Cover

Danke

Ich möchte an dieser Stelle einmal kurz 'Danke' sagen.

 

Danke an Sissi, die sich immer wieder so sehr engagiert, die Arbeit auf sich nimmt und alles organisiert.

 

Danke an Marie, ohne die es diese Geschichte vermutlich nicht gegeben hätte, denn sie ist Dank eines einzigen Stichwortes in einem Gespräch mit ihr entstanden.

 

Danke an meine fleißigen Korrekturleser, die unerschrocken immer wieder den Kampf mit Tippfehlern, verdrehten Sätzen, Logikfehlern und Kommainvasionen auf sich nehmen ;-).

Dabei geht dieses Mal mein ganz besonderer Dank an den Titelfinder ♡.

 

 

Nicht zu vergessen: Mein größter Dank geht natürlich an die Leser. Ohne euch gäbe es uns nicht. Danke, dass ihr uns durch Kauf, Lesen und den einen oder anderen Kommentar unterstützt!

 

So, und nun habe ich genug herumgeschleimt. Auf geht's zur Leseprobe!

Wem du vertraust

 

Kopfschüttelnd betrachte ich den verwüsteten Vorgarten. Wozu mache ich mir eigentlich immer wieder die Arbeit, den Garten hübsch zu bepflanzen und zu pflegen? Denn weder mein Bruder noch seine Gäste scheinen daran Gefallen zu finden. Stattdessen liegen leere Flaschen, Becher und sonstiger Müll zwischen den zertrampelten Rosen und Margeritensträuchern. Was ist denn das da? Eine Unterhose?

Mit spitzen Fingern hebe ich das Teil auf. Okay, ›Unterhose‹ ist definitiv zu viel gesagt. Das Ding besteht lediglich aus ein paar Bändern. »Wuäh!« Ich schleudere das Teil zurück in Anatols Bereich des Vorgartens. Kann sich mein Bruder gefälligst selbst drum kümmern!

»Na, unliebsame Überraschungen?« Die Stimme meines Nachbarn hinter mir lässt mich heftig zusammenzucken. Ich drehe mich zu ihm um und werde augenblicklich knallrot. Nicht, weil Kilian so heiß aussieht, wie er es tut, sondern schlicht aus dem Grund, dass ich immer rot werde, sobald mich jemand anspricht. Man sollte meinen, ein Mann Mitte dreißig hat es allmählich gelernt, seine Scheu vor anderen Menschen abzulegen. Nun, habe ich nicht und ich gebe zu, ich arbeite auch nicht aktiv daran.

Mein Ex hatte gemeint, das sei nicht normal und mich zu ’nem Psychoheini geschleppt. Das Ergebnis: Ich weiß jetzt, dass ich unter einer sogenannten ›sozialen Phobie‹ leide. Doch nur, weil das Kind einen Namen hat, geht es mir nicht besser. Dass ich eine Therapie kategorisch abgelehnt habe, mag dazu beitragen. Aber allein die Vorstellung, zu einem völlig Fremden zu gehen und mich ihm anzuvertrauen, löst bereits eine mittelschwere Panikattacke aus. Unbekannte Situationen, am besten noch vereint mit einer Ansammlung von vielen Personen, bereiten mir nun einmal Angst.

In meiner Kindheit und Jugend hatte ich häufig keine Wahl: Ich musste schließlich zur Schule und das Tischtennisspielen im Sportverein war eine Art Zwangsauflage meiner Eltern. Später erklärten sie mir, dass sie gehofft hatten, mich auf diese Weise ›sozialkompatibel‹ zu machen. Hat ja hervorragend funktioniert …

 

Passenderweise arbeite ich von zu Hause aus. Zusammen mit meinem drei Jahre jüngeren Bruder betreibe ich einen Internethandel für Tierbedarf, der mittlerweile akzeptabel läuft. Wir können uns nicht beschweren.

