„Wir glaubten die Natur zu beherrschen; in der Lage zu sein, die Macht der Elemente für unsere Zwecke nutzen zu können. Doch die Natur ist wild und unbezähmbar und das Einzige, was wir erreichten, war die Elementare zu erzürnen.“
Galamthiel, Ratsmitglied des Cirkels
Einst waren die Elementare des Feuers, des Wassers, der Erde und der Luft die einzigen Herrscher über ganz Elduram. Sie prägten das Land nach den Vorgaben ihrer Götter und lebten in Harmonie und im Einklang mit der Natur. Bis die Menschen kamen.
Angezogen von den neuen Ländereien und den Rohstoffen ließen sie sich in Elduram nieder, von den Elementaren geduldet. So lebten Menschen und Elementare einige Zeit lang Seite an Seite, einander ignorierend, doch in Frieden. Nur die magiebegabten Druiden machten sich die Mühe die Elementare und ihre Kräfte zu studieren.
Mit der Zeit wuchs das Volk der Menschen, vermehrte sich und breitete sich in Elduram aus. Immer häufiger kam es nun zu Auseinandersetzungen und Katastrophen, wenn sich Elementare und Menschen begegneten. Erdbeben und Stürme zerstörten ganze Dörfer, Feuer versengten die fruchtbaren Felder und machten sie zu unbestellbarem Brachland.
Die Menschen begannen die Elementare und ihre Kräfte zu fürchten. Der Unmut unter ihnen wuchs, bis aus den alten, unbeachteten Nachbarn gehasste Feinde wurden. Als die Wut und der Hass zu groß wurden, erhoben sich die Menschen gegen die Elementare. Eine Gruppe Druiden, genannt der Cirkel, ging in ihrem Hass soweit, sich von den alten Göttern abzuwenden.
Achthundertsiebenundvierzig Zyklen nach dem Eintreffen der Menschen in Elduram, die den Kontinenten mittlerweile ebenso als ihre Heimat ansahen wie die Elementare, war das Nebeneinanderleben von Mensch und Elementar unmöglich geworden. Doch selbst die vereinte Macht der Menschheit kam nicht gegen die Elementare an. So machte es sich der Cirkel zum Ziel die Macht der Elementare für die eigenen Zwecke zu nutzen und Elduram zu einem ausschließlich von Menschen bevölkerten Kontinent zu wandeln.
Aber nicht jeder unter den Menschen konnte das Vorgehen des Cirkels gut heißen. Doch der Cirkel duldete keinen Widerstand und so wurden jene, die dessen Ansichten nicht teilte, unterdrückt oder getötet.
Schon bald begannen die Druiden des Cirkels mit obdachlosen oder entführten Kindern und gefangenen Elementare zu experimentieren, um neue Krieger zu schaffen, die das Ziel des Cirkels umsetzen und die Elementare vertreiben sollten. Nach ewigen Versuchen gelang es ihnen den Geist der Kinder mit der Macht der Elementare zu verbinden. Je jünger die Kinder dabei waren, desto größer war die Aussicht auf Erfolg. Doch erst im Alter von zehn Zyklen würden die Kinder fähig sein ihre neuen Kräfte freizusetzen.
Als die Elementare von den Experimenten erfuhren, stieg ihr Zorn auf die Menschen, mit denen sie ihr Land vor hunderten von Zyklen so bereitwillig geteilt hatten, ins Unermessliche. Für sie kam es einem Hochverrat gleich, dass die Menschen sich ihrer Macht bedienen wollten, um sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Die Elementare beschlossen mit gebündelter Macht gegen die Menschen in´s Feld zu ziehen und so kam es zum Elementar-Krieg.
Nyrax
Im Zeichen der Erde, Ostarman
Zyklus 985 nach der Ankunft der Menschen in Elduram
„Yarim, aufstehen!“, hallte die helle Frauenstimme durch die kleine Kammer. Gähnend streckte sich Yarim in seinem Bett und vertrieb die Müdigkeit aus seinen Gliedern. Das hölzerne Bettgestell knarrte leise, als er seine Beine über den Rand schwang. Mit schnellen Schritten lief er über die rauen Holzdielen zu seiner Kleidertruhe. Die Sonne warf bereits helle Flecken an die Schräge des Strohdachs und wies auf die fortgeschrittene Stunde des Morgens hin.
Hastig schlüpfte Yarim in eine abgewetzte Stoffhose und zog sich das graue Leinenhemd über den Kopf, bevor er die schmale Leiter hinabkletterte. Seine Mutter stand bereits an der Feuerstelle und rührte in dem Kessel mit Haferbrei. „Deckst du bitte den Tisch, mein Goldstück?“
Missbilligend zog Yarim bei dem Kosenamen die Stirn kraus. Er konnte es nicht leiden, wenn seine Mutter ihn Goldstück nannte, doch bis jetzt hatte er sie nicht davon abbringen können. Als er fünf Zyklen alt gewesen war, hatte es ihm noch gefallen, von seiner Mutter so genannt zu werden, doch mit seinen mittlerweile zehn Zyklen kam er sich lächerlich dabei vor.
Schweigend holte Yarim zwei Holzschalen und Holzlöffel aus dem Schrank und stellte sie auf den kleinen Esstisch. Bevor seine Mutter ihn dazu auffordern konnte, griff er nach dem Tonkrug und lief zum Brunnen vor dem Haus.
„Guten Morgen, Yarim“, begrüßte ihn Serin, der gerade dabei war einen Eimer zu füllen. „Wohl etwas später dran heute, wie?!“
„Ja“, antwortete Yarim einsilbig und erwiderte den Gruß mit einem Nicken. Er mochte den älteren Jungen nicht wirklich. Serin war mit seinen zwölf Zyklen schon deutlich größer als Yarim und hielt sich stets für etwas Besseres. Auch jetzt ließ er den noch halbvollen Wassereimer nach getaner Arbeit einfach wieder in den Brunnen fallen, statt ihn Yarim zu reichen. Mit einem ‚Wir sehen uns, Zwerg‘ drehte sich Serin um und ging davon.
„Lieber nicht“, murmelte Yarim verärgert und machte sich daran den Wassereimer an der Eisenkette wieder aus dem Brunnen zu ziehen. Als er mit gefülltem Krug die Wohnstube betrat, dampfte der Haferbrei bereits in den Schalen.
„Ich werde heute zum Markt gehen und Hammel kaufen. Kannst du zu den Feldern gehen und zwei Kohlköpfe für die Beilage holen?“, fragte Belania ihren Sohn zwischen zwei Löffeln.
Yarim wusste, dass er keine andere Möglichkeit hatte, als dem zuzustimmen, auch wenn die Felder direkt neben Serins Haus lagen. Aber vielleicht würde Leto ihn begleiten. Bei dem Gedanken verbesserte sich Yarims Stimmung schlagartig. Heute war Sonntag. Das bedeutete, dass Letos Vater den Tag über in der Schmiede arbeiten würde und seinen Sohn somit nicht die ganze Zeit im Auge behalten konnte.
Yarims Mutter würde ebenfalls den ganzen Tag außer Haus sein. Um nach dem Tod seines Vaters ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, verkaufte Belania die selbstgewebten Stoffe auf dem Markt, oder tauschte sie gegen andere Dinge ein, die sie dringend benötigten.
Nach dem Frühstück wusch Yarim in Windeseile das Geschirr ab und angelte nach dem Jutebeutel. „Aber halte dich vom Wald fern!“, rief Belania ihm nach.
Genervt rollte Yarim mit den Augen. Wie oft wollte seine Mutter ihm das noch sagen? Er war doch kein kleines Kind mehr. Jeder wusste, dass die Elementare nur darauf warteten, dass sich jemand von den Dörfern entfernte, welche mit schützenden Bannsprüchen versehen waren. Früher hatten die Elementare noch versucht die Siedlungen der Menschen zu überrennen, doch ihre natürliche Macht wurde von der Magie der Druiden geschwächt. Nur in der unberührten Natur konnten sie ihre volle Kraft entfalten. Begegnete man ihnen dort, würde es einem ergehen wie seinem Vater.
Nur verschwommen konnte Yarim sich an den Mann erinnern, der sein Vater gewesen war. Das Einzige, was für ihn noch greifbar war, war die dunkle Mähne, an der er sich als kleiner Junge stets festgehalten hatte, wenn sein Vater ihn durch die Gegend trug. Die schwer zu bändigenden, schwarzen Haarsträhnen hatte sein Vater ihm vererbt und manchmal glaube Yarim, dass das der Grund dafür war, dass seine Mutter ihm so gerne die Haare verstrubbelte.
Belania sprach nicht oft über ihren verstorbenen Mann. Nur einmal hatte sie Yarim erzählt, was damals geschehen war. Es war ein bitterkaltes Zeichen des Wassers gewesen, härter als alle zuvor. Das Brennholz war langsam zur Neige gegangen, doch vom Zeichen der Erde war keine Spur zu sehen gewesen. Yarims Vater hatte nicht mit ansehen können, wie seine geliebte Frau und sein kleiner Sohn zitternd vor Kälte vor dem erloschenen Feuer hockten und war gegen alle Vernunft in den Wald gegangen, um Holz zu schlagen. Kurz darauf waren laute knarrende und knackende Geräusche aus dem Unterholz zu hören gewesen, gefolgt von den entsetzten Schreien seines Vaters. Dann folgte Stille.
Als der Dorfdruide, geschützt durch seine Bannformeln, den Wald betreten hatte, war es bereits geschehen. Für Yarims Vater kam jede Rettung zu spät.
An Letos Haus angekommen, schüttelte Yarim die Gänsehaut ab, die ihn stets überkam, wenn er an die Schilderung seiner Mutter dachte. Bereits nach dem ersten Klopfen konnte er im Inneren des kleinen Hauses Schritte hören. Kurz darauf wurde die Tür aufgerissen.
„Yarim“, begrüßte Leto ihn erfreut und sprang hastig zur Seite, damit er hereinkommen konnte.
„Heute nicht“, lehnte Yarim die Aufforderung einzutreten ab. „Willst du mit zu den Feldern kommen? Ich soll Kohl ernten.“
Enttäuscht ließ Leto die Schultern hängen und schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht“, antwortete er gequält. „Papa ist in der Schmiede und Mama ist auf dem Markt. Also muss ich auf Paige aufpassen.“ Als wäre das ihr Stichwort gewesen, tauchte Letos kleine Schwester im Türrahmen auf.
„Oh, Yami“, quietschte sie freudig, außerstande Yarims Namen richtig auszusprechen. Bevor sie das Haus verlassen konnte, griff Leto nach dem drei Zyklen alten Mädchen und hob es schnaufend auf seine Arme. „Komm doch wieder, wenn du für deine Mama den Kohl geholt hast“, schlug Leto vor. „Dann ist meine Mama hoffentlich auch wieder da und ich muss nicht mehr auf dieses Plagebalg aufpassen.“ Dabei tippte er Paige liebevoll gegen die Stirn.
Seufzend setzte Yarim seinen Weg fort. Doch zumindest was Serin anging, sollte er Glück haben. Der ältere Junge war weit und breit nicht zu sehen, als Yarim die Felder erreichte. Schnell stopfte er zwei fette Kohlköpfe in seinen Beutel und machte sich wieder auf den Rückweg, eh Serin doch noch auf der Bildfläche erschien.
Nun nicht mehr in Eile, schlenderte Yarim durch die schmalen Gassen des Dorfs und hüpfte über die Pfützen, die vom nächtlichen Regen übriggeblieben waren. Die Sonne strahlte mit der neugewonnenen Kraft des Zeichens der Erde und setzte alles daran auch die letzten Pfützen zu trocknen. Von allen Seiten grüßten die Dorfbewohner Yarim und erkundigten sich nach dem Wohl seiner Mutter. Seit dem Tot ihres Mannes gingen die Männer des Dorfs Belania bei handwerklichen Arbeiten zur Hand und nicht nur einer hatte währenddessen versucht, ihr Interesse zu gewinnen. Doch keiner der unverheirateten oder selbst verwitweten Männer konnte die Erinnerungen an Yarims Vater auslöschen.
Zuhause angekommen, legte Yarim die Kohlköpfe auf die Arbeitsplatte und schaute sich in der Wohnstube um. Eigentlich war es seine Aufgabe das Haus in Schuss zu halten, wozu das tägliche Putzen und hin und wieder anfallende Reparaturarbeiten gehörten. Doch heute wollte er sich viel lieber mit Leto in dessen Scheune verbarrikadieren und einmal mehr ihre heldenhaften Kämpfe gegen die Elementare spielen. Mit einem letzten Blick auf die leicht staubigen Schränke, verband Yarim das schlechte Gewissen aus seinem Kopf und flitzte aus dem Haus. Seiner Mutter würde es bestimmt nicht auffallen, wenn er den Wohnungsputz einen Tag ausfallen ließ.
„Nimm das, du Missgeburt!“ Mit dem Stock wild durch die Luft fuchtelnd, sprang Yarim auf einen Strohballen. „Mein Dorf wirst du nie zerstören.“ Er richtete das Ende des Stocks auf Leto, der sich mit rasselnden Atemgeräuschen näherte. Über sein Gesicht hatte er eine rote Flammenmaske gezogen, die die verzerrte Fratze eines Feuerelementars darstellte. Mit abgehackten Bewegungen umkreister er Yarim und versuchte ihm den Stock aus den Händen zu reißen, doch Yarim war jedes Mal schneller und zog ihn rechtzeitig zurück.
Mit einer flinken Drehung sprang Yarim vom Strohballen in Letos Rücken und hielt seinem Freund den Stock an die Kehle. „Sieg für die Dörfler“, rief er triumphierend aus.
„Das nächste Mal bist aber du das Elementar“, forderte Leto, weniger begeistert von ihrem Spiel. Er zog sich die Maske vom Gesicht und warf sie in den nächsten Heuhaufen. Staub wirbelte im Sonnenlicht auf, das durch das kleine Fenster unter dem Scheunendach fiel.
„Wir haben fair gelost, wie immer. Und so werden wir es auch nächstes Mal machen“, widersprach Yarim.
Leto setzte zu einer Erwiderung an, doch noch bevor ein Laut seinen Mund verließ, kam seine kleine Schwester in die Scheune geflitzt.
„Leto, Mama sagt du lollst elfen“, gab sie nuschelnd zum Besten.
„Oh nein.“ Stöhnend sprang Leto in den nächsten Heuhaufen und zog Yarim mit sich, in der Hoffnung somit Paiges Aufmerksamkeit zu entgehen. Doch seine Schwester hatte schon längst gelernt, wo sie ihren Bruder zu suchen hatte.
„Leto, tomm. Oder ich sag Mama du illst nicht elfen“, drang Paiges piepsige Stimme bis in den Heuhaufen vor.
„Schnell, hier lang“, flüsterte Leto und zog Yarim zum anderen Ende des Bodens.
Dort befand sich eine Hintertür, die den Scheunenboden über eine Leiter mit dem Erdreich verband. Geschickt kletterten die beiden Jungen hinab, während Paige im Inneren der Scheune lautstark weiter nach ihrem Bruder rief.
In geduckter Haltung huschte Leto an der Rückseite seines Elternhauses vorbei, Yarim dicht auf den Fersen, und sprang über den niedrigen Zaun in den Nachbargarten. Das dichte Buschwerk, das überall im Garten der ‚alten Witwe‘, wie Owerin Gerber von allen genannt wurde, wucherte, verschluckte die Jungen sofort. Dennoch war das gackernde Schimpfen der Alten zu hören, die sofort das unrechtmäßige Eindringen auf ihrem Grund und Boden bemerkt hatte.
So schnell er konnte, rannte Yarim Leto hinterher, während die wüsten Verwünschungen der alten Witwe seine Ohren zum Klingeln brachten. Trotz ihres hohen Alters, wegen dem sie drei Ehemänner überlebt hatte, hatte die Alte noch eine kräftige Stimme und scharfe Augen, denen nichts entging. Wenn sie sich auf dem Markt blicken ließ, um ihre Einkäufe zu erledigen, traute sich keiner der sonst so handelsfreudigen Verkäufer einen unangemessenen Preis für seine Waren zu verlangen. Jeder noch so kleine Fehler in der Herstellung fiel der alten Witwe sofort auf. Und sollte doch einmal einer mehr verlangen, als seine Ware tatsächlich wert war, zog ihm die Alte ohne zu zögern ihren Gehstock über den Kopf.
Mit einem Hechtsprung setzte Yarim über den Zaun hinweg auf die Straße. Er wollte in dem Moment nichts mehr, als das Geschrei der Alten hinter sich zu lassen, doch die kratzige Stimme folgte ihm und Leto noch um die nächsten Häuserecken.
Erst als sie am anderen Ende des Dorfs angekommen waren, drosselten sie ihr Tempo. In einem leichten Trap folgten sie dem geschwungenen Weg bis zum Obstgarten der Gemeinde. Unter einem Apfelbaum, der die ersten zarten weißen Blüten entfaltete, ließen sie sich schwer atmend nieder und lauschten einen Moment lang dem Summen der herumschwirrenden Käfer und Bienen.
„Na toll. Dank der alten Witwe weiß jetzt das halbe Dorf, dass wir vor deiner Schwester geflüchtet sind“, murrte Yarim nach Luft schnappend.
„Woher sollte ich denn wissen, dass die Alte genau in dem Moment am Fenster stehen und uns sehen würde“, verteidigte sich Leto. „Außerdem hattest du doch genauso wenig Lust wie ich, mal wieder einen Auftrag für meine Mutter ausführen zu müssen. Soll das doch Myron machen. Der hat sich schon heute Morgen davor gedrückt auf Paige aufzupassen.“
„Bestimmt war er wieder hinter Cyliane her“, feixte Yarim und boxte seinem Freund spielerisch gegen die Schulter.
Seitdem Letos älterer Bruder die fünfzehn Zyklen erreicht hatte und somit alt genug war, um sich mit einem der Mädchen zu verloben, schlich er unaufhörlich um die jüngste Tochter des Dorfbäckers herum. Yarim musste Myron jedoch lassen, dass er einen guten Geschmack hatte. Auch wenn Yarim sich selbst noch nicht wirklich für eines der Mädchen interessierte, war ihm Cyliane dennoch aufgefallen. Ihre blonden Locken, die ihre Schultern wie ein Mantel umhüllten, glänzten im Sonnenlicht und ihre grazile Gestalt verlieh ihr eine Leichtigkeit, Dank der sie über den Boden zu schweben schien. Sie hatte so überhaupt keine Ähnlichkeit mit ihrem pausbäckigen Vater, der seinem Auftreten nach auch als grober Schlächter durchgegangen wäre.
