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Kapitel 1

Müde schaute ich mich im Club LOX um und trauerte um meinen schönen Filmeabend mit Jonny D. In der tanzenden Menge sah ich den langen rotbraunen Schopf von Jenny und seufzte schwer. Sie sah einfach umwerfend aus, sie hatte eines dieser Männerkillerkleider an. Weiter Ausschnitt, kurze Länge, enger Schnitt.  Sie war umzingelt von Männern, an denen sie sich abwechselnd rieb während sie tanzte. Sie genoss die Aufmerksamkeit sichtlich, und obwohl die Männer wohl davon träumten Jenny abschleppen zu können, beließ sie es immer nur beim Tanzen. Sie hatte auf dem College einen entsprechenden Ruf als Schlampe, doch was keiner wusste, Jenny war tief in ihrem Herzen eine Romantikerin, sie gab sich nicht jedem hin, sondern wartete auf den Richtigen. Als sie früher am Abend vor meiner Tür stand, mit einer Flasche Sekt und der Aufforderung, mich in ein heißes Outfit zu quetschen, war ich für eine Millisekunde in Versuchung geraten, die Tür vor ihrer Nase zuzuschlagen. Nach einer halben Stunde Überredungskunst meiner besten Freundin gab ich mich mit hängenden Schultern geschlagen. Nun rührte ich abwesend mit einem Cocktailschirmchen in meinem Cosmo und starte im abwechselnden Takt die Uhr und dann die Menschenmenge an. Als ich meinen Blick erneut über die Menschenmenge schweifen lies, erstarrte ich. Wenige Meter entfernt stand ein überaus attraktiver Kerl. Dunkle Haare, breite Schultern, kantige Gesichtszüge. Er war groß und gut gebaut, nicht zu Muskulös, ein perfektes Mittelmaß. Ein Mann, wie geschaffen für Hochglanzmagazine. Mein Herz setzte ein paar Takte aus. Er stand im Mittelpunkt der Tanzfläche, rührte sich allerdings keinen Millimeter und trotz seiner Sonnenbrille die er trug, schien er keine Beachtung von Seiten des wild tanzenden Publikums zu bekommen. Merkwürdigerweise gelang es mir nicht, meinen Blick von ihm abzuwenden. Langsam, ohne Eile, nahm er die Sonnenbrille ab und ein Meer aus Blau schaute zu mir. Ich war mir nicht sicher, ob er wirklich mich ansah, doch es fühlte sich an als würde er mich mit seinen Blicken durchbohren. Unruhig rutschte ich auf meinem Platz herum. Ein seltsames Gefühl machte sich in mir breit, ein Urinstinkt, Flucht. Ja, alles in mir schrie nach Flucht. Er begann zu Grinsen und kam dann direkt auf mich zu. Das weckte mich aus meiner Trance und eilig lies ich meinen Blick auf meinen Cocktail wandern und kniff verlegen die Augen zu. Wenn er jetzt auf mich zu kam und mich ansprach, wüsste ich nicht was ich sagen sollte. Es gab viele Dinge, in denen ich gut war, Flirten war nicht darunter. Jenny war ein Naturtalent und verdrehte der Männerwelt ständig den Kopf, ich jedoch war da ein ganz anderes Kaliber. Ein Teil in mir wünschte sich, der Kerl würde einfach an mir vorbeilaufen, der andere Teil hatte vor lauter Aufregung fast vergessen wie man atmet. Als ich nach ein paar Sekunden innerlichen Kampfes meinen Kopf hob, war er verschwunden. Meine Augen schweiften erneut suchend über die Menschenmenge doch das Supermodel war nirgends zu sehen. Verwirrt runzelte ich die Stirn und ein kleiner fieser Stich der Enttäuschung machte sich in meinem Magen bemerkbar. Klar, so was passierte nur mir. Das wars, nichts könnte diesen Abend noch retten weshalb ich zu Jenny ging und ihr das Zeichen gab zu verschwinden. Sie nickte sofort und verabschiedete sich mit einem Lächeln von ihrem Fanclub. Dieser blieb noch deutlich frustrierter zurück als ich, weshalb ich mich ein wenig besser fühlte. Auf dem Parkplatz des LOX zog ich hastig die frische Luft ein. „War das nicht der Hammer?“ fragte Jenny mich noch völlig außer Atem als sie sich ihre Jacke überzog. „Naja, gab schon bessere Abende“ murmelte ich. „Ich fahre, du hast definitiv zu viel getrunken“ setzte ich noch hinterher und fischte die Autoschlüssel meines kleinen Fiat Puntos heraus. Der Cosmo stand noch fast unberührt auf unserem Tisch im LOX und ich war ganz froh darüber kein Taxi nehmen zu müssen.  „Alles ok? Du wirkst niedergeschlagen“ stellte Jenny besorgt fest als sie sich gerade anschnallte. „Ja klar alles gut, ich bin nur müde“ winkte ich mit einem halben Lächeln ab.  In Gedanken immer noch bei dem unbekannten Fremden warf ich durch den Rückspiegel einen Blick zurück auf das LOX. Für einen kurzen Augenblick glaubte ich ihn auf dem dunklen Parkplatz stehen zu sehen. Beim nächsten Blinzeln jedoch, war er verschwunden und ich ärgerte mich über meine rege Fantasie. Ich schob es auf meine Müdigkeit und erwähnte Jenny gegenüber nichts von dem Unbekannten und meiner Enttäuschung.

