mal wieder alle Schmerzen direkt verspürte. Sie öffnete ihren Mund und ein Schrei entfuhr ihr.

 

Ein Schrei weckte mich und es dauerte lange, bis mir bewusst wurde, dass ich es war, der schrie. Ich saß aufrecht in einem Bett, starrte mit weit aufgerissenen Augen die Wand vor mir an, und als der Schrei verstummte, rang ich nach Luft. Meine Lungen füllten sich zum Glück mit dieser und es dauerte nicht lange und ich beruhigte mich.

Einige Sekunden später wurde die Tür zu dem Raum, in dem ich mich befand, aufgerissen und drei Personen stürmten hinein. Eine davon hatte ein gezogenes Schwert und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen.

Ich brauchte einen Moment, bis ich wusste, wo ich mich befand und wer diese Personen waren.

Ich hatte es geschafft! Ich war in Dracheim und so wie es aussieht, war ich noch am Leben.

Was war das für ein Wesen gewesen? Ein Dämon?

Ich sah, wie Pandeia ihr Schwert wieder in die Scheide steckte, nachdem sie erkannt hatte, dass sich keine Gefahr dort befand. Auf ihrer Schulter befand sich Allanar und …

MIST!

Wo war Mist? Ich sah mich im Zimmer um, doch konnte meinen Gefährten nicht erkennen. Angst und Panik kamen in mir auf. Wo war meine Echse?

Ich starrte Llyandrei, die Heilerin an.

»Wo ist Mist«, fragte ich zitternd und versuchte aus dem Bett zu klettern.

Versuchen war die richtige Bezeichnung, denn sofort war Pandeia an meiner Seite und hielt mich am Platz. Ich kämpfte gegen ihren Griff und sah die Heilerin an.

»Wo ist er. Wo ist Mist!«

»Alles ist in Ordnung, Rose. Mist geht es gut. Er ist gerade bei Orona. Sie kümmert sich um ihm.«

Ich kniff die Augen zusammen, stellte meinen Fluchtversuche ein und sah die Heilerin genau an. Sie schien die Wahrheit zu sagen und bedeutete, dass es meinen kleinen Freund wirklich gut gehen musste. Meine Panik verschwand und Erleichterung machte sich in mir breit. Ich vernahm nur am Rande, dass Pandeia mich wieder losließ und schwenkte meinen Blick zu der dritten Person, die sich in dem Raum befand.

Valàna, die Erste Drachenhüterin, sah mich mit ernstem Blick an und es war leicht zu erkennen, dass sie nicht glücklich war. Ich schluckte und sah weg. Mein Blick fiel auf einem kleinen Tisch, der an einer Wand stand und ich konnte meinen Rucksack, sowie Ma`s Schwert erkennen.

Au Backe! Was konnte ich denen sagen, wie ich hierhergekommen bin, ohne zu verraten, wer meine Ma war? Sie wollte nicht, dass die anderen erfuhren, wo sie sich befand … nein, sie hatte mir ja die freie Wahl gestellt und ich wollte es nicht. Denn dann würde es bedeuten, dass Anni sich in Gefahr befand und dies war etwas, was ich nicht wollte.

Denk nach! Denk nach! Lass dir eine plausible und logische Erklärung einfallen, warum du dich hier befindest!

Ich schluckte und sah dann wieder zu Valàna. Sie und Ma kannten sich und wenn ich es richtig verstanden habe, dann waren sie sogar richtig konnte Freunde gewesen. Himmel, Valàna war damals die Stellvertreterin von Ma gewesen, als Ma die Erste Drachenhüterin gewesen war. Ich fragte mich, ob Valàna meine Ma vermisste, oder froh war, da sie nun ihre Position hatte.

»Rose?«

Ich wandte mich zu Llyandrei, die mich besorgt anblickte.

»Hast du Schmerzen, Rose?«

Erst bei dieser Frage merkte ich, dass ich keine hatte. Es ging mir gut und dies verwunderte mich sehr. Ich erinnerte mich daran, dass das Wesen mich verletzt hatte. Dann sah ich wieder die Elbin an und wusste, dass sie mich wieder einmal geheilt hatte. Ich schüttelte den Kopf und sah dann zu Pandeia, die auf der anderen Seite neben meinem Bett stand.

»Du hast mir das Leben gerettet«, flüsterte ich und ich erkannte, dass Pandeia leicht Rot wurde. Sie zuckte mit den Schultern.

