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Der Verlust (von Ragin)

"Sven, lauf nach draußen und bring das Vieh in den Stall! Ein Sturm zieht auf!"

Der kleine Sven warf sich rasch einen Umhang um die Schultern und verließ die Hütte, um der Aufforderung seiner Mutter zu folgen.

Als der blonde Junge die Tür hinter sich schloss und sein Blick gen Himmel schweifte, erschrak er. Im Osten ballten sich schwere, schwarze Gewitterwolken, die sich rasch näherten und von einem bedrohlichen, langsam aber stetig steigenden Donnergrollen begleitet wurden. Gerade in diesem Augenblick erhob sich eine leichte Brise, die jedoch eine unheilverkündende Spannung mit sich trug.

Sven eilte über den Hof und die Wiese hinauf zur Weide. Dort standen die Ziegen zitternd und eng aneinander gedrängt und gaben gequälte Laute von sich, während auch sie ihren ängstlichen Blick zum Himmel richteten.

Der Junge öffnete das Gatter und versuchte, die Tiere aus der Umzäunung hinaus und hinunter zum Hof zu treiben, was sich jedoch als weitaus schwieriger gestaltete, als er zuerst dachte. Anfangs wollten sich die Ziegen keinen Zentimeter bewegen. Sven lief um sie herum, wedelte mit einem Stock schrie, doch es half nichts. Die einzige Reaktion war hin und wieder ein verängstigtes "Bäääähhh!" Während dieser ganzen Zeit war der Wind immer stärker geworden und auch das Donnern hatte an Intensität zugenommen.

Dann konnte man den ersten grellen Blitz sehen, der den mittlerweile komplett schwarzen Himmel zu spalten schien, und fast augenblicklich ertönte ein krachender Donner. Dies wirkte auf die Tiere. Mit panischen Schreien brachen sie aus und verstreuten sich in alle Himmelsrichtungen. Der arme Sven versuchte vergeblich, sie zusammenzutreiben, was sich jedoch als unmöglich erwies. Nicht zuletzt war der Wind ein Grund dazu. Nun toste er schon mit orkanartigen Böen über das Land und in den nahegelegenen Wäldern erhob sich ein Rauschen und Brausen, dass dem Jungen Angst und Bange wurde.

Hilflos versuchte er, den Auftrag seiner Mutter zu erfüllen, doch er hatte nicht die geringste Chance. Als er, sich bereits gegen den Wind stemmend, verzweifelt zum Hof hinabsah, entdeckte er verschwommen die Gestalt seiner Mutter, die ihm heftig winkte.

Instinktiv wusste Sven, dass er sofort seiner Mutter folgen musste, oder er würde es nie mehr schaffen. Er rannte los.

Er hatte die Weide noch nicht mal verlassen, als der Regen einsetzte. Und nicht, wie gewöhnlich, zuerst leicht tröpfelnd und stetig an Intensität zunehmend. Vom einen auf den anderen Moment setzte ein gewaltiger Fluss ein, als würde der Himmel seine Schleusen öffnen und alle Wasser der neun Welten gleichzeitig entladen, und auch die Tropfen waren riesig im Vergleich zu normalem Regen.

Durch die dichten Sturzbäche hindurch konnte Sven plötzlich nichts mehr sehen und drohte, die Orientierung zu verlieren. Doch da war es ihm, als würde eine unsichtbare Hand ihn in eine bestimmte Richtung schieben. Und plötzlich fand die Hand seiner Mutter die Seine und zog und zerrte, bis er endlich in der trockenen Hütte war.

Sofort hatte seine Mutter ihn auf einen Sessel niedergedrückt und ihm eine dicke Decke um die Schultern geworfen.

"Ein schlimmer Sturm..." ertönte plötzlich die krächzende Stimme der alten Heidrun. Sie war Svens Großmutter, und jeder kannte sie eigentlich nur als die "Alte" Heidrun.

Heidrun wusste immer irgendwelche Geschichten zu erzählen. Meist erntete sie dann einen ärgerlichen Blick ihrer Tochter, doch das war der Alten egal.

"Mutter, fang bitte nicht wieder an..." begann Sven's Mutter, doch die Alte fuhr ihr energisch dazwischen.

"Was denn? Es ist nunmal so! Etwas Schreckliches wird passieren... Wer weiß? Vielleicht steht uns Ragnarök schon bevor? Thor jedenfalls scheint sich bereits auf eine Schlacht vorzubereiten... Der Donnergott ist erzürnt..."

Und während sie so in der Hütte saßen, ängstlich aneinander gekauert und immer wieder mal von Heidruns Schauergeschichten aufgeschreckt, schien außerhalb der Haustür tatsächlich bereits die letzte Schlacht angebrochen zu haben...

 

Andernorts: Asgard

Während in der Menschenwelt die Welt unterzugehen schien, erhob sich hinter den Mauern des sagenumwobenen Götterreiches und am anderen Ende des Regenbogens ein mächtiges und zornerfülltes Gebrüll. In Bilskirnir, dem gewaltigen Palast von Thrudheim, knallten donnernd die Tore auf, und heraus jagte ein Hüne mit flammend rotem Haar und Vollbart, sowie mit einer Figur, die seine gewaltigen Kräfte nur erahnen ließ und Augen, die zornerfüllte Blitze auszusenden schienen. Die gestaltgewordene Wut: Thor, der Donnergott.

"WO IST ER??? WER HAT ES GEWAGT? WO IST DER DIEB? ICH WERDE IHN ZERSCHMETTERN!" brüllte er so laut, dass selbst die Mauern von Gladsheim,  zu erzittern schienen. Drohend ballte er die Fäuste und niemand wagte sich in die Nähe, aus Angst, der wildgewordene Thor würde ihn erschlagen.

Da erklang Hufgetrappel, und Thor gewahrte durch den feurigen Schleier der Wut hindurch einen Reiter auf schimmernd weißem Rosse heransprengen, mit leuchtenden Augen, die die Weisheit der Welt verinnerlicht zu haben schienen. Es war Heimdall, sein göttlicher Bruder und Wächter über das Götterreich und die Himmelsbrücke.

Dieser zügelte sein Pferd, sprang herab und eilte auf Thor zu.

"Was ist denn passiert?" fragte er. "Du brüllst das ganze Götterreich zusammen! Selbst die Kelche in Walhalla haben gezittert! Allvater hat mich losgeschickt um zu sehen, was los ist."

"Mein Hammer..." stieß Thor unter zusammengepressten Zähnen hervor und es klang wie bedrohliches Donnergrollen vor einem Jahrhundertsturm, "Man hat mir meinen Hammer gestohlen."

Heimdalls Augen weiteten sich. "Den Mjölnir?" flüsterte er entsetzt. Thor nickte nur grimmig.

"Auf, komm mit zur Walhalla" rief Heimdall und winkte ihm ungeduldig. "Odin muss davon erfahren. Er wird wissen, was zu tun ist. Möge das Schicksal uns gnädig bleiben... Wenn der Donnergott seinen Hammer nicht mehr schwingt, so wird es bald schlimm um uns alle stehen!"

In Windeseile jagten sie nach Gladsheim, die breiten Stufen zum Palast hinauf und durch die langen Gänge, bis sich schließlich die Tore von Walhalla vor ihnen öffneten.

In dem gigantischen, goldglänzenden Saal, in dem Odin, der Göttervater, die Seelen der tapferen und verstorbenen Krieger um sich versammelte, saßen die Götter beisammen und hielten Rat. Aller Augen richteten sich voller Neugier nun auf Thor und Heimdall, die durch ewigen Reihen der Bänke auf den Thron des Allvaters zu eilten. Sofort verstummte jede Rede, und es wurde still.

Odin saß auf seinem Thron, erhaben und majestätisch mit dem schneeweißen Bart, der auf sein schlichtes, graues Gewand wallte und dem strahlenden Auge, das darüber leuchtete. Auf seiner Lehne saßen die beiden Götterraben, Hugin und Munin, und man glaubte fast, sie seien ohne Leben und ein Teil des Thrones selbst. Odin blickte nachdenklich zu Boden, doch als Heimdall und Thor vor ihm angelangt waren, sah er auf. Das strahlende Auge des Göttervaters blickte forschend über seine Söhne und verweilte lange auf dem Donnergott.

"Nun, was gibt es zu berichten?" fragte er schließlich mit ruhiger Stimme.

"Mein... mein Vater..." begann Heimdall stockend, "ich wage es kaum..." Odin blickte ihn durchdringend an.

"Mein Sohn, so sprich" sagte er. "Noch nie ist es geschehen, dass du gezögert hast! Sag mir, was ist geschehen?"

Da konnte sich Thor nicht länger zurück halten.

"Man hat mir meinen Hammer gestohlen!" grollte er fürchterlich durch den Saal und alle Anwesenden zuckten zusammen. Sofort hob ein bestürztes Flüstern und Murmeln an. Die mächtigste Waffe der Götter in ihrem immerwährenden Kampf gegen die bösen Mächte war verschwunden! Odin hob die Hand und gebot um Stille. Dann richtete sich das Licht seines Auges durchdringend auf Thor.

"Du sagst, der Mjölnir ist gestohlen worden?" Thor nickte in stummen Grimm.

"Mein Vater" meldete sich nun Heimdall zu Wort, "Was soll denn nun geschehen? Ohne den Hammer werden wir es schwer haben, die Feinde von Asgard fernzuhalten! Wir haben Grund zu der Annahme, dass die Riesen wieder einen Schlag gegen uns oder die Menschenkinder vorhaben! Wie sollen wir uns ohne Mjölnirs Kraft gegen die Feinde behaupten? Gerade jetzt sind die Menschen auf den Schutz von Midgards Wehr angewiesen!"

Wieder hob ein aufgeregtes Murmeln im Saal an. "Was sollen wir nun tun?" sagte der Eine. "Ohne den Zermalmer sind wir doch nur halb so stark" sagte der Andere. Oder auch "Wehe uns, wenn der Feind uns angreift!"

"He, wo ist eigentlich Loki?" rief Tyr, der einarmige Kriegsgott in diesem Moment. "Warum ist er denn nicht hier? Sollte er vielleicht etwas damit zu tun haben?"

Als Thor dies hörte, knallte er die Faust auf den Tisch, dass es dröhnte. Die Wut in seinem Inneren brannte wie Feuer und schien jegliche Vernunft auszuschließen. Aus seinen Augen schossen flammende Blitze hervor.

"Loki, natürlich! Er wird ihn mir gestohlen haben! Vielleicht sitzt er nun schon mit dem Hammer bei den Riesen und sie lachen über uns! Dieser Ränkeschmied, wenn ich ihn in die Finger bekomme! Ich werde ihn zermalmen, ich werde..."

"STILLE!" rief Odin mit durchdringender, kraftvoller Stimme, und sein schneeweißer Bart zuckte. Augenblicklich verstummten alle, und selbst Thor vergaß für einen Moment seine Wut.

"Loki ist unschuldig" sagte der Göttervater ruhig aber bestimmt. "Er wandert gerade im Glasirwald, wie mir eben meine treuen Raben berichtet haben. Aber ich werde nach ihm schicken. Loki soll uns mit klugem Rat zur Seite stehen. Thor, mein Sohn, zügle deinen Zorn noch, bis wir Lokis Rat gehört haben. Du wirst ihn nicht anrühren, wenn er hier erscheint!" Damit erhob er die Hand und winkte. Da kam plötzlich Leben in die beiden Raben. Sie schüttelten ihr Gefieder, erhoben sich in die Luft und verschwanden krächzend in der Ferne.

Thor blickte den beiden finster nach. Er sollte seinen Zorn zügeln? Loki, den listenreichen Ränkeschmied ungeschoren davonkommen lassen? Grimmig knirschte er mit den Zähnen und ballte die Fäuste, dass die Finger knackten. Er hatte diesem zwielichtigen Kerl noch nie vertraut. Mehr als einmal hätte Thor liebend gerne seinen Hammer an Loki versucht, doch immer hatte diesen das schiere Glück oder Odin selbst davor bewahrt, zermalmt zu werden. Jedoch war der Zermalmer das Einzige, was Loki fürchtete. Thor traute es ihm durchaus zu, den Hammer gestohlen zu haben. Doch er würde tun müssen, was Odin befohlen hatte, wollte er seinen Vater nicht verägern. Und so wartete er stumm und finster brütend, während die anderen Anwesenden wieder in eine angeregte Diskussion verfielen, welch finsteren Zeiten Asgard ohne den Schutz von Mjölnir, dem Zermalmer, entgegensehen mochte.

Fortsetzung folgt…

Eine unerwartete Wendung

Loki war aber nicht mehr im Glasirwald. Stattdessen saß er in der Gestalt eines grauen Eichhörnchens auf den Ast einer Tanne und beobachtete schöne Frauen beim Baden. Er hatte einen kleinen See in eine heiße Quelle verwandelt und viele Menschen kamen von weit her, um das Wunder zu bestaunen. Dabei gab es feste Zeiten, wann die Männer und wann Frauen rein durften, wobei Loki es vor allem auf letztere abgesehen hatte. Plötzlich begann er zu rutschen. In letzter Sekunde krallte er sich an den Ast fest. Er hing kopfüber und atmete erleichtert aus. Er wollte sich nur ungern bei dieser … Situation erwischen lassen, weder von Menschen noch von Nichtmenschen. Schnell hangelte er sich wieder auf den Ast. Erleichtert sah er, dass er noch nicht bemerkt worden war. Die Frauen lachten immer noch und spritzten sich gegenseitig mit Wasser ab. Dabei waren sie unverhüllt. Jede Kurve, jede Rundung war bis ins letzte Detail zu sehen. In dem Gott des Feuers machte sich eine wollige Wärme im Schritt breit. Dabei starrte er auf eine Frau mit besonders großen Brüsten. Er konnte nicht anders. Immer weiter beugte er sich nach vorne. Er hatte Mühe nicht gleich los zu sabbern. Ein Krächzen erschrak ihn zu Tode. Trudelnd fiel er von der Tanne in den See mit kochendem Wasser hinein. Das Gekreische war groß, genau wie die Panik unter den Frauen. Loki hatte Probleme unter dem tosenden Wasser nicht unterzugehen. Keuchend durchbrach er die Oberfläche und schaute direkt auf zwei wundervoll geformte Brüste. Ihm blieb die Kinnlade hängen. „Ach schaut mal. Das ist ja bloß ein Eichhörnchen. Na, mein Kleiner.“ Loki bekam den Kopf einfach nicht hoch. Diese Brüste hatten ihn, wie eine Schlange hypnotisiert. „Ist der nicht süß“, antwortete die Frau. „Er scheint aber noch unter Schock zu stehen.“, antwortete eine andere. Ich bin im Himmel, dachte Loki. Aber ein erneutes Krähen zerstörte die Illusion. Als Loki zum Himmel aufsah, erblickte er Odins Grillhänchen. Sie wollten ihn wohl abholen. Dann war Thor wahrscheinlich der Verlust seines Hammers aufgefallen. Was sonst konnte so wichtig sein? Also ging Loki aus dem heißen Wasser, schüttelte sich wie ein nasser Hund und ging. Aber nichts in der Welt konnte ihm davon abhalten noch einen letzten Blick auf die nackten Schönheiten zu erhaschen. Schnell kletterte er den Baum hoch, verwandelte sich in einen Adler und folgte den beiden Raben.

