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Die Hinterfragung der moralischen Identität

In den luftigsten Höhen thronte ein Schloss aus purem Gold und erhabenen Elfenbein, welches auf einen Berg mit beschwerlichen Pfaden ruhte. Es war das Zentrum einer Welt aus reinem Licht und auf dem Thron saß ein weiser Himmelskönig namens Emwoit der Stellvertretend für alles Gute stand.

Er hatte sich dereinst von einem bescheidenen als auch rechtschaffenden Mann mittels edelmütiger Taten die Hierarchie hochgearbeitet. Doch seit einiger Zeit beschäftigte ihn eine Frage die ihn nicht mehr losließ...


In den tiefsten Abgründen thronte ein Schloss aus bleichen Gebeinen und schwarzen Stein, welches auf einen Gebirge von Leichen errichtet worden war. Es war das Zentrum einer Welt der puren Finsternis und auf dem Thron saß ein grausiger Höllenkönig namens Lowikz der Stellvertretend für alles Böse stand.

Er hatte sich einst von einem listigen und ruchlosen Mann durch blutige Taten die Hierarchie hochgemetzelt. Doch seit einiger Zeit beschäftigte ihn eine Frage die ihn nicht mehr losließ...


Was war das Gute?


Was war das Böse?


Erneut richtete Emwoit über einen seiner Diener, von welchem er glaubte, er hätte das Zeug sein Nachfolger zu werden. Allerdings musste er dafür über einen reineren Charakter verfügen als der Himmelskönig selbst. Doch er merkte, dass lediglich sein Ehrgeiz den Platz als Himmelskönig einzunehmen sein Handeln bestimmte. Ihm mangelte es eindeutig an Selbstlosigkeit.

Schon wieder eine bedeutungsschwere Niederlage.


Lowikz hatte sein Haupt nachdenklich auf seine geballte Faust gelegt, doch ein Geräusch ließ ihn seinen Kopf aufrichten. Ein dunkler Schatten hatte sich hinter ihm positioniert und versuchte ihn zu meucheln. Nur der Stärkste hatte das Recht sich Höllenkönig zu schimpfen. Doch als der unbekannte Angreifer sprang und für einen Augenblick über ihn schwebte, schlug der Höllenkönig lustlos zu. Wer der Meuchler war würde nur schwerlich herauszufinden sein. Von ihm war nur ein blutiger Klumpen übrig, der durch das eben entstandene Loch in der Decke flog. Lowikz war derart stark, dass jegliche Konfrontation schon nach einem einzigen Schlag beendet wurde. Dem Angreifer mangelte es an der nötigen Stärke ihn zu töten und seinen Platz einzunehmen.

Schon wieder ein bedeutungsloser Sieg.


Was war das für eine Leere die er schon so lange verspürte? Gab es niemanden der Reiner war als er selbst?/Gab es niemanden der Stärker war als er selbst? War er nicht der Himmelskönig/Höllenkönig geworden von dem er so sehnsuchtsvoll geträumt hatte? So rein, dass jeder andere wie ein Lump gegen ihn wirkte./So stark dass er jeden Gegner mit nur einem einzigen Schlag vernichtete. Also was war das für eine Leere die er schon so lange verspürte? Was bedeutete es gut/böse zu sein? Es gab nur einen Weg dies herauszufinden.

Er öffnete einen Spiegel der Dimensionen. Dort suchte er nach interessanten Helden/Schurken. Sie und ihr Werdegang sollten ihm Antworten liefern. Und er fand Personen nach denen es ihm gelüstete. Manche Helden waren heuchlerisch, unkonventionell oder einfach nur naiv. Manche Schurken waren gerissen, unkonventionell oder einfach nur zart besaitet. Doch waren sie seiner würdig und der Beantwortung jener existenzieller Frage?


Fortsetzung folgt...

Der alte Dunkelelf und seine Tochter

Die Zeiten des Bösen waren vorüber und nun verbrachte der einstige dunkle Herrscher Azrulah sein Leben im Exil einer längst aufgegebenen Zwergenkolonie auf einer bergigen Halbinsel. Seine Heere waren schon vor langer Zeit zerschlagen worden und er selbst war nun alt und gramgebeugt – von der Zeit gezeichnet. Ihm war kaum etwas geblieben. Nur ein paar Regale voller Bücher, ein dutzend Handlanger, zwei Schiffe, ein Vertrauter und seine missratene Tochter. Die Zeit verbrachte er an einem muffigen alten Kamin und las Bücher, die nur dazu dienten die Zeit totzuschlagen bis der Tod ihn aufsuchen würde, was noch lange dauern mochte, da Dunkelelfen sehr alt werden konnten. Abgesehen vom Lesen gab es da nur noch Termitz, ein untoter Schwarzmagier, welcher ihn schon während seiner glorreichen Zeiten gedient und beraten hatte, doch heutzutage blieben ihnen beiden nur noch die Gespräche über jene goldene Tage und die Furcht vor der Zukunft.

»Unsere Kultur war damals vollkommen. Wir hatten die Perfektion erreicht«, neigte der alte Elf zu sagen.

»Und dann sind wir von einem Haufen Barbaren und unseren weibischen Vettern fast ausgerottet worden. Ja, ja, wir kennen diese Geschichte zur Genüge. Wie viele Jahrhunderte wirst du noch über den Verlust deines Volkes jammern?«, fragte Termitz, während er verschiedene Bücher aus dem Regal nahm und sie sich unentschlossen ansah.