Das Meiste kann per Mail organisiert werden. Das ist mein Part. Alles andere übernimmt Anatol. Der ist der geborene Charmeur, wickelt jeden Geschäftspartner um den Finger. Egal, ob männlich oder weiblich. Dabei steht er, im Gegensatz zu mir, nicht auf Kerle. Nein, Anatol bevorzugt Frauen. Am besten dumm, willig und große Titten. Hört sich abfällig an? Entschuldigt, ich zitiere bloß meinen Bruder.

Beinahe wöchentlich finden in seinem Teil des Hauses Sauf- und Bums-Partys statt. Denn anders kann man es nicht bezeichnen. Wir bewohnen je eine Hälfte eines Doppelhauses, das wir von unseren Großeltern geerbt haben. Realistisch betrachtet ist es viel zu groß für uns. Doch wenn man erst einmal in den Genuss dieses Luxus gekommen ist, will man den Platz nicht mehr hergeben.

Während ich die Ruhe in meinem Teil zu schätzen weiß, braucht Anatol ständig Leute um sich herum. So wie gestern Abend mal wieder, wovon man die Überreste nun in unserem Garten bewundern kann.

Schon mehrfach versuchte Anatol mich zu überreden, ebenfalls herüberzukommen. ›Nur für ein paar Minuten.‹ Doch ich habe immer dankend abgelehnt. Auch sein Vorschlag, extra für mich ein paar ›schnuckelige Kerle‹ einzuladen, konnte mich bisher nicht überzeugen. Ich fühle mich ja häufig bereits eingeengt, wenn ich mit einer einzelnen Person alleine in einem Raum bin. Wie soll ich es da mit einem ganzen Haufen Menschen aushalten? Einem Haufen fremder Menschen, wohlgemerkt.

 

Kilian sieht mich noch immer lächelnd an. Ich schätze meinen Nachbarn auf Anfang vierzig, den feinen Lachfältchen an seinen Augen nach zu urteilen. Dabei ist er deutlich durchtrainierter als manch Zwanzigjähriger. Seine dunklen, dicken Haare wirken stets ein wenig unordentlich, wie sie wellig in verschiedene Richtungen abstehen und zu lang für eine Kurzhaarfrisur und zu kurz für eine Langhaarfrisur sind. Seine dunklen Augen strahlen mich jeden Morgen an und lösen eine kribbelige Wärme in meiner Bauchgegend aus, die sich regelmäßig zusammen mit der Röte in meinem Körper ausbreitet. Dieses Strahlen ist es, das ich vor meinem geistigen Auge sehe - immer dann, wenn ich mir einen runterhole. Ja, ich bin verzweifelt.

 

Auch wenn ich ein großer Verfechter des digitalen Zeitalters bin - schließlich kann man auf diese Weise gut mit Menschen in Kontakt treten, ohne ihnen nahekommen zu müssen - bin ich bei der Lektüre meiner Tageszeitung eher old fashioned. Diese lasse ich mir täglich liefern. Der junge Typ, der sie bringt, ein Student, bekommt dafür von mir regelmäßig ein zusätzliches Trinkgeld. Denn er ist sehr umsichtig. Wenn es regnet, wirft er die Zeitung nicht wie andere einfach auf die nasse Fußmatte. Nein, er macht sich die Mühe und geht extra bis zum Briefkasten an der Seite, um sie trocken zu verstauen.

Jeden Morgen, wenn ich die Zeitung hereinhole, kommt Kilian ebenfalls aus seinem Haus. Dabei ist es egal, ob ich um sieben, um acht oder erst mittags nach der Zeitung sehe. Jedes einzelne Mal tritt auch Kilian zufällig aus seiner Haustür. Ein Umstand, an den ich mich zwar inzwischen gewöhnt habe, der mich dadurch aber nicht minder beunruhigt. Überhaupt ist mir der Kerl suspekt: Noch nie habe ich ihn in kurzen Klamotten herumlaufen sehen. Selbst heute, wo wir schon früh über dreißig Grad im Schatten haben, trägt er eine lange, schwarze Jeans und ein langärmliges, ebenfalls schwarzes Hemd und ich schwitze bereits in meiner Boxershorts und dem alten T-Shirt.