»Nicht doch … ich habe nur mein Job gemacht«, entgegnete sie und sah mich dann ganz ernst an. »Du hast wirklich Glück gehabt, Rose. Nicht jeder überlebt einen direkten Angriff eines Seelenfressers!«

Seelenfresser?! Ich vermute sehr stark, dass das Wesen so eines war und fragte mich, wie viel an dem Namen dran war. Hätte es wirklich meine Seele gefressen? Ich spürte, wie ich bleich wurde.

»Salà Pandeia hat recht«, sprach nun Valàna und sah mich weiterhin mit diesem ernsten Blick an. Er verursachte eine Gänsehaut bei mir. »Und dafür entschuldige ich mich, Rose. Ich hätte es wissen müssen, dass du in deiner Welt auch nicht sicher gewesen wärst. Statt dich dorthin zu schicken, hätte ich dafür sorgen müssen, dass du an einem wirklich sicheren Ort gewesen wärst.«

Verwirrung machte sich in mir breit und ich runzelte meine Stirn.

»Was?«

Wieso gab sich diese Frau die Schuld? Es war doch nicht ihre Schuld, wenn ich so dumm gewesen war, nach Dracheim zurückzukommen, obwohl ich wusste, dass es gefährlich gewesen war. Ganz im Gegenteil. Es war meine eigene Schuld und dadurch habe ich nicht nur mich in Gefahr gebracht, sondern auch Pandeia, sowie Allanar.

»Es war meine Schuld und …«, begann ich, doch Valàrn unterbrach mich. Sie riss ihre Arme in die Höhe.

»Du brauchst nicht die Schuld auf dich nehmen, für meinen Fehler. Mist hat uns alles erzählt, was passiert ist«, rief sie aus.

Ich sah sie mit weit aufgerissenen Augen an. Wenn Mist ihnen alles erzählt hatte, warum gab sich dann die Frau sich die Schuld? Das machte doch überhaupt keinen Sinn!

»Mist hat es ihnen erzählt?«

So etwas wie leichter Neid kam in mir auf. Wieso konnten andere mit Mist reden und ich nicht? Dass war einfach nicht fair!

Valàna nickte.

»Ja, er hat uns erzählt, dass du angegriffen und wieder hierher verschleppt worden warst.«

WAS!?!

Ich sah Valàna mit hängendem Mund an, ehe ich es bemerkte und diesen schloss. Was hatte das zu bedeuten? Hatte Mist etwa die Frau angelogen? Ich meine, niemand hatte mich hierher verschleppt.

»Ja. Er sagte, dass du mit einem Schwert geübt hattest, da du in der Lage sein wolltest, dich selber zu verteidigen … was ein toller Gedanke ist, aber auch gleichzeitig gefährlich. Du kannst nicht alleine mit einer gefährlichen Waffe üben. Du könntest dich leicht verletzten! Wie auch immer, du hast geübt, als dich die verschleierten Männer angegriffen hatten. Dann haben sie dich wieder hierhergebracht und als nur noch einer dich bewacht hat, hast du ihn bewusstlos geschlagen, seine Sachen abgenommen und bist in Richtung Schloss gerannt. Dann ist der Seelenfresser aufgetaucht.«

Wow! Ich musste zugeben, dass Mist eine wunderbare Fantasie hatte und wahrscheinlich sehr überzeugend sein konnte, wenn die Leute ihm glaubten. Was beschwere ich mich. Nun muss ich mir keine neue Ausrede einfallen lassen. Hauptsache ich vergesse die Geschichte nicht, oder verwechsle etwas. Verdammt! Warum kann ich nicht mit Mist reden!

Ich nickte leicht.

»Ja … und dann ist Pandeia aufgetaucht und hat mich gerettet«, sagte ich leise. Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass ich keinerlei Ahnung hatte, wovon Valàna sprach. Im Gegenteil, ich würde einfach alles bestätigen und dabei hoffen, dass alles gut gehen würde.

»Richtig!« Valàna sah verärgert aus. Doch es war leicht zu erkennen, dass sie nicht auf mich wütend war, sondern eher auf sich selber. Leichte Schuldgefühle kamen in mir auf. Sie hatte keinen Fehler gemacht, sondern ich. Doch dies konnte ich ihr leider nicht sagen.

»Als wir an den Ort gekommen waren, wo du den Mann niedergeschlagen hattest, war dieser leider nicht mehr dort. Spuren konnten wir auch keine Erkennen. Ich vermute, dass die anderen zurückgekommen waren und ihn mitgekommen, sowie alle Spuren beseitigt hatten.«

Ich nickte abermals. Klang logisch, wenn es wirklich passiert wäre.

