„Komm schon, Bri! Den Typen schnappen wir uns!“ Jessy Valdez blickte nach vorn zu dem Wagen mit ihrer Zielperson. Hinter ihnen fuhr eine ganze Horde von Polizeiwagen mit Blaulicht und Sirenen. Doch sein Partner Brian Colby und er waren den flüchtigen Bankräubern am nächsten und jagten ihnen durch die belebten Straßen von Monterey hinterher.
„Ich versuche es ja schon. Der fährt verdammt waghalsig und schnell.“ Brian fluchte unterdrückt und lenkte den Wagen um eine scharfe Kurve. Hoffentlich fuhr der Kerl in dem Wagen vor ihnen bald auf den Freeway. Hier konnte er ihn kaum stoppen, dazu war es zu eng und es waren zu viele Unbeteiligte um sie herum.
„Du bist besser als jeder Rennfahrer, du schaffst das!“
Brian seufzte nur und riss den Wagen rum, um nicht mit einem parkenden Auto zu kollidieren. „Wenn ich den in die Finger kriege.“
„Na ja, zwei Millionen … da ist schon klar, warum er fährt wie der Teufel.“
„Würdest du auch, stimmt’s?“ Bri lachte leise.
„Bei unserem Gehalt wäre das schon eine Sünde wert.“ Jessy lachte ebenfalls. Doch dann blickte er wieder aufmerksam nach draußen. Funksprüche wurden durchgegeben. Die großen Kreuzungen in der Stadt wurden gesperrt wegen der flüchtigen Bankräuber. Scheinbar glaubten die Kerle immer noch, dass sie sie in der Stadt abhängen konnten.
„Scheiße!“ Eine flüchtige Bewegung im Seitenfenster ließ Brian das Lenkrad rumreißen und doch erschütterte Sekunden später ein Aufprall den Wagen und es knallte laut. Plötzlich wurde ihm schwarz vor Augen.
Die Airbags reagierten auf den Aufprall und gingen inmitten von Glassplittern und höllischem Lärm auf. Um sie herum sammelten sich die Streifenwagen und aus dem Motorraum rauchte es. Jessy allerdings hörte nichts davon. Er sah nur Brian neben sich, blutüberströmt.
„Seid ihr verletzt?“ Ein uniformierter Kollege kam zum Auto gerannt.
„Brian ist bewusstlos! Holt sofort einen Notarzt!“ Es war, als würde Jessy neben sich stehen. Er war in seinem schlimmsten Albtraum aufgewacht.
„Ist schon unterwegs. Die Kollegen haben ihn schon angefordert.“
Ein anderer Officer rüttelte an der Autotür. „Wir holen dich gleich da raus, Valdez!“
„Ich hab nichts! Holt lieber Brian …“ Zitternd griff Jessy nach der Hand seines Liebhabers und Partners.
„Die Sanitäter sind schon da.“
„Dann beeilt euch verdammt noch mal!“ Er spürte, wie die Tränen liefen. Verzweiflung machte sich in ihm breit. Was, wenn es zu spät war?
„Komm vorsichtig raus, damit wir dich versorgen können und die Helfer Platz haben.“ Er griff nach Jessys Hand, um ihm aus dem Wagen zu helfen.
„Ich bin nicht verletzt!“, fauchte Jessy, stieg aber trotzdem aus.
„Doch, bist du. Du blutest an der Stirn und am Arm.“
„Das ist doch nichts! Brian ist bewusstlos!“
„Jessy, schau mal. Da sind jetzt zwei Sanis, ein Arzt und ein paar von den Jungs. Sie kriegen ihn da schon raus. Aber du kannst da nicht helfen und ich würde gerne die Wunden verbinden, bevor du alles voll blutest.“
„Aber schnell, ja? Ich muss zu ihm …“
Scheiße, da kam sogar die Feuerwehr. Mussten die Brian da rausschneiden? Und vor allem war alles seine Schuld.
„Komm, wir gehen zu dem Krankenwagen da vorne.“ Zielstrebig zog ihn der Kollege mit sich.
Jessy blickte zurück und ließ sich mitziehen. Gerade machten sie sich am Auto zu schaffen, um die Tür zu öffnen.
„Scheiße“, murmelte er.
„Er schafft das schon.“
„Da hilft nur beten …“
„Setz dich. Ich geb dir was für den Kopf.“ Er griff nach einer Tasche und holte ein Päckchen sterile Kompressen raus, öffnete dieses und drückte es vorsichtig auf die Wunde.
Jessy ließ die Behandlung über sich ergehen, doch er bekam nicht viel davon mit. Seine Gedanken waren nur bei Brian.
„Du siehst aus, als ob du gleich aus den Latschen kippst. Setz dich bitte hin.“
„Ich muss doch aber zu ihm“, protestierte Jessy schwach. „Er braucht mich …“ Trotzdem gehorchte sein Körper, bevor ihm die Beine wegknickten, sank er auf die Liege neben ihm.
Mittlerweile war ein zweiter Krankenwagen eingetroffen und zwei Sanitäter traten entschieden auf ihn zu. Einer leuchtete in seine Augen, ein weiterer machte sich an seinem gesunden Arm zu schaffen.
„Bitte, ich muss zu Bri“, sage er kraftlos. Doch sämtliche Energie schien mit einem Mal aus ihm gewichen.
„Wir bringen sie jetzt erst mal ins Krankenhaus.“
„Nein … Nicht ohne ihn …“ Sie werkelten noch immer an dem Auto, als Jessy in den Krankenwagen eingeladen wurde. Seine Augen fielen immer wieder zu.
„Ganz ruhig. Wir geben Ihnen jetzt etwas, damit sie sich ein wenig entspannen können.“
Jessy konnte nicht mehr protestieren, ließ es einfach über sich ergehen. Vielleicht wachte er dann wieder aus diesem Albtraum auf und alles war gut.
Als Jessy aufwachte, befand er sich unstrittig in einem Krankenhaus. Geruch von Desinfektionsmitteln und schlechtem Essen lag in der Luft und Jessy hasste beides. Dann kehrte die Erinnerung zurück und er setzte sich ruckartig auf.