 

Nachdem ich Jenny bei sich daheim abgesetzt hatte, fuhr ich im Eiltempo nach Hause. Meine Füße schmerzten von den hohen Schuhen, weshalb ich die Strecke vom Auto zu meinem kleinen Apartment barfuß ging. Als ich an meiner Haustür stand, hatte ich plötzlich ein ganz merkwürdiges Gefühl im Nacken. Ich drehte mich ganz automatisch um und schaute ob ich was im Dunkeln der Nacht ausmachen konnte, das nicht dort hingehörte, doch da war nichts. Das Gefühl, beobachtet zu werden verlor sich trotzdem nicht. Erst als ich meine Wohnung betrat, die ich zweimal abschloss, fühlte ich mich wieder sicher. Ich machte mir nicht die Mühe mein Kleid auszuziehen. So wie ich war fiel ich ins Bett. In dieser Nach träumte ich von blauen, stechenden Augen und Jonny D.

 

Mein Wecker riss mich aus meinem Traum und holte mich zurück in die Realität. Als ich völlig übermüdet auf die Uhr schaute konnte ich mir ein verzweifeltes Knurren nicht verkneifen. Genau aus diesem Grund hasste ich es, unter der Woche feiern zu gehen. Am nächsten Morgen bereute man es immer. Völlig erschöpft schlüpfte ich aus meinem Bett und wandelte wie ein Zombie in mein Bad. Es war nicht groß, tatsächlich konnte man von der Toilette aus sowohl das Waschbecken als auch die Dusche erreichen, doch für mich reichte es vollkommen aus. Als ich mein Spiegelbild betrachtete, verzog ich angewidert das Gesicht. Meine fuchsroten Haare standen in alle Richtungen ab. Ich hatte sie von meiner Mutter geerbt. Ich war sozusagen ihr Ebenbild, von der schlanken Figur bis hin zu meiner bleichen Haut. Wobei ich der festen Überzeugung war, dass meine Haut heller, mein Haar roter und meine Sommersprossen weniger waren, betonte mein Vater sehr oft wie ähnlich ich ihr war. Nur meine braunen Augen hatte ich von ihm. Sie waren warm und fast schon zu dunkel für meine helle Haut. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie so gar nicht zu meinem Gesicht passten, bekam aber immer wieder Komplimente für sie. Als ich jetzt mit verschmiertem Mascara und zerzausten Haaren dastand, erkannte ich jedoch weder Mom noch Dad in mir, nein eher wirkte ich wie eine junge Frau nach einer durchzechten Nacht. Ich wendete den Blick von meinem Spiegel ab und ging duschen. Nach der Dusche föhnte ich mein Haar, so dass es mir in sanften Wellen den Rücken hinabfloss. Ich entfernte die restlichen Make-Up-Reste und putzte mir eilig die Zähne, dann ging ich in mein Wohn-Ess-Schlafzimmer mit kleiner Kochniesche. Viel konnte ich mir nun mal nicht leisten. Mein ganzes Erspartes ging für das College drauf, weshalb ich mir nur dieses kleine 1-Zimmer-Appartment leisten konnte. Eine Halbwand trennte mein Bett vom Sofabereich. Ein kleiner Schrank, auf dem der Fernseher stand und ein Bild meiner Eltern, stand an der gegenüberliegenden Wand. Ein Kleiderschrank und meine Kochniesche befanden sich direkt neben der Badezimmertür. Sonst war mein kleines Reich sehr schlicht und kahl gehalten. Ich ging zu meinem Kleiderschrank, zog mir schlichte Jeans, ein USW Shirt und meine alten Chucks an. Dann ging ich zum Bild meiner Eltern. Es wurde in Atlanta aufgenommen als die beiden ihren neunzehnten Hochzeitstag gefeiert hatten, was damals keiner wusste, es war ihr letztes gemeinsames Bild. Wie jeden Morgen berührte ich den Bildrahmen. „Guten Morgen Mom, guten Morgen Dad, ihr fehlt mir“ flüsterte ich leise vor mich hin. Dann schnappte ich mir meine Jacke und machte mich auf den Weg ins College.

 

Die USW war ein staatliches College, das mehr oder weniger sämtliche Paletten an Studenten beherbergte. Von Punks, über Cheerleader, bis hin zu den Normalos, wie Jenny und ich uns gern bezeichneten. Als ich auf dem Parkplatz ankam, stand sie bereits bei Dii neben dem ich parkte. „Ola Püppchen wie ich hörte habt ihr gestern ganz schön die Sau raus gelassen“ begrüßte er mich und hob mich während unserer Umarmung einmal im Kreis herum. Dii war ein großer muskulöser Typ, hatte makellose Haut, ein paar wunderschöne Augen und brachte regelmäßig Mädchenherzen zum Zerbrechen, denn er war so Schwul wie man nur sein konnte. Jenny, Dii und ich waren seit unserem ersten Jahr am Collage befreundet. Kurz vor Beginn starben meine Eltern bei einem Autounfall, ich war eigentlich alles andere als scharf darauf Freunde zu finden. Doch die Beiden hatten sich Tag für Tag durch meine harte Schale gekämpft und schlussendlich mein Herz erreicht. Aufgrund meines zaghaften Aussehens nannten sie mich Püppchen, ein Spitzname an den ich mich gewöhnt hatte und der mich auch nicht mehr störte. „Naja Jenny war die, die es krachen lassen hat, ich saß nur rum.“ antwortete ich während ich sie ebenfalls umarmte. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg in den Hörsaal. „Naja pappalapap. Habt ihr schon gehört? Wir haben anscheinend einen Neuen in unserer Jahrgangsstufe! Und der soll sowohl mega sexy als auch mega schlau sein.“ Dii schien hin und weg von unserem Neuling zu sein. „Ein Wechsler mitten im Semester? Sehr ungewöhnlich.“ erwähnte ich und Jenny zuckte nur mit den Schultern. „Hauptsache heiß, mehr muss der Kerl nicht sein. Intelligente Männer machen nur Probleme.“ Ja Jenny klang mehr als oberflächlich doch Dii und ich verstanden sie, denn wir nahmen nicht jedes Wort von ihr auf die Waage. Sie hatte ihre Weltansicht auf Grundlage ihrer Erfahrungen und wir respektierten das. Männer waren für sie ein Zeitvertreib und solange sie nicht ihren Prinzen samt Schmetterlingen bekam, würde sie auch an dieser Ansicht festhalten. „Jenjen glaub mir der Typ wird dich umhauen. Ich konnte nur einen kurzen Blick auf ihn erhaschen und mir ging schon einer ab. Ihr wisst beide wie wählerisch ich bin.“ betonte Dii und ich musste schmunzeln. Im Hörsaal ließen wir uns auf unseren üblichen Platz fallen. Während Dii uns von seinem Tag erzählte und seiner neuesten Eroberung, ein Typ namens Jason, füllte sich der Hörsaal. Auch Prof. Peers war schon da. „Guten Morgen alle zusammen. Wo waren wir letzte Woche stehen geblieben? Wenn ich mich recht erinnere war es die englische Revolution, richtig?