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Der Wunsch der Götter

Flink rannte Talitha durch die Straßen von Theben und warf immer wieder ängstliche Blicke über ihre Schulter. Ihre langen, kastanienbraunen Haare wehten hinter ihr her und das Tappen ihrer Sandalen hallte von den Häuserwänden wider. Beinahe wäre sie mit einer kleinen, alten Frau zusammengestoßen, die ihre Einkäufe nach Hause trug. Hastig wich Talitha ihr in letzter Sekunde aus und nuschelte eine leise Entschuldigung, bevor sie ihren Weg wieder aufnahm.
Noch wurde sie nicht verfolgt, aber das konnte sich sehr schnell ändern. Ihr Vater, ein reicher Kaufmann und angesehener Bürger der Oberschicht, war gestern freudestrahlend nach Hause gekommen und hatte ihr ihren künftigen Ehemann vorgestellt. Auf jeden Fall, wenn es nach ihm ginge. Der Name ihres Zukünftigen war Aziz und er war ein angesehener Beamter am Hof des Pharaos. Talitha fand ihn allerdings nicht sehr ansehnlich. Er war locker zwanzig Jahre älter als sie, hatte schütteres Haar, das an seinem Hinterkopf kaum noch vorhanden war, und einen dicken Bauch von zu viel Bier und zu vielen Festmählern.
Ihre Heirat wäre der Wunsch der Götter, hatte ihr ihr Vater gesagt. Doch davon wusste Talitha nichts und da ihr die Götter auch sonst ihre Gedanken mitteilten, würde sie es doch wohl wissen, wenn sie solche Pläne für sie hätten.
Schlängelnd bewegte sich Talitha durch die Straßen ihrer Heimatstadt. Zweifellos war Theben eine der schönsten Städte Ägyptens, deren rotgebrannte Kacheln im Sonnenlicht glänzten. Der Nil teilte die Stadt in Theben-West und Theben-Ost, wodurch selbst zur heißesten Tagesstunde ein leichter Wind durch die Straßen fegte.
Rasch bog Talitha um die nächste Ecke und eilte auf den großen Marktplatz zu, der am Ende der Straße lag. Wie jeden Tag war auch heute der große Basar. Sie hoffte, in dem Gewirr der Menschen abtauchen und ihre Spuren verwischen zu können.
Ihre Gedanken kehrten wieder zu dem gestrigen Gespräch mit ihrem Vater zurück. Er hatte gemeint, sie solle froh sein eine so gute Partie abzubekommen. Mit ihren neunzehn Jahren sei sie schließlich auch nicht mehr die Jüngste und die hässliche Narbe auf ihrer Stirn wäre auch nicht gerade schön anzusehen. Mit ersterem hatte er wahrscheinlich Recht. Viele ihrer Freundinnen hatten schon mit vierzehn oder fünfzehn geheiratet. Talitha war in dem Alter den meisten Männer wohl noch zu eigensinnig und zickig gewesen, wie sie es gerne beschrieben. Allerdings war Talitha der Meinung, dass sie einfach nur ihre Ideale vertrat und eines davon war, keinen alten Fettsack zu heiraten, nur weil es für den Geldbeutel und die Geschäfte ihres Vaters gut wäre.
Als ihr Vater seine Pläne bezüglich Aziz und ihr verkündet hatte, hatte sie den mitleidigen Blick ihrer Mutter aufgefangen, den diese ihr zugeworfen hatte. Aber ihre Mutter war viel zu sehr die brave Ehefrau, als dass sie gegen den Entschluss ihres Ehemannes Einspruch erheben würde. Er und Aziz hatten gestern noch lange in seinem Arbeitszimmer gesessen und auf die vermeintliche Hochzeit angestoßen. Als sie endlich eingeschlafen waren und Talitha es wagen konnte ihren eilig gefassten Fluchtplan in die Tat umzusetzen, war die Sonne schon dabei ihre tägliche Bahn am Himmel zu beschreiten. Eigentlich hatte sie nachts fliehen wollen, aber nun musste es halt so gehen.
Talitha hatte das Ende der Straße erreicht und stürzte sich in das Menschengewirr auf dem Marktplatz. Schnell tauchte sie zwischen den Ständen ab und machte sich daran den Basar zu überqueren und in einer der gegenüberliegenden Gassen zu verschwinden.
Plötzlich hörte sie einen ohrenbetäubenden Knall und drehte sich erschrocken in die Richtung um, aus der das Geräusch gekommen war. Auf einem kleinen Podest kniete ein Mann, der an den Händen gefesselt und über einen Schemel gebeugt war. Sein Blick war starr auf die Holzbretter unter ihm gerichtet. Hinter dem Mann stand ein zweiter, der eine Peitsche in der Hand hielt. Der Mann holte aus und ließ den Lederriemen auf den Rücken des knienden Mannes niedersausen.
Keuchend presste sich Talitha eine Hand vor den Mund, um ihren erstickten Aufschrei zu unterdrücken. Der kniende Mann hingegen gab keinen Laut von sich. Talitha wollte zu gerne wissen, was er ausgefressen hatte, dass er hier öffentlich ausgepeitscht wurde. Obwohl, eigentlich wollte sie es lieber nicht wissen.
Gerade, als sie sich umdrehen und ihre Flucht fortsetzen wollte, hallte eine Stimme durch ihren Kopf. „Kaufe ihn.“ Verwirrt hielt sie inne. Bastet. Das war eindeutig Bastets Stimme, der Göttin der Freude und des Schutzes vor bösen Mächten. Talitha wusste nicht viel über diese Göttin. Sie wurde als Frau mit Katzenkopf oder gänzlich als Katze dargestellt. Doch die Darstellungsform verriet nicht viel über einen Gott. Ob er launisch, freundlich oder hinterhältig war, wusste sie immer erst nachdem sie mehrere Aufforderungen von ihm erhalten hatte. So war Chons, der Mondgott, im Gegensatz zum allgemeinen Glauben, sehr gesprächig und teilte sich ihr einfach nur mit, ohne einen direkten Befehl zu geben.
Talitha hatte Bastet nicht am Klang ihrer Stimme erkannt. Die Stimmen der Götter klangen immer unterschiedlich, mal hoch und mal tief, mal hell und mal dunkel. Je nachdem worauf die Götter gerade Lust hatten. Es war viel mehr das Gefühl, das die Stimme in ihr hervorrief. Bisher hatte Bastet zwar noch nie zu Talitha gesprochen, aber dennoch war sie sich sicher, dass es sich bei der Stimme um diese Göttin handelte.
Talitha ließ ihren Blick zurück zu dem Podest wandern und entdeckte nun auch das Schild. 'Sklaven für alles und jeden' stand darauf. Angewidert verzog sie das Gesicht. Sie hasste den Sklavenhandel. All diese Menschen hatten es nicht verdient, so behandelt zu werden. Talitha hatte einmal mit ihrem Vater über ihre Ansicht gesprochen, doch er hatte sie nur ausgelacht.
„Kaufe ihn!“, hallte Bastets Stimme erneut durch ihren Kopf, diesmal etwas drängender. Widerwillig trat Talitha an das Podest heran und zog den kleinen Lederbeutel unter ihrem Gewand hervor. Viel Geld hatte sie in der Eile nicht zusammenklauben können und hoffte nun, dass sie nicht alles für diesen Mann hergeben musste. Sie konnte sich immer noch nicht vorstellen, warum Bastet wollte, dass sie den Mann für sie kaufte, aber Talitha hatte gelernt, dass es nicht ratsam war die Befehle der Götter zu missachten.
„Wie viel wollt Ihr für diesen Mann haben?“ Sie deutete auf den knienden Mann und sah den Sklavenhändler wartend an. Dieser musterte sie unverhohlen, bevor er seinem Handlanger mit der Peitsche Einhalt gebot.
„Seid Ihr Euch sicher, dass Ihr diesen Mann kaufen wollt? Er ist äußerst eigensinnig und ungehorsam, ansonsten würde er die Peitsche nicht spüren müssen“, gab der Sklavenhändler zu bedenken und schenkte ihr ein hämisches Lächeln. Das Auspeitschen schien ihm Spaß zu machen. Nur mit Mühe schaffte es Talitha ihren bissigen Kommentar herunterzuschlucken und in der Rolle der kaufbereiten Kundin zu bleiben.
„Ich brauche einen kräftigen Mann mit einem starken Kreuz. Solange Ihr den Rücken des Mannes nicht weiter verstümmelt, scheint er mir das perfekte Exemplar zu sein. Den nötigen Gehorsam verschaffe ich mir dann schon. Macht Euch da mal keine Sorgen.“
Der Sklavenhändler sah sie noch einen Moment schweigend an, bevor er seinem Ange-stellten mit einem Handzeichen bedeutete den Mann zu sich zu führen. Gewaltsam drückte er ihm den Mund auf, um Talitha seine sauberen und lückenlosen Zähne zu zeigen.
„Wie Ihr seht, ist das Gebiss des Mannes einwandfrei.“
Ein ungutes Gefühl breitete sich in Talithas Magen aus. Die Zähne standen bekanntlich für die Gesundheit und Leistungsfähigkeit eines Sklaven. Dass dieser so gepflegte und unbeschädigte Zähne besaß, machte ihn nicht gerade zu einem Schnäppchen. Schnell schüttelte Talitha leicht den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. Egal wie die Zähne des Mannes aussahen, er war so oder so kein Schnäppchen, denn er war kein Sachgegenstand sondern ein Mensch.
„Und was verlangt Ihr für ihn?“
„Drei Gold- und sieben Silbermünzen“, verkündete der Sklavenhändler grinsend. Ein Raunen ging durch die umstehende Menschenmenge und auch der Sklave hob zum ersten Mal seinen Kopf. Irritiert erwiderte Talitha seinen Blick, der den ihren gefangen nahm. Der Ausdruck in seinen fast schwarzen Augen, passte so gar nicht zu dem, den sie sonst schon in den Augen von Sklaven gesehen hatte. Seine Augen sprühten nur so vor Willenskraft und Intelligenz.
Mühsam wandte Talitha ihre Aufmerksamkeit wieder dem Sklavenhändler zu. Das wäre doch gelacht, wenn sie hier nicht noch ein bisschen feilschen könnte. Auch für einen guten Sklaven war der Preis vollkommen überzogen und sprengte ihren Geldbeutel.
„Das ist Wucher“, ließ sie den Händler mit fester Stimme wissen. „Ich biete Euch ein Goldstück und fünf Silberstücke.“
Schallendes Gelächter entfuhr der Kehle ihres Geschäftspartners, der sich amüsiert auf die Schenkel klopfte. „Denselben Preis bekomme ich für einen Mann mit krummen Rücken und gelben, verfaulten Zähnen. Unter drei Gold und fünf Silberstücke, gehe ich nicht.“
Talitha wusste selbst, dass sie ihren Preis deutlich zu niedrig angesetzt hatte, doch nur so konnte sie auf einen vernünftigen Preisnachlass hoffen. „Das ist mir immer noch zu viel. Aber ich wäre bereit auf zwei Goldstücke zu erhöhen.“
„Drei Goldstücke. Dieses Exemplar ist einzigartig. Ihr findest kein zweites auf diesem Basar oder einem anderen.“
Stirnrunzelnd betrachtete Talitha den Mann, den sie gerade dabei war zu kaufen. Er hatte sie während der ganzen Zeit nicht ein einziges Mal aus den Augen gelassen. Zum Glück wollte sie ihn nicht wirklich behalten, sondern folgte nur dem Befehl Bastets. Der Sklavenhändler hatte zweifelsohne Recht, diesen Mann würde keiner so leicht zähmen.
„Zwei Gold- und zwei Silberstücke.“
„Zwei und acht Silberstücke.“
Talitha richtete ihren Blick fest auf den Sklavenhändler und legte so viel Autorität wie möglich in ihre Stimme. „Für diesen Preis bekomme ich ähnlich gute Sklaven, die ihre Arbeit genauso erfolgreich verrichten werden. Ihr selbst meintet dieses Exemplar sei besonders eigensinnig und ungehorsam. Mehr als zwei Gold- und vier Silberstücke ist er nicht wert.“
Verkniffen verzog ihr Handelspartner sein Gesicht. Dass sie ihn mit seinen eigenen Worten schlagen würde, hatte er nicht erwartet, das konnte man seinem Gesichtsausdruck deutlich ansehen. Ringsherum ertönte zustimmendes Stimmengemurmel.
Zufrieden lächelte Talitha in sich hinein. Auf diesem Basar würde der Händler diesen Sklaven nicht mehr verkauft bekommen, es sei denn er ging auf ihr Angebot ein. Das Aufblitzen seiner Augen signalisierte ihr, dass er das selbst ganz genau wusste.
„Für zwei Goldstücke und fünf Silberstücke gehört er euch“, versuchte er es noch einmal.
Fragend zog Talitha ihre Augenbrauen in die Höhe und stemmte ihre Hände in die Hüften. „Stellt Ihr mein Wort in Frage? Ich habe Euch gesagt, dass ich nicht mehr als zwei Goldstücke und vier Silberstücke ausgeben werde und dabei bleibe ich auch.“ Nun spürte sie die anerkennenden Blicke der umstehenden Menschen auf sich ruhen. Ja, das Handeln hatte sie schon immer beherrscht. Zum Leidwesen ihres Vaters, der behauptete, dass dies keine ehrenwerte Eigenschaft für eine junge Dame sei. Doch mit einem angesehenen Kaufmann als Vater, hatte sie diese Fähigkeit quasi mit der Muttermilch eingesogen.
„Gut, er gehört Euch.“

Die Stimme seines bisherigen Besitzers war ein leises Knurren, als er den Eigentumsüber-gang bekannt gab. Schnell übergab die junge Frau, in deren Besitz er sich nun befand, dem Sklavenhändler die vereinbarten Münzen, woraufhin sie seine Besitzurkunde erhielt, und winkte ihn zu sich herunter. Behände sprang Khaled von dem kleinen Podest und landete sicher auf seinen nackten Füßen. Seine Hände waren immer noch vor seinem Bauch zusammengebunden. Er rechnete auch nicht damit, dass sich das bald ändern würde, doch seine neue Herrin überraschte ihn. Sie zog ein kleines Messer unter ihrem langen Leinenumhang hervor, der ihre Gestalt fast vollkommen verbarg, und schnitt ihm die Fesseln durch. Dankend nickte Khaled ihr zu und rieb sich die wunden Handgelenke.
„Komm mit“, forderte sie ihn auf und bahnte sich schon einen Weg durch die umstehende Menschenschar. Khaled war zunächst verwundert, dass sie ihn einfach so ohne Fesseln oder Strick umherlaufen ließ. Andererseits würde er auf dem vollen Basar nicht weit kommen. Ein Fluchtversuch würde lediglich damit enden, dass er von irgendjemandem niedergeknüppelt und seiner jetzigen Besitzerin zurückgegeben werden würde. Also folgte Khaled ihr einfach durch die Menge zu einer schmalen Gasse. Geschmeidig bog seine junge Herrin um die Ecke und verschwand im Schatten der Häuserwände zwischen zwei hoch aufragenden Ziegelmau-ern. Anscheinend war ihr noch nie ein Sklave davongelaufen, ansonsten würde sie es nicht für selbstverständlich erachten, dass er ihr weiterhin folgte. Doch genau das tat Khaled, aus einem Impuls heraus, den er sich selbst nicht recht erklären konnte.
Hinter der nächsten Häuserecke blieb sie stehen und drehte sich zu ihm herum. Mit neugierigem Blick und schiefgelegtem Kopf musterte sie ihn.
Sie ist wirklich hübsch, schoss es Khaled durch den Kopf, als er sie ebenfalls genauer betrachtete. Ihre seidigen Haare flossen in leichten Wellen über ihre schmalen Schultern und umspielten ihre grazile Figur, die er unter dem Umhang nur erahnen konnte. Sie hatte hellgrüne Augen, die vor Scharfsinn und Lebensfreude geradezu zu sprühen schienen.
„Wie heißt du?“
Überrascht zog Khaled eine Augenbraue hoch. Noch keiner seiner bisherigen Besitzer hatte sich die Mühe gemacht nach seinem Namen zu fragen.

War der Mann taub, oder hatten ihm die Hiebe einfach nur den Verstand vernebelt? Wundern würde es Talitha bei den zahlreichen roten Streifen auf seinem Rücken nicht. Hektisch sah sie sich nach potenziellen Verfolgern um, doch ihr Blick kehrte immer wieder zu dem Mann zurück. Eigentlich schade um den schönen Rücken, dachte sie, als sie den athletischen Körperbau des Mannes bemerkte. Seine Schultern waren breit und kräftig und unter der Haut an seiner Brust und seinem Bauch zeichneten sich gut definierte Muskeln ab. Er hatte schwarze, verwuschelte Haare, die ihm bis in den Nacken hingen und ein Paar fast schwarze Augen, die im Sonnenlicht schokoladenfarben glänzten und aus denen er ihren neugierigen Blick erwiderte.
Eindeutig ansprechender als Aziz. Da kann man nur hoffen, dass die Wunden wieder verheilen. Schnell schüttelte Talitha ihren Kopf, um wieder zu klarem Verstand zu kommen. Solche Gedanken konnte sie sich jetzt nicht leisten.
„Khaled. “
Verblüfft wandte sie sich ganz dem Mann zu und sah ihn verständnislos an.
„Ihr habt gefragt wie ich heiße. Khaled“, wiederholte dieser.
Ich müsste mich eindeutig mehr konzentrieren. „Gut, Khaled. Entweder du setzt dich in Bewegung und wir verschwinden hier so schnell wie möglich, oder ich lasse dich hier stehen. “
Nun war er derjenige, der Talitha überrascht ansah. „Ihr wollt mich freilassen? Aber Ihr habt mich doch eben gerade erst gekauft.“ Ungläubig sah er sie an und schien seinen Ohren nicht zu trauen.
Angestrengt kniff Talitha ihre Augen zusammen und strich sich den Pony aus der Stirn. Als sie merkte, was sie da tat, brachte sie ihn jedoch schnell wieder in seine eigentliche Position. Früher hatte sie keinen Pony getragen, doch seit sie sich den Kopf am Türrahmen angeschlagen hatte, nutzte sie ihn um die kleine Narbe über ihrem Auge zu verbergen.
Als Talitha mit blutender Stirn in die Küche gekommen war, hatte ihre Mutter sie entsetzt angesehen und gefragt, wie man nur gegen einen Türrahmen laufen kann. Ausweichend hatte Talitha mit den Schultern gezuckt. Sie hätte ihr ja auch schlecht antworten können, dass das ein Racheakt Seths war, weil sie dem kranken Kätzchen, das sie damals pflegte, nicht den Todesstoß geben wollte. Bei der Erinnerung schüttelte es sie. Seth war ihr von allen Göttern wirklich am unangenehmsten.
Blinzelnd öffnete Talitha ihre Augen wieder und konzentrierte sich erneut auf Khaled. Bastet hätte ihr ruhig sagen können, was sie jetzt mit dem halbnackten Mann vor ihr anfangen sollte. Aber wie auch alle anderen Götter schwieg sie, sobald ihre Worte ausgeführt waren. Auf Talithas Fragen antworteten sie nur in absoluten Ausnahmesituatio-nen.
„Was soll ich denn mit einem Sklaven?“, entgegnete sie kopfschüttelnd. „Komm mit oder bleib hier. Du hast die Wahl.“ Erwartungsvoll legte sie den Kopf schief und sah den Mann vor sich an.