»Dies bringt uns zu der Tatsache, dass du immer noch in Gefahr bist. Dich wieder zurückzuschicken, wäre ein Fehler und deswegen nicht machbar. Ich weis, dass du nicht hier sein willst, Rose, aber im Moment, ist es wirklich besser. Ich werde Pandeia als deine persönliche Wache abstellen, sowie Riesa. Die beiden werden dich nicht aus den Augen lassen und ich werde dafür sorgen, dass ich herausfinde, wer dahinter steckte!«

Ich nickte zum dritten Mal. Der Gedanke, dass wieder so ein Wesen … so ein Seelenfresser auftauchen könnte, rief Angst in mir auf. Ich spürte, wie jemand eine Schulter sachte berührte und sah zu Pandeia.

»Keine Sorge, Rose. Niemand wird dich töten! Das werde ich nicht zulassen.«

Ihre Worte beruhigten mich und ich atmete tief durch. Dann fiel mein Blick auf Llyandrei und ich erinnerte mich, dass ich eigentlich Schmerzen haben müsste. Dies jedoch war nicht der Fall.

Ich sah meinen Körper an, bewegte meine Arme und Beine und runzelte die Stirn. Tatsächlich. Keine Schmerzen!

»Wie lange bin ich hier«, fragte ich zögernd, da ich nicht wirklich die Antwort wissen wollte.

»Sieben Tage, Rose«, antworte die Elbin und ich sah sie ungläubig an.

Sieben Tage! Kein Wunder, dass ich keine Schmerzen hatte. Wahrscheinlich sind meine Wunden alle schon verheilt. Doch wieso habe ich sieben Tage lang geschlafen … oder war so lange bewusstlos … oder was es auch immer war.

»Ich habe dich in einen Heilschlaf versetzt, damit du keine Schmerzen verspürst. Dadurch hast du viel schneller geheilt«, erklärt Llyandrei.

»Das heißt, es geht mir nun gut?«

Ich konnte es immer noch nicht wirklich fassen, aber dies schien die Wahrheit zu sein. Nicht, dass ich mich beschwerte, oder so. Es war halt nur seltsam für mich.

»Wenn du die Wahrheit gesagt hast und du keine Schmerzen verspürst, dann ja«, erwiderte die Heilerin. Sie sah selbstzufrieden aus. Wahrscheinlich, weil sie wusste, dass es ihr Verdienst war.

»Dann kann ich zu Mist gehen«, fragte ich hoffnungsvoll. Ich wollte ihn wirklich so schnell wie möglich sehen und mich selber vergewissern, dass es ihm auch wirklich gut ging. Klar glaubte ich ihnen, doch ich musste ihn einfach sehen. Mit meinem eigenen Augen. Immerhin hat er dafür gesorgt, dass die anderen einen Verdacht bezüglich meiner Rückkehr haben.

Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass er gelogen hatte. Ich meine, ich war froh und dankbar. Besser hätte es nicht sein können. Wer weis, ob die Leute mir einfach so geglaubt hätten. Einen Drachen schienen sie da eher leichtgläubiger zu glauben. Mein Glück.

Llyandrei sah mich kurz an, ehe sie leicht nickte. »Ja. Ich sehe keinen Grund, doch hier weiterhin zu behalten. Allerdings musst du mir versprechen, es langsam anzugehen. Du hast lange geschlafen und dein Körper wird einige Zeit brauchen, bis er alle Kräfte wieder hat.« Sie sah zu Pandeia. »Keinerlei Anstrengungen, und wenn sie Anzeichen von Müdigkeit zeigt, dann sorgt dafür, dass sie auch wirklich schlafen wird!«

Die Drachenkriegerin nickte.

Na toll. Also nicht ein Beschützer, sondern eher ein Aufpasser!

»Vor allen, will ich, dass Rose nach Sonnenuntergang in ihrem Zimmer ist«, fügte Valàna hinzu. Sie sah mich ernst an. »Keinerlei Wanderungen ohne deine Wächter. Es muss mindestens immer eine bei dir sein, Rose. Wenn die Leute dich sogar von deiner Welt hierher holen, dann meinen sie es wirklich ernst. Dein Leben ist in Gefahr! Ich weis nicht, wieso sie es ausgerechnet auf dich abgesehen haben, doch ich verspreche, dass es nicht wieder passieren wird! Dies kann ich jedoch nur, wenn du auf uns hörst!«

Ich nickte. Abermals mit schwerem Gewissen. Es war nicht richtig, dass die Frau sich Vorwürfe und Sorgen machte, wegen meiner Entscheidung. Doch ich hielt diese fest. Ich musste nach Dracheim zurück.