“ Während er sprach war es mucksmäuschen still, denn Prof. Peers war berühmt für seine Strafarbeiten. Als er grade mit seinem Monolog begann, hörte man die quietschende Tür des Hörsaals. Alle Studenten verrenkten sich die Köpfe um die arme Seele zu sehen, die Prof. Peers einen Kopf kürzer machen würde. Das Erste was ich wahrnahm war rabenschwarzes Haar, eine stolze Körperhaltung und ein perfekt geformter Körperbau. Plötzlich lief es mir kalt den Rücken herunter und ich setzte mich kerzengerade hin. Er hätte nicht extra zu mir aufsehen müssen, damit ich ihn erkannte, doch er tat es. Stechend blaue Augen, ein sinnlicher Mund und kantige Gesichtszüge. Das war der Kerl aus dem LOX. Sofort wurde es unter den Studenten, vor allem unter den weiblichen, unruhig. Geflüster begann, Gekicher aus mehreren Ecken. Dii seufzte erfreut auf und selbst Jenny konnte kaum ihre Begeisterung verbergen. Verdammt, nicht mal zwei Sekunden da und alle weiblichen Wesen im Umkreis von 5 Kilometern fielen ihm zu Füßen. Doch wie auch im LOX schaute er in meine Richtung, als wäre er nur aus diesem einen Grund hier hereinspaziert. Ich wusste nicht mal wer von uns Beiden wen anstarrte, doch das Meer aus Blau fesselte mich und ich fühlte mich wie schon im LOX völlig gebannt. Ich konnte nicht sagen, wie lange das so ging, aber irgendwann riss Prof. Peers mich aus meiner Trance. „Kann ich Ihnen helfen?“ fragte er in einem für ihn untypisch respektvollen Ton. „Dante Kain, ich bin der neue Quereinsteiger“ stellte er sich vor. Dante Kain. Der Name brannte sich in mein Hirn und berührte irgendwas in meinem Inneren. Wie eine Erinnerung die ich nicht greifen konnte. Währen Dante sprach, lies er mich nicht– so fühlte es sich jedenfalls an, vielleicht starrte er auch nur die Wand hinter mir an – aus den Augen. Ich hörte nicht was Prof. Peers antwortete, denn plötzlich hörte ich Dii´s Stimme nah an meinem Ohr flüstern. „Püppchen, halt mich jetzt für Irre aber der Typ starrt dich an, und sag mir wenn ich mich irre, aber du starrst zurück.“ Diese Worte waren es, die mich aus dem Bann des Neuankömmlings rissen. Wie als würde ich endlich an der Wasseroberfläche ankommen, zuckte ich zurück und schnappte nach Luft. Dass ich sie angehalten hatte, fiel mir erst dann auf. Völlig perplex schaute ich Dii an, der mich mit einem breiten Grinsen anschaute und wie ein Schurke mit den Augenbrauen wackelte. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass auch Dante sich nun zum Prof. umdrehte und mit ihm leise Worte wechselte. „Was war das?!“ flüsterte Jenny zu mir herüber. Ich suchte nach passenden Worten. „Er...“ setzte ich an und verstummte dann. „Keine Ahnung“ versuchte ich es erneut und zuckte nicht wirklich überzeugend mit den Schultern.  „Kennst du den?“ fragte mich Dii, der wohl Lunte roch. Ich schüttelte nur stumm den Kopf, den just in dem Moment lief Dante an unseren Sitzplätzen vorbei. Ich verkniff es mir ihm mit meinen Blicken zu folgen. Als der Prof. seinen Unterricht fortsetzte, tat ich hoch konzentriert und Dii und Jenny wagten nun zum Glück keine weiteren Fragen mehr. Es war schwer mich auf den Unterricht zu konzentrieren, denn das Gefühl ständig beobachtet zu werden, nahm nicht ab. Nach etwa der Hälfte der Unterrichtszeit stupste ich Dii an und schrieb ihm eine Nachricht auf meinem Notizblock.

