Cover

Vorwort

 

Die Autorin sagt:

 

 

 

Eigentlich war diese Geschichte als Kurzgeschichte angedacht.

 

Denn ich bin derzeit dabei an einer großen und komplexen Geschichte zu arbeiten.

 

Jeder Autor kennt das ja: Irgendwann kommt man an einen Punkt wo man sich denkt

"Boa das ist grad so langweilig zu schreiben... ich brauch ne Auszeit!"

 

Und diese Geschichte ist eine. Blöd dass sie länger wurde...

 

Es ist normalerweise nicht mein Stil mit so vielen Absätzen zu arbeiten, aber da dies eine "Auszeit-Story" ist...

 

Warum nicht gleich ein Stilbruch? Wenn ich schon dabei bin hau ich gleich eine Ich-Perspektive rein.

 

 

Ich selbst würde die Geschichte als kitschig und vorhersehbar abstempeln. Mal sehen was ihr dazu sagt.

 

 

Viel Spaß beim Lesen!

Prolog

 

Wie würdest du reagieren …

 

Mein Körper fühlte sich an wie ein schwerer heißer Klumpen. Ich musste schon lange so dagelegen haben, denn es war ungemütlich geworden. Nur ein kleines bisschen wollte ich mich bewegen. Einfach nur um meine Position zu verändern. Um das Blut, das sich scheinbar in meinem Rücken gesammelt hatte, zu verlagern.

 

wenn du ganz langsam …

 

Doch mein Körper war zu schwer. Seufzend wollte ich die Augen öffnen, doch auch das schien zu viel zu sein. Das einzige was ich hervorbrachte, war ein klägliches heiseres Stöhnen. Ich wäre vor dem Laut, das meine Kehle verursacht hatte zusammengeschreckt, doch meine Muskeln schienen noch zu schlafen. Ein kleines bisschen Panik machte sich in mir breit, als ich langsam begriff, dass ich mich nicht einmal reflexartig bewegen konnte. War ich gefangen in meinem Körper? Aber nein, ich hatte meine Stimme gehört, bei dem Versuch zu seufzen.

Ich versuchte mich daran zu erinnern was ich gestern getan hatte. Hatte ich mich überanstrengt? War mir etwas zugestoßen? War ich verletzt?

 

... realisierst, …

 

Ich tastete mich gedanklich durch meinen Körper. Es war komisch mich nicht bewegen zu können und daher war es auch schwierig herauszufinden ob etwas schmerzte. Das einzige was ich fühlte war diese Hitze, die immer unerträglicher wurde. Sie schien aus meinem Inneren selbst zu kommen. Doch außer diesem Gefühl konnte ich nichts finden…

 

dass du …

 

Mein Atem hätte gestockt, wäre ich in der Lage dazu.

 

Ich war mir nicht sicher ob auch mein Herz kurz aussetzte.

 

Da war nichts.

 

Gar nichts.

 

nicht mehr weißt wer du bist?

 

 

Erwachen

 

Ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen war. Ich war wach, konnte mich nicht bewegen. Fühlte immer nur, wie jemand versuchte mir Wasser oder Suppe einzuflößen. Ich spürte meine Lippen nicht, nur wie die Flüssigkeit meine Kehle hinunterlief. Es war so still um mich herum, oder war ich nur taub? Ich geriet eine Zeitlang in Panik. Ich wollte schreien und mich bemerkbar machen, aber nichts funktionierte. Einmal versank ich in Resignation. Gab mich diesem furchtbaren vegetieren hin. Aber nicht für lange. Ich erkannte, dass es wohl mindestens einen Menschen gab der sich sorgen um mich machen musste. Auch wenn ich nicht mehr wusste wer ich war und wen ich an meiner Seite hatte. Die Gewissheit, dass dort draußen etwas war, ließ mich weiterkämpfen. Es war anstrengend unglaublich anstrengend. Doch ich gab die Hoffnung nicht auf. Wollte wieder alles spüren. Wollte wissen wer sich sorgte. Wollte mich erinnern wer ich war…

 

Der Traum verblasste vor meinem inneren Auge. Der Schlaf löste sich von mir, so als er wäre er Rauch der langsam verschwand. Ein leichtes kribbeln ran durch meinen Körper.

 

Ich erwachte.

 

Fremde

Es war wohl Mittag. Die Sonne schien und meine Augen mussten sich an die Helligkeit gewöhnen, auch wenn es in meinem kargen Zimmer nicht sehr hell war. Die Schiebetüren, die den Raum von der Außenwelt trennte, waren alt. Das Papier hatte bereits einige Löcher und sollte so bald wie möglich ausgewechselt werden. Auch die Wände sollten besser erneuert werden. Unmengen von Decken lagen auf mir. Das war es also was meinen Körper so schwer gemacht hatte. Ich war noch zu schwach um mich selbst aus diesem Stoffberg zu befreien. Immerhin konnte ich mich bewegen. Das Öffnen meiner Augen war so einfach. So wie es immer sein sollte. Ich konnte auch meine Hände bewegen. Immer wieder schloss und öffnete ich sie, bis meine Arme anfingen weh zu tun. Alles war wieder in Ordnung und ich fühlte mich etwas erleichtert. Der harte Kloß in meiner Brust, das Wissen dass ich nichts mehr von mir wusste, blieb wo er war. Er wog schwer und ich hatte Angst, dass er nie verschwinden würde.

 

Da ich mich nicht aufsetzen konnte musste ich warten. Warten bis jemand kam um nach mir zu sehen. Es musste jedenfalls jemanden geben, sonst wäre ich sicher schon verdurstet oder verhungert. Kaum war der Gedanke durch meinen Kopf gegangen öffnete jemand den Fusuma. Ich drehte ohne große Anstrengung den Kopf um besser sehen zu können.

 

Die Frau die in der Tür stand ließ das Tablett das sie in der Hand hielt fallen. Eine Schüssel und ein Becher fielen auf den Boden. Der Geruch von Miso-Suppe erfüllte den Raum mit einer leichten Note von Gersten-Tee. Sie hatte nicht geschrien, stand dort und sah mich an als würde sie einen Geist sehen. Ich versuchte sie anzulächeln doch sie war bereits einige Schritte hinausgeeilt. Ich hört wie sie rief: „Mein Herr! Mein Herr!“ Ihre schnellen Schritte entfernten sich von meinem Zimmer. Ich war etwas enttäuscht. Es wäre schöner gewesen wenn sie mit mir gesprochen hätte. Oder mir zumindest den Tee gelassen hätte. Meine Mund war wie ausgedörrt. Es blieb mir also wieder nichts anderes als zu warten.

 

Es dauerte nicht lange da hörte ich einige Schritte auf den Dielen. Zwei Personen. Ein trippelnder hastiger Schritt, der andere weniger hastig, aber eilig. Große Schritte, aber irgendwie leiser als das Trippeln. Sie mussten anhalten um die Tür zurückzuschieben. Ich hielt den Atem an. Der Mann den die Frau gerufen hatte musste derjenige sein, der sich um mich gesorgt hatte.Er war eineinhalb Köpfe größer als die Frau. Wie konnte es dann sein, dass seine Schritte leiser waren als ihre? Das war das erste was mir durch den Kopf geschossen war, als ich seine Gestalt sah.

 

Als er eintrat sah er nicht direkt zu mir. Erst auf den Boden vor ihm. Die Schüssel und die Tasse lagen noch auf dem Boden und es schien ihn mehr zu interessieren als meine Verfassung. Enttäuschung machte sich schon wieder in mir breit. „Und sie hat nichts gesagt?“ fragte er an die Frau gewandt, leise, als befürchte er jemanden mit seiner Stimme zu wecken. Noch immer hatte er mich nicht angesehen. Sie schüttelte vehement den Kopf. Dann stieg er über das Geschirr und die Pfütze die sich gebildet hatte, noch immer seinen Blick auf den Boden gerichtet. Ich beobachtete ihn mit einer Mischung aus Ungeduld und Misstrauen. Dieser Mann hier vor mir… Er konnte nicht jemand sein der sich um mich sorgte. Höchstens jemand der sich um mich sorgen musste.

 

Er kniete neben mir. Ich hatte noch immer sein Gesicht nicht gesehen. Vielleicht würde ich ihn wiedererkennen. Vielleicht würde eine Erinnerung zurückkommen. Wieso hob er nicht den Blick? Wieso sah er mich nicht an?Er saß einfach nur da und sagte nichts. Bewegte sich nicht. Auf was wartete er da? Ich hielt es nicht mehr länger aus. Mein Mund war zu trocken um etwas zu sagen, daher schob ich meinen Arm aus der Decke hervor. Es kostete mich so viel Kraft, dass ich leise keuchte. Er hatte es bemerkt und sah dorthin wo meine Finger aus der Decke hervorlugen mussten.

Eigentlich wollte ich den Arm heben um ihn zu berühren, in der Hoffnung er würde mich dann ansehen. Stattdessen starrte er nur auf meine Finger. Ich wurde langsam wütend. Wütend auf meine Schwäche. Wütend auf ihn. War er dumm?

 

Ich brauchte etwas zu trinken. Ich wusste nicht wie sich meine Stimme anhören würde wenn ich versuchen würde zu sprechen. Ich öffnete den Mund um nach Wasser zu bitten. Doch mein Hals war wohl zu sehr geschwollen. Ich versuchte es weiter und räusperte mich leise. „Wa- sser… bitte.“ Leise, krächzend und heiser. So hörte sich also meine Stimme an.„Bitte, bringt ihr etwas zu Trinken.“ Die Frau die noch immer in der Tür stand eilte davon. Er hatte den Kopf nur etwas zu ihr gewandt, aber so konnte ich wenigstens sein Profil erkennen ehe er den Blick wieder senkte. Sein verhalten war mehr als verstörend und ich wollte dass er mit mir sprach. Aber meine Kehle kratzte so schrecklich beim Reden. Ich konnte ihn so nicht auffordern. Die Frau kam zurück und stellte den Tee neben ihn. Er streckte die Hand danach aus, ohne wirklich hinzusehen, ganz selbstverständlich. Doch er hielt kurz inne. Er schien nachzudenken, aber nur einen kleinen Augenblick. Die Frau hatte sich zurückgezogen und die Tür hinter sich geschlossen.

 

Nur wir beide waren noch in dem Raum.

 

Die Atmosphäre schien sich zu verändern.

 

Ich fühlte mich unsicher.

 

Ich kannte ihn nicht, oder kannte ihn nicht mehr. War es in Ordnung, dass ich mit ihm alleine war? Ich konnte mich kaum bewegen. Ich wäre ihm ausgeliefert.

 

Trink

 

Er hatte die Tasse in der Hand. Sie dampfte nicht so stark. Ich konnte den Tee also ohne mich zu verbrennen trinken. Wenn ich mich nur aufsetzen konnte.

 

Ohne ein Wort zu sagen und noch immer den Blick gesenkt schob er einen Arm unter mich. Er hatte die Tasse nicht abgesetzt. Er hob meinen Oberkörper an, so als würde ich nichts wiegen. Er tat es langsam, vielleicht hatte er angst ich könnte zerbrechen. Vielleicht konnte ich das sogar. Noch in meinen Gedanken versunken was mit mir passiert war hatte ich nicht bemerkt, dass er mich anblickte. Für einen kurzen Moment sah ich darin Sorge, Schuld und Erleichterung. Doch als er sah wie ich ihn anstarrte senkte er den Blick kurz wieder. Er führte die Tasse an meine Lippen und seine dunklen Augen fixierten nur meinen Mund. Sie waren nicht mehr warm, so wie vorhin. Sie waren emotionslos, weder kalt noch warm, nichts.

 

Der Geschmack des Tees erfüllte meinen Mund. Ich hatte so Durst, dass ich mich verschluckte. Der Husten schüttelte meinen Körper. Es tat weh mit trockener Kehle zu husten und ich konnte nicht verhindern, dass Tränen sich aus meinen Augenwinkeln schoben. Seltsam. Ich hatte es geschafft meine Arme unter der Decke hervorzuziehen. Zitternd und keuchend saß ich da. Er hatte sachte auf meinen Rücken geklopft um mir zu helfen. Wieder begegnete ich seinem Blick.