 

»War wohl wieder eine etwas ausschweifendere Party, was?«, fragt Kilian amüsiert. Ich zucke nur mit den Schultern und schaue nach unten auf meine nackten Füße. Vermutlich denkt er, ich habe ordentlich mitgefeiert. Wäre ja eigentlich auch logisch.

»Okay, ich will dich auch gar nicht aufhalten. Ich wünsche dir einen wunderschönen Tag!«

»Gleichfalls«, nuschle ich leise.

Ja, Kilian könnte mir durchaus gefallen. Oder er tut es, keine Frage. Schließlich habe ich Augen im Kopf. Aber ein Kerl wie er ist sicher nicht schwul und selbst wenn, würde ich nie im Leben den ersten Schritt wagen. Und wenn ich mich so zurückhaltend und abweisend verhalte, wollen die meisten mich sowieso nicht näher kennenlernen. Der typische Teufelskreis.

 

Unwillkürlich muss ich lächeln, denn meine Gedanken schweifen zum gestrigen Abend zurück.

Nebenan waren bereits die ersten Gäste eingetroffen und ich hatte es mir mit einem Glas Rotwein und einem guten Buch in meinem Lesesessel gemütlich gemacht. Gerade war ich mittendrin in einer erotischen Szene, als es an meiner Tür klingelte. Der erste Reflex war der gleiche wie immer, wenn es bei mir klingelt: Ich ignorierte es. Denn meist sind es Freunde meines Bruders, die die falsche Tür erwischen. Anatol selbst klingelt selten, sondern benutzt einfach seinen eigenen Schlüssel. Dass ich das nicht mag, interessiert ihn leider herzlich wenig.

 

Doch der gestrige Besucher war deutlich penetranter, sodass ich irgendwann genervt aufstand und zur Tür ging.

Vermutlich schaute ich ein wenig verklärt, weil ich gedanklich noch in der Szene des Buches gefangen war, denn der Typ, der vor meiner Tür stand, lächelte erst, stutzte und grinste daraufhin breit.

»Oh, entschuldige! Ich habe mich offenbar in der Tür geirrt.«

Ich nickte nur und wollte bereits die Tür wieder schließen, da sprach er mich direkt an: »Steffen?«

Argwöhnisch zuckte ich ein Stück zurück. Woher kannte der meinen Namen?

»Hallo! Ich bin Björn. Ich bin ein alter Schulfreund von Anatol. Wir haben uns gestern zufällig beim Einkaufen getroffen und er hat mich zu seiner Party heute eingeladen, aber da bin ich hier wohl falsch«, erklärte er ohne Aufforderung.

Ich zog die Augenbrauen zusammen und überlegte. Ich konnte mich an keinen Björn aus Schulzeiten erinnern, allerdings gebe ich zu, mit Anatols Freunden nie viel zu tun gehabt zu haben. »Wir haben uns damals bei euren Eltern ab und zu gesehen.«

»Möglich«, erwiderte ich abweisend. Ich wollte meine Ruhe und ich wollte weiterlesen, denn ich hoffte, das Buch hielt, was die Rezensionen versprachen und es war wirklich gespickt mit viel knisternder Erotik. Denn auch wenn ich seit zehn Jahren weder Sex noch eine Beziehung mit einem anderen Mann hatte, so ist die Beziehung zwischen mir und meiner rechten Hand doch recht innig und intensiv.

Björn schaute zum anderen Teil des Hauses und riss plötzlich die Augen auf. »Da …«, sagte er und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Hm?«, machte ich.

»Ich glaub’s ja nicht! Da vögeln zwei direkt vor dem Fenster!«, erklärte er fassungslos. »Das ist ja …«

»Anatols Party«, erwiderte ich lapidar. Für mich nichts Neues. Häufig tummeln die sich auch im Garten herum, aber dafür war denen vermutlich zu warm. Genau für solche Fälle hatte Anatol vor zwei Jahren eine Klimaanlage in seinem Teil des Hauses einbauen lassen.

»Läuft das immer so ab?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Mehr oder weniger.«

»Ach du meine Güte! Hätte ich das vorher gewusst!« Heftig schüttelte Björn den Kopf. »Ne, also ehrlich. Ich mag Anatol ja, aber das ist selbst mir ein wenig zu heavy.« Er schaute auf seine Armbanduhr und seufzte.

»Sag mal, magst du mir Asyl gewähren?«

Fragend hob ich eine Augenbraue. Der wollte hier rein? Zu mir?

»Na ja, ich bin mit dem Bus hier und der nächste fährt erst in einer knappen Stunde. Und da rüber …« Er deutete mit dem Kopf zum Hausteil meines Bruders. »… Bekommen mich keine zehn Pferde!«

Ich schluckte. Mein Herz raste augenblicklich. Das konnte doch nicht wahr sein! Da wollte ein mir völlig fremder Typ einfach so in mein Haus! Ein gut aussehender fremder Typ. Okay, nicht ganz so gut wie Kilian, aber dennoch ansehnlich: blond mit stylish verstrubbelten kurzen Haaren und schönen, hellen Augen und einem verschmitzten Lächeln. Er war einen halben Kopf größer und ebenso schlank wie ich. Mein Bruder nennt mich gerne liebevoll ›Hungerhaken‹ und meine Mutter hat regelmäßig Angst, ich sei bis zum nächsten Besuch verhungert.

 

Flehend sah er mich an. »Bitte! Ich bin auch ganz lieb und sitze still in der Ecke, wenn du möchtest.« Und dann tat ich etwas, wovon ich bis jetzt nicht sagen kann, warum, aber im Nachhinein bin ich heilfroh, es getan zu haben: Ich ging einen Schritt zur Seite, lächelte Björn an, wenn auch ein wenig gezwungen, und erwiderte so locker wie möglich: »Ach, Quatsch! Komm rein!« Mit einer einladenden Geste deutete ich in meinen Flur.

Lächelnd bedankte sich Björn und ging an mir vorbei.

 

Was soll ich sagen? Ich bereue meine spontane Entscheidung nicht im Geringsten. Björn ist nett, also richtig nett. Er ist lustig, liebevoll, umsichtig und weiß offenbar instinktiv, was er tun darf, ohne mich einzuengen. Wir haben uns gut unterhalten und dabei meinen Wein getrunken. Er hat mir ganz offen von seinem durchgeknallten Exfreund erzählt. Für einen kurzen Moment ist mir das Herz in die Hose gerutscht. ›Er ist schwul! Er ist schwul!‹, sang eine mir bis dato unbekannte Stimme in meinem Kopf. Ich glaube, den Rest des Abends habe ich nur noch gegrinst.

Fast bedauere ich, dass er keine Annäherungsversuche gestartet hat, aber vermutlich hätte mich das überfordert. Anfangs war ich noch recht wortkarg, doch seine lockere und rücksichtsvolle Art nahm mir schnell die Bedenken.

»Du bekommst nicht häufig Besuch, was?«, fragte er irgendwann. Ich schüttelte den Kopf und lief, mal wieder, knallrot an.

»Hey …«, erwiderte er leise und ich erwartete schon, dass er nach meinem Kinn greift. Vielmehr: Ich hoffte es. Doch es geschah nichts dergleichen.

»Das ist vollkommen in Ordnung«, erklärte er stattdessen. »Bei den ganzen Idioten, die herumlaufen, ist es manchmal wirklich besser sich zurückzuziehen.«

Ein sanftes Lächeln lag auf seinen Lippen, als ich wieder aufsah. In mir kribbelte es und ich hätte alles für einen Kuss gegeben. Doch der blieb aus.

 

Tja, und jetzt stehe ich dümmlich lächelnd, in Boxershorts und T-Shirt, in meinem Vorgarten und halte die heutige Tageszeitung in der Hand. Dabei fehlt darin die größte Neuigkeit: Steffen Bockelmann hat sich gestern Abend drei Stunden lang mit einem anderen Mann unterhalten. Face to face. Und: Er ist bereits heute wieder mit ihm verabredet.

