Da erfasste es ihn wie eine Woge, die ihn nach oben warf und plötzlich gingen ihm die Augen auf; es war als würde zum ersten Mal nach jahrelanger Gefangenschaft Licht ins modrig-feuchte, stickige Dunkel seines Kerkers dringen. Auch wenn er geblendet war von der Pracht die er erblickte, riss er die Lieder weit nach oben um gierig all die Farben und wunderbaren Kleinigkeiten in sich aufzusaugen.
Er holte tief Luft, als er bemerkte, dass das Bild verschwamm und seine Augen feucht wurden. Nicht nur aufgrund der überwältigenden Schönheit, die ihm entgegenschlug, sondern aufgrund des Gedankens, wie unfassbar viel er verpasst hatte die ganzen Jahre über, wie unzählig viele Stunden der Betäubung, der stumpfsinnigen Ohnmacht er ohne aufzuwachen, ja ohne es überhaupt zu bemerken achtlos weggeworfen hatte.
Nur die Freude über die prächtige Vielfalt, die er entdeckt hatte, konnte verhindern, dass er laut losschluchtzte und dem Strom von Tränen, der sich seinen Weg ans Tageslicht bahnen wollte, freien Lauf ließ.
Doch endlich war er frei, frei wie ein frischer Lufthauch, der darauf wartete vom Wind in das nächste Tal getragen zu werden, um all die Wunder dieser Erde zu entdecken.
Aber nein, nie wieder würde er sich den schillernden Verlockungen der Gedankenlosigkeit hingeben, nie wieder in diese dunklen Grüfte des Vergessens, der zeitlosen Genusssucht, die so warme, dumpfe Geborgenheit vorgaukelt, hineinsinken.
Er würde immer den Kopf oben halten und die Augen offen, um den Rausch mit allen Sinnen mitzuerleben, nicht den verführerischen, trügerischen Rausch der Verwirrung, nein, den wahren, tatsächlichen Rausch des Lebens mit seinen Überraschungen, seinen Freuden und auch seinen Klippen, die es tapfer zu überwinden galt.
Er fühlte, wie Kraft seine Lungen, seine Adern, seine Arme durchströmte, wie seine Fußsohlen sich in die Erde gruben und seine Fingerspitzen sich nach dem Himmel streckten. Seiner Kehle entfuhr ein lauter Schrei der Begeisterung.
Und mit einem Schlag wurde ihm bewusst: „Ich bin ein neuer Mensch!“
Fortsetzung folgt...
Tag der Veröffentlichung: 26.03.2011
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Widmung:
meinem lieben Bruder