„Ich glaube, er wickelt sie langsam um den Finger“, riss Leto Yarim aus seinen Gedanken. Sein Blick war in die Ferne gerichtet, als erwarte er Myron und Cyliane jeden Moment hinter den sanften Hügel auftauchen zu sehen, die sich hinter dem Obstgarten bis zum Horizont erstreckten. Die geschwungene Handelsstraße schlängelte sich einer Schlange gleich zwischen den Hügeln entlang und verband ihr Dorf mit dem nächst größeren.
„Wie meinst du das?“, fragte Yarim, während er mit den Augen dem ausgetretenen Pfad folgte. Noch nie in seinem Leben war er aus seinem Heimatdorf herausgekommen. Das Dorf und somit auch den schützenden Bannkreis zu verlassen, der die Elementare auf Abstand hielt, galt als viel zu gefährlich. Nur wer selbst die Magie beherrschte oder sich mit seinen Kampfkünsten zu schützen wusste, reiste halbwegs sicher durch das Land.
Yarim würde zu gerne wissen, wie es hinter den sanften Hügeln oder in dem an das Dorf grenzenden Wald aussah, doch befürchtete er dies niemals zu erfahren.
„Seit kurzem senkt Cyliane immer ihren Blick und ihre Wangen werden ganz rot, wenn Myron sie anspricht“, holte Leto seinen Freund erneut in die Gegenwart zurück.
„So wie Myram immer Quain angesehen hat, bevor die beiden geheiratet haben?“
Leto nickte bestätigend.
„Dann bist du ja bald Onkel Leto“, neckte Yarim und kassierte dafür einen Faustschlag von seinem Freund.
„Lass den Unsinn.“
„Onkel Leto, Onkel Leto“, neckte Yarim weiter.
„Sein still“, fuhr Leto ihn an und warf sich auf Yarim. Sich raufend rollten die beiden Jungen durch das hohe Grass, während jeder versuchte den anderen mit seinem Körper am Boden festzunageln. Erst als sie gegen einen der Baumstämme stießen, lösten sie sich schnaufend voneinander.
„Nimm das zurück“, forderte Leto.
„Na gut“, gab Yarim nach und zupfte sich grinsend einige Grashalme aus den schwarzen Haaren. „Aber dafür machst du morgen meine Mathematikaufgaben.“
„Das kannst du vergessen.“ Abwehrend verschränkte Leto seine Arme vor der Brust. „Magister Worys merkt es doch sofort, wenn die Aufgaben auf einmal sauber auf das Blatt geschrieben sind. Dein Gekrakel kann ja keiner lesen.“
„Hey!“ Yarim wollte sich gerade wieder auf seinen Freund werfen, als eine schneidende Stimme das Summen der Insekten um sie herum übertönte.
„Da steckt ihr also.“
Erschrocken wirbelten Yarim und Leto zu der korpulenten Frau herum, die mit in den Hüften gestemmten Händen auf sie zukam. Ihr braunes Wollkleid flatterte bei jedem Schritt um ihre Beine und schwang noch leicht hin und her, als sie vor den beiden Jungen zum Stehen kam.
„Hat Paige dir nicht gesagt, dass ich deine Hilfe brauche“, fuhr sie Leto zornig an. Ihre mausgrauen Augen hatte sie zu Schlitzen verengt und ihr Mund bildete nur noch einen dünnen, verärgerten Strich.
„Wir waren schon…“, setzte Leto an, wurde jedoch sofort von seiner Mutter unterbrochen.
„Nichts, ihr wart schon. Paige hat euch genau auf dem Scheunenboden gesehen. Und jetzt komm mir nicht wieder mit Myron. Der hat schon genug damit zu tun, deinem Vater in der Schmiede zu helfen. Dafür hilfst du mir beim Haushalt.“
„Aber ich muss doch schon immer auf Paige aufpassen“, verteidigte sich Leto, was seiner Mutter allerdings nur ein abwehrendes Schnauben entlockte.
„Dafür kämpft sich Myron jeden Tag mit dir durch deine Aufgaben vom Magister. Sei froh, dass du einen großen Bruder hast, der dir dabei helfen kann. So sind wenigstens deine Aufgaben immer korrekt, wenn du schon nach Magister Worys Aussage im Unterricht nicht viel Zustande bringst.“
Glucksend beobachtete Yarim wie Leto unter der Standpauke seiner Mutter immer kleiner wurde. Doch das Lachen verging ihm genauso schnell wieder, wie es gekommen war, als sich nun die Aufmerksamkeit von Letos Mutter auf ihn richtete.
„Und du musst gar nicht so schadenfroh grinsen, Yarim. Du hättest Leto an seine Pflichten erinnern müssen, statt ihn in seinen Albernheiten noch zu bestärken.“
Beschämt senkte Yarim seinen Blick und dachte an die staubigen Schränke und Regale, die er zuhause zurückgelassen hatte.
„Als Strafe werdet ihr jetzt nicht nur die Kartoffeln putzen, worum ich euch beten wollte, sondern auch die Möhren und den Lauch für das Abendessen.“ Mit diesen Worten packte Letos Mutter die beiden Jungen an den Armen und schleifte sie hinter sich her.
„Da bist du ja endlich“, begrüßte Belania ihren Sohn leicht verärgert. Schuldbewusst blickte Yarim zu Boden. Nachdem er und Leto das Gemüse für das Abendessen von Letos Familie geputzt hatten, waren er und Leto wieder in der Scheune verschwunden und hatten ihren Unmut über Mütter, Haushaltspflichten und die Aufgaben von Magister Worys mit Stöcken an den Heuballen ausgelassen. Erst als Letos Mutter dann zum Essen gerufen hatte, war Yarim aufgebrochen, um nachhause zu gehen. „Wo warst du so lange?“
„Bei Leto.“
„Das hätte ich mir ja denken können.“ Energisch rührte Belania in dem Kessel, aus dem es köstlich nach Hammel und allerlei Gewürzen roch. Nur der Duft des Kohls verdarb nach Yarims Meinung die dampfenden Schwaden, die durch das Zimmer waberten.
„Weil du dich den ganzen Tag herumgetrieben hast, statt deinen Pflichten nachzukommen, habe ich es nicht geschafft, deinen Vater zu besuchen. Also wirst du das jetzt tun.“ Ohne den Blick vom Kessel abzuwenden, deutete Belania zum Tisch. „Bring die Blumen zum Grab deines Vaters und beeile dich diesmal auf dem Rückweg. Das Essen ist gleich fertig.“
Ohne zu murren und mit gesenktem Blick schlüpfe Yarim erneut in seine Schuhe und verließ mit den Blumen unter dem Arm das Haus. Yarim war erleichtert, dass er selbst keine Geschwister hatte, die seine Mutter als gutes Beispiel benennen könnte, auch wenn ihm ab und zu ein Spielgefährte fehlte. Doch dafür hatte er ja Leto.
Das schlechte Gewissen abschüttelnd, hüpfte Yarim durch die Gassen. Die Sonne trennten nur noch wenige Fingerbreit vom Horizont und ihre Strahlen tauchten das Dorf in einen goldenen Schein. Von überall drangen die unterschiedlichsten Düfte auf die Straßen und ließen Yarim das Wasser im Mund zusammenlaufen. Er würde schnell den Besuch am Grab seines Vaters erledigen und seiner Mutter dann beim Weben Gesellschaft leisten. Das war das Mindeste, was er als Wiedergutmachung tun konnte.
Die Grabstätte der Gemeinde lag etwas abseits im Süden zwischen dem Waldrand und dem Obstgarten. Dennoch war sie nah genug an den nächsten Häusern erbaut worden, sodass sich keiner Gedanken machen musste, während eines Grabbesuchs von einem der Elementare überrascht zu werden.
Das eiserne Tor quietsche leise, als Yarim hindurchtrat. Summend lief er zwischen den gepflegten, mit Blumen und bunten Glasscherben geschmückten Gräbern hindurch, bis er das seines Vaters erreichte. Der weiße Stein glänzte in den letzten Sonnenstrahlen des Tages und schien Yarim willkommen zu heißen.
Eine leichte Melancholie überfiel Yarim, als er auf den Schriftzug starrte, der den Namen seines Vaters darstellte. ‚Krodis Eisenhauer‘. Wie Letos Vater war Krodis Schmied gewesen. Sogar der bessere von beiden, wie es seiner Mutter einmal bei einem Streitgespräch mit Letos Vater herausgerutscht war. Doch Yarim konnte nicht einschätzen, ob dies stimmte, oder lediglich auf das aufgewühlte Gemüt seiner Mutter zurückzuführen gewesen war.
„Hallo Papa“, begrüßte er leise den Grabstein. Yarim wusste nicht, ob sein Vater ihn überhaupt hören konnte, dort wo er jetzt war, doch es kam ihm unhöflich vor das Grab zu besuchen, ohne ein Wort zu sagen. „Ich habe dir Blumen mitgebracht.“ Behutsam stellte er den Topf mit den lilafarbenen Blumen ab, die einen herrlichen Kontrast zu dem weißen Grabstein bildeten. In der Hocke verharrend, versuchte er sich an das Gesicht seines Vaters zu erinnern, doch wie auch sonst misslang es ihm.
Seufzend richtete sich Yarim wieder auf, um seine Mutter nicht zu lange mit dem Abendessen warten zu lassen, als plötzliche Schreie an seine Ohren drangen. Mit wild klopfendem Herzen sprang er auf die Füße und rannte in rasantem Tempo zwischen den Gräber zurück zum Eisentor.
Dicke Wolken verdunkelten den Himmel, wodurch der Schein der Fackeln, die durch das Dorf getragen wurden, noch greller wirkte. Irritiert hielt Yarim an. Seit wann nutzen die Dorfbewohner Fackeln statt Lampen, um sich in der heraufziehenden Dunkelheit im Dorf zu orientieren? Alarmiert schlich er zwischen den Häusern entlang zum Dorfplatz und versteckte sich hinter einem der Stände, auf denen tagsüber die Waren verkauft wurden.
Auf dem Platz hatte sich eine Menschentraube gebildet, die von sieben bewaffneten Männern umringt wurde. Die hohen Schaftstiefel und der violette Umhang mit dem silbernen Symbol in Kreisform ließen keinen Zweifel offen. Diese Männer gehörten zu der Leibgarde des Cirkels.
„Halt´s Maul“, zischte einer der Soldaten und hielt einer Frau sein Schwert an die Kehle, die wimmernd im Staub hockte. „Es ist viel zu lange her, dass ihr dem ehrenwerten Cirkel euren Dank dafür entrichtet habt, dass er euch vor den Elementaren schützt.“ Hämisch grinsend entblößte er schiefstehende Zähne und wandte sich dann fünf seiner Kameraden zu, die am Rand des Platzes standen und nicht mit der Bewachung der Dorfbewohner beschäftigt waren. „Na los, legt einen Zahn zu, ihr lahmen Hunde und schafft alles Wertvolle aus den Bruchbuden. Ich will in diesem Loch keine Wurzeln schlagen.“
Yarim hatte sich hinter den Stand geduckt und dem Redeschwall angewidert gelauscht. Wie jeder andere auch, hatte er schon vom Cirkel der Druiden gehört, doch noch nie hatte er mitbekommen, dass dieser etwas für ihn und seine Dorfbewohner getan hätte. Für den Schutz des Dorfs und die Aufrechterhaltung des Bannzaubers war der Druide Elhan verantwortlich, der nach eigener Aussage nicht zum Cirkel gehörte. In einer Anwandlung von Offenheit hatte er sogar einmal zugegeben, sich lieber ungeschützt den Elementaren auszuliefern, statt dem Cirkel beizutreten. Den Grund dafür hatte er Yarim jedoch nicht verraten, sondern war wieder zu seiner gewohnten Verschwiegenheit zurückgekehrt. Beinahe so, als wäre es ihm unangenehm, so viel verraten zu haben.
Suchend ließ Yarim seinen Blick über den Platz schweifen, doch von seiner Mutter war keine Spur zu sehen. Vielleicht sind die Soldaten noch nicht bis zu unserem Haus vorgedrungen?, überlegte er. So leise wie er konnte, zog sich Yarim in die Schatten zurück.
Der Weg zu seinem Zuhause kam ihm doppelt so lang vor wie noch vor einigen Stunden. Immer wieder blieb er stehen und lauschte auf ein Geräusch, das ihm verriet, ob sich einer der Soldaten in der Nähe befand. Als er um die Ecke zu der Hütte spähte, in der er mit seiner Mutter wohnte, stockte ihm der Atem. Hastig wich er in die schützende Dunkelheit des Nachbarhauses zurück, als einer der Soldaten aus seinem Heim trat, eine wild fluchende Belania hinter sich her schleifend.
„Halt´s Maul, Weibsstück.“ Er holte Schwung und schleuderte Yarims Mutter mit einer schallenden Ohrfeige in den Dreck.
Yarim konnte gerade noch einen verräterischen Aufschrei unterdrücken. Fieberhaft überlegte er, was er tun sollte. Hätte er doch nur das Messer mitgenommen, das ihm seine Mutter zu seiner Achtzyklenfeier geschenkt hatte. Es war zwar nur das Schnitzmesser seines Vaters gewesen, dennoch hätte es als Waffe ausgereicht, um es dem Soldaten in den Rücken zu rammen.
Zornig und hilflos zugleich starrte Yarim den purpurnen Rücken des Soldaten an, der sich gerade über seine Mutter beugte.
„Bist ´n kleiner Wildfang, wie? Wo hast du den deinen Mann gelassen?“
Yarim konnte den verkniffenen Gesichtsausdruck seiner Mutter sehen, der sich immer auf Belanias Züge legte, wenn die Sprache auf ihren verstorbenen Ehemann kam. Schallendes Lachen hallte durch die Luft, als der Soldat die Bedeutung des Blicks erkannte. „Du hast ihn wohl in´s Grab gebracht, wie?“
„Das geht dich einen Scheißdreck an“, gab Belania verbissen zurück und wollte sich aufrappeln, doch der Soldat beugte sich zu ihr hinab und drückte sie wieder auf den Boden.
„Möglich“, gab er mit plötzlich belegter Stimme zurück, die Yarim nicht deuten konnte. „Allerdings sehnst du dich jetzt bestimmt nach ein bisschen Aufmerksamkeit.“
„Ganz gewiss nicht.“ Angewiderte verzog Belania ihre Lippen und versuchte von dem Soldaten wegzurobben.
„Na, na, nicht so hastig, meine Schöne.“ Der Mann trat auf den Saumen von Belanias Kleid.
Yarim spürte, wie der Zorn in seinem Inneren weiter anschwoll. Zitternd vor Wut starrte er den Rücken des Soldaten an, der sich gerade zu seiner Mutter hinabbeugte. Mit den Händen tastete er den Boden nach einem geeigneten Stein ab, mit dem er sich auf den Mann stürzen wollte, würde dieser nicht augenblicklich von seiner Mutter ablassen.
„Qukon!“
Der Ruf ließ Yarim zusammenzucken. Flink sprang er über den angrenzenden Gartenzaun und ging hinter einem Busch in Deckung. Aus der gegenüberliegenden Gasse kam ein weiterer Soldat gelaufen, sein Schwert locker in der Hand kreisend.
„Qukon“, sprach er seinen Kameraden erneut an, „wo bleibst du, zum Henker.“
„Ich hab noch was Hübsches gefunden“, erwiderte Qukon, wobei er Belania einen lüsternen Blick zuwarf. Der andere Mann sah nur gelangweilt zwischen seinem Kameraden und der am Boden liegende Frau hin und her.
„Verstehe. Dann nimm sie mit. Du weißt, Rem wartet nicht gerne.“ Grob zerrte Qukon die wild um sich tretende Belania hinter sich her zurück zum Dorfplatz.
Yarim folgte ihnen, so leise er konnte. Von Schatten zu Schatten springend, achtete er darauf, stets außerhalb des Lichtkegels der Fackeln zu bleiben und nicht versehentlich auf einen Ast zu treten oder einen losen Stein über die Straße zu kicken.
Am Platz angekommen, versteckte sich Yarim erneut hinter einem der Stände und beobachtete mit wachsender Verzweiflung das Treiben. Die Soldaten hatten mittlerweile alle wertvollen Besitztümer der Dörfler aus den Häusern geschafft. Die wenigen Schmuckstücke und kunstvollen Vasen verschwanden gemeinsam mit kostbaren Stoffen in großen Leinensäcken. Auch einige Kisten mit Getreide wurden aus den Häusern geschafft und auf die Rücken der Pferde gebunden.
Die Dorfbewohner standen jetzt in kleinen Grüppchen von jeweils fünf bis sieben Personen zusammen und wurden von je einem Soldaten bewacht, während sie tatenlos dabei zusehen mussten, wie man ihnen das Wenige nahm, das sie besaßen.
„Viel habt ihr ja nicht für die Bezahlung des Cirkels bereitgehalten“, sprach der Soldat tadelnd, der schon zuvor seinen Kameraden Befehle zugerufen hatte. Mit einem missbilligenden Blick begutachtete er die erbeuteten Besitztümer.
„Hey Rem, lass uns ein paar der Weiber mitnehmen“, rief einer der Soldaten, der bei Cyliane und ihrem Vater stand. Er griff in die blonden Locken des Mädchens und riss ihren Kopf brutal in den Nacken. Ein leises Wimmern entwich Cylianes Lippen, das bei ihrem Peiniger ein zahnloses Grinsen hervorrief. „Es ist viel zu lange her, dass wir etwas Frischfleisch zum Spielen hatten.“
Die Muskeln an den Oberarmen von Cylianes Vater spannten sich gefährlich an, doch es war Myron, der sich dem Soldaten entgegenstellte.
„Lass sie sofort los!“, forderte er mit zornfunkelnden Augen.