 

Verärgerung und ein kleines bisschen Sorge.

 

Ich fühlte mich schlecht, es war mir peinlich. Wahrscheinlich hatte ich ihn beschmutzt. Ich senkte von mir aus den Blick, konnte aber erkennen wie er den Mund öffnete um etwas zu sagen. Doch er schloss ihn wieder und setzte die Tasse noch einmal an meine Lippen. Ich betete inständig, dass es dieses Mal schaffen würde zu trinken.Es wollte mir nicht gelingen, so etwas Einfaches wie trinken zu bewerkstelligen. Dieses Mal wischte ich mir die Tränen aus den Augen und lächelte ihn entschuldigend und beschämt an. Ich hatte mich weggedreht um ihn nicht noch einmal anzuhusten. Mein Hals schmerzte schrecklich.

 

Sein Gesicht veränderte sich als ich ihn anlächelte. Es sah aus als hätte er etwas Unglaubliches gesehen. Er nahm einen Schluck aus meiner Tasse. Sein Griff um meine Schultern verstärkte sich.

Dann beugte er sich über mich.

 

Ich hatte nicht bemerkt wie er die Tasse abgesetzt hatte, denn seine Augen fesselten mich zu sehr. Sie waren so nah. So dunkel. Ich dachte ich könnte in ihnen aufgesogen werden, so tief waren sie. Seine Hand umfasste mein Kinn und mit dem Daumen öffnete er meinen Mund.

Einen kurzen Moment schien er zu zögern.

 

Er legte seinen Mund über den meinen.

 

Alle möglichen Gedanken schossen durch meinen Kopf. Keiner von ihnen greifbar. Keiner von ihnen wichtig.

Er hatte den Tee nicht getrunken. Er flößte ihn mir ein.

 

Langsam, damit ich mich nicht verschlucken konnte. Meine Kehle fühlte sich besser an. Der Schmerz verebbte. Stattdessen schienen meine Wangen an zu glühen. Was passierte mit mir? Ich fühlte mich plötzlich… anders.

Schock

 

Er löste sich von mir und sah mich triumphierend an. Was war mit diesem Mann los? Bis vor kurzem sah es aus als hatte er Angst mich nur anzusehen. Jetzt war sein Gesichtsausdruck komplett ausgewechselt. Er wischte sich einen Tropfen Tee mit dem Daumen von seinen Lippen, auf denen ein kühles Grinsen erschienen war.

 

Ich war verwirrt. Was hatte das alles zu bedeuten?

 

Wer war er?

 

Mir fiel wieder ein, dass ich meine Stimme benutzen konnte, jetzt sollte es nicht mehr so kratzen.

 

„Wer… wer seit ihr?“ fragte ich zögernd. Die Hitze in meinem Gesicht war nicht gewichen. Er hatte sich nicht von mir weg bewegt. Sein Arm stützte mich noch immer.Ich wollte auf das Schlimmste gefasst sein. Aber ich wusste nicht was das Schlimmste war.

 

Erst sah er mich wieder so fassungslos an. Ein „Ha!“ stahl sich aus seinem Mund und kurz darauf brach er in schallendes Gelächter aus.

 

Da er mich nicht losgelassen hatte und sich somit nicht mit seinen Armen abstützen konnte, lehnte er sich an mich. Eigentlich sollte ich beleidigt sein, dass er mich auslachte. Doch seine Nähe war das einzige woran ich gerade Denken konnte.

 

Ist es nicht eigenartig? Ich kannte noch nicht einmal seinen Namen. Und trotzdem. Trotzdem empfand ich seine Nähe nicht als befremdlich.

 

Er hatte sich wieder gefangen. Den Schalk noch in den Augen, holte er Luft um mir zu antworten. Er schien aber noch ein wenig nachzudenken. „Du willst mir sagen, dass du mich nicht kennst?“ Seine rechte Braue zuckte nach oben und gab seinem Gesicht etwas Arrogantes. Sein Grinsen wurde breiter, gerissener. „Sag bloß du weißt auch nicht wer du selbst bist.“

 

Ich glaube irgendetwas an meinem Verhalten hatte ihn dazu gebracht, zu denken, dass ich meine Erinnerungen verloren hatte. Kein Stückchen von meiner Vergangenheit war geblieben. Wieso sollte ich lügen, wenn er mir helfen konnte? Er musste mich kennen. Warum sonst sprach er so vertraut mit mir?

Ich nickte. Unfähig zu sagen, dass ich alles vergessen hatte.

 

Es war nicht viel. So wenig, dass ich es fast nicht bemerkt hätte. Sein Grinsen war nicht mehr so breit wie vorhin. Jetzt sah es so aus als hätte er eine Maske aufgesetzt. Als würde er sie aufsetzten um dahinter seine wahren Gefühle verbergen zu können.

 

„Um deine Frage zu beantworten.“ Er machte eine kleine Pause. „Mein Name ist Akato Touma.“ Sein linker Mundwinkel zog sich in die Höhe, sodass ein noch verschmitzteres Grinsen zum Vorschein kam. Ich wollte seinen Namen aussprechen. Der Name selbst sagte mir nichts, doch vielleicht würde ich mich erinnern wenn ich ihn sagte. Touma fügte aber noch etwas hinzu.

 

„Und du bist Yuzuna. Meine Frau.“

 

Wie würdest du reagieren, wenn dir jemand sagen würde, dass du verheiratet bist?

Erinnerung

 

Wie lange ich auch nachdachte, wie oft ich es auch versuchte. Ich konnte nichts finden. Keine Erinnerung an mein früheres Leben. Ich konnte nicht glauben, dass ich verheiratet war. Touma hatte nicht viel gesagt. Ich war zu erschöpft gewesen. Ich war eingeschlafen obwohl ich so viele Fragen an ihn hatte. Seitdem hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Es war ein Tag vergangen und mein Mann war nicht da um nach mir zu sehen. Ich war frustriert.Wie konnte er mich so im Unklaren lassen? Konnte er sich nicht vorstellen, dass es schrecklich war keine Erinnerungen mehr zu haben? War er selbst denn nicht traurig darüber, dass ich ihn vergessen hatte?Ich biss mir auf die Unterlippe. Das musste es sein.

 

Er war verletzt.

 

Wie konnte ich nur so taktlos sein? Wie konnte ich nur denken, dass ich ihm egal war? Er hatte die letzten zwei Wochen auf mich acht gegeben. Chiyo, die Frau die den Tee gebracht hatte, erzählte mir, dass er vor zwei Wochen mit mir im Arm an ihre Tür geklopft hatte. Nass und verfroren. Ich hatte mir den Kopf gestoßen und mir Fieber eingefangen. Tagelang war ich zwischen Leben und Tod gefangen. Und als das Fieber sank, war ich nicht aufgewacht. Die ganze Zeit über war Touma bei mir geblieben. Und jetzt… jetzt erkannte ich ihn nicht wieder.

 

Es musste furchtbar für ihn gewesen sein.

 

Ich fühlte mich schuldig. Ich wollte meine Erinnerungen an ihn zurück. Wollte ihm danken, irgendwie. Aber ich konnte mich nur an gestern erinnern.

Immer und immer wieder sah ich sein Gesicht, ganz nah an meinem. Wie er seine Lippen auf meine presste um mir zu trinken zu geben, weil ich es nicht schaffte alleine zu trinken. Jedes Mal, wenn ich daran zurückdenke, werden meine Wangen ganz warm. Doch das legte sich schnell wieder wenn ich daran denke wie er mir mit diesem seltsamen Gesichtsausdruck sagte, dass ich seine Frau war. Irgendwie fühlte es sich nicht richtig an.

 

Warum?

 

Auch die nächsten Tage war er nicht zu mir gekommen. Chiyo sprach auch nur wenig mit mir. Ich war einsam. So langsam gewöhnte ich mich sogar daran. Mein Herz verhärtete sich immer mehr zu Etwas was noch schwerer wurde als der Kloß meiner verlorenen Erinnerungen.Ich hatte mich gerade erst wieder hingelegt und die Augen geschlossen um durch den Schlaf der Langeweile zu entkommen als die Tür leise aufgeschoben wurde. Ich hatte die Schritte gar nicht bemerkt, obwohl die Dielen sehr laut waren. Jedenfalls wenn die kleine Haushälterin kam. Das leise Sirren des Fusumas sagte mir, dass sie wieder geschlossen wurde. Die Sonne war noch nicht ganz untergegangen und so konnte ich sein Gesicht erkennen. Er sah müde und erschöpft aus. Mir tat es schon wieder leid, dass ich ihn in meinen Gedanken so schlecht gemacht hatte.

 

Sein Gesicht zeigte ansonsten nur wenige Emotionen. Nur ein Hauch von Verachtung spiegelte sich in seinen Augen als er mich ansah. Ich fühlte mich unwohl und mein Inneres zog sich schmerzhaft zusammen.

 

„Touma?“

 

Er hatte mich gedankenverloren angesehen doch als er seinen Namen hörte veränderte sich sein Blick.

Überraschung, Freude, Verzweiflung und Schmerz zugleich.

 

Wie konnte man so vieles auf einmal zeigen? Kaum dass ich den Gedanken zu ende dachte, hatte er die Distanz zwischen uns überbrückt und war auf die Knie gefallen.

 

Er umarmte mich. Er hatte seine Arme um meinen Oberkörper geschlungen und hielt mich fest. Jetzt war es an mir überrascht zu sein. War etwas passiert?

 

Einen Moment bewegte er sich nicht, hielt mich nur fest. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Ich war unschlüssig, was hätte ich früher in dieser Situation getan? Mein Kopf war leer. Touma war mein Mann und egal was passierte, ich musste für ihn da sein, genauso wie er für mich da war.

 

Wie von selbst bewegten sich meine Arme. Sie legten sich um seine breiten Schultern und zogen meinen Körper dichter an ihn. Sein kurzes Haar war weicher als ich anfangs dachte. Doch irgendetwas fehlte. Ich wollte gerade noch einmal darüber fahren um mich zu erinnern, aber da ließ er mich los und schob mich von sich.

Abrupt.

 

Hatte ich etwas Falsches getan? Mein Herz, das gerade noch wild gepocht hatte, erstarrte vor Enttäuschung. Er sah mich nicht an, was die Unsicherheit in mir nur noch schmerzhafter machte. Seine Gedanken waren weit von mir entfernt, sein Gesichtsausruck zeigte Schrecken. Was dachte er?

„Touma… was ist?“ fragte ich zaghaft und mit zitternder Stimme.

 

Er reagierte erst nicht, doch dann schien er sich wieder gefangen zu haben.

 

„Wie…“ er räusperte sich. „Wie geht es dir?“ Er hatte versucht sie fest und emotionslos klingen zu lassen, doch ich hörte den verunsicherten Ton heraus. Ich wollte ihn glücklich machen und so lächelte ich mein strahlendstes Lächeln. „Danke, mir geht es schon viel besser! Ich denke dass ich bald wieder aufstehen kann. Mach dir keine Sorgen.“

 

Wieder starrte er mich an, als würde ich etwas Unglaubliches erzählen. „Ist etwas in meinem Gesicht?“ unsicher und peinlich berührt, tastete ich mein Gesicht ab. Vielleicht hatte ich beim Essen nicht aufgepasst.

Plötzlich umfassten seine kalten Hände meine Handgelenke und schoben sie beiseite.

 

„Nein.“ Er lächelte warm und mein Herz setzte einmal mehr an diesem Tag aus.Dieses Lächeln war so viel anders als das überhebliche Lächeln vor einigen Tagen. So schön, dass ich nicht anders konnte als es anzustarren.

 

War es dieses Lächeln, das mich ihn heiraten ließ? Oder ihn wenigstens sympathischer werden ließ, selbst wenn es eine arrangierte Heirat gewesen war? Ich war sicher glücklich mit der Wahl gewesen, allein wegen diesem Lächeln, das er mir jetzt schenkte.