 

Schaut er immer noch?

 

Dii las die Nachricht, gähnte großzügig, dehnte ein wenig seine Wirbelsäule und schaute nach hinten. Dann nahm er einen Stift und antwortete:

 

Als wärst du ein Alien mit zwei Köpfen, dass du kein Loch von seinem Starren im Hinterkopf hast ist schon alles.

 

Ich seufzte frustriert. Der Kerl machte mich fertig. Als es klingelte, packte ich eilig mein Zeug zusammen und lief auf die Tür zu. „Ah Miss Blanche, könnten Sie noch einen Moment bleiben?“  Die Stimme des Prof. hielt mich wie ein Lasso an Ort und Stelle. „Geht schon mal vor“ sagte ich zu Dii und Jenny. Die beiden grinsten von einem Ohr zum anderen, was ich erst verstand als ich mich zum Prof. umdrehte. Neben dem stand nämlich kein anderer als Dante. Innerlich gab ich mir eine Kopfnuss. Mit wackligen Schritten ging ich auf Beide zu. „Ja Professor Peers?“ Fragte ich unschuldig, dabei versuchte ich meine Stimme nicht in die Höhe schnellen zu lassen. Der Prof. lächelte mich wohlwollend an. Dante stand immer noch stumm neben ihm, starrte aber wie schon die ganze Zeit zu mir. Als wolle er etwas finden, ging es mir durch den Kopf. Woher dieser Gedanke kam, konnte ich nicht genau sagen. Vielleicht war es Intuition. „Wie ich gerade feststellte, haben Sie und Mr. Kain einen identischen Stundenplan. Würden Sie ihm heute die Kursräume zeigen?“ Ein identischer Stundenplan? Wie war das möglich. Ich könnte nicht eine einzige Person auf dem Campus nennen, die sämtliche Kurse mit mir zusammen hatte. Ich und Dii hatten bis auf zwei Kurse alle zusammen, was aber erst nach Absprache mit ihm funktioniert hatte. Jenny fehlte in vier Kursen, da sie mehr oder weniger kaum das gleiche Interesse wie ich für Geschichte aufbrachte. Ihr Schwerpunkt lag beim Marketing. „Ähm n-natürlich Professor Peers“ presste ich hervor, während ich versuchte Dantes Blick auszuweichen. „Super, vielen Dank Miss Blanche.“ Unbeholfen zuckte ich mit den Schultern, dann richtete ich meinen Blick auf Dante. „Hi, ich bin Kim. Können wir?“ Ich versuchte einen möglichst lockeren Ton anzuschlagen, für einen kurzen Moment hatte ich die Hoffnung, dass ich mir seine Aufmerksamkeit im LOX nur eingebildet hatte, diese Hoffnung zerstörte er jedoch mit seinem ersten, direkt an mich gerichteten, Satz. „Freut mich dich wieder zu sehen“ Dante sprach mit einer tiefen, warmen Stimme, die vorhin im Hörsaal nicht annähernd so sinnlich klang wie jetzt. Für einen Moment war ich wieder völlig gebannt, dass mir nicht der Mund aufklappte war ein Wunder. Erst als er mich erwartend anstarrte, wurde mir klar, dass er auf mich wartete. Eingeschüchtert murmelte ich ein „bis morgen Professor Peers“ und drehte mich um. Als wir den Hörsaal verließen, warteten verdächtig viele Kommilitoninnen vor dem Eingang. Sofort versteifte ich mich. „Ganz schön was los bei euch“ meinte Dante als wir uns einen Weg durch den Flur bahnten, gefolgt von einer Meute, die wohl dachte sie sei diskret. „Naja, eigentlich nicht, wir sind ein wirklich kleines College. Manchmal kann man das hier, auch als eine Art High School 2.0 betrachten.“ Während ich so meinen völlig verblödeten Satz von mir gab, hätte ich mir am liebsten in den Hintern gebissen, doch er schmunzelte nur. Und wie dieser Mann schmunzeln konnte, wenn er lächelte war er noch weitaus attraktiver, wobei ich bis dato glaubte, dass das unmöglich wäre. Immer wieder warf ich verstohlene Blicke in Dantes Richtung, der so nett war, so zu tun als bemerke er sie nicht. Nur anhand seiner zuckenden Mundwinkel erkannte man, dass ihm meine als auch die Blicke aller anderen Studenten sehr wohl auffielen. „Erzähl mir etwas von dir“ Dantes Worte ließen mich überrascht anhalten. Er drehte sich mir zu und schaute mich mit leicht schrägem Kopf an. Sein Blick war, wie auch schon im Hörsaal, intensiv und durchschauend. Als würde er in die Tiefen meiner Seele blicken, doch war mir nicht klar, was er dort fand. Als die Stille zwischen uns unangenehm wurde, würgte ich ein paar Worte heraus. „Über mich gibt es eigentlich nicht viel zu erzählen.“ „Wieso glaubst du das?“ fragte er mich mit wachen Augen. Unschlüssig zuckte ich mit den Schultern. „Ich bin Kim, 22 Jahre alt und gehe hier aufs College. Keine Geheimnisse, keine Tricks, keine Leichen im Keller.“ Mein Ton war locker, meine Worte wahr. Das schien auch Dante zu sehen, doch anstatt zufrieden mit meiner Antwort zu sein machte er plötzlich dicht. Als wäre meine Antwort die falsche gewesen. In einem Moment wirkte er charmant, interessiert, gespannt und im nächsten war da plötzlich eine Mauer. Seine Augen verengten sich und ich konnte mir diese gewisse Enttäuschung darin nicht erklären. Langsam und schweigend gingen wir den restlichen Weg zu unserem Kurs. Ich konnte mir seine abweisende Haltung nicht erklären, fast wirkte es, als sei ich plötzlich uninteressant.  Der Rest des Tages verlief genau so, so dass meine Laune am Ende des Tages gegen Null sank. In den Kursen in denen ich mit Dii saß, fragte ich ihn über jede Kleinigkeit aus, die seine letzte Eroberung betraf und ignorierte Dante, wie er auch mich. In den Kursen die ich nur mit Dante hatte, starrte ich hochkonzentriert in meine Bücher. Einzig die Wege zwischen den Kursen verbanden uns. Er folgte mir immer in angemessenem Abstand, richtete kein Wort an mich und versuchte sogar, mich nicht anzusehen. Warum er überhaupt von Kurs zu Kurs mit mir ging, war mir ein Rätsel. Nach dem letzten Seminar packte ich eilig meine Bücher zusammen, bereit, dieses verdammte College für heute hinter mir zu lassen. In meiner Eile, wäre ich fast in Dante reingelaufen. „Ähm sorry“ sagte ich leise ohne ihn anzusehen. Als ich um ihn herum laufen wollte, packte er plötzlich meinen Arm. Wie hypnotisiert starrte ich auf seine Hand. Sie war groß, aber nicht zu groß und sie sah weich und sehnig aus. Ja Dante hatte wirklich schöne Hände. „Hör zu.. Ich bin echt schlecht in sowas“ seine Stimme riss mich mal wieder aus meiner Trance. „In was?“ fragte ich und blickte ihn fragend an. Seine Augen wirkten unglaublich müde. Er seufzte, lies mich los und meinte im vorbei gehen „Im menschlich sein“. Bevor ich seine Worte wirklich registrierte, war er schon verschwunden. Im >menschlich< sein? Verwirrt starrte ich die Tür, durch die Dante verschwunden war, an und fragte mich was das heißen sollte. Langsam bewegte ich mich und machte mich auf den Heimweg. Dii und Jenny hatten noch einen Kurs, weshalb ich mich daheim mit meinem Haushalt beschäftigte und hin und wieder diesen wirklich merkwürdigen Tag revue passieren lies. Gegen Abend dann, klingelte mein Handy. „Erinnere mich nochmal daran, warum ich diesen Abschluss wirklich brauche?“ Jenny stöhnte lustlos, ich musste schmunzeln. „Na weil du erst mal Zugang zu allen Reichen und Schönen brauchst um Mr. Perfekt zu finden“ antwortete ich während ich mich aufs Sofa fallen lies. „Ach die kommen auch von ganz alleine, sieh dir nur Mr. Dunkel&Heiß an.“ Ich musste nicht fragen wen sie meinte. „Mr. Dunkel&Heiß ist das dein ernst?“ einen kleinen Lacher konnte ich mir nicht verkneifen. Jenny war in vielem gut, doch Spitznamen waren nicht so ihr Ding. Mein Eigener war aussagekräftig genug. „Hallooo sag mir nicht, dass du ihn nicht als Reinkarnation des heißen aber rebelllischen Sohnes eines Königs siehst, der die armen Dienstbotinnen heimlich in der Wäschekammer verführt.“ Jenny seufzte verträumt. „Liest du schon wieder deine Mittelalterschuntromane?“ Fragte ich sie während mir die Vorstellung von Dante als verwegener Prinz ganz gut gefiel. „Das nennt sich historische Literatur“ Verteidigte sie sich und ich musste tatsächlich kichern. „Ja wo ganz speziell ins Detail geht, vor allem was so unter den Bettdecken des Adels vorgeht.“ Jenny war es jetzt, die kicherte. „Sag mir, was du von ihm denkst“ Während ich mir ein Glas Wein einschenkte und meinen Auflauf von gestern in den Ofen schob, dachte ich über Jennys Worte nach. „Ich weiß es nicht, er ist so anders. So schön, so gefestigt. Ich glaube ich kann dir nicht einen Jungen in unserem Alter nennen, der so … erwachsen ist.“ Selbst in meinen Ohren klangen meine Worte merkwürdig. Jenny aber, schien mich wie immer zu verstehen. „Eine merkwürdige Perspektive aber ja, ich glaube du hast recht. Er wirkt sehr stark.“ Jennys Worte versetzten mich zurück zu jenem Tag an dem meine harte Schale brach. Jenny und auch Dii saßen seit Wochen jeden Tag an meinem Tisch. Die meiste Zeit redeten sie über alles was so am College abging. Mehr als ein paar barsche Worte hatte ich mit den Beiden nicht gewechselt und obwohl ich konsequent auf mein Mittagessen starrte war ihre Unbeschwertheit durch den Nebel meiner Trauer, fast schon heilend. Wie die Wirkung eines Pflasters auf der Wunde. Es blutete darunter weiter, doch dadurch, dass man es nicht sah, tat es weniger weh. Ja Dii und Jenny schafften es allein durch ihre Anwesenheit, dass es ein wenig weniger weh tat. Das sagte ich den Beiden natürlich nicht. Am Anfang hatte ich sie tatsächlich mehrmals aufgefordert sich wo anders hinzusetzten. Die beiden hatten sich nur schmunzelnd angesehen und weiter geplaudert. So ging das über Wochen, Wochen in denen ich mich weigerte, mich selbst zu fragen, warum ich mich nicht einfach irgendwo anders hinsetzte. Wochen in denen es ein bisschen weniger weh tat. Ich wünschte ich könnte behaupten, ich hätte den Tod meiner Eltern mit erhobenem Kopf bewältigt, ich wäre nicht in Selbstmitleid versunken, ich hätte mein Leben trotzdem im Griff gehabt, doch das war nicht so. Ich schwamm gerade so an der Wasseroberfläche, nicht genug um zu Leben, nicht genug um zu ertrinken. Gerade so nach Luft schnappend wurde ich umhergeschoben. Meine Noten waren mehr schlecht als recht, meine Nächte kurz und verweint. Erwachsene redeten täglich auf mich ein, was ich zu tun hatte, was ich zu lassen hatte, worum ich mich kümmern müsste. Das einzige wofür ich wirklich gekämpft hatte, war meine Eigenständigkeit. Obwohl ich das 21 Lebensjahr noch nicht erreicht hatte, bestand ich darauf mich um mich selbst zu kümmern. Deshalb schleppte ich mich zur Uni, versuchte so wenig Gewicht wie möglich zu verlieren und meisterte meine sonstigen Aufgaben so gut es ging. Vielleicht ging ich deshalb jeden Mittag an diesen Tisch zurück, vielleicht fühlte ich mich deshalb ein wenig leichter. Ich hatte durch Dii und Jenny kleine aber feine Schritte in Richtung Leben gemacht. Das alles drohte fast, dem Erdboden gleich gemacht zu werden, als mich der Dekan eines Tages vor der Mittagspause zu sich ins Büro gerufen hatte. Wie betäubt nahm ich seine Worte wahr. „Das Grab Ihrer Eltern wurde verwüstet. Die Polizei hatte mich beauftragt, Ihnen gleich bescheid zu geben, wie es aussieht fehlen beide Urnen. Ich kann mir nicht mal vorstellen, wie es Ihnen geht, aber bitte setzen Sie sich mit der Polizei in Verbindung. Sie müssen Anzeige erstatten. Natürlich sind Sie vom Unterricht freigestellt.“ Noch heute war mir die komplette Szene wie ein Albtraum vorgekommen. Als ich wie betäubt die Tür des Dekans hinter mir schloss stand ich plötzlich Dii und Jenny gegenüber. Die Beiden lehnten an der Wand, ihre Augen prüfend auf mich gerichtet. Ich sah sie und plötzlich brachen alle Dämme, Tränen schossen mir unaufhörlich in die Augen, das Atmen fiel mir schwer, mein Herz tat so unglaublich weh. Es fühlte sich furchtbar an, nicht mal im Tod hatte man meinen Eltern Ruhe gegönnt, nicht mal ihre Überreste blieben mir. Ich ging in die Knie, bezwungen vom Leben und vier Hände fingen mich auf. Stützend nahmen sie mich in die Arme, flüsterten mir beruhigende Worte zu und brachten mich raus aus dem College.  Die Zeit danach war sehr verschwommen, mal war ich in meiner Wohnung, dann war ich bei der Polizei, mal starrte ich auf das leere Grab meiner Eltern und immer waren Dii und Jenny da. Sie stützen mich wenn ich es brauchte, ließen mir Zeit zu trauern. Seit dem Tag waren wir drei unzertrennlich. Sie waren meine Familie. Als ich Jenny nach ein paar Monaten fragte, warum sie unbedingt mit mir befreundet sein wollten, lächelte sie mich liebevoll an. „Weil du so unglaublich stark bist.“ Mehr war zu diesem Thema nicht mehr aus ihr herauszubekommen, weshalb ich die Sache gut sein ließ. „Püppchen?“ fragte Jenny am Telefon und holte mich zurück in die Gegenwart. „Interessante Wortwahl“ gab ich flappsig zurück und Jenny stimmte lachend zu. Wir telefonierten noch eine Weile und dann machte ich es mir den Rest des Abends mit einem Buch gemütlich.