„Was machst du hier? Ich bin noch nicht mal tot?“, rutschte ihm heraus, als er Shane, ihren Gerichtsmediziner, in seinem weißen Kittel dort sitzen sah.
Dieser lachte los. „Nein, bist du nicht. Zum Glück. Und bevor du fragst, Brian geht es den Umständen entsprechend und er hat die OP gut überstanden. Er müsste bald hier aufs Zimmer gebracht werden.“
„Was ist mit dem Unfallfahrer!?“
„Völlig überforderter Fahranfänger. Hat bis auf einen Schock, ein paar Schrammen und eine gebrochene Rippe nichts abbekommen. Die Bankräuber sind auch hinter Schloss und Riegel. Der Fahrer hat sich von Brians Unfall so ablenken lassen, dass er frontal gegen einen anderen Wagen geknallt ist.“
„Na prima. Eine Massenkarambolage in Monterey, das wird Pam sicher freuen.“ Jessy verzog das Gesicht beim Gedanken an ihre Chefin Pamela Parker. Dann ließ sich die Sorge nicht länger zurückhalten. „Was ist mit Brian?“
„Als ich eben meine Kontakte hier angezapft habe, hieß es, dass er einen relativ komplizierten Bruch am linken Arm und eine Wunde am Kopf hat. Die Wunde ist genäht worden und der Bruch wurde im OP versorgt. Die Ärzte sind so weit zufrieden. Er ist in der Ambulanz kurz zu sich gekommen, war da allerdings ein bisschen verwirrt und die Ärzte befürchten eine vorübergehende Amnesie.“
„Shit“, fluchte Jessy und seufzte dann. „Wie lang ist denn vorübergehend?“
„Keine Ahnung. Das muss man sehen. Zumal er auch starke Medikamente gegen die Schmerzen bekommen hatte und der Bruch wichtiger war. Aber sie haben sofort ein MRT geschoben, um schwere Kopfverletzungen auszuschließen. Bei dir übrigens auch. Bei euch beiden ist alles okay. Und du hast auch keine Probleme, dich an irgendetwas zu erinnern, wie es scheint.“ Shane schien beruhigt zu sein.
„Nein. Aber ich war auch nicht bewusstlos. Brian sah schlimm aus … Dieses viele Blut … Man sollte meinen, nach dem Gabelmörder wäre ich so was gewöhnt.“
„Das ist was anderes.“ Shane drückte seine Hand. „Er kommt wieder in Ordnung, aber es kann sein, dass er dich nicht sofort erkennt. Das passiert bei solchen Sachen häufig. Meist gibt es sich in den ersten Tagen.“
Jessy schwieg betroffen. „Aber er wird sich erinnern? Sicher?“
„Vielleicht nicht an den Unfall oder die Verfolgungsjagd – also die Minuten direkt vor dem Unfall –, aber der Rest kommt in den meisten Fällen wieder.“
„In Ordnung. Damit kann ich leben.“
„Gut.“ Shane lächelte zufrieden und drückte seine Hand. Im gleichen Moment ging die Zimmertür auf und zwei Schwestern schoben ein Bett ins Zimmer. Geschäftig machten sie sich daran, Infusionen anzuhängen und Brian an einen Monitor anzuschließen.
„Ist er schon wach?“
„Er war wach, schläft aber immer wieder ein. Sie sind sein Partner, oder? Waren mit in dem Auto?“ Die eine Schwester guckte ihn mitfühlend an. „Ihr Kollege kommt schon wieder in Ordnung. Wenn er wach wird, schellen Sie bitte. Er darf nicht aufstehen.“ Während sie sprach, befestigte sie noch einen Katheterbeutel am Bettrahmen und warf einen kontrollierenden Blick auf die zwei Infusionen, die über Brians Bett baumelten.
„Wenn Sie aufstehen wollen, schellen Sie bitte auch. Alleine sollten Sie nicht aufstehen.“
„Ich möchte bitte neben ihm sitzen. Geht das?“ Bittend sah Jessy die Krankenschwester an.
„Sie sollten liegen bleiben. Ihre Wunde am Kopf musste immerhin genäht werden und Sie haben ja auch einiges an Blut verloren.“
„Aber … er ist nicht nur mein Arbeitskollege. Wir … wir sind ein Paar.“
Sie sah ihn prüfend an. „Es ist nicht gut für Sie. Aber so wie Sie mich gerade ansehen, stehen Sie spätestens auf, sobald ich den Raum verlassen habe, oder?“
„Ich will nur ein wenig seine Hand halten. Das kann doch nicht so schlimm sein? Das würden Sie auch wollen, wenn Ihr Mann da liegen würde, richtig?“
Sie zögerte. „Aber Ihre Verletzung!“
Shane stand nun auf. „Ich regle das schon. Ich bin Arzt und mit beiden befreundet.“ Er nickte ihr freundlich zu. „Gehen Sie einfach zu Ihren anderen Patienten.“ Dankbar nickte sie und verließ zusammen mit der Kollegin den Raum. Kaum war die Tür zu, streckte Shane seine Hand aus. „Dann komm. Hoch mit dir. Aber nicht lange, sonst muss ich dich vom Boden aufkratzen oder du landest doch auf meinem Tisch.“ Bei den letzten Worten zwinkerte er Jessy zu. Ganz so ernst meinte er es dann doch nicht.
„Danke, ich schulde dir was, Shane.“ Jessy richtete sich langsam auf und nahm seine Hand. Nach einiger Zeit hatte er es geschafft und saß neben Brians Bett. Hielt die kalte Hand ganz fest in seiner.
„Ich glaube, er wird wach.“ Shane deutete auf die flackernden Lider.
„Ja! Nur noch ein kleines Stückchen, mein Schatz“, flüsterte Jessy aufgeregt.
„Hmm … Was ist los? Wer sind Sie?“ In Brians Kopf drehte sich alles und irgendjemand hämmerte wie bekloppt auf seinen Schädel ein. Trotzdem öffnete er vorsichtig die Augen.
„Ich bin es, Jessy. Wir hatten einen Autounfall“, sagte er mit belegter Stimme. Offensichtlich hatte Brian kein Glück mit dem Gedächtnis.
„Was? Was für einen Unfall und ich kenne keinen Jessy“, nuschelte Brian. Er sah die beiden Fremden an und verstand gar nichts.
Obwohl Shane ihn vorbereitet hatte, war Jessy geschockt. Er ließ die Hand los und blickte Hilfe suchend zu ihrem Freund. „Und was ist mit Shane? Erinnerst du dich an ihn?“
„Shane wer? Ich kenne niemanden, der so heißt. Was soll das alles?“ Es nervte und verwirrte Brian, aber irgendwie wollte er nur seine Ruhe. „Ich bin müde!“
„Dann schlaf erst mal, Schatz“, murmelte Jessy wie erschlagen und spürte, wie ihm plötzlich schlecht wurde.
„Okay, du gehörst auch ins Bett, aber schnell.“ Shane packte ihn und zog ihn schnell zu seinem Bett. „Hinlegen und tief atmen“, befahl er.
Jessy befolgte Shanes Anweisungen, aber er fühlte sich nicht besser. Angst und Panik krochen in ihm hoch. Vielleicht hatte er Brian für immer verloren. Er hätte heulen können.
„Jessy. Ruhig atmen. Das kann passieren. Er kriegt starke Medikamente gegen die Schmerzen, war fast zwei Stunden in Narkose wegen der OP, dann hat er einiges an Blut verloren und eine starke Gehirnerschütterung. Da kann das Gedächtnis schon mal leiden. Noch ist nichts verloren. Lass ihn schlafen und zu Kräften kommen. Vielleicht ist das Gedächtnis dann morgen schon wieder da.“
„Glaubst du das wirklich oder sagst du das nur, um mich zu beruhigen?“, fragte Jessy erschöpft.
„Das glaube ich wirklich. Aber ich habe auch ein paar Tricks, um ihm zu helfen. Aber das ist zu früh. Allerdings solltest du auch noch ein bisschen schlafen, damit du schnell wieder gesund wirst.“
„Ich werd es versuchen“, versprach Jessy, aber er bezweifelte, dass er wirklich zur Ruhe kommen würde.
„Gut. Ich komme später wieder und Logan schaut gleich sicher auch noch vorbei.“
Brian lag mit geschlossenen Augen im Bett und tat so, als ob er schlafen würde. Das hatte er vorhin schon mal getan, als diese beiden Fremden neben seinem Bett gestanden hatten. So hatte er die restliche Unterhaltung belauschen können, in der es unzweifelhaft um ihn gegangen war. Allerdings hatte alles keinen Sinn ergeben. Genau wie die Unterhaltung jetzt. Alles ergab keinen Sinn. Er kannte seinen Namen, wusste, dass er im Krankenhaus war und er war sich auch bei ein paar anderen Sachen wie seinem Geburtstag und den Namen seiner Eltern ziemlich sicher. Aber darüber hinaus wusste er fast nichts, außer dass sein Kopf und sein Arm schrecklich wehtaten. Mühsam verkniff er sich einen Schmerzenslaut; er wollte diesen Jessy und den Mann, der eben gekommen war, nicht auf sich aufmerksam machen. Vielleicht ergab noch irgendwas von dem, was sie sagten, einen Sinn.
„Ist es normal, dass er so lange schläft?“, fragte dieser Jessy nun und klang besorgt. Aber es änderte nichts daran, dass er ihn noch nie in seinem Leben gesehen hatte.
„Er muss sich erholen. Es könnte eine Nachwirkung der Narkose sein.“
„Wie lange wird es dauern, bis wir wissen, wann das Gedächtnis wiederkommt?“
„Jessy, ich weiß es nicht. Der Arzt weiß es auch nicht. Brian hat es in der Hand.“
„Aber wie? Ich meine, wir wohnen zusammen. Schlafen in einem Bett. Das wird er so nicht mal wollen.“
„Ganz ruhig. Ihr findet eine Lösung. Erst mal bleibt er sowieso ein paar Tage hier und vielleicht sieht die Welt dann schon wieder anders aus.“
„Und was, wenn nicht?“
„Auch dann findet sich eine Lösung. Zur Not zieht einer von euch ins Gästezimmer. Mach dir darüber noch keine Sorgen.“
Brian schluckte. Dieser Jessy klang wirklich besorgt, aber er verstand nicht wirklich, worum es ging. Offensichtlich wohnten sie zusammen, auch wenn er sich partout nicht daran erinnern konnte. Wieso bloß? Er spürte, dass da etwas war, aber er kam nicht daran.
Jessy seufzte und blickte zu seinem noch immer schlafenden Freund. Er gab sich die Schuld daran, schließlich hatte er Brian in der Verfolgungsjagd noch angetrieben. Doch das Schlimmste war Brians verwirrter Blick gewesen.
Es kam Brian vor, als ob er angestarrt würde. Plötzlich waren die Männer so still. Vorsichtig öffnete er ein Auge.
„Guten Morgen, Bri“, murmelte Jessy leise und sah ihn unsicher an.
„Hallo“, murmelte dieser. „Ist schon Morgen?“
„Ja, glaub schon.“
„Wie heißt du?“, fragte Brian sich, bevor er sich an das zuvor gehörte Gespräch erinnerte. „Jessy? Sind wir wirklich zusammen?“
„Ja“, antwortete er mit belegter Stimme. „Seit fast drei Jahren.“
„Oh!“ Brian schloss die Augen. „Warum kann ich mich an nichts erinnern?“
„Wir hatten einen Autounfall bei der Arbeit.“ Vorsichtig setzte Jessy sich auf, um Brian besser zu sehen.
„Wir arbeiten zusammen? Bist du auch bei der Polizei?“ Brian sah zu ihm rüber.
„Ja, wir sind Partner. Letztes Jahr haben wir einen unserer größten Fälle gelöst“, erzählte Jessy und lächelte leicht. Seitdem waren sie beide fast kleine Berühmtheiten innerhalb der Truppe.