 

„Ich dachte nur nicht, dass ich es jemals wiedersehen würde.“ Er hatte eine Hand auf meine Wange gelegt und obwohl sie kalt war fühlte sich die Haut darunter sich an als würde sie brennen. Ich legte meine eigene Hand auf die Seine und schmiegte mich daran. „Es tut mir leid, dass ich dir so viele Sorgen gemacht habe. Aber alles wird gut werden.“

 

Ich lächelte noch einmal, nur für ihn. Ich wollte meine Erinnerungen zurück.

 

Für ihn.

Reise

 

Er kam seitdem nicht noch einmal in mein Zimmer. Er hatte vieles zu Tun und wir mussten die nächsten Tage weiterreisen. Ich wusste nicht, dass wir eigentlich auf der Reise waren. Aber das würde Chiyos Geschichte bestätigen. Er hätte mich sicher nicht in ihr Haus gebracht, wenn wir in der Nähe unseres eigenen Zuhauses wären. Ich war aufgeregt und strengte mich an schnell gesund zu werden. Meine Erinnerungen waren nicht zurückgekehrt, doch ich grämte mich nicht damit. Ich wollte so schnell wie möglich nach Hause. Ich war mir sicher, dass ich dort einen Teil meiner Erinnerungen zurückerlangen konnte.

 

Ich brauchte eine Woche um mich vollständig zu erholen. Es war komisch sich vorzustellen, dass ich bis vor einigen Tagen noch nicht einmal aufstehen konnte. Umso mehr lief ich umher. Ich drehte mich im Kreis und lachte mit der Sonne. Ich fühlte mich so frei. Die Zeit in dem Zimmer war so langweilig gewesen dass ich nicht wieder dahin zurückkehren wollte.

 

Chiyos Garten hatte nicht viel zu bieten. Sie pflanzte dort Gemüse an, doch Blumen oder dekorative Bäume fanden sich nicht darin. Ohne dass ich es wirklich merkte baute sich in meinen Gedanken ein wunderschöner großer Garten aus. Ich wusste wohin ich darin gehen musste um an einen künstlich angelegten Teich zu gelangen. Ich wusste, dass dort schillernde Karpfen anzutreffen waren. Ich wusste sogar wie sich das Moos unter meinen Fingern anfühlte wenn ich mich hinkniete um den Fischen zuzuschauen.

 

Eine Erinnerung.

 

Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Ich begann mich zu erinnern.

 

Ich freute mich so sehr, dass ich die Arme ausbreitete und mich im Kreis drehte. So lange bis ich gegen etwas prallte und das Gleichgewicht verlor. Doch ich schlug nicht auf dem Boden auf, sondern landete stattdessen in Toumas Armen.

 

Er machte ein tadelndes aber amüsiertes Gesicht. Ich kannte diesen Gesichtsausdruck. Aber die Erinnerung daran war verschwommen und ein seltsames Gefühl überkam mich.

 

„T-tut mir leid!“ sagte ich schnell und beeilte mich wieder auf die Beine zu kommen. Er ließ mich los und musterte mich. Unsicher brachte ich mein Haar wieder in Ordnung und wich seinem Blick aus. „Scheint als wärst du wieder reisefähig.“ Irgendetwas hielt mich zurück ihm sofort zu antworten. Ich wollte plötzlich nicht mehr von hier fort, aber wie sollte ich ihm das erklären? „Ich möchte nicht nach Hause.“ Hörte ich mich selbst und erschrak über die Wortwahl. Touma sah mich lange mit einem konzentrierten Blick an. Ich dachte schon er sei zu Stein erstarrt, aber da fragte er: „Warum nicht?“ Seine Augen unglaublich aufmerksam auf mein Gesicht gerichtet, als würde er meine Gedanken herauslesen wollen.

 

„Ich… ich weiß nicht.“ Seine Augen machten mich nervös.

 

Er entspannte sich ein wenig. Ich wusste nicht ob es daran lag, dass er enttäuscht war, dass ich meine Erinnerungen immer noch nicht zurück hatte, oder ob er froh darüber war. „Man erwartet uns zu Hause. Wir dürfen deine Eltern nicht noch länger warten lassen. Sie sind sehr besorgt. Ich habe ihnen bereits eine Nachricht zukommen lassen. Wir sollten so schnell wie möglich aufbrechen.“ Seine Stimme hörte sich steif an, wie aufgesagt. Ohne auf meine Erwiderung zu warten war er ins Haus gegangen.

 

Um mich für die Reise bereit zu machen benötigte ich nur wenig Zeit. Das einzige was ich besaß war meine Kleidung. Chiyo hatte sie gewaschen, denn sie war voll Blut und Schlamm gewesen als ich zu ihr gekommen war. Sie hatte ihn mir gewaschen zurückgebracht. Er hatte einmal prächtig ausgesehen, doch wegen all dem Schmutz und der gründlichen Reinigung sah er bleich aus. Einige Flecken hatte Chiyo nicht entfernen können. Wahrscheinlich mein Blut.

 

Mit klammen Fingern führ ich über den Stoff, zaghaft, als könnten böse Erinnerungen mich peinigen. Doch nichts dergleichen geschah. Seufzend legte ich das Kleidungsstück beiseite als Chiyo an meiner Tür klopfte.

 

„Der Herr wollte wissen wann ihr bereit wärt aufzubrechen.“ Dann fügte sie noch hinzu: „Es scheint als hätte er es sehr eilig.“ Die Sonne würde in einigen Stunden untergehen, er gedachte wirklich heute noch abzureisen?

 

Ich nickte. „Ich ziehe mich nur noch um. Ich bin gleich soweit.“ „Ich habe vergessen euch dies hier zurück zu geben.“ Sie reichte mir einen rötlich glänzenden Gegenstand. „Danke…“ Als meine Finger den Kamm berührten trafen mich unzählige Bilder. Bilder und Gefühle die durch meinen Kopf wirbelten wie ein Typhoon. Rasant, unaufhaltsam und zusammenhangslos. Ich wusste sie nicht einzuordnen. Viel zu schnell prallten sie in meine Gedanken auf und verschwanden genauso schnell wieder. Mir wurde Übel und ich hörte Chiyos panische Stimme gar nicht.

 

Der Sturm verebbte und nur eine Erinnerung blieb.

 

Er stand vor mir. Ich hatte ihm den Kamm entgegengestreckt und sah ihm in die Augen.Sein Blick war wütend, müde und verzweifelt. Einen Moment starrte er auf den Gegenstand in meiner Hand. Dann griff er mit der rechten Hand zu seinem Kurzschwert und zog es. Die andere hatte sein Haar umschlossen. Sein langes, schwarzes Haar, das er zusammengebunden hatte. Es sah wunderschön aus. Als wäre es aus flüssiger Nacht.

 

Mit nur einer Bewegung hatte er es zerschnitten. Er ließ es fallen, wertlos. „Ich brauche es nicht.“ Sagte er an mich gewandt. Seine Augen entschlossen. „Ein Mann der seinen Herren hintergeht, ist ehrlos. So wie ich.“ Seine Worte waren hart und trafen mich wie Pfeile.

 

Mein Herz krümmte sich schmerzerfüllt. Was hatte das zu bedeuten? Wen hatte er hintergangen? Warum tat es so weh? War ich daran Schuld? Galt seine Wut mir?

 

Chiyo war gerade aufgestanden und wollte um Hilfe rufen. Aber ich hielt sie auf. Sie drehte sich um als ihr den Ärmel ihres Gewandes festhielt. „Ist schon gut. Es geht mir schon besser.“

„Es wäre besser wenn die Dame einen Arzt aufsucht! So könnt ihr nicht verreisen! Ich sage es sofort dem Herrn!“

 

Ich schüttelte energisch den Kopf. „Nein. Das war nur ein kleiner Schwächeanfall. Es ist alles gut.“ Ich wollte nicht, dass Touma sich Sorgen machen brauchte… Ich hatte Angst ihm jetzt in die Augen sehen zu müssen. Ich wollte zuerst diese eine Erinnerung vervollständigen.

 

Noch immer machte sie einen zweifelnden Ausdruck. Gab aber nach als ich sie bittend anlächelte.

 

„Gut. Versprecht aber auf euch acht zu geben.“

 

„Ich verspreche es.“

 

Meine wenigen Habseligkeiten und Proviant waren rasch gepackt. Die Sonne war nur noch halb am Horizont zu sehen und dennoch stand Touma mit einem Pferd an seiner Seite. Er musste es wohl heute Mittag gekauft haben.Die kleinen Stoffbündel hatte er an dem Sattel festgemacht oder sich selbst umgehängt. Ich selbst hatte meine Kleidung auf dem Rücken und war bereit zum Aufbruch.

 

Wir verabschiedeten uns bei Chiyo und ritten Richtung Osten.

 

Ich saß vor ihm im Sattel und fühlte mich sicher zwischen seinen Armen. „Wir können nicht lange reiten. Die Sonne ist bald untergegangen. Dann wird es schwierig im Dunkeln zu sehen.“ Ich versuchte mich ein klein wenig zu ihm zu drehen, doch da war kein Platz. „Wieso mussten wir so schnell von dort fortgehen?“ Ich fragte mich die ganze Zeit warum wir nicht bis morgen hätten warten können. Nachts zu reiten war gefährlich. Ein Fehltritt des Pferdes und wir mussten zu Fuß laufen, oder würden uns beim Sturz etwas brechen. „Wir waren schon zu lange dort.“ Antwortete er mir nach einer Weile. Die Art wie er es sagte, bedeutete mir, dass er nicht weiter auf dieses Thema eingehen würde. Also hielt ich den Mund.

 

Schweigend saßen wir auf dem Pferd, während die letzten Strahlen der Sonne verschwanden und die Nacht uns einholte. Touma stieg ab und hielt die Zügel. Als ich Anstalten machte ebenfalls abzusteigen schüttelte er nur den Kopf. „Ich passe auf, dass dir nichts passiert. Bleib sitzen.“ Ich fühlte mich nicht wohl und blieb nur kurz noch auf dem Braunen. Ungeschickt rutschte ich vom Pferd und stolperte vornüber, doch Touma hielt meinen Körper davon ab auf den Boden zu landen. Sein Gesicht konnte ich wegen der Dunkelheit kaum sehen doch ich spürte wie entnervt er von mir war. „Tut mir leid!“ sagte ich schnell.

 

„Weshalb entschuldigst du dich, Yuzuna? Habe ich nicht eben erst gesagt, dass ich auf dich aufpasse?“ Er ließ mich wieder los und ging weiter. Perplex stand ich dort wo er mich aufgefangen hatte und sah seinem Schemen hinterher. Meine Wangen waren heiß und ich wusste nicht recht weswegen. War es, weil er mich beim Namen gerufen hatte? Das letzte mal als er meinen Namen gesagt hatte war als ich aufgewacht war. Seine Stimme war belustigt und kalt gewesen. Daran konnte ich mich noch gut erinnern. Es hatte nicht so viel Bedeutung wie jetzt gehabt. Und ich fühlte in mir, dass er meinen Namen lange Zeit nicht gesagt hatte.

Was war nur zwischen uns vorgefallen?

 

Er hatte bemerkt dass ich stehen geblieben war und drehte sich um. „Hast du dich verletzt?“ seine Stimme hätte mehr mit Sorge erfüllt sein, stattdessen hörte sie sich eher höhnisch an. Aber ich konnte mich auch irren. „Nein, ich dachte nur ich hätte etwas gehört. Aber es war nur ein Vogel.“ Log ich und beeilte mich zu ihm aufzuschließen. „Steig lieber wieder aufs Pferd, sonst verliere ich dich noch.“ Ich schüttelte verneinend den Kopf, doch das konnte er womöglich gar nicht sehen. „Nein, ich möchte nicht wie eine schwache Frau wirken.“ Antwortete ich ehrlich und mit Stolz. Er schwieg einen Moment. „Dann gib mir deine Hand.“ Ich sah überrascht in seine Richtung. Nur noch der Mond erhellte die Gegend mit seinem bleichen Licht. Er hatte die Hand nach mir ausgetreckt, aber sich nicht umgedreht. Ich überbrückte die Distanz zu uns mit einigen großen Schritten und legte meine Hand in seine.

 

Es fühlte sich nicht vertraut an, wie ich gehofft hatte. Auch waren keine Erinnerungen zurückgekehrt. Irgendwie war ich enttäuscht.