 

Kilian zwinkert mir noch einmal zu und verschwindet in seinem Haus. Ich leere noch schnell meinen Briefkasten. Hm, zwei Rechnungen, jede Menge Werbung und ein hellblauer Umschlag, auf dem lediglich mein Vorname steht. Was ist das denn?

Ich klemme mir die Zeitung und die restliche Post unter den linken Arm und öffne den Umschlag. Hervor kommt ein unscheinbarer weißer Zettel, auf dem mit krakeliger Handschrift steht:

Dein Lächeln strahlt heller als die Sonne.‹

Augenblicklich grinse ich. Grundsätzlich bin ich niemand, der auf Kitsch steht, aber das ist wirklich süß. Zwar steht kein Name dabei, aber das kann nur von Björn kommen.

 

Beschwingt und energiegeladen begebe ich mich zurück ins Haus. Heute Abend kommt Björn vorbei. Er hat gleich von sich aus vorgeschlagen, zusammen bei mir zu kochen und danach einen Film zu schauen. Schon merkwürdig. Finden erste Dates nicht für gewöhnlich in irgendwelchen Restaurants oder im Kino statt? Oder hat Björn einfach gespürt, dass das nichts für mich ist?

Die Arbeit geht mir heute ungewöhnlich leicht von der Hand. Selbst die Beschwerde von einem Kunden, der sich wirklich über jede Lieferung aufregt, stört mich nicht.

Eine halbe Stunde, bevor Björn da sein will, gehe ich noch einmal duschen, denn im Gegensatz zu Anatol besitze ich keine Klimaanlage. Dementsprechend warm ist es auch bei mir. Na, das kann ja was werden mit dem Kochen!

 

Pünktlich klingelt mein Besuch und hält mir lächelnd zwei Tüten entgegen. »Hey, ich dachte, bei der Hitze wollen wir vielleicht nicht unbedingt am Herd stehen. Ich hoffe, du magst Sushi? Bei mir um die Ecke gibt es den besten Japaner weit und breit. Da habe ich einfach mal eine Auswahl mitgebracht.«

Überrumpelt suche ich einige Sekunden lang nach den passenden Worten.

»Oh, ja. Danke! Ich mag Sushi sehr gerne.« Uh, das hört sich irgendwie so verkrampft an.

Für ein paar Momente sehen wir uns in die Augen. Erneut gibt es einen kribbeligen Aufruhr in mir. Björn leckt sich über die Lippen und ich starre ihn fasziniert an.

»Darf ich …?«, fragt er. Ich nicke, noch immer seinen Mund fixierend. Natürlich darf er!

Leise lachend geht er an mir vorbei ins Haus. Ich schaue ihm verdattert hinterher. Muss komisch aussehen, denn Björn lacht wieder, als er sich umdreht.

»Na komm! Sonst wird das Essen warm.«

 

»Welchen Film wollen wir denn schauen?«, fragt Björn, während er das Sushi kunstvoll auf einem Teller auf meinem Wohnzimmertisch auftürmt.

»Such dir was aus«, erwidere ich, auf mein DVD-Regal deutend.

»Wow! Na, das nenne ich mal eine ordentliche Sammlung!« Wieder werde ich rot. So ist das nun mal, wenn man kaum soziale Kontakte hat.

Björn geht zum Regal, überfliegt die Titel und zieht eine DVD heraus. »Oh, den habe ich ja schon ewig nicht mehr gesehen!« Grinsend hält er die Hülle zu ›Stargate‹ hoch. »Wollen wir den anschauen?«

»Meinetwegen«, erwidere ich.

»Wir können auch einen anderen ansehen, wenn du auf den keine Lust hast.«

»Nein, nein! Der ist vollkommen in Ordnung.« Außerdem würde ich mir alles ansehen, auch irgendeinen Splatter-Horror-Streifen, wenn er das wollte. Hauptsache, er ist da.