Ich frage mich, was Ma jetzt gerade macht. Wahrscheinlich ist die sauer und wird mich umbringen, sobald sie die Möglichkeit bekommt … nicht, dass ich es verübeln würde. Doch ich musste es machen und wenn ich ehrlich war, dann wäre meine zweite Chance, dieselbe Entscheidung gewesen. Ich hoffe, dass sie es verstand und dass es Anni, sowie Chris es gut ging. Chris weis ja, wieso ich zurück bin. Anni … Ich hoffe, dass sie sich keine Sorgen macht.

Valàna sah mich kurz an, ehe sie Llyandrei und Pandeia zunickte und dann den Raum verließ. Die Heilerin untersuchte mich noch einmal schnell, ehe sie zufrieden war und ebenfalls ging. Zurück blieben nur Pandeia und ich.

»Danke«, sagte ich und sah die Kriegerin. Am Anfang hatte ich Angst vor ihr gehabt, dann war ich wütend auf die gewesen, da sie mit an der Entführung beteiligt gewesen war, doch nun sah ich sie als eine Freundin war. Sie war von Anfang an dabei gewesen, war immer geduldig mit mir gewesen und nun hat sie sogar mir das Leben gerettet. Sie und Allanar.

Pandeia lächelte leicht. »Du musst dich nicht bedanken, Rose. Ich würde es wieder machen, wobei ich sehr hoffe, dass nicht noch ein Seelenfresser auftaucht.«

Wieder diese Bezeichnung. »Was ist denn eigentlich ein Seelenfresser?«

Die Frau schloss kur die Augen. »Rose, dir muss bewusst werden, dass jemand sehr darauf fixiert ist, dich zu töten. Ein Seelenfresser gehört einer uralten Dämonenrasse an. Um so einen zu beschwören, muss man zum einen sehr mächtig sein und Opfer bringen. Keiner lässt sich leichtfertig mit so einem ein. Selbst die Schwarzen Flammen nicht. Ganz im Gegenteil. Sie weichen nur auf diesem Weg aus, wenn sie absolut sicher sein wollen, dass jemand stirbt. Ein Seelenfresser greift nicht nur irgendeinen an, sondern nur die Person, deswegen sie beschworen wurde. Jemand hat diesen Dämonen beschwört, damit er dich töten wird. Es war kein Zufall, dass er dich angegriffen hat. Du warst sein Ziel!«

Ich schluckte. Der Gedanke, dass wirklich jemand mich töten wollte, war nicht … nicht toll. Es war beängstigend.

»Frisst er wirklich einen die Seele?«

Tief im Inneren wollte ich nicht die Antwort wissen, doch gleichzeitig schon. Ich meine, wenn wieder so ein Dämon auftauchte, dann sollte ich auch wissen, was er machen konnte.

Ein Seufzen entfuhr Pandeia und es war zu erkennen, dass sie nicht gerne darüber sprach. Sie nickte. »Ja, er hätte dich getötet und dann deine Seele verschlungen. Was bedeutet hätte, dass du bis in alle Ewigkeit Qualen erlitten hättest. Dies macht ein Seelenfresser zu einer Abscheulichkeit. Nicht nur, dass sie einen töten kann, sondern dass es nach dem Tod nicht vorbei war. Eher der Anfang.« Sie sah mich ernst an. »Jemand muss dich wirklich sehr hassen, um dich zu so einem Schicksal zu verdammen.«

Ich musste ja auch fragen! Eiseskälte machte sich in mir breit. Jemand wollte mich nicht nur töten, sondern auch meine Seele verdammen. Warum? Wusste die Person, wer ich war? Wusste sie, dass ich dem Hause Draconi angehörte?

»Mach dir keine Sorgen, Rose. Niemand wird dich töten! Dass werden wir nicht zulassen«, sagte Pandeia. Sie wollte mich beruhigen und dies verursachte ein Gefühl der Geborgenheit in mir auf. Ich wusste, dass wenn sie an meiner Seite war, dann würden die Feinde es schwierig haben, mir etwas anzutun. Ich wusste, dass Pandeia mich beschützen würde!

 

Impressum

Texte: Nadine Stroscher
Bildmaterialien: Nadine Stroscher (Vorlage: verschiedene Bilder von Googel)
Tag der Veröffentlichung: 10.03.2013

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