»Der Verlust der Dunkelelfen ist zu verkraften gewesen. Ich und meine geliebte Frau waren ja noch da. Und wir hatten nach unserer vernichtenden Niederlage immer noch Hoffnung auf bessere Tage. Wir träumten davon, wie wir uns aus der Asche erheben würden. Besser, stärker, bösartiger, erinnerst du dich?«

»In meinem Hirn schmausen zwar die Maden und Würmer, aber deswegen bin ich noch lange nicht senil. Ich erinnere mich noch an unsere Abenteuer, als wir mit unserer kleinen Truppe durch die Weltgeschichte zogen auf der Suche nach den wildesten und gefährlichsten Kreaturen die dieser Kontinent zu bieten hatte.«

»Ja,«, ächzte der Elf und wirkte mit einem Male noch älter und müder als sonst. »Die Wildheit eines Werwolfes, die Bösartigkeit eines Vampires, die verführerische Stimme einer Sirene und die schwarze Magie der finstersten Dämonen, um nur die Höhepunkte herauszugreifen. Das alles sollte mit dem königlichen Blute der eleganten Dunkelelfen gepaart werden, um eine neue Generation unserer Rasse hervorzubringen. Meine Frau trug dieses Unheil aus und starb bei der Geburt.«

»Ich vermisse sie und ihren makaberen Humor. Unser wilder Haufen ist seit ihrem Dahinscheiden nur noch ein trostloser Haufen. Dich hat es am allermeisten getroffen. Seitdem bist du nicht mehr derselbe blutrünstige Krieger, der einst den Kontinent erobert hatte. Du hast danach einfach deinen Biss verloren.«

»Vermutlich ist das auch der Grund wieso Quitwihr so missraten ist.«

»Gib dir nicht die Schuld an ihren Versagen. Niemand konnte ahnen, dass deine Brut so unvollkommen ist. Damals hatte niemand damit gerechnet, dass deine Tochter so eine Frohnatur sein würde, die unsere wundervoll finsteren Stollen mit Gänseblümchen verschandeln würde.«

Azrulah vollführte eine wegwerfende Geste. »Ich hätte ihr exzentrisches Verhalten früher merken müssen. Schon damals als sie mich umarmt hatte, um mir zu sagen, wie sehr sie mich doch lieb hat. Pfui, Spinne! Bei allen finsteren Göttern, als ich in ihrem Alter war, habe ich meinem Vater gehasst und ihn dies auch spüren lassen, indem ich ihn ins Gesicht spukte. Was soll ich nur tun, Termitz? Ich habe alles versucht. Als ich mit ihr ein paar Abenteurer foltern wollte, dachte sie, dass es das Passendste wäre ihnen Tee zu servieren und mit ihnen über ihre emotionalen Probleme zu reden, statt sie auszupeitschen oder ihnen die Bäuche aufzuschlitzen, um ihnen glühende Kohlen in die Mägen zu legen.«

Der Untote gluckste. »Ja, das war was!« Doch er verstummte sofort, als ihn das faltige Gesicht finstere Blicke zuwarf. Räuspernd versuchte er das Gespräch in eine positivere Richtung für sein Seelenheil zu lenken. »Sie hat aber auch ihre guten Seiten. Weißt du noch, als du ihr die Befehlsgewalt über die Holzfäller-Einheit gegeben hast, die die magischen Feenwälder roden sollten und sie sich dagegen gesträubt hatte, nachdem herauskam, dass dort eine seltene Art von… Äh, was war das nochmal?«

»Eine Art Specht, glaube ich.«

»Irgendwie so etwas. Sie hat uns darauf hingewiesen wie unklug es doch ist, sich sinnloser Zerstörung hinzugeben, wenn man die Weltherrschaft anstrebt. Unsere Welt befindet sich in einem empfindlichen Gleichgewicht. Wenn wir nicht aufpassen, herrschen wir am Ende nur noch über einen Berg aus Asche.«

Nicht besonders überzeugt rümpfte Azrulah die Nase.

»Och, komm schon! In unserer Jugend haben wir so einige Landstriche aus purer Laune verwüstet und haben es im Rückblick bereut.«

»Ich habe es nie bereut«, behauptete der Elf starrhalsig. »Behandelt sie eigentlich diese geraubten Straßenkinder gut, die wir ihr vor zwanzig Jahren als Sklaven zum Geburtstag geschenkt haben?«

»Du meinst die, die die Orks aus einem der Dörfer entführt haben? Wie man es nimmt. Sie foltert sie nicht und nach allem was man hört, werden sie sogar mit unserem Gold regelmäßig bezahlt. Wenn ich es richtig mitbekommen habe, bezeichnet Quitwihr sie sogar als „Freunde“.«

»Widerliches Gewürm! Wie kann sie sich nur mit diesem Dreck auf eine Stufe stellen! Weiß sie denn nicht, was uns die Menschen angetan haben!« Hustend klopfte sich die einstige Geißel der Welt gegen die Brust, da sie sich an ihrer eigenen Wut verschluckt hatte. »Was soll nur aus ihr werden, wenn ich nicht mehr bin? Nie im Leben könnte sie ein Reich führen. Mich wundert es, dass die Orks sie nicht schon längst vergewaltigt haben.«

