Cover

.

 Vanilleeis süß-sauer

 

 

© Sitala Helki, Berlin 2015

 

Alle Rechte vorbehalten.

 

Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. Jeder Verstoß gegen mein Urheberrecht (§106/§108a UrhG) wird von mir zur Anzeige gebracht.

 

Private Kopien für dein Eigengebrauch (Reader, etc.) sind davon selbstverständlich ausgenommen.

 

Falls euch, liebe Leser, diese Geschichte irgendwo ggf. auch unter anderem Namen begegnet, würde ich mich über einen kurzen Hinweis freuen.

 

 

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen (ausgenommen Personen des öffentlichen Lebens) sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Vanilleeis süß-sauer

»Olaf, verdammt! Das ist jetzt schon das dritte Mal in dieser Woche, dass du den falschen Becher zubereitet hast!«

»Äh ...« Mehrfach schaue ich zwischen dem verärgerten Blick meines Chefs und dem Erdbeerbecher auf seinem Tablett hin und her.

»Schokobecher, Olaf! Der enthält für gewöhnlich Schokoladeneis, nicht Erdbeere. Ist neben der Beschriftung auch gut an der Farbe erkennbar.«

Ein kurzer Blick zu dem Tisch, der die Bestellung aufgegeben hat, lässt mich schlagartig erröten. Vier kichernde Mädels, maximal sechzehn Jahre alt. Vermutlich denken die jetzt, ich wäre von ihnen dermaßen hin und weg gewesen, dass ich nur noch Brei in meinem Hirn habe. Das Ergebnis stimmt sogar, nur sitzt die Ursache für meine Unaufmerksamkeit zwei Tische weiter: Mindestens zehn Jahre älter als die Mädchen und definitiv um einiges männlicher. Seinen Mund umspielt stets ein Lächeln, das an einen liebenswerten Lausbuben erinnert. Die ein wenig unordentlich wirkenden dunklen Haare komplettieren diesen Eindruck. Dem konnte in seiner Kindheit bestimmt niemand lange böse sein. Der wusste sicher, wie er aus diesen dunklen Augen unschuldig gucken muss, damit jeder Zorn verflog. Augen, von denen man nicht mehr wegschauen möchte, weil ihr Blick ein Kribbeln tief in mir auslöst.

Seufzend zwinge ich meinen Blick wieder auf meine Arbeit.

Ich kenne nicht einmal seinen Namen, dabei kommt er jeden Tag um diese Uhrzeit her, bestellt zwei Kugeln Vanilleeis im Becher, um sie alleine am Tisch sitzend zu essen, während er liest. Inzwischen habe ich herausgefunden, dass er in dem chinesischen Restaurant schräg gegenüber arbeitet. Damit enden meine detektivischen Fähigkeiten allerdings bereits. Dabei gehe ich sogar so oft, wie es mir mein Geldbeutel ermöglicht, dort essen. ›Schweinefleisch süß-sauer‹ ist eines meiner liebsten Gerichte.

»Olaf, du weißt, dass ich dich mag und seit du hier arbeitest, rennen uns vor allem die jungen Mädchen die Bude ein. Aber wenn das so weitergeht, muss ich dir die Fehlzubereitungen vom Gehalt abziehen.«

Ich schlucke und senke den Blick. Das ist nicht gut. Ich brauche das Geld. Als Student ist es nicht leicht, einen Job zu finden, der einigermaßen gut bezahlt ist und dessen Arbeitszeiten flexibel sind.

»Entschuldige. Ich passe in Zukunft besser auf, versprochen.« Zumindest werde ich es versuchen.

»Okay.« Er seufzt, bevor er grinst und mir zuzwinkert. »Ich kann dich ja verstehen«, flüstert er und nickt vielsagend in die Richtung der Mädels.

Ich nicke nur und nehme einen neuen Becher, fülle ihn dieses Mal mit den richtigen Sorten und gebe mir besonders viel Mühe mit der Garnierung.

 

~*~*~

 

»Einen Eiskaffee für mich und einen Karamellbecher für meinen süßen Freund«, nehme ich Pascals Bestellung entgegen, der für seine Aussage einen Ellenbogenhieb kassiert. »Ich bin nicht süß«, beschwert sich Frank. »Außerdem will ich nicht so viel Eis essen.« Er schaut kurz auf seinen Bauch und wieder hoch. Pascal lehnt sich zu ihm, legt eine Hand auf besagte Rundung und küsst seinen Freund. »Ach, Schatz. Das trainieren wir später alles wieder ab.«

Grinsend sieht Frank mich an.

»Na, dann ... Olaf? Ich hätte gerne einen extragroßen Karamellbecher.« Frank kommentiert das schnurrende Geräusch, das Pascal von sich gibt, mit einem Lachen.

Frank ist mein bester Freund und seit einigen Monaten mit Pascal zusammen. War nicht einfach mit den beiden, das kann ich sagen. Doch das Ergebnis ist umso schöner. Bislang war ich kein Typ für Beziehungen. Viel zu anstrengend - dachte ich zumindest bisher. Aber seitdem die beiden ständig durch die Gegend turteln, stelle ich mir hin und wieder vor, wie es wäre einen Menschen zu haben, mit dem man alles teilen kann: Freude, Kummer, Sex. Diese Vertrautheit zwischen den beiden macht mich neidisch, das muss ich zugeben. Ein Umstand, der vermutlich zusätzlich zu meiner Schwärmerei für Mr Vanilleeis beiträgt.