„Hmm … Ich kann mich nicht erinnern. Es ist alles irgendwie im Dunkeln. Und je mehr ich versuche mich zu erinnern, desto schlimmer werden diese verdammten Kopfschmerzen.“
„Was ist das Letzte, an das du dich erinnerst, Brian?“, schaltete sich nun Shane in die Unterhaltung ein.
„Keine Ahnung, ich weiß es nicht. Ich weiß meinen Namen und ich glaube, auch mein Geburtsdatum. Außerdem kenne ich meine Adresse. Abraham Lincoln Street Nr. 128. Richtig?“
„Als du und Jessy zusammengezogen seid, hast du die Wohnung aufgegeben.“ Shane strich eine seiner langen blonden Strähnen nachdenklich hinters Ohr.
„Was? Wann?“ Brian versuchte sich zu setzen, sank dann jedoch schwindelig zurück in die Kissen.
„Das wird jetzt an die zweieinhalb Jahre her sein, würde ich sagen.“
„Verdammt. Das kann nicht sein. Wieso weiß ich davon nichts?“ Verzweiflung machte sich in ihm breit. „Habt ihr Beweise für das Ganze?“
„Gib ihm mein Handy, Shane. Die Fotos, ja?“ Jessy fühlte sich schwach und sehr niedergeschlagen. Er hätte ihm seine Liebe gerne anders bewiesen.
„Mach ich.“ Shane stand auf und nahm das Gerät vom Nachttisch. Er schaltete es ein und reichte es Brian. Dieser fingerte mit einer Hand daran herum und kam schließlich zur Fotogalerie. Als er das erste Bild, ein Selfie von Jessy und sich selbst, sah, atmete er zischend ein. Sie küssten sich auf dem Foto, waren aber beide gut zu erkennen. Er sah verdammt alt aus auf dem Bild, stellte er fest. „Warum kann ich mich nicht daran erinnern?“ Ohne weiter zu gucken, gab er das Handy zurück.
„Das kommt von dem Unfall, Brian. Du hast einiges abbekommen, vor allem dein Kopf. Aber du wirst dich schon noch erinnern.“ Shane lächelte aufmunternd. „Und ansonsten helfen wir dir ein bisschen auf die Sprünge, okay?“
„Wie soll das gehen? Ich kann doch nicht mein halbes Leben einfach so vergessen!“ Wieder versuchte er sich aufzurichten und sank schwindelig in die Kissen zurück.
„Wir erzählen dir von unseren Erinnerungen und mit ein bisschen Glück wecken wir etwas in dir.“
Brian seufzte nur und schloss die Augen. „Und wenn das nicht hilft?“
„Ich denke, wir versuchen es jetzt erst einmal, bevor wir den Mut verlieren“, meinte Shane freundlich. „Ich bin übrigens Shane. Gerichtsmediziner und einer eurer besten Freunde.“
„Okay. Hi Shane. Tut mir leid, aber an dich erinnere ich mich auch nicht.“ Er seufzte wieder leise. „Bevor ihr anfängt zu erzählen. Wieso ist mein Arm in Gips und darf ich was trinken?“ Er versuchte ein schiefes Grinsen.
„Wir haben einen oder mehrere Bankräuber verfolgt und dann hat uns ein Auto an der Seite erwischt“, erklärte Jessy kurz. „Hast du Durst? Ich kann dir helfen.“
„Das hab ich verstanden. Ist der Arm jetzt gebrochen oder warum haben die mir dieses Teil dran gemacht?“
„Ja, der Bruch war kompliziert und musste sogar operiert werden. Der Arzt wird es dir später sicher noch genauer erklären, wenn du möchtest.“
„Hmm … Und nun? Meinst du, es gibt hier irgendwo Kaffee?“
„Du und deine Kaffeesucht“, lachte Jessy nachsichtig. „Aber mit deinem Kopf wird das der Onkel Doc nicht erlauben, fürchte ich.“
„Warum nicht? Vielleicht hilft mir das ja beim Denken“, brummte Brian.
„Unwahrscheinlich, Schatz“, erwiderte Jessy trocken und stockte. Wahrscheinlich sollte er sich die Kosenamen in der nächsten Zeit abgewöhnen.
„Wirklich? Langsam kotzt mich das hier richtig an. Verdammt noch mal.“ Wütend knallte Brian die gesunde Hand auf die Decke. „Der Arm tut weh, der Kopf ist kaputt und jetzt krieg ich noch nicht mal was Vernünftiges zu trinken. Ich geh nach Hause!“
„Ich rufe mal die Schwester, vielleicht kann sie dir was besorgen.“ Shane stand auf und verließ das Zimmer. „Zumindest sollte sie wissen, dass du wach bist …“
„Es tut mir leid“, murmelte Brian nach ein paar Sekunden. „Dass ich dich vergessen habe und gerade angemotzt habe.“
„Dir muss nichts leidtun. Wirklich nicht.“ Jessy sah ihn lächelnd an. „Ich bin froh, dass du lebst. Du warst voller Blut …“
„Hmmm, muss ein schlimmer Unfall gewesen sein.“ Brian erwiderte das Lächeln vorsichtig.
„Ja, das war es. Und ich konnte dir nicht helfen.“ Jessy sah unglücklich aus.
„Du bist aber doch auch verletzt?“
„Aber nicht so schlimm. Der kleine Kratzer …“
„Verletzt ist verletzt!“ Brian sah hoch, als Shane gefolgt von einer Schwester das Zimmer betrat.
„Sie beide sind ja schon wieder richtig munter“, meinte sie und wirkte zufrieden mit seinem Zustand. „Wie fühlen Sie sich, Mr. Colby?“
„Verwirrt, kaffeedurstig und der blöde Arm tut weh.“
„Okay. Ich bringe Ihnen jetzt erst einmal etwas gegen die Schmerzen. Dann werden wir sehen, ob Sie Wasser bei sich behalten können und danach können wir uns über Kaffee unterhalten. In Ordnung?“
„Wasser? Ernsthaft? Also ich hab Kaffee noch immer vertragen.“ Brian schmunzelte. „Vielleicht funktioniert mein Kopf dann auch wieder.“
„Wenn Sie sich übergeben müssen, dann lieber erst mit Wasser“, meinte die Schwester trocken.
Brian seufzte nur und lehnte sich an die Kissen, als die Schwester sich Jessy zuwandte. „Und? Wie geht es Ihnen?“
„Schon in Ordnung. Muss ich noch lange liegen bleiben? Und ich möchte gerne einen Schokoriegel.“
„Ich messe gleich bei Ihnen beiden noch Blutdruck und dann können Sie zumindest aufstehen. Schokoriegel habe ich nicht. Aber ihr Besuch kann vielleicht welche besorgen.“
„Das wäre fabelhaft“, meinte Jessy mit einem bittenden Blick zu Shane.
„Ich muss jetzt sowieso langsam zur Arbeit. Aber Logan kommt bestimmt gleich noch bei euch vorbei. Ich schreibe ihm, dass er dir welche mitbringen soll.“
„Danke, Shane. Bis bald.“
Die letzten drei Stunden waren irgendwie stressig gewesen. Zuerst hatte sich die Schwester um sie gekümmert, dann war der Arzt gekommen – Brians Kopf drehte sich noch immer bei den ganzen Fachbegriffen – und dann wieder die Schwester. Mittlerweile war er zumindest Katheter und Infusionen los und einmal kurz aufgestanden. Heute sollte er noch den Großteil des Tages liegen bleiben, aber wenn es ihm morgen noch ein bisschen besser ging, dürfte er nach Hause. Aber jetzt freute er sich auf ein bisschen Ruhe und eine Unterhaltung mit Jessy.
„Jessy, magst du mir was erzählen? Vielleicht, wie wir uns kennengelernt haben?“
Jessy drehte sich zu ihm und sein Blick wurde sanft. „Ja gerne, wenn du wach genug dafür bist.“
„Bin ich. Mein Kopf schwirrt zwar, aber das wird wohl nicht so schnell besser. Aber immerhin habe ich jetzt endlich einen Kaffee.“ Er griff nach der Tasse, die die Schwester eben gebracht hatte.
Mit leisem Lachen betrachtete Jessy ihn. „Das ist gut. Mir fehlt leider noch mein Schokoriegel. Mal sehen, ob ich da heute noch zu komme.“ Er zwinkerte ihm vorsichtig zu.
„Vielleicht bringt dieser Shane dir noch welche. Außerdem hast du den Arzt doch gehört, wenn du willst, kannst du schon nach Hause.“ Brian lächelte vorsichtig. Zu Hause! Wie er und Jessy wohl wohnten? Gleichzeitig war er gerührt, dass Jessy noch bis morgen bei ihm im Krankenhaus bleiben wollte.
„Ich lass dich doch hier nicht allein.“ Jessy warf ihm einen zärtlichen Blick zu.
„Danke. Auch wenn ich mich gerade nicht erinnere, es ist schön, dass du hier bist.“ Und es stimmte, auch wenn die Erinnerungen weg waren, zwischen Jessy und ihm gab es eine Art merkwürdige Vertrautheit. Ein Gefühl, das ihm gefiel.
„Was möchtest du denn nun genau wissen?“
„Wie haben wir uns kennengelernt und seit wann sind wir zusammen?“
„Das wird aber eine etwas längere Geschichte.“ Jessy grinste. „Bereit?“
„Ja, gerne. Fang an. Ich bin ganz Ohr.“
„Okay, mal überlegen, wo ich anfange …“
Jessy
Es war mein erster Tag im Polizeirevier von Monterey. Alle waren schon am Tatort und ich wurde von unserer Chefin Pamela Parker dann auch gleich nach einer kurzen Vorstellung zum Golfclub geschickt. Ich fand diesen Reichensport ja schon immer etwas bescheuert, aber einen Mord hatte ich dort noch nicht erlebt. Aber eigentlich war ich nicht so sehr an der Leiche interessiert, mehr an meinen zukünftigen Partner.
„Guten Morgen, ich suche einen gewissen Detective Colby“, fragte ich den ersten Officer, der mir begegnete.
„Der Große da hinten, mit den dunklen Haaren“, beschrieb er den Mann, nachdem er meinen Ausweis kontrolliert hatte. Ich war ganz schön aufgeregt, als ich auf ihn zuging. Mein erster Fall am neuen Arbeitsplatz und mit neuem Partner. Ziemlich viel auf einmal.
„Detective Colby? Ich bin Jessy Valdez. Mrs. Parker hat Ihnen sicher gesagt, dass ich heute komme?“ Ich versuchte mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen.
„Hmm? Sind Sie der Neue?“ Colby warf mir einen knappen Blick zu, brummelte etwas, das entfernt eine Begrüßung hätte sein können, in den nicht vorhandenen Bart und wandte sich dann wieder der Leiche zu.
„Ja … ich … ich bin der Neue“, meinte ich, aber das interessierte meinen neuen Partner schon nicht mehr.
Ich stellte mich hinter Colby, um auch einen Blick auf unsere Kundschaft zu werfen. Leider war Brian ein ganzes Stück größer als ich und deshalb stellte ich mich auf Zehenspitzen, um etwas zu sehen. Dabei stieß ich wohl versehentlich gegen ihn, denn er ging plötzlich einen Schritt zur Seite, motzte mich an und ich wäre beinahe auf die Leiche gefallen.
„Tut mir leid“, murmelte ich. „Ich konnte nichts sehen.“ Ich hörte, wie alle um mich herum kicherten, und presste die Lippen aufeinander. Nicht gerade der beste Start in meinen ersten Tag.
„Mich bitten zur Seite zu treten, konntest du nicht?“
„Ich wollte niemanden stören.“ Mein neuer Partner war also ein reichlich grummeliger Zeitgenosse. Wunderbar! „Tut mir leid.“
„Schon okay. Was sagst du zu ihm?“ Er deutete auf die Leiche und sah mich prüfend an.
Okay, jetzt hieß es, sich zu beweisen. Ich betrachtete unser Opfer und atmete tief durch.