»Ich schätze, derartige Gedanken sind nach der letzten Revolte gestorben. Du erinnerst dich? Dieser Ork mit Namen… Ach ich vergesse ihn immer, ist aber auch egal … war jedenfalls ein ganz Gewiefter, dieser Typ. Er hatte die anderen aus der Holzfäller-Einheit auf seine Seite gebracht und versuchte die Macht an sich zu reißen. Immerhin besteht die Führung aus, wenn du mir verzeihst, zwei alten Haudegen und einem wunderlichen Kind. Ich habe sie im Schatten beobachtet, wie er mit seinen Schlägern im Rücken auf unsere Quitwihr zugegangen ist und meinte, dass nun er derjenige sei, der das Sagen hätte. Weißt du, was deine Tochter darauf geantwortet hat?«

»Ich kann es mir bildlich vorstellen.«

»Sie fragte ihn allen Ernstes nach seinen Qualifikationen als böser Herrscher. Das hat ihn derart aus dem Konzept gebracht dass er sich auf sie stürzen wollte, doch sie hat ihn mit einem schnellen Handkantenschlag getötet. So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen. Sie hat ihn mit bloßen Händen enthauptet und zwar sauber enthauptet. Mit bloßen Händen, Azrulah!«

»Vielleicht ist ja doch noch nicht alles verloren. Aber irgendwie müssen wir sie dazu bringen, dass ihr brutales Wesen erwacht und sie endlich meinen Platz einnimmt. Ich träume schon davon wie sie mich im Schlaf erdolcht. Hörst du mich, Termitz?! Ich will, dass sie sich endlich wie eine richtige Dunkelelfenprinzessin benimmt und den Traditionen gemäß ihre Familie abschlachtet. Als ich den Thron bestieg, metzelte ich mich durch den halben Adel. Ich tötete sie alle. Meine Brüder, Vetter, Neffen, Onkels. Und meine weibliche Verwandtschaft vergiftete ich, damit sie keine männlichen Nachkommen zeugen konnten die Anspruch gehabt hätten. Das waren noch Zeiten! Damals wäre niemand auch nur im Traum auf die Ideen gekommen, die meinem Balg durch den Kopf schwirren. Sie gibt sich Mühe, schön, das gebe ich zu, aber es reicht bei weitem nicht, um ein Reich zu errichten.«

»Ich schätze, dass sie einfach das Böse nicht versteht. Vielleicht wäre es anders gewesen, wenn sie Gleichaltrige zum Spielen gehabt hätte. Die hätten ihr den Kopf schon zurecht gestutzt.«

»Aber es gibt keine anderen Kinder! Es ist meine Schuld, dass sie mit einem weichen Herzen geboren worden ist! Nur meine!« Azrulah brach in Tränen aus. »Es tut mir leid, mein geliebtes Weib! Ich habe versagt! Verzeih mir, bitte!« Als sein Ausbruch lediglich Gleichgültigkeit bei seinem Gegenüber hervorrief, keifte er ihn tobend an: »Entscheide dich endlich mal für ein Buch! Das hält man doch im Kopf nicht aus. Du stehst schon die ganze Zeit zwischen zwei Titeln und mein persönlicher Kummer ist dir herzlich egal.«

»Es tut mir leid, alter Freund. Es ist nur … ach, wie soll ich es sagen? Wir leben in einer kalten, gleichgültigen… Welt?« Plötzlich weiteten sich Termitz Augen und begannen im Flammenschein des Kamins zu glänzen.

»Was ist?!«

»Erinnerst du dich noch an damals, als wir Kinder waren und Menschen geärgert haben?«, fragte der untote Magier mit einem brennenden Enthusiasmus.

»Verschone mich bitte mit diesen Geschichten. Ich bin schon deprimiert genug.«

»Nein, nein, hör mir doch mal zu! Wir haben ihnen doch Streiche gespielt und sie immer gegeneinander aufgehetzt, weißt du noch?! Und als wir unseren Feldzug starteten, machten wir ganz ähnliche Züge, um Zwietracht zu säen. Erinnerst du dich? Manchen guten Menschen ging das so nah, dass ihr weiches Herz versteinerte.«

Azrulah lachte müde auf. »Oh ja, darin waren wir immer gut und es hat auch viel Spaß gemacht. Doch worauf willst du eigentlich hinaus?«

»Wir haben nur wenig getan. Ein böses Gerücht hier, eine Andeutung da. Größtenteils haben wir uns einfach zurückgelehnt und dabei zugesehen, wie sie sich gegenseitig zerfleischt haben. Meistens brauchten sie dafür noch nicht einmal großartigen Antrieb unsererseits. Es liegt in ihrer Natur. Letztlich gibt es auch viele böse Naturelle unter ihnen und sie korrumpieren sich gegenseitig.«

»Komm zum Punkt, wenn du nicht auf die Streckbank willst, Termitz!«

»Lassen wir die kalte Welt, die kein richtig oder falsch kennt, das Herz unserer unvollkommenen Prinzessin vergiften, damit es hart wird wie Granit. Die Menschen werden sie ächten und die Elfen jagen wollen, wie sie es mit allen deinen Artgenossen getan haben. Sie wird lernen müssen zu überleben und dass ihr weiches Herz dort draußen ein Ärgernis ist, dass sie nur davon abhält die großartige Kreatur zu sein, die sie in Wirklichkeit ist.«

Der alte Elf hatte bei dieser Ausführung mit jedem Wort aufmerksamer zugehört und hielt sich nun nachdenklich das Kinn. »Mh. Wenn sie stirbt, bin ich diesen Schandfleck los, wenn sie zurückkommt, wird sie der Sprössling sein, den ich und meine Frau uns immer erhofft hatten.« Sein böses Lächeln verriet alles über seine Gedanken.