„Oder was?“, höhnte der Soldat und drückte die Spitze seines Schwerts gegen Myrons Hals. Mühelos ritzte der Stahl die weiche Haut auf und ein rotes Rinnsal floss Myrons Hals hinab unter den Kragen seines Hemds.
„Bitte…nicht…“ Cylianes leises Flehen war kaum mehr als ein Flüstern im Wind, während Tränen ihre Wangen hinabliefen.
Zorn wallte in Yarim auf, als er sah mit welcher Brutalität der Soldat den Kopf des Mädchens noch weiter nach hinten riss. Cylianes schmerzerfülltes Wimmern hallte über den Platz und brachte die umstehenden Soldaten zum Lachen.
„Genug gespielt.“ Die Stimme des grobschlächtigen Anführers der Soldatentruppe klang wie ein Peitschenknall durch die Luft. „Schnappt euch von mir aus eines der Mädchen und nehmt sie mit. Mal sehen, ob sie heil den Weg zurückfinden, wenn wir ihrer überdrüssig sind.“
Raues Gelächter erklang von den Soldaten, die sich sogleich daran machten ihre Auserkorene von den anderen Dorfbewohnern wegzuzerren. Die Männer versuchten verzweifelt ihre Frauen und Töchter aus den Griffen der Soldaten zu befreien, doch waren sie keine Gegner für die bewaffneten und kampferprobten Männer.
Entsetzt beobachtete Yarim das ungleiche Kampfgeschehen.
Der Vater eines Mädchens sprang wagemutig vor und warf sich auf den Soldaten, der seine weinende Tochter hinter sich her schleifte und sie auf den Rücken seines Pferds werfen wollte. Einen kurzen Moment rangen die beiden Männer miteinander, während das Mädchen sich in die Umarmung ihrer Mutter flüchtete, bevor der Soldat den Mann zu Boden stieß und ihm die Spitze seines Schwerts in die Brust trieb. Überrascht riss der Mann die Augen auf, bevor sich sein Blick für immer verschleierte.
Überall auf dem Platz spielten sich ähnliche Szenen ab, die Yarim das Blut in den Andern gefrieren ließen. Hatten die Soldaten nicht gemeint sie kämen vom Cirkel, der das Dorf beschützt? Warum wollten sie dann die Frauen entführen? Warum taten sie ihnen das an?
Ein spitzer Schrein links von ihm erweckte Yarims Aufmerksamkeit. Mit vor Schrecken geweiteten Augen sah er, wie sich der Soldat namens Qukon seine Mutter über den Rücken warf und zu seinem Pferd spazierte.
Belania schrie und strampelte, schlug mit ihren Fäusten auf den Rücken des Mannes ein, doch es half nichts. Unbeirrt setzte er seinen Weg fort und gab ihr nur einen drohenden Klaps auf den Hintern.
„Halt´s Maul, Weib. Dann bin ich nachher vielleicht auch nicht ganz so grob zu dir.“
Panisch sah sich Yarim nach jemandem um, der ihm und seiner Mutter helfen konnte, doch alle Männer waren bereits in Kämpfe verwickelt. Die verschonten Frauen beeilten sich ihre Kinder in Sicherheit zu bringen und dem Interesse der Soldaten zu entgehen. Obwohl die Dörfler den Soldaten zahlenmäßig haushoch überlegen waren, hatten sie keine Aussicht auf Erfolg. Nur eine Handvoll der Männer wusste ansatzweise mit einem Schwert umzugehen, doch ohne Waffe half ihnen das nicht viel. Die übrigen schlugen blindlings auf die Soldaten ein, wurden jedoch schon nach wenigen Sekunden mit gezielten Hieben kampfunfähig gemacht.
„Nein, nein, nein.“ Verzweifelt sah Yarim immer wieder zwischen seiner Mutter und den Dorfbewohnern hin und her. Während er noch überlegte, was er am besten tun sollte, spürte er wie die Angst um seine Mutter langsam von der Wut über das brutale Verhalten der Soldaten abgelöst wurde.
Seine Hände ballten sich zu Fäusten und der Zorn in seinem Inneren schwoll zu einem brausenden Orkan an, der alle anderen Geräusche überlagerte. Als er sich aus seiner Deckung begab, hörte er weder die warnenden Rufe von Leto, der ihn als erstes entdeckte, noch das entsetzte Aufschreien seiner Mutter, als sie ihn erspähte. Seine gesamte Konzentration galt dem Soldaten, der Belania gerade auf den Rücken seines Pferds schmiss.
„Lass! Sie! Gehen!“ Wäre Yarim nicht so blind vor Zorn gewesen, hätte ihn die Ruhe in seiner eigenen Stimme überrascht. Doch so nahm er nichts anderes wahr als den Mann, der sich höhnisch grinsend zu ihm umdrehte.
„Noch so ein kleiner Bengel, der glaubt sich stark machen zu müssen. Bin ich in etwa der böse Mann, der dem armen, kleinen Jungen seine Mami wegnimmt?“ Lässig lehnte er sich gegen Belanias Beine und vereitelte somit ihren Versuch wieder vom Rücken des Pferdes hinunterzugelangen.
Yarims Zorn nahm ein nie gekanntes Maß an und er glaubte das Brausen in seinen Ohren würde sein Trommelfell zum Platzen bringen. Wie Feuer fraß sich Yarims Wut durch seinen Körper und schien jede Zelle in Brand zu setzen. Nur am Rand nahm er wahr, dass ihm das Atmen zunehmend schwerer fiel und sein Herz schmerzhaft gegen seinen Brustkorb hämmerte, als wolle es aus seinem Körper springen.
„Deine Mami gehört jetzt mir“, gab Qukon mit einem spöttischen Lachen von sich und ließ eine Hand unter Belanias Rock gleiten.
Das wilde Fluchen seiner Mutter hörte Yarim gar nicht mehr. Das Tosen in seinen Ohren erreichte einen unerträglichen Höhepunkt und das Feuer in seinem Inneren schien durch seine Haut zu brechen. Mit einem wutverzerrten Aufschrei streckte Yarim seine Arme aus und wollte sich auf den Soldaten schmeißen, als sein Körper vor Schmerz zu explodieren schien und sein Sichtfeld sich schwarz färbte.
Nyrax
Im Zeichen der Erde, Ostarman
Zyklus 985 nach der Ankunft der Menschen in Elduram
„Das kann nicht euer Ernst sein. Er hat uns alle gerettet!“
„Er hat uns alle beinahe geröstet. Siehst du denn nicht was er ist, Belania?“
„Im Gegensatz zu euch schon. Er ist der Retter des gesamten Dorfs!“
Stöhnten kniff Yarim seine Augenlider fester zusammen und versuchte die aufgebrachten Stimme auszublenden, die helle Leuchtblitze hinter seiner Stirn zum Explodieren brachten und Wellen des Schmerzes durch seinen Körper jagten.
„Er ist ein verdammtes Monster!“
„Er ist mein SOHN!“, fauchte Belania.
Yarim presste seine Hände auf seine Ohren, in dem Versuch die fast schon kreischenden Frauenstimmen zum Verstummen zu bringen. Er ist mein Sohn? War das nicht seine Mutter gewesen, die das gesagt hatte? Mit einem Schlag wurde Yarim bewusst, dass dort über ihn gesprochen wurde. Urplötzlich war er hellwach.
Gespannt hielt Yarim den Atem an, um nichts von dem zu verpassen, was unter ihm in der Wohnstube gesprochen wurde.
Was war bloß geschehen? Das Letzte, an das er sich erinnern konnte, waren die Soldaten, die über sein Dorf hergefallen waren und die Frauen und Mädchen entführen wollten. Aus dem Nichts tauchte das Bild seiner Mutter in seinem Geist auf, wie sie über dem Rücken eines Pferds hing, die Hand eines Soldaten unter ihrem Rock.
Sofort spürte Yarim einen heißen knoten in seinem Magen und ein leises Rauschen in seinen Ohren, als die Wut erneut in ihm aufwallte. Gepeinigt verzog er das Gesicht und versuchte das Pochen in seinem Kopf zu ignorieren, das mit dem Rauschen in seinen Ohren schlagartig zunahm.
„An deiner Stelle würde ich mich schämen, einen solchen Sohn zu haben“, drang es von unten in seine Kammer hinauf, gefolgt von einem lauten Klatschen und dem Fluchen einer Frauenstimme.
„Jetzt reicht es aber, meine Damen“, mischte sich eine männliche Stimme ein, die Yarim als die von Worys erkannte. Was wollte der Magister in seinem Haus?
Abgelenkt von dem Gespräch, das er belauschte, verflog Yarims Zorn und mit ihm verklang das Rauschen in seinen Ohren. Erleichtert atmete Yarim auf, als der Schmerz hinter seiner Stirn langsam abebbte.
„Gwala hat das bestimmt nicht so gemeint.“
Die Heilerin des Dorfs war auch anwesend? Allmählich beschlich Yarim ein ungutes Gefühl. Das letzte Mal, dass sich so viele Würdenträger des Dorfs in seinem Haus befunden hatten, war nach dem Tod seines Vaters gewesen.
„Das will ich aus ihrem Mund hören“, forderte Belania, doch die andere Frau blieb stumm. „Hab ich es mir doch gedacht.“
Das abfällige Schnauben seiner Mutter erriet Yarim mehr, als dass er es hörte. Wenn sie aufgebracht war, stieß sie immer die angehaltene Luft durch die Nase aus. Yarim sah regelrecht die vor Wut geröteten Wangen seiner Mutter vor sich, die von ihren schulterlangen, braunen Haaren umrahmt wurden.
„Schluss mit dem Gekeife“, ging die dunkle Stimme des Dorfvorstehers dazwischen.
Spätestens jetzt wusste Yarim, dass er ernsthaft in der Klemme steckte, auch wenn er keine Ahnung hatte warum. Alle drei Oberhäupter des Dorfs waren anwesend. Selbst der Dorfvorsteher, der das einzige Schankhaus im Dorf besaß und mit diesem mehr Vermögen erwirtschaftete als jeder andere Dorfbewohner, befand sich in der Wohnstube. Und das hatte schon etwas zu bedeuten.
Der dickbäuchige, kahlköpfige Mann mischte sich nur selten in die Streitigkeiten der Dorfbewohner ein. Wenn aber doch, war sein Wort meist das ausschlaggebende.
„Der Junge ist nicht normal. Und er ist gefährlich. Das haben wir alle zu sehen bekommen“, fuhr der Dorfvorsteher fort. „Du musst gar nicht so verächtlich gucken, Belania. Sieh dir nur an, was er dir angetan hat.“
„Das ist doch nichts“, versuchte seine Mutter abzuwiegeln, doch Yarim konnte deutlich die Unsicherheit in ihrer Stimme hören.
Was er ihr angetan hat? Er würde seiner Mutter niemals etwas zu leide tun. Was redeten die da unten bloß für einen Unsinn?
„Schau dich an, Belania. Deine Beine sind übersäht mit Brandwunden“, ertönte erneut die empörte Stimme der Kräuterfrau. „Selbst meine Heilkräuter und Salben scheinen gegen die Verletzungen machtlos zu sein, die dir dein eigener Sohn zugefügt hat. Da müsstest doch selbst du erkennen, was für ein Monster er ist.“
Fassungslos richtete sich Yarim in seinem Bett auf und starrte auf die Holzdielen, durch deren Ritzen die Stimmen zu ihm hinaufdrangen. Er soll seine Mutter verletzt haben? Unmöglich!
Er hatte sie retten wollen. Vor dem abartigen Soldaten und seinen Kameraden. Nie im Leben würde er sie verletzen.
Doch seine Mutter unternahm keine Anstalten diesen Vorwurf abzuwehren. Stattdessen brach ein erschöpftes ‚Er ist kein Monster‘ aus ihr heraus.
Unsicherheit machte sich in Yarim breit. Krampfhaft versuchte er sich daran zu erinnern was geschehen war. Er erinnerte sich an seine glühende Wut, an das Tosen in seinen Ohren. Und dann war alles um ihn herum schwarz geworden. Er musste in Ohnmacht gefallen sein. Also konnte er doch niemandem etwas angetan haben, oder?
Fest entschlossen herauszufinden, worum es bei dem Gespräch ging, erhob er sich von seiner Schlafstätte. Leicht zittrig auf den Beinen, als hätte er mehrere Tage lang nichts gegessen, durchquerte er seine Kammer und stieg die Leiter hinab.
Als er mit den nackten Füßen den Boden der Wohnstube betrat und sich umdrehte, waren alle Augen auf ihn gerichtet.
Verunsichert blickte er in die Augen der vier Erwachsenen und wünschte sich, dass er sich wenigstens die Zeit genommen hätte, sein zerknittertes Nachthemd gegen eine Hose und ein richtiges Hemd einzutauschen.
„Mein Schatz, geht es dir gut?“
Yarim blickte zu seiner Mutter, die ihn aus besorgten, braunen Augen liebevoll ansah.
„Ja“, brachte er nach mehreren Anläufen mit krächzender Stimme hervor. Warum war sein Hals bloß so schrecklich trocken?
Bestürzt stellte Yarim fest, dass seine Mutter ebenso erschöpft aussah, wie er sich fühlte. Ihre sonst so frisch wirkenden Wangen waren eingefallen und die kleinen Sommersprossen, die normalerweise ihre Nase zierten, kaum noch zu erkennen. Stattdessen hatte ihr Gesicht eine ungesunde Blässe angenommen und auch ihr Körper schien unter dem Kleid in sich zusammengefallen zu sein. Als Yarims Blick zu ihren Beinen glitt, die auf einem Schemel lagen, schnappte er erschrocken nach Luft.
Ihr Kleid war bis zu den Knien hochgeschoben und darunter kamen gerötete und mit Brandblasen übersäte Beine zum Vorschein. Reste einer braunen Tinktur waren auf Belanias Schienbeinen und Waden zu erkennen, die sich auch an dem zusammengeknüllten Verband befand, der neben ihr auf dem Tisch lag.
„Was…?“, setzte Yarim an und sah fragend von seiner Mutter zu den anderen drei Erwachsenen.
Gwala bedachte ihn mit einem harten Blick aus ihren stechenden, grünen Augen, die Arme vor ihrem hageren Körper überkreuzt.
Magister Worys schüttelte anklagend seinen Kopf, wobei sein dünner Zopf hin und her schwang. Neben der hochgewachsenen Kräuterfrau sah er mit seiner kleinen, jedoch schlanken Gestalt fast selbst noch wie ein Knabe aus. Nur seine wässrigen blauen Augen und der Grauton seiner Haare deuteten darauf hin, dass er fast genauso viele Zyklen gesehen hatte, wie die Heilerin des Dorfs.
Zuletzt wanderte Yarims Blick bittend zum Dorfvorsteher. Der Mann hatte seine breiten Schultern gestrafft und die Hände auf seinem mächtigen Bauch gefaltet. Kleine Schweißperlen standen auf seiner Glatze und liefen über seine Stirn in seine Augen, was ihn heftig blinzeln ließ. Dennoch war seine Gestalt die imposanteste aller Anwesenden.
Mit einem Ärmel seines Hemds wischte sich der Dorfvorsteher die salzige Flüssigkeit aus dem Gesicht, bevor sich seine stahlblauen Augen auf Yarim hefteten. Er trat einen Schritt vor, wobei seine schwarze Lederhose ein leises knarschendes Geräusch von sich gab, und ging vor dem Jungen in die Hocke. Eingehend musterte er Yarims Gesicht und betrachtete dann dessen nackte Arme und Beine.
„Nichts zu sehen“, murmelte er vor sich hin. Geschmeidiger, als man ihm auf Grund seiner massigen Gestalt zutrauen würde, erhob sich der Dorfvorsteher und brachte schnell wieder etwas Abstand zwischen sich und Yarim.
„Was… ist geschehen?“, fragte Yarim sichtlich verwirrt. Das eigenartige Verhalten der Erwachsenen verursachte ihm ein mulmiges Gefühl. Hinzu kamen die Verletzungen seiner Mutter, die sie vor Yarims Ohnmacht definitiv noch nicht besessen hatte.
„Du kannst dich nicht erinnern?“, fragte Magister Worys und hob eine seiner buschigen Augenbrauen in die Höhe.
Verneinend schüttelte Yarim den Kopf.
„Pah.“ Abschätzend zog die Kräuterfrau ihre krumme Nase graus, während sie Yarim keine Sekunde aus den Augen ließ. „Und das sollen wir dir glauben? Nachdem du das halbe Dorf in Schutt…“
„Gwala!“, unterbrach Belania die Heilerin entsetzt.
„Willst du es ihm in etwa verschweigen und ihn wie ein rohes Ei behandeln?“, zischte die Heilerin erbost zurück.
„Ich…“ Verzweifelt sah Belania ihren Sohn an.
Langsam aber sicher verlor Yarim die Geduld. Er war doch nicht auf den Kopf gefallen. Er wusste, dass etwas geschehen war. Etwas, das mit ihm zu tun hatte.
„Mama, was ist passiert?“, drängte Yarim zu wissen.
Seufzend holte Belania Luft, bevor sie von Yarim zu den anderen drei Erwachsenen sah. „Würdet ihr uns bitte alleine lassen? Ich möchte mit meinem Sohn in Ruhe über das sprechen, was geschehen ist.“
Missbilligend kräuselte Gwala ihre Lippen, doch noch bevor sie Widerspruch erheben konnte, ergriff der Dorfvorsteher das Wort: „Gut, Belania. Aber das Geschehene wird nicht ohne Konsequenzen bleiben.“ Mit einem Wink seiner Hand forderte er Magister Worys und die Kräuterfrau auf ihm zu folgen.
Mit wachsendem Unglauben lauschte Yarim dem Bericht seiner Mutter.
„Keiner von uns kann sich vorstellen, wie das passiert ist, geschweigen denn was es zu bedeuten hat. Aber jeder hat gesehen, wie die Flammen aus dir herausgeschossen kamen und auf die nächsten Häuser übergesprungen sind.“
„Das ist doch Schwachsinn“, entgegnete Yarim empört, doch zunehmend verunsichert. Warum sollte seine Mutter ihn anlügen? Warum sollte sie sich diese absurde Geschichte, dass er vor Zorn geschrienen und dann in Flammen aufgegangen war, ausdenken? „Das kann überhaupt nicht stimmen.“
Ihren Schilderungen nach war das Feuer in alle Richtungen aus ihm herausgebrochen und hatte verheerenden Schaden angerichtet. Die Flammen hatten sich nicht nur gegen die Soldaten gerichtet, sondern hatten auch Belania und einige andere Dorfbewohner getroffen. Zwar waren die Verletzungen der anderen nicht einmal annährend so schlimm wie die seiner Mutter, dennoch reichten sie aus, um Angst und Wut in ihnen zu wecken.