Khaled hätte mit allem gerechnet, aber nicht damit. Keiner kaufte einen Sklaven, um ihn gleich darauf freizulassen. Er war nun schon seit fünf Jahren nicht mehr Herr über seinen eigenen Körper und während der ganzen Zeit hatte er noch nie von einem Sklaven gehört, der freigelassen wurde. Aber anscheinend geschahen immer noch Wunder.
Dennoch blieb Khaled misstrauisch. Wer wusste schon, welches Ziel seine neue Herrin verfolgte. „Und Ihr werdet mir keine Hunde auf den Hals hetzen, um mich wieder einzufangen?“
Bei seinen Worten bildete sich Entsetzen auf dem Gesicht der Frau ab. „Um Himmelswil-len, NEIN!“ Entgeistert hob sie in einer abwehrenden Geste ihre Hände und schüttelte heftig den Kopf. „Das wäre absolut barbarisch. Wenn ich sage, dass du gehen kannst und frei bist, dann meine ich das auch so.“
Die heftige Reaktion der jungen Frau zerstreute Khaleds Zweifel an ihren Worten. Sie schien eine der wenigen zu sein, die nicht viel von der Sklaverei hielten. Warum sie aber ausgerechnet ihn gekauft hatte, um ihn jetzt freizulassen, blieb ihm ein Rätsel. Jedoch war es Khaled nicht sonderlich wichtig dieses zu lösen. Vielmehr wollte er so schnell wie möglich in den Tempel zurück, den er vor sechs Jahren verlassen musste.
Damals war er der Sohn des Hohepriesters der Stadtgöttin von Baset gewesen und hatte zusammen mit seinem Vater in ihrem Tempel gelebt. Und obwohl er der Göttin treu ergeben war, hatte sie ihn nicht vor dem schrecklichen Verrat bewahrt, den er mit neunzehn Jahren erleiden musste. Zu der Zeit galt Khaled als der vielversprechendste junge Priester und sollte als zweiter Hohepriester die Rolle als Stellvertreter seines Vaters einnehmen. Doch selbst in den heiligen Hallen von Bastets Tempel keimte daraufhin Neid und Niedertracht auf. Die anderen Priester, die ihr Amt schon um einiges länger inne hatten als Khaled, missgönnten ihm seinen Erfolg. Also ersannen sie einen hinterlistigen Plan, um ihn und seinen Vater von den oberen Rängen zu vertreiben und selbst die Macht über den Tempel zu erlangen.
Vor Khaleds Einführungszeremonie legten sie ihm eine alte Schrifttafel vor, die keiner zu entziffern vermochte. Die Hieroglyphen auf ihr waren älter als die Pyramiden selbst und gehörten einem längst vergessenen Dialekt an. Da Khaled als der gelehrteste unter den Priestern im Umgang mit den alten Schriften galt, forderten sie ihn auf die Tafel zu übersetzen. Erst dann würde er sich seines Amtes als würdig erweisen. Khaleds Vater und er selbst entdeckten hinter der Aufgabe keine Bosheit, sondern erachteten sie eher als angemessene Prüfung.
Also machte Khaled sich daran die alte Steintafel zu übersetzen. Schneller als gedacht konnte er die Hieroglyphen entziffern und eilte schon am vierten Tag zu seinem Vater und den anderen Priestern und erzählte ihnen von seinem Erfolg. Doch statt ihm zu gratulieren, beschuldigten ihn die anderen des Betrugs. Keinem vor ihm sei es möglich gewesen die Schrifttafel zu übersetzen und er wolle es schon in vier Tagen geschafft haben? In ihren Augen war das nichts anderes als Hochstapelei, sodass sie nicht einmal seine übersetzten Worte hören wollten.
Daraufhin entbrannte am Abend zwischen Khaled und seinem Vater ein heftiger Streit. Khaled konnte nicht verstehen, dass sein Vater einfach still daneben gestanden und nicht für ihn eingetreten war. Schließlich wusste er am besten von seinem Wissen um die alten Schriften und hätte als sein Vater wissen müssen, dass er nie und nimmer betrügen würde, um ein Amt zu erhalten.
Doch Khaleds Vater beharrte darauf, dass er in der Situation als der Hohepriester von Bastet und nicht als sein Vater vor ihm gestanden hatte und somit sein Wissen als Vater keine Rolle spielte. Schließlich dürfe es nach außen hin nicht den Anschein erwecken, als habe Khaled nur aufgrund seiner familiären Bande zum Hohepriester sein neues Amt erhalten. Der Streit der beiden reichte bis in die späten Abendstunden und wollte einfach kein Ende finden. Als der Mond schon hoch am Himmel stand, verließ Khaled letztendlich wutentbrannt die Gemächer seines Vaters. Da sie an diesem Tag zu keinem gemeinsamen Entschluss zu kommen schienen, wollte Khaled das Thema verschieben. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.
Am nächsten Morgen fanden die anderen Priester seinen Vater tot in seinen Gemächern auf. Er lag in einer riesigen Lache seines eigenen Blutes auf dem Boden, mit drei tiefen Stichverletzungen in der Brust. Als Tatwaffe wurde Khaleds Zeremonienmesser identifiziert. Als Khaled die Kunde von dem Tot seines Vaters und seiner angeblichen Rolle dabei erreichte, floh er augenblicklich aus dem Tempel. Es blieb ihm nicht einmal Zeit um seinen Vater zu trauern, denn kaum war er den Tempelwachen entkommen, geriet er in die Hände von Sklavenhändlern, die ihn niederschlugen und fesselten. Als er wieder das Bewusstsein erlangte, befand er sich auf einem großen Sklavenmarkt, auf dem er an seinen ersten Herren verkauft wurde.
Doch in all den Jahren, die seitdem vergangen waren, hatte er die Worte auf der Steintafel und den Verrat der anderen Priester nicht vergessen. Vielmehr hatte er auf eine Gelegenheit gewartet, dem tristen Sklavendasein zu entkommen und sich all das zurückzuholen, was man ihm genommen hatte. Seinen Vater konnte ihm zwar keiner wiedergeben, aber er könnte dafür sorgen, dass die wahren Täter bestraft wurden. Und nun, nach den vielen Jahren des Wartens, bot sich ihm endlich die ersehnte Gelegenheit alles seinem gerechten Ende zuzuführen.
„Wenn Ihr mir wirklich die Wahl lasst, dann wähle ich die Freiheit und gehe meinen eigenen Weg.“ Aufmerksam betrachtete Khaled das Gesicht seiner Nochbesitzerin. Doch ihre Gesichtszüge verrieten ihm nicht im Mindesten, was in ihrem hübschen Köpfchen vorging. Vielmehr schien sie in seinem Blick zu lesen, als andersherum.
„Gut, dann trennen sich unsere Wege hier.“ Mehr bekam er nicht als Antwort.
Mit einem dankbaren Lächeln auf den Lippen nickte Khaled der jungen Frau vor sich zu, drehte sich um und verschwand hinter der nächsten Ecke.

Talitha sah Khaled hinterher, wie er aus ihrem Blickfeld verschwand. Wer auch immer er war, er schien in Bastets Gunst zu stehen. Ansonsten hätte die Göttin wohl kaum von ihr verlangt ihn freizukaufen.
Schulterzuckend beließ Talitha es dabei und kümmerte sich wieder um ihre eigenen Probleme. Sie spähte noch einmal um die Mauerecke zum Basar zurück. Mitten auf dem Platz stand eine Gruppe aus fünf Soldaten, die die umstehenden Leute befragten. Die Männer trugen kunstvoll gefaltete Schurze, die vor dem Bauch mit einer Bindung fixiert waren und bis zu den Knien reichten. Der Oberkörper war frei. Einer der Männer, dessen Kopf kahlgeschoren war, trug als einziger einen goldenen Oberarmreif. Dieser wies ihn als Befehlshaber des Trupps aus.
Zitternd zog sich Talitha wieder hinter die Mauer zurück. Ihr Verschwinden war also schon bemerkt worden. Sie hatte nichts anderes erwartet, als dass ihr Vater ihr Wachen hinterherschickte, dennoch hatte sie gehofft, dass es etwas länger dauern würde. Ohne weiter viel Zeit zu verschwenden, rannte sie die Gasse hinunter und bog an der nächsten Ecke nach links ab, entgegengesetzt der Richtung, in die Khaled verschwunden war.
Im Schatten der hohen Lehmziegelwände huschte Talitha durch die engen Straßen, immer darauf bedacht möglichst von niemandem gesehen zu werden. Katzen saßen auf den hohen Mauern und blickten zu ihr hinunter, während ihre Artgenossen auf dem Boden die Flucht ergriffen, sobald Talitha an ihnen vorbeieilte.
Flink wie ein Wiesel huschte sie durch Theben-Ost Richtung der Brücken, die die beiden Stadtteile miteinander verbanden. Eine große gemauerte Steinbrücke war die Hauptverbin-dung und wurde für den Handel von Theben-Ost nach Theben-West genutzt. Die drei kleineren Brücken waren zu schmal, um das parallele Durchkommen in beide Richtungen zu gewährleisten. Vor allem wenn die Händler sie mit ihren Karrer überqueren wollten. Eine der kleineren Brücken war sogar so schmal, dass sie nicht einmal zwei Kamele nebeneinander überqueren konnten. Aus diesem Grund wurde die Brücke kaum noch genutzt und verfiel langsam.
Genau diese Brücke steuerte Talitha jetzt an. Als sie sie erreichte, stellte Talitha erfreut fest, dass weit und breit keine Soldaten zu entdecken waren. Dennoch wartete sie einen Moment und beobachtete ihre Umgebung genau, bevor sie sich einen Ruck gab und auf die Brücke zu huschte. Geschwind rannte sie über die bröckelnden Steine und erreichte ungehindert das andere Ufer.
Links von ihr lag das Ramesseum, dessen mit Hieroglyphen versehene Steinmauern und Säulen von der Kraft und Gerechtigkeit Ramses ll berichteten. Sie hatte den Pharao schon einmal bei einer Parade durch Theben gesehen und seine Macht und Autorität gespürt. Er war eine stattliche Erscheinung. Groß mit langen, sehnigen Muskeln und breiten Schultern. Die Ehrfurcht, die er verbreitet hatte, war in der ganzen Menschenmenge zu spüren gewesen. Ob dieser Pharao, der so viel Wert auf Gerechtigkeit legte, wohl damit einverstan-den war, wenn Frauen zu einer Hochzeit gezwungen wurden?
Betrübt schüttelte Talitha den Kopf und setzte ihren Weg fort. Der Gedanke führte doch zu nichts. Der Pharao Ägyptens hatte sicherlich andere Probleme, als sich mit dem Kummer einer jungen Frau auseinanderzusetzen, weil ihre Eltern ohne ihre Zustimmung einen Ehemann für sie ausgesucht hatten.
Schnell entfernte sich Talitha vom Nilufer und tauchte in den Straßen Theben-Wests unter.

Er hatte seine Freiheit wirklich wieder. Khaled konnte es noch nicht fassen, dass er nach all den Jahren in Gefangenschaft, denn nichts anderes war die Sklaverei, wieder sein eigener Herr war. Mit großen Schritten ließ er den Basar hinter sich und eilte auf das Stadttor von Theben-Ost zu. Auf seinem Weg fischte er ein weißes Leinenhemd von einer Wäscheschnur, die in einem Hinterhof gespannt war. Schnell streifte er es sich über den Kopf, um die aufgerissenen Striemen auf seinem Rücken und somit auch seine Vergangenheit als Sklave zu verbergen. Doch als er sich endlich durch das Gewirr der schmalen Gassen gekämpft hatte, musste er feststellen, dass das Tor geschlossen war. Das war seltsam, denn normalerweise war es bis zum Sonnenuntergang geöffnet. Alleine schon wegen der Händler und Kaufleute, die tagtäglich nach Theben kamen.
Irritiert ging er zu einem der Soldaten, der neben dem Stadttor Wache stand. „Warum ist das Tor geschlossen?“
„Befehl von oben“, gab der Soldat schulterzuckend zurück, ohne viele Worte zu ver-schwenden. Doch mit dieser knappen Antwort wollte sich Khaled nicht zufriedengeben.
„Und zu welchem Zweck? Der ganze Handel Thebens leidet doch jetzt darunter.“
Daraufhin warf ihm der Soldat einen schiefen Seitenblick zu, bevor er antwortete. „Eigentlich geht es dich ja nichts an, aber einem der reichsten Kaufleute Thebens scheint die Tochter entlaufen zu sein. Er vermutet, dass sie durch dieses Tor abhauen will und hat es deswegen schließen lassen. Genug Einfluss hat er dafür.“ Nach einer kurzen Pause und einem abfälligen Schnauben fügte er hinzu: „Wäre das meine Tochter, dann könnte sie aber was erleben, wenn ich sie wieder eingefangen hätte. Oder noch viel eher, sie wäre gar nicht so ungehorsam gewesen einfach so wegzulaufen.“
Auf diese Aussage hin, nickte Khaled nur und entfernte sich von dem Soldaten. Seine Worte erinnerten ihn viel zu sehr an das Verhältnis zwischen ihm und seinen früheren Besitzern, als an das zwischen Vater und Tochter.
Da es in Theben-Ost außer diesem Stadttor nur noch ein kleineres gab, durch das Khaled als Sklave die Stadt betreten hatte, machte er sich auf den Weg zu dem zweiten Tor. Doch als er dort ankam, bot sich ihm das gleiche Bild wie beim ersten Stadttor. Jedoch war der Soldat, der hier Wache stand, etwas gesprächiger. Er riet Khaled den Nil zu überqueren und zum Haupttor im anderen Stadtteil zu gehen, um Theben zu verlassen. Dieses Tor würde immer offen stehen, es sei denn der Pharao selbst veranlasse dessen Schließen.
Seufzend bedankte sich Khaled für diese Information und kehrte um. Dass er jetzt das Stadttor von Theben-West nehmen musste, gefiel ihm gar nicht. Denn so würde er den Nil später an einer anderen Stelle erneut überqueren müssen, um nach Baset zu gelangen, das am östlichen Nilufer lag. Aber wenn er keine Zeit verlieren wollte, und der Soldat hatte ihm nicht sagen können wie lange das Tor noch geschlossen blieb, musste er diesen Umweg wohl auf sich nehmen.
Die Straße zu der großen Verbindungsbrücke war von zahlreichen Geschäften gesäumt. Der Duft frischen Fladenbrots mischte sich mit dem der unzähligen Gewürze, die in einem Laden in großen Glasgefäßen angeboten wurden. Tiefrotes Paprika- und orangenes Safranpulver sowie gelber Kurkuma eiferten um die Wette und konnten es fast mit den schillernden Seidentüchern aufnehmen, die im Nachbargeschäft feilgeboten wurden. Handwerker präsentierten auf flachen Holztischen vor ihren Läden ihre Töpferware oder kunstvoll geschmiedete Messer und reichverzierte Schmuckstücke. Die eine oder andere Frau blieb vor den Ständen stehen und hielt sich eines der Stücke an.
Geschickt schlängelte sich Khaled durch die Menschentrauben, die sich vor den Geschäf-ten bildeten, in denen Händler besonders lautstark ihre Waren priesen. Khaled war zwar nicht sonderlich stolz darauf, doch er hatte sich in den letzten sechs Jahren, die eine oder andere zwielichtige Eigenschaft angeeignet, die ihm jetzt von Nutzen war. Unbemerkt angelte er einen der Brotfladen vom Stand des Brotverkäufers und verschwand ungesehen in der Menge. Auch wenn er nicht viel vom Stehlen hielt, so musste er doch zunächst darauf zurückgreifen, bis er eine Möglichkeit gefunden hatte, an Geld zu gelangen.
Zwischen den Kamelen, Pferden und von Ochsen gezogenen Karren überquerte er mit den anderen Passanten die gemauerte Steinbrücke.
Auf der anderen Seite angekommen, fielen ihm die Soldaten auf, die links und rechts vom Brückenaufgang standen. Anscheinend wird auch hier schon nach der entlaufenen Kaufmannstochter gesucht, kam es ihm in den Sinn, während er die Steinbrücke hinter sich ließ und sich auf den Weg zum Stadttor machte.

Ihr anfängliches Glück schien Talitha langsam zu verlassen, denn immer öfter erspähte sie nun Soldaten und konnte sich gerade noch in letzter Sekunde im Schatten der Häuserwände verstecken. Vielleicht würde sie es wirklich bis zum Stadttor schaffen, doch wie sie es passieren sollte, blieb ihr ein Rätsel. Einige der Soldaten kannten sie persönlich, da sie Freunde ihres Vaters waren. Und selbst wenn keiner von ihnen am Tor Wache stehen würde, so hätte ihr Vater sie den anderen bestimmt haargenau beschrieben. Damit sanken ihre Chancen aus Theben herauszukommen und somit der verhassten Hochzeit zu entfliehen gegen Null.
Ihr musste schnell etwas einfallen, oder sie würde den Rest ihres Lebens an der Seite von Aziz verbringen müssen. Alleine bei diesem Gedanken schüttelte es sie schon. Ekel keimte in ihr auf, als sie daran denken musste welche Pflichten das Ehefrausein noch mit sich brachte. Schnell vertrieb sie die Bilder von ihr und Aziz im gemeinsamen Schlafgemach aus ihrem Kopf. Noch war ihre Flucht nicht gescheitert und sie würde es auch nicht dazu kommen lassen.
Achtsam huschte sie von Schatten zu Schatten und zog die Kapuze ihres Umhangs auf ihren Kopf. Eigentlich hatte sie sie schon viel früher tragen wollen, doch als glaubwürdige Sklavenkäuferin hatte sie sie nicht aufsetzen können und danach hatte sie es schlichtweg vergessen. Ein Fehler, der ihr nicht noch einmal unterlaufen durfte. Sie konnte nur hoffen, dass sie keiner gesehen hatte. Aber wenn dies der Fall wäre, hätten sie die Soldaten bestimmt schon längst wieder eingefangen.
Vorsichtig spähte Talitha um die nächste Ecke und sah sich zwei Soldaten gegenüber. Die nackten gestählten Oberkörper kündeten von ihrer guten Ausbildung und körperlichen Verfassung. Erschrocken zuckte Talitha zurück, als einer der beiden seinen Kopf drehte und ihr direkt in die Augen sah. Ohne lange zu überlegen machte sie auf dem Absatz kehrt und rannte, als wäre Seth höchstpersönlich hinter ihr her. Der einzige Vorteil den sie hatte, war ihre zierliche Gestalt, Dank der sie sich mühelos durch die Menschenmassen schlängeln und durch schmale Mauerspalten schlüpfen konnte. Dennoch holten ihre beiden Verfolger langsam aber sicher zu ihr auf.
Panisch bog Talitha um die nächste Ecke und stellte voller Entsetzen fest, dass sie in eine Sackgasse gelaufen war. Vor ihr und zu beiden Seiten erhoben sich glatte Mauern. Wenn sie keine Möglichkeit finden würde über diese hinüberzuklettern, würde sie in wenigen Sekunden, von den beiden Soldaten flankiert, zu ihrem Elternhaus zurückgeführt werden. Das konnte sie nicht zulassen. Haltsuchend tastete Talitha die Mauer vor sich ab, auf der Suche nach einem Vorsprung, an dem sie sich hinaufziehen konnte. Doch sie fand keinen. Tränen der Wut und der Angst stiegen ihr in die Augen und brachten ihren Blick zum Ver-schwimmen, als sie Schritte von zwei Fußpaaren am Anfang der Gasse hörte.