Dunkelheit

Schweigend liefen wir nebeneinander her. Das Pferd, dessen Zügel in Toumas rechter Hand lag, und ich, die seine linke Hand hielt. Durch das monotone dumpfe Geräusch der Hufen wurde ich mit jedem Schritt immer müder. Manchmal dachte ich, dass ich bereits schlief so dunkel war es bereits geworden. Als eine große Wolke den Mond verdeckte blieb Touma stehen. Er wollte meine Hand los lassen doch ich ließ ihn nicht. Ich hatte Angst, dass ich von der Dunkelheit aufgesaugt werden würde.

 

Ich wollte ihn nicht verlieren.

 

Er war alles was ich hatte.

 

Er musste meine Angst bemerkt haben, denn seine Stimme war sanft und leise. „Lass uns hier rasten. Ich muss nur das Pferd anbinden.“ Touma führte meine Hand an einen Baumstumpf, ließ mich los und ich hörte nur noch das Rascheln von Stoff. Er musste seinen Haori ausgezogen haben und auf den Boden zu meinen Füßen gelegt haben. „Hier. Leg dich hin.“ Seine Schritte entfernten sich und ich wollte die Hände austrecken um ihn aufzuhalten. Meine Finger griffen in die schwarze Leere. Mein Herz hatte vor Schreck angefangen zu rasen. „Touma.“ Rief ich zitternd. Ich konnte ihn nicht sehen. Vorhin hatte ich ihm noch gesagt ich wolle nicht aussehen wie eine schwache Frau. Und nun? Ich hatte Angst allein zu sein. Allein in dieser Schwärze. Ich hatte nicht realisiert wie sicher ich mich fühlte, als er noch meine Hand gehalten hatte.

 

Er antwortete nicht.

 

„Touma!“ Panik ergriff meinen Körper. Mit einem Mal wurde mir schrecklich kalt und ich merkte wie Tränen sich langsam aus meinen müden Augen wanden.

 

„Touma!“ meine Stimme brach. Warum antwortete er nicht?

 

Samtenes Schwarz rings um mich. Sie saugte alles auf. Jede Farbe, jedes Geräusch.

 

Ich ging einen Schritt zurück. Hinter mir musste der Baum stehen an dem er mich zurückgelassen hatte. Ich presste meinen Rücken dagegen. Er gab mir halt und ein wenig Sicherheit. Ich brauchte einen Anker, um nicht in eine völlig andere Welt der Finsternis abzudriften.

 

Die ohnehin leisen Schritte wurden durch das Gras gedämpft, sodass ich ihn nicht kommen hörte. Ganz plötzlich lag eine Hand auf meiner Schulter und ich schrak hoch, ohne zu schreien.

Mein Herz raste vor Furcht. War es Touma?

 

Ich erinnerte mich daran, dass er das schon einmal getan hatte. Er hatte mich ausgelacht als er herausfand, dass ich im Dunkeln nicht allein sein konnte. Er wusste es genau.

 

Wie konnte er mir das dann antun?

 

Meine Knie waren so weich, dass sie drohten unter mir nachzugeben. Die Luft in meinen Lungen wurde knapp, doch ich wagte es nicht zu Atmen. Das nächste was ich hörte war das Sirren einer Klinge.

 

Ich zitterte nicht mehr, sondern versteinerte auf der Stelle. Dieses Geräusch kannte ich aus einer weiteren Erinnerung. Einer die mir Angst machte. Eine die so schwarz war wie diese Nacht.

 

Ich hörte keinen Schrei, nachdem das widerliche Geräusch von zerschnittener Kleidung, Haut und Fleisch erklungen war. Nur die Hand die auf meiner Schulter gelegen hatte glitt von mir ab. Warmes Blut landete auf meinem Gesicht, bevor ein Körper dumpf und schwer auf das Gras neben mir zusammensackte. Leise gurgelnd ergoss sich weiteres Blut auf die Erde und schwängerte die Luft mit dem Geruch von Eisen.

 

Ein Teil von mir sagte, dass der Mensch, dort auf dem Boden nicht Touma war. Nicht Touma sein konnte. Doch ein anderer Teil bekam Panik und wollte weglaufen. Vor dem weglaufen, was Touma getötet hatte. Aber wohin würde ich laufen? Es gab niemanden mehr.

 

Da war immer nur Touma.

 

„Yuzuna!“ wie durch Wasser hörte ich meinen Namen. Ich war versunken in meiner Verzweiflung. Unfähig zu weinen oder zu schreien, bis ich meinen Namen hörte. „Yuzuna!“ Schritte kamen auf mich zu.

Sorge. Seine Stimme war voller Sorge.

 

Ich konnte ihn nicht sehen und doch fiel ich schluchzend in seine Arme. All die Angst, all die Furcht die sich in meiner Brust gesammelt hatte, entleerte sich in meinen Tränen. Touma hatte das Schwert fallen gelassen und legte seine Arme um meinen zitternden Körper. Mein Kopf war leer, das einzige was man darin finden konnte war er.

 

Es fühlte sich an als würde ich in viele kleine Scherben zerfallen, hätte Touma mich nicht festgehalten. Die Angst ihn verloren zu haben war so überwältigend gewesen, dass mein Inneres noch immer schmerzte. „Bist du verletzt, Yuzuna?“ Er schob mich ein kleines Stück von sich und seine Hände befühlten mein Gesicht. Unfähig meine Stimme zu benutzen schüttelte ich leicht den Kopf. Ein erleichtertes Seufzen war zu vernehmen. „Gut, wir müssen hier weg. So schnell es geht. Das waren sicher nicht die Einzigen.“ Den Haori den er für mich abgelegt hatte hob er wieder auf. „Wäre besser wenn sie denken, dass irgendein Verrückter sie umgebracht hat…“ murmelte er in einem gestressten Ton.

 

Sollte das bedeuten, dass der Mann der da tot im Gras lag, es auf uns abgesehen hatte?

 

Touma packte mein Handgelenk und zerrte mich mit sich. Meine Beine hatten ihre ursprüngliche Kraft noch nicht zurück erlangt, was zur Folge hatte, dass ich mir das Knie aufschlug. Es tat nicht weh, denn das Adrenalin in meinen Adern war noch nicht gewichen. Arme hoben mich hoch und plötzlich saß ich wieder auf dem Sattel des Pferdes. „Touma!“ Mir war es egal ob ich vom Sattel fiel. Wichtig war er. Er durfte mich nicht noch einmal verlassen! Die Angst war mit aller Macht zurückgekehrt und ich streckte blind beide Arme nach ihm aus.

 

Bevor ich mich soweit noch vorne lehnen konnte, dass ich mit Sicherheit gefallen wäre, legte er eine Hand auf mein Bein. Einen Moment antwortete er nicht. „Ich bin hier Yuzuna. Du wirst stürzen wenn du dich nicht fest hältst.“ Eine kurze Pause trat ein, in der er in die Stille hineinhorchte. „Es ist zu dunkel, als dass sie uns bei Nacht verfolgen würden.“ Er führte das Pferd weiter auf einen Weg den ich nicht sehen konnte. Ab und zu sah ich die Schatten von Bäumen, die sich vom Schwarz der Nacht kaum abhoben.

 

„Wer sind die?“ fragte ich um sicher zu gehen, dass er noch bei mir war. Er ließ sich Zeit mit der Antwort. „Wegelagerer.“ Seine Antwort war knapp und machte mich stutzig. „Wieso sollten Wegelagerer uns verfolgen?“ „Wenn sie denken, dass wir viel Geld bei uns tragen.“ Das klang plausibel. Auch wenn ich gerade nicht danach aussah wohlhabend zu sein. Viele konnten sich kein Pferd leisten und Touma trug ein Schwerterpaar an seiner Seite. Er war ganz augenscheinlich vermögend, was bedeutete, dass ich es auch sein musste.

 

„Keine Angst, Yuzuna. Ich werde dich immer beschützen.“

 

Zweifel

Mein roter Fächer schlug schallend auf seinem Gesicht auf. Er hatte die Augen geschlossen und sein Kopf drehte sich durch den Aufprall zur Seite. Ansonsten hatte er keinen Laut von sich gegeben oder war zusammengezuckt. Ich war wütend und hatte ihn fester als beabsichtigt geschlagen. Ein roter Striemen war auf seiner Wange zu sehen. Wäre unsere Beziehung zueinander wie vorher…. Dann hätte ich den Fächer fallen gelassen und ihn um Verzeihung gebeten, aber ich war zu stolz und zu verletzt um das zu tun. Ich konnte mir keine Fehler mehr erlauben. So war es besser.Langsam drehte er den Kopf wieder zu mir. Sein Blick war kalt. Ich konnte die unterdrückte Wut in seinen Augen erkennen. Wie sollte ich seinen Hass auf mich länger ertragen? Ich holte wieder aus, sein bohrender Blick wich dennoch nicht von mir. Er machte nicht einmal den Versuch mich aufzuhalten oder sich zu schützen. Ich ließ die Hand wieder sinken. „Habe ich nicht schon mal gesagt, dass du mich nicht ohne Erlaubnis ansehen darfst?!“ Seine Augen fixierten auf der Stelle wieder den Boden vor meinen Füßen. Ich wusste, dass ich seinen Zorn nur noch mehr schürte. Aber es war mir egal.

 

Das Pferd unter mir machte einen Satz. Touma saß direkt hinter mir und hielt mich zwischen seinen Armen fest, sodass ich nicht fallen konnte. „Sch-sch Kurige.“ Beruhigte er den Braunen und zog sanft an den Zügeln. Die Sonne war gerade zwischen zwei Bergen aufgegangen und blendete mich. Ich kniff die Augen zusammen um ihren hellen Strahlen zu entkommen. Mein Gesicht fühlte sich leicht taub an. Ich musste auf der Mähne des Tieres eingeschlafen sein, denn einige Haare klebten noch an meiner Wange. Noch schlaftrunken wischte ich sie fort. „Guten Morgen.“ Murmelte ich mit belegter Zunge. Er erwiderte den Gruß und trieb das Pferd weiter an.

 

Je wacher ich wurde desto klarer wurde der Traum. Das war seltsam.

 

Sollte ein Traum sich nicht verflüchtigen?

 

Anstatt mich zu freuen eine Erinnerung zurückerlangt zu haben, zweifelte ich an ihnen.

 

Wie konnte ich meinen Mann derart behandeln? Das war nicht ich! Obwohl ich ihn liebte. Obwohl es mich schmerzte wie er mich angesehen hatte, habe ich ihn mehr verletzt als er mich. Das konnte nicht sein! Doch etwas hielt mich davon ab es komplett als Traum abzutun. Die Erinnerung die ich hatte, kurz bevor wir aufgebrochen waren schwebte in meinem Hinterkopf. War ich diejenige gewesen auf die er so aufgebracht war? Weswegen er sich das Haar geschnitten hatte?

 

Ich schüttelte den Kopf in der Hoffnung die Gedanken zu verscheuchen. Dies war ein Traum. Nichts weiter. Ich redete es mir immer wieder ein, bis eine Berührung mich unterbrach. Nur kurz lag seine Stirn auf meiner Schulter und so drehte ich mich zu ihm um. Er sah müde und ausgelaugt aus. Wir waren die ganze Nacht durchgeritten und er hatte kein Auge zugetan. Wohingegen ich geschlafen hatte. Wahrscheinlich hatte er mich oft festhalten oder auffangen müssen. Natürlich war er müde!

 

„Touma. Wir sind lang genug geritten.“ Er schüttelte nur stumm den Kopf und umklammerte die Zügel fester, auch wenn er nicht mehr viel Energie zu haben schien. „Mach wenigstens eine kleine Rast.“ Appellierte ich entschlossener. „Du solltest ein wenig Schlafen und etwas essen. Das Pferd braucht auch einen Pause.“ Seine müden Augen fixierten meine. Er wusste dass ich Recht hatte und doch blieb er stur. „Ich werde auch aufpassen. Ich wecke dich wenn ich etwas Eigenartiges höre oder sehe.“ Für einen Moment dachte ich, dass er auch dieses Angebot abschlagen würde, doch als ich ihn anlächelte gab er nach. „Na schön.“ Mein Lächeln wurde breiter während er das Pferd an eine Baumgruppe lenkte und anschließend abstieg. Touma streckte mir seine Arme entgegen um mir zu helfen. Ich ließ mich heruntergleiten, sodass er mich auffangen konnte. Einen Wimpernschlag lang, lag ich in seinen Armen bevor er mich auf den Boden absetzte.