 

Sie flogen und flogen. Es war ein weiter weg, nach Asgard. So hatte Loki genug Zeit über seine Vorgehensweise nachzudenken. Die Wahrheit konnte er nicht sagen, denn zum einem war es wider seiner Natur und zum anderen konnte er einen von Odins Lieblingssöhnen wohl schlecht sagen: Hey, Thor. Sorry wegen dem Hammer. Ich habe ihn beim Karten spielen verloren. Zu meiner Verteidigung, ich hatte ein sehr gutes Blatt gehabt … nur leider hatte einer der Riesen ein besseres. Aber macht dir nichts draus. Ihr habt doch nur eure mächtigste Waffe verloren. Das ist noch lange nicht das Ende der Welt. Oh, ich vergaß. Es ist doch das Ende der Welt. Nein, sowas kam nicht gut. Also musste er das tun, was er am besten konnte, nämlich lügen. Lügen das sich die Balken bogen. Vor ihnen am Horizont erschienen die Zinnen von Asgard, dem Heim der Götter. Loki hielt nichts von diesem prächtigen Gemäuer. Mit anderen an einer Tafel zu sitzen, Met zu trinken und dabei Sauflieder über Odin zu singen. Seiner Meinung nach, konnte man das genauso gut in einer einfachen Kneipe machen, während man der Kellnerin zuzwinkerte. Loki wusste um seinen Charme, seinem Charisma gegenüber Frauen und spielte ihn nur zu gerne aus. Die beiden Krähen und der Adler flogen durch ein offenes Fenster in den Thronsaal. Während der Adler in der Mitte des Saales landete, flogen die Raben zurück zu ihren Herrn. Loki wusste, was er tun musste. So konnte er Odin nicht gegenüber treten. Was viele aber nicht wussten, dass Loki keine wahre Gestalt hatte. Er war alles und nichts. Freund wie Feind, je nachdem was seinen Zwecken gerade mehr nützte. Diesmal entschied er sich für eine ganz besondere Gestalt. Er verwandelte sich in die vollbusige, nackte und vor allem nasse Frau von der heißen Quelle, die ihn in seinem Bann geschlagen hatte. Viele reagierten mit lautem Gegröle auf diese Respektlosigkeit. In so einer Gestalt trat man Odin nicht gegenüber. „Was soll das denn?“, schrien sie oder „Wie kannst du es wagen, Odin so gegenüber zutreten.“ Manche Rufe waren aber so voller Alkohol, dass man sie nicht einmal verstehen konnte. Aber Loki hatte mehr als ein Stein im Brett bei dem Göttervater, also durfte er sich so etwas erlauben. Außerdem würden diese Barbaren in ihrer Rage schnell etwas Dummes sagen, was Loki gegen sie einsetzen konnte. Sinnlich fuhr sich Loki durch die Haare und erntete mehr Gebrülle. „Was gibt es mein Blutsbruder.“ Ja, Loki war der Blutsbruder Odins. Einer der Steine und bis jetzt sein Größter Schutz vor gewissen Hünen namens Thor. „Tritt näher.“ Odin schien seine Nacktheit zu ignorieren. Wenn es etwas gab, das Loki an ihm bewunderte, dann war es seine unerschütterliche Ausgeglichenheit. Nichts konnte ihn in Rage bringen. Auf dem Weg durch die Reihen der Asen sah Loki einen knallroten Kopf, der nur Thor gehören konnte. Auf ein freches Augenzwinkern von ihm, antwortete er mit lautem Zähneknirschen. Als Loki vor Odin trat, sagte dieser mit der Ruhe eines Felsens: „Mjölnir ist geraubt worden. Wahrscheinlich haben ihn die Riesen bereits.“ Loki betrachtete gelangweilt seine Fingernägel. „Hm. Mjölnir … Mjölnir … Tut mir leid. Nie gehört.“ „Mein Hammer, du Wurm!“ „Ach, dein Spielzeug.“ Loki klatschte seine Hand gegen die Stirn. „Dein Riesenschnuller. Deine Kuscheldecke …“, während Loki eine Aufzählung machte die jeder Beschreibung spottete, versuchten acht tapfere Asen den mächtigen Thor zurückzuhalten. Loki wusste, dass Thor ihn am liebsten tot gesehen hätte. Es war schon immer so gewesen. Sie waren einfach zu unterschiedlich. Er war das Genie. Thor war der primitive Hüne, der nicht weiter als bis zu seiner nächsten Mahlzeit denken konnte. „Loki“, obwohl dieser Name nur so dahingesagt worden war, so brachte er den Gott des Feuers doch zum Verstummen. So war Odin. Ein einfacher Satz klang bei ihm wie eine Morddrohung. „Was schlägst du vor?“ „Was, ich?“ Loki zeigte dabei verwundert auf sich selbst. Hatte er das gerade richtig verstanden? Er hatte gedacht, man würde ihn verhören und dann in die Tiefen der Welt verbannen. Aber nein, er sollte einfach nur helfen den Hammer zu finden. Sofort nahm ein neuer Plan in Lokis Kopf Gestalt an. „Ich … Äh … Wie wär´s mit einer alten Asentaktik. Wir schicken, hm … sagen wir zwei Leute dort hin, die den Hammer dann zurückholen.“ Und diesen Zweien werde ich die Reise so unangenehm wie möglich machen. Und dann bin ich zwei der Asen los, dachte Loki heimtückisch. Und er wusste auch schon, wer der Erste sein würde, der sich zu diesem Himmelfahrtskommando melden würde. „Das übernehme ich.“ Thor hatte sich inzwischen von seinem Anfall erholt und war aufgestanden. „Gut“, meinte Odin, „Aber wer soll dich begleiten?“ Sofort erhallten Rufe von den billigen Plätzen. „Zu dem Stärksten von uns können wir nur den Schnellsten mitschicken.“ „Nein“, meinte ein anderer, „den Reinsten.“ Und so kam eine Aufzählung von all den besten Kriegern der Asen. Bis schließlich ein einzelner Ruf durch die Halle stieß. „Wie wär´s mit dem Klügsten?“ Alle Asen schauten schockiert zu dem einen der das Aussprach, was keinem im Traum eingefallen wär. Es war ein eher schmächtiger, blonder Jüngling, der noch nicht einmal seine ersten Barstoppeln besaß. Selbst Loki hatte mit so einem Vorschlag nicht gerechnet. Das Ausgerechnet Baldur, Odins Lieblingssohn, so etwas vorschlagen würde, war selbst für Loki ein Schock. Er sollte mit Thor …? Oh nein, eher ließ er sich verbannen. Schnell versuchte er den Spieß zu wenden. „Oh Bruder, hör nicht auf diesen … diesen Jüngling. Der Met scheint seine Sinne zu vernebeln. Schick besser ihn mit Thor ins Land der Riesen. Die beiden verstehen sich doch eh viel besser, als wenn ich...“, der Rest des Satzes kam ihm noch nicht einmal über die Lippen. „Ein Grund mehr, dich mit ihm loszuschicken. Ich weiß, dass ihr beide euch nicht leiden könnt. Aber ihr müsst lernen, mit dem jeweils anderen zu Leben. Also werdet ihr in der Nacht still und heimlich verschwinden, damit unsere Feinde nicht Wind von der Sache bekommen. Ihr solltet euch also noch mal ausruhen und euch für die weite Reise vorbereiten.“ Loki stöhnte. Wieder war ein Plan nach hinten losgegangen. Aber es war immer noch besser als der Zorn Odins.

 

Als die Sichel des Mondes hoch am Firmament stand, stahlen sich zwei Schatten Klammheimlich aus Asgard raus. Der eine war ein Hüne mit einem gewaltigen Breitschwert. Seine dumpfen Schritte ließen die Erde erbeben. Hinter ihm schlich leise ein schmächtiger Jüngling von nicht mehr als sechszehn Sommern. Er hatte zwei Armbrüste auf den Rücken und einen Gürtel mit Giften und Heiltränken. Sicherheitshalber hatte er überall in seiner Kleidung Messer versteckt. Thor dagegen hatte sich eher schlicht gehalten. Abgesehen von seinen Fellen und seinen Schwert trug er nichts dabei. Er war halt ein dummer Barbar. „Nur damit du es weißt“, zischte Loki, „Ich mache das genauso ungerne wie du.“ Thor konnte nur ein Knurren von sich geben. Er wollte wohl nicht mit Loki reden, was dem auch lieber war. Und so machte sich dieses ungleiche Paar ins Land der Riesen auf.