Gemeinsame Wege

Khaled wollte sich gerade zu den Menschen gesellen, die durch das große Stadttor Theben-Wests die Stadt verließen, als er aus den Augenwinkeln wahrnahm, wie zwei Soldaten in einer von der Hauptstraße abgehenden Seitengasse hinter einer Kapuzengestalt herrannten. Überrascht blieb er stehen und sah der Gestalt nach, die gerade dicht gefolgt von den beiden Männern hinter der nächsten Ecke verschwand. Diesen Umhang kannte er doch. Es war derselbe, den die junge Frau getragen hatte, die ihn freigekauft hatte. Er war sich dessen sicher, weil ihm zuvor schon die kleine aufgestickte Lotusblüte aufgefallen war, die sich auch auf dem Umhang der Fliehenden befand. An derselben Stelle. Zudem ließen die Umrisse der Person klar erkennen, dass unter dem Umhang eine zierliche Frau steckte.
Gerade, als die Menschen hinter Khaled zu drängeln begannen, da er einen Teil der gepflasterten Straße zum Tor versperrte, überkam ihn der plötzliche Drang, den dreien zu folgen. Ohne lange darüber nachzudenken wo der Impuls herkam, kämpfte er sich entgegengesetzt der Laufrichtung der anderen Menschen durch die Straße, bis er aufatmend die Gasse erreichte, in der die Soldaten und das Mädchen verschwunden waren.
Natürlich war die Gasse mittlerweile leer und Khaled hoffte inständig, dass er an der nächsten Gabelung seine Verfolgung nicht schon aufgeben musste.
Am Stadtrand, abseits vom Nil, waren die Straßen noch schmaler als sonst. Die Häuser standen alle dicht beieinander und waren nichts anderes als aus Lehm gefertigte Hütten. Hier lebte der arme Teil der Bevölkerung, deren Hinterhöfe nicht durch den Schatten von Palmen oder Zypressen oder des Plätschern eines Brunnes Abkühlung versprachen. Lediglich halb verhungerte Hühner liefen über den Hof und pickten das bisschen Unkraut zwischen den Steinen hervor. Eigentlich schon traurig, wie nah Reichtum und Armut beieinanderlagen. Hier kämpfte die Bevölkerung Thebens um jeden Brotkrumen, während sich ein paar Meter weiter eine der größten Handelsstraßen befand. Zugegeben, unter Ramses ll hatte sich die Armut verringert, aber aus der Welt geschafft war sie immer noch nicht.
Schlitternd kam Khaled vor der nächsten Abzweigung zum Stehen. Er näherte sich der Ecke vorsichtig und spähte zuerst in die rechts liegende Gasse. Nichts, außer einer mageren Katze und einer weiteren Gabelung ein paar Meter weiter. Schon leicht frustriert drehte er seinen Kopf und wurde doch noch fündig. Die linke Abzweigung endete in einer von hohen Mauern umgebenen Sackgasse.
Die junge Frau versuchte verzweifelt an einer der Mauern hochzuklettern, während die Soldaten sie nur belustigt dabei beobachteten.
„Ihr müsst Talitha sein. Wir haben den Auftrag euch nach Hause zu geleiten“, ließ sich einer der beiden Soldaten vernehmen.
„Und wenn ich es nicht bin?“, entgegnete die Frau über ihre Schulter, ohne sich die Mühe zu machen sich umzudrehen.
„Dann müsst Ihr ihr Zwilling sein. Die Beschreibung passt haargenau.“
Verdutzt hielt Khaled inne. Erst jetzt fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Das Mädchen war die entlaufene Kaufmannstochter. Doch die neue Erkenntnis ließ die Frage in ihm nur noch lauter werden, warum sie ihre Zeit, und bestimmt auch ihr weniges Geld, damit verschwendet hatte ihn freizukaufen. Irgendwie passte das alles nicht zusammen und dennoch hatte sie es getan.
„Würdet Ihr jetzt bitte zu uns herüberkommen, damit wir Euch bei Eurem Vater abliefern können?“ Es war aus den Worten des Soldaten deutlich herauszuhören, dass die Frage mehr ein Befehl, als eine nette Bitte war.
„Nein, werde ich nicht. Ich bin keines seiner Handelsgüter, auf dessen Zustellung er einfach so warten kann. Ich bin ein freier Mensch und meine eigene Herrin.“
Überrascht horchte Khaled auf. Er hatte noch nie miterlebt, dass sich eine Frau gegen einen älteren Mann stellte. Und schon gar nicht gegen einen Soldaten. Dennoch hatte die junge Frau, von der er nun wusste, dass sie Talitha hieß, ihre Worte mit Nachdruck hervorgebracht. Auch wenn sie ein leichtes Zittern nicht aus ihrer Stimme verbannen konnte.
Die beiden Soldaten schienen ebenso verblüfft zu sein wie Khaled, denn sie warfen sich irritierte Blicke zu und nuschelten etwas von ‘Ungehorsam‘ und ‘schlecht erzogener Tochter‘. Doch Khaled hingegen imponierte das Verhalten Talithas eher. Sie hatte Charakter und das gefiel ihm.
„Es tut uns leid, aber wenn Ihr nicht freiwillig mit uns kommen wollt, dann müssen wir Gewalt anwenden“
Nun war deutlich zu erkennen, dass die Schultern der jungen Frau zu zittern begannen. Was auch immer sie zu Hause erwartete, wenn es so schrecklich war, dass sie weglief und sich jetzt sogar gegen die Soldaten des Pharaos auflehnte, dann sollte sie niemand dazu zwingen dorthin zurückzukehren.
Gerade als Talitha an der Mauer herunterrutschte und sich als eng verschlungenes Paket auf dem Boden zusammenkauerte, trat Khaled hinter der Mauerecke hervor. Blitzschnell verpasste er dem ersten Soldaten einen gekonnten Schlag gegen die Schläfe, woraufhin dieser wie ein nasser Sack in sich zusammenbrach. Durch das Stöhnen seines Kameraden, als dieser zu Boden sank, auf Khaled aufmerksam gemacht, wirbelte der zweite Soldat herum. Taumelnd wich er Khaleds Fuß aus, der auf seinen Kopf zuraste. Er war schnell, das musste Khaled ihm lassen.
Mit einer gekonnten Drehung platzierte sich Khaled neu und festigte seinen Stand. Er behielt den Soldaten im Auge, der hastig nach seinem Schwert griff, das an seiner Seite hing, und versuchte es aus der Scheide zu ziehen. Dabei beging er den Fehler seinen Blick einen Moment zu senken. Die Gelegenheit nutzend, holte Khaled erneut aus und traf den Kopf des Mannes in dem Moment, als dieser mit einem triumphierenden Grinsen im Gesicht seinen Blick hob und das Schwert zog.
Polternd ging auch der zweite Soldat zu Boden und blieb reglos neben seinem ebenfalls außer Gefecht gesetzten Kameraden liegen.

Fassungslos sah Talitha von den am Boden liegenden Männern zu Khaled hoch. Er sollte ein normaler Sklave sein? Das konnte ihr keiner erzählen.
Wie er den ersten Mann niedergestreckt hatte, hatte sie nicht mitbekommen. Erst der dumpfe Aufprall des Körpers auf dem Boden hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Durch ihren Tränenschleier hindurch hatte sie nur unscharf wahrgenommen, wie Khaled gegen den zweiten Soldaten vorgegangen war. Doch was sie gesehen hatte, reichte aus, um die Vermutung anzustellen, dass er nicht schon immer ein Sklave gewesen war.
Schnell blinzelte sie die Tränen weg, die sich in ihren Wimpern verfangen hatten. Eigentlich hatte sie nicht damit gerechnet, Khaled noch einmal wiederzusehen. Jetzt wo er frei war, hatte er die Möglichkeit endlich einmal wieder zu tun was immer er wollte und zu gehen wohin er wollte. Und dann tauchte er ausgerechnet wieder bei ihr auf?
Aber beschweren wollte sie sich nun wirklich nicht. Ohne ihn wäre sie jetzt wieder auf dem Weg zurück zu dem Haus ihrer Eltern und ab ins Unglück, denn dass sie mit Aziz nicht glücklich werden würde, war ihr mehr als klar.
Sie saß immer noch leicht verschreckt auf dem Boden, als Khaled ihr hilfsbereit seine Hand entgegenstreckte und ihr aufhelfen wollte. Einen Moment sah sie auf seine Hand, richtete sich dann jedoch aus eigener Kraft auf. Dass er sie weinen gesehen hatte, war ihr schon unangenehm genug. Talitha hasste es so nah am Wasser gebaut zu sein und gab sich normalerweise alle Mühe nicht in der Öffentlichkeit zu weinen. Aber gerade waren einfach alle Gefühle und die Angst ihr Leben lang in einer verhassten Ehe zu stecken in ihr hochgekommen und sie hatte es nicht geschafft die Tränen zurückzuhalten.
Schnell wischte sich Talitha die letzten salzigen Tropfen von den Wangen und schob sich verlegen eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Danke für deine Hilfe“, brachte sie leise hervor und schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln. Irgendwie wusste sie nicht was sie sonst sagen sollte. Dieser Mann hatte sie gerade buchstäblich gerettet und sich dafür extra mit den Soldaten des Pharaos angelegt. Und dabei wusste er noch nicht einmal warum sie hinter ihr her gewesen waren. Sie könnte ja auch eine Diebin oder Schlimmeres sein.
„Gern geschehen. Du schienst Hilfe zu brauchen.“ Seine Antwort war freundlich und kein bisschen verurteilend. Soviel also zu ihrer Theorie, dass er sie für eine Diebin oder etwas Schlimmeres hielt. Oder es interessierte ihn einfach nicht.
Neugierig legte Talitha den Kopf schief und musterte ihn. Wie ein Verbrecher sah er für sie jedoch nicht aus. Seine Nase war gerade und schlank und nicht so krumm von zahlreichen Brüchen, wie Talitha es bisher bei Gesetzlosen gesehen hatte. Das, was sie von seinem Körper sah, war muskulös und glatt. Keine Narben verunstalteten die schöne Haut.
Plötzlich bemerkte sie, dass auch er sie musterte und wandte verlegen den Blick ab.
Ihn so eingehend zu betrachten, war nicht gerade höflich von ihr gewesen, doch die gut definierten Muskeln, die sich unter dem weißen Leinenhemd abzeichneten, hatten Talitha einfach fasziniert. Die Männer, die sie kannte, waren entweder mit dem Ansatz eines Bauches oder einem ausgewachsenen Exemplar davon ausgestattet, da sie sich zu viele Festmähler genehmigt hatten. Oder eher von hagerer Statue, da sie in ihrer Arbeit versanken. Körperliche Betätigung war in den Kreisen, in denen sie bisher verkehrt hatte, nicht gerade angesehen. Talitha hatte das schon immer ungerecht gefunden. Die Frauen mussten für die Männer hübsch und schlank sein, während diese nicht unbedingt auf ihren Körper achten mussten. Ihre Mutter meinte, dass sei halt die Aufgabe der Frauen, da die Männer ja für die Familie sorgten.
Dafür kümmerten sich die Frauen aber um den Haushalt und wie Talitha das bei ihrer Mutter beobachten konnte, war das auch nicht wirklich einfach. Für sie war die Aussage ihrer Mutter also kein gutes Argument.
Zwischen Khaled und ihr war Stille eingetreten, die nicht gerade dazu beitrug ihre Unsicherheit zu mindern. Als sie spürte, wie auch noch ihre Wangen heiß wurden, streckte sie ihm kurzentschlossen mit einem verlegenen Lächeln auf den Lippen die Hand entgegen, um die peinliche Situation irgendwie zu beenden.
„Ich bin übrigens Talitha.“

Lächelnd ergriff Khaled die ihm dargebotene Hand, ohne zu erwähnen, dass er ihren Namen bereits wusste. Sie musste ja nicht wissen seit wann er ihrem Gespräch mit den Soldaten schon gelauscht hatte. Er schüttelte die schlanke und weiche Hand, deren Griff fest war.
Mit einem verschmitzten Grinsen auf den Lippen betrachtete er die junge Frau vor sich. „Und jetzt verrate mir einmal, warum du von zu Hause abgehauen bist und auf keinen Fall dahin zurück möchtest.“
Die Überraschung auf dem Gesicht seiner Gesprächspartnerin war deutlich zu erkennen. „Woher weißt du, dass ich weggelaufen bin?“
„Das war nicht schwer zu erraten. Alle Stadttore Theben-Osts sind geschlossen worden, weil die Tochter eines Kaufmanns ausgerissen ist. Dass du aus gutem Haus kommst, ist leicht zu erkennen und als die Soldaten dann auch noch hinter dir her waren, war für mich alles klar.“
Talitha erwiderte seinen Blick zunächst skeptisch, nickte dann aber und murmelte vor sich hin: „Das sieht meinem Vater ähnlich.“ Doch Khaleds Frage beantwortete sie nicht.
Zögernd überlegte er, ob er nachhaken sollte, beließ es dann aber dabei. Wenn sie nicht darüber reden wollte, dann halt nicht. Dennoch interessierte es ihn, was sie jetzt vorhatte. Es kam selten vor, dass er impulsiv handelte. Und wenn doch, dann hatte es meist einen Grund, auch wenn er ihn nicht sofort erkannte. Außerdem weckte das Mädchen seine Neugierde, ohne dass er sagen konnte warum.
„Und wo geht es jetzt hin?“
„Keine Ahnung. Nur weit weg von meinem Vater und seinen Plänen für mein Leben.“ Fahrig fuhr sie sich mit den Händen durch die Haare. Als sie sich bei der Bewegung den Pony aus der Stirn strich, erhaschte Khaled einen kurzen Blick auf eine Narbe, bevor sie ihre Haare schnell wieder fallen ließ. Doch der kurze Augenblick hatte genügt, um ihn die Form des geschwungenen Strichs erkennen zu lassen. Zunächst war er überrascht, doch dann breitete sich ein zufriedenes Grinsen auf seinem Gesicht aus.
Er hatte von der Narbe gelesen, auch wenn er nicht damit gerechnet hatte sie an einer so jungen Frau zu finden. Doch da es nun einmal so war, musste er das Beste daraus machen.

„Ich habe vor nach Baset zu reisen. Wenn du möchtest, kannst du mich begleiten.“ Fragend sah Khaled Talitha an und wartete auf ihre Antwort. Doch diese war sich unschlüssig, ob sie sich ihrem neuen Bekannten anschließen sollte. Eigentlich wusste sie gar nichts über ihn, bis auf die Tatsache, dass er bis vor kurzem noch ein Sklave gewesen war.
Stirnrunzelnd betrachtete Talitha den Mann, der ihr das Angebot gemacht hatte, ihn zu begleiten. Vor wenigen Stunden war die Situation noch andersherum gewesen. Da war sie diejenige gewesen, die ihn vor die Wahl gestellt hatte, ihr zu folgen oder nicht. Khaled hatte ihr Angebot ausgeschlagen. Sollte sie dasselbe tun?
Unschlüssig ließ Talitha ihren Blick durch die Gasse schweifen und versuchte ihre Möglich-keiten abzuwägen. Wenn sie in Theben bleiben würde, wäre sie wahrscheinlich schneller wieder bei ihrem Vater und somit auch bei Aziz, als sie ‘Ägypten‘ sagen konnte. Würde sie die Stadt jedoch alleine verlassen, stand ihr ein unbestimmtes Schicksal bevor. Als junge Frau alleine zu reisen, war weder mit noch ohne Geld sonderlich ratsam. Bei ersterem bestand die Gefahr ausgeraubt zu werden und bei letzterem könnte man schnell für eine Diebin gehalten und eingesperrt werden. Oder noch schlimmer, sie würde selbst an Sklavenhändler geraten und ihr restliches Leben in Gefangenschaft verbringen. Dann hätte sie auch gleich Aziz heiraten und wenigstens sorgenfrei leben können.
Also blieb ihr eigentlich nur die Möglichkeit Khaleds Angebot anzunehmen. In Begleitung eines Mannes war sie wenigstens vor den soeben genannten Gefahren geschützt. Auf jeden Fall an der Seite eines starken Mannes. Aber dass er was drauf hat, hat er ja soeben bewiesen, dachte sie bei sich und warf Khaled einen bewundernden Seitenblick zu, wandte sich jedoch schnell wieder ab, als es diesem auffiel. Dennoch sah sie aus den Augenwinkeln das selbstgefällige Grinsen, das sich daraufhin auf seinem Gesicht abzeichnete. Mit den Augen rollend schüttelte sie den Kopf. Er besaß also trotz seiner Hilfsbereitschaft die gleiche Selbstverliebtheit wie alle Männer, die sie kannte.
Trotzdem beschloss sie sein Angebot anzunehmen. Eine andere Wahl blieb ihr ja eigent-lich auch nicht. Wenn sie erst einmal in der nächsten Stadt war, konnte sie sich immer noch von ihm abseilen. Doch bis dahin war sie auf männliche Unterstützung angewiesen, so sehr sie dies auch nervte.
„Gut, ich begleite dich.“
Bei ihrer Antwort erschien ein zufriedenes Lächeln auf Khaleds Lippen, das jedoch schon einen Wimpernschlag später wieder verschwunden war. Zugern hätte sie gewusst, was es zu bedeuten hatte, doch es gab jetzt erst einmal wichtigere Fragen zu klären.
Talitha war so überstürzt aufgebrochen, dass sie gerade einmal soweit gedacht hatte die Münzen, von denen sie schon die meisten für Khaled ausgegeben hatte, einzustecken. Die Zeit hatte nicht mehr ausgereicht, sich auch noch einen Plan zu überlegen, wie sie aus Theben herauskommen sollte, falls ihr Verschwinden zu schnell auffiel. Sie hatte einfach gehofft schneller zu sein als ihr Vater, aber anscheinend hatte sie ihn unterschätzt.
„Hast du denn irgendeinen Plan, wie wir jetzt unbemerkt aus Theben herauskommen?“

Nachdenklich legte Khaled seine Stirn in Falten und überlegte. Er war froh, dass Talitha ihn aus freien Stücken begleiten wollte. Ansonsten hätte er sich etwas einfallen lassen müssen, um sie zum Mitkommen zu bewegen. Und dass das nicht einfach geworden wäre, war ihm klar. So konnte er sich jedoch in Ruhe darauf konzentrieren einen Fluchtplan zu entwickeln.
Wie Talitha zuvor ließ er seinen Blick durch die Gasse schweifen, bis er an den am Boden liegenden Soldaten hängen blieb. Langsam nahm ein Plan in seinem Kopf Gestalt an, der funktionieren könnte. Ob er aber auch Talitha gefiel, war eine ganz andere Frage.
„Ich hätte da eine Idee“, teilte er der jungen Frau vor sich mit und betrachtete sie eingehend.
Neugierig erwiderte sie seinen Blick und schien auf weitere Ausführungen zu warten
„Dazu musst du mir aber vertrauen. Schaffst du das?“
Verblüfft sah Talitha ihn an, verzog jedoch schon im nächsten Moment verärgert das Gesicht. „Ich kenne dich gerade einmal seit ein paar Stunden. Nein, eigentlich haben wir uns nur ein paar Minuten unterhalten, die Zeit von heute Morgen bis jetzt zählt nicht. Und du erwartest allen Ernstes von mir, dass ich dir einfach so vertraue?“ Ungläubig zog sie ihre Augenbrauen hoch und verschränkte die Arme vor der Brust. In dieser abwehrenden Haltung stand sie da und sah Khaled einfach nur fragend an.
Seufzend fuhr sich dieser durch die schwarzen Haare, so, dass sie in alle Richtungen wild abstanden. Anscheinend wurde das doch schwieriger, als er nach ihrer Zustimmung ihm zu folgen zunächst gehofft hatte. „Wenn du nicht bereit bist mir zu vertrauen, wird der Plan nicht funktionieren. Dann kannst du dir selbst überlegen wie du aus Theben herauskommst.“
„Warum erklärst du mir deinen Plan nicht erst einmal? Dann kann ich dir immer noch sagen, ob ich da mitmache oder nicht.“ Provozierend stemmte Talitha ihre Hände in die Hüften und sah ihn herausfordernd an.
Grinsend blickte Khaled auf das Mädchen vor sich hinab, das schon fast eine Frau war. Aber halt nur fast. Ihr haftete noch die jugendliche Dickköpfigkeit an, die reifere Frauen später ablegten. Und dennoch besaß sie mehr Persönlichkeit, als er je bei einer erwachsenen Frau gesehen hatte. Ob sie wohl verheiratet ist? So schnell wie der Gedanke gekommen war, vertrieb Khaled ihn wieder aus seinem Kopf. Er stand mehr auf erfahrenere Frauen. Das Mädchen war bestimmt nicht älter als siebzehn. Und genau deswegen war er sich nicht sicher, ob sie bei seinem Plan mitspielen würde.
„Wie du schon meintest, besteht unsere einzige Chance darin, unbemerkt aus Theben herauszukommen. Das heißt aber nicht, dass es unbedingt notwendig ist, dass wir nicht gesehen werden. Was nämlich richtig schwer werden würde. Es reicht auch schon aus, wenn man uns nicht erkennt.“
Aufmerksam lauschte Talitha seinen Worten und nickte zustimmend mit dem Kopf. So weit so gut. Den nächsten Teil überzeugend hervorzubringen, würde schwieriger werden.
„Mich kennt hier eh keiner. Das Problem bist du. Wir müssen es schaffen, dass keiner auf die Idee kommt dich für die entlaufene Kaufmannstochter zu halten, die die Soldaten überall suchen.“ Nun wurde ihr Blick schon etwas skeptischer, doch Khaled ließ sich nicht beirren und fuhr fort: „Auf die Idee, dass du dich als Bauerstochter oder als Dienerin verkleiden könntest, sind die Soldaten bestimmt schon gekommen. Vielleicht rechnen sie sogar damit, dass du versuchst als Bettlerin Theben zu verlassen. Womit sie aber bestimmt nicht rechnen werden, ist, dass du dich als Hure ausgibst.“
Mit vor Überraschung und Entsetzen weit geöffneten Augen starrte Talitha Khaled an. „Du hast sie wohl nicht mehr alle. Die laufen doch halb nackt rum“, brachte sie empört hervor und wich einen Schritt vor ihm zurück. Diese Reaktion hatte Khaled befürchtet. Die Kleider der neuen Mode, die die Brüste der Frauen nur spärlich mit kaum blickdichten Stoff bedeckten, waren so schon freizügig genug. Die Gewänder der Prostituierten hingegen bedeckten die Brüste erst gar nicht. Bei ihnen wurde der halb durchsichtige Stoff unterhalb des Busens mit Schnallen zusammengehalten und umschmeichelte den Körper der Frauen mehr spielend, als dass er ihn verbarg. Dass diese Aussichten der jungen Frau nicht gerade gefielen, verwunderte Khaled nicht. Dennoch wollte ihm auf die Schnelle kein besserer Plan einfallen.
„Ganz ruhig. Ich habe nie behauptet, dass du eines dieser Kleider anziehen sollst. Ich wüsste auch gar nicht wo wir eines herbekommen. Aber etwas mehr Haut müsstest du schon zeigen.“ Als Talitha erneut protestierend ihren Mund öffnete, schnitt Khaled ihr das Wort ab. „Den Umhang, den du an hast, kannst du eh nicht behalten. Ich habe dich nur heute Morgen darin gesehen und trotzdem sofort wiedererkannt. Deinem Vater wird nicht entgangen sein, dass du den Mantel mitgenommen hast und er wird ihn jedem Soldaten beschrieben haben.“
Finster sah das Mädchen zu ihm auf. Doch nach einigem Zögern nickte sie zustimmend, wenn auch verbissen. Widerwillig öffnete sie die Kordel, die den Umhang zusammenhielt und streifte ihn von ihren Schultern. Gerade als Khaled das Kleid, das sie trug, einer genaueren Musterung unterziehen wollte, presste sie sich den Umhang vor die Brust und nahm ihm somit die Sicht.
„Lass mich dein Kleid sehen“, forderte er sie auf und trat einen Schritt auf Talitha zu. Nur zögernd senkte diese ihre Arme und ließ den Umhang sinken.