»Ich schlage vor, wir geben ihr noch ein paar loyale Diener mit, damit sie das Befehligen und Herrschen schon einmal üben kann.«

»Je mehr ich darüber nachdenke, desto besser gefällt mir dieser Vorschlag. Bring sie her. Wir werden ihr das Gutherzige schon noch austreiben. Und wenn das geschafft ist, werden alle unsere Träume doch noch wahr werden.«


The End

Die Helden, die böses tun müssten, um Helden zu sein

Ein Held ist seiner Definition nach eine Person, die eine besondere Leistung vollbracht hat und stets mit gutem Beispiel vorangeht. Doch was ist, wenn nur eine dieser beiden Voraussetzungen erfüllt werden kann? Ist es dann noch möglich dem Ideal gerecht zu werden? Diese Frage löste eine existenzielle Debatte unter den größten Helden in ihrer Gilde aus. Seit jeher beschützten sie die Stadt Windheim, doch seit einigen Jahren war es ihnen unmöglich ihren Pflichten nachzukommen, da viele Verbrecher und Schurken heutzutage irgendwelchen Minderheiten angehörten und man in diesen stürmischen Zeiten der Gesellschaft sehr auf seinen Ruf achten musste, wollte man nicht geächtet werden. So kam es, dass sich die obersten Mitglieder der Gilde an einen Tisch setzten und über dieses Problem debattierten. Doch hören wir selbst:

»Ruhe! Meine verehrten Kollegen-«, begann der altgediente Held Connor.

»Und HeldINNEN!«, unterbrach ihn die einzige Heldin in der Runde, die den Namen Hilde-Lotti trug.

»Meinetwegen auch die«, seufzte Connor entnervt, ehe er den Faden wieder aufnahm, »Die Lage ist ernst! Das Volk leidet unter der Zunahme von Kriminalität, Unzucht und Rauschgiftmissbrauch.«

»Ah, holen wir uns seinen Kopf, dann haben wir endlich Ruhe«, meinte der Zwerg Ghumble. Hierbei sollte erwähnt werden, dass dies sein übliches Argument war und er ansonsten nichts weiter beizutragen gehabt hätte, außer natürlich einer Wiederholung dessen.

»Wenn es nur so einfach wäre«, tönte Sir Lanzelos, der für seine Tapferkeit und Reinheit bekannt war. Er war das moralische Gewissen der Runde und setzte klare Grenzen was politisch korrekt in diesen Zeiten war und was nicht. »Dafür müssten wir den Kopf der Organisation zerschlagen und das können wir nicht. Wenn wir die Kriminalität eindämmen möchten, müssten wir Herbert den Schwächlichen töten, aber der sitzt im Rollstuhl.«

»Scheißkrüppel«, brummte Ghumble

»Personen mit besonderen Bedürfnissen«, korrigierte der Ritter. »Und solange ich an diesem Tisch sitze, wird kein Held einen Rollstuhlfahrer töten. Aber zurück zum Thema. Für die Prostitution müssten wir Alex ausschalten, doch der gehört ebenfalls einer Minderheit an«

»Ein Mordsweib«, grunzte der Zwerg.

»Sie ist ein ER, lieber Ghumble und ein recht männlicher noch dazu.«

»Ist da etwa jemand in sie verschossen?«, fragte Hilde-Lotti spitzfindig.

Der Ritter seinerseits wurde rot und meinte nur eingeschnappt: »ER. Diese Person möchte gerne als Mann angesehen werden.«

»Entgegengesetzt jeglicher Realität«, fügte Ghumble hinzu, was ihm einige kritische Blicke einheimste. Viele fragten sich, warum er trotz seiner vollkommen unhaltbaren Kommentare dennoch den stolzen Titel des Helden tragen durfte, dann erinnerten sie sich an seine reiche Familie und sämtliche kritischen Hinterfragungen lösten sich in Rauch auf.

»Zu guter Letzt wäre da noch Abdul der dreiäugige. Ein Rauschgifthändler, der leider für uns unantastbar ist, aufgrund seines Flüchtlingshintergrunds.«

»Wieso ist es derart unhaltbar dass er ein Immigrant ist?«, fragte Connor sich nachdenklich über den Bart streichend.

»Nun, aufgrund der jüngsten Kriegswehen fliehen viele Menschen in unsere Stadt um Zuflucht vor der Zerstörung in ihrer Heimat zu finden. Allerdings schlägt ihnen hier viel Feindlichkeit entgegen, aber auch sie sind nicht frei davon. Würden wir ihn hochnehmen, könnte dies zu einer Eskalation führen, weil entweder die eine Seite sich in ihrer Feindseligkeit bestätigt sieht und selbstständig wird oder aber die Flüchtlinge würden es als Affront sehen und ebenfalls zur Gewalt greifen. Derzeit ist deswegen die Stadt mit einem Pulverfass zu vergleichen. Ich würde in seinem speziellen Fall daher stillschweigen vorschlagen.«

»Abduhl ist ein netter Kerl«, meinte der Zwerg vergnügt. »Ich kaufe bei ihm gerne meinen Rauschtabak, zum Schniefen. Das Problem ist nur immer die lange Schlange von kleinen Kindern die ebenfalls bei ihm einkaufen.« Wieder dachten viele an das Geld, welches dieser nichtsnutzige Zwerg ihnen allen einbrachte und das beträchtlich größer war, als die Ausgaben um seinen Ruf tadellos zu halten.