 

Doch dieser Wimpernschlag genügte um mein Herz zum rasen zu bringen.

 

Er hatte sich an einen Baum gelehnt und war schnell eingeschlafen. Jedenfalls sah es danach aus. Unschlüssig streichelte ich den Braunen eine Weile während es graste. Dann setzte ich mich neben meinen Mann und beobachtete den Morgen. Das Zwitschern der Vögel hatten nicht nur die Sonne begrüßt sondern waren auch die Ankündigung des Frühlings. Hellgrüne Triebe waren bereits sichtbar und demnächst würde man auch die vielen Knospen der Kirschblüten sehen können. Ich freute mich schon auf den Blütenregen.Kaum hatte ich das gedacht schoss die Erinnerung wieder in mein Gedächtnis. Es war im Frühling gewesen, denn mein Garten stand in voller Blüte. Ein Blütenblatt war auf seiner Wange gelandet und als ich ihn daran erinnerte, dass er mich nicht ohne Erlaubnis ansehen durfte war sie segelnd auf den Boden gefallen.

 

Warum konnte ich mich nur so gut daran erinnern?

 

War ich tatsächlich so schrecklich zu ihm gewesen?

 

Meine Brust zog sich zusammen. Der Schmerz der darin entstand, breitete sich bis zu meinen Fingerspitzen aus, als wäre es Gift, das durch meine Adern wanderte.Ich biss mir auf die Lippe, um den Schmerz durch einen anderen zu ersetzten. Doch es half nicht. Es passte zu seinem Verhalten mir gegenüber, als ich aufgewacht war. Er hatte es nicht gewagt mich anzusehen. Erst als er herausfand, dass ich meine Erinnerungen verloren hatte, hatte er mich angesehen.

 

Am Rande meines Sichtfeldes bemerkte ich eine Bewegung. Toumas Kopf war im Schlaf ein wenig zur Seite gekippt. Er hatte die Arme verschränkt und sah so friedlich aus wie ich ihn noch nicht gesehen hatte. Der Schlaf konnte ihm all die Last für eine Weile von den Schultern nehmen, die er zu tragen hatte. Schuldgefühle kamen in mir hoch und verstärkten das peinigende Gefühl dass sich bereits in mir ausgebreitet hatte.

 

Wenn ich tatsächlich so schrecklich war. Dann mochte ich meine Erinnerungen nicht wieder haben. Ich wollte nicht wissen warum ich ihm das angetan hatte. Wollte nicht wissen was ich noch getan hatte um ihn zu demütigen.

 

Ich wollte nicht mehr so sein.

 

Heiße Tränen rannen meine Wangen hinunter und vermischten sich mit dem Morgentau, der auf dem Gras lag. So verschwommen konnte ich nicht auf meine Umgebung acht geben, dabei hatte ich Touma gesagt ich würde sicher gehen, dass uns niemand aus dem Hinterhalt angreifen würde. Ärgerlich wischte ich sie davon und versuchte mich zusammenzureißen. Doch ich schaffte es nur die Tränen davon abzuhalten aus meinem Herzen herauszuströmen. Die Selbstzweifel blieben und fraßen sich durch meine Brust.

 

Ich wusste nicht wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Wie bisher auch? Ihm vorlügen ich hätte immer noch keine Erinnerungen zurück erlangt?

 

Was würdest du tun, wenn du weißt, dass du einer Person die du liebst etwas Schreckliches angetan hast?

Entschluss

 

Obwohl ich mir unsicher war, wie ich auf meine Erinnerungen reagieren sollte, rückte ich näher zu Touma. Seltsamerweise gab mir seine Nähe Frieden, auch wenn der Grund für meine Selbstzweifel meine Gefühle zu ihm in Frage stellten. Es kam mir vor als sei kaum Zeit vergangen, da öffnete er die Augen wieder. Ich schluckte schwer, denn ich war noch immer zu keiner Lösung gekommen. Es war einfacher gewesen zu denken als er noch geschlafen hatte.

 

Er streckte sich ein wenig um den Schlaf aus seinem Körper zu verscheuchen. „Das tat tatsächlich gut.“ Sagte er lächelnd und sah in meine Richtung. Ich konnte ihn nicht ansehen und so starrte ich auf das Gras vor mir. „Was ist los Yuzuna? Du bist so blass.“ Sein Ton verriet mir, dass er sich Sorgen um mich machte. Schon wieder.

 

Ich schüttelte nur den Kopf. Meiner Stimme traute ich nicht. Wahrscheinlich würde sie sich jämmerlicher anhören als ich aussehen musste. Ich versuchte ein Lächeln und fixierte dabei seinen Mund, doch ich scheiterte kläglich. Touma hatte mein Kinn angehoben, sodass ich ihm mehr oder weniger ins Gesicht sehen musste. Ich wich seinem prüfenden Blick aus, so gut es ging.

 

„Du hast dich erinnert.“ Sagte er so leise, dass ich es fast überhört hatte. Ich erwiderte nichts, blieb still sitzen und sah ihn nicht an, während die Schuld mich immer mehr einzunehmen versuchte. Er ließ mein Kinn langsam los und lehnte sich ein Stück von mir weg. Mein Herz raste vor Furcht, als ich meinen ganzen Mut sammelte um zu ihm zu sprechen.

 

„Touma…“ fing ich an und war verwundert über die Ruhe in meiner Stimme. „War ich immer grausam zu dir?“ Ich machte eine kurze Pause, denn ich war mir nicht sicher ob meine Stimme brechen würde. „War ich … nein, bin ich so schrecklich?“ Ich schluckte und zitterte am ganzen Körper. Die Hitze der Schuld wurde unerträglich und drohte mein Inneres zu sprengen. Ich zog meine Beine an die Brust, so fest ich nur konnte. „Hasst du mich, Touma?“ wimmerte ich kläglich und vergrub den Kopf zwischen meinen Armen. Es tat so unglaublich weh, zu wissen, dass ich die Person die ich liebte verletzt hatte.

 

Ich liebte ihn.

 

Dieser Gedanke tauchte greifbar in meinem Herzen auf. Ich hatte nicht gewusst wie sehr ich ihn liebte. Nicht bevor ich diesen brennenden Schmerz in mir gespürt hatte. Dieses Eingeständnis machte es mir nur noch schwerer zu begreifen weswegen ich so kalt zu ihm gewesen war. Dieses Gefühl konnte nicht erst jetzt entstanden sein. Ich musste ihn schon vorher geliebt haben, wie sonst könnte es mich dermaßen überwältigen?

 

„Ich habe dich für das, was du getan hast, gehasst.“ Wie eiskalte Dolche rammte sich jedes einzelne Wort in meinen Körper.

 

Er hörte sich fast schon teilnahmslos an, während ich um Fassung rang und die Tränen aufzuhalten versuchte.

 

Ich verlor den Kampf.

 

Die Verzweiflung schlug wie eine mächtige Welle über mich ein. Tränen rollten stumm über meine Wangen. Ich wollte nicht schluchzen. Doch es kostete mich viel Kraft es zurückzuhalten.

 

„Es tut mir leid für das was ich getan habe, Touma!“ wimmerte ich kläglich und kaum verständlich.

Ich konnte seinen kalten Blick auf mir spüren, daher wagte ich es nicht ihn anzusehen. Mehr konnte ich nicht ertragen.

 

„Wie kannst du dich bei mir entschuldigen, obwohl du nicht einmal mehr weißt wofür!“ Er klang nicht wütend. Mehr tadelnd und gelangweilt. Ich wusste nicht, ob das besser war oder schlechter, aber seine Worte waren nicht weniger stechend.

 

Ich nahm all meinen Mut zusammen und hob den Kopf. Unter all den Tränen konnte ich ihn nur verschwommen ausmachen. Er stand nicht weit weg von mir, die Arme verschränkt, den Blick aufmerksam auf die Umgebung gerichtet.

 

„Was habe ich getan?“

 

Ich biss mir auf die Unterlippe. Ich bereute es ihn danach gefragt zu haben.

 

„Nein… ich möchte es nicht wissen. Ich will nicht wissen was ich dir angetan habe!“ Meine Stimme wurde lauter.

 

„Ich möchte neu anfangen!“

Enthüllung

„Ich möchte neu anfangen!“ Ich erschrak als ich meinen Gedanken laut aus meinem Mund hörte. Dennoch löste er ein Lächeln auf meinem Gesicht aus. Die Verwirrung, die ich durch den Entschluss meines Vaters, entstanden war, verschwand. Eine Idee formte sich in meinem Kopf, immer greifbarer, immer wundervoller, bis sie zu einer Wahrheit wurde an der ich festhalten würde. Etwas bei dem mich niemand mehr aufhalten konnte! Vor wenigen Sekunden hätte ich noch weinen können, doch jetzt könnte ich Luftsprünge machen. Wunderbar! Fantastisch!Euphorie machte sich in mir breit und ließ meine Wangen vor Aufregung glühen. Ich musste ihn suchen gehen! Ich musste ihm sagen was ich vorhatte!Ich war einige Schritte gelaufen, als mir wieder einfiel, dass er mehr als nur wütend auf mich war. Ein gerissenes Lächeln zog sich über meine Lippen. Ich würde ihn schon noch überreden mit mir zu fliehen. Ich würde ihn sogar zwingen und erpressen wenn es notwendig wäre! Egal was es kosten würde! Ich werde mit ihm glücklich werden!

 

Denn ich konnte niemanden anderen an meiner Seite akzeptieren als Touma!

 

Mir wurde schlecht.

 

Langsam drehte sich sein Kopf in meine Richtung. Er musterte mich. Ich verbarg mein Gesicht in meinen Händen und würgte. Der imaginäre Kloß der seit meinem Erwachen in meiner Brust steckte, hatte sich vergrößert. Er war nicht mehr das was er vorher war – das Wissen meine Erinnerungen verloren zu haben. Das war er nie gewesen. Er war schon immer das Wissen etwas Unverzeihliches getan zu haben.

 

Ich habe schon immer versucht ihn herunterzuschlucken. Ihn zu ignorieren und von mir zu schieben. Aber nie war er ganz verschwunden. Ich erinnerte mich wie schwer es war meine Verzweiflung ihm gegenüber zu verstecken. Immer wurde es schlimmer, je öfter ich die Starke spielte.

 

„Ich habe ihn belogen.“

 

Meine eigene Stimme klagte mich in meinen Gedanken an.Durch eine einzige Lüge folgte ein ganzes Geflecht von Lügen. Wie ein Spinnennetz, aus der die Fliege nicht mehr entkam. Ich konnte mich nicht einmal mehr an die erste Lüge erinnern.

 

Ich hatte mir mein eigenes Verderben gesponnen.Mehr noch. Ich habe mich auch selbst belogen.

 

Szenen in denen ich versucht hatte ihm aus dem Weg zu gehen, ihn aber nicht loslassen wollte. Szenen in denen ich ihm schlimme Worte an den Kopf warf, obwohl ich sie niemals aussprechen wollte. Und Szenen ihn denen ich ihn schlug, obwohl ich nichts lieber getan hätte als ihn zu umarmen.

 

All das strömte in meinen Kopf und blieb. Blieb schmerzhaft wo sie schon immer gewesen waren.

 

„Lass uns gehen Yuzuna.“ Seine Stimme war wie Balsam für meine gepeinigte Seele. „Dein Vater wartet auf dich.“

 

Ich hatte den Unterschied bemerkt und sah ihn erschrocken an. „Mich?“ fragte ich leise. Ich erinnere mich noch genau an seine gestrigen Worte: „Man erwartet uns zu Hause.“ Er hatte immer uns beide gemeint.