Sich etwas unwohl in ihrer Haut fühlend, ließ Talitha Khaleds Blicke über sich ergehen. Langsam wanderten seine Augen an ihrem Körper hinab, blieben jedoch nicht allzu lange an unsittlichen Stellen hängen. Zudem war sein Blick weder lüstern noch aufdringlich. Er betrachtete lediglich genau ihr Kleid und schien dessen Schnitt zu analysieren.
Überrascht stellte Talitha fest, dass ihr das aber auch nicht so ganz gefiel. Einen Blick hätte er ruhig riskieren können und ihr damit zeigen, dass ihm gefiel, was er sah. Aber er schien sie nicht einmal als Frau wahrzunehmen. Leicht gekränkt wandte sie ihren Kopf ab und sah zum Himmel auf, an dem ein Falke seine Runden zog. Horus wird auch als Falke dargestellt, schoss es ihr durch den Kopf. Das fand sie äußerst passend für den Himmelsgott. Sie kannte kein Tier, das majestätischer durch die Lüfte glitt, als ein Falke.
„Ja, das müsste klappen“, riss Khaled sie aus ihren Gedanken.
„Hmm?“ Fragend drehte Talitha ihren Kopf wieder zu ihm herum und schluckte. Er war unbemerkt näher an sie herangetreten und erst jetzt fiel ihr auf, wie groß der Größenunter-schied zwischen ihnen war. Talitha war selbst zwar nicht die Größte, aber die eine oder andere ihrer Freundinnen überragte sie dennoch, wenn auch nur knapp. Khaled hingegen war ein Riese. Sie reichte ihm gerade einmal bis knapp unters Kinn. Bis jetzt hatte sie erst einen Mann getroffen, der sie ebenfalls um so eine Länge überragt hatte.
Ohne Vorwarnung griff Khaled nach dem Stoff ihres Kleids und zerriss ihn. Mit einem spitzen Aufschrei wollte Talitha noch einen Schritt zurückweichen, prallte jedoch gegen die Mauer in ihrem Rücken.
„Was soll das?“, fauchte sie ihn an und zog den Stoff über ihrem Ausschnitt zusammen. Der war ja wohl absolut verrückt, einfach so ihr Kleid zu zerreißen.
„Beruhige dich mal wieder.“ Beschwichtigend hob Khaled seine Hände, trat jedoch nicht von ihr zurück. „Entweder du willst aus Theben heraus und bist auch bereit den Preis dafür zu zahlen, oder du gehst halt zurück zu deinen Eltern.“ Nun klang seine Stimme sichtlich genervt, was Talitha noch wütender machte. Wenn hier jemand Grund dazu hatte genervt zu sein, dann war ja wohl sie es. Schließlich war er es gewesen, der ihre Kleidung kaputt gemacht hatte. Doch Khaled schien dies anders zu sehen, denn er sprach ungerührt weiter. „Ich werde dich schon nicht nackt durch das Stadttor schleppen, aber etwas Haut musst du zeigen, sonst kauft uns niemand die Geschichte mit der Hure ab. Und wenn du zu so etwas noch nicht bereit bist, dann hättest du nicht von zu Hause weglaufen sollen.“ Den letzten Satz betonte er so, als würde er mit einem kleinen Mädchen sprechen.
Nun wirklich wütend, funkelte Talitha Khaled zornig an. Noch nie war jemand so mit ihr umgesprungen, nicht einmal als sie wirklich noch klein gewesen war und haufenweise Dummheiten angestellt hatte. Und auch jetzt würde sie es nicht zulassen, dass man so mit ihr sprach.
„Wage es nicht, noch einmal so mit mir zu sprechen“, stieß sie zwischen zusammenge-pressten Zähnen hervor. „Und jetzt mach einfach was du für nötig hältst.“ Mit festem Blick ließ sie die Arme sinken und gab ihre Abwehrhaltung auf.
Ein schelmisches Grinsen trat auf Khaleds Lippen. Erneute Wut flammte in ihr auf, als sie begriff, dass er es genau darauf angelegt hatte. Dennoch biss sie die Zähne zusammen und ließ ihn damit durchkommen. Jetzt doch einen Rückzieher zu machen, würde ihren Stolz nur noch mehr verletzen.
Immer noch grinsend trat Khaled dicht vor sie und legte seine Hände auf ihre Hüften. Mit einem lauten Ratsch riss der Stoff und entblößte ihren flachen Bauch. Zischend zog sie die Luft ein, als Khaled sich näher zu ihr beugte und die Prozedur an ihrem Rücken wiederholte. Sein dunkler Duft stieg ihr in die Nase und ihre Wut wurde plötzlich von einem ganz anderen Gefühl abgelöst. Geschickt riss Khaled vorne und hinten ein breites Stoffstück aus ihrem Kleid, so, dass das obere Teil und das untere nur noch durch zwei dünne Streifen an ihren Seiten miteinander verbunden waren. Mit klopfendem Herzen stand Talitha vor Khaled und erschauderte leicht, als sich seine Hände auf ihre nackte Haut legten.
Fragend schaute er ihr ins Gesicht, doch schon nach einem kurzen Blick erschien ein wissendes Grinsen auf seinen Lippen. Mit feuerroten Wangen sah Talitha weg und versuchte das Gefühl seiner Hände auf ihrem Körper zu ignorieren. Doch das war gar nicht so einfach, denn er begann nun den Stoff zu drehen, sodass sich die beiden Stoffstreifen von oben links nach unten rechts um ihren Körper wickelten. Damit das Kleid in dieser Position blieb, riss er einen Streifen vom Saum ab und band ihn um ihre Hüfte.
Talitha wollte schon aufatmen, doch nun widmete er sich erneut dem Oberteil des Kleides. Mühelos entfernte er die halblangen Ärmel, sodass nur noch zwei ein Zentimeter breite Träger übrig blieben, die das Stück Stoff, dass um ihren Brustkorb herumführte und ihren Busen bedeckte, oben hielten. Der Riss in ihrem Dekolleté reichte bis tief zwischen ihre Brüste und gewährte jedem, der auch nur halb hinsah, tiefe Einblicke.
Erneut glaubte sie, dass Khaled endlich fertig sei, als sie seine Hand auf ihrem Oberschen-kel spürte. Überrascht keuchte sie auf und versuchte das Ziehen in ihrem Bauch zu unterdrücken, das das Gefühl seiner rauen Finger auf ihrer Haut ausgelöst hatte. Bemüht weiterhin regelmäßig zu atmen, schloss sie die Augen. Sie hätte alles erwartet, Abscheu, Ekel, oder Gleichgültigkeit, wenn er sie berühren würde, aber nicht, dass sie so auf ihn reagierte. Viele ihrer Freundinnen hatten Talitha schon gefragt, wann sie denn endlich heiraten wolle. Hauptgrund für ihre Fragen war nicht die Neugierde nach Talithas Familienplanung gewesen, sondern die nach ihren Vorlieben für Männer. Oft hatten ihre verheirateten Freundinnen ihr vorgehalten, dass sie das Beste im Leben verpasse und ihr von ihren Zusammenkünften mit ihren Ehemännern im Schlafgemach berichtet. Im Alter würde sie eh keiner mehr haben wollen, hatten sie immer gewitzelt und Talitha geraten, sich schnell einen Mann zu nehmen, um selbst in den Genuss des Liebesakts zu kommen.
Doch Talitha hatte nie verstanden, wie man seine Freiheit und Selbstbestimmung gegen körperliche Freuden eintauschen könne. Allerdings hatte sie bisher auch noch nie so stark auf die Berührungen eines Mannes reagiert wie bei Khaled. Er weckte ein Verlangen in ihr, das sie nur aus Erzählungen von ihren Freundinnen kannte.

Überrascht sah Khaled in Talithas Gesicht, als diese erschauderte. Doch was er da sah, zerstreute seine Befürchtungen, ihr wehgetan zu haben. Ihre Wangen glühten und in ihren Augen lag ein erregter Glanz. Er hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass ihr seine Berührungen gefielen. Dass sie ihn anschreien würde wegen des Kleids - vielleicht. Dass sie stocksteif dastehen und keine Regung zeigen würde - schon eher. Dass sie ihn weiterhin wütend einfach ignorieren würde - am ehesten. Aber nicht, dass er Verlangen in ihr wecken würde.
Dennoch musste auch er zugeben, dass ihre Nähe ihn nicht kalt ließ. Ihre Haut war weich und warm. Ein starker Kontrast zu der der Sklavinnen, mit denen er in den letzten Jahren geschlafen hatte. Zudem zeigte ihm Talithas erregtes Gesicht eine ganz neue Seite an ihr. Zwar nicht unbedingt eine gebändigtere, dafür aber eine reifere und erwachsenere. Jetzt hatte er eher das Gefühl vor einer Frau zu stehen, als noch vor wenigen Augenblicken, wo er glaubte mit einem kleinen, aufmüpfigen Mädchen zu sprechen.
Bedacht strichen seine Hände über ihren straffen Bauch und verdrehten den Stoff ihres Kleides. Grinsend achtete er auf Talithas Reaktion, die ihre Empfindungen verriet. Doch als er seine Hand auf ihren Oberschenkel legte, um ein weiteren Stoffstreifen vom Saum zu entfernen, verspürte er selbst ein Ziehen in den Lenden. Als sie dann überrascht, aber dennoch erregt aufkeuchte, erwachte auch in ihm das Verlangen.
Mit glitzernden Augen sah er auf die junge Frau vor sich hinab, die ihren Blick starr auf den Boden geheftet hatte. Khaled hätte nie damit gerechnet, dass sie sein Interesse wecken würde. Doch wie sie jetzt mit glühenden Wangen und erhitztem Blick vor ihm stand, erschien sie ihm plötzlich verführerischer als jede Frau vor ihr.
Bis jetzt hatte er keine Frau lange erobern müssen. Sie hatten sich nie die Mühe gemacht, ihr Interesse an ihm zu verbergen. Khaled hatte es immer gefreut nicht viel für sein Vergnügen tun zu müssen, dennoch fand er es nun umso reizvoller einmal die andere Seite kennenzulernen.
Schwungvoll riss er einen breiten Streifen Stoff vom unteren Ende des Kleids ab. Nun glich es mehr einem zerschlissenen Stofffetzen, als dem edlen Gewand von zuvor. Er nahm den Leinenstreifen und beugte sich näher zu Talitha. Schlagartig beschleunigte sich ihre Atmung und ihre Brust hob und senkte sich heftig. Khaled griff nach ihren Händen und schob sie hinter ihren Rücken. Geschickt schlang er den Stoff um ihre Handgelenke. Ihr Duft stieg ihm in die Nase, der nach frischen Rosenblättern und Honig roch.
Als er ihre Hände zusammenband, spürte er wie ihre Brüste bei jedem Atemzug seine Brust streiften. Wenn er nicht aufpasste, würde sie seine eigene Erregung bald bemerken.

Zischend zog Talitha die Luft ein, als sie Khaleds Brust an ihrer spürte. Er verströmte pure männliche Kraft. Zwischen seinem Körper und der Mauer in ihrem Rücken eingekeilt, konnte sie gar nicht anders als dies wahrzunehmen. Sein Atem strich über ihre Wange und kitzelte ihr Ohr. Ein Schauer rann über ihren Rücken, als sie die gespannten Muskeln seiner Arme spürte, die ihre auf ihrem Rücken zusammenbanden. Überrascht riss sie die Augen auf, als sie endlich realisierte, was er da eigentlich tat.
„Was soll das?“ Talitha konnte es nicht verhindern, dass ihre Stimme zitterte. Doch es schwang noch ein anderer Unterton mit, den sie bisher noch nie in ihrer Stimme gehört hatte. Ein rauer, kehliger.
Grinsend löste sich Khaled von ihr und sah ihr in die Augen. Sein fiebriger Blick betrachte-te sie eingehend, wanderte über jeden Zentimeter ihres Körpers. „Spiel einfach mit und wir sind schneller aus Theben heraus, als du blinzeln kannst.“
Verwirrt sah Talitha im hinterher, als er zu einem der Soldaten ging und ihm den Schurz und das Schwert abnahm. Er krempelte seine Leinenhose hoch und streifte sich den gefalteten Leinenschurz über. Das Schwert des Soldaten hängte er an seine Seite. Bevor er zu Talitha zurückging, trat er an den zweiten Soldaten heran und löste grinsend einen Geldbeutel, von dessen Schurz.
„Na dann wollen wir mal.“
„Was? Was hast du vor?“ Verwirrt sah sie Khaled an, der ihren Umhang aufhob, neben sie trat und ihren Arm ergriff.
„Als Soldat ist es mir möglich ohne viele Fragen die Stadt zu verlassen. Ich werde den anderen Wachen sagen, dass ich dich in das Freudenhaus vor der Stadt zurückbringen soll, aus dem du abgehauen bist. Ich weiß aus Erzählungen wo es sich befindet und kann zur Not auf unangenehme Fragen antworten. Aber zuvor müssen wir dein Aussehen noch etwas perfektionieren.“
Immer noch mit klopfendem Herzen folgte sie Khaled mit den Augen, der sich hinabbeug-te und mit den Händen voller Erde wieder aufstand. Noch eh Talitha sich versah, verteilte er den Dreck auf ihrer Haut und den Überresten des Kleides. In kreisenden Bewegungen wanderten seine Hände über ihren Körper und rieben Arme, Schulter und Beine mit dem Staub ein. Als seine Finger über ihren Bauch strichen, breitete sich ein erwartungsvolles Kribbeln in ihm aus. Ihr Puls, der sich soeben erst beruhigt hatte, schoss wieder in die Höhe. Mit klopfendem Herzen spürte sie Khaleds Hände an ihren Seiten hinaufstreichen und über ihr Gesicht und durch ihr Haar fahren.
Krampfhaft versuchte sie ihre Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen. Es gefiel ihr überhaupt nicht, wie leicht es Khaled fiel sie aus der Fassung zu bringen. Und was noch viel schlimmer war, er hatte es bemerkt und es schien ihm auch noch Spaß zu machen. Seine Hände so gut es ging ignorierend, schloss sie die Augen und wartete ab.
„So, das sieht doch gleich viel mehr nach entlaufener Hure aus.“
Talitha öffnete ihre Augen wieder und sah an sich hinab. Ihre sonst so weiche und reine Haut war verschmutzt vom Dreck der Straße und als sie in ihre Haare griff, spürte sie auch dort den Staub. Als sie das letzte Mal so schmutzig gewesen war, hatte sie als kleines Mädchen mit den Hunden auf der Straße gespielt. Das hatte sie aber auch nur ein einziges Mal gemacht, denn nachdem sie wieder nach Hause gekommen war, hatte ihr ihre Mutter eine gehörige Standpauke gehalten.
Auch der weiße Leinenstoff, der ihr nur noch knapp bis über den Hintern reichte, war mit grau-schwarzen Schlieren überzogen. Ihr äußeres Erscheinungsbild hatte sich in den letzten Sekunden drastisch verändert. Dass eine so große Veränderung in so kurzer Zeit möglich sein könnte, hätte sie nicht gedacht, aber genau das würde ihnen hoffentlich das Tor in die Freiheit öffnen.
„Ich hoffe, dass der Plan funktioniert“, brachte sie mit leiser Stimme zaghaft hervor. Khaled schien keine Zweifel zu haben, denn er grinste sie siegessicher an.
„Das wird er schon. Du musst nur schön lautstark protestieren und mich dabei so oft wie möglich beschimpfen.“
Eine steile Falte bildete sich zwischen Talithas Brauen. Zu protestieren würde ihr nicht schwer fallen. Bei der Sache mit dem beschimpfen war sie sich da nicht so sicher. Auch wenn sie schon immer etwas vorlaut und wild gewesen war, so hatten ihre Eltern doch stets penibel darauf geachtet welche Worte sie benutzte. Bisher war das bestimmt auch angebracht gewesen, doch so wusste sie nun nicht welche Worte eine Hure benutzen würde, wenn sie jemanden wild beschimpfte. Doch bevor sie sich noch weiter den Kopf darüber zerbrechen konnte, schlang Khaled seine Arme um ihre Hüfte und schmiss sie über seine Schulter.

Auf Wiedersehen Theben

Talitha brauchte einen Moment, um die Situation zu erfassen. Wie ein nasser Sack hing sie über Khaleds Schultern und wurde von ihm die Gasse hinab getragen. Als sie die erste Überraschung überwunden hatte, strampelte sie wie wild mit den Füßen.
„Hey, du Bastard, lass mich sofort runter!“
Lachend verstärkte Khaled den Griff um ihre Beine, nur damit sie nicht von seinem Rücken fiel. „Nicht so wild. Noch musst du mich nicht beschimpfen. Erst wenn wir uns dem Tor nähern.“
„Und warum musst du mich unbedingt tragen? Meine Füße haben bis jetzt ganz gut funktioniert.“
„Das wirkt authentischer.“ Sie konnte immer noch das Lachen in seiner Stimme hören. „Außerdem macht es mir Spaß.“
Diese Aussage verschlug ihr die Sprache. Er wollte sie doch tatsächlich aufziehen. Schnaubend strampelte Talitha noch eine Weile weiter, gab aber schnell auf. Von Khaleds Rücken zu fallen würde ihr auch nicht viel bringen, außer ein paar blauer Flecken und Schrammen. Und auf die konnte sie gerne verzichten. Dennoch schwor sie sich Khaled für diese Demütigung büßen zu lassen. Und diesen Mann hatte sie noch vor wenigen Minuten anziehend gefunden. Sie musste eindeutig noch an ihrer Menschenkenntnis arbeiten. Dass sie ihn am Anfang auch noch hilfsbereit und sogar sympathisch gefunden hatte, konnte sie nun überhaupt nicht mehr verstehen. Er war eindeutig nicht besser, als die anderen großspurigen Weiberhelden, die sonst um sie herumscharwenzelten. Mit dem Unterschied, dass diese meist nur das Geld ihres Vaters vor Augen gehabt hatten, wenn sie sich mit ihr abgegeben hatten. Das war auch mit ein Grund, warum sie bisher nie ernsthaft in Betracht gezogen hatte sich auf einen Kerl einzulassen.
Warum Khaled ihr überhaupt half, musste sie auf jeden Fall noch herausfinden. Oder er hat nur jemandem zum Spielen gesucht. Der Gedanke erschien ihr zwar möglich, aber nicht wirklich logisch. Dann hätte er sich wohl nicht zuerst von ihr verabschiedet. Obwohl er da natürlich noch nicht wusste, wer sie war.
Frustriert ließ Talitha den Kopf hängen, als sie erkannte, dass ihre Gedanken zu nichts führten. Widerwillig musste sie sich eingestehen, dass Khaled doch tiefsinniger zu sein schien, als die meisten Männer. Deren Absichten hatte sie immer ohne Mühe durchschauen können. Trotzdem würde sie ab jetzt ihre Gefühle in seiner Gegenwart besser kontrollieren. Die Genugtuung zu wissen, dass sie ihn körperlich anziehend fand, wollte sie ihm nicht bieten. Er hatte bestimmt schon haufenweise Frauen im Bett gehabt, die seinen Körper angebetet hatten. Da würde es ihm bestimmt nicht schaden, wenn eine ihm mal nicht verfiel. Sie fand so oder so, dass sein Selbstbewusstsein einen kleinen Dämpfer verdient hatte.
Augenblicklich hatte sie wieder sein wissendes Grinsen vor Augen, mit dem er ihr Kleid zerrissen hatte. Abfällig schnaubte sie und betrachtete den Boden. Dabei glitt ihr Blick unweigerlich an Khaleds Hintern entlang. Schön geformt ist er ja, musste sie sich eingeste-hen. Dennoch würde sie Khaled mit Vergnügen zeigen, dass er nicht jede Frau um den Finger wickeln konnte. Wenn sie sich einen Mann aussuchen könnte, dann wäre dieser eine einfühlsame, verständnisvolle Person und kein großspuriger, selbstverliebter Frauenheld.
„Unsere Schau kann beginnen“, verkündete Khaled. Er hatte Talitha durch die kleinen Gassen so nah wie möglich an das Stadttor herangetragen. Nun mussten sie jedoch auf die große Handelsstraße wechseln, um das Tor passieren zu können. Doch bevor er in die Menschenmenge eintauchte, wandte er sich an einen Händler, der seinen Stand direkt neben dem Gasseneingang aufgebaut hatte.
„Ich würde gerne diesen Umhang verkaufen. Wie viel bezahlt Ihr mir dafür?“
Talitha versuchte sich so weit zu verdrehen, dass sie einen Blick auf den Händler und den Umhang erhaschen konnte. Schaffte es jedoch nicht.
„Wehe du wagst es meinen Umhang zu verkaufen“, zischte sie ihm zu.
„Sei still, du billiges Ding. Er gehört nicht einmal dir. Du hast ihn gestohlen.“ Mit einem Klapps auf den Hintern gab er ihr zu verstehen, dass sie schweigen sollte. Nur mit Mühe gelang es Talitha ihren Mund zu halten. Ihr war klar, dass sie sich soeben beinahe selbst verraten hätte, dennoch hätte sie erwartet, dass Khaled den Verkauf ihres Umhangs mit ihr absprach. Natürlich verstand sie, dass sie das Geld später brauchen würden, trotzdem war es IHR Umhang.
„Eine kleine Diebin, die ihr da auf den Schultern habt?“, hörte sie den Händler fragen.
„Nicht nur das. Eigentlich arbeitet sie in dem Freudenhaus vor der Stadt, doch sie ist ausgerissen und hat sich seitdem mit Stehlen die Zeit vertrieben. Leider ist der Besitzer des Umhangs nicht mehr herausfindbar.“
Es herrschte kurzes Schweigen, bevor der Händler den Preis nannte, den er bereit war zu zahlen.
„Ein Goldstück?“, entgegnete Talitha ungläubig, als sie den Preis hörte. Khaled unter ihr verspannte sich, woraufhin sie schnell hinzufügte: „Da lässt du dich aber gehörig übers Ohr ziehen, Bastard. Ich hab schon Händler gesehen, die so ein gutes Stück für drei Goldstücke verkauft haben.“
„Still Weib“, herrschte Khaled sie an, entspannte sich dennoch wieder ein wenig. „Trotz-dem hat sie nicht ganz Unrecht. Da er nicht mehr ganz neu ist, würde ich ihn euch für zwei Gold- und fünf Silberstücke überlassen.“
„Oh nein, nein. Soviel kann ich euch dafür nicht geben. Ich gebe euch ein Gold- und acht Silberstücke.“
„Einigen wir uns auf zwei Goldstücke“, feilschte Khaled weiter. „Damit komme ich euch schon mehr entgegen, als ihr mir.“ Als der Händler zögerte, fügte er noch hinzu: „Oder ich versuche mein Glück bei einem anderen Stand.“
Der Umhang schien dem Händler kostbar genug zu sein, dass er Khaleds Preis zustimmte. Talitha hörte wie Münzen den Besitzer wechselten, bevor Khaled sich wieder in Bewegung setzte.

„Mein Geldbeutel!“, quickte Talitha plötzlich erschrocken auf und wäre Khaled fast von der Schulter gefallen.
„Hör auf herumzuzappeln. Den habe ich davor natürlich an mich genommen.“ Mit einem kurzen Ruck platzierte Khaled die junge Frau neu auf seiner Schulter. Dass sie wirklich geglaubt hatte, er habe ihren Umhang zusammen mit dem Rest ihres Geldes weggegeben... Kopfschüttelnd kämpfte er sich einen Weg durch die Menschen und schloss sich der Schar an, die Richtung Stadttor trieb.
„Jetzt kannst du herumzappeln und Krach machen“, forderte er sie auf, als sie nur noch wenige Meter von den Wachen, die vor dem Tor standen, entfernt waren.
Gleich darauf begann Talitha wie wild mit den Beinen zu strampeln, so, dass Khaled alle Mühe hatte sie auf seiner Schulter zu behalten.
„Lass mich runter, du hirnloser Trottel! Du Sohn einer räudigen Hündin. Nimm deine Hände von mir und kriech zurück in das Loch, aus dem du gekommen bist!!“
Überrascht hob Khaled eine Augenbraue. Dass sie ihre Rolle so überzeugend spiele würde, hatte er nicht erwartet. Vielleicht steckte doch mehr in ihr, als die brave Kaufmannstochter. Aber das hatte ihm ja eigentlich auch schon ihr Ausriss bewiesen. Dennoch hätte er nicht damit gerechnet, dass sie als Prostituierte so glaubwürdig rüberkommen würde.
Mitleidig sahen ihn die Soldaten am Tor an.
„Was hast du dir denn da aufgeladen?“, rief ihm der eine spöttisch entgegen.
„Eine entlaufene Hure, die ihr Glück als Diebin versucht hat“, antwortete Khaled ebenso hämisch. „Ich soll sie an ihren angestammten Platz zurückbringen und dafür sorgen, dass sie angemessen bestraft wird.“
„Angestammten Platz“, äffte Talitha ihn nach und traf seinen Tonfall überraschend genau. „Als ob ihr irgendetwas davon verstehen würdet. Ihr kriecht doch auch nur im Dreck und springt, sobald der Pharao mit dem Finger zuckt.“
Fragend zog der zweite Soldat seine Augenbrauen hoch und musterte Talitha genauer. Zunächst befürchtete Khaled, dass er sie doch erkennen würde. Als sich der Mann jedoch mit einem süffisanten Grinsen wieder zurückzog, entspannte er sich. „Reichlich jung das Ding. Na es wird sich schon einer finden, der ihr mal ordentlich zeigt, wo es lang geht.“
„Die Aufgabe kannst du gerne übernehmen“, scherzte Khaled und spürte, wie sich das Mädchen bei seinen Worten versteifte. Doch der Soldat reagierte genauso, wie Khaled es erwartet hatte.
Lachend hob er die Hand, um Khaleds Angebot auszuschlagen. „Nein danke. Mit so etwas Störrischem plage ich mich nicht ab. Da sind mir willigere Frauen mit etwas mehr Niveau lieber.“
„Schade, dann werde ich diese Plage wohl doch noch bis an ihren Bestimmungsort bringen müssen.“
„Och, du könntest mich auch runter lassen und wir gehen ins nächste Wirtshaus, wo ich dir ein bisschen die Abendstunden versüße“, säuselte Talitha mit zuckersüßer Stimme.
„Lass gut sein, Kleine. Ich stehe mehr auf Frauen, an denen auch was dran ist.“
„Du überheblicher Dreckskerl!“, fauchte sie wütend und begann wieder mit den Beinen zu strampeln.
Lachend winkten die Soldaten Khaled durch. „Na, dann noch viel Spaß mit dem Wildfang“, rief ihm einer der beiden hinterher. Schnaubend hob Khaled die Hand zum Abschied und ließ mit der wild um sich tretenden Talitha auf seinen Schultern Theben hinter sich.
Doch auch als die Soldaten schon längst außer Sicht waren, hörte sie nicht auf ihn zu beschimpfen. „Du kannst jetzt aufhören dich wie eine Furie aufzuführen.“
„Ach ja, dann nimm deine dreckigen Griffel von meinem Hintern“, giftete sie weiter, was Khaled jedoch nur ein tiefes Lachen entlockte. Das Mädchen war unterhaltsam, das musste er ihr lassen.
„Aber seine Form passt so schön in meine Hände.“
„Ich dachte, an mir wäre zu wenig dran, um den werten Herrn zufriedenzustellen.“
Stutzig hielt Khaled inne. Hatte er da gerade ernsthafte Verärgerung in ihrer Stimme gehört? Die nächsten Worte kamen ihm mit einem Schmunzeln über die Lippen. „Hätte ich dein Angebot angenommen, dann würden wir jetzt irgendwo in einem Wirtshaus sitzen, oder eher gesagt liegen, und hätten Theben immer noch nicht verlassen.“
Daraufhin schwieg Talitha. Ob es ihr die Sprache verschlagen hatte, oder ob sie einfach nur schmollte, konnte Khaled nicht sagen.

Nun gut, eigentlich hatte sie ja gewusst, dass das alles nur gespielt war. Aber genau deswegen ärgerte sie sich nun umso mehr, dass sie Khaleds Behauptung für bare Münze genommen hatte. Und selbst wenn es nicht so gewesen wäre, hätte es sie dennoch nicht interessieren sollen, was er von ihrem Körper hielt. Doch Talitha sah sich nun einmal in ihrem weiblichen Stolz gekränkt. Natürlich legte sie keinen Wert darauf, begafft oder begrapscht zu werden. Aber gegen ein paar bewundernde Blicke hatte schließlich keine Frau etwas einzuwenden.
Nach wenigen Metern hielt Khaled inne und hievte sie von seiner Schulter herunter. Er holte ihr kleines Messer hervor, von dem sie gar nicht mitbekommen hatte, dass er es an seinem Schurz befestigt hatte. Statt den Knoten auf ihrem Rücken wieder zu lösen, schnitt er kurzerhand den Stoffstreifen durch. Erleichtert atmete Talitha aus und ließ ihre Arme langsam kreisen. Die Handgelenke taten ihr gar nicht mal so sehr weh, dafür war das Leinen zu fein gewesen. Doch die unnatürliche Haltung der verdrehten Arme auf dem Rücken hatte ihre Schultergelenke stark belastet.
Nachdem der Schmerz in ihren Schultern, der bei den plötzlichen Bewegungen aufge-flammt war, wieder erloschen war, streckte sie Khaled auffordernd die Hand entgegen. „Kann ich mein Messer wiederhaben?“
„Und wie willst du es transportieren?“ Fragend zog er eine Augenbraue hoch.
Talitha wollte erst erwidern, dass sie es wieder einstecken würde, doch im letzten Moment fiel ihr ein, dass sie ihren Umhang ja gar nicht mehr besaß. Und der Fetzen Stoff, der ihr als Kleid diente, taugte nicht um daran etwas zu befestigen. Sie konnte ja schon froh sein, dass er ihr nicht vom Körper rutschte.
„Gut, dann behalte es halt.“ Sie war sich dessen bewusst, dass sie nicht gerade erwachsen handelte, als sie sich einfach umdrehte und loslief, doch das war ihr im Moment herzlich egal. Sollte Khaled doch denken was er wollte. Sobald sie die nächste Stadt erreicht hatten, würde sie sich eh von ihm verabschieden und ihr eigenes Leben weiterführen.
Dennoch wurmte es sie, Khaled leise lachen zu hören, der sich ebenfalls in Bewegung gesetzt hatte und ihr folgte. „Hast du denn eine Idee wo es lang geht?“ Seine Frage war sarkastisch gestellt und jedes einzelne Wort deutete darauf hin, dass er nicht davon überzeugt war. Zu Talithas Leidwesen hatte er damit auch noch Recht. Sie hatte Theben noch nie verlassen. Ihre Eltern hatten sie auf das Dasein als Haus- und Ehefrau vorbereitet, wozu es nicht gerade gehörte durch die Gegend zu reisen. Obwohl Talitha nur zu gerne ihren Vater auf eine seiner zahlreichen Geschäftsreisen begleitet hätte und ihn auch regelmäßig danach fragte, hatte er sie nie mitgenommen.
„Wo lang müssen wir?“, stellte sie knirschend die Gegenfrage, statt direkt zu antworten, auch wenn Khaled so trotzdem wusste, dass er mit seiner Vermutung richtig lag.
Mit schnellen Schritten holte er zu ihr auf und lief an ihrer Seite weiter. „Immer Richtung Norden flussabwärts. Und wenn sich die Gelegenheit bietet, müssen wir den Nil überqueren.“
Den Nil überqueren? Das machte Talitha nun doch etwas stutzig. „Wenn du auf die andere Seite des Nils musst, warum hast du Theben dann nicht durch eines der Tore in Theben-Ost verlassen?“
„Weil alle Tore Theben-Osts wegen einer kleinen, entlaufenen Kaufmannstochter geschlossen sind.“
Überrascht sah sie in Khaleds schmunzelndes Gesicht und vergaß sogar sich über das ’kleine‘ aufzuregen. „Mein Vater hat alle Tore schließen lassen?“
„Ja. Die in Theben-Ost auf jeden Fall.“
Diese Information verschlug ihr die Sprache. Dass ihr Vater all seine Karten ausspielen würde, um sie nach Hause zurückzuholen, hatte sie nicht erwartet. Sie hatte ihre Eltern stets respektiert, aber eine liebevolle Beziehung, wie bei einigen ihrer Freundinnen, war zwischen ihren Eltern und ihr nie entstanden. Umso mehr verwunderte es sie, dass ihr Vater mit allen Mitteln versuchte ihre Flucht zu verhindern. Vielleicht sprang jedoch bei ihrer Hochzeit mit Aziz mehr für ihn heraus, als sie zunächst angenommen hatte. Dass ihr Vater sie nur aufhalten wollte, weil er sie liebte, glaubte sie nicht. Irgendwie schon traurig, kam es ihr in den Sinn. Solange sie lebte, konnte sie sich nur an ihre Großmutter erinnern, die sie wahrhaftig geliebt hatte. Egal wie dreckig Talitha zu ihr gekommen war, die alte Frau hatte sie stets in ihre Arme geschlossen und mit Zärtlichkeiten überschüttet. Doch leider war sie schon vor vielen Jahren gestorben.
Schweigend liefen die beiden nebeneinander her. Die Händler und Bauern, die mit ihnen das Stadttor Thebens passiert hatten, bogen langsam auf Wege ab, die zwischen den Feldern vom Nil wegführten. Schon nach einer knappen Stunde waren Khaled und Talitha die einzigen Reisenden, die auf der geschlungenen Straße dem Nil folgten. Hier und da stand eine einzelne Lehmhütte am Ufer, die unter den Blättern der schattenspendenden Palmen erbaut wurde. Gras und Schilf wuchs am Flussufer, in dem kleine Vögel ihre Nester gebaut hatten.
Links von ihnen erstreckten sich große Felder. Einige waren noch nicht fertig abgeerntet, sodass die Bauern damit beschäftigt waren das Versäumte schnell nachzuholen, bevor die Ernte verloren war. Hinter den Feldern erhoben sich die Berge und Dünen der Lybischen Wüste, die zugleich ein Teil der Sahara war. Auf der anderen Seite des Nils erstreckte sich soweit das Auge reichte die Arabische Wüste, die im Osten vom Roten Meer begrenzt wurde.

Re war gerade dabei seine Bahn am Himmel zu beenden und als Abendsonne auf den Horizont zuzusteuern, als Khaled und Talitha ein kleines Dorf erreichten. Die Bewohner schienen sich auf den Fischfang spezialisiert zu haben, denn vor den meisten der Hütten, die fast alle am Ufer lagen, trieben kleine Boote auf den Wellen. Netze lagen zum Trocknen über Steine und auf dem Boden ausgebreitet und überall hing der Geruch von Fisch in der Luft.
Ein größeres Boot, das man eigentlich schon als Schiff bezeichnen konnte, erweckte Khaleds Aufmerksamkeit. Mit einem Handzeichen forderte er Talitha auf, ihm zu folgen. Die Bewohner der Hütten warfen ihnen neugierige Blicke zu, als sie die wenigen Straßen des Dorfes durchquerten. Vor dem Schiff saß ein alter Ägypter auf einer Kiste und aß eine Schüssel voll Gerstenbrei. Seine Haut war gebräunt und von Sonne und Wind gegerbt. Ein weißer Bart zierte sein Gesicht, in dem zwei wache, strahlendblaue Augen saßen. Als Khaled auf ihn zuschritt, hielt er inne und hob interessiert den Kopf.
„Kann ich euch weiterhelfen?“, fragte er freundlich. Als er jedoch Talitha erblickte, trat ein skeptischer Ausdruck in seine Augen.
„Ich hoffe“, erwiderte Khaled, ohne auf den Blick des Mannes einzugehen. „Wir wurden von Banditen überfallen und wollen nun nichts sehnlicher, als den Nil zu überqueren und nach Hause zurückzukehren.“
„So, so, ihr wurdet also ausgeraubt.“ Immer noch nicht ganz überzeugt, sah er zwischen den beiden hin und her. „Mit uns mitzureisen kostet aber etwas.“
„Das habe ich schon befürchtet. Aber zum Glück haben uns die Banditen nicht alles genommen.“ Mit einem freundlichen Lächeln zog Khaled Talithas Geldbeutel hervor. Dank der Münzen des Soldaten und denen, die sie für ihren Umhang bekommen hatten, war er wieder gut gefüllt. „Was verlangt Ihr für die Überfahrt?“
Nun, wo sich der alte Mann sicher sein konnte, dass er für seine Dienste bezahlt werden würde, verschwand die Skepsis aus seinem Blick. „Das hängt ganz davon ab, bis wohin ihr uns begleiten wollt. Mein Sohn und ich fahren nach Pi-Ramesse. Ihr könnt uns bis dorthin begleiten, oder zwischendurch aussteigen, wenn wir eine Pause einlegen.“
„Pi-Ramesse, was für ein Zufall, das liegt direkt auf unserem Weg.“ Erfreut stellte Khaled fest, dass das Schicksal jetzt endlich mit, statt gegen ihn spielte. Die im östlichen Nildelta gelegene Hauptstadt war nur drei Tagesmärsche von Baset entfernt. „Was wäre Euer Preis, wenn wir euch bis dorthin begleiten würden?“
„Zwei Goldstücke. Für jeden.“
Khaled spürte das Empören, das daraufhin in seiner Begleiterin erwachte. Doch zum Glück war sie diesmal so vernünftig sich zurückzunehmen und ihm das Handeln zu überlassen. „Das ist aber ein reichlich überzogener Preis, wenn man bedenkt, dass ihr diesen Weg auch ohne uns einschlagen würdet.“
„Dennoch werdet ihr während der Reise etwas Essen und Trinken wollen“, beharrte der Mann auf seinem Preis.
„Die Reise wird nicht länger als vier Tage dauern. So viel können wir in der Zeit gar nicht essen, dass ihr dafür vier Goldstücke ausgeben müsstet. Ich wäre bereit euch ein Gold- und acht Silberstücke zu geben und selbst das ist noch viel dafür, dass wir euch lediglich auf eurer Route begleiten.“ Khaled hatte sein Angebot mit Nachdruck hervorgebracht, sodass dem alten Mann klar war, dass er von diesem Preis nicht abweichen würde.
„Nun gut“, stimmte er nach einem kurzen Moment murrend zu. „Aber vielleicht möchte deine Begleiterin eines meiner Kleider kaufen? Ihres scheint ja reichlich unter dem Überfall auf euch gelitten zu haben.“ Nun wieder freundlich lächelte er Talitha an, wandte sich dann jedoch noch einmal an Khaled. „Wer seid ihr beide überhaupt?“
„Mein Name ist Khaled. Ich bin Bildhauer und war aus beruflichen Gründen in Theben. Dies ist meine Frau Talitha, die mich auf meiner Reise begleitet.“

Seine Frau? Talitha wäre am liebsten aus der Haut gefahren. Wenn er gesagt hätte, sie wäre seine Schwester, hätte sie damit kein Problem gehabt. Doch als Ehefrau würde sie gehorsam Khaleds Anweisungen folgen müssen. Jeder Widerspruch würde die Glaubwürdig-keit ihrer Geschichte gefährden.
Nur unter größter Anstrengung gelang es ihr weiterhin freundlich zu lächeln und Khaled nicht an die Gurgel zu springen. Doch sobald sie beide alleine wären, würde sie ihm gehörig die Meinung sagen. Aber nun musste sie erst einmal ihre Rolle weiterspielen.
„Eine hübsche Frau habt ihr da“, schmeichelte der Mann ihr. „Aber ich denke in einem neuen Kleid würde sie noch hübscher aussehen.“ Am liebsten hätte Talitha bei dem offensichtlichen Versuch ihnen etwas zu verkaufen laut losgelacht, doch sie hielt sich zurück.
„Ich könnte mir ja ein paar ansehen. Den Fetzen, den ich jetzt anhabe, kann man ja wirklich nicht mehr als Kleid bezeichnen.“ Zwinkernd grinste sie Khaled an und folgte dann dem Mann, der über eine schmale Planke an Bord des kleinen Schiffs ging. Aus den Augenwinkeln konnte sie sehen wie Khaled den Kopf schüttelte. Doch das Zucken, das dabei um seine Mundwinkel spielte, verriet seine gute Laune.
An Deck des Schiffs ließ Talitha ihren Blick umherschweifen. Es war landestypisch aus Papyrus gebaut und mit einem Segel versehen. Das zehn Meter lange und dreieinhalb Meter breite Boot war zwar nicht gerade riesig, sodass sie die nächsten Tage kaum Zeit für sich alleine haben würde, reichte jedoch aus, dass sie sich nicht beengt fühlte. Über dem Heck war ein großes Leinentuch gespannt, das Schatten spenden sollte, um auch die heißen Mittagsstunden halbwegs angenehm zu gestalten.
Gerade als der alte Mann, der sich als Potiphar vorgestellt hatte, sie unter das Deck führen wollte, um ihnen seine Ware und die Kleider zu zeigen, betrat ein junger Mann das Schiff.
„Ich habe alles besorgt, Vater.“ Auf seinen breiten Schultern trug er zwei große Körbe, die mit Brot, Trockenfleisch und Gemüse gefüllt waren. Stutzend blieb er stehen, als er Khaled und Talitha erblickte. Geschickt hievte er die Körbe von seinen Schultern und stellte sie auf den Boden. „Wer sind die beiden?“ Argwöhnisch musterte er Khaled. Als sein Blick jedoch zu Talitha glitt, erschien ein schelmisches Grinsen auf seinem Gesicht. Langsam wanderte sein Blick über ihren Körper und verweilte etwas länger an ihren Rundungen.
Neben ihr verzog Khaled das Gesicht, sagte jedoch nichts. Nun selbst grinsend trat Talitha auf den jungen Mann zu, der vielleicht gerade einmal zwei Jahre älter war als sie und streckte ihm selbstbewusst die Hand entgegen. Khaled konnte ruhig sehen, dass andere Männer Gefallen an ihr fanden.
„Ich bin Talitha“, stellte sie sich vor.
„Erjon“, nannte der junge Mann ihr seinen Namen und ergriff ihre Hand. Leicht schüttelte er sie und Talitha rechnete es ihm hoch an, dass er dabei die ganze Zeit in ihre Augen sah und nicht in ihr viel zu tiefes Dekolleté. Fasziniert stellte sie fest, dass seine Augen so grün wie die Gräser auf den Feldern waren und somit eine Nuance dunkler als ihre eigenen. Er besaß markante Wangenknochen und eine hohe Stirn, die durch seine kurzen hellbraunen Haare noch betont wurde und ihm ein belesenes Aussehen verlieh. Alleine der Schalk, der in seinen Augen aufblitzte, ließ erkennen, dass er viel herumgekommen war und sein Leben nicht in einer verstaubten Schreiberstube verbracht hatte.
„Khaled und Talitha begleiten uns nach Pi-Ramesse“, klärte Potiphar seinen Sohn auf, der seinen Blick nun von ihr löste und zu Khaled hinübersah.
„Verstehst du denn etwas von der Schifffahrt?“, fraget er ihn herausfordernd.
„Nicht viel“, gestand Khaled schulterzuckend, ohne auf die Herausforderung des jüngeren Mannes einzugehen.
Nachdenklich sah Talitha zwischen den beiden Männern hin und her und fragte sich zum ersten Mal, wie alt Khaled wohl eigentlich sei. Dass er älter als sie selbst war, stand außer Frage. Er besaß zum Teil eine Reife, die sie bei keinem Mann ihres Alters je entdeckt hatte und dennoch kam ab und zu die Überheblichkeit der Jugend in ihm durch. Wenn sie sein genaues Alter wissen wollte, würde sie ihn wohl fragen müssen. Doch den Gedanken schob sie schnell zur Seite. Eigentlich konnte es ihr völlig egal sein, wie alt Khaled war. Es spielte in keinerlei Hinsicht eine Rolle.
„Wenn ihr beiden euch um das Ablegen kümmert, dann könnte ich der jungen Dame einige Kleider zeigen“, kam Potiphar wieder zu dem Thema zurück, über das sie vor Erjons Ankunft gesprochen hatten. Mit einem kurzen Kopfnicken in die Richtung seines Sohnes drehte er sich um und lief die schmale Treppe im Heck hinab.
Die beiden jüngeren Männer sich selbst überlassend, folgte Talitha ihm. Sie freute sich darauf endlich wieder ein vernünftiges Kleid zu tragen und den schmutzigen Lumpen loszuwerden.
„Habt Ihr etwas Wasser an Bord, mit dem ich mich waschen kann? Ich bin bei dem Überfall gestürzt und würde mich gerne reinigen.“ Bittend sah sie den alten Mann an, der ihr zunickte und auf ein Fass im hinteren Ende des niedrigen Laderaums deutete.
„Wasch dir erst einmal die Hände und komm dann zu mir nach vorne. Ich werde dir die Kleider zeigen und wenn du dich für eines entschieden hast, kannst du dich fertig waschen und es anziehen.“
Dankend nickte Talitha ihm zu, schöpfte mit einer Kelle etwas Wasser aus dem Fass und wusch sich den Dreck von den Händen. Nachdem sie damit fertig war, trat sie zu Potiphar, der im Bug des Lagerraums auf sie wartete.

Missmutig verzog Khaled das Gesicht, bei dem Gedanken daran wie der Neuankömmling seinen Blick langsam über Talithas Körper hatte gleiten lassen. Die junge Frau schien sich jedoch nicht an den Blicken gestört zu haben. Viel mehr hatte es so gewirkt, als gefalle ihr die Aufmerksamkeit. Irgendwie störte das Khaled, ohne dass er recht wusste, warum eigentlich.
Als ihn der junge Mann dann gefragt hatte, wie viel er von der Schifffahrt wisse, hatte er wahrheitsgemäß ‘Nicht viel‘ geantwortet.
Warum sollte er auch lügen? Er hatte in seiner Kindheit und Jugend viel Zeit damit verbracht, alte Schriften zu studieren und ihre Sprache zu lernen. Als Sohn eines Hohepries-ters war das angemessener gewesen, als im Hafen herumzulungern und mit Schiffen durch die Gegend zu fahren.
Potiphar war mit Talitha unter Deck verschwunden und hatte ihn mit dem jungen Mann, der sich als Erjon vorgestellt hatte, zurückgelassen.
„In welcher Beziehung steht ihr zueinander?“, fragte dieser gerade beiläufig. Dennoch konnte Khaled die Neugierde in seiner Stimme hören.
„Sie ist meine Frau“, erwiderte er deswegen grinsend. Diese Antwort schien Erjon zu überraschen. Verblüfft sah er Khaled an, während er damit beschäftigt war die schmale Ladeplanke an Bord zu ziehen. Helfend trat Khaled neben ihn und legte mit Hand an.
„Ihr wirkt gar nicht so“, brachte Erjon endlich nach langem Schweigen hervor. Die Planke war mittlerweile sicher an Bord verstaut und er und Khaled waren damit beschäftigt das Segel zu hissen.
„Das sagen uns viele. Zudem sind wir auch noch nicht lange verheiratet und Talitha muss sich erst an ihre neue Rolle gewöhnen.“
„Wie alt ist deine Frau denn?“
Mit hochgezogener Augenbraue sah Khaled den jüngeren Mann an. Normalerweise siezte man ältere Personen, aber vielleicht dachte Erjon, dass der Altersunterschied zwischen ihnen nicht so groß sei. Doch Khaled schätze ihn gute drei bis vier Jahre jünger als sich selbst. Allerdings stellte sich nun eine ganz andere Frage. Er hatte Talitha nie nach ihrem Alter gefragt. Zwar glaubte er, dass sie so um die siebzehn Jahre alt sein musste, doch jetzt etwas Falsches zu antworten, würde ihre ganze Tarnung auffliegen lassen.
„Warum fragst du sie nicht selbst?“, entgegnete er deswegen gelassen. „Sie mag es nicht, wenn man über sie redet und ich lasse ihr diese kleine Eigenheit.“
„Gut, dann werde ich das machen“, antwortete sein Gegenüber grinsend, und bedeutete ihm an einem der Seile zu ziehen. Schwungvoll zogen sie das Segel hoch, das wie ein weißer Reiher seine Schwingen ausbreitete und vom Boden abhob. Sofort verfing sich der Wind in den Laken und das Schiff nahm Fahrt auf.

Staunend betrachtete Talitha die weichen Stoffe vor sich. Die Kleider waren nach der neusten Mode geschnitten. Dünner Stoff, der leicht durchsichtig war, stellte die obere Hälfte des Kleids dar. Unterhalb des Busens wurde er mit einer Schnalle zusammengehalten und ging in einen etwas schwereren, blickdichten Stoff über. Die Kleider unterschieden sich in Farbe und Länge. Einige besaßen kunstvolle Stickereien, während andere mit kleinen Perlen oder Pailletten verziert waren. Unter den Stücken waren auch einige, die die Brüste vollkommen frei ließen. Talitha erinnerte sich, dass diese Mode auch langsam bei den Damen am Hof Gefallen fand. Vor allem Tänzerinnen und Musikantinnen trugen immer öfter diese freizügigen Kleidungsstücke, die zum Teil mit langen Schärpen versehen waren. Alleine der blickdichte Stoff, der den Körper verhüllte, unterschied diese Kleider noch von denen der Prostituierten. Wahrscheinlich würden die Frauen in den Freudenhäusern bald vollständig nackt rumlaufen.
Ihre Freundin Amaunet hatte sie neulich auch mit einem dieser neuen Kleider besucht. Der weiche Stoff hatte sich spielerisch leicht um ihren Körper geschwungen und ihre weiblichen Rundungen betont. Über ihren Schultern hatte ihre Freundin ein blaues Seidentuch geworfen, das ihre meerblauen Augen besonders zur Geltung gebracht, ihre Brüste jedoch nicht einmal ansatzweise verborgen hatte. Amaunet war von ihren Freundinnen diejenige, die ihre weiblichen Reize am besten zur Schau stellen konnte. Talitha kannte keine andere Frau, deren Körper mit achtzehn Jahren solch perfekte Kurven besaß. Ihre Freundin war sich ihrer Reize stets bewusst gewesen und hatte sie schon in der frühen Jugend eingesetzt, um den Männern den Kopf zu verdrehen. Egal wo sie hingekommen war, alle Blicke hatten bewundernd auf ihr geruht und mit dem einen oder anderen Mann war sie in den Abendstunden verschwunden.
Nun war Amaunet die Frau eines reichen Händlers, der es ihr ermöglichte ihren Körper in feine Stoffe zu hüllen und mit kunstvollem Schmuck zu verzieren. Zudem hatte sie auch noch das Glück gehabt einen jungen, sehr hübschen Mann abzubekommen, sodass sie sich ohne viel Geziere in die Rolle der treuen Ehefrau gefügt hatte.
„Nun, gefällt dir eines der Kleider?“, holte Potiphar sie in die Gegenwart zurück.
„Die sind alle wunderschön“, gestand Talitha ihm und strich behutsam über die teuren Stoffe. „Aber was verlangt ihr überhaupt für eines dieser Kleider?“ Fragend sah sie zu dem alten Mann auf, der sie gutmütig musterte.
„Da ich dich mag und du meine Ware zu schätzen weißt, werde ich dir einen Freund-schaftspreis machen. Egal für welches Kleid du dich entscheidest, für fünf Silber- und fünf Kupfermünzen gehört es dir.“
Erstaunt sah Talitha den Mann an. Das war wirklich nicht teuer für so ein edles Kleid. „Das ist sehr großzügig. Ich danke Euch“, hauchte sie und lächelte Potiphar dankbar an.
„Gern geschehen. Ich denke, ihr beide hattet mit dem Überfall genügend Pech.“ Zwin-kernd wandte er sich von Talitha ab und stieg die Treppe hinauf an Deck.
Immer noch lächelnd wandte sich Talitha wieder den Kleidern zu. Eigentlich entsprach diese Mode nicht ganz ihrem Geschmack, doch plötzlich kam ihr eine Idee. Es juckte ihr in den Fingern Khaled zu zeigen, dass sie kein kleines Mädchen mehr war. Aus irgendeinem Grund störte es sie, dass er das zu glauben schien und nun bot sich ihr die Gelegenheit ihn vom Gegenteil zu überzeugen.
Oh ja, sie würde ihm zeigen wie weiblich sie sein konnte und dann ihren Plan verfolgen ihm deutlich zu machen, dass er nicht jede Frau haben konnte. Sie könnte ein bisschen mit Erjon flirten, kam es ihr in den Sinn. Es würde sie allzu sehr interessieren, wie Khaled als ihr ‘Ehemann‘ darauf reagierte, schließlich hatte er sich diesen Mist selbst eingebrockt. Auf jeden Fall hatte sie keine Lust, die nächsten Tage das brave Frauchen zu spielen.
Mit glühenden Wangen unterzog sie jedes Kleid einer genauen Musterung. Zunächst wollte sie ein langes tragen, um eleganter zu erscheinen. Doch nach einigem hin und her verwarf sie die Idee wieder. Ein langes Kleid wäre vielleicht vornehmer, würde sie während des weiteren Reiseverlaufs jedoch bestimmt nur behindern. Also widmete sie sich mehr den Kleidern, die bis zur Mitte des Oberschenkels reichten.
Schon nach wenigen Minuten wurde sie fündig. Das perfekte Kleid aus dem Stapel ziehend grinste sie vor sich hin und stellte sich Khaleds Reaktion vor, wenn er sie in dem Stoff sehen würde.

Verführungskünste

Khaled saß zusammen mit Potiphar und Erjon unter dem großen Leinentuch im Heck des Schiffs und betrachtete die vorbeiziehende Landschaft. Am Flussufer saß ein Schakal und betrachtete das Treiben auf dem Wasser mit schiefgelegtem Kopf. Ab und zu schnappte er nach einem der Vögel, die zu nah an seinem Kopf vorbeiflogen, ohne einen jedoch zu fangen. Die Abendsonne warf ihre goldenen Strahlen über das Land und tauchte alles in einen warmen Schein.
Gerade als der unterste Rand der hellen Scheibe die Dünen der Lybischen Wüste berührte, erschien Talitha vor dem Sonnenkreis am Treppenabsatz. Das goldene Licht ließ ihre Haare glänzen und ihre Haut weich wie Seide wirken. Doch viel faszinierter war Khaled von dem Kleid, das sie trug. Es umspielte ihren Körper wie die seichten Wellen des Nils die Steine am Ufer. Grüner Stoff wallte um ihre Hüfte, unter dem sich die Rundungen ihres Beckens und Hinterns deutlich abzeichneten. Unterhalb ihrer Brüste wurde der mit Lotusblüten und goldenen Pailletten bestickte Stoff von einer breiten Schärpe zusammengebunden, die mit einer Schnalle in Lilienform befestigt war. Ein hellgrüner Hauch von nichts, der perfekt zu der Farbe ihrer Augen passte und diese betonte, verhüllte ihre Brüste und Schultern. Die Form ihres Busens war deutlich zu erkennen und auch die Brustwarzen zeichneten sich unter dem Stoff ab. Ihre Haare hatte sie mit einer Nadel, an deren Ende ein goldener Kranich saß, hochgesteckt, so, dass ihr schlanker Hals frei lag und die goldenen Ohrringe zu sehen waren. Am linken Oberarm trug sie einen verzierten Goldreif und um ihr rechtes Fußgelenk schlang sich eine feingliedrige Kette.
Khaled konnte nicht anders als die grazile Gestalt vor ihm anzuschauen, die leichtfüßig zu ihnen herüberschwebte. Mit schief gelegtem Kopf lächelte sie die Männer engelsgleich an und drehte sich einmal im Kreis.
„Und, wie findet ihr es?“
Schweigen herrschte, bevor Potiphar als erster seine Stimme wiederfand. „Ich kenne keine Frau in ganz Ägypten, der dieses Kleid besser stehen würde. Es ist wie für dich gemacht und es wäre eine Schande gewesen, wenn ich es einer anderen gegeben hätte.“
Lachend ließ sich Talitha auf das vierte Kissen vor dem flachen Tisch sinken und strahlte den alten Mann freudig an.
„Euer Kompliment ehrt mich, aber ich glaube, Ihr übertreibt etwas.“
„Also ich stimme mit meinem Vater vollkommen überein. Du siehst wunderschön aus“, klinkte sich Erjon ein, der seine Stimme auch endlich wiedergefunden hatte.
„Danke sehr.“ Verlegen strich sich Talitha eine lose Haarsträhne hinter das Ohr und klimperte mit ihren Wimpern.
Immer noch nicht in der Lage den Blick von ihr abzuwenden, betrachtete Khaled sie eingehend. Das Kleid stand ihr wirklich ausgezeichnet, darin bestand keine Frage. Es ließ sie mit einem Mal älter wirken und ihn an seiner Schätzung ihres Alters zweifeln. Zum Glück hatte er Erjon nicht auf die Frage nach ihrem Alter geantwortet. Denn nun würde er zu gerne selbst wissen, ob er daneben lag und wenn ja, um wie viel. Er war sich sicher, dass sie eher älter als jünger war.
„Darf ich dich fragen wie alt du bist, Talitha?“, stellte Erjon ihr auch zugleich seine Frage von vorhin, als habe er Khaleds Gedanken gehört.
Verblüfft drehte sich Talitha zu ihrem ‘Ehemann‘ und sah ihn überrascht an. „Du hast es ihm nicht gesagt?“
Mit einem Zucken um die Mundwinkel spielte Khaled ihr Spiel mit. Wenn sie es so wollte, konnte sie es auch so haben. „Ich habe ihm erzählt wie ungerne du es hast, wenn man hinter deinem Rücken über dich spricht. Also habe ich ihn aufgefordert, dich selbst zu fragen.“
„Wie lieb von dir“, säuselte sie und klimperte mit ihren langen Wimpern. „Doch bei solchen Kleinigkeiten sehe ich das nicht so eng, das solltest du doch wissen.“
Warnend zog Khaled eine Augenbraue hoch und bedeutet ihr damit nicht zu weit zu gehen. Er hatte keine Lust, dass ihre Tarnung auffiel, nur weil sie mit seiner Geschichte anscheinend nicht einverstanden war. Doch Talitha schien verstanden zu haben, denn sie wandte sich wieder Erjon zu.
„Vor der Aussaat des Getreides habe ich meinen neunzehnten Geburtstag gefeiert.“
Nur mit Mühe gelang es Khaled nicht vor Überraschung die Augen aufzureißen. Dass er mit seiner Schätzung vielleicht doch falsch lag, hatte er sich ja gerade eben eingestanden. Aber dass sie zweieinhalb Jahre älter war, als er zunächst angenommen hatte, überraschte ihn doch. Sein Blick wanderte über ihren Körper, der von den leichten Stoffen umschmeichelt wurde. Sie wirkte in dem Kleid nicht nur wie eine Frau, sie war eine Frau.
Und dennoch verhielt sie sich zeitweilen wie ein pubertierendes Mädchen. Normalerweise legten junge Frauen dieses Verhalten mit sechzehn oder siebzehn Jahren ab, um die Ehefrau eines angesehenen Mannes zu werden. Doch Talitha schien einige dieser Charakterzüge behalten zu haben. Zum Teil macht es sie ja auch interessanter, gestand sich Khaled ein. So hob sie sich von der breiten Masse der Frauen ab, die sich gegenseitig versuchten mit ihren weiblichen Reizen und vornehmen Getue zu übertrumpfen. Und dennoch würde ihr etwas mehr Reife nicht schaden.