„Gut, ich würde sagen, es ist offensichtlich, dass er erschlagen wurde. Von hinten.“
„Was sonst noch?“ Mein neuer Partner ging in die Hocke und starrte die Leiche an.
„Er scheint hier schon eine Weile zu liegen, seine Kleidung ist nass vom Tau.“ Auch ich kam näher. „Wenn ich mir den zertrümmerten Schädel so ansehe, dann hat irgendjemand sehr viel Wut auf unser Opfer gehabt.“
„Sehe ich auch so. Der Gerichtsmediziner ist schon auf dem Weg. Was fällt dir sonst noch auf?“
Ich sah mich etwas genauer um. Der Tote lag auf dem gepflegten Rasen des Golfplatzes. Eine rote Basecap mit Werbeaufdruck lag ein Stück vor ihm. Und ein einzelner Golfball.
„Scheinbar hat er hier gespielt … aber wo ist seine Ausrüstung? Gibt es Spuren von einem Caddy?“
„Die Tasche mit den Golfschlägern wurde bereits gesichert. Laut dem Trikot und der Ausrüstung ist er einer der Stars des kommenden Turniers. Allerdings fehlt die obligatorische Clubkarte.“ Er sah mich prüfend an.
„Das Jubiläumsturnier? Ich habe davon gelesen, als ich auf das Gelände gefahren bin.“ Meine Hand tastete in meine Tasche und glücklicherweise fand ich einen Schokoriegel. Ich war nicht zu aufgeregt gewesen, um das zu vergessen. Das würde meine Nerven ein wenig beruhigen, außerdem lag der Geruch von Blut in der Luft und das regte seltsamerweise immer meinen Appetit an.
„Es beginnt in ein paar Tagen. Die meisten Spieler sind schon da, um sich vorzubereiten. Sie alle sind hier auf dem Gelände im Clubhotel untergebracht, genau wie unser Opfer.“ Zum ersten Mal sah Brian mich an. „Isst du jetzt ernsthaft hier am Tatort einen Schokoriegel?“
„Was? Ich bekomme eben Hunger bei so viel Blut …“
„Das ist ein Tatort. Der Mann ist tot …“
„Dann stört es ihn doch erst recht nicht.“
„Er würde sicher wollen, dass wir den Mord an ihm ernst nehmen.“
„Das tue ich!“ Empört blitzte ich ihn an.
„Sicher? Schokoriegel am Tatort machen nicht wirklich den Eindruck von ernsthafter Polizeiarbeit.“ Er sah mich noch immer böse an.
„Ich finde nicht, dass das etwas damit zu tun hat!“
„Aber ich, und ich erwarte Professionalität.“
Bevor wir allerdings richtig anfangen konnten zu streiten, traf der Gerichtsmediziner ein.
„Was haben wir denn da?“, fragte ein großer Mann mit blonden Haaren, die er im Nacken zusammengebunden hatte.
„Golfer. Vermutlich erschlagen. Und ein neuer Kollege, der offensichtlich vor dem Dienst keine Zeit mehr zum Essen hatte.“ Brians Stimme triefte vor Sarkasmus.
„Jessy Valdez“, stellte ich mich vor und hielt ihm lächelnd die Hand hin.
„Shane McMillan, der Pathologe“, stelle er sich mir vor und ergriff meine Hand, während Brian nur schnaubte.
„Freut mich.“ Dieser Pathologe war wirklich ein Sahneschnittchen.
„Mich auch. Lass dich von dem Griesgram nicht ärgern. Wenn es ganz schlimm wird, bring ihm Kaffee.“ Shane zwinkerte mir zu und wandte sich der Leiche zu.
„Danke für den Tipp.“ Ich grinste. „Mit Milch und Zucker oder schwarz?“
„Ein ganz klein bisschen Milch, ansonsten schwarz. Keinen Zucker.“
Shane hob den Kopf und sah mich noch mal grinsend an. „Du denkst mit. Gefällt mir.“
„Sag mal, habt ihr es bald?“, fuhr mein neuer Kollege dazwischen und sah uns abwechselnd böse an. Kurzerhand beschloss ich das Thema zu wechseln.
„Wie hieß der Tote? Weißt du das schon?“
„Jason Dougal, wie gesagt einer der Profis. Wir sollten als Erstes mit dem Manager des Clubs sprechen und uns dann sein Hotelzimmer ansehen.“
Ich schloss kurz die Augen. Heute war wirklich nicht mein Tag.
„In Ordnung“, sagte ich ergeben. „Gibt es für uns nicht vielleicht so ein Golfcart? Das Gelände ist ja doch recht weitläufig.“ Außerdem, so doof ich den Sport auch fand, damit zu fahren wäre bestimmt lustig.
„Nein, gibt es nicht. Wir sollten nicht unnötig Spuren verwischen. Die Jungs von der Spurensicherung müssen sich alles noch ansehen.“ Kurz grinste Brian und sah mich an.
„Schade“, murmelte ich und lächelte vorsichtig zurück. Vielleicht hatte mein Partner auch einfach schlecht geschlafen? „Hätte bestimmt Spaß gemacht.“
Darauf reagierte er allerdings nicht, sondern stapfte einfach los.
Also der süße Pathologe war ihm da doch um einiges lieber. Ich seufzte leise und unterdrückte das dringende Bedürfnis nach einem weiteren Schokoriegel, um meinen Partner nicht noch mehr zu reizen. Was bitte hatte ich Brian denn getan? Okay, ich war „der Neue“, aber das war doch wirklich nicht nötig.
Währenddessen kam das Golfhotel in Sicht. Ein typischer Reichenbau, schon von außen so protzig, dass ich nie auf die Idee gekommen wäre, dort ein Zimmer zu mieten.
Brian sah ihn nachdenklich an und räusperte sich. „Das lief ja nicht so toll. Weißt du, warum ich so unfreundlich war?“
„Ehrlich gesagt hab ich keine Ahnung.“ Jessy lachte. „Du hast mir nicht viel von deinem ,Vorleben‘ erzählt.“
„Oh. Aber dann wurde es besser? Oder hab ich weiter rumgemuffelt?“ Brian nahm einen letzten Schluck Kaffee.