 

Fortsetzung Folgt…

Die Wurzel allen Übels (von Ragin)

Seit Stunden marschierten sie nun schon durch diesen dichten Nebel, ohne wirklich zu wissen, ob sie die richtige Richtung eingeschlagen hatten. Thor blickte finster drein und hatte die Zähne aufeinander gepresst, denn in ihm wuchs langsam der Unmut und die Wut auf seinen Reisegenossen.

Von Asgard aus hatten sie Lichtalfenheim durchquert, bis sie schließlich an der Grenze von Nifelheim angelangt waren. Vor ihnen hatte sich eine trostlose Landschaft aufgetan, in der eisige Kälte und wabernde Nebelschwaden vorherrschten.

Der Knabe, dessen Gestalt der listige Loki angenommen hatte, war leichtmütig drauf losmarschiert und hatte Thor verkündet, sie bräuchten nur ihren Schritten zu folgen, die würden ihnen schon den richtigen Weg zeigen. Dem Donnergott war nicht viel übrig geblieben, als Loki zu vertrauen, war dieser doch für seine List und Schläue bekannt.

Doch nach und nach war sein von Grund auf vorhandenes Misstrauen Loki gegenüber gewachsen, denn es schien, als würde der Knabe irgendetwas aushecken. Schließlich hatten sich düstere Erinnerungen in Thors Gedanken geschlichen, die ihm von Lokis vergangenen Taten erzählten, hatte er die Götter doch mehr als einmal in eine äußerst brenzlige Lage gebracht. Aber, und dieser Gedanke fachte die Wut des Donnergottes umso mehr an, Loki hatte den Asen doch auch stets wieder durch seine Schläue und List aus der Patsche geholfen, so dass man nie genau wusste, wie man bei dem Feuergott dran war.

Und nun stapften sie durch dieses nebelige Nirgendwo, und dieser Umstand verstärkte das Misstrauen des Donnerers noch mehr, da er sich nicht mehr ganz so sicher war, ob sie wirklich auf dem richtigen Weg waren. Hin und wieder kamen sie an gewaltigen Eisplatten und Gletschern vorbei, welche wie mächtige, behäbige Giganten aus dem Nebel auftauchten und Zeugen von der uralten, gewaltigen Macht waren, die einst bei der Erschaffung der Welt vorgeherrscht hatte. Nifelheim war die urälteste Welt, die eisige Kälte, hoch im Norden, erschaffen in den unendlichen Weiten noch vor Beginn der Zeit.

Gerade wollte Thor sich an Loki wenden, um mit dem Kerl mal ein ernstes Wörtchen zu wechseln, als vor ihnen im Nebel ein riesiger Schatten erschien, der sich beim Näherkommen als mächtige Felswand entpuppte. Der gezackte Riss darin, der sich auf Höhe des Erdbodens befand, schien geradezu winzig, und doch war die Öffnung gigantisch, aus welcher sich ein reißender Strom ins Freie schlängelte. Stirnrunzelnd wandte sich Thor um.

"Du hast doch gesagt, wir würden schon auf dem richtigen Wege sein. Was soll das?" dabei deutete er mit dem Daumen über den Rücken in Richtung des Flusses.

Die Mundwinkel des Knaben verzogen sich zu einem listigen, geheimnisvollen Lächeln, und er antwortete mit zuckersüßer Stimme:

"Nun, mein Freund, wenn ich das gesagt habe, dann wird es wohl auch so sein. Wir sollten diesem Flusslauf folgen, er wird uns gewiss zu deinem kostbaren Hammer bringen."

Thor zog die Augenbrauen zusammen und in seinen Augen blitzte es gefährlich auf.

"Ich warne dich, du falsche Schlange" knurrte er und ballte dabei bedrohlich die Faust, die groß genug schien, um Lokis Kopf mit Leichtigkeit zu umfassen, "wenn du irgendeine Schandtat vorhast, so werde ich dich zu Brei stampfen, hast du mich verstanden?"

In Lokis Augen tauchte für einen kurzen Augenblick der Schatten von Furcht auf, doch schnell gewann wieder seine listige, freche Art die Oberhand.

"Aber, aber, guter Thor" und dabei schlich er um den riesigen Asen herum wie ein streunender Kater, "was denkst du denn nur von mir? ich würde dich doch niemals hintergehen, so stark und mächtig wie du bist, oh großartiger, mächtiger Thor!"

"Du hast in der Vergangenheit nicht gerade gute Erinnerungen hinterlassen, Freundchen" entgegnete der Donnergott. Loki legte den Kopf zur Seite und blinzelte seinen Gefährten an.

"Vertraust du mir etwa nicht?" fragte er spitz.

"Eher würde ich mit der Midgardschlange kuscheln, bevor ich behaupte, dass du vertrauenswürdig seist." grollte Thor. Zu seiner Überraschung kam Lokis Antwort leise lachend.

"Wer weiß, wer weiß... Nichts ist unmöglich, mein Freund! Nur Odin weiß um die Zukunft der Welten bestellt, und selbst bei ihm bin ich mir manchmal nicht ganz sicher. Aber du beschämst mich. Folge dem Weg" dabei deutete er auf die Spalte in der Felswand, "und du wirst ans Ziel kommen."

Thor blickte ihn misstrauisch an. Er sollte diesem Kerl, dem Ursprung von Lüge und Verrat, wirklich trauen? Andererseits, er hatte keine andere Wahl. Odin hatte ihm Loki nicht ohne Grund zur Seite gestellt.

"Und was ist mit dir?" fragte er.

"Oh, ich bin ganz dicht hinter dir, oh Mächtiger. Du bist der Stärkere von uns, außerdem ist es dein Hammer, also solltest du voran gehen, während ich mit meinen Waffen, also mit meinem Gehirn kämpfe."

 Der rotbärtige Ase sah den Knaben noch einen Moment lang zweifelnd an, doch dann wandte er sich um und stapfte weiterhin auf die gezackte Öffnung zu, so dass das Rauschen des Flusses stets an Intensität gewann.

Als er den gezackten Eingang passierte, schien es dem Gott, als würde er in eine andere Welt eintauchen; die Kälte, welche sich sogar schon in seinen doch sonst schier unbeugsamen Geist eingeschlichen und begonnen hatte, seine Gedanken zu verlangsamen, blieb draußen zurück, und Thor fühlte sich, als könne er endlich wieder frei durchatmen.

Doch mit jedem Schritt wuchs die Dunkelheit, und schon bald waren sie von einer wabernden, scheinbar alles verschlingenden Dunkelheit umgeben. Sie konnten nur noch das Rauschen des Flusses hören, dass hier unten dumpf dröhnte.

"He, Feuergott" rief Thor über den Lärm hinweg, "Mach deinem Titel mal Ehre und besorge uns irgendeine Fackel, damit wir was sehen."

Es kam keine Antwort.

"Loki?" fragte Thor. "He, Kleiner, wo bist du denn hin?"

Wieder verging eine ganze Weile, und Thor wollte schon umkehren und, Loki in Gedanken verwünschend, nach seinem Gefährten suchen, als plötzlich ein Prusten und Lachen ertönte, als Loki in einem aufflammenden Licht erschien und sein Gesicht zu einer spöttischen Maske verzerrt war.

"Huhuhu, der mächtige Thor fürchtet sich doch wohl nicht?" feixte er. Dann quiekte er, Thor's Stimme übertrieben hoch nachahmend: "Loki, oh Loki, so komm und rette mich, ich fürchte mich!" 

"Hör mit deinen dämlichen Späßen auf und führe uns lieber hier raus!" kam die knurrende Antwort des Donnerers.

"Hab keine Angst, mein kleines Donnerchen" frotzelte Loki, "der Onkel Loki wird dich schon führen. Na los, mir nach!"

Und so sprang er lachend davon, noch bevor Thor die Gelegenheit hatte, ihn zu greifen und ihm eine Lektion zu erteilen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als Loki zu folgen.