Schweigend sah Belania ihren Sohn an. Dann deutete sie auf ihre verbrannten Beine. „Es tut mir so schrecklich Leid, mein Goldstück, aber es ist die Wahrheit.“
Ratlos und verzweifelt sah Yarim auf die Verletzungen seiner Mutter. Das war er nicht gewesen. Das konnte er einfach nicht gewesen sein. Die Worte der Kräuterfrau kamen ihm in den Sinn. ‚Er ist ein verdammtes Monster!‘
Wenn wirklich er das getan hatte, dann war er tatsächlich ein Monster. Tränen stiegen Yarim in die Augen und mit verschleiertem Blick sah er auf seine Hände hinab. Sie sahen für ihn so normal aus.
„Schsch, mein Goldstück, komm her.“ Auffordernd streckte Belania ihre Hände nach ihrem Sohn aus.
Wie in Trance lief Yarim zu seiner Mutter, der die Kraft zu fehlen schien, um sich von ihrem Stuhl zu erheben. Zärtlich zog sie ihn in eine feste Umarmung und strich ihm beruhigend über den Rücken.
„Was…was hat das zu bedeuten? Was passiert mit mir?“, fragte Yarim mit zittriger Stimme.
„Ich weiß es nicht“, murmelte Belania. „Aber wir werden es herausfinden.“ Sie fuhr mit ihren Fingern durch Yarims Haare und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. „Vielleicht stehst du unter einem Bann.“ Nach einigen Sekunden des Schweigens fügte sie hinzu: „Wir sollten Elhan aufsuchen. Wenn jemand weiß, was geschehen ist, dann er.“
„Ich gehe alleine“, sagte Yarim und löste sich aus der Umarmung seiner Mutter. „Du musst dich ausruhen.“ Mit einem bedeutsamen Blick deutete er auf Belanias Beine.
„Wahrscheinlich hast du recht“, stimmte Belania zu. Suchend wanderte ihr Blick über die Tischplatte, bevor sie mit einem leisen Seufzer die Augen schloss. „Ich bitte dich in der momentanen Situation nur ungerne darum, aber könntest du auf dem Rückweg bei Gwala vorbeischauen und sie fragen, ob sie noch etwas von der kühlenden Tinktur für mich hat?“
Als sich auch nach dem vierten Klopfen nichts in der Hütte des Druiden regte, stieß Yarim frustriert den Atem aus. Elhan schien nicht zuhause zu sein, obwohl er seine Hütte nicht einmal verließ, um auf dem Markt Besorgungen zu erledigen. Für diese Aufgabe hatte er eines der älteren Mädchen ausgesucht, das er jedes Mal mit ein paar Kupfermünzen entlohnte.
Dennoch verschwand er ab und zu spurlos und wenn es dazu kam, konnte es Tage dauern, bis er wieder im Dorf auftauchte.
Grübelnd machte sich Yarim auf den Weg zurück ins Dorf. Die Hütte des Druiden lag so weit abseits der übrigen Häuser, wie es nur möglich war, ohne sich außerhalb des schützenden Bannzaubers zu befinden. Das hölzerne Häuschen trennten nur wenige Schritte vom Wald, in dem Elhan des Öfteren verschwand, ohne dass jemand wusste, was er dort tat.
Im Dorf wurden schon Wetten abgeschlossen, wann es soweit war, dass er nicht mehr lebend zurückkehrte. Doch bis jetzt waren nie mehr als zehn Tage vergangen, bis der Druide munter wie eh und je aus dem Wald zurückgekehrt war.
Yarim sah auf die dunklen Stämme der Bäume, zwischen denen die Helligkeit des Tages in ein diffuses Dämmerlicht überging. Ihn überkam der irrationale Drang nach dem Druiden zu suchen und endlich Antworten auf die Fragen zu fordern, die ihm unablässig durch den Kopf gingen. Doch so schnell wie der Gedanke gekommen war, verwarf er ihn wieder. Im Gegensatz zu Elhan besaß er keine magischen Fähigkeiten, die ihn vor den Elementaren schützten, die durch die Wälder und Wiesen Eldurams streiften. Und seine Kampfkünste waren auch alles andere als nennenswert.
Tief in Gedanken versunken, folgte Yarim dem Weg zurück ins Dorf und bemerkte seinen besten Freund erst, als dieser eilig neben ihm vorbeilief.
„Leto!“
Gezwungener Maßen blieb Leto stehen und drehte sich mit einem gequälten Lächeln zu Yarim um.
„Hey, Yarim.“ Nach dem knappen Gruß wollte er sich wieder umdrehen und davonlaufen, doch Yarim hielt seinen Freund am Arm fest.
„Leto? Was ist los?“
Hastig sah sich der andere Junge zu allen Seiten um, als befürchte er, man könnte ihn mit Yarim sehen. Doch noch befanden sie sich am Rand des Dorfs und schienen allein zu sein.
„Hier lang“, zischte Leto und zog Yarim hastig hinter sich her zu einer Gruppe niedriger Bäume. „Es tut mir leid Yarim, aber…!“ er suchte nach den richtigen Worten, die er aber nicht zu finden schien. Resigniert ließ er den Kopf hängen. „Ich kann nicht mehr dein Freund sein.“
„Was?!“ Entsetzt starrte Yarim Leto an. „Wie meinst du das?“
„Es tut mir leid, aber meine Mutter möchte nicht, dass ich mich weiter mit dir herumtreibe.“
„Aber… aber warum denn?“, stotterte Yarim.
„Warum?“ Ungläubig sah Leto ihn an. „Weil du das halbe Dorf niedergebrannt hast. Bist du eigentlich mal wieder auf dem Markt gewesen, nachdem die Soldaten vor drei Tagen hier waren?“
Die Worte seines Freundes bescherten Yarim Gänsehaut. „Vor drei Tagen?“ Hatte er in etwa so lange geschlafen?
Langsam aber sicher verlor Leto die Geduld. „Na sicher vor drei Tagen. Wann denn sonst, du Hornochse.“
Yarims Unwohlsein wuchs, jedoch kam nun auch Ärger über das Verhalten seines Freunds hinzu. „Nenne mich nicht Hornochse, du Ziegenbock. Und außerdem kann ich einfach nicht glauben, was alle erzählen. Das ist doch absoluter Unsinn.“
„Yarim, du standst in Flammen“, widersprach Leto und fuhr sich plötzlich verunsichert durch sein rotbraunes Haar. „Ich konnte am Anfang ja auch nicht glauben, was geschehen ist, aber jeder hat es gesehen.“
Schweigen breitete sich zwischen den beiden Jungen aus, während jeder seinen eigenen Gedanken nachhing.
Yarim konnte sich nicht erklären, warum sein Freund so abweisend auf ihn reagierte. Er konnte doch nicht wirklich die Freundschaft mit ihm beenden, nur weil… Weil ich ein Monster bin, dachte Yarim grimmig.
Ruckartig stand er auf und setzte sich in Bewegung.
„Wo willst du hin?“, fragte Leto überrascht.
„Zum Marktplatz. Ich muss mit eigenen Augen sehen, was ich getan haben soll.“
Die Dorfbewohner wichen Yarim aus und begannen zu tuscheln, als sie ihn erblickten. Keiner grüßte ihn, keiner fragte ihn, wie es ihm ging. Von allen Seiten erntete er nur ängstliche oder ablehnende Blicke.
Mit hochgezogenen Schultern, die Hände tief in den Taschen seiner Hose vergraben, stapfte Yarim durch die Straßen. Als er den Rand des Marktplatzes erreichte, blieb er wie angewurzelt stehen. Die Fassaden der umstehenden Häuser zeichneten schwarze Rußspuren und zwei der Häuser am anderen Ende des Platzes waren vollständig niedergebrannt.
Das war die Stelle, an der Qukon seine Mutter entführen wollte, fiel es Yarim ein.
Bestürzt sah er sich um und stellte fest, dass es sich bei den zerstörten Häusern um das des Bäckers und das eines Mädchens handelte, das zusammen mit ihm, Leto und noch drei anderen Kindern von Magister Worys im Lesen, Schreiben und Rechnen unterwiesen wurde. Die Männer, die eben noch dabei gewesen waren die niedergebrannten Häuser wieder aufzubauen, hatten in ihrer Arbeit inne gehalten und sahen zu ihm hinüber.
„Verschwinde“, durchbrach der Ruf einer der Männer die Stille, die sich über den Platz gelegt hatte.
„Wir wollen dich hier nicht haben“, pflichtete ihm ein anderer bei und erntete zustimmendes Gemurmel von seinen Kameraden und den herumstehenden Frauen.
Ein beklemmendes Gefühl machte sich in Yarim breit, als ihm all die sonst so freundlich gesinnten Gesichter plötzlich mit unverhohlener Verachtung entgegenblickten.
Er musste tatsächlich unter einem Bann stehen, wenn er für das verheerende Feuer verantwortlich war, das unverkennbar auf dem Platz gewütet hatte. Warum erkannten die anderen denn nicht, dass er gar nichts dafür konnte? Dass er das alles gar nicht mit Absicht getan hatte?
Yarim trat einen Schritt vor, um die ganze Situation zu erklären, als plötzlich ein Mann ein verkohltes Holzstück aus dem Ascheberg eines der Häuser zog und nach Yarim warf. „Hast du uns nicht verstanden? Verschwinde, Missgeburt!“
Wie betäubt taumelte Yarim einige Schritte zurück und starrte auf das Holzstück, das über den Boden schlitterte und vor ihm zum Liegen kam. Sein Herz hämmerte wie verrückt in seiner Brust und seine Hände zitterten unkontrolliert.
Die Beschimpfungen um ihn herum wurden immer wüster, sodass Yarim keinen anderen Ausweg sah, als den Platz fluchtartig zu verlassen. Seine Beine trugen ihn ganz von selbst durch die Gassen seines Heimatsdorfs und schlugen den Weg zur Grabstätte ein. Erst als der das Grab seines Vaters erreicht hatte, traute er sich anzuhalten.
Mit stumpfen Blickt starrte er auf den Grabstein seines Vaters. ‚Krodis Eisenhauer‘ Das war sein Vater. Und er war Yarim Eisenhauer. Die Dorfbewohner kannten ihn, hatten ihn schon immer gekannt. Yarim konnte einfach nicht verstehen, wie sie sich ihm gegenüber so abweisend verhalten konnten. Er hatte mit ihren Kindern gespielt, kleine Aufträge für sie erledigt, um sich von den verdienten Kupfermünzen etwas Süßes kaufen zu können, wenn einer der wenigen fahrenden Händler ihr Dorf erreichte.
Betrübt ließ er den Kopf hängen und kauerte sich vor dem weißen Grabstein nieder. Mehr als je zuvor wünschte er sich, dass sein Vater noch leben würde. Er hätte den Dorfbewohner bestimmt wieder Vernunft einbläuen können.
Es wurde bereits dunkel, als sich Yarim zurück ins Dorf traute. Im Schutz der Schatten schlich er zum Haus der Kräuterfrau und bat um die heilende Tinktur für seine Mutter, eh er so schnell er konnte nachhause rannte.
Die nächsten Tage brachten kaum Besserung der Lage mit sich. Wann immer Yarim das Haus verließ, folgten ihm erzürnte Blicke und Beschimpfungen und die Frauen begannen ihre Kinder vor ihm zu verstecken, wenn er in Sichtweite kam. Seine Mutter versuchte ihr Bestens, um die aufgebrachten Dorfbewohner zu beruhigen und ihnen deutlich zu machen, dass Yarim doch noch ein Kind sei, doch immer öfter wurden Stimmen laut, die forderten, dass er das Dorf verließ.
Einmal hatte Yarim die Ablehnung und Isolation nicht mehr ausgehalten und hatte sich zu Leto geschlichen. Sein Freund war gerade dabei gewesen, die Hühner in der Scheune zu füttern, als Yarim sich über die Leiter auf den Scheunenboden geschlichen hatte. Mit leisem Rufen hatte er auf sich aufmerksam gemacht und Leto signalisiert zu ihm hinaufzuklettern. Zu seiner Bestürzung hatte Leto ihn erst leicht verunsichert, wenn nicht sogar ängstlich, angeschaut, bevor er sich in Bewegung gesetzt hatte. Doch noch bevor er die Mitte der Leiter erreicht hatte, war seine Mutter in die Scheune gelaufen gekommen und hatte ihn wieder heruntergezerrt.
‚Sie zu, dass du hier verschwindest‘, hatte sie Yarim mit vor Zorn geröteten Wangen zugerufen. ‚Und lass dich ja nie wieder in der Nähe meiner Kinder blicken.‘
Leto hatte nur betreten zu Boden geschaut und geschwiegen.
Der Verrat seines Freundes schmerzte Yarim am meisten. Mit der Ablehnung der anderen Dorfbewohner wäre er vielleicht noch zurechtgekommen, doch dass sein bester Freund von heute auf morgen nichts mehr von ihm wissen wollte, ja ihn sogar zu fürchten schien, gab Yarim den Rest.
Der einzige Lichtblick war die zusehende Genesung seiner Mutter. Zwar wiesen ihre Beine nach wie vor Brandblasen und offene Stellen auf, dennoch war bereits der Heilungsprozess eingetreten und auch das Laufen gelang ihr mit Hilfe von Krücken wieder. Gwala stattete Belania jeden zweiten Tag einen Besuch ab und wechselte die Verbände, währenddessen Yarim stets in seiner Kammer warten musste, bis die Heilerin wieder gegangen war.
So sehr sich Yarim auch freute, dass es seiner Mutter langsam besser ging, war ihr Anblick für ihn jedes Mal wie ein Schlag ins Gesicht. Auch wenn Belania ihm keinerlei Vorwürfe machte und ihm weiterhin all ihre Liebe entgegenbrachte, hasste sich Yarim für das, was er ihr angetan hatte. Es war seine Schuld, dass seine Mutter für ihr restliches Leben mit hässlichen Brandnarben gezeichnet sein würde. Da half auch das Wissen nicht, dass er das nie gewollt hatte, ja nicht einmal bei Bewusstsein getan hatte.
Yarim hatte sogar überlegt, ob er nicht dem Wunsch der Dörfler Folge leisten und das Dorf verlassen sollte. Er hatte sogar schon einen Rucksack mit Proviant gepackt gehabt, als ihn doch noch der Mut verlassen hatte.
Das Dorf zu verlassen, bedeutete seinen sicheren Tod.
Am fünften Tag, seitdem Yarim in diesem Albtraum gefangen war, tauchte Elhan wieder im Dorf auf. Sobald Yarim von der Rückkehr des Druiden erfuhr, rannte er zu dessen Hütte. Keuchend und nach Luft schnappend, klopfte er an die Holztür, sich am Türrahmen abstützend. Um den anderen Dorfbewohnern so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen, war er den ganzen Weg um das Dorf herum zum Haus des Druiden gerannt, statt die Abkürzung durch das Dorfzentrum zu nehmen.
Knarrend öffnete sich die alte Holztür und Elhan sah ausdruckslos auf Yarim hinab. Sein Gesicht war verschlossen wie immer und Yarim konnte nicht sagen, ob er ihm dieselbe Angst und Ablehnung entgegenbrachte wie die anderen Dörfler.
„Komm herein“, forderte er Yarim tonlos auf und trat zur Seite. Sein langer, an den Mundwinkeln herabhängender brauner Schnurrbart zitterte bei jedem Wort. Er reichte dem Druiden bis auf die Brust und wurde nur noch von den fast hüftlangen braunen Locken übertroffen. Yarim wusste, dass einige Frauen im Dorf der Haarpracht des Druiden neidische Blicke zuwarfen und munkelte, dass er sich die langen Haare mittels Magie herbeigezaubert hatte.
Eigentlich hätte Elhans Haarpracht ihm ein amüsantes Aussehen verleihen müssen, doch die hochgewachsene Gestalt des Druiden und seine wachen, grünen Augen verliehen ihm eine würdevolle und listige Ausstrahlung.
„Möchtest du etwas trinken? Ich habe gerade Schwarzwurzeltee aufgesetzt.“
Yarim schüttelte den Kopf und sah sich verstohlen in der Hütte um. Sie war noch kleiner als die, in der er mit seiner Mutter lebte. In einem einzigen Raum tummelten sich eine enge Kochnische mit einer Feuerstelle, ein kleiner, aber dennoch massiver Holztisch mit zwei Stühlen, etliche Regale, die mit Büchern aller Art, Flaschen, Tiegeln und Kräutersäckchen gefüllt waren, und ein schmales, aber langes Bett. Von dünnen Eisenstangen vor den Fenstern hingen verschiedene Pflanzen zum Trocknen. Trotz der unpersönlichen Einrichtung der Hütte herrschte eine behagliche Atmosphäre.
„Setz dich.“ Elhan deutete auf einen der Stühle und nahm kurz darauf Yarim gegenüber Platz. In seinen Händen hielt er einen dampfenden Teebecher. Schweigend musterte er Yarim, während er lange Atemstöße auf das heiße Getränk blies.
Unruhig rutschte Yarim auf seinem Stuhl hin und her. Jetzt, wo er dem Druiden gegenüber saß, wusste er nicht mehr, welche Frage er als erstes stellen sollte. Noch während er überlegte, nahm Elhan ihm die Entscheidung ab.
„Du möchtest wissen, was mit dir auf dem Marktplatz geschehen ist.“ Es war eine Feststellung und keine Frage, dennoch nickte Yarim.
„Nun, dazu kann ich dir zum momentanen Zeitpunkt noch keine Antwort geben.“
„Warum denn nicht?“
„Es wäre zu gefährlich.“
„Warum das denn?“, platzte es aus Yarim heraus, der seine Enttäuschung nicht mehr verbergen konnte.
Der Druide ließ sich Zeit mit seiner Antwort und nahm einen genüsslichen Schluck von seinem Tee. Dabei verfingen sich kleine Tropfen in seinem Schnurrbart, die leicht zitterten und den Bart hinabliefen, als der Druide wieder zu sprechen begann.