„Na ja … wenn es dabei geblieben wäre … aber das kommt dann später. Also wenn du möchtest. Du bist übrigens auch heute immer mal wieder seeehr grummelig, vor allem wenn du eifersüchtig bist.“ Mit einem Zwinkern blickte Jessy zu ihm.
Brian spürte, wie er rot wurde und grinste leicht. „Hmm … was soll ich dazu sagen?“ Er sah Jessy direkt an. „Bin ich oft eifersüchtig?“
„Kommt ganz drauf an …“
„Worauf?“
„Wie viel ich flirte …“ Jessy lachte leise. „Aber du weißt, dass es nie etwas Ernstes ist, nur Spaß.“
„Und trotzdem bin ich eifersüchtig?“ Brian suchte seinen Blick. Er sehnte sich nach ein bisschen Nähe, aber das konnte er wohl nicht verlangen, nachdem er Jessy einfach vergessen hatte, und eigentlich war es ja auch vollkommen verrückt. Die Hand von jemandem halten zu wollen, den man quasi nicht kannte. Nur aus einem Gefühl heraus.
„Ja, funktioniert jedes Mal. Aber dafür verwöhne ich dich danach immer ganz besonders …“ Jetzt wurde Jessy ein wenig rot. Würde es überhaupt je wieder dazu kommen?
„Ah … Jetzt versteh ich das.“ Wie es wohl war, mit Jessy im Bett? Aber einfach fragen würde er ihn wohl kaum können, oder?
„Na ja, wir spielen eben so unsere Spielchen. Aber am Ende des Tages sind es wir beide, die gemeinsam einschlafen.“ Jessy seufzte. „Auch wenn das nicht immer klar war. Denn ich gebe zu, anfangs fanden wir uns ziemlich ätzend.“
„So schlimm?“ Brian zögerte. „Jessy, bevor du weiterredest, kannst du dich zu mir setzen? Ich weiß, es ist verrückt, aber ich würde gerne deine Hand halten.“
Überrascht blickte Jessy ihn an und ihm wurde ein bisschen wärmer. Das war doch ein Anfang. „Du bleibst liegen, ich komme zu dir.“
„Nur, wenn es für dich in Ordnung ist …“ Ein bisschen schüchtern sah Brian ihn an.
„Natürlich ist es das“, murmelte Jessy mit einem Lächeln. Zumindest machte es ihm Hoffnung, dass sie trotz der Amnesie zueinanderfinden konnten. Vorsichtig rappelte er sich auf und setzte sich auf die Kante von Brians Bett. „So in Ordnung?“
„Wenn es für dich so bequem ist? Ansonsten rücke ich noch ein Stück.“
„So ist es perfekt.“
„Gut. Magst du noch ein bisschen erzählen? Was passierte in diesem Clubhotel?“
Jessy
Der Hotelmanager stand inmitten einer Traube aus aufgeregten Gästen. Natürlich hatte die Polizei alle aufgeschreckt, was mich dazu führte, dass ich eine entscheidende Frage noch gar nicht gestellt hatte.
„Wer hat eigentlich die Leiche gefunden?“, wagte ich sie zu stellen.
„Fällt dir ja früh ein, danach zu fragen“, antwortete Brian kalt, bevor er seufzte. „Hast du überhaupt schon mal bei einem Mord ermittelt?“
„Natürlich hab ich das … Es ist zufällig mein erster Tag hier und ich bin es eigentlich gewöhnt, dass mein Partner mich anständig informiert“, knallte ich Brian vor den Latz. Wenn er glaubte, dass er mich wie einen Polizeischüler behandeln konnte, würde ich ihm schon zeigen, was er davon hatte.
„Aha!“ Mehr sagte er nicht, sondern wandte sich an den Hotelmanager, der uns mittlerweile entdeckt hatte und wie ein aufgescheuchtes Huhn auf uns zukam. „Wir sprechen später“, zischte Brian mir noch ins Ohr, bevor er uns erreichte.
„Sind Sie die ermittelnden Detectives?“, fragte der kleine Mann im Anzug und wandte sich an Brian. „Ist das mit Jason wirklich wahr?“ Er hielt ein großes Stofftaschentuch in der Hand und schien beinahe in Tränen auszubrechen.
„Mr. Spelling? Können wir bitte in Ihr Büro gehen?“
„Bitte, die Herren, folgen Sie mir.“ Der kleine Mann ging voraus und ich folgte ihm und Colby. Lust hatte ich jetzt schon nicht mehr, denn es war klar, dass Colby mich nicht ernst nahm. Wie sollten wir denn da bitte zusammenarbeiten?
Ich blickte mich in dem Büro um, entdeckte aber nichts Interessantes außer einem Set Golfschläger in der Ecke. Scheinbar spielte hier selbst der Manager Golf.
„Mr. Spelling, darf ich uns zuerst vorstellen? Das ist Detective Valdez und ich bin Detective Colby. Können Sie uns etwas über das Opfer erzählen und dann müssten wir sein Zimmer sehen.“
„Jason ist einer der berühmtesten Söhne unseres Clubs. Er ist schon als Jugendlicher unglaublich begabt gewesen und hat alles abgeräumt. Dass er für unser Jubiläumsturnier angereist ist, war für ihn Ehrensache. Ich … ich wüsste gar nicht, wer ihm so etwas antun könnte …“ Spellings Redeschwall versiegte für einen Moment lang, dann blickte er Colby an. „Wann können die anderen Teilnehmer wieder auf den Platz? Wenn dieses Turnier nicht stattfindet, wird es dem Club schaden. Ich bitte Sie also, mit der nötigen Diskretion vorzugehen.“
„Also ist Ihnen die Reputation des Clubs wichtiger, als den Mörder zu finden?“ Brian musterte den Besitzer scharf.