Sie folgten dem Flusslauf, der nach und nach immer schmaler und weniger reißend wurde; der Weg begann schon bald, bergab zu führen, in gewundenen Linien, mal links, mal rechts, aber stets beharrlich bergab. Stunde um Stunde marschierten sie schweigend dahin, Loki scheinbar unbeschwert und fröhlich, gefolgt von Thor, dem Donnergott, dessen Gesichtsausdruck eher an einen wütenden Eber erinnerte.

Auf die Frage, wo sie denn nun seien, antwortete Loki stets nur mit einem Schulterzucken und achtete immer ganz genau darauf, nicht in Thors Reichweite zu sein.

Mit der Zeit wurde es wärmer, und vor ihnen war ein unheimlich flackerndes, rot schimmerndes Licht zu sehen. Der Fluss war mittlerweile nur noch ein Bach. Endlich traten sie aus dem Gang in eine Höhle hinaus, deren gewaltige Größe jedoch nur zu erahnen war, verlor sich die Decke doch in der Dunkelheit über ihren Köpfen. Das flackernde Licht schien direkt aus den Wänden zu kommen, als würden dahinter zahlreiche kleine Feuer brennen.

"Wo sind wir hier?" fragte Thor und wandte sich zu Loki um.

Aber Loki war verschwunden.

Thor drehte sich einmal im Kreis und rief leise Lokis Namen, doch er erhielt keine Antwort. Er war allein.

Die Zähne aufeinander gepresst und ein bedrohliches Knirschen von sich gebend ballte er die Fäuste. Wenn er diesen durchtriebenen Hund zu fassen bekommen sollte, so würde er ihm diese Späße ein für allemal austreiben.

Ein Geräusch ließ ihn herumfahren, und seine Hand fuhr automatisch an den Gürtel. Aber da war kein Hammer. Schmerzlich registrierte Thor, wie sehr er Mjölnir doch vermisste. Diese mächtige Waffe, die ihm so vertraut war, die besser war als jede andere Waffe... Der mächtige Zermalmer, der Blitze schleudern konnte oder, von des Gottes Hand geworfen, sein Ziel immer vernichtend traf und danach wieder treu in die Hand von Thor zurückkehrte. Er musste ihn wieder haben, koste es was es wolle.

Lauernd drehte sich der Donnergott im Kreis und zog leise sein Schwert. Mit der blitzenden Waffe, deren Größe allein schon fast die Länge eines ausgewachsenen Mannes hatte, schlich er vorsichtig am Bachlauf entlang. Ein seltsamer Geruch stieg ihm in die Nase, wie von frisch geschnittenem Holz, und er fragte sich, ob es wirklich in diesen finsteren Tiefen möglich sei, dass hier noch Pflanzen wuchsen.

Der Weg stieg nun leicht bergan, und als er schließlich die Spitze des Hügels erreicht hatte, lag vor ihm die Quelle des Flusses: Es war ein Brunnen.

Seltsam, dachte Thor. Ein Brunnen in dieser Tiefe? Welche Bedeutung mochte er wohl haben? Wem sollte er hier nutzen?

Ein lautes Schaben und Kratzen riss ihn aus seinen Gedanken, und er hob den Kopf und blickte nach oben. Über seinem Kopf gewahrte er den Schatten eines riesigen, hölzernen Gebildes. Gewaltig schlängelte es sich durch die Höhle und warf weitere Stränge zur Seite.

So seltsam es klingen mochte: Thor befand sich unter einer Wurzel.

Plötzlich traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag! Yggdrasil! Die Weltenesche! Es hieß, dass eine ihrer mächtigen Wurzeln in Nifelheim lag, am Brunnen Hwergelmir, dem ältesten aller Brunnen und dem Ursprung aller kalten Gewässer.

Doch es hieß auch, dass dieser Brunnen sowie die Wurzel in Nastrand lagen, und in Nastrand hauste der Legende nach...

Den gigantischen Schatten, der sich über ihm erhob, bemerkte er nur Sekunden, bevor das markerschütterndste Gebrüll ertönte, das er je vernommen hatte. Als Thor aufsah, war ihm, als blicke er in den Rachen der Zerstörung selbst, und vielleicht war dem auch so: Vor ihm erhob sich der gewaltige Leib von Nidhögger, dem Vater aller Drachen. Pechschwarz, mit einem langen Schlangenleib, einem furchteinflößenden Kopf in dem sich schwertlange Zähne befanden, dunkelrot glühenden Augen, Pranken, die ein Haus mühelos zerschmettern konnten und Schwingen, die mit einem Schlag einen Wirbelsturm entfachen konnten.

All diese Entdeckungen machte der Ase in einem einzigen Augenblick, denn der Drache ließ ihm gar keine Zeit, ihn näher zu betrachten. Sofort zuckte der gewaltige Kopf auf Thor hernieder, der sich mit einem beherzten Sprung gerade noch in Sicherheit brachte. Grimmig blickte er sich um. Verrat! Loki hatte ihn verraten und ihn quasi dem Drachen zum Fraß vorgeworfen. Wenn er nur seinen Hammer gehabt hätte... Doch auch ohne Mjölnir würde er nicht einfach kampflos aufgeben. Er war der Donnergott, und das sollte auch diese alte Schlange spüren, wenngleich Nidhögger als eines der mächtigsten Wesen in allen neun Welten galt.

Fauchend schlug das Untier mit einer seiner Pranken nach Thor, und er konnte die vorbeifliegenden Rindenfetzen sehen, die sich zwischen den Krallen eingehackt hatten. Stücke der Wurzel, an der der Drache der Sage nach alle Zeit hindurch nagt, um die mächtige Weltenesche eines Tages zu Fall zu bringen. Nidhögger, der Wurzelnager, der Drache, der sich von den Toten ernährte... Doch Thor sollte er nicht haben. Zumindest noch nicht.

Der Drache sprang von der Wurzel und landete auf dem Erdboden, so dass die ganze Höhle erzitterte. Mit weit geöffnetem Rachen ging er auf Thor los, der sich im letzten Moment zur Seite warf und dem Drachen das Schwert in den Hals rammte.

Zumindest versuchte er dies.

Die Klinge sprang mit einem lauten Klingen vom Schuppenpanzer des Drachen ab, ohne auch nur einen Kratzer darin zu hinterlassen. Fassungslos starrte Thor auf die Stelle. Einen Moment zu lange. Den Schatten, der von der Seite heransauste, bemerkte er den Bruchteil einer Sekunde zu spät, und so traf ihn die volle Wucht des Drachenschwanzes, und er flog gute dreißig Meter durch die Luft, bis er schwer auf dem Boden landete. Er schüttelte den Kopf und versuchte, die dunklen Schatten vor seinen Augen und seine Benommenheit zu bezwingen. Keuchend rappelte er sich auf und blickte zum Drachen hinüber. Dieser hatte nun die Schwingen gespreizt und erhob sich wie eine geschmeidige Schlange im Wasser hinauf in die Luft, um sich jedoch sofort wieder auf Thor herabzustürzen. Dieser sprang hoch und hechtete sich unter einen nahen Wurzelstrang, so dass die gewaltigen Klauen des Monsters nur tief in den felsigen Boden fuhren und massive Brocken herausrissen.

Thor wusste, dass er diese Auseinandersetzung nicht lange würde durchhalten können. Er hatte keinerlei wirkungsvolle Waffe gegen diesen Giganten der Unterwelt. Sollte dies wirklich das Ende sein von Thor dem Mächtigen, von Donar, dem Gott des Donners, dem Schutzpatron der Menschheit, der Welt Schirmherr und Beschützer?

Er ballte die Faust und blies zornig in seinen dichten, roten Vollbart. Nein! Er würde niemals aufgeben! Nicht umsonst war er Odins Sohn und der Stärkste der Asen!

Von dieser neuen, grimmigen Entschlossenheit erfüllt, trat er aus seinem Versteck hervor und direkt auf den Drachen zu. Er wusste nicht, ob Nidhögger ihn verstehen würde; dennoch hob er die Hand und deutete auf den brüllenden Wurm.

"Lass ab von mir, alter Wurzelnager!" schrie er, und obwohl das Gebrüll der Bestie die Höhle in ihren Grundfesten erschütterte, so übertönte seine donnernde Stimme den Lärm. "Ich bin Donar, Yggers Sohn, dem Herrn dieses Baumes und Vater allen Seins! Nicht wirst du Thor, den Mächtigen, bezwingen, solange die Sonne am Himmel steht!"

So stand er also da, furchtlos, ein Gott zwar, aber dennoch winzig im Gegensatz zu dem gewaltigen Schatten, der sich einer Gewitterwolke gleich vor ihm ausbreitete.

Der Drache neigte den Kopf und schien für einen Moment verwirrt, war es doch in diesen vielen tausend Jahren seiner schrecklichen Existenz noch nie vorgekommen, dass hier unten menschliche Worte gesprochen wurden. Für einen winzigen Moment glühte in den von Bosheit und Gier erfüllten Augen so etwas wie Überraschung und sogar Respekt auf, verschwand dann jedoch, um dem schlimmsten Ausdruck von Hass und Abscheu Platz zu machen, den Thor je gesehen hatte. Dennoch wich der Ase keinen Schritt und senkte auch nicht den Blick.

"Ich werde dir so schwer im Magen liegen, dass du dir wünschst, nie existiert zu haben" knurrte er und hob das Schwert, bereit für den Ansprung der Bestie und in Erwartung des nahenden Todes.

Doch es kam nie dazu. Denn plötzlich war hinter dem Drachen eine schmächtige Gestalt aufgetaucht mit einer Armbrust im Anschlag. Der Bolzen, der den mächtigen Schädel des Untiers traf, prallte zwar wirkungslos daran ab, hatte jedoch den Effekt, die Aufmerksamkeit des Drachen von seinem bisherigen Opfer abzulenken. Fauchend schwenkte der gigantische Leib herum, um zu sehen, wer sich diese Frechheit erlaubte. 

Die Gestalt jedoch war bereits katzenartig weiter gesprungen und hatte einen weiteren Bolzen auf das Untier abgefeuert, natürlich erneut ohne jegliche Wirkung. Mit einem Wutgebrüll stürmte der Drache hinter dem neuen Angreifer her, der es sich doch erdreistete, ihn anzugreifen. Loki jedoch, denn kein anderer verbarg sich hinter der Gestalt, war viel zu leichtfüßig und schnell für den Wurm, sprang hierhin und dorthin, ohne dass ihm die zuschnappenden Klauen und der umherpeitschende Schwanz gefährlich werden konnten.

Thor beobachtete die Szene staunend. Loki war also doch gekommen, um ihm zu helfen! Zunehmend besorgt jedoch sah er, dass es dem Drachen gelang, seinen Gefährten immer weiter ins Eck zu drängen, so dass der Knabe wohl bald in der Falle sitzen würde.

Er stürmte los. Nidhögger beachtete ihn nicht, lag seine Aufmerksamkeit doch ganz und gar auf Loki, der es geschafft hatte, den Drachen bis über alle Maßen zu reizen.

Thor erreichte das rechte Bein des Drachen und holte aus. Er musste Loki helfen, denn sonst war er verloren. Mit aller Macht ließ er seine Faust auf den Fuß des Monsters niedergehen.

Es war, als hätte er gegen die Mauern von Asgard geschlagen. Ein zuckender Schmerz jagte durch seinen Körper und betäubte ihn für einen Augenblick. Aber der Schlag zeigte die gewünschte Wirkung. Der Drache heulte wütend auf und schlug mit dem Schwanz um sich. Dieser traf den Asen und schleuderte ihn mehrere Meter davon.

Thor hob stöhnend den Kopf, als er plötzlich von hinten gepackt wurde.

"Du barbarischer Tölpel!" hörte er Loki hinter sich. "Da versucht man, dich zu retten, und was machst du? Wirfst dich diesem Untier noch in die Arme!"

Thor riss den Kopf in den Nacken und sah Loki verdutzt an. "Aber wie hast du das gemacht?" fragte er. Loki zog ihn jedoch als Antwort auf die Füße und zerrte ihn dorthin, wo sie hergekommen waren: Zur Felsspalte, durch die das Wasser des Brunnen Hwergelmir entfloss.

"Du Dummkopf vergisst, dass ich mich verwandeln kann!" fauchte Loki kratzbürstig. "Nun komm, wir müssen hier weg! Ich würde dich zwar liebend gerne hier lassen, so dass Nidhögger zur Abwechslung mal eine göttliche Mahlzeit bekommt, aber ich befürchte, Odin wird etwas dagegen haben. Außerdem hättest du dich mit deinem Selbstopfer eher zum Heiligen gemacht, und das kann ich nun wirklich nicht durchgehen lassen. Komm jetzt!"

Hinter ihnen ertönte bereits wieder wutentbranntes Gebrüll, und der Windstoß verriet, dass der Drache sich in die Luft erhoben hatte.

Sie rannten verbissen auf den Ausgang zu, nicht hinter sich schauend, um nicht von der Verzweiflung gepackt zu werden, und überwanden die letzten Meter in einem verzweifelten, gewagten Sprung.

Sie stürzten in das eisig kalte Wasser der Höhle. Als sie auftauchten, ertönte ein gewaltiges Donnern und Krachen; der Drache war gegen die Höhlenwand geprallt. Das wütende Gebrüll drang ihnen noch lange nach, während sie dem Wasserlauf folgten, der sie fort von der finsteren Höhle führte, jener Höhle, in der der Wurzelnager hauste und die als die schlimmste Station der Unterwelt galt.

 

FORTSETZUNG FOLGT...

Familienzwistigkeiten in der Unterwelt

Lokis Lungen füllten sich mit dem eiskalten Wasser des Flusses. Sein Plan war, bis auf den Schluss, perfekt gewesen. Er ritt Thor in den Schlamassel und haute ihn wenn es schwierig wurde wieder raus. Und wenn sie schließlich den Hammer hatten, würde er Thor irgendwo sterbend zurücklassen und lachend davon gehen, Mjölnir immer wieder mit einer Hand in die Luftwerfend und -wiederauffangend. Natürlich hatte Loki Thor vorher noch ein paar Mal gerettet, damit er auch vollstes Vertrauen in den Gott des Feuers hatte. Allein dieses von ihm erdachte Szenario hielt ihn noch bei diesen Klumpen primitivem Fleisch. Allerdings musste er sich jetzt erst einmal mit der Wirklichkeit abgeben, in der leider nicht alles so eingetroffen war, wie geplant. Sie waren in diesen dämlichen Fluss gefallen, der sie direkt nach Hel brachte. Einem Ort, von dem noch niemand, weder Gott, noch Mensch, je zurückgekehrt war. So sagte man zumindest. Schreiend wurden die beiden aus der Spalte gespien und landeten wieder im Fluss. Prustend und Wasserspuckend durchbrachen die Götter die Wasseroberfläche. Mit letzter Kraft konnten sie sich an einigen Zweigen festhalten. Wieder aus dem Fluss zu kommen, war da schwieriger. Es bedurfte schon die Kraft eines Thors, damit Loki wieder aus dem Nass kam. So standen beide durchnässt in der Kälte der Unterwelt. Sie war eine graue Ödnis, wo abgesehen von ein paar verkrüppelten Bäumen und Büschen nichts war. „Sind wir in der Unterwelt?“, fragte Thor. „J-ja. W-w-wieso?“, bibberte Loki. „Hab ich mir ganz anders vorgestellt“, meinte der Donnergott. Loki konzentrierte sich auf das Feuer in seinem inneren. Schon bald fing seine Kleidung zu dampfen an. Es hatte Vorteile der Feuergott zu sein. „Ach das“, Lokis Atem bildete kleine Wölkchen. „Ich hab Hel vor einiger Zeit beim Umdekorieren geholfen. Ich sagte ihr: Hel, sagte ich, dieses ganze Eiszeugs ist doch heute nicht mehr aktuell. Wie wär es mit einer grau, düsteren Ödnis, darauf stehen die Menschen heute vielmehr. Ich meine, wenn die Leute noch am Leben sind, verbringen sie ihr Dasein schon in Eis und Schnee, brauchen sie sowas auch noch im Tode? Tja. Und darauf haben wir diese Ödnis hier geschaffen. Das war vielleicht ´ne Arbeit. Wie du siehst haben wir mehr, als nur ein paar Möbel verrückt.“ Thor schnaubte verächtlich. Sein Odem bildete weiße Wölkchen, was an einem dampfenden Teekessel erinnerte. „Aber es ist nicht gerade wärmer geworden“, meinte er verdrießlich. „Ja, aus irgendeinem unempfindlichen Grund, wollte sie es unbedingt kalt haben. Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen. Hat sie bestimmt von ihrer Mutter geerbt. He?!“, Loki stupste Thor gespielt kameradschaftlich mit dem Ellenbogen an. Ich muss mit ihm nur noch einige Zeit auskommen und dann auf nimmer wiedersehen, du Vielfraß, dachte er. „Wir sollten machen, dass wir weiterkommen. Wir vergeuden nur wertvolle Zeit. Wo ist der Ausgang?“, fragte der Donnergott und stapfte dann los. Loki stellte sich ihm mit weitausgebreiteten Armen in den Weg. „Hey, hey, hey. Nicht so stürmisch. Wir müssen Hel darum bitten, dass sie uns hier raus lässt, ansonsten sitzen wir hier fest.“ „Also gehen wir zu ihr“, Thor stapfte an den Feuergott vorbei. Loki stellte sich ihm wieder lächelnd in den Weg. „Was soll das jetzt schon wieder?“, Thor hob musternd eine seiner dichten Augenbrauen. „Wieso sollten wir nicht zu Hel gehen?“ Wieso eigentlich nicht? Aber da war noch eine alte Geschichte, weswegen Loki sich von ihr fernhielt. Er wusste aber schon lange nicht mehr, worum es bei der Sache gegangen war. Es war irgendetwas Wichtiges gewesen. Auch egal. Loki musste sich schnell was einfallen lassen, sonst würde dieser Idiot noch etwas Unvorhergesehenes anrichten. Ein Gasthaus fiel ihm ins Auge, welches Scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht war. „Thor sieh! Dort hinter dir!“ Der Donnergott starrte ihn lustlos an. „Das ist der älteste Trick der Welt. Der Streich funktioniert nicht“, meinte er bloß. „Nein, wirklich. Da hinter dir! Sieh es dir doch nur mal an!“, dabei sprang der Jüngling aufgeregt auf und ab. Sein Finger zeigte genau auf das Gasthaus hinter dem Donnergott. Schließlich wurde es Loki zu blöd, also drehte er den Barbaren einfach um. „Siehst du! Ich wette, du hast schon einen ziemlich großen Hunger. Ich meine, nach dem Abendteuer mit dem Drachen, könnten wir eine kleine Zwischenmahlzeit einschieben, findest du nicht?“ Grummelnd ging Thor auf das Gasthaus zu. Als er mit dem Rücken zum Feuergott stand, rieb sich dieser verschlagen mit einem dreckigen Grinsen die Hände.

 

In der Gasstätte war es nicht gerade schön. Ein paar Untote versuchten sich als Bedienstete. Sie schlürften umher und gaben einigen Leuten Getränke. Unter den Gästen waren auch einige Prominente dabei. Da war zum Beispiel Regin, der angeblich von Sigurd getötet worden war. In Wahrheit hatte sich der Idiot aber einen Helm mit ziemlich kleinem Visier für den Kampf ausgesucht. Dann war er schreiend mit geschlossenem Visier auf Sigurd zugerannt, welcher ihm Auswich und ihn geradewegs gegen eine massive Felswand rennen ließ, wo er sich den Schädel einschlug. Dumm gelaufen. Seltsamerweise war das aber ganz anders in die Geschichtsbücher eingegangen. Wahrscheinlich wegen dem Spannungsbogen oder ähnlichem. Aber der Helm war auch zu schön gewesen. Irgendwann später war er in Lokis Besitz gekommen, wo er ihn eingetauscht hatte gegen Frauen mit besonderen … Dienstleistungen. Er hatte nie was davon gehalten, in Asgard zu leben. Lieber streifte er durch die Länder, suchte Schätze, tötete Drachen und ähnliches, rettete Jungfrauen, machte aus ihnen nicht-mehr-Jungfrauen, bestielte irgendwelche Leute die er nicht kannte, Leute die er kannte und vieles mehr. Er war kein Krieger, er sah sich mehr als eine Art Abenteurer. Aber jetzt saß er hier in der Unterwelt fest und als hätte das nicht genügt, musste er die Ewigkeit auch noch mit Thor verbringen. Doch was sollte er jetzt tun? Er brauchte Zeit, um nachzudenken. Und bei einem Mahl mit dem gefräßigsten aller Asen von Asgard hatte er mehr als genügend Zeit. „Einmal Met, bitte“, sagte Thor mit erhobenen Finger. Stöhnend brachte die Kellnerin einen vollen Krug mit Met. Thor guckte hinein. Angewidert fischte er aus dem Met ein Auge heraus und hielt es angewidert der Kellnerin hin. Die schielte mit ihrem verbliebenen Auge darauf und lächelte dämlich. „Entschuldigung, warum ist ein Auge in meinem Met?“ „Ich glaube die korrekte Frage lautet, wie kommt Met in das Auge?“, versuchte Loki einen Scherz, der ihm nicht recht gelang. Zornig funkelt Thor ihn an. „Hör auf mit deinen Witzen! Du hast uns schließlich in diesen Schlamassel gebracht. Ohne dich wären wir nicht hier!“ „Ach ja?!“, fuhr Loki den Donnergott an. „Wer ist denn in den Fluss gefallen und hat mich am Bein gepackt, damit ich ebenso hier festsitze?“ „Das hab ich überhaupt nicht getan!“ Das stimmte, aber Loki brauchte gerade eine Ausrede. Und wäre Thor nicht so dämlich gewesen und hätte sich seinen Hammer von Loki abluchsen lassen, hätte der wiederrum diese fette Lüge nicht auftischen müssen. „Stimmt doch!“, schrie Loki ihn an. Wütend standen die beiden auf und gingen sich gegenseitig an die Gurgel. Loki zog Thor am Bart und biss ihm in die fleischige Hand, während Thor den Jüngling an der Kehle packte und ihm die andere Faust in den Magen rammen wollte. Plötzlich wurde die Tür der Gaststätte von einem eisigen Luftstoß aufgerissen. Herein kam eine wutentbrannte Frau. Sie war wunderschön. Schwarz wallendes Haar. Die Beine der Schönheit schienen auch kein Ende zu nehmen. Zornig blitzten ihre Augen auf, als sie die beiden Streithähne sah. Sie trug einen schwarzen Mantel, welcher unheildrohend wallte. Ihre rechte Hand bestand nur noch aus Knochen, mit welcher sie auf die beiden zeigte. „Du!“, zischte sie wütend. Die beiden Streithähne erstarrten in ihrer Bewegung. „Du! Jetzt bezahlst du für deine Taten!“ „Was meint sie?“, fragte Thor. Loki war rasch hinter Thor verschwunden. „Keine Ahnung“, sagte er hecktisch. „Aber du bist von uns beiden der Stärkere. Also los Thor! Fass!“, grob schupste er den Gott in Richtung der Frau. Der schaute sie nur verdutzt und leicht ängstlich an. Aber sie ließ ihn links liegen und ging auf den Feuergott zu, der nach hinten stolperte und immer weiter vor ihr zurückwich. „Hel. Liebling. Schätzchen. Es ist nicht das, wonach es aussieht“, versuchte er sich in Ausflüchte zu retten. Ihm war wieder eingefallen, weswegen er seine Tochter mied. „Du hast mir meinen Freund ausgespannt!“, kreischte sie. Thor schaute verdutzt auf Loki. „Ähm, das war ich nicht. Das war deine Tante Laki. Ich hatte mit der Sache überhaupt nichts zu tun.“, er wedelte dabei abwehrend mit den Händen. „Vater, jeder Narr wusste, dass du das warst.“ Nicht jeder, dachte Loki, der Trottel hat mich weder erkannt, noch ist ihm die namentliche Ähnlichkeit aufgefallen. Er verehrte den Boden auf den ich lief sogar noch, als meine Tarnung aufgeflogen war. Ein hoffnungsloser Fall, dem ich nie im Leben meine Tochter gegeben hätte. „Ähm. Ich wollte nur das Beste für dich. Der Typ hatte dich gar nicht verdient. Und außerdem er, … er … er hatte eine Affäre mit Zwillingen. Ich habe ihn zusammen mit hübschen Zwillingen gesehen. In … in irgendeiner Taverne.“ „Und das soll ich dir glauben?!“ Nein, dachte Loki, das würde ich mir nicht einmal selber abkaufen. Also blieb den beiden Göttern nichts anderes übrig, als sich der Gnade von Hel auszuliefern. Sie wurden in Ketten gelegt und von untoten Wikingern begleitet.