Da ich vorhin so darauf konzentriert war, keine weiteren Fehler zu machen, habe ich leider verpasst, wie er gegangen ist. Sonst suche ich immer seinen Blick und manchmal belohnt er meine Hartnäckigkeit mit einem Lächeln.

Ich bin so erbärmlich! Dabei bin ich grundsätzlich niemand von der schüchternen Sorte. Wenn ich jemanden für eine Nacht suche, bin ich alles andere als zurückhaltend und stelle immer gleich die Bedingungen klar: keine Beziehung, keine Gefühlsduseleien. Dadurch behalte ich die Oberhand. Wer nicht will, hat Pech gehabt. Es gibt schließlich genug Auswahl.

 

»Und wo ist er?« Suchend sieht sich Frank um. In nicht mehr ganz nüchternem Zustand habe ich ihm letztens von meinem Traumtypen erzählt. Seitdem fragt er mich ständig nach ihm.

»Er ist schon wieder weg. Ihr seid zu spät.« Ein Umstand, den ich nicht bedauere, denn es würde mich nicht wundern, wenn Frank den Kuppler spielen wollte.

Pascal grinst. »Ja, wir waren noch ... beschäftigt.«

Frank gibt ihm einen Kuss. »Stimmt. Aber schade, dann müssen wir demnächst noch mal herkommen.«

»So ein Mist aber auch ...« Pascal lacht. »Aber wenn die Bedienung immer so schnell ist, sitzen wir hier wahrscheinlich eh noch, bis er morgen wieder vorbeikommt.«

»Ey!«, beschwere ich mich halbherzig. »Ihr seid es doch, die mich von der Arbeit abhalten.«

 

~*~*~

 

Am Samstagabend bin ich völlig durch den Wind. Er war wieder da, hat mich heute häufiger angelächelt als sonst. Als er zum Bezahlen das Geld in meine Hand legte, hielt er die Berührung länger als nötig. Seine Wangen färbten sich leicht rosa und er flüsterte leise »Danke«. Und was habe ich getan? Nichts! Okay, nicht ganz. Ich habe gestarrt. Erst auf unsere Hände und dann in sein Gesicht. Vermutlich hat er nur auf ein Zeichen von mir gewartet. Ich wollte lächeln, doch ich war derart überrumpelt von den warmen Wellen, die diese unschuldige Berührung durch meinen Körper sandte, dass ich es mit Mühe und Not schaffte zu atmen. Folge: Er zuckte zurück und verschwand blitzschnell in die Richtung seiner Arbeitsstätte. Ich starrte ihm noch einige Zeit hinterher, selbst, als ich ihn schon nicht mehr sehen konnte. Erst als mein Chef mich anschubste, kam ich wieder im Hier und Jetzt an.

Wie dämlich bin ich eigentlich? Der Typ scheint vollkommen schüchtern zu sein und ich? Ich starre ihn in Grund und Boden. Super Leistung, Olaf!

Jetzt bin ich so durcheinander, dass meine Gedanken ständig kreisen. Als wir vorhin die Eisdiele geschlossen haben, bin ich noch zum Restaurant rübergegangen und habe durch die Scheibe gespäht. Ich konnte ihn nicht sehen und ich wollte auch nicht hineingehen und fragen: »Entschuldigen Sie, der Typ, der mittags immer zwei Kugeln Vanilleeis bei uns isst, ist der noch da?«

Jetzt wünschte ich, ich hätte es doch getan. Ich hoffe nur, er kommt Montag wieder. Morgen arbeite ich nicht. Sonntags ist bei uns Familientag und im Gegensatz zu anderen, bin ich gerne mit meiner Familie zusammen. Vor allem meine kleine Nichte ist ein regelrechter Sonnenschein. Nicht nur einmal habe ich mir in den letzten sieben Jahren gewünscht, meine Schwester könnte miterleben, wie ihre Tochter aufwächst. Aber der Vergangenheit nachzutrauern, bringt sie auch nicht zurück.

 

Frustriert lasse ich das Fachbuch über Motopädagogik auf den Boden fallen. In den letzten zwanzig Minuten habe ich dieselben drei Sätze unzählige Male gelesen, ohne etwas zu behalten. Im Fernsehen läuft ebenfalls nur belangloses Zeug, das mich in keinster Weise ablenkt, geschweige denn interessiert. Vorhin habe ich mir unter der Dusche einen runtergeholt, doch müde gemacht hat es mich nicht und der Umstand, dass ich dabei an ihn gedacht habe, hat die Sache zwar beschleunigt, aber befriedigt bin ich nicht.

Seufzend stehe ich auf. Ich muss etwas tun, um mich abzulenken. Da meine Freunde aller Wahrscheinlichkeit nach beschäftigt sind, tue ich das, was mir als Nächstes einfällt: Ich style mich und gehe in einen Club, in dem die Luft vor Testosteron nur so flirrt. Ein schneller, unbedeutender Fick. Das sollte jetzt genau das Richtige sein.

 

 

Impressum

Texte: Sitala Helki
Bildmaterialien: Shutterstock, Design Lars Rogmann
Tag der Veröffentlichung: 06.05.2015

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /