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Impressum

 

Kein Weihnachten für Santa?

Neela Faye & Eve Flavian

 

 

 

© 2019 Neela Faye & Eve Flavian

  1. Auflage

 

Covergestaltung: Sabine Schulz

Hintergrund: Seifenblase – rihaij, pixabay.com

Brücke – Dennis Gross, stock.adobe.com

 

Innengestaltung: Eve Flavian

Trenner: Faux Snow  Created by Brian Kent

 

Lektorat/Korrektorat: Bernd Frielingsdorf

 

https://www.facebook.com/Eves-und-Neelas-Projekte-1732600003642281/

http://eveflavian.wix.com/eveflavian

http://neela-faye.de/

 

  1. Adam, Wiesenstr. 10, 87751 Heimertingen

 

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.

 

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorinnen.

 

E-Books sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorinnen und erwerben eine legale Kopie. Danke!

1.

 

 

 

 

 

 

 

Aufgeregt setzte Stellan die grüne Mütze auf seine wirren Haare und besah sich im Spiegel. Die neue Uniform saß wie angegossen, auch weil er sie in den letzten Tagen noch etwas kleiner genäht hatte. Er erkannte sich fast gar nicht. Wie lange hatte er auf diesen Tag hin gefiebert und jetzt, wo es endlich so weit war, war ihm fürchterlich flau im Magen. Gestern war er 60 Jahre geworden und damit alt genug, um in der Werkstatt des Weihnachtsmanns zu arbeiten, und wenn er pünktlich sein wollte, musste er jetzt los. Schnell griff er nach seinem Umhang und den Stiefeln.

Als er die kleine Hütte verließ, wehte ihm der Wind wieder einmal Schnee ins Gesicht. Im Elfendorf war alles auf den Beinen. Kein Wunder, denn jetzt im November begann die richtig heiße Phase vor Heiligabend. Also mischte er sich unter die anderen Elfen, die auch auf dem Weg zu Santas Werkstatt waren.

Endlich würde er dazugehören. Anders als seine Eltern und sein Bruder, denen es genug war, in einer der kleinen Werkstätten im Dorf zu arbeiten, hatte er schon immer in die Weihnachtswerkstätten gewollt und alles andere dafür hinten angestellt. Hier arbeiteten nur die jeweils Besten ihres Fachs – und er gehörte nun dazu.

Hoffentlich fand er dort ein paar Freunde, denn wegen seines Traumes hatte er auch das etwas vernachlässigt. Bis auf seine Lehrkameraden und die

Familie hatte er nicht viele Kontakte.

Zusammen mit den anderen erreichte er das große Tor und zog seinen neuen Ausweis hervor, um sich anzumelden. Danach stellte er sich an den Fuß der Treppe und wartete. Als er die neue Kleidung geholt hatte, hatte man ihm gesagt, er würde sich hier mit seinem neuen Vorarbeiter, Jonne, treffen. Aber bisher sah er niemanden. Dazu war es vielleicht aber auch zu trubelig in der großen Halle.

Langsam verteilte sich die Menge und es wurde leerer. Doch noch immer stand er allein da.

Aufmerksam sah er sich um. Alles war weihnachtlich geschmückt und obwohl hier jeden Tag mehrere Hundert Elfen durchliefen, war es absolut sauber und ordentlich.

Nachdem nun wirklich niemand mehr unterwegs war, fragte Stellan sich, ob überhaupt jemand kommen würde. Seine Hochstimmung von vorher schwand.

Hatten sie ihn vergessen? Oder war sein großer Traum doch geplatzt? Dabei war alles in Ordnung gewesen, als er sich vorgestern hier angemeldet hatte.

Dann hörte er eilige Schritte und ein großer Elf mit roter Mütze eilte von der Seite herein.

„Guten Morgen! Bitte entschuldige, es gab einen Zwischenfall im Rentierstall.“

„Guten Morgen … Jonne?“ Fasziniert sah er den Elfen an. Blonde Haare lugten unter der Mütze hervor und so leuchtend blaue Augen hatte er noch nie gesehen.

„Du bist also Stellan?“ Der Elf lächelte und zwinkerte ihm zu. „Willkommen in der Werkstatt des Weihnachtsmannes!“

„Ja, der bin ich. Danke.“ Er erwiderte das Lächeln und ein bisschen von der Aufregung kehrte zurück. Sie hatten ihn nicht vergessen.

„Leider ist natürlich genau jetzt die Hölle los, aber das wirst du noch oft genug mitmachen, sodass es dir bald normal erscheinen wird.“ Der Vorarbeiter schien nett zu sein, aber bestimmt konnte er auch anders, sonst wäre er wohl kaum in dieser Position.

„Okay. Das klingt gut. Was soll ich machen?“ Am liebsten hätte er sofort losgelegt.

„Zuerst führe ich dich ein bisschen herum und dann bringe ich dich zu deinem ersten Arbeitsplatz.“

„Gern.“ Zu seinem ersten Arbeitsplatz. Nun wurde Stellan erst recht nervös.

Jonne schien seine Aufregung nicht zu bemerken, oder er sah freundlicherweise darüber hinweg. „Gut, ich denke, am besten fangen wir am Anfang an. An dem Ort, an dem all die Wünsche der großen und kleinen Kinder eintreffen. Komm mit.“

Neugierig folgte Stellan ihm durch einen der Gänge. An den Türen hingen Tannenzweige mit Kugeln oder Glöckchen. Aber nirgends ein Schild mit einem Namen oder so. Er sah es schon kommen, dass er sich hier stundenlang verlaufen würde.

Schließlich tauchte am Ende des Ganges eine große, geschnitzte Tür auf. Als sie näher kamen, erkannte er, dass die Schnitzereien eine Schriftrolle und mehrere Briefumschläge zeigten. Immerhin das war ziemlich einprägsam.

„So, hier sind wir auch schon.“

Jonne öffnete die Tür und Stellan traute seinen Augen nicht. Der Raum war riesig und an einer Wand reihten an die fünfzehn bis zwanzig Tische aneinander, an denen Elfen saßen und in verschiedenen Sprachen telefonierten. An der anderen Wand standen unzählige Drucker, die pausenlos Papier ausspuckten. Aber das Beeindruckendste war eine riesige hölzerne Maschine mit Zahnrädern und leuchtenden Knöpfen. So etwas hatte er noch nie gesehen. „Was ist das?“

„Das ist die Wunschzetteleinlesemaschine“, sagte Jonne mit offensichtlichem Stolz. „Nachdem die ganzen handgeschriebenen Wunschzettel abgetippt wurden, werden sie hier eingelesen und durch Santa sortiert. Wenn er sie freigegeben hat, kommen die Aufträge an die Werkstatt.“

„Wow, und was machen die Elfen dort? Telefonieren sie mit den Kindern?“

„Sie geben Bestellungen an unsere Außenstellen weiter. Alles können wir hier am Nordpol leider nicht herstellen. Die Wünsche sind größer geworden. Gerade die ganzen Elektroniksachen überlassen wir lieber den Experten.“

„Verständlich.“ Stellan nickte. „Wie kommen die Wunschzettel her?“

„Die meisten kommen altmodisch über den magischen Briefkasten her. Komischerweise scheinen bei Wunschzetteln Briefe beliebter zu sein als E-Mails, obwohl uns das einiges an Mehrarbeit macht.“ Jonne lächelte und zwinkerte ihm wieder zu. Die blauen Augen strahlten, sodass ihm klar wurde, dass dieser Elf jede Arbeit in Kauf nehmen würde, egal wie aufwendig.

„Es ist ja auch irgendwie schöner, romantischer“, murmelte er leise.

„Nun, Stellan, hast du denn deinen Wunschzettel für dieses Fest schon geschrieben? Meist sind die Elfen immer auf den letzten Drücker dran, das gefällt Santa gar nicht.“ Jonne grinste breit.

Oh. Stellan spürte, wie er rot wurde, und schüttelte stumm den Kopf. „Nein. Noch nicht.“

„Dann solltest du das vielleicht demnächst machen“, erklärte Jonne gutmütig. „Dann gehen wir mal weiter zu den ersten Werkstätten. Natürlich wirst du vor Weihnachten dort erst mal nicht arbeiten können, denn gerade hat keiner Zeit, dich dort anzulernen. Aber im neuen Jahr werden wir sehen, wo genau du hinpasst.“

Ein bisschen Enttäuschung machte sich breit und er kniff die Lippen zusammen, als er nickte. Zu glauben, dass er jetzt schon in die Werkstatt dürfte, war wahrscheinlich ohnehin Irrsinn gewesen und er hatte so lange gearbeitet, dass er ein paar weitere Monate Hilfsdienste auch überstehen würde. „Ich habe in den letzten Jahren in der Holzwerkstatt unten im Dorf gearbeitet“, erklärte er nach einigen Augenblicken leise.

„Ich weiß, ich habe deinen Lebenslauf und die Empfehlungen gelesen.“ Wieder ein Zwinkern. „Wir Vorarbeiter entscheiden gemeinsam, wer bei uns anfangen darf, und bei deiner Bewerbung war mir gleich klar, dass du hierfür brennst.“

„Oh!“ Nun konnte er ein breites Grinsen nicht unterdrücken. „Das stimmt. Ich habe ewig gewartet, bis ich endlich alt genug war, um mich zu bewerben.“

„Und hart gearbeitet offensichtlich. Eine der Werkstattleiterinnen hat deine Meisterstücke sehr gelobt.“

„Danke.“ Prompt wurde Stellan doch etwas röter.

„Gerne. Dann gehen wir mal weiter.“ Jonne öffnete eine kleinere Tür an der Seite des Raumes.

„Wohin gehen wir jetzt?“ Neugierig sah Stellan sich um.

„Jetzt kommt die erste Spielzeugwerkstatt.“

„Oh, das klingt schön. Wie viele Werkstätten gibt es hier?“

„Nun, so an die dreißig werden es sein“, meinte Jonne und schmunzelte, als er große Augen bekam.

„Wow. Das ist ja noch riesiger, als ich es mir vorgestellt habe.“

„Wir wachsen auch stetig. Zum Glück können wir unterirdisch bauen“, erklärte sein Vorarbeiter und führte ihn weiter. Hier hatten die Türen auch kleine Fenster und Stellan konnte hineinspitzeln.

Überall saßen Elfen an Werkbänken oder langen Tischen und arbeiteten konzentriert. Wie sehr wünschte er sich, endlich Teil davon zu sein!

„Gefällt es dir?“

„Ja, sehr. Es muss toll sein, darin zu arbeiten.“

„Das ist es. Du wirst es bald selbst erleben.“ Jonne lächelte.

„Ich freue mich. Was soll ich denn machen, bis ich in die Werkstatt darf?“ Obwohl er sich bemühte, schwang wahrscheinlich ein bisschen Enttäuschung in der Stimme mit.

„Ich hoffe, du bist gut im Geschenke verpacken? Alles kann die Maschine leider nicht.“

Geschenke verpacken. Ausgerechnet. Nur mit Mühe unterdrückte er ein Seufzen. Wenn es Tätigkeiten gab, die er abgrundtief hasste, dann Plätzchenbacken und Verpacken. „Nicht wirklich. Aber ich versuche es natürlich.“ Wenn er das vermasselte, würde er nie in die Werkstatt dürfen, das war glasklar und der einzige Grund, weshalb er keinen Widerspruch erhob.

„Ich bin mir sicher, du hast geschickte Hände, Stellan.“ Leise öffnete Jonne die Tür zu einer der Werkstätten.

Hinter dieser Tür wartete das Paradies auf Stellan. Kaum war er auf die Schwelle getreten, roch er Holz und hörte die vertrauten Geräusche von Bohr- und Drechselmaschine. Neugierig sah er sich um. Kaum einer der Elfen reagierte auf sie. Alle waren völlig in ihre Aufgaben vertieft. „Was wird hier hergestellt?“

„Das erzählt dir am besten Maila. Sie ist hier die Vorarbeiterin. Ich bin schon länger hauptsächlich in der Organisation tätig“, erklärte Jonne und führte ihn zu einer Elfin, die an einem Regal stand. „Guten Morgen! Darf ich dir unseren Neuzugang Stellan vorstellen?“

„Guten Morgen. Hallo Jonne, Stellan.“ Sie lächelte und sah ihn interessiert und ein bisschen abschätzend an. „Soll er zu uns kommen, Jonne?“

„Nun, du hast seine Stücke gesehen. Sag du es mir.“ Jonne grinste und zwinkerte dann Stellan zu.

„Ach … du bist das?“ Jetzt sah sie Stellan noch mal genauer an. „Ja, ich glaube, das wird was. Wobei ich dir erst mal beim Arbeiten zusehen will.“

„Nach Heiligabend werdet ihr Gelegenheit dazu haben“, meinte der Vorarbeiter freundlich. Immer wenn er lächelte, bildeten sich kleine Grübchen in seinen Wangen.

„Ich freu mich drauf. Komm, Stellan, ich zeig dir ein bisschen was von der Werkstatt, bevor Jonne dich wieder mitnimmt. Hier werden in erster Linie Puppenhäuser gebaut und die Möbel dazu vorbereitet. Wir brauchen also Elfen mit sanften Fingern und Ruhe für die kleinen Teile. Nebenan wird alles angemalt und beklebt.“ Sie zeigte auf eine Tür.

Er spürte, wie er zu strahlen begann. Es gab nichts, was er lieber tat, als die Häuschen und die Einrichtung dafür zu bauen. Für seine Bewerbung hatte er einen filigranen Schaukelstuhl eingereicht.

„Das klingt toll. Ich würde gerne zeigen, was ich kann.“ Er lächelte unwillkürlich. Das machte die zwei Monate im Verpackungswahnsinn vielleicht auch erträglicher.

„Sehr gut.“ Maila nickte ihm zu. „Dann bis bald, Stellan. Viel Spaß und einen guten Start.“

„Danke.“ Innerlich seufzte er laut, als er die Werkstatt verlassen musste. Die Zeit bis Weihnachten kam ihm unendlich vor und dann gab es ja auch noch die Weihnachtsfeiern und den Winterurlaub. Bis hier die Arbeit wieder aufgenommen werden würde, war es wahrscheinlich Ende Januar.

„Dann zeige ich dir jetzt mal die Verpackungsmaschine und deinen Arbeitsplatz, in Ordnung? Ich würde dir gerne noch mehr zeigen, aber du siehst ja, wie es hier zugeht.“ Entschuldigend blickte Jonne ihn an. „Wir haben gerade nicht einmal mehr Zeit zum Plaudern.“

„Kein Problem. Sag mir einfach, was ich tun soll.“ Nein, er würde sich von diesem Rückschlag nicht entmutigen lassen, obwohl er sich wirklich was anderes für seinen ersten Arbeitstag gewünscht hatte. Aber er wollte nicht undankbar sein und irgendwann war auch diese Zeit vorbei.

Außerdem war sein Vorarbeiter äußerst nett und höflich. Schließlich konnte er nichts dafür, dass Stellan fast im Winter geboren war, also musste er da wohl durch.

Es ging durch weitere Gänge zu einer anderen großen Tür, in die dieses Mal einige Geschenke eingeschnitzt waren. Dahinter hörte er schon lautes Rumoren.

„Da sind wir.“ Jonne öffnete die Tür und ließ ihn eintreten. Anders als in der Werkstatt war es hier laut und mehrere Elfen liefen mit Körben voller Pakete hin und her. Aus Lautsprechern dröhnten Weihnachtslieder und in der Mitte des Raumes stand ein großer hölzerner Klotz. Auf der einen Seite legten Elfen Geschenke auf Laufbänder, die die Spielzeuge unverpackt in den Klotz brachten und auf der anderen Seite hübsch verpackt wieder hinaus.

„Das ist die Verpackungsmaschine. Wunderbar für Geschenke, die in Kartons gepackt werden können. Aber leider nicht für alles geeignet“, erklärte Jonne ihm, während sie weiter hineingingen.

„Alles andere muss von Hand verpackt werden?“, folgerte Stellan und sah sich weiter um. Im Nebenraum saßen Elfen am Tisch und packten wie am Fließband Geschenke ein.

„Leider ja. Komm, ich stelle dich dort vor.“

„Okay. Dann mal los.“

 

 

 

 

 

 

Erst gegen Feierabend hatte Jonne wieder den Kopf, an den neuen Elfen zu denken. Vor Weihnachten wollte einfach jeder etwas von ihm und selbst um die kleinsten Probleme musste er sich kümmern. Alles, um Santa nicht damit zu belasten.

Trotzdem sollte er jetzt noch mal nach dem Neuen sehen. Dessen Enttäuschung war morgens durchaus greifbar gewesen, aber darauf konnte er im Moment keine Rücksicht nehmen. Trotzdem wollte er nach Stellan sehen, um sicherzugehen, dass er weitermachte.

Mittlerweile waren die Gänge belebter als am Morgen. Fertige Werkstücke wurden auf Wagen in Richtung der Qualitätssicherung und der Verpackungshalle gebracht. Gerade jetzt trafen viele Wunschzettel ein, das würde sich die nächsten Tage kaum bessern. Im Gegenteil.

Deshalb hatte er vor, Stellan noch ein bisschen zu motivieren.

Er betrat den Raum der Verpackungseinheit und schmunzelte, als er den Neuen an seinem Tisch sitzen sah. Mit verbissener Miene packte er ein Paket. Jonne winkte den Vorarbeiter heran und deutete zu Stellan. „Wie macht er sich?“

„Er packt ein wie ein Wilder. Hab ich lange nicht so schnell von einem Neuen gesehen“, erklärte Sven ihm. Er kannte ihn schon einige Zeit als Vorarbeiter dort. Mit den neuen Elfen ging er ruhig und gelassen um, daher ließ er sie in der stressigen Zeit lieber hier anfangen.

„Gut. Er war ziemlich enttäuscht, nicht direkt in die Werkstatt zu dürfen.“ Wieder sah er zu dem Elfen und schmunzelte. „Gerade erst gestern sechzig geworden.“

„So junges Gemüse schickst du mir also?“, scherzte Sven und lachte.

„Selten. Aber bei Maila wäre es momentan etwas zu stressig und wir wollten nicht riskieren, dass er sich doch unten im Dorf was sucht. Er wird also nicht lange hierbleiben.“

„Kein Problem. Nach Weihnachten wird es hier sowieso erst mal ruhig und gerade können wir jede Hilfe brauchen. Die Grippewelle hat uns den Zeitplan ganz schön durcheinandergebracht.“

„Perfekt. Gibt es sonst noch was zu besprechen? Sonst gehe ich mal zu ihm und sag ihm, dass Feierabend ist.“

„Nein, sonst gibt es nichts, Jonne.“

„Bis morgen dann.“ Er lächelte kurz und ging zu Stellan, der noch immer einpackte, obwohl die Klingel zum Feierabend bereits ertönt war und die anderen zusammenpackten oder sogar schon auf dem Weg nach Hause waren.

„Hey Stellan! Du musst an deinem ersten Tag keine Überstunden machen“, sagte er, als er neben den zierlichen Elfen trat. Seine grüne Mütze hing schon ein bisschen schief und legte die dunklen Locken frei.

„Was? Oh, Jonne?“ Ein bisschen verwirrt sah er ihn an.

Wie süß!, fuhr ihm durch den Kopf. „Äh … ja … Es ist Feierabend.“ Er lächelte.

„Schon?“ Offenbar kam Stellan langsam wieder in der Gegenwart an, denn er wurde etwas rot und sah ihn verlegen an. „Ich habe gar nicht gemerkt, dass es schon so spät ist.“

Das brachte Jonne zum Lachen. „Hätte ich kaum bemerkt.“ Die geröteten Wangen waren wirklich niedlich.

„Dann räume ich wohl besser auf.“

„Tu das. Ich hoffe, es hat dir ein bisschen gefallen?“ Jonne spürte, wie er den Kleineren intensiv ansah und sich selbst nervös eine verirrte Locke hinters Ohr schob.

„Ja, es ist okay.“ Stellan musste sich sichtlich zum Lächeln zwingen. Es war schon interessant, wie er dessen Gefühle auf dem Gesicht ablesen konnte. Jetzt sah der Kleinere ihn intensiv an und wurde ebenfalls rot.

„Nur die ersten beiden Monate. Versprochen“, sagte er leise und legte seine Hand auf Stellans Schulter.

„Schon gut. Danke“, murmelte Stellan und senkte den Blick.

„Bestimmt?“ Nicht, dass es ihn kümmern müsste. Jede Woche bewarben sich Elfen in den großen Werkstätten. Allerdings hatten sie lange kein solches Talent mehr gesehen. Ein Grund, dass sie Stellans Bewerbung angenommen hatten, obwohl er wirklich noch verdammt jung war.

Dieser nickte.

„Versprochen? Komm zu mir, wenn etwas ist.“ Noch immer lag seine Hand auf Stellans Schulter.

„Ja, mache ich.“ Mittlerweile hatte der kleine Elf alles aufgeräumt. „Danke. Ich gehe dann jetzt essen und nach Hause.“

„In Ordnung. Dann sehe ich dich morgen wieder hier?“ Jonne suchte seinen Blick. Das hatte sich nicht so angehört, als redete er von Arbeit. Was war nur in ihn gefahren?

Nun grinste Stellan ihn an und nickte langsam. „Ja, ich werde hier sein. Du weißt ja, wo du mich findest.“

„Wo gehst du zum Essen hin?“, rutschte ihm raus.

„Einfach unten ins Wirtshaus. Möchtest du mitkommen?“, antwortete Stellan und wurde wieder rot.

„Ja, warum nicht? Ich war länger nicht da.“ Beim Nordstern, was tat er da gerade?!

„Wo isst du normalerweise oder kochst du selbst?“

„Meist esse ich nur ein Brot. Zum Kochen fehlt mir die Motivation“, erklärte Jonne.

Langsam gingen sie in Richtung Ausgang. Es war schon fast niemand mehr unterwegs. Die Elfen von der Nachtschicht waren an ihren Arbeitsplätzen und die meisten anderen längst zu Hause.

„Das versteh ich gut. Mache ich auch oft. Aber zwei, drei Mal in der Woche hole ich mir was zu essen, zumal meine Hütte in der Nähe ist.“

„Das ist ja praktisch. Meine Hütte ist näher bei den Werkstätten.“ Langsam schien der andere Elf aufzutauen. Jonne wusste nicht warum, aber er wollte, dass der Neue sich wohlfühlte.

„Früher war meine noch weiter entfernt. Aber ich konnte vor ein paar Wochen tauschen, sonst hätte ich deutlich länger laufen müssen jeden Tag.“ Stellan lächelte leicht.

„Zum Glück läuft das ja meist total problemlos.“ Sie hatten den Ausgang erreicht und schlenderten in Richtung Wirtshaus. Natürlich waren im Dorf einige Elfen unterwegs, aber sie hatten es nicht eilig.

„Ja. Zum Glück.“ Stellan nickte leicht. „Der Elf, der meine Hütte vorher hatte, ist zu seiner Frau gezogen und so konnte ich die Hütte kriegen.“

„Du wohnst also allein?“, stellte Jonne fest. Beinahe hätte er die Augen über sich selbst verdreht. Das war ja sehr subtil.

„Ja, natürlich.“ Ein bisschen überrascht sah der andere ihn an. Kein Wunder. „Oh … Wohnst du mit jemandem zusammen?“

„Nein, ich wohne auch allein“, murmelte Jonne und wurde schon wieder rot. Zum Glück war es draußen dunkel und die Beleuchtung verschluckte so einiges.

Zumal Stellan anscheinend auch etwas rot im Gesicht war.

Flirtete er etwa schon mit dem Neuen? Das gehörte sich doch wirklich nicht.

„Komm, lass uns sehen, wo noch Platz ist.“ Zielstrebig ging er auf die Tür zu. Mit Sicherheit wären hier einige Elfen, die ihn kannten. Ungestört reden konnten sie ohnehin nicht, man ergatterte nur selten einen Tisch zu zweit.

Doch kaum hatten sie das Wirtshaus betreten, kam die Wirtin auf sie zu und begrüßte Stellan herzlich. Erst dann wandte sie sich an ihn. „Hallo, Jonne. Du isst mit Stellan? Dann kommt mit nach hinten. Dort ist noch Platz.“

„Oh? Vielen Dank.“ Etwas perplex folgte Jonne der Wirtin. Sie führte ihn und Stellan in einen gemütlichen Nebenraum, der ihm noch nie aufgefallen war. Eine Eckbank mit Esstisch und ein kleiner Kachelofen luden zum Verweilen ein.

„Was kann ich euch bringen? Braten und Kartoffeln oder einen wärmenden Eintopf? Und dazu Tee oder Punsch?“

Fragend blickte Jonne zu seinem jüngeren Begleiter. „Eintopf? Und ein Tässchen Punsch?“

„Klingt perfekt. Danke, Lina.“ Stellan sah zur Wirtin und lächelte. „Und ein bisschen Brot?“

„Kommt sofort, die Herren. Macht es euch gemütlich.“ Und schon waren sie allein.

Stellan wirkte wieder etwas verlegen, lächelte ihn aber vorsichtig an.

„Du kennst die Wirtin näher?“ Nun, eigentlich war es offensichtlich, aber Jonne wusste nicht, was er sagen sollte. Er erwiderte das Lächeln verlegen. Beim Nordstern, er sollte sich wirklich zusammenreißen.

„Ja, wir sind quasi zusammen aufgewachsen, auch wenn sie ein paar Jahre älter ist. Zwischendurch hatten wir uns etwas aus den Augen verloren. Als ich dann hierhin gezogen bin, haben wir uns wieder getroffen, und als sie letztens Hilfe brauchte, habe ich ihr und ihrem Mann geholfen. Seitdem darf ich für mein Essen nicht mehr zahlen.“ Stellans Stimme war ruhig und es war ihm scheinbar etwas peinlich. Daher fragte er lieber mal nicht, was er für die Wirtsleute getan hatte.

„Dann werde ich für uns beide bezahlen.“ Er schmunzelte. Stellan wirkte jung, selbst für 60. Vielleicht lag das daran, dass er etwas zierlich und schlank war. Und an den süßen Sommersprossen auf der Nase.

„Du kannst es probieren, ich bezweifele, dass sie es erlaubt.“ Nun grinste er. „Erzähl mir von dir. Was machst du, wenn du nicht in der Werkstatt bist?“

„Na ja, nicht besonders viel, ehrlich gesagt. Ich lese oder gehe Eisfischen. Nichts Aufregendes.“ Jetzt, wo er das sagte, klang es gleich noch langweiliger.

„Eisfischen? Fängt man da wirklich was?“

„Ja, meistens zumindest.“

„Ich habe es ehrlich gesagt noch nie probiert. Allein der Gedanke an den armen Fisch.“ Stellan schüttelte sich.

„Tut mir leid, ich wollte dir nicht den Appetit verderben.“

„Hast du nicht. Keine Sorge.“ Der Jüngere schmunzelte wieder. Stellan war irgendwie anders als die meisten Elfen, die er kannte. Wenn er auch nicht wirklich sagen konnte, woran er das festmachte.

„Okay. Und was machst du so?“

„Lesen …“ Erst schien Stellan weitersprechen zu wollen, doch dann schwieg er.

„Ja? Lesen und?“ Er blickte ihn ermunternd an.

„Nicht lachen, ja? Ich stricke, wenn ich nicht arbeite oder lese.“ Von einem Moment auf den anderen wurde Stellan knallrot und senkte den Blick.

Das wiederum fand Jonne bezaubernd. „Oh, du strickst? Was denn? Pullover? Darin war ich ja überhaupt nicht begabt.“

„Hmm … oder Sachen wie meinen Umhang oder so. Aber bitte verrat es niemandem. In der anderen Werkstatt wussten es ein paar und sie haben sich lustig gemacht.“ Stellan senkte den Blick und schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich fragte er sich, warum er ihm das überhaupt erzählt hatte. Aber Jonne würde nicht tratschen. Das tat er nie.

„Also ich finde es cool. Du bist offensichtlich handwerklich sehr begabt.“

„Danke.“ Langsam hob er dem Blick wieder. Bevor er fortfahren konnte, kam die Wirtin mit einem gut gefüllten Tablett hinein.

„Tut mir leid, ihr Lieben, die Elfen da draußen sind gerade außer Rand und Band. Man merkt, dass Weihnachten näher rückt.“

„Kein Problem, wir haben Zeit. Brauchst du noch Hilfe? Dann esse ich schnell und helf euch beim Bedienen“, bot sein Begleiter gleich an.

„Blödsinn, Stellan. Willst du deinen Gast hier einfach allein sitzen lassen? Das kommt nicht infrage.“

Sofort zog der Kleinere seinen Kopf etwas ein. „Wenn doch, sag mir einfach Bescheid.“

„Hey, du bist unser Gast. Damit werde ich schon fertig. Und jetzt guten Appetit.“ Die Wirtin verschwand wieder.

„Danke.“ Dann wandte Stellan sich an ihn. „Guten Appetit.“

„Guten Appetit.“ Jonne nahm den ersten Bissen und seufzte wohlig. „Lecker. Genau das Richtige nach so einem Tag.“

„War es sehr stressig bei dir?“ Besorgt sah Stellan ihn an.

„Na ja, nichts, das wir noch nicht erlebt hätten. Ich versuche die ganzen kleineren Probleme von Santa fernzuhalten. Vor Weihnachten kommt das dann meist geballt.“

„Was für Probleme sind das?“

„Zum Beispiel schadhaftes Klebeband bei der Verpackungsmaschine oder Probleme bei der Internetleitung. So was eben. Ich bin nicht handwerklich begabt.“ Jonne lächelte. „Früher hab ich gedacht, dass ich es nie schaffen würde, in den Werkstätten zu arbeiten. Eben weil ich unbegabt darin bin.“

„Aber was du machst, ist doch auch wichtig, irgendjemand muss doch die Übersicht behalten.“

„Ja, natürlich. Mittlerweile bin ich mir darüber klar. Aber das war nicht immer so.“

„Das versteh ich. Aber immerhin hast du ein besonderes Talent. Handwerklich begabt sind ja die meisten Elfen.“

„Deshalb hatte ich es nicht immer einfach.“ Jonne zwinkerte ihm zu. Es war leicht, sich Stellan zu öffnen. Vielleicht zu leicht.

Nachdenklich nickte sein Gegenüber. „Das verstehe ich. Ich glaube, leicht hat es niemand mit einem hohen Ziel.“

„Das stimmt.“

Für eine Weile aßen und tranken sie still weiter. Im Kachelofen knackte das Feuer, von draußen klangen leise die Stimmen. Es war wirklich gemütlich.

Immer wieder sah Stellan ihn kurz an und senkte dann gleich den Blick.

Er hielt es nicht anders. Offenbar war er ins Teenageralter zurückgefallen. Oh Mann … Irgendwie war es aber auch niedlich und so heftig hatte sein Herz schon lange nicht mehr geklopft.

„Das war wirklich lecker. Danke, dass du mich gefragt hast“, sagte er schließlich leise.

„Gern, ich freue mich, dass du mitgekommen bist. Vielleicht wiederholen wir das mal?“

„Sehr gerne.“ Vermutlich war er nun so rot wie die Mütze, die er in der Werkstatt trug.

„Du kannst mir ja Bescheid geben, wenn du Lust und Hunger hast.“ Stellan grinste leicht. „Was machst du heute Abend noch?“

„Vermutlich nicht mehr viel. Ein paar Seiten lesen und dann ins Bett. Und du? Noch ein bisschen stricken?“, neckte Jonne ihn vorsichtig.

Prompt wurde Stellan rot und nickte. „Psst, aber verrat mich nicht, ich arbeite an einer Decke für Linas Baby.“

„Da wird sie sich bestimmt freuen.“

„Ich hoffe es.“

„Sollen wir dann bezahlen? Ich lege das Geld hierher, dann kann Lina sehen, was sie damit macht, oder?“

„Probier es ruhig.“ Stellan grinste und stand auf.

„Das mach ich.“ Jonne legte ein paar Scheine auf den Tisch. „Danke für den netten Abend, Stellan“, sagte er noch, bevor sie in den vollen Gastraum traten.

„Ich habe zu danken. Es war schön.“ Vorsichtig bahnten sie sich den Weg durch das Gedränge.

Draußen hieß es dann Abschied nehmen. Die Aussicht, den restlichen Abend allein zu sein, war nicht sonderlich berauschend.

„Bis morgen dann und danke, Jonne.“ Vorsichtig sah Stellan ihn an und lächelte.

„Nichts zu danken. Bis morgen. Findest du allein zur Verpackungsabteilung?“

„Ich weiß nicht. In der Mittagspause habe ich mich verirrt. Sven hat mich schließlich gefunden und mitgenommen.“

„Okay, dann warte morgen in der Halle auf mich und ich bringe dich hin.“

„Wirklich? Das wäre super. Danke, Jonne.“

„Kein Problem. Komm gut nach Hause und gute Nacht.“ Er lächelte und winkte Stellan zu.

„Gute Nacht und bis Morgen.“ Ein bisschen verlegen winkte Stellan zurück und nach einem weiteren langen Blick drehte er sich um und stapfte durch den Schnee davon.

Mit einem Seufzen blickte Jonne ihm nach. Irgendwie war er wohl schon verloren. Beim Nordstern, das hatte ihm gerade noch gefehlt.

 

 

 

 

„Schluss für heute!“ Entschlossen klappte Niklas den Laptop mit der Wunschzettelauswertung zu. Es war weit nach Feierabend für die Werkstattelfen. Alles war im Dämmerlicht, als er sich auf den Weg zu seiner Hütte machte. Wahrscheinlich hatte Leiv, der Elf, der sich um den Haushalt kümmerte, auch schon Schluss gemacht. Also ein weiterer Tag vor Weihnachten, an dem er kaum mit jemandem gesprochen hatte.

„Guten Abend, Santa“, grüßte ein Elf von der Nachtschicht, als er durch die dunkle Werkstatt ging. „Wir sind gut vorangekommen und voll im Plan.“ Er grinste.

„Guten Abend, Gunnar. Das hört sich ja gut an. Ich mache für heute Schluss. Seid vorsichtig und überarbeitet euch nicht. Es sind noch ein paar Tage Zeit bis Weihnachten.“

„Machen wir immer. Gute Nacht, Santa.“ Der Elf verbeugte sich leicht und ging weiter.

„Gute Nacht“, sagte Niklas, aber Gunnar war schon weg. Er seufzte und machte sich auf den Weg nach Hause.

Tatsächlich war seine Hütte noch hell erleuchtet, es schien, als wäre Leiv doch noch da. Er schloss die Tür auf und es duftete nach Früchtepunsch und Zimt. Niklas lächelte. Ohne seine Elfen wäre er echt aufgeschmissen.

„Hallo, Santa. Du bist spät heute.“ Leiv kam aus der Küche. „Hast du Hunger?“

„Wie ein Bär.“ Niklas grinste. „Du hättest nicht auf mich warten müssen. Auch wenn ich mich darüber freue. Isst du noch mit mir?“

„Ja, gern. Ich wollte etwas mit dir besprechen. Aber setz dich ruhig erst mal. Ich hole das Essen.“

Verwundert blickte er dem Elfen nach. Besprechen? Hoffentlich nichts Ernstes?

Kurze Zeit später trug Leiv eine Schüssel mit Salat und eine Auflaufform mit dampfendem Inhalt zum Tisch. „Setz dich.“

Niklas tat wie ihm geheißen. „Was gibt es, Leiv?“

„Ich habe heute dein Arbeitszimmer geputzt und deine Kristallkugel gereinigt. Was ist das für ein Mann, den du da beobachtest? Er schien sehr traurig und hat geweint.“

„Das ist jetzt peinlich“, murmelte Niklas. „Ich … er hat mir vor Jahren einen Wunschzettel geschrieben und … vor ein paar Monaten wieder.“

„Was wünscht er sich?“

„Er möchte nicht mehr allein sein.“ Er schluckte.

Leiv sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Tatsächlich?“

„Ja. Tatsächlich. Warum fragst du?“

„Nun, es ist selten, dass ein erwachsener Mann dir solche Wünsche schreibt und noch seltener, dass du ihn dann beobachtest. Vor allem, wenn der Brief schon einige Zeit her ist.“

„Nun, ich wollte wissen, was los ist, nachdem ich die letzten Wunschzettel analysiert habe. Es war immer das Gleiche und scheinbar haben meine Geschenke nicht geholfen.“

„Aha …“ Leiv beobachtete ihn genau und Niklas wurde bewusst, wie gut sein Elf ihn kannte.

„Ja. Das kratzt an meiner Ehre.“

„Es liegt nicht zufällig daran, dass dieser Henrik genau dein Typ ist, oder?“

„Woher willst du wissen, wer mein Typ ist? Ich bin seit Jahrzehnten Single.“ Niklas hob eine Augenbraue.

„Elfengeheimnis, Santa. Also, er ist dein Typ, oder?“

Ein bisschen wand er sich noch, dann nickte er. „Ja. Und ich weiß, es ist falsch, ihn zu beobachten.“

„Warum nimmst du dir nicht einen Tag frei und lernst ihn kennen?“

„Es sind noch zwei Monate bis Weihnachten. Und was soll das bringen? Glaubst du, dass ernsthaft jemand freiwillig hierherzieht? Zum Weihnachtsmann?“

„Warum nicht?“ Nachdenklich musterte Leiv ihn. „Und du wünschst dir doch auch schon seit Jahren einen Mann.“

„Das ist doch hoffnungslos.“ Niklas seufzte und nahm einen Bissen. „Henrik braucht etwas anderes als mich.“

„Sicher? Auf mich machte er einen sehr verzweifelten Eindruck.“

„Ich weiß. Aber ich kann doch nicht … Und wie? Ich kann nicht an seiner Tür klopfen und sagen ‚Hi, ich bin Niklas, ich hab dich seit Monaten gestalkt‘?“

„Nein, das vielleicht nicht. Aber ‚Hi, ich bin Niklas, wer bist du?‘ könntest du sagen.“

„Einfach so? Das ist doch Wahnsinn! Wie soll das gehen?“

„Du bist Santa, dir fällt was ein.“

Niklas schnaubte. „Ich glaube, du überschätzt mich ziemlich.“

„Tatsächlich glaube ich, du unterschätzt dich und du igelst dich hier oben zu sehr ein.“

„Ich werde darüber nachdenken. Okay?“

„Okay. Ich werde mich dann jetzt auch zurückziehen. Die Küche räume ich morgen auf.“

„Natürlich. Fang nicht zu früh an, Leiv. Du bist jetzt schon länger geblieben.“ Niklas sah den Elfen an. „Pass gut auf dich auf. Und gute Nacht.“

„Gute Nacht, Santa, und bis morgen.“ Leiv zwinkerte ihm zu und stand auf. „Ich nehm die Teller noch mit in die Küche, und Santa, arbeite auch nicht mehr zu lang.“

„Nein. Heute nicht mehr.“ Er lächelte ebenfalls.

Nachdem der Elf die Hütte verlassen und er abgeschlossen hatte, ging Niklas trotzdem noch in sein Arbeitszimmer. Wenigstens einen kleinen Blick könnte er doch auf Henrik werfen.

Er setzte sich an seinen Schreibtisch und zog die Kugel heran. Noch immer war sie auf Henrik eingestellt, aber was er sah, gefiel ihm nicht. Der Mann sah völlig fertig aus, wie er da durch die dunkle Nacht lief.

Seit dem Brief hatte er sich verändert. Noch an diesem Abend hatte Niklas ihn zum ersten Mal beobachtet. Aber der Mann war nicht mehr der gleiche von damals. Zwar trug er noch immer die gleichen kurzen, braunen Stoppeln, aber das Gesicht wirkte schmal und eingefallen. Die braunen Augen lagen tief in ihren Höhlen, ihr Glanz völlig erloschen.

Ihm war nicht klar, was vorgefallen war, aber das, was er wusste, reichte ihm. Er seufzte leise, als er sah, wie Henrik auf einer Brücke quer über den Fluss stehen blieb.

Nein … Er würde doch nicht etwa … Niklas schluckte heftig und stand auf. Zum Glück hatte er noch Schuhe an und Kälte machte ihm nun wirklich nichts aus.

Er warf einen letzten Blick auf den Mann, der sich an das Absperrgitter lehnte und auf den Fluss hinuntersah. Zumindest für den Moment schien er halbwegs ruhig.

Trotzdem klopfte sein Herz heftig. Wenn Henrik sich etwas antat, würde er sich das niemals verzeihen. Er atmete tief durch und materialisierte sich einige Meter von der Brücke entfernt im Schutz der Dunkelheit.

 

Noch immer hatte der Mann sich nicht bewegt, starrte hinunter in den reißenden Fluss. Sollte er etwas sagen? Wenn ja, was?

Für einen Moment beobachtete er ihn einfach. Aber im Endeffekt wusste er, dass er nicht wegkonnte, ohne mit ihm gesprochen zu haben. Er gab sich einen Ruck und trat langsam näher. Auf keinen Fall wollte er Henrik erschrecken.

„Du hast hoffentlich nicht vor, da reinzuspringen“, sagte er schließlich und versuchte locker zu klingen. „Ist nämlich ziemlich kalt heute.“

„Was? Nein?“ Überrascht fuhr Henrik zu ihm herum. „Wenn dir kalt ist, warum läufst du hier ohne Jacke rum?“

Das war ja gleich ein richtig guter Einstieg. Niklas hätte sich selbst ohrfeigen können. Seine Antwort war nicht besser: „Thermounterwäsche macht’s möglich.“

Aber statt ihn für verrückt zu erklären, fing Henrik an zu lachen und für einen Augenblick funkelten seine Augen fröhlich. „Schlagfertig bist du jedenfalls.“

„Nun ja, ich bemühe mich.“ Niklas lächelte vorsichtig. „Was machst du hier draußen?“

„Ich versuch, den Kopf freizubekommen. Schlafen kann ich ohnehin nicht, und du? Ich bin übrigens Henrik.“

„Ich bin Niklas. Schön, dich kennenzulernen.“ Jetzt lächelte er etwas mehr. Ja, der andere sah wirklich müde aus.

„Also, Niklas, was machst du hier draußen?“

Wieder hatte er keine Antwort parat. Von wegen ‚Du bist Santa, dir fällt was ein‘. Pff. „Ich … äh … ich wollte … ich wollte Vögel beobachten. Eulen.“ Beim Nordstern, was für eine bescheuerte Geschichte. Er wusste noch nicht mal, ob es dort Eulen gab.

„Eulen?“ Henrik sah ihn an, als ob er völlig einen an der Klatsche hätte, was ja in gewisser Weise auch stimmte. „Kannst du auch nicht schlafen?“

„Ja. Deshalb dachte ich, ich sehe mal nach den Eulen“, sagte er. Nichts davon war die Wahrheit. Niklas war hundemüde und Eulen interessierten ihn nicht die Bohne. Aber egal, er sprach mit Henrik und das war wirklich wichtig.

„Kleiner Tipp. Hier in der Stadt gibt es Eulen nur im Zoo und der hat schon längst zu.“ Henrik zwinkerte ihm zu und schien sich etwas zu entspannen.

„Ich … oh … Danke.“ Er wurde vermutlich röter als sein Mantel an Heiligabend.

„Gern. Warst du mal im Zoo?“

„Nein, noch nicht. Ich bin noch nicht lange hier.“ Immerhin nicht gelogen.

„Hmm, wenn du magst, gebe ich dir die Adresse. Es ist wirklich schön da.“

„Ja, das wäre nett. Danke.“ Wieder lächelte Niklas.

„Sehr gern.“ Nun schwieg Henrik und sah zurück aufs Wasser. „Ich sollte langsam nach Hause.“

„Kommst du öfter her?“ Noch so ein eingestaubter Spruch … Niklas war in Sachen Flirten wirklich eingerostet.

„Manchmal. Ich mag den Fluss. Im Endeffekt ist ihm egal, was uns passiert. Er fließt einfach immer weiter.“

„Das stimmt“, antwortete er nachdenklich. „Vielleicht sehen wir uns ja demnächst wieder, wenn ich Eulen beobachte.“ Jetzt lachte er.

„Das wäre schön. Du bist lustig und wie gesagt, geh mal in den Zoo, wenn du wirklich Eulen magst.“

„Werde ich tun, wenn ich mal Zeit hab. Mach’s gut und pass auf dich auf.“

„Danke, du auch.“ Henrik warf ihm noch einen langen Blick zu und ging langsam von der Brücke.

Erst als Henrik außer Sicht war, materialisierte sich Niklas wieder in seiner Hütte.

„Du bist ein Trottel, Santa“, sagte er zu sich.

 

 

 

 

Nachdenklich sah Henrik am Abend wieder auf den Fluss und dachte an das Gespräch mit diesem Niklas gestern. Ihre Unterhaltung war seltsam, aber lustig gewesen und zum ersten Mal in den letzten Wochen hatte er ein paar Stunden am Stück geschlafen. Und ehrlich gelacht hatte er wohl auch schon lange nicht mehr. Wieder sah er auf das Wasser und ließ seine Gedanken gleiten.

In letzter Zeit war sein Leben ganz schön aus den Fugen geraten. Er hatte keine Ahnung, wie er das wieder hinbekommen sollte. Einerseits wusste er, dass er ohne Paul besser dran war, aber anderseits war er seitdem so allein.

Natürlich hatte er gestern nicht wirklich versucht, sich umzubringen. Aber offenbar hatte er verzweifelt genug ausgesehen. Was in Anbetracht der Situation kein Wunder war. Er seufzte leise.

Dieser Niklas war wirklich nett. Er hätte sich gerne noch mal mit ihm unterhalten. Leider war er zu perplex oder überrascht gewesen, ihn nach seiner Nummer zu fragen. Das war ihm erst viel später zu Hause eingefallen. Vielleicht wäre das aber auch etwas zu aufdringlich gewesen.

Jetzt war es ohnehin zu spät und er war gar nicht in der Situation für einen Flirt. Trotzdem war da diese dumme Hoffnung, dass Niklas heute Abend wieder hier vorbeikommen würde. Um Eulen zu beobachten. Er lachte leise.

So einen dämlichen Spruch hatte er noch nie gehört. Aber es war mal was anderes als diese 08/15-Phrasen.

Gut, er wusste natürlich nicht, an welchem Ufer Niklas fischte. Aber es hatte schon was von Flirten gehabt. Letztendlich sollte es ihm egal sein. Die Wahrscheinlichkeit, ihn noch mal wiederzusehen, tendierte gegen null, und das war vermutlich besser so.

„Du magst diese Brücke echt, oder?“

„Niklas?“ Das konnte doch nicht sein. Er hatte ihn nicht kommen hören. Plötzlich klopfte sein Herz aufgeregt, als er den Eulenmann sah. „Wieder auf der Suche nach Eulen?“, fragte er daher grinsend.

„Noch verstecken sie sich, aber irgendwann kommen sie raus.“ Der bärtige Mann zwinkerte ihm zu.

„Vielleicht. Aber sicher nicht hier …“ Er zwinkerte zurück und sah wieder auf den Fluss.

Was sollte er tun, was sollte er sagen? Sein Herz klopfte aufgeregt.

„Gibt es dort unten was Interessantes zu sehen?“ Auf einmal lehnte sich Niklas neben ihn auf das Geländer.

„Ja, Wasser.“ Okay, die Antwort war so dumm wie Niklas’ Antwort mit den Eulen. „Ich mag das Wasser. Stell dir vor, es fließt ununterbrochen. Immer bis zum Meer. Obwohl es aus Millionen kleiner Tropfen besteht, gehören alle fest zusammen und alle haben ein großes Ziel: das Meer …“, erklärte er schließlich. Dass er die Vorstellung mochte, dass keiner dieser Tropfen jemals ganz allein war, verschwieg er jedoch.

„Was ist mit dem Meer?“, fragte der andere Mann leise.

Er blickte auf. Niklas wirkte ernst. „Das Meer ist wunderschön, wild und frei. Niemand kann es einsperren oder kleinreden oder ihm seinen Willen aufzwängen.“

„Das stimmt. Es hört sich aber so an, als hättest du deine Freiheit schon mal aufgegeben?“

Stumm nickte er und sah aufs Wasser. Aber Niklas schien eine längere Antwort zu erwarten, denn er lehnte sich ebenfalls ans Geländer, und obwohl es bis auf die Laterne in der Nähe stockfinster war, spürte er den fragenden Blick mehr, als er ihn sah. „Ich möchte eigentlich nicht darüber reden, aber ja. Mein Ex. Es war nicht schön und ich bin froh, wieder frei zu sein.“ Das stimmte so weit, aber vor allem machte es ihm zu schaffen, dass er offensichtlich verlernt hatte, frei zu sein.

„Das hört sich nicht gut an. Tut mir leid, dass ich gefragt habe.“ Niklas sah ihn von der Seite an.

„Schon okay. Wusstest du ja nicht.“

Henrik drehte sich vorsichtig zu ihm. Heute hatte Niklas immerhin eine Jacke an, wenn auch keinen Schal, trotz des scharfen Windes hier draußen, der an dessen rotbraunen Haaren zerrte. Schon gestern war ihm der schöne Farbton seiner Frisur und des gepflegten Bartes aufgefallen.

Er passte eher in einen Club oder in eines der schicken Restaurants in der Stadt und nicht mitten in der Nacht etwas außerhalb auf eine Brücke. Trotzdem war er schon zum zweiten Mal hier draußen. Nachdenklich sah er ihn an. „Warum bist du wirklich hier?“

„Na ja …“ Die Frage schien ihn in Verlegenheit zu bringen. „Ich … wollte dich wiedersehen.“

„Warum?“ Die Frage war schneller draußen, als er nachdenken konnte. Er hatte mit einer weiteren Ausrede in Richtung der Eulensache von gestern gerechnet oder so, aber nicht damit.

„Ich hatte das Gefühl, du könntest einen Freund brauchen.“ Jetzt blickte Niklas angestrengt in die Ferne.

„Ich … einen Freund? Moment … Paul schickt dich, oder?“ Sofort ging er drei Schritte zurück. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Sein Ex saß hinter Gittern und hatte ein gerichtliches Annäherungsverbot, aber das hieß ja nicht, dass er nicht jemanden schickte. Auch wenn der Eulenmann definitiv nicht aussah wie Pauls typische Freunde.

Niklas blickte ihn überrascht an, wich nun auch ein Stück zurück und hob die Hände, als wollte er ein wildes Tier beruhigen.

„Mich schickt niemand“, sagte er schlicht. „Aber ich gehe, wenn du willst.“

„Was willst du dann hier? Und erzähl mir nichts von Eulen! Ich komme seit Wochen fast jede Nacht her und außer der alten Dame mit dem Pudel begegne ich sonst nur selten jemandem und plötzlich tauchst du schon die zweite Nacht in Folge auf.“ Henrik verstand nicht, woher der Mut, das auszusprechen, kam. Wenn es wirklich einer von Pauls Schlägern war, würde er gleich vermöbelt oder sofort zu Fischfutter. Aber gerade war er zu wütend, um klar zu denken.

Wieder schien der Kerl nach Worten zu suchen. Er hatte offensichtlich etwas zu verbergen. Vielleicht sollte er abhauen, solange er noch die Möglichkeit hatte. Alles in ihm schrie danach, zu rennen.

„Der Weihnachtsmann schickt mich.“

„Der Weihnachtsmann? Ach ja? Die Ausrede ist ja noch bescheuerter als die mit den Eulen.“ Wütend drehte er sich um und stapfte los. Nicht nach Hause, sicher würde er dem Kerl nicht zeigen, wo er wohnte – wenn er das nicht ohnehin schon wusste –, aber immerhin musste er in belebtere Gegenden. Seinen Platz am Fluss konnte er getrost vergessen. Es war zu gefährlich, noch mal herzukommen, auch wenn er sich hier so wohlgefühlt hatte.

Er warf einen Blick über seine Schulter. Niklas stand noch immer da an der Brücke. Das hieß nicht, dass er außer Gefahr war. Er sollte sich beeilen, hier wegzukommen.

Er rannte los. Je schneller er wegkam, desto besser. Gleichzeitig überlegte er panisch, wie man ihn hatte finden können. Er war so vorsichtig gewesen und hatte alle Kontakte abgebrochen. Aber irgendwo gab es doch eine undichte Stelle.

Erst als er im Auto saß und noch eine Stunde durch die Gegend fuhr, ohne dass ihm jemand folgte, machte er sich auf den Weg nach Hause.

Bevor er das sichere Auto verließ, beobachtete er für einige Minuten die Straße. Aber es schien alles ruhig. Irgendwann überwand er sich und ging in das Mehrfamilienhaus.

Auch im Treppenhaus war es leise und niemand zu sehen. Aus der Nachbarwohnung hörte er gedämpft den Fernseher. Schnell schloss er auf und betrat seine Wohnung. Das Herzklopfen war nach wie vor heftig, selbst nachdem er abgeschlossen und die Alarmanlage aktiviert hatte.

Unruhig kontrollierte er die Räume und die Fenster. Auf der Straße war zwar wie meistens niemand zu sehen, aber an Schlaf war in dieser Nacht sicher nicht mehr zu denken.

 

 

Die komplette Geschichte könnt ihr in den nächsten Tagen auf Amazon und Co. finden 

 

FROHE WEIHNACHTEN

Impressum

Texte: Eve Flavian und Neela Faye
Bildmaterialien: siehe Kapitel Impressum
Cover: siehe Kapitel Impressum
Lektorat: Bernd Frielingsdorf
Satz: siehe Kapitel Impressum
Tag der Veröffentlichung: 01.12.2019

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