 

Erst reagierte er nicht, doch dann schien ihn die Frage erreicht zu haben. Ein kurzes höhnisches Lachen ertönte. „Tut mir leid, ich dachte du hättest dich schon daran erinnert.“

 

Ich fühlte mich immer unwohler je länger er mich ansah. Ich hatte ja keine Ahnung, dass das elende Gefühl sich noch verstärken konnte.

 

Meine Gedanken rasten. An was hätte ich mich erinnern sollen?

 

„Ich werde nicht mit dir zurückkehren. Wegen dir, kann ich das nie wieder.“

 

Mir wurde eisig kalt. „Aber du bist mein Mann!“ ich schrie es fast hinaus. Meine Stimme voller Verzweiflung und Schuld.

 

„Glaubst du das noch immer?“ fragte er spöttisch. Sein Gesicht war wieder durch eine kalte, undurchdringliche Maske verdeckt. Er war so gut darin, all seine Emotionen dahinter zu verbergen.

 

Touma kehrte mir den Rücken zu und ging zum Pferd.

 

„Ich war nie dein Ehemann und werde es auch niemals sein, Yuzuna.“

Leere

Wie lange ich im Sattel saß konnte ich nicht sagen. Die Landschaft glitt still an mir vorbei, als würde sie sich bewegen und nicht ich. Ich war wie eine Tonfigur deren Inneres in Scherben lag. Alles woran ich geglaubt hatte wurde mit nur einem Wimpernschlag ausgelöscht. Wo war der Schmerz, den ich fühlen müsste? Nicht einmal an ihn konnte ich mich mehr festhalten. Ich fühlte nichts mehr. Nicht den Wind, nicht das Pferd unter mir, nicht Toumas Arme zwischen denen ich saß.

 

Mein Kopf war leer.

 

Es war fast als sei ich wieder in meinem Körper gefangen. Nur dieses Mal schloss ich mich selbst darin ein. Ich versuchte meine Existenz zu verleugnen, in der Hoffnung einfach zu verschwinden. Doch es wollte mir nicht gelingen. Meine Konzentration ließ nach und ein einzelner Gedanke stahl sich aus meiner erstarrten Seele.

 

Lügner.

 

Ich wollte keine Erinnerungen mehr hervorrufen, doch das hatte ich nicht zu entscheiden.

 

Lügner, Lügner, Lügner! Schrie ich in meinen Gedanken. Meine flache Hand traf auf sein Gesicht und hinterließ einen glühenden Abdruck. So glühend wie meine Wut. „Geh mir aus den Augen!“ sagte ich kalt. „Ich werde sie nicht verschonen nur weil du dich aufspielst wie ihr Bruder.“ Ich spuckte die Worte fauchend aus. Ich wandte ihm den Rücken zu und wollte gehen, als ich hörte wie er auf die Knie fiel. Wie aus Reflex drehte ich mich wieder um. Da kniete er, seine Stirn berührte fast den Boden. Es überraschte mich, dass er das getan hatte. Aber mehr als das Gefühl der Überraschung wallte Zorn und Eifersucht in mir auf. Wie konnte er es wagen? „Ich bitte euch Shirokawa-hime! Lasst sie gehen! Ich werde für den Schaden den sich verursacht hat aufkommen!“ Ich konnte nicht anders als kurz und gehässig aufzulachen. Wenn er nur wüsste was sie getan hatte! „Wie willst DU das denn bitte fertig bringen? Deine Einkünfte werden niemals ausreichen!“ Die Worte waren aus mir herausgerutscht als seien sie glitschige Fische die mir durch die Finger glitten. Kaum hatte ich sie ausgesprochen tat es mir leid ihn dermaßen gedemütigt zu haben, doch es gab kein zurück mehr. Sie musste bestraft werden für das was sie mir angetan hatte. Für das was sie dem Clan angetan hatte. „Ich flehe euch an! Ich werde alles dafür tun! Bitte nehmt mein Leben für das ihre!“ Er war bereit sein Leben für sie zu opfern? Ich fühlte wie etwas in mir zu zerbrechen drohte. Meine Hände ballten sich schmerzhaft zu Fäusten. Ich musste stark sein! „Wie erbärmlich! Ich dachte immer du seist zu stolz, um mich dermaßen anzubetteln.“ Meine Stimme zitterte leicht und ich hoffte, dass er es nicht bemerkt hatte. Ich ging auf ihn zu und blieb wenige Schritte neben dem Häufchen Elend stehen. Wenn er den Kopf heben würde, würde er sehen wer erbärmlicher war, also sagte ich so gefühllos und arrogant wie nur möglich:

 

„Dein Leben gehört mir, Akato Touma.“

 

Ich war nicht stark genug um ihn fortzuschicken. Stattdessen wollte ich, dass er bei mir blieb und mich hasste.

 

Denn ich war die Prinzessin des Shirokawa-Clans und Touma mein Beschützer. Egal wie sehr ich ihn auch lieben würde, er hatte Recht. Niemals würde er mein Ehemann werden. Nicht einmal wenn auch er mich lieben würde. Dessen war ich mir schon immer bewusst gewesen.

 

Ich wollte ihn so lange an meiner Seite haben bis ich bereit war ihn loszulassen.

 

Wie egoistisch von mir.

 

Langsam begannen sich meine Erinnerungsbruchstücke in die richtige Reihenfolge einzugliedern, wie Perlen an einer Kette. Dennoch waren sie noch sehr lückenhaft und ich erkannte den Zusammenhang kaum.

Die Frau die er versuchte zu beschützen. Ich kannte sie. Und ich wusste mehr über sie als er. Ich hatte ihm etwas über sie verschwiegen. Und dieses Verschweigen war der Anfang aller Lügen.

 

Ich zerbrach mir fast den Kopf darüber. Doch kein weiterer Splitter wollte zurückkehren. Die Lücke blieb leer, wie ein Stück verbrannte Erde in meinem Gedächtnis.

 

„Es tut mir leid, dass ich dich belogen habe.“ Leise drangen seine Worte in mein Bewusstsein ein.

Lange Zeit erwiderte ich nichts. „Ich habe es verdient.“ Es war nicht schlimm. Denn mein Herz war schon lange Zeit gebrochen gewesen. Ich hatte nur vergessen wie weh es tat, nicht von der Person geliebt zu werden die man mehr liebte als alles andere.

 

Die Lederzügel in seinen Händen quietschten. Er hielt sie so fest, sodass ich das Weiß seiner Knöcheln deutlich sehen konnte.

 

„Mach dir keine Sorgen. Nichts von all dem werde ich meinem Vater erzählen.“ Mein Herz wurde schwer. „Nichts was ich dir angedroht habe, wird geschehen. Ich weiß nicht mehr womit ich dich gezwungen habe mit mir wegzulaufen… aber egal was es war. Ich werde es nicht tun.“ Ich hoffte, dass er mir glaubte und mir verzeihen konnte. – Irgendwie.

Wahrheit

 

Wir wechselten kaum ein Wort miteinander. Was hätte ich auch sagen sollen? Es war zu viel zwischen uns geschehen. Und ich wünschte mir nichts Sehnlicheres, als mein Unwissen zurück. Wie friedvoll es doch gewesen war. Wie einfach es war, ihn einfach zu lieben. Wie schön es war, zu denken er würde dasselbe für mich empfinden.

 

Der Tag ging schnell vorüber und er entfachte im Wald ein winziges Feuer. Ich verstand diese Geste auch ohne ein Wort. Er hatte es wegen mit entfacht.

 

Wir hatten zwar einen Vorsprung was unsere Verfolger betraf, aber dennoch war es gefährlich ein Feuer zu entzünden. Die Dunkelheit der Nacht sowie das Blätterdach über uns, sollte den Rauch unsichtbar machen.

 

Touma saß mir gegenüber. Er hatte mir wieder seinen Haori überlassen auf dem ich nun lag. Der Boden unter mir war hart und kalt. Doch mein Körper war von der Reise so erschöpft, dass es mir nichts ausmachte. Nur die Kälte, die durch unsere Distanz entstanden war, machte mir zu schaffen.

 

Er stach ins Feuer, sodass Asche und kleine Funken aufstoben. Ich war müde, doch das Spiel des Feuers fesselte mich so sehr, dass ich die Augen nicht davon abwenden konnte. Der Stock hielt inne. „Schlaf jetzt Yuzuna. Ich passe auf dich auf.“ Ich wusste, dass er mich ansah. Aber ich wagte es nicht seinem Blick zu begegnen. Schnell schloss ich die Augen, denn es versuchten wieder Tränen zu entfliehen. Tränen die nicht geweint werden durften.

 

Irgendwann wachte ich mitten in der Nacht auf. Mein Gesicht immer noch dem warmen Feuer zugewandt. Meine Lider waren schwer doch der Schlaf verflüchtigte sich immer mehr. Er saß an einem Baum gelehnt und betrachtete den Gegenstand in seiner Hand. Ich konnte es nicht recht erkennen, denn meine Augen mussten sich noch an den Kontrast zwischen Nacht und Feuerschein gewöhnen.

 

Erst dachte ich, dass das Licht des Feuers den Gegenstand rot färbte, doch es handelte sich um meinen Kamm. Nein falsch. Der Kamm war für ihn bestimmt gewesen. Ich hatte es ihm schenken wollen.

 

Jener Kamm den ich von einem Lackwarenhändler in der Stadt erstanden hatte. Ich konnte mich damals nicht entscheiden welchen ich für ihn kaufen sollte. Doch als der Kaufmann mich erkannte holte er seine Schönsten Kämme hervor, die er besaß. Und ich verliebte mich sofort in diesen einen. Meine Wangen waren warm und ich lief eilig ins Schloss zurück um ihn zu verpacken und Touma zu schenken.

 

Doch etwas war passiert.

 

„Es war ein Geschenk an dich.“ Sagte ich leise. Seine Finger hörten auf den Kamm zu drehen. „Als Belohnung dafür, dass ich mit dir Weggelaufen bin wie ein Spion?“ die Kühle in seiner Stimme jagte mir eine Gänsehaut ein.

 

„Nein!“ sagte ich ohne nachzudenken. „Ich habe ihn gekauft, bevor ich beschlossen hatte mit dir zu Fliehen.“ Er lachte. „Fliehen? Das hört sich so unschuldig an. Wovor wolltest du fliehen, Yuzuna? Vor all dem Luxus? Vor all deiner Macht, die du so gerne auf andere angewendet hast?“ Spott, Wut und verletzter Stolz schwangen in seiner Stimme mit.

 

Ich wusste nicht wovor ich fliehen wollte. Ich fühlte mich ertappt. „Ich weiß es nicht mehr…“ Mit einem Mal wollte ich die ganze Wahrheit erfahren. Ich wollte wissen was ich getan hatte um mich richtig bei ihm zu entschuldigen. Um mich zu bessern. Um alles dafür zu geben, dass er mich nicht mehr hasste.

 

„Wieso hast du ihn nicht angenommen als ich dir den Kamm gab?“ fragte ich, all meinen Mut aufbringend. Er seufzte genervt. „Wieso sollte ich einen Kamm annehmen, von einer Frau die mich auf tiefste hasst und mich mit schmutzigen Mitteln dazu bringt Verrat zu begehen?“

 

Ich war auf das Schlimmste gefasst gewesen, dennoch waren diese Worte nicht weniger schmerzhaft. „Ich habe dich nie gehasst, Touma.“ Sein Blick war wachsam, misstrauisch. Doch ich hatte kurz nachdem ich den Satz vollendet hatte einen Funken von Erstaunen und vielleicht Hoffnung gesehen.

„Achja? Wieso hast du mir dann gedroht Yuiko zu töten und mich als Verräter anzuklagen wenn ich nicht mit dir käme?“ Er sah mich fordernd und provozierend an. Er drängte mich wie ein wildes Tier in die Ecke. Ließ mich die Verzweiflung noch intensiver spüren als ohnehin schon. Ein Strudel voll mit Emotionen und Erinnerungen ergriffen meinen Geist. Mir wurde schwindelig, denn ich konnte keinen klaren Gedanken darin erfassen. Ich wollte dass es aufhörte! Sofort!

