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Leere Versprechungen

Ich hasse Hochzeiten! Ehrlich, was soll dieser ganze Quatsch? Einen Tag lang Stress und Heuchelei und im besten Fall nur ein besoffener Onkel, der einen das letzte Mal als Kind gesehen hat, und nun schön die peinlichsten Geschichten lallend zum Besten gibt. Im schlimmsten Fall: Familienzoff, Häme und manchmal sogar Verletzte und Tote. Wer braucht so etwas schon? Und sich dann auch noch einen Menschen für den Rest seines Lebens ans Bein binden - ganz klasse! Gut, heutzutage bedeutet für viele ›Für den Rest des Lebens‹ eher bis zum nächsten größeren Problem und dann heißt es: ›Tschüss! Wir sehen uns vor dem Scheidungsrichter.‹ Und dafür gibt man ein Vermögen aus? Also wirklich …

Ja, ich weiß, jetzt kommt wieder das Argument mit der Zusammengehörigkeit. Doch wozu brauche ich dafür ein Stück Papier und Metall am Finger? Alles Wichtige lässt sich heutzutage auch notariell ohne Trauschein regeln und Schmuck trage ich, weil er mir gefällt und nicht, um andere abzuschrecken. So ist es doch. Der Ring gilt als nonverbales Kommunikationsmittel: Schau her, Flirten ist okay, aber zum Vögeln habe ich jemand anderen.

Oder die Sache mit den Steuervorteilen - also seien wir mal realistisch: Wenn man bedenkt, dass so eine Hochzeit mit allem Drum und Dran locker den Wert eines Kleinwagens verschlingt, wie lange muss man da verheiratet sein, damit sich das mit den Steuervorteilen auszahlt? Genau: Sehr lange! Und bis dahin halten es wieder die Wenigsten aus und man sitzt beim Scheidungsanwalt, welcher dann, je nachdem wie einig man sich ist, auch noch mal einen ganzen Batzen Geld einfordert.

Ergo: Hochzeiten sind etwas für Idioten, die nicht rechnen können, ihren Partner gesetzlich an sich fesseln wollen oder einfach zu viel Geld haben. Ich … oh, entschuldigt! Mein Handy klingelt. Schließlich bin ich hier auf der Arbeit, da geht der Kunde leider vor.

 

»Hochzeitsagentur ›Forever‹. Sie sprechen mit Jean-Pierre.«

Nein, ihr habt euch nicht verlesen. Ich arbeite bei einer Hochzeitsagentur, oder vielmehr: Ich bin Mitinhaber, zusammen mit meinem besten Freund Maurice. Wie ein Hochzeitsgegner Wedding-Planner wird? Uh, lange Geschichte. Kommen wir später noch zu. Im Moment muss ich Frau Lüttgens, die mir gerade hysterisch ins Ohr schreit, beruhigen.

»Ja, natürlich habe ich bedacht, dass im August keine Blütezeit für Tulpen ist, Frau Lüttgens. Natürlich … Isabelle … entschuldigen Sie. Es ist alles organisiert. Ich habe erst gestern mit dem Floristen gesprochen. Die von Ihnen gewünschten Tulpen werden zu Ihrer Hochzeit in sechs Wochen in voller Blüte stehen.« Zum Glück habe ich in den letzten Jahren viele Kontakte geknüpft und ich kenne jemanden, der mit einem gewissen Vorlauf zu fast jedem Termin die gewünschten Blumen blühend zur Verfügung stellen kann. Er betreibt entsprechend klimatisierte Gewächshäuser. Sehr praktisch und sehr teuer, aber für Kunden wie Isabelle Lüttgens ist Geld zweitrangig.

»Und an die gewünschte zweite Kinderbetreuung habe ich ebenfalls gedacht, ja. Kein Malen mit Farben, welche Flecken verursachen können, genau. Das hatten wir ja bereits besprochen.« Die armen Kinder. Dürfen gar nichts. »Isabelle, bleiben Sie ganz ruhig. Alles wird perfekt. Das verspreche ich Ihnen. Dafür bin ich schließlich da.«

Noch ein paar typische, beruhigende Floskeln und dann kann ich durchatmen.

Es gibt Kunden, die mich machen lassen, welche, die ab und zu mal nachfragen und eigene Ideen einbringen, und dann gibt es solche wie Isabelle Lüttgens. Eine Perfektionistin, die mich ein- bis zigmal täglich anruft, weil ihr etwas eingefallen ist, das dringend bedacht werden muss und das ich doch ganz sicher vergessen habe. Habe ich natürlich nicht. Ich bin schließlich Profi.