Schließlich übernahm Lanzelos wieder das Wort. »Kurzum, sollte Abduhl von uns bekämpft werden, würde dies alle Flüchtlinge in dieser Stadt brandmarken, ob sie nun etwas getan haben oder nicht. Auch sollten wir jene Bürger verheimlichen die wir wegen Ausschreitungen an Flüchtlingen festnehmen müssen. Besser es kommt zu keiner Verurteilung auf beiden Seiten. Sollte es zu einem Aufschrei kommen, werden wir alle unserer Ämter enthoben.«

Der alte Elf Huldrium hob mit zittriger Hand seinen Finger, um sich mitzuteilen. Er war der älteste von allen und beriet diese Gilde seit Jahrhunderten mit seiner Weisheit, auch wenn diese seit fünfzig Jahren von einer gewissen Senilität begleitet wurde. Dennoch hatte er dann und wann seine lichten Momente, sofern er überhaupt noch wach zu kriegen war. »Zu meiner Zeit war alles viel einfacher. Damals konnten wir Helden sein und trotzdem vergewaltigen, brandschatzen und plündern, solange es nur bei den Bösen war. Heutzutage sind alle so langweilig geworden. Hehehehe. Wenn nur der alte Dunkelelf noch hier wäre, der würde euch Jungspunden zeigen was es bedeutet wahrhaft böse zu sein. Maulhelden wir ihr hättet zu seinen Füßen die blutigen Stiefel geleckt, während sein Heer aus Orks die ganze Welt in Finsternis hüllt.«

»Nicht das schon wieder«, stöhnte Hilde-Lotti, mit einer Genervtheit, wie sie nur Jugendliche hervorbringen konnten. »Wen juckt es, was vor Urzeiten so alles unter deinem Hintern passiert ist.«

»Was sollen wir also tun?«, fragte Connor wieder an Lanzelos gewandt. »Sollten wir vielleicht ihre Helfershelfer erledigen.«

»Das wäre auf jeden Fall ein guter Schachzug, aber auch ziemlich riskant. Immerhin könnte man von uns dann behaupten, dass wir diese Leute nur getötet hätten, weil sie Freunde ethnischer Minderheiten sind.«

»Hetzen wir ihnen doch einfach einen Attentäter, Söldner oder sonst wen auf den Hals«, warf Hilde-Lotti ein.

»Auch eine Möglichkeit, doch man könnte der Spur des Geldes folgen und unser Ruf wäre dahin. Ganz zu schweigen davon, dass wir nicht im Mittelpunkt ständen, sollte es von Erfolg gekrönt sein.« Dieses Argument zog zustimmendes Gemurmel nach sich. Niemand wollte ein Held sein, ohne auch den dafür geltenden Ruhm zu ernten. »Die Lage ist aber dennoch ziemlich ernst. Wenn wir nicht bald etwas unternehmen, könnte unser Ruf leiden. Die Leute tuscheln jetzt schon über unsere Untätigkeit. Aber die gemeinen Leute können diese prekären Lage auch nicht nachvollziehen in der wir stecken. Sollten wir es ihnen jedoch erklären, könnte dies ebenfalls zu einer Rufschädigung führen.«

»Wir stecken also in einer Zwickmühle«, meinte Connor bartstreichend und versuchte dabei möglichst weise zu klingen.

So ging das Gespräch den ganzen Tag weiter. Niemand ahnte etwas davon, dass bald ein Übel diese Stadt erreichen würde, welches alles für immer verändern würde.


The End

Der falsche Held

»Du siehst mal wieder aus, als hätte dich jemand durch einen Wall aus Reißwölfen geschleift. Welcher Held war es denn heute?«

Der Helfershelfer spukte auf den Boden, um das Blut aus seinem Mund zu bekommen.

»Nicht schon wieder, Andy! Ich habe den Boden gerade frischgewischt!«, keifte der Barkeeper mit dem Spinnenkopf. Hierbei sollte angemerkt werden, dass er eine ganze Spinne als Kopf besaß und nicht nur das Haupt jenes Krabbeltieres.

»Fick dich, Humphrey.«

»Der Boss wird nicht glücklich sein, dass du schon wieder eine Lieferung verloren hast.«

»Wenn der Boss ein Problem hat, wird er es mir schon sagen«, murrte Andy.

»Wo wir doch beide wissen, wie sehr die Leute deine Superkräfte fürchten.«

»Tz. Schön wär´s. Wenn sie wirklich meine Fähigkeiten fürchten würden, würde ich den Laden schmeißen.«

»Wenn deine Kräfte nur immer so funktionieren wie bei anderen, sicherlich, dann wärst in Nullkommanichts die Nummer eins der Superschurken, aber so…«

»Es ist einfach zum Kotzen, dass meine Kräfte nur bei anderen Schurken funktionieren. Sonst hätte ich heute diesem Heldenarsch den Sauerstoff aus seiner Lunge geprügelt und das mit nur einem Schlag.«

»Ganz bestimmt. Du hättest die Atmosphäre um dich herum mit deiner Bösartigkeit vergiftet und ihm das Atmen erschwert, um ihn darauf mit deinen übermenschlichen Kräften den Kopf mit einem Faustschlag zum Platzen zu bringen wie eine überreife Melone.«

»Tz. Ja, so wie damals bei Peter. Irgendwie bereue ich es heute. Er war zwar eine Nervensäge und hat mir die Chips weggefressen, aber irgendwie… auf eine ganz seltsame, nervtötend Art, war er ein netter Kerl.«

»Er hat Koks an kleine Kinder verkauft und Nonnen in Lesbenbars zwangsprostituiert.«

»Haben wir das nicht schon mal alle gemacht?«

»Manche bestimmt, aber nicht alle. Darf es noch einen sein?«

»Diesmal einen doppelten.«

»Kommt sofort. Und, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, für einen Fünfzehnjährigen säufst du wie ein ganz großer.«

»Stimmt, du kannst dir deine Bemerkung in den Arsch schieben, mit ganz viel Zucker oben drauf.«

»Es ist immer eine Freude angehende Superschurken zu bedienen. Sie sind stets so höflich.«

»Worauf du deinen Arsch verwetten kannst«, meinte Andy und prostete ihm zu.