In sich hinein schmunzelnd betrachtete Talitha die drei Männer. Sie hatte mit bewundern-den Blicken gerechnet, auch mit dem einen oder anderen längeren, aber nicht damit, dass es allen drei Männern die Sprache verschlagen würde. Vor allem Khaleds Reaktion hatte sie gefreut. Er hatte doch tatsächlich nicht den Blick von ihr nehmen können und sie genauso wie die anderen beiden Männer sprachlos angesehen. Nur hatte er seine Gesichtszüge schneller wieder unter Kontrolle gebracht. Doch nun, als sie ihr Alter verraten hatte, waren sie ihm wieder entglitten. Entweder hatte er sie älter oder jünger geschätzt. Ihr Bauchgefühl sagte ihr jedoch, dass es eher letzteres war.
„Oh, ich habe gedacht, du wärst jünger“, brach es aus Erjon heraus, der sie daraufhin sogleich entschuldigend ansah.
„Schon gut“, winkte sie lachend ab. „Das finde ich eindeutig besser, als wenn du mich älter geschätzt hättest. Ich hoffe, ich halte mich weiterhin so gut.“ Sie zwinkerte ihm zu und griff nach einem der Brotfladen, die in einem Korb auf dem Tisch standen.
„Seit wann seid ihr beiden verheiratet?“, fragte nun Potiphar, der sich nun wieder auf ihr Gesicht konzentrierte. Seinem Sohn gelang dies nicht ganz, denn sein Blick wanderte immer wieder an ihrem Körper hinab. Schnell biss Talitha in das Brot und überließ es somit Khaled seine Geschichte weiterzuspinnen.
„Unsere Hochzeit fand kurz vor der Aussaat statt.“
„Dann seit ihr wahrlich noch nicht lange verheiratet. Und dann nehmt ihr eure Frau schon auf eine so weite Reise mit?“
„Ich wollte sie nicht gleich nach der Hochzeit in einem ihr noch fremden Haus allein lassen. Zudem wollten wir als frisch Vermählte nicht gleich voneinander getrennt sein.“ Mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen legte er seine Hand auf ihre Schulter.
Am liebsten hätte Talitha seine Hand von ihrer Schulter gefegt und ihm das schelmische Grinsen aus dem Gesicht gewischt. Er spielte mit ihr. Er wusste genau, dass sie sauer mit ihm war, weil er sie als seine Ehefrau vorgestellt hatte und jetzt spann er die Geschichte einfach weiter, so wie sie ihm gefiel. Aber das konnte sie auch.
„Natürlich hat er mich vor die Wahl gestellt, ob ich mitkommen möchte, oder lieber in unserem Haus auf ihn warte. Da ich mir jedoch dachte, dass sich mein Ehemann über meine Anwesenheit freuen würde, wollte ich ihm den Gefallen tun und bin mitgekommen. Hätte ich jedoch von den ganzen Strapazen gewusst, wäre ich doch lieber zu Hause geblieben.“ Bei dem letzten Satz warf sie Khaled einen bedeutungsvollen Blick zu.
Doch bevor dieser daraufhin etwas erwidern konnte, ergriff Erjon das Wort. „Ja, ihr habt wirklich Glück gehabt. Oftmals enden Überfälle tödlich.“
Potiphar stimmte seinem Sohn nickend zu und holte eine Flasche Reiswein, ein aus den östlichen Ländern importiertes Getränk, unter dem Tisch hervor. „Da hat er zweifellos Recht. Und deswegen werden wir jetzt auf euer Glück im Unglück anstoßen.“ Er füllte die Becher der drei Männer mit dem alkoholischen Trunk. Als er bei Talithas Becher ankam, hielt er inne und sah Khaled fragend an. Doch bevor dieser auf die stumme Frage antworten konnte, schob Talitha Potiphar ihren Becher entgegen.
„Ich nehme auch einen Schluck.“ Verwirrt sah der alte Mann sie an, bevor sein Blick wieder zu Khaled wanderte. „Ihr müsst ihn nicht um Erlaubnis fragen mir einschenken zu dürfen. Ich entscheide selbst was ich trinke und was nicht“, fügte sie nun leicht gereizt hinzu. Das wurde ja immer schöner. Nur weil Khaled sich als ihr Mann ausgegeben hatte, würde sie ihm noch lange nicht erlauben zu bestimmen was sie trinken oder essen dürfe.
„Sie hat sich noch nicht ganz an die Ehe gewöhnt. Ihre Eltern haben ihr etwas zu viele Freiheiten gelassen.“ Milde lächelnd nickte Khaled Potiphar zu und bedeutete ihm somit, dass es in Ordnung war, wenn er ihr Wein eingoss.
„Ach ja?“, brauste Talitha auf. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass du meine Eltern so gut kennst, dass du ihre Erziehungsmethoden in Frage stellen könntest.“ Wütend ballte sie die Hände unter dem Tisch zu Fäusten und sah ihn erzürnt an. Jetzt ging er wirklich zu weit.
Mit hochgezogener Augenbraue betrachtete Khaled sie gelassen. „Ich habe mich mit deinem Vater ausgiebig unterhalten und er gestand selbst, dass du als einziges Kind deiner Eltern gewisse Privilegien genießen durftest.“
Das reichte. Talitha sah rot und es war ihr im Moment herzlich egal, ob sie ihre Deckung auffliegen ließ oder nichts. Vielleicht wäre es sogar besser so. Dann müsste sie wenigstens nicht noch länger mit diesem aufgeblasenen Trottel auf dem Schiff verbringen.
Wutentbrannt sprang sie auf und funkelte Khaled aus zusammengekniffenen Augen zornig an. „Du hast keine Ahnung davon, wie ich aufgewachsen bin. Du weißt nicht im Mindesten, wie meine Kindheit oder Jugend war, also wage es ja nie wieder dir eine Meinung über mich zu bilden.“ Schwungvoll drehte sie sich um und verließ den Tisch.
„Frauen. Sie fängt sich schon wieder“, hörte sie Khaled hinter sich belustigt sagen. Nur mit Mühe und Not konnte sich Talitha davon abhalten zum Tisch zurückzugehen, und ihm eine Ohrfeige zu geben. Es juckte ihr in den Fingern, diesem arroganten Mistkerl einen Dämpfer zu verpassen. Er brachte sie einfach immer wieder auf die Palme, egal wie sehr sie auch versuchte Ruhe zu bewahren.
Im Bug angekommen, stützte sie sich am Geländer ab und sah in den Sternenhimmel hinauf. „Super Bastet, könntet Ihr mir einmal verraten, warum Ihr mir diesen ganzen Mist aufgebrummt habt?“ Abwartend betrachtete sie die Himmelskörper, doch wie alle anderen Götter schwieg auch Bastet. „Klar, schweigt Euch nur aus. Warum auch antworten, ich bin ja nur ein kleines, dummes Menschlein, das Ihr für eure Spielchen gebrauchen könnt. Sagt den anderen, ich hab keine Lust mehr auf euch und eure Spielereien. Sucht euch jemand anderen dafür.“

Nur mühsam gelang es Khaled die in ihm aufsteigende Wut zu unterdrücken und nach außen hin gelassen zu bleiben. Was dachte sich Talitha eigentlich dabei? Sie spielten hier beide ein Theaterstück, um unerkannt nach Pi-Ramesse zu kommen, und sie gefährdete alles, in dem sie immer wieder aus ihrer Rolle fiel. Vielleicht hätte er sie einfach betäuben und weiterhin als Diebin und Prostituierte ausgeben sollen, um sie nach Baset zu bringen. Auf jeden Fall wäre das bestimmt einfacher gewesen, als diese Schifffahrt.
Entsetzt sah Potiphar Talitha nach, als diese aufgebracht den Tisch verließ.
„Frauen. Sie fängt sich schon wieder“, versuchte Khaled die Wogen zu glätten und sah den alten Mann entschuldigend an.
„Sie ist reichlich ungehorsam“, stellte dieser fest und sah ihn eingehend an. „Warum lässt du dir das von deiner Frau gefallen?“
Seufzend fuhr sich Khaled durch die Haare. Für diese ganzen Komplikationen würde sich Talitha nachher von ihm noch etwas anhören können. „Ich wollte eine Frau und keine leblose Puppe als Ehefrau. Sie musste genügend Verstand und Scharfsinn mitbringen, um sich um mein Geschäft kümmern zu können, wenn ich einmal nicht da bin. Talitha besitzt eine Weitsicht, wie ich sie bisher bei keiner anderen Frau gesehen habe. Sie ist eine unglaublich starke Persönlichkeit, nur leider ist diese bei ihr mit einer gewissen Dickköpfigkeit gepaart. Sie ist fest entschlossen auch in der Ehe über sich selbst zu bestimmen. Sie ist noch jung. Mit der Zeit wird sich das legen.“
Schweigend betrachtete ihn Potiphar einen Moment. „Erjon, geh bitte einmal nachgu-cken, ob wir noch eine Lampe im Lagerraum haben. Es wird langsam etwas zu dunkel nur mit den paar Leuchten auf der Reling.“ Behände erhob sich der junge Mann und verließ den Tisch.
Als er in der Dunkelheit verschwand, räusperte sich Potiphar. „Ich hab schon vieles erlebt, aber nicht, dass ein Mann seine Frau in sein Geschäft mit einbezieht. Was soll das für einen Sinn haben?“
Jetzt musste sich Khaled schnell etwas überlegen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass der alte Mann dieses Thema weiterverfolgen würde. „Es stärkt die Bindung der Ehe. Ich habe bei meinen Eltern gesehen, dass eine Frau nicht nur die Geliebte des Mannes sein muss. Sie kann auch seine Freundin und Beraterin sein und ihm treu zur Seite stehen. Meine Mutter hatte so manchen Einfall, auf den mein Vater alleine nicht gekommen ist, der sein Geschäft aber stark vorantrieb. Ihre Ehe war ausgefüllter als jede, die ich bei anderen Paaren beobachten konnte, da sie sich gegenseitig respektierten und schätzten.“
Ernst erwiderte Khaled den Blick seines Gegenübers. Er hatte nicht einmal gelogen. Seine Eltern waren schon lange Freunde gewesen, bevor sie ein Liebespaar geworden waren. Und auch als seine Geliebte, hatte sein Vater seine Mutter immer respektiert und in ihr die alte und treue Freundin von vorher gesehen. Er hatte stets ihren Rat gesucht und viel Wert auf ihre Worte gelegt. Als Musikerin im Tempel Bastets war sie immer an seiner Seite gewesen und hatte ihn in seinen Vorhaben unterstützt, auch wenn sie niemals seine Ehefrau werden konnte. Sie starb als Khaled siebzehn war.
„Und das selbe willst du mit deiner Frau aufbauen?“, holte ihn Potiphar aus seinen Gedanken.
Oh nein, Talitha war zu stur, zu dickköpfig und eigensinnig, als dass er zu ihr so eine Beziehung aufbauen könnte. Respekt war für sie ein Fremdwort. Dennoch antwortete Khaled: „Ja. Es ist noch ein weiter Weg, aber ich bin mir sicher, dass wir es schaffen können.“
Der ernste Gesichtsausdruck des alten Mannes wurde weicher und Lachfalten bildeten sich um seine Augen. „Diese Einstellung haben wenige Männer, was nicht heißt, dass sie falsch ist. Meine Frau und ich sind seit vielen Jahren verheiratet und unsere Ehe wäre nicht so glücklich, wenn sie nicht auf gegenseitigem Respekt beruhen würde.“
Ja, Respekt war das A und O, das war auch Khaleds Meinung. Ohne Respekt konnte keine Liebe entstehen und eine Ehe ohne Liebe konnte niemanden glücklich machen. Nur gut, dass er mit Talitha nicht wirklich verheiratet war.

Immer noch bebend vor Wut stand Talitha an der Reling und sah in die Nacht hinaus. Die Silhouetten der Palmen und Häuser am Nilufer schwebten an ihr vorbei, von den unzähligen Sternen am Nachthimmel erhellt.
„Eine schöne Nacht.“
Erschrocken fuhr Talitha zusammen und drehte sich zu Erjon um, der zu ihr getreten war. Stirnrunzelnd betrachtete sie sein Profil, das von den Öllampen auf der Reling angestrahlt wurde. Er sah wirklich gut aus. Seine kurzen Haare waren leicht verstrubbelt und seine Augen musterten sie aufmerksam. Ihr Blick blieb an seinen vollen Lippen hängen, die zu einem schiefen Grinsen verzogen waren.
„Ja. Es ist sehr mild heute“, ging sie auf das belanglose Gespräch ein und erwiderte sein Lächeln. „Ich hätte nie gedacht, dass der Nil nachts so ruhig ist.“
„Ich finde es auch eindeutig angenehmer als am Tag.“ Nach einer längeren Pause sprach er weiter. „Ihr seid wirklich noch nicht lange verheiratet.“
Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, trotzdem antwortete Talitha: „Nein.“ Das eine Wort drückte all ihre Abneigung und Verdrossenheit aus.
„Du liebst ihn nicht.“ Wieder eine Feststellung. Doch diesmal antwortete Talitha nicht. Es war mehr als offensichtlich, dass er Recht hatte und das wusste er auch. „Warum habt ihr dann geheiratet?“
Überrascht drehte sie sich zu Erjon um. „Der Wille meines Vaters und geschäftliche Gründe.“ Das hätte er sich ja eigentlich auch selbst denken können. Einen anderen Grund konnte es ja wohl kaum für eine unfreiwillige Hochzeit geben.
Dennoch wirkte Erjon verwirrt. „Ich würde niemals eine Frau heiraten, die mich nicht liebt. Erst würde ich sie solange umwerben, bis sie selbst die Hochzeit wünscht.“ Dabei sah er ihr tief in die Augen. Flirtete er etwa gerade mit ihr?
„Und wie würdest du da vorgehen?“, ging Talitha auf das Spiel ein und lächelte kokett.
Mit einem Glitzern in den Augen trat Erjon auf sie zu und ergriff ihre Hand. „Ich würde ihr erst einmal sagen, wie wunderschön sie für mich ist, und dass noch kein Anblick einer anderen Frau mich so gefesselt hat wie ihrer.“
Nach Luft schnappend, spürte Talitha wie ihr Herz zu rasen begann. Oh, das Spiel be-herrschte er, darin bestand kein Zweifel. Und dass es ein Spiel war, zeigte ihr das schelmische Grinsen auf seinen Lippen. Auf diese Partie würde sie sich einlassen. „Das klingt schon einmal sehr überzeugend“, hauchte sie und lächelte ihn verführerisch an. „Und wie geht es dann weiter?“
„Ich würde sie mit kleinen Geschenken umwerben und sie zu Tagesausflügen abholen, bei denen wir uns ungestört kennenlernen können.“ Auf welche Art und Weise sie sich kennen lernen würden, konnte sich Talitha nur allzu gut vorstellen. Alleine bei der Vorstellung den muskulösen Körper vor sich zu spüren, wurden ihre Wangen heiß und ihr Atem geriet ins Stocken. Es war so eine angenehme Abwechslung, dass sie von einem Mann um ihrer selbst willen begehrt wurde und nicht wegen des Vermögens ihres Vaters.
„Und was würde dann in der trauten Zweisamkeit geschehen?“
Doch bevor Erjon antworten konnte, erklang ein Räuspern hinter ihnen.

Stirnrunzelnd sah sich Potiphar nach seinem Sohn um, der immer noch nicht wieder aufgetaucht war. „Eigenartig, so groß ist das Schiff doch gar nicht.“
„Er wird einfach ein wenig suchen müssen“, entgegnete Khaled achselzuckend und leerte seinen sechsten Becher Reiswein. Das Getränk war tückisch und begann langsam seine Wirkung zu entfalten. Er befürchtete, dass er die Auswirkungen später noch stärker spüren würde. Der Alkohol begann erst nach einer guten Weile gänzlich zu wirken.
„Wir haben übrigens in dem hinteren Teil des Lagerraums eine kleine Kajüte. Du kannst mit deiner Frau dort schlafen.“
Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Khaled den alten Mann an. „Und wo schlaft Ihr?“
„Ich werde mich mit Erjon mit dem Steuern des Schiffs abwechseln. Wir legen uns hier einfach ein paar Decken hin zum Schlafen.“
„Das können wir nicht annehmen“, wollte Khaled das Angebot ausschlagen, doch Potiphar beharrte darauf.
„Und ob. Man lässt eine Frau nicht auf dem Boden schlafen und ich bin noch nicht so alt, dass ich das nicht mitmachen könnte.“
Daraufhin wusste Khaled nichts zu erwidern, was den alten Mann nicht gleichzeitig kränken würde. Also nahm er das Angebot dankend an und versprach im Gegenzug dazu morgen ordentlich mit Hand anzulegen.
Er stellte seinen Becher zurück auf den Tisch und erhob sich. Erleichtert registrierte er, dass er den Alkohol weniger spürte als zunächst befürchtet. Kein Schwanken und kein Schwindel. „Dann sehe ich jetzt einmal nach Talitha und wir werden uns zurückziehen. Ich wünsche Euch eine angenehme Nachtruhe.“
Mit einem knappen Kopfnicken bedankte sich Potiphar. „Euch auch und schicke meinen Sohn zu mir, wenn du ihm über den Weg läufst.“
Nickend drehte sich Khaled um und trat auf das Segel zu. So groß war das Schiff nicht, also konnte sich Talitha nur auf der anderen Seite befinden. Wahrscheinlich stand sie schmollend an der Reling oder betrachtete den Sternenhimmel. Mit der linken Hand drückte er das Leinentuch ein Stück zur Seite und glitt an ihm vorbei.
Überrascht hielt er inne und spürte, wie Wut in ihm aufkeimte. Dort am Bug im Schein der Lampen stand Talitha an die Reling gelehnt. Dicht vor ihr stand Erjon, ihre schmale Hand in seiner. Doch was Khaled wirklich wütend machte, war Talithas Ausstrahlung. Ihre Wangen waren gerötet, ihr Mund leicht geöffnet und ihre Brust hob und senkte sich stark. In ihren Augen lag ein verführerischer Glanz, der ihre Erregung nicht verbarg.
Erjon war gerade dabei sich zu ihr herunterzubeugen und ihr etwas ins Ohr zu flüstern, als Khaled mit einem bestimmten Räuspern auf die beiden zutrat. Erschrocken zuckte Erjon zurück, doch Talitha blieb die Ruhe in Person.
„Oh, hallo Khaled“, begrüßte sie ihn säuselnd und klimperte mit den Wimpern.
„Was geht hier vor sich?“ Khaled konnte es nicht verhindern, dass seine Stimme nur noch ein leises Knurren war. Da kam der Reiswein jetzt doch durch, ansonsten hätte er sich besser unter Kontrolle gehabt.
„Wir haben uns nur ein wenig unterhalten“, entgegnete sie unschuldig. Doch ihr Anblick teilte ihm etwas anderes mit, was ihm missfiel. Und das wiederum steigerte seine Wut noch, denn er hatte keinen Grund so zu reagieren. Schließlich war sie nicht wirklich seine Frau und dennoch spürte er einen stetig wachsenden Zorn, je länger er die beiden nebeneinander stehen sah.
„Diese Unterhaltung ist jetzt beendet.“ Bewusst ließ er seine Worte wie einen Befehl klingen, denn nichts anderes waren sie.
„Ach ja?“ Sofort sah er ein störrisches Aufblitzen in Talithas Augen. „Ich bestimme immer noch wie lange und mit wem ich rede.“
„Und ich werde nicht tatenlos dabei zusehen, wenn ein anderer Mann meiner Frau den Hof macht.“
Daraufhin schoss eine verlegene Röte in Erjons Wangen. „So war das nicht. Ich hab nur ein wenig gespaßt“, druckste er herum.
„Dein Vater will dich sehen.“ Mit eiskaltem Blick durchbohrte Khaled den jüngeren Mann, der verstanden hatte und sich auf der Stelle zurückzog. „Und du kommst jetzt mit mir.“ Grob griff er nach Talithas Handgelenk und zog sie hinter sich her. Diese versuchte zwar sich aus seinem Griff zu befreien, doch Khaled war deutlich stärker als sie. Als sie, sich gegenseitig angiftend an Potiphar und Erjon vorbeikamen, taten die beiden so als seien sie selbst in ein angeregtes Gespräch vertieft. Herrisch bugsierte Khaled Talitha die Stufen im Heck des Boots hinunter und schmiss sie sich kurzerhand über die Schulter, als diese versuchte sich am Geländer festzukrallen. Fluchend trug er die um sich tretende Talitha in das kleine Zimmer, das ihnen Potiphar großzügiger Weise überlassen hatte. Dabei schlugen ihre Fäuste immer wieder auf seinen Rücken nieder, ohne ihm jedoch ernsthaft wehzutun. Entweder besaß sie nicht sehr viel Kraft, oder sie dachte an seine Wunden von der Peitsche des Sklavenhändlers und wollte ihn nicht wirklich verletzen.
Unsanft stellte Khaled sie auf den Boden und schloss die Tür ab. „Sei still!“, herrschte er sie an, als sie ihn zum hundertsten Mal als ‘großspurigen, rüpelhaften Dreckskerl‘ beschimpfte. Donnernd knallte er seine Hände links und rechts von ihrem Kopf an die Wand und nahm sie somit zwischen seinem Körper und dem Papyrus gefangen. „Ich rette dich vor den Wachen, helfe dir aus Theben herauszukommen und das alles ohne Fragen zu stellen und so dankst du es mir?“ Seine Stimme bebte vor Wut und seine Muskeln zitterten leicht. Es kostete ihn alle Mühe, die Beherrschung zu behalten und nicht laut loszubrüllen.