 

Seufzend lege ich meine Brille ab und massiere mir die Schläfen. Bin ich froh, wenn diese Hochzeit vorbei ist! Ich mag das Organisieren, das Spielen mit den Ideen und Wünschen der Kunden. Ich freue mich, wenn ich das Glänzen in ihren Augen sehe, weil ich es mal wieder auf den Punkt perfekt organisiert habe. Aber ich mag keine Pedanten, die meinen, mich ständig anrufen und kontrollieren zu müssen. Bei denen frage ich mich immer, warum sie überhaupt jemanden beauftragen, wenn sie im Grunde doch alles selber machen und nachkontrollieren. Aber gut, der Kunde ist König und so versuche ich freundlich lächelnd meinen Unmut nicht zu zeigen.

Maurice grinst mich wissend an. »Na, bereust du es inzwischen, nicht doch die Hegener-Hochzeit übernommen zu haben statt der Lüttgens?«

Ich schüttle den Kopf. »Du weißt doch, wie ich zu diesem Quatsch mit den Schwulenhochzeiten stehe.«

Ehrlich, jede Isabelle Lüttgens ist mir hundert Mal lieber als ein schwules Paar. Mit Frauen komme ich einfach besser klar. Bei den Kerlen wollen dann meistens beide mitreden und dann gibt es Zank und Streit und dieses ganze Getue …

»Du hörst dich aber schon noch selbst reden, ja?«

»Meine Güte, Maurice! Nur weil ich selbst schwul bin, muss ich den Kram doch nicht gut finden! Außerdem machst du das doch gerne. Ist doch alles geklärt.«

»Ja, super! Und ich darf dann heute Abend wieder deine schlechte Laune aushalten«, meckert Maurice.

»Kannst mich ja auf schönere Gedanken bringen«, erwidere ich augenzwinkernd.

»Dazu müsste ich dich aber knebeln und fesseln, damit du nicht mittendrin wieder das Diskutieren anfängst.«

»Das war ein einziges Mal! Wie lange willst du mir das noch vorhalten?«

»Bis ich alt und senil bin und das vergessen habe. Du weißt doch: Wir Schwuchteln sind nachtragend.«

Augen rollend schüttle ich den Kopf. Ja, Maurice ist tatsächlich manchmal eine kleine Diva. Nur gut, dass wir keine Beziehung führen, sondern lediglich beste Freunde sind. Beste Freunde, die seit dem Studium zusammen in einer WG wohnen und gelegentlich auch mal gemeinsam Matratzensport betreiben, aber eben genau das sind: beste Freunde.

Ich bin nicht der Beziehungstyp. Ich möchte mich nicht festlegen müssen und ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich mal nicht an meinen Partner denke, wenn ich mir einen runterhole. Maurice dagegen ist der vollkommene Romantiker, war er schon immer. Die Gründung der Agentur war seine Idee gewesen. Ich bin damals mit eingestiegen, weil ich ehrlich gesagt nicht an Erfolg geglaubt habe. Ich dachte, ich helfe ihm nebenbei ein wenig, bis sich die Sache wieder erledigt hat. Doch aus irgendeinem Grund mochten uns die Leute. Vor allem die Frauen. Ich verstehe bis heute nicht, was die an Schwulen so toll finden. Ist denen nicht klar, dass sie absolut keine Chance haben? Und dann machen die immer gleich einen auf ›beste Freunde‹ und meinen, einen antatschen zu müssen. Ich bin doch keine Schaufensterpuppe!

Leider stecke ich mittlerweile so tief mit drin, dass ich nicht mehr aussteigen kann. Davon, dass Maurice mir dann vermutlich einen Auftragskiller auf den Hals hetzen oder zumindest potenziellen Sexpartnern etwas von Feigwarzen, Sackratten oder dergleichen erzählen würde, mal abgesehen. Und das denke ich mir nicht aus. Das hat er mal mit einem seiner Exfreunde gemacht, also das mit den Gerüchten. Gut, der Typ war ein Arschloch und hatte es nicht anders verdient, aber das würde er dann vermutlich auch von mir denken, wenn ich ihn im Stich ließe.