»Das war ironisch gemeint.«

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und ein hechelnder Haifischmensch stand im Türrahmen. »H-hey, Leu-Leute! Dies-dieser Bastard von-von … Puh!«

»Nun spuckt´s schon aus! Wir warten!!«

»Der Puncher! Er hat den Boss fertiggemacht!«

Ein entsetztes Raunen ging durch die Bar. »Wa-wa-wa-WAS?!«

»Das kann nicht sein!«

»Doch nicht unser Boss!«

Andy warf wütend das Glas gegen die Wand. Er hasste diesen Superhelden über alle Maßen. Er hatte seinen Vater auf den Gewissen, der einst eine große Nummer unter den Superschurken gewesen war, doch der Puncher hatte ihn einfach kalt gemacht. Nun dürstete der Teenager nach Rache.

»Wo ist er?!«

»Er ist bereits hier!«, sagte eine Stimme hinter dem Haifischmenschen im Türrahmen.

Zwei Typen wollten sich auf den Berg aus Muskeln stürzen, doch dieser gehörte nicht ihnen, sondern Andy ganz alleine. Er spürte das Aufwallen einer brennenden Finsternis in sich, die durch seinen Körper nach außen brandete und in einer ächzenden Aura der Bösartigkeit alle Beteiligten angriff. Seine Augen begannen rot zu glühen und das innere Feuer stählte seinen Leib und verlieh ihm etwas übermenschliches, wenn nicht sogar dämonisches.

Mit einer schnellen Bewegung seiner Arme konnte er seine Kontrahenten mit jeweils einem Schlag zu blutigem Brei zerschlagen, welcher von der Decke tropfte.

Das ist es, dachte er. Jetzt habe ich meine wahre Kraft und kann damit denjenigen töten, an den sich mein Hass richtet. Ich habe nur noch wenige Momente ehe ich wieder meine Macht verliere.

Er machte einen mächtigen Schritt, der den Boden berstete und ihn mit einem Mal auf seinen Feind zufliegen ließ. Gleich, gleich habe ich es geschafft!

Seine Hand ballte sich zur Faust, die dämonische Macht immer noch rauschend spürend. Nur noch ein kurzer Moment.

Mit unglaublicher Geschwindigkeit schnellte seine Faust auf den Bauch des Punchers entgegen. Es war egal wo er ihn traf, er würde durch seine Hand sterben, solange das Glück ihm hold sein mochte. Doch leider versiegte die Macht in genau jenem Augenblick als die Faust auf die stählernen Muskeln traf. Mit einem widerlichen Knacken pulverisierte Andys Schlag mit seiner Geschwindigkeit die Knochen seiner Faust. Wäre die Kraft nicht versiegt, wäre es dem Helden schlecht ergangen, doch so richtete sie bei ihm keinerlei Schaden an.

Während sich Andy am Boden vor Schmerzen krümmte, nahm er nur am Rande wahr wie alle anderen in der Bar vermöbelt wurden. Scheißhelden, die sich einfach nicht um ihren eigenen Kram kümmerten und rechtschaffene Gauner nicht in Ruhe ihre Arbeit machen ließen. So sah es für ihn aus. Als ein großer Schatten sich über ihm beugte, dachte er, dass nun sein letztes Stündlein geschlagen hätte.

»Andrew A. Anderson III., genannt Andy«, meinte der Superheld grüblerisch.

»Fick dich, Puncher!«

»Ich habe von dir gehört. Es gibt Gerüchte darüber, dass du ein kleiner Gauner bist, dessen Kräfte nur bei schlechten Menschen funktionieren.«

Andy ahnte was jetzt kam. »Fuck! Meine Hand tut schon weh, da muss mir nicht noch jemand eine verdammte Moralpredigt halten.«

»Du solltest eine berufliche Umschulung in Erwägung ziehen. Dieser Ort, diese Leute, sie wissen deine Gabe nicht zu schätzen.«

Nein, bitte, töte mich und halte mir danach eine Predigt, bitte!, dachte Andy.

»Komm in die Akademie für Helden und lass uns dir dabei helfen dein wahres Potenzial freizusetzen.«

»Leck mich, Fleischklops. Leck mich und töte mich einfach, ja?«

»Wenn du nicht willst, so steht es dir natürlich frei es nicht zu tun, aber mein Angebot bleibt bestehen. Überleg es dir.« Damit verließ der Held die Szenerie.

Anfangs dachte Andy sich, dass es da nichts zu überlegen gab, doch je mehr er darüber grübelte und sich aufregte, desto mehr reifte ein teuflischer Gedanke in seinem Hirn heran. Warum eigentlich nicht? Er wollte ein großer Superschurke werden und seine Kräfte verstehen. Wer sagte denn, dass er nicht eine Zeit lang als Held arbeiten sollte? Somit würde er von jenen trainiert und gefördert werden, die er später bekämpfen würde, ganz zu schweigen von den wertvollen Informationen die er über die angehenden Helden sammeln konnte. Und vielleicht, aber auch nur vielleicht, konnten sie ihm beibringen seine Kräfte bewusst einzusetzen. Sobald er über diese Macht in seinem Inneren verfügen würde, wäre es unmöglich ihn zu stoppen.