„Wissen ist Macht und in den Händen der falschen Personen eine schreckliche Waffe.“
Verwirrt erwiderte Yarim den eindringlichen Blick des Druiden. Was sollte das denn nun schon wieder bedeuten? Yarim hatte den Druiden aufgesucht, um Antworten auf seine Fragen zu erhalten, doch der schien nicht gewillt zu sein, ihm diese auch zu geben. Doch so schnell gab sich Yarim nicht geschlagen.
„Wurde ich mit einem Bann belegt?“, fragte er.
Elhan sah ihn erst überrascht an, bevor ein leises Glucksen seiner Kehle entkam. Doch schon im nächsten Moment war er wieder vollkommen ernst.
„Nein, es ist kein Bann. Einen Bann kann man mit dem richtigen Wissen wieder auflösen. Doch ich fürchte, was mit dir geschehen ist, ist unwiderruflich.“
Ungeduldig und nun leicht verärgert trommelte Yarim mit seinen Fingern auf die Tischplatte. „Was ist es denn nun, was mit mir passiert ist?“ Stur sah er dem Druiden in die Augen und versuchte die Antwort auf seine Frage in ihnen abzulesen. Doch Elhans Blick war unergründlich wie immer.
Als der Druide auch nach mehreren Sekunden des Schweigens keine Anstalten machte, noch etwas zu sagen, sprang Yarim zornig auf. Sein Stuhl kippte nach hinten und landete klappernd auf dem Holzboden.
„Dann behalte dein bescheuertes Wissen halt für dich“, fuhr Yarim den Druiden an und stürmte aus dem Haus.
Nyrax
Im Zeichen der Erde, Winnemo
Zyklus 985 nach der Ankunft der Menschen in Elduram
Mit schwitzenden Händen und einem festen Knoten in der Brust saß Yarim auf dem Stuhl mitten im Raum. Ihm gegenüber, hinter der Theke des Schankraums, saßen die Kräuterfrau, der Magister und der Dorfvorsteher. Die Tische waren an die Seiten gerückt worden und die übrigen Stühle zu Reihen aufgestellt, die sich in Yarims Rücken befanden. Er spürte die musternden Blicke der Dörfler, die hinter ihm Platz genommen hatten und gespannt auf den Urteilsspruch warteten.
Seine Mutter saß ganz links in der ersten Reihe und wenn Yarim sich anstrengte, konnte er ihr besorgtes Gesicht aus den Augenwinkeln erkennen. Ihre Anwesenheit spendete ihm Trost und verhinderte, dass ihm die Tränen in die Augen stiegen.
Den halben Tag schon saß er hier und musste sich die absurden Geschichten der Dorfbewohner anhören, laut denen er zu einem feuerspeienden Monster mutiert war, das sie alle mit Haut und Haaren hatte fressen wollen. Zu seiner Überraschung war es Leto gewesen, der irgendwann empört aufgesprungen war und alle daran erinnert hatte, dass Yarim eindeutig die Soldaten angegriffen hatte und einige der umstehenden Männer und Frauen nur versehentlich getroffen worden waren.
Yarim hätte zu gerne seine eigene Sicht der Dinge geäußert, doch konnte er sich nach wie vor an nichts von dem erinnern, was geschehen war.
Gerade steckten die drei Oberhäupter des Dorfs die Köpfe zusammen und berieten, wie sie am besten mit ihm verfahren sollten. Einige Dörfler hatten vorgeschlagen ihn einzusperren, andere hatten auf der Forderung bestanden, dass er das Dorf sofort verließ.
Mutlos hockte Yarim auf seinem Stuhl und ließ den Kopf hängen. Er hatte stark sein und allen anderen versichern wollen, dass er nicht das Monster war, für das sie ihn hielten, doch man hatte ihm nicht zugehört. Stattdessen hatten sie ihm die Worte im Mund verdreht und seine Aussage als Geständnis aufgefasst, dass er für die Verletzungen der Dorfbewohner verantwortlich war.
„Wir sind zu einem Urteil gekommen“, verkündete die dunkle Stimme des Dorfvorstehers.
Mit angehaltenem Atem hob Yarim den Kopf. Doch bevor das Urteil verkündet wurde, öffnete sich die Tür zum Schankraum mit einem leisen Knarren. Ein Murmeln ging durch die anwesenden Dörfler und als Yarim sich umsah, erblickte er den Druiden.
Gelassen ging Elhan zwischen den sitzenden Dorfbewohnern hindurch und stellte sich neben Yarim. „So, so, ein Dorfrat.“ Seine ruhige Stimme füllte die Stille, die sich nach seinem Auftreten im Raum ausgebreitet hatte.
„Elhan“, begrüßte Gwala den Druiden überrascht.
Den hochgewachsenen, für sein Amt noch recht jungen Mann in ihrer Mitte zu haben, verunsicherte die Dörfler. Kaum einer von ihnen sah den Druiden öfter als fünfmal während eines Mondkreises. Dass er jetzt an einer ihrer Sitzungen teilnahm, stellte eine absolute Ausnahme dar.
Elhan neigte leicht den Kopf und legte eine Hand auf Yarims Schulter. Seine Augen wanderten wachsam durch den Raum und betrachteten jeden der Anwesenden eingehend, bevor sein Blick zum nächsten glitt.
„Was habe ich verpasst?“
Magister Worys Blick glitt zur der Kräuterfrau und dem Dorfvorsteher, bevor er antwortete: „Wir sind gerade dabei darüber zu entscheiden, was mit Yarim geschehen soll.“
Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Elhan fragend in die Runde. „Weshalb das?“
Getuschel breitete sich im Raum aus und ungläubige Augenpaare hefteten sich auf den Druiden.
„Er ist eine Gefahr für unsere Kinder“, rief eine Frau.
„Er hätte um ein Haar das Dorf niedergebrannt“, fügte ein Dorfbewohner hinzu.
Mit einem verächtlichen Schnauben blickte Elhan in die Runde. „Das ist nichts, was nicht auch auf jeden von euch zutrifft. Wenn ich mich recht erinnere, habt ihr beim Latha na Brigid vor einem Zyklus selbst drei Häuser niedergebrannt und zig andere beschädigt.“
Yarim erinnerte sich noch gut an das Fest zum letzten Beginn des Zeichens der Erde, bei dem die Dorfbewohner für ein ertragreiches Jahr gebetet hatten. Es war ein ungewöhnlich kalter Lenzing gewesen, sodass die Dörfler überall Schalen mit brennenden Holzscheiten aufgestellt hatten, an denen sie sich während des unter freiem Himmel stattfindenden Festes wärmen konnten. Eine der Feuerschalen war in einem wilden Handgemenge umgekippt und bevor die vom vielen Bier angetrunkenen Männer die Löschkette organisiert hatten, waren drei der Häuser unwiderrufliche verloren gewesen. Es war ein schieres Wunder, dass keiner ernsthaft verletzt wurde.
„Das war doch eine ganz andere Situation.“
„Das ist überhaupt nicht vergleichbar.“
„Das war damals ja keine Absicht.“
Immer mehr Dorfbewohner riefen aufgeregt durcheinander, bis der Dorfvorsteher sie mit einem donnernden ‚Ruhe‘ wieder zur Ordnung rief.
„Yarim hat auch nicht mit Absicht die Häuser angezündet“, erwiderte Elhan, eh ein anderer das Wort ergreifen konnte. „Ganz im Gegenteil. Er hat versucht, euch zu schützen. Damit du weiterhin mit deiner Frau zusammen sein kannst.“ Er deutete auf den Metzger, der bei den Worten des Druiden die Hand seiner Frau ergriff. „Damit du deine Tochter nicht verlierst“, fuhr Elhan fort und zeigte auf den Bäcker, der Cyliane daraufhin einen innigen Blick zuwarf. „Damit du deine Kinder nicht alleine großziehen musst.“ Der Finger des Druiden wanderte weiter durch den Raum, deutete auf jeden einzelnen Mann, der seine Tochter oder seine Frau verloren hätte, wären die Soldaten in ihrem Vorhaben nicht gestoppt worden.
„Ohne Yarim wäre Nyrax ein trostloser Ort, voller jammernder und verzweifelter Gestalten. Und so wollt ihr ihm seinen Einsatz für euch danken? Indem ihr ihn davonjagt, wohl wissend, dass das seinen sicheren Tod bedeutet, oder ihn für den Rest seines Lebens wegsperrt?“
Die Worte des Druiden verfehlten ihre Wirkung nicht.
Betroffen und mit teilweise beschämten Blicken sahen die Dorfbewohner zu Boden. Ein leises Getuschel erfüllte den Raum, doch keiner wagte Elhan zu widersprechen.
Die drei Oberhäupter des Dorfs steckten erneut ihre Köpfe zusammen, bevor der Dorfvorsteher verkündete: „Yarim Eisenhauer, dir wird gestattet weiterhin in Nyrax zu bleiben. Jedoch wirst du den Unterweisungen von Magister Worys fernbleiben und dich auch ansonsten von allen Dorfbewohnern fernhalten, die deine Gesellschaft nicht wünschen, bis geklärt ist, was es mit deiner… eigenartigen Veränderung auf sich hat.“
Erleichtert sackte Yarim in sich zusammen.
Die Arme um die Beine geschlungen, hockte Yarim vor dem Grab seines Vaters und starrte ins Leere. Zwar hatte der Dorfrat ihn nicht davongejagt, doch mittlerweile war Yarim gar nicht mehr sicher, ob das nicht sogar besser gewesen wäre. Er fühlte sich vom Leben der anderen Dorfbewohner ausgeschlossen, die ihm aus dem Weg gingen, wo sie nur konnten. Auf dem Markt Besorgungen für seine Mutter zu erledigen, war alleine schon die reinste Qual geworden. Wann immer er auf dem Platz auftauchte, folgten ihm verachtende Blicke und Gemurmel. Er bekam nur die schlechtesten Waren verkauft und wenn er sich darüber beschwerte, gaben die Verkäufer vor nichts Besseres zu haben.
Anfangs hatte Belania noch die Verkäufer aufgesucht, um sich zu beschweren, wenn Yarim einmal wieder mit schrumpeligem Gemüse und altem Brot nachhause gekommen war, doch mittlerweile hatte sie dies aufgegeben. Stattdessen tätigte sie die Einkäufe selbst und überließ Yarim die Arbeiten im Haushalt.
Das Yarim nicht mehr an den Unterweisungen des Magisters teilnehmen musste, hatte ihn zu Beginn noch gefreut. Er hatte die Rechen- und Schreibaufgaben gehasst, die Worys ihnen stets aufgegeben hatte. Doch mit der Zeit vermisste er es sogar mit den anderen Kindern seines Alters in der Wohnstube des Magisters zu sitzen und dessen langweiligen Ausführungen zu folgen.
Sein Leben hatte sich in einen Albtraum aus nicht enden wollender Herabwürdigung, Missachtung und Langerweile verwandelt. Seine Mutter versuchte zwar ihn mit Arbeit abzulenken und seine Einsamkeit durch Umarmungen zu lindern, doch mit jedem Tag, der verging, wurde Yarim verbitterter.
Er konnte sich immer noch nicht an das erinnern, was geschehen war und es war auch zu keiner weiteren Veränderung seinerseits gekommen, sodass er nicht nachvollziehen konnte, warum er so leiden musste. Vielleicht war es einfach nur ein böser Streich, dem ihn die anderen spielten? Doch so sehr Yarim das auch hoffte, konnte er es sich nicht wirklich vorstellen.
„Yarim?“
Erschrocken zuckte Yarim zusammen. Als er sich umdrehte, sah er in das leicht gerötete Gesicht seines Freundes und vor Überraschung blieb ihm der Mund offen stehen. „Du?“
„Hi“, begrüßte Leto ihn mit einem zaghaften Lächeln. „Wie geht´s so?“
Yarim wusste nicht, ob er vor Erleichterung und Freude, dass Leto ihn endlich wieder beachtete, loslachen sollte, oder ob er wütend auf seinen Freund sein sollte, weil dieser ihn so lange gemieden hatte.
„Hör mir zu... ich… es tut mir schrecklich leid“, stieß Leto hervor, nachdem Yarim immer noch nichts gesagt hatte, und ließ sich neben ihn ins Gras plumpsen. „Ich weiß, ich habe mich falsch verhalten. Ich hätte dich nicht alleine lassen dürfen, als alle anderen so gemein zu dir waren. Aber… du sahst so schrecklich aus, wie du da auf dem Marktplatz standst, überall dieses Feuer um dich herum. Und dann hat meine Mama auch noch so furchtbare Dinge erzählt und mir verboten, weiterhin mit dir zu spielen. Ich… ich…“ Nach Worten suchend, ruderte Leto mit seinen Armen durch die Luft, bevor er seinen Blick betreten auf seine Fußspitzen senkte. „Es tut mir echt leid.“
„Und warum gibst du dich jetzt wieder mit mir ab?“, fragte Yarim.
„Weil du mein Freund bist!“, antwortete Leto so inbrünstig wie möglich. „Ich hab einfach Mist gebaut. Ich hätte dir vertrauen sollen, statt dem Gelaber der anderen zu glauben. Das wird nicht wieder passieren. Ich schwöre!“ Leto legte die Hand auf sein Herz, um seinen Worten mehr Bedeutung zu verleihen.
Schweigend saß Yarim neben seinem Freund und überlegte, wie er wohl an dessen Stelle gehandelt hätte. Was hätte er getan, wenn Leto sich wie alle sagten in ein feuerspeiendes Monstrum verwandelt hätte? Wahrscheinlich wäre ich auch erst einmal auf Abstand gegangen, wie alle anderen, überlegte Yarim. Das wichtigste war jetzt doch eigentlich, dass Leto wieder sein Freund sein wollte. Dass es ihm leid tat, dass er Yarim im Stich gelassen hatte.
Grinsend boxte Yarim seinem alten Kumpel in die Seite. „Aber noch einmal verzeihe ich dir sowas nicht, verstanden!“
„Das wird auch nicht nötig sein.“ Leto war deutlich anzusehen, wie erleichtert er über Yarims Entscheidung war. Doch trotz des Friedenangebots machte sich eine bedrückende Stille zwischen den Jungen breit und Yarim fragte sich, ob es tatsächlich so wie früher werden könnte. Sein Freund wirkte nicht so unbekümmert wie sonst und dann war da noch die Tatsache, dass Letos Mutter bestimmt alles andere als begeistert sein würde, wenn sie erfuhr, dass ihr Sohn wieder mit ihm spielte.
Yarim fragte sich, ob er Leto darauf ansprechen sollte. In dem Moment wollte Leto wissen: „Wie hast du das eigentlich gemacht?“
„Was gemacht?“, fragte Yarim, der seinem Freund nicht folgen konnte.
„Na dich in dieses… Ding verwandelt.“
Seufzend verschränkte Yarim die Hände hinter seinem Kopf und ließ sich zurückfallen. Das Gras war dicht und herrlich weich, als würde er in seinem Bett liegen und nicht auf dem Grabhügel zwischen den Gräbern ihrer Vorfahren. Hier herrschte eine friedliche Stille, die nur ab und zu durch das Zwitschern eines Vogels durchbrochen wurde.
Die Wolken beobachtend, die am blauen Himmel dahinzogen, runzelte Yarim die Stirn. „Ich weiß es nicht. Ich kann mich ja nicht einmal daran erinnern, dass ich mich wirklich verwandelt habe. Für mich klingt das alles wie ein Traum. Oder wie eine Geschichte, die sich alle anderen ausgedacht haben, um mich zu ärgern.“
„Du weißt echt gar nichts mehr?“
„Nein, gar nichts.“
Schweigend betrachtete Yarim eine Wolke, die sich zu einer Katze formte, bevor sie wieder ihre Gestalt verlor. Leto legte sich neben ihn auf die Wiese und zog nacheinander Grasbüschel aus der Erde, die er in seiner Faust zusammenballte. Den gepressten Grasball warf er in die Luft, wo er auseinanderstob und als Regen aus Grashalmen auf die Jungen niederging.
„Du sahst ganz schön krass aus“, murmelte Leto. „Da war überall Feuer um dich herum und du bist trotzdem nicht verbrannt. Du hast so ein gruseliges Fauchen ausgestoßen und hast dich wie ein Wahnsinniger auf die Soldaten geschmissen. Jeder Soldat, den du berührt hast, ist in Flammen aufgegangen und zu Asche verbrannt. Nachdem du zwei auf diese Weise getötet hast, sind die übrigen so schnell sie konnten davongerannt.“
Mit zusammengepressten Lippen lauschte Yarim seinem Freund. Belania hatte sich bis jetzt geweigert, ihm in Einzelheiten zu erzählen, was geschehen war, egal wie sehr er seine Mutter darum gebeten hatte.
„Eigentlich wär das voll beeindruckend, wenn du dich in so ein Feuerding verwandeln könntest, um das Dorf zu schützen, wenn es nicht so…“
Gespannt wartete Yarim was Leto zu sagen hatte, doch der sprach nicht weiter.
„Wenn es nicht so, was?“, hakte Yarim nach.
Zögernd sah Leto zu ihm hinüber. Sein Gesicht hatte einen verkniffenen Ausdruck angenommen, als er seinen Satz beendete. „Wenn du nicht so furchterregend ausgesehen hättest. Ich glaube, dass ist auch der Grund, warum alle plötzlich so Angst vor dir haben und nichts mehr mit dir zu tun haben wollen.“
Betroffen rappelte Yarim sich auf. Die Sonne bewegte sich mittlerweile auf den Horizont zu und es würden nur noch wenige Stunden vergehen, bis die Nacht hereinbrach.
„Hast du einen Vorschlag, was ich jetzt tun soll?“, fragte Yarim.
„Weiß nicht.“ Nachdenklich blies sich Leto eine seiner rotbraunen Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Hast du schon mal Elhan gefragt, ob der eine Ahnung hat, was mit dir passiert ist?“
„Ja“, brummte Yarim verdrossen, der sich nur allzu gut an das enttäuschende Gespräch mit dem Druiden erinnerte. „Der will mir nichts sagen.“
„Aber er weiß irgendetwas?“, hakte Leto nach.