 

„Ich wollte dass du sie endlich vergisst! Ich wollte mit dir ein neues Leben anfangen! Ich wollte der Verlobung mit Lord Higuchi entfliehen!“ Ich schrie. Ich schrie und die Tränen die ich zurückgehalten hatte liefen meine Wangen unaufhaltsam hinunter.

 

„Aber das Wichtigste davon war, dass ich mich bei dir entschuldigen wollte. Ich wollte…“ ich verschluckte mich und kämpfte um eine klarere Stimme.

 

„Die Wahrheit ist, dass ich dich immer geliebt habe.“

 

Ich hatte nicht mehr die Kraft dazu ihm zu erklären warum ich all diese widersprüchlichen Dinge getan hatte. Warum ich ihn so gedemütigt hatte. Warum ich wollte, dass er Yuiko vergaß. Meine Erinnerungen an dieser Frau waren noch nicht vollständig zurückgekehrt. Ich hatte nur das Gefühl, dass sie nicht die war für die er sie hielt.

 

Verzweifelt sah ich ihn mit tränennassem Gesicht an. Voller Hoffnung, dass er verstand. Verstand warum ich jene Dinge getan hatte.

Offenbarung

Er schien das Gehörte nicht verstehen zu wollen, denn ich erkannte Unglauben und Zweifel. Dann legte er seine Stirn in seine rechte Hand, sodass ich sein Gesicht nicht mehr ergründen konnte.

 

Ich bewegte mich nicht. Wie erstarrte saß ich da und wartete darauf, dass er etwas sagte. Die Zeit schien still zu stehen. Nur das Knistern des Feuers war noch zu hören und mit jedem Wimpernschlag der verging, wurde mein Herz schwerer.

 

„Du sollst Lord Higuchi heiraten?“ war das erste was er sagte, ohne seinen Kopf zu heben. Ich bejahte leise, denn das war die Wahrheit. Mein Vater hatte uns einen Brief zukommen lassen. Mutter hatte ihn gelesen und sofort nach mir geschickt. Sie war ganz aufgeregt als sie mir freudig mitteilte, dass mein Vater beschlossen hatte mich zu verheiraten. Die Freude über die bevorstehende Heirat war größer als der Umstand, dass es sich um einen Higuchi Sohn handelte. Einen Feind unseres Clans.

 

„Vater schrieb in dem Brief, der Higuchi Clan wolle ein Bündnis mit uns eingehen, denn…“ er unterbrach mich, bevor ich den Satz vollenden konnte. „Er hat dich für ein Bündnis mit unserem Feind verkauft.“ Scharfe Worte für die er hart bestraft worden wäre, wenn die falschen Personen sie vernommen hätten. Doch ich fühlte genauso.

 

„Sie haben schwere Verluste einstecken müssen. Eine Heirat wäre dieses jämmerliche Bündnis nicht wert.“ Er schnalzte missbilligend mit der Zunge.

 

„Und dennoch hat mein Vater es so beschlossen.“ Ich wollte es sachlich klingen lassen, konnte aber die tiefliegende Abneigung nicht ganz verbergen.

 

„Wieso zum Teufel, gibt er den Higuchis nicht Lady Hanako?!“

Ich sah erschrocken zu ihm auf. Seine Stimme war erfüllt von Wut, seine Worte voller Verzweiflung und nichts anderes konnte ich in seinem Gesicht erkennen.

 

„Sie wird nicht das Land erben, wenn deine Brüder im Krieg fallen sollten. Nicht, dass ich das heraufbeschwöre, aber diese Higuchi Bastarde sind hinterlistige Hunde! Dein Vater kann manchmal viel zu gutgläubig und weichherzig sein!“

 

Der Zorn hatte sich seiner bemächtigt und ließ ihn Dinge sagen für die er mit dem Tode bestraft wäre. Seine politischen Schlussfolgerungen konnte ich nachvollziehen, doch ich war enttäuscht über das was er sagte. Er überging meine Offenbarung ihm gegenüber und schien sich nicht über meine Gefühle zu kümmern.

 

Das taten Männer wohl nicht.

 

Nicht mein Vater.

 

Nicht Touma.

 

Ich versank gerade wieder in Selbstmitleid als ich erkannte, dass ich seinen Zorn ausnutzen konnte.

 

„Dann verstehst du als warum ich mit dir geflohen bin?“

 

Ich wäre mit niemandem sonst geflohen, doch das hatte er nicht erkannt…Doch jetzt genügte mir seine rationale Sichtweise für mein Vorhaben.

 

Unsere Blicke trafen sich und plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, ob er mich wirklich nicht verstanden hatte.

 

Es trat eine Stille ein, die mehr ausdrückte, als Worte es jemals gekonnt hätten.Doch das Einzige was er zu mir sagte war:

 

„Du solltest schlafen, Yuzuna. Wir haben morgen einen langen Tag vor uns.“

 

Einen Moment starrte ich ihn fassungslos an. Ich hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, dass er mir zustimmen würde und mit mir umkehrte. Zurück zu Chiyo. Zurück in ein unbekümmertes Leben.

 

Der rote Kamm lag noch immer in seiner Hand und er sah nicht danach aus, als würde er noch ein weiteres Wort verlieren. Also gab ich mich meinem Schicksal hin und kroch unter die Decke. Die Tränen und all die wirren Erinnerungen hatten mich ausgelaugt und so schlief ich schneller ein, als ich dachte.

 

Ich wachte durch die Geräusche des Sattelns auf. Die Sonne war gerade am Horizont auf gegangen und der Nebel des Waldes hing noch im Gras. Es war kühl, doch je höher der heiße Himmelskörper gestiegen war, desto wärmer wurde es.

 

Unser Frühstück nahmen wir auf dem Pferd ein. Der Tag unterschied sich kaum von dem Gestrigen. Wir beide brauchte Zeit zum Nachdenken und so schwiegen wir uns an. Es frustrierte mich, dass ich von ihm keine klare Antwort bekommen hatte. Ich merkte, dass ich mich langsam damit abfand, von ihm gehasst zu werden.

 

Dieses Gefühl war mir nicht neu.

 

Es war später Nachmittag als er das Wort wieder an mich richtete. „Du hast Yukio verbannt weil du eifersüchtig auf sie warst.“ Er klang neutral, fast schon geistesabwesend. Ich wusste nicht ob ich etwas erwidern sollte und schwieg. Die Hufe des Pferdes klangen lauter als gewöhnlich. Meine Aufmerksamkeit galt ganz dem Mann hinter mir.

 

Meine Erinnerung an diese Frau waren verzerrte Schemen in meinem Gedächtnis.Hatte ich Yukio tatsächlich aus reiner Eifersucht verbannt? Das würde sich jedenfalls mit all den Taten decken. Sie war eine wichtige Person für Touma. Wieso hätte ich sie verschonen sollen, wenn ich gewollt hatte, dass er mich hasste?

 

Das schlimme daran war, ich hatte es geschafft. Der Erfolg meines Handelns war deutlich zu spüren.

 

Da ich nicht reagierte, zog er den Kamm aus seiner Ärmeltasche heraus und hielt ihn mir vors Gesicht. „Deshalb hast du dieses Stück gekauft.“Ich verstand nicht worauf er hinaus wollte und nahm es langsam in die Hand. „Ich weiß nicht mehr aus welchem Grund ich ihn dir schenken wollte.“

 

„Sie hat mir jeden Morgen das Haar gekämmt.“ Erklärte ungeduldig. „Erinnere dich gefälligst an sie! Du hast ihr Unrecht getan!“ Er war verärgert und ich konnte es ihm nicht verübeln.

 

Ein Bild schlich sich in meine Gedanken in denen ich Yukio dabei beobachtete, wie sie Touma das Haar kämmte und zurück band. Für mich war dies schon immer ein Zeichen von inniger Verbundenheit gewesen. Und ich war eifersüchtig darauf. Ich wollte an ihrer Stelle sein.

 

Sie schien ihm mehr zu bedeuten als ich, obwohl er mir immer und immer wieder aufs neue gesagt hatte, dass ich das Wichtigste in seinem Leben sei.

 

Dieser Erinnerungssplitter füllte eine Lücke aus. Ich hatte ihn einen Lügner geschimpft, weil Yukio diejenige war, die wichtiger war als ich. Für sie hatte er mir sein Leben angeboten.

 

„Sie hat gestohlen.“ „Ich weiß.“ Eine kurze Pause entstand als ich nachdachte, denn es war nur ein Haarband gewesen. „Lasst sie einfach.“ Mein Blick wurde ernst. „Du behelligst sie deswegen nicht und sagst es sonst keinem! Du weißt was dir sonst blüht!“„Aber Shirokawa-hime!“ Ich funkelte sie böse an, doch sie sprach einfach weiter. Ihre Augen waren vor Aufregung und Angst geweitet.„Sie hat nicht nur Euch bestohlen! Yukio hat euren Vater, Lord Shirokawa, ebenfalls bestohlen!“ Ich war kurz verwirrt und verstand nicht was sie mir damit sagen wollte. „Sie hat Vater bestohlen?“ fragte ich ungläubig. Das Mädchen nickte heftig und verschluckte sich fast an ihren eigenen Worten, als sie hastig weiter erzählte. „Sie hat Pläne notiert und auch Briefe…“ „Halt den Mund!“ fuhr ich sie aufgebracht an. „Wenn du auch nur ein weiteres Wort darüber verlierst, wirst du teuer dafür bezahlen müssen! Zu NIEMANDEM ein Wort! Hast du verstanden?!“ Sie war zusammengezuckt und sah mich angsterfüllt an. Genau diese Emotionen wollte ich in ihrem Gesicht sehen, doch es reichte nicht. Ich öffnete meine Lackschatulle und entnahm eine Haarnadel daraus. „Nimm und schweig.“ Sagte ich kühl und hielt sie ihr hin. Ihre Augen fingen an zu leuchten, als sie das Gold erblickte und vorsichtig in die Hand nahm. „Ihr seit zu gütig, Shirokawa-hime. Habt vielen Dank. Eure Dienerin Momoko gehorcht!“ Hätte ich sie nicht hinausgewunken, wären ihr sicher noch mehr Worte des Dankes eingefallen.

 

Mein gesamter Körper war bis zum Zerreißen angespannt. „Du weißt was zu tun ist.“ Sagte ich in den leeren Raum hinein, als die Schritte des Mädchens verklungen waren. Der Fusuma zu meiner Linken glitt zur Seite und der Mann dahinter verbeugte sich. „Sehr wohl, Prinzessin.“ Ich hatte mich nicht zu ihm umgedreht, doch meine Worte allein hielten ihn davon ab zu gehen. „Ich möchte nicht, dass ihr sie tötet… Noch nicht.“

 

„Ich war eifersüchtig auf sie.“ Gab ich schließlich zu. „Aber ich wollte auch, dass du mit ihr glücklich werden könntest, wenn ich bereit gewesen sein würde, dich loszulassen. Ich hatte mir geschworen dich mit ihr gehen zu lassen, wenn mein Vater einen Mann für mich gefunden hätte. Doch….“ Touma hörte mir stumm zu und wartete geduldig bis ich fortfuhr.

 

„Dann tat sie etwas, was ich ihr nicht verzeihen konnte.“

 

Keiner hätte ihr dieses Vergehen verzeihen können. Sie hatte Verrat begangen. Für ein solches Verbrechen dieser Art, war der Tod die einzige Strafe. Wäre nur ein Wort dieser Zeugin nach außen gedrungen, wäre Yukio ohne umschweife exekutiert worden.

 

Ich konnte Touma nicht die Wahrheit über seine Kindheitsfreundin erzählen.

 

Er hätte die Wahrheit nicht verkraftet. Sie hinterging nicht nur den Clan, sondern auch ihn. Hätte er herausgefunden was Yukio getan hatte, dann hätte er sie mit hoher Wahrscheinlichkeit eigenhändig getötet und es sich anschließend niemals verzeihen können. Seine Loyalität zum Shirokawa-Clan war schier grenzenlos.

 

Er hätte sich damit selbst zerstört.

 

Ich kannte ihn. Ich kannte ihn zu gut.

 

Daher nahm ich seinen Hass mir gegenüber in kauf.

 

Ich verbannt sie, statt sie töten zu lassen. In der Hoffnung er könne sie an dem Tag wiedersehen, an dem ich breit war ihn gehen zu lassen.