Am nächsten Tag trug er sich in der Akademie ein, aber seine Absichten waren gänzlich anders als die seiner Mitschüler. Die Welt würde noch sehen, wozu er in der Lage war.

 

The End

Der andere falsche Held

Der wohl größte Held der Weltgeschichte war Overstar. Kein anderer erfreute sich größerer Beliebtheit und noch viel größeren Anzahl an Spielfilmverträgen. Niemand konnte es mit seinen Einnahmen aufnehmen und so gefiel es ihm. Ein Superheld seines Formates durfte sich gerne die Rosinen aus dem Kuchen picken und das war auch nötig. Immerhin wollte er die Nummer eins bleiben und da konnte er sich um solchen Kleinkram wie Müllsammeln oder andere karikative Zwecke nicht kümmern. Es musste immer etwas großes, dramatisches sein und dafür gab er Unmengen an Geld aus, um möglichst präzise Katastrophenvorhersagen zu treffen.

»Also, James, was haben wir denn heute alles für mögliche Heldentaten?«

James war sein Assistent und hieß eigentlich Jeffrey, allerdings ließ dieser es für das exorbitante Gehalt über sich ergehen. »Nun, wir hätten heute ein Erdbeben, welches voraussichtlich hunderttausend Menschen das Leben kosten wird.«

»Bitte, nicht schon wieder. Diese Naturkatastrophen öden mich zutiefst an.«

»Ein Attentat auf einen bekannten Politiker. Aber wir hätten auch ein brennendes Waisenhaus.«

»Politik interessiert doch heute niemanden mehr. Und obwohl ich es liebe gewisse Heldenklischees zu erfüllen, so bin ich heute nicht in der Stimmung für Gutmenschentaten. Was ich brauche ist etwas episches. Etwas, dass beweist, dass ich der Größte bin. Ein Kampf gegen einen großen Unhold, eine Alien-Invasion, ein Imperium des Bösen das sich erhebt, verstehst du, was ich da meine? Haben wir heute so etwas im Angebot?«

»Mal sehen... wir haben... Einen Handtaschendieb.«

»Einen Handtaschendieb?«

»Einen Handtaschendieb«, bestätige Jeffrey alias James.

»Hast du mir überhaupt zugehört?«, fragte der Held zerknirscht.

Daraufhin ließ der Assistent eine Akte auf den Tisch fallen. »Eddie Workout, genannt Eddie der Große. Sieben Verhaftungen wegen besagten Diebstahls, Widerstand gegen die Staatsgewalt und noch diverserer anderer kleinerer Delikte. Er neigt dazu sich in ein gewaltiges Monster zu verwandeln, wenn er kämpft.«

»Wenn das so ist, wieso klaut er dann noch Handtaschen?«

Jeffrey zuckte unwissend mit den Schultern. »Mangelhafte Intelligenz.«

»Ist er irgendwie stark?«

»Nein, aber seine Ungeheuerform ist überaus beeindruckend und fotogen.«

»Gekauft.«


Dieser Tag war wieder einmal sehr lohnend gewesen. Ein paar gekaufte Reporter und aus Eddie war ein gewaltiger Schurke geworden. Und zufälligerweise war natürlich immer einer von ihnen vor Ort gewesen, um das Geschehene aus dem richtigen Winkel festzuhalten. Ab und an hatte sich Overstar sogar selbst treffen lassen, um den Zweikampf dramatischer darzustellen.

Nun ging es für den Schurken ab ins Atlis, ein Unterwassergefängnis für die gefährlichsten Unruhestifter mit Superkräften. Zum Glück war Eddie des Kampfes wegen bewusstlos, sonst hätte er bestimmt geflennt und angefangen nach seiner Mami zu schreien. Dieser Ort war nur für die übelsten Kerle bestimmt und das war er ganz bestimmt nicht, doch der Held hatte ihn zu einem gemacht. Eigentlich müsste er Overstar dafür danken dass er ihn jetzt zu einer Berühmtheit gemacht hatte. Er durfte erzählen wie er den größten Helden aller Zeiten beinahe besiegt hätte.

Als er neben den Aufzug stand der nach unten zu den Zellen führte, begegnete er einem Kollegen.

»Lange nicht mehr gesehen, Overstar.«

»Ah, Puncher! Grüß dich. Was verschlägt dich denn hierher? Wie du siehst, kennst du meine Gründe bereits«, er zerrte an seinem ohnmächtigen Gefangenen, um den Blick auf ihn zu lenken.

»Ich bin auch wegen eines Gefangenen hier. Er soll mir ein paar Informationen geben.«

»Darf man sich erkundigen, wer der Glückliche ist?«

»Andrew A. Anderson I.«

»Oh, ich erinnere mich. Du hast seinen Sohn angeblich kalt gemacht.«

»Die Leiche hat man nie gefunden.«

»Und seitdem suchst du immer noch nach ihm. Soweit ich weiß.«

»Du bist gut informiert, so wie immer.«

Der Fahrstuhl klingelte. »Oh, das ist meine Etage. Hier muss ich nun raus.«

»Wir sehen uns, Overstar.«

Puncher war ein seltsamer Kerl auf den der Held schon lange Zeit ein Auge hatte. Trotz seiner Heldentaten lehnte er jegliche Beförderungen in die zweite Klasse ab. Scheinbar besaß er keinerlei Ehrgeiz aus der dritten Klasse aufzusteigen. Nichtsdestotrotz waren jedoch seine Taten von großer gesellschaftlicher Auswirkung. Overstar hatte selbstverständlich auf all solche Helden ein Auge. Er würde nicht lange die Nummer eins bleiben, wenn er nicht auf die Konkurrenz achtete.