Erschrocken sank Talitha ein Stück in sich zusammen. Khaled war wirklich stocksauer. Seine Stimme war schneidend und bebte sogar leicht vor unterdrückter Wut. Auch in seinen Augen konnte sie den Zorn über ihr Verhalten sehen. Sie funkelten gefährlich und schienen sie regelrecht an die Wand zu nageln.
„Ich…ich…“, stotterte sie und musste erst einmal schlucken, um weitersprechen zu können. Sie hatte es zu weit getrieben, das erkannte sie nun selbst. Und wenn sie etwas gelernt hatte, auf das sie wirklich Wert legte, dann war es eigene Fehler nicht nur zu erkennen sondern auch zuzugeben. Zitternd schloss sie ihre Augen und atmete einmal tief ein und aus, bevor sie sie wieder öffnete. „Es tut mir leid.“
Sie konnte sehen wie mit einem Schlag jegliche Wut aus Khaleds Blick wich. An ihre Stelle trat Überraschung und Unglaube. „Es tut dir leid?“, hakte er mit hochgezogenen Augenbrau-en nach.
„Ja“, Talithas Stimme klang reumütig. „Ich bin dir zu Dank verpflichtet, da hast du Recht.“ Sie hob ihren Blick und sah ihm fest in die Augen, ihre Stimme nun wieder bestimmt klingen lassend. „Aber auch du bist mir zu Dank verpflichtet. Ohne mich wärst du immer noch ein Sklave und hättest mir erst gar nicht helfen können. Wir sind also vollkommen gleichgestellt und dann einfach über meinen Kopf hinweg Sachen zu entscheiden, die mich sehr wohl etwas angehen, ist einfach nicht in Ordnung.“
Khaleds verblüffter Gesichtsausdruck wechselte zu einem skeptischen. „Jedoch bin ich der Mann und besitze deutlich mehr Lebenserfahrung als du. Du solltest also auf mein Urteil vertrauen.“
„Sollte ich das?“ Talitha konnte es nicht verhindern, dass bei Khaleds Worten erneut Wut in ihr aufstieg. „Nur weil du ein Mann und etwas älter als ich bist, heißt das noch lange nicht, dass ich all deine Entscheidungen gutheißen muss.“
„Ein paar Jährchen trennen uns aber schon“, entgegnete Khaled plötzlich verschmitzt, was Talitha nur noch mehr aufregte.
„Und wenn es hundert Jahre wären, das ist mir vollkommen egal. Ich will nicht, dass du über meinen Kopf hinweg für mich entscheidest.“ Hitze stieg in ihre Wangen und sie ballte ihre Hände zu Fäusten. Khaled so nah zu sein brachte sie aus der Fassung. Vor allem wenn er sie so verschmitzt angrinste. Das Funkeln in seinen Augen verstärkte die Hitze in ihren Wangen noch und verursachte ein angenehmes Kribbeln in ihrem Bauch. Doch solche Gefühle konnte sie jetzt gar nicht gebrauchen, schließlich war sie gerade dabei sich mit ihm zu streiten.
Aber Khaled schien plötzlich ganz andere Sachen im Kopf zu haben. Immer noch breit grinsend lehnte er sich weiter nach vorne, sodass ihre Körper nur noch wenige Millimeter trennten. Sie konnte förmlich die Wärme seines Körpers auf ihrer Haut fühlen. Er brachte seinen Mund dicht neben ihr Ohr, sodass sein Atem sacht über ihre Wange strich. Sie nahm eine leichte Note von Reiswein an ihm wahr, die sich mit seinem eigenen dunklen Geruch vermischte. „Und wenn ich mich nicht daran halte?“
Sanft fuhr er mit seiner Nase ihre Schläfe entlang, nach vorne über ihre Wange und hielt dicht vor ihrem Mund an.
Zitternd versuchte Talitha ihre Atmung zu kontrollieren, die viel zu schnell ging. Doch es wollte ihr nicht so recht gelingen. „Dann bekommst du es mit mir zu tun“, gab sie zurück, wobei sie feststellen musste, dass ihre Stimme komisch rau klang.
Ein tiefes Lachen entrang sich Khaleds Kehle, das ihr angenehme Schauer über den Rücken jagte, die sich zwischen ihren Beinen sammelten. „Kleine Mädchen sollten nicht mit großen Jungs spielen.“ Mit jedem Wort streiften seine Lippen die ihren, wobei heiße Wellen durch ihren Schoß schossen. Eine verräterische Feuchte breitete sich zwischen ihren Schenkeln aus und machte es ihr unmöglich, Khaleds Anziehungskraft auf sie zu leugnen. Noch nie hatte ein Mann sie so gereizt wie er. Nur mit Mühe und Not gelang es ihr, die Finger von ihm zu lassen und sein Gesicht nicht zu ihrem hinunterzuziehen. Doch ihre Gefühle zu unterdrücken, gelang ihr nicht mehr. Sie konnte in Khaleds Augen lesen, dass er ihre Reaktion auf ihn sehr wohl wahrgenommen hatte.
„Und, möchtest du wieder nach oben zu Erjon?“
Überrascht riss Talitha die Augen auf. Was sollte das denn? War Khaled etwa eifersüchtig? Sie konnte es kaum glauben, doch alles sprach dafür. Plötzlich ergab sein Verhalten einen Sinn für sie und ein breites Grinsen erschien auf ihren Lippen.

Hatte er das gerade wirklich gesagt? Am liebsten hätte sich Khaled auf die Lippen gebissen, doch damit hätte er alles nur noch schlimmer gemacht. Wenn er Glück hatte, würde Talitha dieser kleine Ausrutscher gar nicht auffallen. Verdammter Reiswein. Doch natürlich besaß er so viel Glück nicht. Außerdem hatte er von Talitha auch nichts anderes erwartet. Sie war zu schlau und gerissen, als dass ihr dies verborgen bleiben würde und das Grinsen, das auf ihr Gesicht trat, bestätigte seine Vermutung.
„Ist da etwa jemand eifersüchtig?“, fragte sie frech.
Als Antwort darauf schnaubte Khaled abfällig. „Worauf sollte ich denn da eifersüchtig sein?“
„Och.“ Mit den Schultern zuckend, aber immer noch grinsend, hob sie ihren rechten Arm und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Wie nebenbei ließ sie ihre Hand wieder sinken und strich dabei an ihrem Körper entlang. Er folgte ihrer Bewegung und blieb an ihren Brüsten hängen. Ihre aufgerichteten Brustwarzen drückten sich durch den Stoff und er konnte die dunkle Färbung ihrer Knospen erkennen. Diese kleine Schlange.
Augenblicklich machte sich seine eigene Erregung bemerkbar und drückte gegen den Stoff der Leinenhose. „Spiel nicht mit dem Feuer, Mädchen“, riet er ihr heiser, die Hände neben ihrem Kopf zu Fäusten geballt. Kurz davor die Kontrolle zu verlieren, schob er ein Knie zwischen ihre Beine und spürte die Hitze ihres Schoßes auf seinem Schenkel.
„Feuer kann Wasser nichts anhaben“, entgegnete sie nur kühn und hob tatsächlich erneut ihre Hand. Diesmal glitten ihre Finger jedoch nicht an ihrem eigenen Körper entlang, sondern strichen über seine Brust.
„Und ob“, raunte er an ihren Lippen, sich kaum noch beherrschend. „Feuer kann Wasser verdampfen.“ Doch Talitha grinste ihn nur verführerisch an und strich sich mit der Zunge über die Lippen. Mit einem wilden Knurren presste Khaled seinen Mund auf den ihren. Überrascht keuchte Talitha auf und er nutzte die Gelegenheit, um mit seiner Zunge in ihren Mund einzudringen. Besitzergreifend erkundete er diesen und nahm zufrieden war, dass sie auf den Kuss einging. Ihre Hände wanderten in seinen Nacken und zogen ihn noch weiter zu sich herab. Sie küsste ihn mit einer solchen Hingabe, die er niemals bei ihr erwartet hätte.
Stürmisch hob Khaled sie vom Boden hoch, jegliche Selbstbeherrschung aufgebend und trug sie zu dem schmalen Bett hinüber. Er ließ Talitha auf das Stroh fallen und lag schon wenige Sekunden später über ihr. Verlangend streckte sie ihre Hände nach ihm aus und legte ihre Lippen sofort wieder auf seine. Sie küsste ihn mit einer Intensität, die ihn aufs Neue überraschte. Diese Frau war nicht nur wild und kratzbürstig, wenn sie wollte, konnte sie auch pure Leidenschaft verkörpern.
Bestimmt schob er sein Knie zwischen ihre Schenkel und spürte die Feuchte ihrer Scham durch den dünnen Stoff des Kleids hindurch. Das Verlangen in seinem Bauch ballte sich zu einem festen Knoten zusammen und er musste sich zurücknehmen, um ihr den störenden Stoff nicht einfach vom Leib zu reißen.

Mit fiebrigem Blick sah Talitha zu dem Mann hoch, der über ihr lehnte. Khaled stützte sich mit dem linken Arm auf der Liege ab, während seine rechte Hand auf ihrem Knie ruhte. Sie vergrub ihre Finger in seinen schwarzen Haaren und küsste ihn stürmisch, als würde es keinen Morgen geben. Es war nicht so, dass Khaled der erste Mann war, den sie küsste, nicht einmal der erste, der ihren Körper erkundete. Aber er war darin mit Abstand der beste. Jeder Kuss entfachte ein Feuer in ihr, das seine Funken durch ihren ganzen Körper schickte. Hitze sammelte sich zwischen ihren Beinen und sie wollte plötzlich nichts anderes, als Khaleds Haut an ihrer zu spüren. Talitha zog das Leinenhemd aus seinem Schurz und schob ihre Hände darunter. Mit zitternden Fingern fuhr sie seine Bauchmuskeln nach und glitt weiter nach oben zu seiner Brust und seinen kräftigen Schultern. Als sie seine Brustwarzen streifte, während sie ihm das Hemd über den Kopf zog, entfuhr ihm ein erregtes Knurren. Besitzergreifend drückte er seine Lippen auf ihre und küsste sie hart. Er presste sein Becken gegen ihres, so, dass sie seine Härte an ihrer Mitte spürte.
Erregt stöhnte Talitha in den Kuss und fuhr mit ihren Händen über seinen Rücken. Erschrocken zuckte sie zurück, als sie seine Wunden berührte. Khaled ließ sich jedoch nichts anmerken. „Deine Verletzungen…“, nuschelte sie in seinen Mund, doch er unterbrach sie nur mit einem weiteren heftigen Kuss. Seine Hand glitt von ihrem Knie über ihren Oberschenkel und an ihrer Seite entlang, bis zu ihren Brüsten hinauf. Keuchend ließ Talitha ihren Kopf in den Nacken fallen, als er begann ihre linke Brust zu kneten. Sein Daumen strich über ihren Nippel, während sich sein Mund ihren Hals hinabküsste und jagte kleine Hitzewellen durch ihren Körper. Mit seiner Zunge fuhr er ihre Halsschlagader entlang, bis hinab zu ihrem Schlüsselbein. Sanft knabberte er an der empfindlichen Haut über dem Knochen.
Talithas Atem ging nur noch stockend und sie klammerte sich an seinen Schultern fest. Nie hätte sie gedacht, dass sie solch eine Lust empfinden könnte. Natürlich hatte sie bei dem einen oder anderen Mann schon einmal überlegt wie es wäre weiterzugehen, doch nie war der Drang so überwältigend gewesen, dass sie sich ihm hingegeben hätte. Ihre Eltern hatten ihr viele Vorschriften gemacht, die ihr nicht in den Kram gepasst hatten. Um ihren Vater jedoch nicht ganz zu verstimmen, hatte sie sich immer an einige von denen gehalten, die ihren Eltern besonders wichtig zu sein schienen. Und obwohl es den meisten Männern egal war, ob sie eine Jungfrau heirateten, einige bevorzugten sogar Frauen, die im Bett schon Erfahrung besaßen, hatten ihre Eltern stets Wert darauf gelegt, dass sie bis zu ihrer Hochzeit jungfräulich blieb. Natürlich hatte Talitha alles andere ausprobiert, alleine schon, um ihre auferlegte Grenze soweit wie möglich auszureizen, jedoch hatte sie sich stets an diese Vorschrift ihrer Eltern gehalten und den letzten Schritt nie getan. Und da diese dies wussten, hatten sie sie nie allzu hart bestraft, wenn sie zu spät nach Hause kam oder sich des Nachts davon schlich.
Allerdings hatte Talitha auch nicht damit gerechnet, dass sie sich ihre Jungfräulichkeit für einen Mann wie Aziz aufsparte. Hätte sie von den Heiratsplänen ihres Vaters für sie gewusst, hätte sie diese Vorschrift schon längst gebrochen und wenn es alleine dazu diente, einer ungewollten Ehe zu entkommen.
Doch Khaled brach ohne Mühe durch ihren selbsterbauten Schutzwall und dies nicht nur, weil sie nun nicht mehr auf die Vorschriften ihrer Eltern hören musste. Selbst wenn sie Khaled noch in Theben kennengelernt hätte, als sie noch nichts von Aziz wusste, könnte sie nicht mit Sicherheit sagen, dass sie ihm widerstanden hätte. Er entfachte ein Feuer in ihr, das schon lange in ihrem Inneren glomm, ohne jedoch auszubrechen. Bis jetzt.
Erschaudernd nahm sie wahr, wie Khaleds Zähne über ihre rechte Brustwarze schramm-ten. Leicht biss er in ihre zarte Knospe und entlockte ihr somit ein kehliges Stöhnen. Durch den durchsichtigen grünen Stoff zog er ihre Spitze in seinen Mund und umkreiste sie mit der Zunge. Erregt hob Talitha ihr Becken und presste es gegen seins, rieb sich an seinem mittlerweile voll erigiertem Schwanz. Ein triebhaftes Knurren war die Antwort. Haltlos schob Khaled den störenden Stoff zur Seite und legte ihre Brüste frei. Als die kühle Luft über ihre noch von Khaleds Küssen feuchte Brustwarze strich, jagte ein wohliger Schauer durch ihren Körper und sammelte sich zwischen ihren Beinen. Lustvoll stöhnend, warf sie ihren Kopf in den Nacken und versuchte Khaled zu einem Kuss hinabzuziehen.

Wie eine Schlange wand sich Talitha unter ihm. Ihr Körper wurde nur vom Schein des Mondes beleuchtet, der durch zwei kleine Fenster in die Kajüte fiel. Er hüllte ihren zarten Körper in ein silbernes Licht und betonte die makellose Haut. Ein kleiner Leberfleck zierte ihre linke Brust, ansonsten war die weiche Haut frei von Schönheitsfehlern. Mit erhitztem Blick sah sie ihn aus strahlend grünen Augen an und streckte ihre Hände nach ihm aus. Ohne sich lange zu zieren, folgte Khaled ihrer stummen Bitte und küsste sie leidenschaftlich.
Seine Hände strichen über ihren schlanken Körper, wanderten an ihren wohlgeformten Brüsten hinab und kamen auf ihren schmalen Hüften zur Ruhe. Sein Penis war voll aufgerichtet und die Erektion schmerzte an seinem Bauch. Doch noch wollte er das Spiel genießen. Geschickt raffte Khaled den Stoff ihres Kleids zusammen und schob es nach oben. Noch einmal sah er in das Gesicht der jungen Frau, die seinen Blick mit vor Lust glänzenden Augen erwiderte. Mit einem schiefen Grinsen glitt er noch tiefer und kam mit seinen Schultern zwischen ihren Schenkeln zur Ruhe. Nun konnte er Verwirrung in ihrem Blick sehen, was ihn leicht irritierte. Konnte es sein, dass sie dies noch nie gemacht hatte? Nein, das war ausgeschlossen. Ihre Kussfertigkeiten kündeten von einiger Erfahrung und auch im Allgemeinen waren die Thebanerinnen nicht gerade für ihre Prüderie bekannt. Langsam senkte er seinen Kopf und ließ ihr Gesicht dabei nicht aus den Augen. Als seine Lippen ihre Scham berührten und er mit seiner Zunge sacht ihre Spalte entlangfuhr, verdrehten sich ihre Augen. Mit einem lustvollen Stöhnen sank sie nach hinten und krallte sich in dem Stroh fest. Ihre Brust hob und senkte sich unregelmäßig und ihre Atmung ging nur noch stoßweise. Von ihrem Gestöhne angetrieben, schob er seine Hände unter ihr Becken und presste seinen Mund fester auf ihre Mitte. Daraufhin schossen ihre Hände in seinen Nacken und klammerten sich an seinen Schultern fest.
„Khaled“, keuchte sie heiser und er konnte spüren, wie sich ihr Zentrum verkrampfte. Gerade als er sich hinabbeugen wollte, um sie über die Klippe der Lust zu stoßen, wurde die Tür aufgerissen.
Mit einer kleinen Lampe in der Hand trat Erjon ins Zimmer. „Ich dachte, ihr würdet vielleicht gerne etwas Licht…“ Mitten im Satz hielt er inne und seine Augen weiteten sich erschrocken, als er Khaled und Talitha auf dem Bett erspähte.
„Raus!“, zischte Khaled eisig. Doch als Erjon endlich aus seiner Starre erwachte und das Zimmer fluchtartig verließ, war Talitha schon von ihm weggekrabbelt und zog ihr Kleid zurecht.


 

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Die alt-ägyptischen Götter

Impressum

Texte: Das Buch beinhaltet mein persönliches, geistiges Eigentum. Alle Rechte bezüglich des Inhalts dieses Buches liegen bei mir.
Bildmaterialien: www.pixabay.de
Tag der Veröffentlichung: 17.03.2013

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