„Es geht schließlich auch um meine Zukunft!“
„Trotzdem haben unsere Ermittlungen Vorrang. Die Spurensicherung untersucht den Platz und das Hotelzimmer. Je nachdem, was bei den Untersuchungen rauskommt, werden wir entscheiden, wann wir den Platz freigeben.“
„Wenn Sie zumindest einen Teil freigeben könnten, wäre ich Ihnen sehr verbunden. Die meisten Teilnehmer sind extra früh angereist und haben schließlich auch dafür bezahlt.“
„Wir werden sehen. Wann haben Sie das Opfer zuletzt gesehen?“
„Ich glaube, das war gestern Abend an der Bar. Er hat noch mit zwei anderen Profis diskutiert.“
„Mit wem? Haben Sie mitbekommen, worum es ging?“ Brian musterte den Mann kühl.
Ich hielt mich zurück in der Befragung. Beobachtete den Manager genau, der nun leicht nervös wirkte.
„Das waren Harald Teymer und Karl Miller.“ Er wand sich ein wenig. „Sie warfen Jason vor, dass er ihre Eisen präpariert hätte, um das letzte Turnier zu gewinnen. Aber das ist unmöglich!“
„Wieso ist es unmöglich?“ Brian bemerkte ebenfalls, dass der Manager nervös wurde und lehnte sich etwas vor, um ihn in die Enge zu treiben.
„Weil ein Mitglied unseres Clubs niemals so etwas tun würde. Außerdem hatte Jason so was nicht nötig.“
„Sie bürgen einfach so für alle Clubmitglieder?“ Brian lachte sarkastisch. „Falls Sie es noch nicht verstanden haben, vermutlich hat eines Ihrer Clubmitglieder Mr. Dougal umgebracht. Zumindest ist es anhand der Zäune und des Sicherheitsdiensts eher unwahrscheinlich, dass jemand Fremdes hier eingebrochen ist.“
„Hören Sie mal zu, Detective“, fuhr Spelling Brian an und irgendwie verschaffte mir das Genugtuung und ich verkniff mir ein Grinsen. „Ich kenne Jason schon zwanzig Jahre und Sie haben nicht das Recht, sein Andenken zu beschmutzen!“
„Das habe ich auch nicht vor, aber wie mir scheint, sind Sie sich des Ernstes der Lage nicht bewusst.“ Je mehr sich Spelling aufregte, desto ruhiger schien Brian zu werden.
„Und was gedenken Sie jetzt zu tun?“
„Sie könnten uns noch ein paar Fragen beantworten und dann müssen wir uns das Zimmer des Opfers ansehen.“
„Dann fragen Sie, einer unserer Portiers wird Sie dann zu Jasons Zimmer bringen.“ Spelling resignierte. Vielleicht war er ja wirklich ernsthaft betroffen vom Tod des Opfers und daher kam seine Aufregung.
„Kennen Sie jemandem, der Mr. Dougal ernsthaft schaden wollte?“
„Nun ja, Gilbert und Adams waren schon sehr aufgebracht. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass einer von ihnen so brutal vorgehen würde.“
„Sonst noch jemand? Wie gut kennen Sie Mr. Dougals Privatleben? Nachdem er allein hier angereist ist, gibt es zu Hause jemand, der auf ihn wartet?“
„Seine Frau reist erst zum Turnier an. Jason wollte sich vorher immer in Ruhe mit seinem Caddy Marc vorbereiten. Ihn habe ich noch gar nicht gesehen heute. Wahrscheinlich weiß er noch gar nicht Bescheid …“, sagte Spelling betroffen.
„Können Sie ihn für uns suchen? Wir müssen mit ihm reden.“ Brian stand auf. „Er soll an der Rezeption auf uns warten.“
„Selbstverständlich. Ich rufe Ihnen jemand, der Sie zu Jasons Zimmer bringen wird.“
„Danke. Sie halten sich bitte zu unsere Verfügung, falls wir weitere Fragen haben.“
„In Ordnung.“ Geschäftig ging Spelling aus dem Büro.
Ich wanderte hinter Brian und dem Portier hinterher und nutzte die Gelegenheit, um mich umzusehen. Meine Schritte wurden von einem dicken Teppich gedämpft, hässliche Ölschinken in goldenen Protzrahmen hingen an den Wänden. Das Hotel war eindeutig genauso spießig, wie ich mir Golf vorstellte.
„So, da wären wir. Bitte sehr.“ Der Portier blieb vor einer Tür stehen und reichte Brian eine Schlüsselkarte. „Brauchen Sie noch etwas?“ Als Brian den Kopf schüttelte, verabschiedete der Portier sich und Brian öffnete die Tür. Kaum hatten wir den Raum betreten, hörten wir merkwürdige Geräusche und zogen die Waffen, bevor wir in das Zimmer gingen.
Ich gab meinem Partner ein Zeichen und ging voran. Wer auch immer hier drin war, gehörte hier nicht rein.
Mit dem, was wir sahen, als wir weiter in den Raum gingen, hatte ich allerdings nicht gerechnet. Auf dem Bett kniete eine Frau und ließ es sich von dem Mann hinter ihr richtig besorgen. Beide schrien auf und fuhren auseinander, als sie uns entdeckten.
„Polizei Monterey, was haben Sie hier zu suchen?“
Ich ließ die Knarre sinken.
„Die Frage ist eher, was suchen Sie in meinem Zimmer?“ Der Mann schlang sich eine Decke um die Hüfte und starrte uns an.
„Der Bewohner dieses Zimmers, Jason Dougal, wurde heute tot aufgefunden“, sagte ich, weil Brian sich offensichtlich noch vom Schock des Anblicks von nackten Brüsten erholen musste.
„Das ist nicht möglich. Ich bin Jason Dougal.“ Der Mann schien ehrlich überrascht.
„Können Sie sich ausweisen?“, fragte Brian.
„Natürlich, in meiner Geldbörse. Einen Moment.“ Er stand auf und ging zum Schreibtisch. Schließlich hielt er Brian den Ausweis unter die Nase.
Die Frage war jetzt nur, wer war unser Toter?
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© 2019 Neela Faye & Eve Flavian
1. Auflage
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Texte: Neela Faye & Eve Flavian
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Cover: siehe Impressumskapitel
Lektorat: siehe Impressumskapitel
Übersetzung: -
Satz: -
Tag der Veröffentlichung: 31.12.2018
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