Ein weißer Raum in den tiefsten Tiefen von Atlis und keine Möglichkeit die eigenen Kräfte zu nutzen. Nur die größten Schurken wurden in so einen Raum gesperrt. Die meisten wurden innerhalb kürzester Zeit wahnsinnig. Andrew hatte hingegen eine Methode gefunden wie er diesem grässlichen Weiß entkommen konnte. Er floh aus seinem Gefängnis in ein anderes. Seine Erinnerungen, sein Geist, dort konnte dieser Raum nicht hingelangen. Es stimmte was gesagt wurde, seinen Körper konnten sie einsperren, nicht aber seinen Geist. Aber in seltenen Fällen kehrte jener in seine Zelle zurück. So zum Beispiel wenn er Besuch bekam und das konnte nur einer sein. Puncher kam immer wenn er Informationen über seinen unglückseligen Sprössling haben wollte. Er verriet gerne seinen Sohn. Es war seine Art sich für dessen Verrat zu revanchieren. Andrew II. hatte ihn hierhin gebracht. Aber er konnte nicht tot sein. Die Andersons waren zähe Mistkerle. Er war ebenso einer wie sein Sohn und dessen Sohn. Beim Gedanken an seinen Enkel schlich sich ein leises Lächeln auf seine Lippen. Das jedoch schnell erlosch, als er sich wieder bewusst wurde, dass er nicht allein war.

»Lassen wir die Höflichkeiten und kommen gleich zum Geschäftlichen«, meinte der alte Mann, ohne sich zu seinem Gegenüber umzudrehen.

»Ganz wie du meinst, Anderson. Ich habe einige Fragen zu deinem Enkel.«

Das kam jetzt überraschend. »Wieso? Er ist nicht von Belang für dich.«

»Jetzt schon. Ich habe gesehen wie er zwei große Schlägertypen mit einem einzigen Schlag pulverisiert hat und dann diese Aura und die roten Augen... Sehr ... beeindruckend.«

Das Lächeln des alten Schurken kehrte breiter denn je zurück. »Ich weiß, er ist etwas ganz besonderes.«

»Ich will mehr über seine Kräfte wissen.«

»Kennst du das Bild "Licht & Schatten" vom Maler H. Trezus?«

»Ich interessiere mich nicht für Kunst.«

Andrew sah es genau vor sich mit jedem Detail. »Es zeigt auf der linken Seite das lichte Paradies mit Wolken, Engeln und Gott. Auf der anderen Seite sind Dämonen in einer Schattenwelt und der Teufel zu sehen. Eigentlich ein weitverbreitetes Motiv, mit einer Ausnahme. Einem winzigen Detail.«

»Und das wäre?«

»Sowohl die Engel als auch die Dämonen sind angekettet. Und das Ende dieser Fesseln sind die Herzen ihrer jeweiligen Herren. Anders ausgedrückt«, er wandte sich jetzt zum ersten Mal dem Helden zu. »Mein Enkel ist das Böse, welches uns Schurken im Zaume hält.«

»Also kann er, selbst wenn er es wollte, seine Kräfte nicht nutzen um Unschuldige zu verletzen?«

»Leider nein. In meiner Familie tragen alle ähnliche kriminellen Energien in sich, wenn auch nicht so stark. Er will vermutlich in die Fußstapfen seines Vaters und Großvaters treten, doch der direkte Weg wird ihn für immer versperrt sein.«

»Vielleicht gibt es noch Hoffnung für ihn. Er hat sich erst gestern eingetragen. Ich werde ihn an der Akademie fördern, ihn unter meine Fittiche nehmen und mich bemühen ihn auf den rechten Pfad zu bringen.«

»Tu, was du nicht lassen kannst, Held«, warf Andrew sein Gegenüber noch hinterher, als dieser den weißen Raum verließ. Der alte Mann drehte sich um und Puncher verließ die Zelle wieder auf den gewohnten Weg. Sein Geist kehrte an einen sonnigen Frühlingsnachmittag zurück in welchem er in seinem großen Anwesen seinen jungen Enkel zu Besuch hatte. Er wollte ihm einiges für sein späteres Leben beibringen, doch seine Kräfte waren schon damals so stark gewesen, dass er keinerlei Chance hatte und es auch niemals haben würde. Dennoch machte ihn dieses Wissen glücklich, dass der Teufel aus seiner Blutlinie entstanden war. Sie würden ihn niemals zu einem der ihren machen können. Es war wider die Natur. Allerdings ahnte er schon, was Andy vor hatte. Keine schlechte Idee. Er kann auf den direkten Wege nicht König werden, also musste er Umwege in Kauf nehmen. Unwillkürlich wanderte sein Kopf nach oben und kam zu einem furchteinflößenden Schluss: Wenn es den Teufel gab, war dies ein gewisser Beweis für die Existenz Gottes. Und dieser Umstand machte ihn mehr zu schaffen als alles andere. Vielleicht brauchten die Helden Andy mehr als sie jetzt zugeben mochten.


The End

Impressum

Texte: EINsamer wANDERER
Tag der Veröffentlichung: 31.01.2019

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