„Ich denke schon. Er hat gemeint, er könne mir zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Antworten geben.“
„Dann lass uns morgen noch einmal zusammen hingehen“, schlug Leto vor. „Wir werden ihn zu zweit so lange mit Fragen löchern, bis er gar nicht anders kann, als uns zu antworten.“ Ein spitzbübisches Grinsen huschte über sein Gesicht und brachte seine Augen zum Glänzen.
Es war stockfinster, als Yarim aus dem Schlaf aufschreckte. Von draußen drangen laute Rufe in seine Kammer und das Getrampel von Pferdehufen war zu hören.
Noch leicht verschlafen trat er an das Fenster und öffnete die Holzläden. Das Mondlicht fiel auf die Straße unter ihm und beleuchtete zwei Reiter in purpurnen Umhängen. Sofort war Yarim hellwach.
So leise wie er konnte schlüpfte er in seine Hose und seine Schuhe und schlich die Treppe in die Wohnstube hinab. Unten war seine Mutter bereits wach und dabei in ihre eigene Kleidung zu steigen.
„Pssst“, zischte sie Yarim zu, als sie ihren Sohn sah. Wortlos bedeutete sie ihm näher zu kommen und ihr zum Fenster zu folgen, dass in den kleinen Garten hinter dem Haus hinausging. Als Belania das Fenster öffnete, schickte Yarim ein Stoßgebet zum Himmel, dass es nicht quietschen mögen. Als der hohe Ton dennoch ertönte, konnte er gerade noch ein Fluchen unterdrücken.
„Schnell“, forderte seine Mutter ihn auf aus dem Fenster zu klettern. Behände schwang sich Yarim über das Fensterbrett. Im Garten angekommen, half er seiner Mutter dabei ebenfalls aus dem Haus zu klettern, bevor sie Richtung Dorfrand schlichen.
„Was ist los?“, flüsterte Yarim in gerade noch verständlicher Lautstärke.
„Die Soldaten des Cirkels sind zurück“, raunte Belania und sprach damit gerade einmal so viel aus, wie Yarim schon wusste.
„Aber warum?“, fragte er weiter, während sie in den nächsten Garten kletterten. Das Haus war hell erleuchtet und aus dem Inneren drangen die aufgebrachten Stimmen des Schlachters und seiner Frau sowie das Poltern von splitterndem Holz und das Weinen der Kinder.
„Sie werden sich das holen wollen, was die anderen Soldaten nicht bekommen haben.“
„Die Abgaben an den Cirkel“, erriet Yarim. Dennoch erklärte das nicht, warum sie sich klammheimlich davonschlichen, satt einfach ihre Abgaben zu entrichten. Die Soldaten würden sich so oder so nehmen, was sie ihnen ihrer Meinung nach schuldeten.
Überall im Dorf gingen die Lichter an und empörte und verängstigte Stimmen wurden laut. Ab und zu war der spitze Schrei einer Frau zuhören, der in ein gequältes Schluchzen überging.
Yarim kam es falsch vor sich davonzustehlen, statt den anderen zu helfen, egal wie gemein sie in letzter Zeit zu ihm gewesen waren. Das allgemeine Klagen, das durch das Dorf wehte, deutete daraufhin, dass die Soldaten nicht viel freundlicher mit den Dorfbewohnern umgingen, als der Soldatentrupp davor.
Wut flammte in Yarim auf, als ihm die Bilder des Kampfes auf dem Marktplatz wieder in den Sinn kamen. Er sah den Vater der kleinen Lyta vor sich, wie er vom Schwert eines Soldaten durchbohrt wurde. Das Mädchen würde wohl nie wieder so unbeschwert mit Paige spielen und ihn und Leto zur Weißglut treiben. Bei dem Gedanken ballte Yarim die Hände zu Fäusten. In seinem Magen bildete sich ein fester Knoten und das Blut rauschte in seinen Ohren.
Schweigend folgte er seiner Mutter, die den Weg zur Hütte des Druiden einschlug. Zu Elhan? Yarim konnte sich nicht erklären, was sie in der jetzigen Situation von dem Druiden wollen sollte, doch noch bevor er Belania danach fragen konnte, ertönte hinter ihnen eine Stimme.
„Ihr da! Stehen bleiben!“
Wie versteinert blieb Belania stehen und drehte sich um. Als Yarim über seine Schulter sah, erblickte er einen der Soldaten, der sie von der Straße aus erspäht hatte. Über seinen Kopf hielt er eine Fackel, um die Gegend besser auszuleuchten.
Seine Mutter schien noch zu überlegen, ob sie davonrennen sollten, als sich ihnen ein zweiter Soldat aus der anderen Richtung nährte. „Kommt hier rüber“, forderte er sie mit grimmiger Stimme auf.
Beruhigend griff Belania nach seiner Schulter, doch Yarim konnte das leichte Zittern spüren, das durch ihren Körper lief. In dem Versuch seiner Mutter ebenfalls Trost zu spenden, legte er seine Hand auf die ihre, woraufhin Belanai zu ihm hinab sah und ihn dankbar anlächelte.
Kaum, dass sie über den Zaun geklettert waren, griff der Soldaten mit der Fackel nach Yarims Arm und zerrte ihn an sich. Der andere hatte seine Mütter gepackt und legte die Klinge seines Schwerts an ihren Hals.
„Ihr wolltet euch also davonstehlen, wie!?“ Mit der flachen Seite des Schwerts drehte er Belanias Hals. Bis sie ihm ins Gesicht sehen musste. „Ich will eine Antwort, Weib!“
„Lass sie in Ruhe“, schrie Yarim. Mit beiden Händen hatte er den Arm des Soldaten gepackt und versuchte sich zu befreien, um seiner Mutter zu Hilfe zu eilen. Doch der Soldat presste ihn nur lachend fester gegen seinen Körper und hielt ihn im Schwitzkasten.
„Dein Sohn ist ganz schön vorlaut“, sprach der erste Soldat zu Belania und zog sie näher zu sich. Dabei drehte er das Schwert so, dass nun die scharfe Kante gegen ihren ungeschützten Hals drückte.
Yarim spürte, wie sich der Knoten in seinem Bauch fester zusammenzog und in seinen Ohren erneut ein Brausen ertönte. Seine Augen waren starr auf die Stelle gerichtet, an der die Schneide des Schwerts gegen Belanias Hals drückte. Seine Mutter stand kerzengerade da und wagte kaum zu atmen.
„Na, gefällt dir das, Bengel“, höhnte der Soldat. Er verstärkte den Druck, bis die Schneide Belanias Haut aufritzte und Blut aus der Wunde quoll. Das leise Stöhnen seiner Mutter gab Yarims Wut neue Nahrung.
Ohne lange nachzudenken, schlug er seine Zähne in die Hand des Soldaten, der ihn festhielt. Laut fluchend gab dieser ihn frei, wobei ihm die Fackel aus der Hand glitt und rieb sich über die Stelle, wo Yarims Zähne in die Haut eingedrungen waren.
In Yarims Ohren toste es, als er sich auf den Soldaten warf, der seine Mutter im Klammergriff hielt. Doch noch bevor er ihn erreicht hatte, hob der Mann seinen Fuß und trat Yarim in den Bauch. Keuchend entwich Yarim der Atem und er sackte wie ein gefällter Baum zur Seite. Schmerz schoss durch seinen Körper und nur die Angst um seine Mutter und der unbändige Zorn auf die Soldaten ermöglichten es ihm, sich wieder aufzurappeln.
Yarims Herz hämmerte wild in seiner Brust und pumpte das Blut durch seine Adern, das wie Feuer brannte und Hitze durch seinen Körper jagte. Doch statt das Gefühl zu haben zu verbrennen, spürte Yarim wie die Kraft in ihn zurückkehrte. Ein leichtes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, das in der momentanen Situation völlig fehl am Platz wirkte.
Als die Soldaten sein Grinsen sahen, verfinsterten sich ihre Mienen.
„Der macht sich über uns lustig“, meinte der, dem Yarim in die Hand gebissen hatte.
„Ach ja“, grummelte der andere. „Das Lachen wird ihm noch vergehen.“
Ehe Yarim etwas entgegnen konnte, hob der Soldat sein Schwert und zog es über Belanias Wange.
Der Schmerzensschrei seiner Mutter hallte wie ein Peitschenknall durch die Nacht. Yarim gefror das Blut in den Adern, bevor der Zorn in seinem Inneren wie ein Vulkan explodierte und in puren Hass überschlug. Das Tosen in seinen Ohren wurde ein wütendes Fauchen und ein unbändigendes Verlangen nach Rache und Vergeltung ergriff von ihm Besitz. Yarims Bewusstsein wurde an den Rand gedrängt und Instinkte übernahmen die Führung seines Körpers, von denen er gar nicht gewusst hatte, dass er sie besaß.
Machtlos musste er mit ansehen, wie sein Körper sich krümmte und im nächsten Moment Flammen aus seiner Haut brachen. Orangeroten Zungen gleich leckten sie über seine Arme und Schultern, wanderten seinen Körper hinab zu seinen Beinen.
Als sein Blick wieder zu den beiden Soldaten glitt, die ihn aus weit aufgerissenen Augen anstarrten, brach sein ganzer Zorn in einer gewaltigen Feuersalve aus ihm heraus. Knisternde rotglühende Flammen verließen seinen Körper und breiteten sich wellenartig aus. Flirrende Hitze erhellte die Dunkelheit und unzählige schmerzerfüllte Schreie drangen an seine Ohren, bevor er das Bewusstsein verlor.
Waldgebiet um Nyrax
Im Zeichen der Erde, Winnemo
Zyklus 985 nach der Ankunft der Menschen in Elduram
Zitternd fuhr Yarim aus dem Schlaf hoch. Was für ein grässlicher Albtraum. Sein Herz wieder zur Ruhe zwingend, fuhr er sich mit den Händen über das verschwitzte Gesicht und blinzelte. Die ersten Strahlen der Morgendämmerung drangen durch seine Finger, kitzelten ihn an der Nase und blendeten seine Augen. Um ihn herum erwachte der Wald mit unzähligen Geräuschen zum Leben. Vögel stimmten ihre Lieber an, kleine Nagetiere huschten durchs Unterholz auf der Suche nach einem Frühstück und über all dem lag das sanfte Rauschen der Blätter in der kühlen Morgenbrise.
Der Wald? Verwirrt sah Yarim sich um. Er lag neben einer kleinen herabgebrannten Feuerstelle, unter einer dicken Wolldecke begraben. Als er diese zur Seite schlug und sich aufsetzte, bemerkte er die eigenartige Kleidung, die er trug. Das Hemd war viel zu groß und hing lose an ihm hinab. Auch die Hose passte nicht wirklich und wurde nur von einer Schnur daran gehindert, von seinen Hüften zu rutschen. Hinzu kamen ein Paar Schuhe, das ihm zu klein war und an den großen Zehen drückte.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah Yarim sich um und entdeckte Elhan, der auf der anderen Seite des niedergebrannten Feuers auf seiner eigenen Schlafstätte lag. Als hätte der Druide seinen Blick gespürt, schlug er die Augen auf.
„Ah, du bist wach.“ Sich ausgiebig streckend, richtete Elhan sich auf. „Ich habe schon befürchtet, dass ich dich einen weiteren Tag lang durch die Gegend tragen darf.“
Yarim verstand überhaupt nichts mehr. „Tragen? Warum sind wir im Wald. Wieso bin ich nicht bei meiner Mutter? Wieso sind wir nicht im Dorf?“
Prüfend sah der Druide ihm in die Augen. „Es gibt kein Dorf mehr, Junge.“
Yarims Verwirrung wuchs von Sekunde zu Sekunde. Was meinte Elhan bloß damit? Verständnislos sah er den Druiden an.
„Du hast es niedergebrannt.“
Die Worte trafen Yarim wie ein Blitzschlag. Bilder flackerten vor seinem geistigen Auge auf. Bilder, die ihn zeigten, wie er in Feuer gehüllt durch das Dorf jagte, auf der Suche nach jedem einzelnen Soldaten, um ihn den Kopf abzureißen. Flammen züngelten hinter ihm her und sprangen auf alles über, was nur ansatzweiße in Brand gesetzt werden konnte. Hungrigen Tieren gleich stürzten sie sich auf die Häuser und Gärten der Dorfbewohner und verschlangen diese in einem knisternden Flammenmeer.
Yarim konnte noch die Hitze auf seiner Haut spüren. Die Schreie der Dörfler klangen in seinen Ohren, die in dem flammenden Inferno eingesperrt worden waren. Doch in seiner Verfassung hatte er nicht auf sie reagiert. Seine Wut und sein Zorn waren zu stark gewesen, hatten ihn vollkommen in Besitz genommen und Instinkte in ihm geweckt, denen er nicht wiederstehen konnte. Sein einziger Gedanke hatte der Rache gegolten.
„Was habe ich getan.“ Ein schmerzlicher Druck breitete sich in seiner Brust aus, wie wenn Leto ihn in einer ihrer Raufereien besiegt hätte und nun triumphieren auf seinem Brustkorb saß. Er konnte kaum noch Luft holen, so eng schnürten ihm die Erinnerungen den Hals zu. Seine Lungen protestierten ob der geringen Sauerstoffzufuhr und am Rand seines Blickfelds begannen schwarze Schatten zu tanzen.
Plötzlich war der Druide neben ihm und hielt ihm ein Fläschchen unter die Nase, von dem ein übelriechender Geruch aufstieg. „Ganz ruhig weiteratmen.“
Der beißende Gestank stieg Yarim in die Nase und schien sich geradewegs durch seine Atemgänge zu ätzen. Keuchend begann er zu würgen, doch immerhin löste sich die Schlinge um seinen Hals. Gierig zog er die so dringend benötigte Luft in seine Lunge, die den schmerzenden Druck von seiner Brust nahm und den schwarzen Schleier am Rand seines Blickfelds vertrieb.
Am ganzen Körper unkontrolliert zitternd, kippte er nach vorne und konnte sich gerade noch mit den Händen abstützen, bevor er mit dem Gesicht voran im Dreck landete. „Was habe ich getan“, wiederholte Yarim mit krächzender Stimme.
Schweigend saß der Druide neben ihm und sah in die Baumwipfel hinauf. Über ihnen saß eine Rotbauchdrossel auf einem Ast und spähte neugierig zu ihnen hinunter. Ihr Bauch schillerte in einem satten Rotton, den sie in Gefahrensituationen aufplusterte, um Feinde auf Abstand zu halten. In einem Busch neben ihnen raschelte es und ein Backenhörnchen huschte daraus hervor, auf der Suche nach etwas Essbaren, dass es sich in die großen Backentaschen stopfen konnte. Als es den Jungen und den Mann entdeckte, blieb es wie angewurzelt stehen. Nur der puschelige Schwanz zuckte aufgeregt.
Die Rotbauchdrossel stieß einen spitzen Schrei aus, der für das Backenhörnchen das Signal gab sich aus dem Staub zu machen. Mit flinken Sprüngen verschwand der kleine Nager wieder im Unterholz.
„Wir sollten uns auch auf den Weg machen“, brach der Druide das Schweigen.
Erst jetzt wurde Yarim wirklich bewusst, wo sie sich befanden. Sie waren im Wald, ohne den schützenden Bannzauber des Dorfs. Eigentlich hätte ihm diese Erkenntnis kalte Schauer über den Rücken jagen sollen, doch er fühlte sich eigenartig stumpf. Als wären alle Emotionen aus ihm gewichen und hätten nur eine leere Hülle zurückgelassen.
„Ich will es sehen.“ Selbst seine Stimme klang ungewöhnlich tonlos in seinen Ohren.
Fragend blickte Elhan zu ihm hinüber.
„Das Dorf. Ich will es sehen.“
„Da gibt es nicht mehr viel zu sehen“, erwiderte der Druide kopfschüttelnd. „Und ich habe dich nicht zwei Tage durch den Wald getragen, um jetzt wieder umzudrehen. Wenn du ihnen auch noch entgegenläufst, wird es nicht mehr lange dauern, bis sie dich gefunden haben.“
Aus dem nichts spürte Yarim, wie er wütend wurde. Der Druide sprach schon wieder in Rätseln, warf neue Fragen auf, statt alte zu beantworten. Yarim war es leid, das alle anderen mehr über ihn zu wissen schienen als er selbst. Er wollte nicht länger das Gefühl haben, eine Marionette in seinem eigenen Leben zu sein.
„Wer sucht mich und warum?“ Mit vor der Brust verschränkten Armen baute er sich vor Elhan auf. Es wurde langsam Zeit, dass er Antworten auf seine Fragen erhielt.
Dennoch überraschte es ihn, als der Druide frei heraus antwortete: „Der Cirkel.“
Yarim wusste nicht, was er mit dieser Information anfangen sollte. Das ergab einfach keinen Sinn. Er wollte gerade zu einer weiteren Frage ansetzen, als ein lautes Knacken durch den Wald hallte.
Elhan hob den Kopf und blickte mit gerunzelter Stirn in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. „Heb dir deine Fragen für später auf. Zwar greifen die Elementare in dieser Gegend nicht so häufig an, aber es gibt immer Ausnahmen.“
Dem Druiden schien die Widersprüchlichkeit seiner Worte nicht aufzufallen, doch für Yarim war die Verwendung von ‚Elementar‘ und ‚greifen nicht häufig an‘ in einem Satz mehr als befremdlich.
„Jetzt, wo du wach bist, kannst du auch etwas tragen.“ Elhan warf ihm einen Beutel zu, in dem es klapperte und schepperte. Ohne darauf zu warten, dass Yarim sich sein Gepäck auf den Rücken band, setzte sich der Druide in Bewegung.
Die Schönheit des Waldes raubte Yarim schier den Atem. Die Blätter der Bäume und Büsche glänzten zartgrün im Sonnenlicht und ein herrlicher Duft nach Erde und Moos hing in der Luft. Zweimal glaubte er hinter den Baumstämmen große Schatten zu erspähen, die zu einem Erdelementar gehörten.
Einmal meinte er sogar eines der in dieser Gegend seltener vorkommenden Luftelementare über den Baumkronen kreisen zu sehen, doch nichts geschah. Dennoch konnte die friedliche Atmosphäre des Waldes ihm nicht gänzlich das Unbehagen nehmen, das die Haut in seinem Nacken zum Kribbeln brachte.