 

Ein Geräusch riss mich aus dem Schlaf. In meiner Wohnung war es so Dunkel, dass ich nicht mal meine eigene Hand vor Augen sah. Hatte ich die Fensterläden geschlossen? Adrenalin wütete in meinen Venen, mein Herzschlag klopfte wie wild. Trotzdem wagte ich es kaum zu atmen. Leise und langsam griff ich nach meiner Nachttischlampe. Das Knipsen des Schalters klang in meinen Ohren unglaublich laut. Nichts geschah, meine Wohnung blieb dunkel. Verdammt! Innerlich fluchte ich, was war hier los? Gestern hatte sie doch noch funktioniert. Ich hielt den Atem an und lauschte. Da war etwas, ein Geräusch. Kaum wahrzunehmen, doch es war da. Bilder von Überfällen, Morden, Vergewaltigungen, schossen mir durch den Kopf. Mein Handy! Ich musste unbedingt an mein Handy kommen. Verunsichert griff ich neben mir umher, irgendwo hier musste es doch sein? Ich hatte es doch immer direkt neben mir. Endlich bekam ich mein Ladekabel zu fassen und erstarrte. Mein Handy hing nicht daran obwohl ich es definitiv am Abend eingesteckt hatte.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 26.02.2018

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle die das Herz am rechten Fleck haben.

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