 

Kuroda hatte dem Murayama-Clan falsche Informationen zukommen lassen, denn er fand heraus, dass Yukio ihre Informationen an unseren größten Widersacher verkauft hatte. Unter anderem ließ er die Information durchsickern, dass Yukio ermordet worden sei. Sie war sicher vor dem Murayama-Clan und ich schickte sie fort mit der Bedingung, dass sie niemandem von ihrem Vergehen erzählen würde.

 

„Yukio hätte niemals etwas gestohlen! Du hattest nur das Wort dieser Zofe! Sie zu verbannen war eine viel zu harte Strafe!“ Er war aufgebracht und ich konnte die Hitze seiner Wut spüren.

 

Ich ging nicht darauf ein. „Du kannst du ihr.“ Mein selbst gewählter Schwur hatte sich bereits erfüllt. Zu Hause würde eine Verlobung auf mich warten. Meine Gefühle für Touma würden alles nur noch verkomplizieren. Es war Zeit ihn ziehen zu lassen.

 

„Sie ist auf der Insel Midorijima. Du kannst mit ihr gehen wohin du willst. Das einzige was ich von dir Verlange, ist dein Wort, dem Shirokawa-Clan niemals Schaden zuzufügen.“

 

Wie würdest du dich fühlen, die Liebe deines Lebens loslassen zu müssen?

Ankunft

Plötzlich hielt er das Pferd an und stieg ab.

 

Er sah genauso aus, wie ich ihn mir vorgestellt hatte.

 

Seine Brauen waren verärgert zusammengezogen und seine Augen funkelten gereizt. Allein seine kurzen Haare irritierten mich für den ersten Moment. Meine Erinnerungen waren mit aller Macht zurückgekehrt und ich hatte mich wohl noch nicht an sein kurzes Haar gewöhnt.

 

„Du willst, dass ich gehe?“ Er erwartete keine Antwort von mir.

 

„Du willst mich nicht mehr in deiner Nähe? Du entbindest mich von meinem Schwur?“Natürlich wollte ich ihn noch immer nicht fort lassen. Aber ich wollte nicht mehr egoistisch sein. Ich hatte ihn lange genug festgehalten und ihn behandelt als gehöre er mir allein. Als hätte er keine eigenen Träume.

 

Welches Recht räumte mir ein, ihn für immer für mich zu beanspruchen?

 

„Wieso glaubst du überhaupt, dass ich mit Yukio leben wollte?“

 

Sein Gesicht hatte sich verändert. Er wartete auf eine Reaktion von mir, doch ich widerstand seinem alles durchbohrenden Blick und wandte mich ab.

 

Yukio war ihm wichtiger als ich.

 

„Du hast es selbst einmal gesagt, Yuzuna.“ Seine Worte waren weicher, doch die Verärgerung war noch nicht ganz verschwunden.

 

„Mein Leben gehört dir. Ich habe einen heiligen Eid geleistet, dich für immer zu beschützen. Und nun trittst du diesen Eid mit Füßen?“

 

Meine Liebe zu ihm durfte nicht sein.

 

Ich rang um Worte. Ich suchte die Richtigen um ihm zu sagen, dass er gehen musste. Dass er glücklich werden sollte. Auch wenn es ohne mich war. Ich wollte ihn um Verzeihung bitten, für all die impulsiven Dinge die ich getan hatte.

 

Er sollte glücklich werden, weil ich es nicht konnte.

 

Doch ich fand keine Worte und blieb stumm.

 

Ich litt alleine.

 

 

 

Wir blieben lange so.

 

Er stand neben dem Pferd und sah mich an. Ich saß auf dem Pferd und starrte in die Leere.

 

Es waren keine Tränen mehr in meinem Herzen verblieben. Es war hart und verdorrt.

 

Touma stieg nicht wieder auf. Die Zügel lagen locker in seiner Hand, während er neben dem Braunen her lief. Ich hatte keine Augen für die Landschaft um mich. Selbst die Geräusche waren nicht mehr für mich existent.

 

Ohne dass ich es bemerkte, erreichten wir, kurz vor Anbruch der Nacht, die Stadt. Erst als Touma das Pferd ein weiteres Mal anhielt, erkannte ich wo wir waren.

 

Die Stadt Toku lag bereits hinter uns und vor uns ragte die Burg meines Vaters in den Nachthimmel empor. Die Anhöhe auf dem sie stand, ließ sie noch größer und mächtiger wirken als sie ohnehin schon war. Das weitläufige Areal um die Burg, wurde von hohen steilen Mauren geschützt. Sie waren so glatt geschliffen, dass niemand sie ohne großes Aufsehen überwinden konnte.

 

Die Sonne war bereits unter gegangen und wir mussten noch ein Stück zurück legen, bevor der Wachposten uns erkennen würde.

 

„Steig ab, Yuzuna.“ Er sprach nicht sehr laut, aber ich hatte ihn gehört. Reiter zogen das Misstrauen der Wachen auf sich, daher war es geschickter den Rest zu laufen.

 

Touma hatte die Arme ausgestreckt um mir vom Pferd zu helfen und ich zögerte einen Moment. Es war womöglich die letzte Gelegenheit ihn zu berühren und ich war mir dessen schmerzlich bewusst. Ich verscheuchte den Gedanken und glitt hinunter in seine Arme.

 

Er ließ mich nicht los als er mich abgesetzte hatte, sondern griff nach meiner Hand und zog mich zu der nächstgelegenen Baumgruppe. Er presste mich gegen einen der Stämme, einen Arm noch immer um mich gelegt. Ich war erschrocken und wusste nicht was vor sich ging. Waren die Murayamas hier in der Nähe? Oder andere Feinde? „Was ist los Touma?“ fragte ich leise, aber panisch.

 

Er antwortete mir nicht und lauschte in die Nacht hinein. Ich konnte nichts erkennen, denn es war viel zu dunkel. „Touma?“ fragte ich noch einmal.

 

Anstatt mir zu antworten zog er mich näher an sich. Er legte seine freie Hand auf meine Wange und hob mein Kinn etwas an. Die Dunkelheit verdeckte sein Gesicht, aber ich spürte seinen Blick auf mir.

 

Er zögerte einen Wimpernschlag, genauso wie er es getan hatte, als ich in Chiyos Haus aufgewacht war.

 

Es war als ob meine Sinne um ein vielfaches geschärft worden wären.

 

Zuerst spürte ich seinen Atem auf meiner Haut. Dann berührten sich unsere Lippen. So zart, dass man es kaum spüren konnte, doch in diesem Moment machte mein Herz einen Sprung. So Heftig, dass ich dachte ich würde sterben.

 

Doch ich wollte nicht sterben, nicht jetzt.

 

Sanft, aber nachdrücklich und entschlossen, ohne einen Zweifel in meinem Herzen zu hinterlassen, küsste er mich inniger.

 

Und ich spürte all die unterdrückten Gefühle, die er für mich empfand. Ich erkannte mit einem Mal, was er fühlte. Was er je gefühlt hatte.

 

Ich litt nicht alleine.

 

Ich liebte nicht alleine.

 

Wir waren beide in diesem grausamen Schicksal gefangen.

 

Er löste sich langsam von mir, ließ mich aber nicht los.

 

„Ich wünschte, ich hätte ein wenig länger dein Mann sein können.“ Ich spürte seine Sehnsucht, denn es war auch meine.

 

Treue

Dieser Kuss kam so unvorhergesehen, dass alle möglichen Emotionen mich zu überwältigen drohten. Es war als wäre ich in tausend Decken umwickelt worden, sodass die Worte verzögert mein Bewusstsein erreichten. Meine Gedanken waren chaotischer denn je.

 

Ich hätte nicht glücklicher sein können, doch gleichzeitig wusste ich, dass diese Liebe auf ewig ein Geheimnis bleiben musste.

 

„Ich wünschte ich wäre deine Frau.“ Ich wollte nicht seine Frau für eine begrenzte Zeit sein. Ich wollte, dass es für immer war.

 

Wie dumm wir beide doch waren.

 

„Ich… möchte nicht zurückkehren.“ Meine Augen wanderten zur schwarzen Silhouette der Burg. Darin wartete nichts was mich glücklich machen würde.

 

Alles was ich wollte war er.

 

Ich spürte, wie er den Kopf schüttelte.„Du bist die Tochter Shirokawa Kenichis. Du hast Pflichten zu erfüllen und Verantwortungen zu tragen.“ Sein Daumen strich sanft über meine Haut. „Ich bin es nicht wert, die Macht der Shirokawa aufs Spiel zu setzten.“

 

Es machte mich traurig zu hören, wie er sich selbst als unwichtig beschrieb.

 

Er war alles für mich.

 

„Du hast selbst gesagt, dass dieses Bündnis eine Farce sei.“ Ich wollte weiter sprechen, doch er unterbrach mich.

 

„Und doch ist sie nützlich.“

 

Seine Hand glitt von meiner Wange und hinterließ nur Kälte.

 

„Jede Allianz stellt für unsere Kontrahenten eine größere Gefahr dar. Sie stärkt uns und schwächt den Feind.“ Er merkte selbst wie sachlich und belehrend das klang und seine Stimme veränderte ihren Ton ein wenig. „Wenn du die Higuchis ablehnst, wird das Land der Shirokawa das Erste sein, das ihren Zorn zu spüren bekommt. Sie werden einen willigeren Bündnispartner finden.“

 

Er brauchte mir das nicht sagen. Ich wollte es nicht hören. Ich wusste selbst was von meinem Handeln abhing.

 

„Wie kannst du nur so stark sein?“ fragte ich ihn unwillentlich. „Warum bist du nur so loyal zum Clan meines Vaters?“ Ein winziges Korn des Zweifels war in meinem Herzen entstanden.

 

Der Clan war ihm wichtiger als ich?

 

„Weil du ein Teil dessen bist.“

 

„Ich brauche das Alles nicht!“ Jetzt war es an mir wütend zu werden. Doch meine Wut entstand durch reine Verzweiflung. Verzweiflung die meine Hoffnung verbrannte.

 

Toumas Hände umfassten mein Gesicht und mein rasendes Herz beruhigte sich durch seine Berührung. „Shirokawa Yuzuna.“ Sagte er langsam. Er musste mich nicht bei meinem Namen nennen, denn meine Aufmerksamkeit galt bereits ihm. „Du könntest deine Familie nicht verlassen. Du würdest es eines Tages bereuen, sie alleine mit der Konsequenz zurückgelassen zu haben, die du heraufbeschworen hattest. Du wärst auf ewig unglücklich, wenn du realisierst was du getan hast.“

 

Er hatte Recht, mit dem was er sagte.

 

„Ich täte nichts lieber als mit dir zu gehen. Dorthin wo es keine Clans gäbe. Dorthin wo wir Menschen wären, die nur sich selbst verpflichtet wären.“

 

Ich bettete meinen Kopf an seine Brust und fand dort Trost, vor all der Ungerechtigkeit die uns heimsuchte. Er schlang seinen Arm um meine Taille und seine rechte Hand lag schützend auf meinem Hinterkopf.

 

„Aber ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn du durch diese selbstsüchtigen Wünsche unglücklich werden würdest.“

 

Er küsste mein Haar und ich sog all die Empfindungen auf, die seine Nähe in mir auslöste. Ich würde diese Erinnerungen wie einen Schatz in meinem Herzen aufbewahren. Dort, wo sie mir niemand nehmen konnte.

 

„Was auch immer geschehen mag. Wen auch immer du heiraten wirst. Ich werde immer an deiner Seite sein.“ Die Entschlossenheit in seiner Stimme war stark. Denn es war ein Schwur, der noch heiliger war, als jener den er vor meinem Vater gesprochen hatte.

 

„Denn mein Leben gehört dir.“

 

Ich beneidete ihn darum, sein Leben jemandem widmen zu können den er liebte.

 

Meines gehörte nicht mir allein.

 

Es gehörte dem Frieden des Landes.

 

Es gehörte der Macht des Clans.

 

Ich konnte ihm mein Leben nicht geben.

 

Doch ihm allein gehörte meine Liebe.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 17.03.2014

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