Auch nach mehreren Versuchen war Elhan nicht dazu zu bewegen, während der Wanderung wenigsten einige von Yarims Fragen zu beantworten. Stattdessen ermahnte er den Jungen sich bis zum Abend zu gedulden, an dem sie einen sicheren Unterschlupf erreichen würden.
So blieb Yarim nichts anderes übrig, als sich alleine mit seinen düsteren Gedanken auseinanderzusetzen. Das Brechen der Äste unter seinen Füßen klang in Yarims Ohren wie das Knistern von Flammen und die Rufe der Waldtiere erinnerten an die Schreie der Dorfbewohner. Immer wieder sah Yarim das Bild seiner Mutter vor sich, wie sie da stand, mit dem Schwert des Soldaten an ihrem Hals. Der Anblick ihres Bluts, das die Klinge entlanglief, hatte in Yarim einen unbändigenden Zorn geweckt.
Er konnte sich noch gut an die angsterfüllten Blicke der Soldaten erinnern, als er sich verwandelte und sein Körper in Flammen aufging. Doch der Blick seiner Mutter war wie aus seinem Gedächtnis gelöscht. Wie hatte sie ihn angesehen? Ebenso angsterfüllt wie die Soldaten, oder war in ihren Augen noch die Wärme und Zuneigung gewesen, mit der sie Yarim sonst bedacht hatte?
Der Himmel über den Bäumen färbte sich langsam violett, als Elhan einen tiefhängenden Ast zur Seite schob und wie aus dem nichts eine kleine Holzhütte auftauchte. Yarim hätte keine hundert Schritt an dem Häuschen vorbeigehen können, ohne es zu entdecken. Es war unter den hängenden Ästen zweier Kiefern erbaut und fügte sich nahtlos in die Umgebung. Der Farbton der Holzbretter glich haargenau dem der umstehenden Baumstämme und das Dach war mit Moos und Kiefernnadeln bedeckt.
„Da wären wir.“ Der Druide öffnete die Tür, die in ein winziges Zimmer führte. Ein Bett, ein Tisch und ein Stuhl drängten sich auf engstem Raum um eine Feuerstelle. Durch zwei verdreckte Fenster fielen schwache Lichtstrahlen in die Hütte und erhellten den einzigen Raum nur spärlich.
Erschöpft lief Yarim zum Stuhl und ließ sich darauf plumpsen. Seine Füße schmerzten vom langen Laufen in den unbequemen Schuhen.
Elhan trat an die Feuerstelle und murmelte leise Wort. Die trockenen Holzscheite erwachten knisternd zum Leben und nach wenigen Augenblicken prasselte ein kleines Feuer im Kamin. Der Druide griff nach dem Kessel, der neben der Feuerstelle stand, und ermahnte Yarim im Schutz der Hütte zu bleiben, bevor er wieder nach draußen trat.
Schnaubend streifte er seinen Beutel von den Schultern und lehnte sich im Stuhl zurück. Wo hätte er denn auch hingehen sollen? Er hatte weder eine Ahnung wo sie sich befanden, noch wollte er es riskieren, einem der Elementare zu begegnen. Es grenzte an ein Wunder, dass sie jetzt noch keinem über den Weg gelaufen waren.
Nach kurzer Zeit kehrte der Druide mit einem mit Wasser gefüllten Kessel zurück, in dem einige Pilze schwammen. Auf Regalen an den Wänden standen mehrere Körbe, aus denen Elhan getrocknetes Gemüse und Fleisch herausholte, das er zusammen mit den Pilzen über dem Feuer zu einem kräftigen Eintopf kochte. Das wässrige Gebräu füllte er in zwei Tonschüsseln und reichte eine an Yarim weiter.
Wenig begeistert sah Yarim auf sein Essen, doch schon der erste Löffel belehrte ihn eines Besseren. Mit dem Eintopf breitete sich eine wohlige Wärme in seinem Körper aus, die die Schmerzen aus seinen entkräfteten Gliedern vertrieb. Gierig schlang er den Rest hinunter und stieß nach dem Ende seines Mahls ein zufriedenes Seufzen aus. Doch der friedliche Moment dauerte nur so lange an, bis er sich wieder daran erinnerte, weshalb er jetzt mit dem Druiden in dieser Hütte saß, statt mit seiner Mutter zuhause beim Abendbrot.
„Wirst du mir jetzt Antworten geben?“, fragte Yarim den Druiden, der auf dem Bett platzgenommen hatte.
Elhan führte den letzten Löffel Eintopf in seinen Mund, bevor er den Löffel in die Schüssel legte und diese auf dem Tisch abstellte.
„Ich denke, es lässt sich nicht mehr vermeiden, dass du die Wahrheit erfährst.“
Aufregung breitete sich in Yarim aus, der schon halb damit gerechnet hatte, wieder vertröstet zu werden. „Was passiert mit mir?“, platzte es als erstes aus ihm heraus.
Der Druide bedachte ihn mit einem wachsamen Blick aus seinen grünen Augen und zwirbelte ein Ende seines langen Schnurrbarts zwischen Daumen und Zeigefinger. „Um das zu erklären, muss ich etwas aushohlen. Du weißt, wer der Cirkel ist?“
„Ja“, antwortete Yarim sofort. „Das ist eine Gruppe von Druiden, die den Krieg gegen die Elementare vorantreiben.“
„Und weißt du auch wie es zu diesem Krieg gekommen ist?“
Nachdenklich runzelte Yarim die Stirn. „Na weil sie unsere Dörfer angreifen und zerstören.“
Ein müdes Lächeln erschien auf Elhans Gesicht, bevor er weitersprach. „Das mag sein, aber die Elementare haben uns nicht ohne Grund angegriffen. Sie sind nicht halb so dumm und gewalttätig, wie die Menschen zu wissen glauben.“
Wenig überzeugt sah Yarim den Druiden an, sprach seine Zweifel jedoch nicht aus.
„Was die Menschen gerne zu verdrängen versuchen, ist, dass die Elementare zuerst in Elduram lebten. Die Menschen bevölkerten den Kontinent erst mehrere tausend Zyklen später und auch nur, weil die Elementare bereit waren, ihre Heimat mit uns zu teilen. Mit der Zeit kam es jedoch zu ungewollten Katastrophen. Die Kräfte der Elementare verbrannten unbeabsichtig die Dörfer und Felder der Menschen, ließen versehendlich Flüsse und Seen über die Ufer treten, die die Ernten verdarben, riefen Wirbelstürme herbei und erzeugten unbeabsichtigt Erdbeben, die die Erde aufrissen und ganze Landstriche verschlangen. So teilte sich Elduram nach und nach in das Gebiet der Elementare und das der Menschen. Wir Menschen begannen die Macht der Elementare zu fürchten, die uns durch ihre Verbundenheit mit den alten Göttern von Natur aus überlegen sind. Du weißt welche Götter das sind?“, fragte er Yarim an dieser Stelle.
„Die alten Naturgötter, oder auch Elementgötter“, antwortete Yarim. Auch wenn alle Bewohner seines Dorfs dem neuen Glauben um den einen, wahren Schöpfer anhingen, hatte Magister Worys es für wichtig erachtet, sein Wissen um den alten Glauben weiterzugeben. Nach diesem Glauben schufen die Elementgötter des Feuers, der Erde, des Wassers und der Luft die Welt und ihre Gesetze. Sie schickten die Elementare auf die Erde, um für die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zu sorgen. Doch spätestens mit dem Ausbruch des Elementar-Kriegs redeten sich die Menschen ein, dass an den Elementaren nichts Göttliches sei und so wurde der alte Glaube von dem neuen abgelöst.
Als Elhan fortfuhr zu erzählen, nahm seine Stimme einen düsteren Klang an. „Der Cirkel beschloss sich die Macht der Elementare zu Nutze zu machen, um sie aus ihrer Heimat zu vertreiben und Elduram gänzlich unter die Herrschaft der Menschen zu bringen. Dazu experimentierten sie mit Kindern und versuchten ihren Geist mit der Essenz von gefangenen Elementaren zu verbinden. Letztendlich hatten sie Erfolg und erschufen eine neue Art von Krieger, mit den unzähmbaren Kräften und dem wilden Wesen eines Elementars und der Loyalität und dem Vertrauen eines Kindes. Die Elementare waren über dieses Vergehen so erzürnt, dass sie gegen uns Menschen in den Krieg zogen.“
Gespannt hatte Yarim Elhans Ausführungen gelauscht, allerdings konnte er noch nicht so ganz verstehen, was das alles mit ihm zu tun haben sollte. Als der Druide seinen fragenden Blick sah, setzte er mit einem schweren Seufzer zu einer Erklärung an.
„Für die Durchführung ihrer Experimente entführen die Druiden des Cirkels kleine Kinder, meist noch Babys. Diese trainieren sie darin ihren Geit und ihre Willenskraft zu stärken, bis im Alter von circa zehn Zyklen ihre elementaren Kräfte erwachen. Dann startet ihre Ausbildung in der Nutzung dieser Kräfte, bis man sie in das Gebiet der Elementare schickt, um sie zu vernichten. Doch nicht bei allen klappte das Experiment. Wenn der durchführende Druide feststellte, dass sein Versuch fehlgeschlagen ist, ein Kind mit dem der Essenz eines gefangenen Elementars zu verbinden, wird das Kind in der Wildnis ausgesetzt. Besitzt der Druide noch ein Fünkchen Mitgefühl, bringt er das Kind manchmal unbeobachtet zu seinen Eltern zurück.“
Yarim dämmerte es langsam, worauf Elhan hinaus wollte. „Ich soll eines dieser Kinder sein? Das ist doch völlig absurd. Ich wurde nie entführt. Und warum sollte mich der Cirkel zurückschicken, wenn das Experiment geklappt hat.“
„Auch der Cirkel kann sich irren“, erwiderte Elhan schlicht. „Und woher willst du wissen, dass du nie entführt wurdest? Kannst du dich erinnern, was dir als Baby widerfahren ist?“
Zweifelnd zog Yarim die Stirn kraus. „Nein“, gab er zu. „Aber meine Mutter hätte mir bestimmt davon erzählt.“
„Warum hätte sie dies tun sollen? Deine Eltern waren bestimmt mehr als froh darüber, dass du so unverhofft zu ihnen zurückgekehrt bist. Menschen haben die Angewohnheit unliebsame oder schmerzliche Erinnerungen zu verdrängen.“
Ein ungutes Gefühl breitete sich in Yarim aus und es lief ihm abwechselnd heiß und kalt den Rücken hinunter. Auch wenn es noch so abwegig klang, was der Druide ihm erzählte, so schien es doch die einzige logische Erklärung für die Geschehnisse der letzten Zeit zu sein. Ein Teil von Yarim sperrte sich gegen diese Möglichkeit, doch ein noch viel größerer Teil wollte endlich verstehen, was mit ihm geschah.
„Also hat man mit mir dieses Experiment durchgeführt und deshalb verwandle ich mich jetzt in so ein… Ding?“
„So in etwa“, pflichtete Elhan ihm bei. „Du verwandelst dich nicht, sondern lediglich deine schlummernde Kraft erwacht, die schon in dir ist. Was du bist, nennt der Cirkel ein Halbelementar. In deinem speziellen Fall ein Feuer-Halbelementar. Die Kräfte eines Feuerelementars wurden auf dich übertragen, doch sind dabei auch einige Wesenheiten des Elementars auf dich übergesprungen.
In den meisten Fällen sind es der aufbrausende Zorn und das unbändigende Temperament der Elementare sowie deren schwäche von ihren Instinkten beherrscht zu werden. Das ist auch der Grund dafür, dass du deinen Zorn nicht im Zaum halten konntest und deinem Wunsch nach Rache erlagst. Während der Ausbildung beim Cirkel lernen die Halbelementare noch vor ihrer Zehnzyklenfeier diese Instinkte zu beherrschen und Herr ihrer Sinne zu bleiben, wenn sie die Kraft des Elementars nutzen, das mit ihnen verbunden wurde.“
In Yarims Kopf drehte sich alles, als er die Informationen verdaute, die der Druide ihm gegeben hatte. Also hatte er sein Dorf vernichtet, weil er nie gelernt hatte, die Seite des Elementars zu beherrschen, mit dem er unweigerlich verbunden war. Und das nur, weil eine Gruppe selbsternannter Kriegsführer Kinder entführte und unerlaubt mit ihnen herumexperimentierte.
Heiße Wut kochte in Yarim hoch und das mittlerweile bekannte Rauschen tönte in seinen Ohren. Die Geräusche in seiner Umgebung wurden dumpfer und die Stimme des Druiden, der ihm alarmiert etwas zurief, war kaum noch zu verstehen. Yarims Haut prickelte und er wusste, dass er nur noch einen Augenblicke hatte, bis sein Zorn seine elementare Seite befreite. Doch so sehr er sich auch bemühte seine Wut zu zügeln, sie tobte wie ein Orkan in seinem Inneren. Was man ihm angetan hatte, war einfach zu viel des Guten.
Er konnte gerade noch soweit klart denken, dass er sich von Elhan aus der Hütte zerren ließ, ohne ihn anzufallen. Dann brach sein Zorn in voller Wucht aus ihm heraus und tauchte seinen Körper in einen gleißenden Feuerball.
Keuchend und nach Luft ringend, lag Yarim auf dem verbrannten Waldboden, während der Schmerz in jeder Zelle seines Körpers pochte. Diesmal hatte er nicht das Bewusstsein verloren, doch wusste er nicht, ob er sich darüber freuen sollte. Es war ein erschreckendes Erlebnis gewesen, wie ein Zuschauer in seinem eigenen Körper gefangen gewesen zu sein. Ohne etwas dagegen unternehmen zu können, hatte er zusehen müssen, wie seine elementare Seite im Wald gewütet hatte.
Zwar hatte Elhan einen Bann auf ihn gelegt, der ihn wie eine Kuppel umgab und ihn daran hinderte mehr als zehn Schritte in die eine oder andere Richtung zu gehen, doch waren auch alle anderen Lebewesen, die sich gerade in seiner Umgebung befunden hatten, mit ihm in der Kuppel eingesperrt gewesen.
Die verbrannten Überreste eines Hasen lagen nur wenige Schritte neben ihm und sahen ihn aus den rußgeschwärzten Augenhöhlen anklagend an. Das Fleisch des Tiers war bis auf die Knochen niedergebrannt, die zu Asche zerfielen, als ein Lufthauch über die kleine Lichtung blies, die sein Wutausbruch geschaffen hatte.
Wenigstens stand die Hütte noch.
Mühsam stemmte Yarim sich in die Höhe und betrachtete die Aschehäufchen, die einmal mächtige Bäume gewesen waren. Zehn Schritte weiter stand der Rest des Waldes üppig und Grün wie eh und je.
Als er sich aufrichtete, rieselten die verbrannten Reste seiner Kleidung zu Boden. Sein Blick suchte und fand den Druiden, der am Rand des verkohlten Erdkreises an einem Baumstamm gelehnt saß. Seine Stirn bedeckte ein dünner Schweißfilm und von den angesengten Spitzen seines Schnurbarts stiegen zwei dünne Rauchfähnchen auf. Der ehemals lange Bart reichte ihm jetzt kaum noch bis zum Kinn. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen und ließen ihn um mehrere Zyklen gealtert erscheinen.
„Elhan?“
Yarim hockte sich vor den erschöpften Mann, die Arme um die Knie geschlungen. Als der Druide die Augen aufschlug, lag ein müder Glanz in ihnen.
„Das war knapp“, murmelte Elhan. Er Schloss kurz die Augenlider, bevor er sie wieder öffnete und sich von dem Stamm in seinem Rücken abstützte. „Und wenn du so weiter machst, habe ich bald keine Kleidung mehr, die ich dir geben kann.“ Er deutete auf Yarims nackte Füße, die von der Asche schwarz gefärbt waren. „Die einzigen Schuhe, die ich für dich hatte, sind jetzt schon hinüber.“
„Die waren mir eh zu klein“, entgegnete Yarim in einem Anflug von Gleichmut.
Einen Moment lang sah ihn der Druide nur ausdruckslos an, bevor er in lautes Gelächter verfiel. Kleine Lachfalten bildeten sich in seinen Augenwinkel und die Reste seines Barts wippten auf und ab. Yarim hatte Elhan noch nie so herzhaft lachen sehen, doch fand er, dass es ihm stand. Mit diesem amüsierten Glitzern in den Augen sah er fast noch wie ein junger Mann aus.
Die frischen Brisen des Zeichens der Erde hatten die Asche auf dem verbrannten Stück Waldboden über Nacht in alle Himmelsrichtungen verstreut. Der am Vorabend noch so exakt gezogene Kreis wies nun verwischte Konturen auf, die sich auf die umliegenden Moosflechten und Büsche erstreckten.
In seine Wolldecke gehüllt, stand Yarim in der offenen Tür und betrachtete sein Werk. Die schwarze Erde sah trostlos aus und sprach von Tod und Verderben. Es war nichts mehr von der Vielfalt des Lebens zu erkennen, das noch vor wenigen Stunden hier pulsiert hatte.
Ob die Reste meines Dorfs genauso trist und verweist aussehen?, überlegte Yarim. Oder haben wenigstens ein paar überlebt?
Seine Augen brannten bei dem Gedanken, doch es wollten keine Tränen mehr komme. Er hatte alle über Nacht vergossen, für seine Mutter, für Leto und all die anderen, mit denen er gelacht und gespielt hatte. Yarim fühlte sich ausgetrocknet und leer. Vielleicht hatte er ja alle Tränen aufgebraucht, die ihm in diesem Leben zur Verfügung standen?
Neben ihm erschien der Druide im Türrahmen. Yarim versteifte sich, doch Elhan war so einfühlsam seinen nächtlichen Heulkrampf nicht anzusprechen.
„Der Wald ist so friedlich“, sprach der Druide. „Ich habe mich stets hierher zurückgezogen, wenn mir das Gezanke der Menschen zu viel wurde.“
Erst jetzt stieg in Yarim die Frage auf, weshalb sie so lange von den Elementaren unbehelligt blieben. Sie hätten schon längst mindestens einem Erd-, oder sogar einem Wasserelementar begegnen müssen.