Nebeneinander auf dem Sofa sitzend essen wir das Sushi und schauen den Film. Björn grinst mich von der Seite an. »Man merkt schon, dass der Emmerich schwul ist, oder?«

»Hm? Wie meinst du das?«

»Na, schau dir doch mal die Typen an: Entweder knallharte Kerle wahlweise in Uniform oder halb nackt oder alternativ sehr androgyn wirkende Jüngelchen. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt.«

Ich stutze und grinse schließlich ebenfalls. »Jetzt, wo du es sagst …« Ich schaue zur Seite und treffe auf Björns intensiven Blick. Erneut wird mein Gesicht verräterisch warm. Mitten in der Kaubewegung halte ich inne.

»Du bist echt sexy, weißt du das?« Ich schnappe nach Luft oder vielmehr versuche ich es, denn augenblicklich muss ich husten, als ein Reiskorn sich in meine Luftröhre verirrt. Hektisch versuche ich den Fremdkörper loszuwerden, spüre, wie meine Atemmuskulatur krampft. Immer wieder. Meine Augen tränen. Björn klopft mir auf den Rücken. »Beug dich ein Stück vor.« Noch einmal huste ich und endlich bekomme ich wieder Luft. Himmel noch mal!

Ich brauche einige Atemzüge, bis sich die Frequenz annähernd normalisiert.

»Entschuldige.« Schuldbewusst sieht Björn mich an.

Ich schüttle den Kopf. »Nicht deine Schuld!« Meine Stimme klingt krächzend. Mit der flachen Hand wische ich mir die Tränen aus meinem Gesicht, als Björn sie festhält.

»Lass mich machen …« Unendlich sanft streicht sein Daumen über meine Wange. Mein Herz, das sich gerade erst von meinem Erstickungsanfall erholt, rast von Neuem los.

»Auch, wenn dich mein Kommentar eben beinahe das Leben gekostet hat: Ich meine das ernst.« Er beobachtet seinen Daumen, der langsam über meinen Mund streicht. Unwillkürlich zittere ich und atme hektisch ein. Björn beugt sich weiter vor, senkt seine Hand und flüstert dicht an meinem Mund: »Wunderschön.«

Obwohl klar ist, was kommt, entkommt mir ein überraschter Laut, als seine Lippen tatsächlich meine berühren. Das Zittern verstärkt sich und ich klammere mich instinktiv an seine Oberarme, als hätte ich Angst, vom Sofa zu fallen. Björn ist vorsichtig, zurückhaltend. Fast schon zu zurückhaltend für meinen Geschmack, aber ich traue mich nicht, den Kuss meinerseits zu intensivieren. Ich spüre seine Arme, die sich um mich schlingen, mich an ihn ziehen. Für einen kurzen Moment blitzt Kilians Gesicht vor mir auf. Das süße Grübchen, das sich immer bildet, wenn er mich anlächelt. Ist das jetzt schon so ein Automatismus? Immer wenn ich hart werde, sehe ich Kilian vor meinem inneren Auge?

Seufzend löst sich Björn von mir und lächelt verträumt. »Du küsst toll!«

»Äh, okay …«, erwidere ich geistreich.

»Möchtest du noch was?«

Ich nicke. »Hm, ja.«

»Na, dann greif zu.« Oh, er meint das Sushi. Damit es nicht peinlich wird, nehme ich mir drei weitere Stücke, obwohl ich bereits pappsatt bin.

Hinterher lehne ich mich zurück und reibe mir seufzend den Bauch. Ohne eine weitere Annäherung schauen wir den Film weiter an.

Kurt Russell und James Spader sind gerade dabei, die Atombombe auf Ras Schiff zu schicken, als ich plötzlich eine Berührung an meinem Unterarm spüre.

Impressum

Texte: Sitala Helki; alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Verfielfältigung und Veröffentlichung nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin
Bildmaterialien: Shutterstock Design Lars Rogmann
Lektorat: Aschure, Bernd Frielingsdorf, Jungbrunnen
Tag der Veröffentlichung: 02.09.2015

Alle Rechte vorbehalten

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