Andererseits muss ich zugeben, dass der Stress durch Maurice’ Zuwendungen mehr als wettgemacht wird. Der Typ kann blasen, sag ich euch …

Es ist ja schon ganz praktisch, wenn man mit jemandem zusammenwohnt, mit dem man sich perfekt versteht. Wir ergänzen uns und verstehen uns meist wortlos, was das Zusammenleben und -arbeiten ungemein erleichtert, da wir eines der Zimmer als Arbeitszimmer umgestaltet haben. Einige unserer Freunde betiteln uns gerne als ›altes Ehepaar‹. Wir können über alles reden, streiten uns fast nie, und dass ich mir nicht immer umständlich jemanden suchen muss, wenn ich mal Druck habe, ist ein weiterer nicht zu verachtender Vorteil. Zumindest so lange, bis der Herr mal wieder auf Wolke sieben schwebt. Denn leider ist Maurice zu einhundert Prozent treu. Doch glücklicherweise scheint momentan kein Ritter in goldener Rüstung in Sicht zu sein. Gut für mich und auch für ihn, denn ich habe das untrügliche Gefühl, dass er den Sex mit mir ebenfalls genießt. Schließlich habe ich schon einige Male mitbekommen, wenn er bei uns in der Wohnung Sex mit einem anderen hatte, doch bei denen ist er immer kaum zu hören. Mit mir dagegen … nun ja, sagen wir mal so: Würde unter uns nicht eine schwerhörige alte Dame wohnen, müssten wir wohl mal an Schallisolierung denken …

 

»Boah, Janni. Ich sehe deinem Gesicht deine schmutzigen Gedanken an!«, fährt Maurice mich an. Ja, ich habe mich vorhin mit ›Jean-Pierre‹ gemeldet, aber eigentlich heiße ich Jan-Phillip. Die Idee mit dem französischen Namen kam von Maurice. Er war der Meinung, das wäre schwulentypischer. Die Frauen ständen drauf und die Herren hätten gleich weniger Angst, dass ihnen jemand die Zukünftige wegschnappen wolle. Ich fand die Idee damals ganz gut, denn so würde mich wenigstens nicht jeder gleich mit dieser Agentur in Verbindung bringen.

Maurice dagegen heißt tatsächlich so. Er ist zwar kein Franzose, auch seine Eltern nicht, aber die erste große Liebe seiner Mutter hieß wohl so. Dass Maurice’ Eltern geschieden sind, wundert vermutlich niemanden.

 

»Nun, wenn ich an dein Versprechen von eben denke …«, erwidere ich grinsend und zwinkere ihm zu.

»Versprechen?«

»Na, das mit dem Knebeln und Fesseln«, erkläre ich mit rauer Stimme.

Eine leichte Röte überzieht sein Gesicht. »Pass bloß auf!«

»Was meinst du?«

»Wenn du mich noch weiter reizt, dann wirst du die nächsten drei Tage nicht mehr sitzen können.« Huh! Na, das hört sich doch vielversprechend an.

»Keine leeren Versprechungen, bitte! Wenn du wieder so schnell kommst, wie beim letzten Mal …«

»Sagt der, der abgespritzt hat, kaum dass ich in ihm drin war.«

»Wenn du mir mit deiner Strip-Show so einheizt?«

Maurice lacht auf. »Strip-Show? Ich habe mich zum Duschen ausgezogen. Das war keine Show.«

»Aber trotzdem heiß«, erwidere ich grinsend.

»Du spinnst. Und außerdem: Ja, natürlich war ich dann schnell fertig, musste ja zusehen, dass ich hinterherkomme, bei dem Tempo, das du vorgelegt hattest.«

Süß, wie er sich rechtfertigt. Wir wissen beide, dass wir an dem Tag einfach heiß aufeinander waren, aber ich mag diesen Schlagabtausch mit ihm.

»Och, hätte mich nicht gestört, wenn du dir länger Zeit gelassen hättest. Du weißt, dass ich das Gefühl liebe, wenn du in mir bist. Hätte ich am liebsten den ganzen Tag.«

Stöhnend ruckele ich auf meinem Stuhl ein wenig hin und her und versuche, meinen halbsteifen Schwanz ein wenig bequemer in meiner Hose zu platzieren.

»Mann, Jan-Phillip! Wir sind bei der Arbeit!«

»Und?«, frage ich unschuldig.

»Neue Regel«, erklärt er. »Keine Gespräche über Sex während der Arbeit.«

»Das ist gemein«, protestiere ich gespielt. »Willst du nicht wissen, wie ich mir gerade vorstelle, wie du nachher deinen perfekten harten, heißen Schwanz in mich schiebst und mich immer stärker reizt, bis ich wimmernd um Erlösung bettle?« Und das ist noch nicht mal eine echte Fantasie, denn das hat er tatsächlich drauf. Oh, Mann! Ich fürchte, ich muss gleich mal ins Bad und für eine gewisse Erleichterung sorgen.

Impressum

Texte: Sitala Helki
Bildmaterialien: www.123.rf.com - vasvas; Bildbearbeitung: Madison Clark, Chris P. Rolls
Tag der Veröffentlichung: 27.09.2015

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