„Wieso wurden wir noch nicht von einem Elementar angegriffen?“
„Weil die Hütte geschützt ist.“ Elhan deutete auf einige wuchernde Kräuter, die erst beim zweiten Hinsehen zu erkennen gaben, dass sie von jemandem angepflanzt wurden. „Ich komme regelmäßig her und erneuere den Bannspruch.“
Nicht ganz überzeugt zog Yarim die Augenbrauen nach oben. „Aber sind dazu nicht mehrere Druiden notwendig?“
Elhan hatte zwar jeden Zyklus den Bann ausgesprochen, der das Dorf geschützt hatte, doch nur in Kombination mit einem mächtigen Bannspruch von drei Druiden war der Schutz am stärksten. Alle drei Zyklen hatten dafür zwei weitere Druiden Nyrax besucht und zusammen mit Elhan den kraftvollen Bannschutz errichtet.
„Für die Größe eines ganzen Dorfs mag das zutreffen, aber für so eine kleine Hütte reichen meine Kräfte alleine aus.“ Er nickte erneut in Richtung der Kräuter. „Besonders, wenn ich währenddessen etwas Ellemkraut verbrenne. Eine beeindruckende Pflanze, die die Magie der gesprochenen Worte noch verstärkt.“
Yarim betrachtete die Stängel des Krauts, von denen kreisrunde Blätter in einem dunklem Blaugrün abgingen, bevor er zu Elhan hinaufblickte. „Wie kann es eigentlich sein, dass ich die Kraft der Elementare nutzen kann? Ich besitze doch keinerlei magische Fähigkeiten“, wollte er wissen.
Eines der seltenen Lächeln des Druiden huschte über Elhans Gesicht. „Die Magie steckt in allem und jedem, mein Junge. Sie durchdringt unsere Welt, macht sie zu einem Ganzen und verbindet uns mit ihr.“
„Aber warum kann dann nicht jeder Magie benutzen, wenn sie doch in jedem von uns steckt?“ Das ergab in Yarims Augen einfach keinen Sinn.
„So einfach ist das nicht.“ Elhan seufzte und das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. „Die Frage ist, ob man die nötige Sensibilität besitzt, um sie wahrzunehmen. Nur wer die Magie in sich spürt, kann den Umgang mit ihr erlernen. Wer keine gewisse Grundsensibilität für die Magie besitzt, weiß nicht, auf was in seinem Inneren er zurückgreifen muss, um sie einzusetzen. Leider besitzen nur sehr wenige Menschen diese Fähigkeit. Deswegen halten sich die Druiden des Cirkels für etwas Besonderes, da sie den Umgang mit der Magie perfektioniert haben. Das ist der Grund, weshalb sie glauben, aus eigenem Ermessen für die Menschen in Elduram handeln zu können.“
„Und mit ihnen zu experimentieren“, fügte Yarim verbissen hinzu.
Elhan nickte stumm und kehrte in die Hütte zurück. Yarim warf einen letzten Blick auf das verkohlte Stückchen Erde, bevor er dem Druiden folgte und die Tür hinter sich schloss, die ein leises Knarren von sich gab.
„Kann ich den Umgang mit der Magie ebenfalls lernen?“ Hoffnungsvoll sah er zu Elhan hinüber, der sich mit Mörser, Stößel und einem Korb von den Regalen an dem Tisch niedergelassen hatte.
„Teilweise“, antwortete Elhan. „Die benötigte Grundsensibilität dürfte dir fehlen, ansonsten wäre schon längst dein magisches Potenzial an den Tag getreten. Aber das ist wie gesagt nur bei ein paar hundert Menschen in Elduram der Fall, die bedauerlicherweise fast alle früher oder später in die Hände des Cirkels geraten und zu dessen Gefolgsleuten ausgebildet werden.“ Der Druide holte einige Kräuter aus dem Körbchen, gab sie in den Mörser und verarbeitete sie mit dem Stößel zu feinem Pulver. Dann goss er einen Schluck Wasser hinzu und vermischte alles zu einem braunen Brei, der Yarim an die kühlende Tinktur der Kräuterfrau Gwala erinnerte. „Aber da der Cirkel deinen Geist mit der Essenz eines Feuerelementars verbunden hat, erlaubt dir dies die Kräfte der Feuerelementare zu nutzen. Ein normales Feuer kann auch ich heraufbeschwören und in Maßen meinem Willen unterwerfen, doch dir wird es möglich sein die Flammen zu lenken, wie immer es dir beliebt, um sie als Schutz oder als mächtige Waffe einzusetzen. Dazu musst du lernen die Kraft in deinem Inneren nach deinen Vorstellungen zu formen und sie gezielt mit Hilfe der Sprache der Elementare freizusetzen.“
Die Worte des Druiden riefen eine eigenartige Begeisterung in Yarim hervor. Magister Worys hatte von Feuerelementaren erzählt, die Feuerstrahlen auf ihre Feinde abschossen oder flammende Wände errichteten, um Angriffe abzuwehren.
Doch gleichzeitig spürte er auch einen schmerzhaften Stich in der Brust. „Bin ich dann immer noch eine Gefahr für andere Menschen?“
Ohne aufzusehen, kratzte Elhan die Paste aus dem Mörser und wickelte sie in ein mit Wachs beschichtetes Tuch. „Nicht, solange du lernst, deine Gefühle zu kontrollieren und dich nicht von den Instinkten des Elementars beherrschen zu lassen.“
Yarim nickte grimmig. Das würde er hinbekommen, ganz sicher. Und wenn nicht, dann würde er sich halt nie wieder in die Nähe von anderen Menschen wagen. Was mit seinem Dorf geschehen war, durfte nicht noch einmal passieren. Er würde nie wieder für den Tod eines unschuldigen Menschen verantwortlich sein. Das schwor er sich.
„Gut, genug geredet.“ Elhan erhob sich. „Da noch viel Arbeit vor uns liegt und ich nicht noch einmal riskieren möchte, dass du meine Hütte abfackelst, werden wir gleich mit deiner Ausbildung beginnen.“
Überrascht blickte Yarim zu dem Druiden auf. „Du willst mich unterweisen?“
„Was dachtest du denn, wer das tun wird? Ich will dich nicht belügen, Yarim, die meisten sind nicht gut auf Halbelementare zu sprechen, selbst die Druiden nicht, solange sie nicht dem Cirkel angehören. Und da ich davon ausgehe, dass du dich nicht in die Obhut des Cirkels begeben möchtest, um zu lernen deine Kräfte zu kontrollieren, bleibe nur noch ich übrig.“ Mit geschickten Handgriffen befreite Elhan Mörser und Stößel von den Resten der Paste und stellte sie zusammen mit dem Korb auf die Regale zurück. „Außerdem ist eine abgeschiedene Hütte der ideale Ort, um sich der Aufmerksamkeit der Menschen und des Cirkels zu entziehen.“
„Aber…“, zweifelnd sah Yarim den Druiden an, „hast du denn überhaupt genug Erfahrung, um mich in diesen Dingen zu unterweisen?“
Ein verschmitztes Grinsen erschien auf Elhans Lippen. „Erste Lektion: urteile niemals nur nach dem Äußeren. Ich mag kein grauhaariger Greis sein, wie sich die meisten einen erfahrenen Druiden vorstellen, dennoch wurde mir die Aufgabe zugeteilt, ein ganzes Dorf mit meinen Bannen zu beschützen. Keine Aufgabe, die man einem Neuling anvertrauen würde. Außerdem wird es nur wenige Menschen geben, die dich in der Sprache der Elementare unterweisen können, damit du ihre Macht in deinem Inneren voll ausschöpfen kannst.“
Er griff nach dem Tuch mit der Tinktur, hängte es an den Gürtel seiner Hose und band seine lange Mähne mit einem Stück Schnur zusammen. „Nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich dich zu spät wieder unter Kontrolle bekomme.“ Verschwörerisch zwinkerte er Yarim zu. „Wir wollen ja nicht, dass meinen Haaren dasselbe wiederfährt wie meinem Bart.“
Dann scheuchte er den überrumpelten Yarim wieder nach draußen. „Hopp hopp, lass uns keine weitere Zeit verschwenden.“
*ENDE DER LESEPROBE*
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Formen der Elemente:
Dunia - Erde
Mchanga - Sand
Jiwe - Gestein
Mito - Feuer
Kiuevo - Lava
Kuewa - Magma
Maji - Wasser
Theluji - Schnee
Barafu - Eis
Hewa - Luft
Ukato - Blitz
Gesi - Gas
Wörterbuch:
Ardhi - Boden
Boríti - Strahl
Claw - Klaue
Dhoruba - Sturm
Kizui - Barriere
Koni - Strudel
Kubwa - Regen
Makómbora - Geschoss
Mguu - Fuß
Mipira - Ball
Mkuki - Speer
Mlipuko - Explosion
Msingi - Elementar
Ndega - Flug
Nusumsingi - Halbelementar
Pande - Blase
Rigid - Schock
Sáhani - Schild
Shimoni - Welle
Silatu - Funke
Temeko - Beben
Ukuta - Wand
Wanyama - Tiere
Sätze
Kwamba siyo Kazi yetu. |
Das ist nicht unsere Aufgabe. |
Kwamba haijalishi. Nini linalokusumbua Wakuu wetu, kama tunaharibu chache ya Viumbe hawa waovu. |
Das ist doch egal. Was stört es unsere Fürsten, wenn wir noch ein paar dieser gottlosen Kreaturen vernichten. |
Hiyo si yake. Tulipata Amri. Na wasomaji Uvumi kuhusu Kukusanya Jeshi la Cirkel kupata chini. Baada ya hapo tutarudi na Ripoti hiyo. |
Darum geht es nicht. Wir haben einen Befehl bekommen. Und der lautet den Gerüchte über das Sammeln der Armee des Cirkels auf den Grund zu gehen. Danach sollen wir zurückkehren und Bericht erstatten. |
Sisi bila kuwa na marufuku, kuharibu juu ya Njia ya nyuma watu wengi kama Makazi iwezekanavyo. |
Uns wurde jedoch nicht verboten, auf dem Rückweg soviele Menschensiedlungen wie möglich zu zerstören. |
Hii ni kweli, lakini kama tu wao ni juu ya Njia ya moja. |
Das gilt aber nur, wenn sie auf dem direktem Weg liegen. |
Kusubiri. Si unataka kupigana. |
Wartet. Nicht wollen kämpfen. |
Unataka kujadili. |
Wollen verhandeln. |
Itabidi kufa, Nusumsingi. |
Du wirst sterben, Halbelementar. |
Tutaweza kuona. |
Das werden wir ja sehen. |
Unataka nini kutoka kwetu? |
Was willst du von uns? |
Hiyo Yarim, Xelife na Wenzi wao. Kama mimi tayari aliiambia wewe, wao hawataki kupigana nasi, lakini kuangalia kwa Kuzungumza na Wakuu wetu. |
Das sind Yarim, Xelife und ihre Gefährten. Wie ich euch bereits erzählt habe, wollen sie nicht gegen uns kämpfen, sondern suchen ein Gespräch mit unseren Fürsten. |
Je, sisi si kupambana nayo mateso yote na kuua na kuchafua Maisha yetu na Chuki? Hiyo haiwezi kuwa Sababu ni kwa nini Miungu alituumba. Hebu kutokea kwa kuwa haki Amani nyuma ni kutawala katika Elduram na tunaweza kuishi Maisha ya kuwa wametoa kwa ajili yetu Miungu. |
Sind wir es nicht alle Leid zu kämpfen und zu töten und unser Leben mit Hass zu verseuchen? Das kann nicht der Grund sein, weshalb die Götter uns erschaffen haben. Lasst uns passieren, damit bald wieder Frieden in Elduram herrschen soll und wir das Leben führen können, das die Götter für uns vorgesehen haben. |
Sisi tayari kusikia kwamba mtu anapaswa wameungana sisi na Msingi na nini ni mbaya sana Nusumsingi, lakini hakuweza kuamini. |
Wir haben bereits gehört, dass sich eine von uns mit Msingi und was viel schlimmer ist Nusumsingi zusammengetan haben soll, konnten es aber nicht glauben. |
Lakini Wakuu wetu imeamua kuacha Watu. Tunaweza kuwaua bado, hii inapaswa kuwa Mpya kesi ya mduara. |
Aber unser Fürst hat beschlossen, die Menschen anzuhören. Töten können wir sie immer noch, sollte das eine neue Falle des Cirkels sein. |
Hata Wakuu wetu anataka Watu kuona. Lakini si kufikiria hivyo, kwamba ni Tabia yako nzuri. Kuomba kuanzia leo kama Msaliti wa Watu wake mwenyewe, Kisulusuli. Hivyo si Matumaini ya upole, wakati hatua mbele Mtawala. |
Auch unser Fürst will die Menschen sehe. Aber bilde dir ja nicht ein, dass er dein Verhalten gut heißt. Du gilst ab heute als Verräterin am eigenen Volk, Kisulusuli. Hoffe also nicht auf Milde, wenn du vor Mtawala trittst. |
Kisulusuli kufanya vizuri kwa ajili yenu. Ili wewe na Usiama yako wanaweza kuishi tena kwa Amani. |
Kisulusuli tut das auch für euch. Damit ihr und eure Familien wieder in Frieden leben könnt. |
Nina zaidi ya Maisha yangu alitumia, Watu kuangalia na ni amepata kina katika Wilaya yao, kama wengi wenu. Mimi alisoma Watu, jinsi wanavyoishi, ni nini Matakwa yao na Ndoto na kile wanaogopa. Kila mahali nilikwenda, Watu walionekana furaha wakati wao walikuwa na Usiama zao wakati wao Kushindwa huzuni, kama hawakuweza kuwa pamoja nao au ilikuwa Maisha ya Wapendwa wao katika Hatari. Na Watu wote walikuwa na Hofu ya Wafuasi wa Cirkels mduara na nini watafanya kwao, kama Hawana kufuata Maagizo yao. |
Ich habe mehr Zeit meines Lebens damit verbracht, die Menschen zu beobachten und bin tiefer in ihr Gebiet vorgedrungen, als viele von euch. Ich habe die Menschen studiert, wie sie leben, was ihre Wünsche und Träume sind und wovor sie Angst haben. Überall wo ich hinkam, wirkten die Menschen glücklich, wenn sie bei ihren Familien waren, während sie die Trauer übermannte, wenn sie nicht bei ihnen sein konnten oder das Leben ihrer Liebsten in Gefahr war. Und überall hatten die Menschen Angst vor den Anhängern des Cirkels und was sie ihnen antun würden, wenn sie ihren Befehlen nicht Folge leisten. |
Kushikilia Ulimi wako, Kisulusuli. Je ni Ukweli na nini si, wewe si kuamua. |
Halte deine Zunge im Zaum, Kisulusuli. Was der Wahrheit entspricht und was nicht, hast nicht du zu entscheiden. |
Ich habe die Menschen erst nach allem getroffen, was Xelife gerade erzählt hat. |
Ich habe die Menschen erst nach allem getroffen, was Xelife gerade erzählt hat. |
Lakini nilikuwa kabla Vijiji kutosha kutoka Mbali kuzingatiwa katika, muda wa wameona kwa Macho yao wenyewe kwamba Maisha ya Watu akawa zaidi na zaidi. Na Sababu ya Kuzorota hii ilikuwa bila shaka Cirkel na Wafuasi, wake kwamba Ikiendelea kama wezi jamii miongoni mwa wakazi Wake mwenyewe. Pamoja na Uzoefu kiasi hiki haikuwa vigumu, kuona Ukweli nyuma ya Maneno ya Watu. |
Doch ich hatte in der Zeit davor genügend Dörfer aus der Ferne beobachtet, um mit eigenen Augen gesehen zu haben, dass das Leben der Menschen immer schlechter wurde. Und Grund für diese Verschlechterung war zweifelsohne der Cirkel und dessen Anhänger, die wie gemeinde Räuber unter der eigenen Bevölkerung wüteten. Mit dieser Erfahrung viel es mir nicht schwer, die Wahrheit hinter den Worten der Menschen zu erkennen. |
Nini wamezipata katika wewo. |
Was ist nur in dich gefahren. |
Nisamehe, Wakuu yangu, lakini siwezi kusimama domo kusimama kwa, wakati Mnafiki kama vile Kisulusuli anajaribu kutudanganya wote. Nadhani Watu neno. Wao ni inayotolewa kwa mamia Mizunguko dhidi yetu Vitani bila mmoja, wao ina hata alisita kwa muda Wakati, yeye alikuwa na Nafasi ya kuua mmoja wetu. Na sasa Watu wanataka mara moja Muungano na sisi, kuteka dhidi ya Adui yetu mbaya, Cirkel? Samahani, lakini siwezi kuamini. Na Kisulusuli ni ama ameyapofusha na sanaa Njama ya Watu, au kutafuta Mipango yao, wenyewe kwamba wanataka kujua sisi katika Imani kwa uaminifu Watu. Lakini kwamba itakuwa Kosa kubwa. |
Verzeiht mir, meine Fürstin, aber ich kann nicht tatenlos daneben stehen, wenn eine solche Heuchlerin wie Kisulusuli versucht uns alle zu täuschen. Ich glaube den Menschen kein Wort. Sie sind seit hunderten Zyklen gegen uns in den Krieg gezogen, ohne dass einer von ihnen auch nur einen Moment gezögert hat, wenn er die Gelegenheit dazu bekam, einen der unseren zu töten. Und jetzt wollen die Menschen auf einmal ein Bündnis mit uns, um gegen unseren ärgsten Feind, den Cirkel, zu ziehen? Tut mir leid, aber das kann ich einfach nicht glauben. Und Kisulusuli ist entweder so geblendet von den Verschwörungskünsten der Menschen oder verfolgt ihre eigen Pläne, dass sie uns in dem Glauben wissen will, den Menschen zu vertrauen. Aber das wäre ein gewaltiger Fehler. |
Yeye ana Locket yako. |
Sie hat euer Medaillon. |
Wakamteremsha chini, au mimi mwenge kutoka kwenu na Wasaidizi yako yote mwandamano kama Majani kavu! |
Lass ihn runter, oder ich fackle dich und dein ganzes jämmerliches Gefolge ab wie vertrocknete Blätter! |
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Tag der Veröffentlichung: 23.09.2015
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