 

Hel und Thor blieben den ganzen Marsch über still. Loki wäre fast wahnsinnig geworden. Egal wie sehr er sich auch bemühte, er konnte seinen Begleitern kein Wort entlocken. Die beiden Wikinger waren sowieso tot. Sie konnten nicht reden. Man sagte nicht umsonst, Tote reden nicht. Dann war da Hel. Sie wollte Loki nur Angst machen. Und Thor. Tja Thor. Loki wusste nicht genau, was in seinem primitiven Verstand vorging. Vielleicht wollte er Loki ebenfalls ängstigen. Vielleicht wollte er aber auch nur, dass Loki seine Ehre wiederherstellte oder sowas ähnlich dämliches. Schließlich erreichten sie eine Felsspalte. Mit einem Nicken gab Hel ihren Dienern zu verstehen, Loki von den Fesseln zu befreien. Unsanft wurde der Jüngling in die Spalte gestoßen. „Gut. Hier mein Vorschlag. Du folgst der Schlucht in Richtung Norden. Dann kommst du zu einer Höhle wieder raus. Und dann gestatte ich dir, dich und deinen Freund hier laufen zu lassen. Du hast drei Tage Zeit.“ Und so verschwand sie. Loki wollte ihr noch eine freche Bemerkung hinterher brüllen, doch sie war schon weg. Thor hatte auch nichts gesagt. Odin wusste, was in ihm vorging. So musste Loki wohl oder übel an diesem Wettrennen teilnehmen. Schließlich wollte er nicht für Ewig hier versauern. Zuerst versuchte Loki die Dunkelheit mit einem kleinen Feuerball in seinen Händen zu erleuchten, doch es war so kalt, dass er sich lieber die Augen einer Katze aneignete und seinen feurigen Atem in die Hände pustete, damit ihm warm wurde. Geschwind versuchte er aus diesem Tunnellabyrinth zu entkommen. Die Zeit arbeitete gegen ihn und dass alles nur weil Thor nicht auf seinen Hammer aufgepasst hatte. Während er durch die Dunkelheit schritt, verwünschte er den Gott. Er war so sehr in seine Flüche vertieft, dass ihm die abgenagten und staubbedeckten Knochen um ihn herum nicht weiter auffielen. Weder ihr brechen, noch ihr knacksen erreichte die Ohren des Feuergottes. Er trat sogar wütend gegen welche, ohne ihre stummen Warnungen zu vernehmen. Schließlich hörte er doch noch etwas. Das schlagen von Trommeln. Sie kamen von irgendwo aus den Tiefen der Tunnel. Loki wurde hellhörig. „Oh-oh. Das kann nichts Gutes bedeuten.“ Viele Gestalten kamen aus den Tunneln. Sie hatten schwarze Haut, ihre Augen waren tellergroß und milchig. Während sie brüllten, kreischten und schreiten zeigten sie dem Gott Mäuler voller nadelspitzer Zähne. Zuerst wollte Loki weglaufen, doch es kamen weitere aus den Nebentunneln, welche er schon passiert hatte. Jetzt gab es nur noch einen Weg. Loki zog seine Armbrüste. Er hasste es zu kämpfen, lieber bestritt er sein Leben mit der Zunge, als mit so etwas wie einem Schwert oder einer Armbrust. Aber die schwarzen Wesen sahen nicht so aus, als ob sie mit sich verhandeln ließen. Loki stellte sich mit dem Rücken zur Wand. Er selbst wusste nur zu gut, wie leicht man von hinten angegriffen werden konnte. Er kreuzte die Arme. Mit geübtem Blick betrachtete er seine Gegner. Suchte nach Schwachstellen in ihrer Panzerung. Die Schlitze zwischen Helm und Brustpanzer sahen vielversprechend aus. Das sie aber die Achseln unverhüllt ließen, war auch nicht gerade uninteressant. Die Wesen rannten auf ihn zu. Loki betätigte den Abzug. Die ersten Bolzen forderten bereits Opfer. Er feuerte auf die Schwachstellen seiner Feinde. Zum Glück hatte er nicht irgendwelche Armbrüste und musste somit nicht nachladen. Das Holz stammte aus magischen Wäldern, welche sogar den Asen unbekannt waren. Dazu waren sie noch vom besten Waldläufer der Welt angefertigt worden. Loki hatte viel Zeit und Ausdauer aufgebracht, um sie anzufertigen. Hatte die Zutaten sorgsam ausgewählt. Und just in diesem Moment schienen all die Mühe und all der Schweiß es wert gewesen zu sein. Die Armbrüste fällten eine Kreatur nach der anderen. Sie konnten sogar mehrere Bolzen auf einmal verschießen. Irgendwann änderte sich die Moral der Wesen. Die Mordgier schlug in Verzagen und Angst um. Ihre Trommeln verstummten, als sie flohen. Loki schoss einigen noch in den Rücken. „Ja, genau Flieht. Fürchtet den Gott des Feuers. Ich werde euch alle töten. Erfindet Geschichten, damit eure Kinder auch ja zu Bett gehen!“, grölte er ihnen übermütig hinterher und lachte dabei. „Das war doch leichter als Gedacht. Ich denke nicht mal Thor hätte das geschafft. Hiermit ernenne ich mich selbst zum Klügsten und Stärksten unter den Asen. Hahaha. Kinderschreck. Loki der Kinderschreck. Gefällt mir.“ Der Jüngling sonnte sich in seinem Erfolg. Doch das Hallen von schweren Schritten ließ die Vermutung aufkeimen, dass die Kreaturen vielleicht nicht vor ihm geflüchtet waren. Es donnerte, als ein schwergepanzerter, zweieinhalb Meter großer Dämon aus einem der Stollen kam. Er besaß eine blass schimmernde Haut. Sein gesamter Körper war mit Narben übersät, von denen viele einen normalen Menschen schon längst das Leben gekostet haben müssten. Zwei abgebrochene Hörner saßen auf seinem Haupte. Von seinem schütteren Haar war nur noch ein Kranz übrig, der dafür sehr lang war und ihm bis zu den Schultern reichte. Er hielt eine Axt in der einen und ein großes Breitschwert in der anderen Hand. Die Klingen waren schartig und zerfressen. Sie hatten ohne Frage viele Kämpfe gesehen. Das Wesen schnüffelte herum und sah dann auf Loki. Wütend brüllte es den Gott des Feuers an. Dabei flogen einige Speichelfäden aus dem Rachen des Untieres. Loki feuerte einige Bolzen in die Brust des Dämons. Unbeeindruckt riss sie das Viech wieder heraus. Es versuchte den Feuergott mit dem Schwert zu erschlagen. Loki weichte dem Schlag gerade noch aus, doch er konnte nicht verhindern, dass die Klinge seine Schulter streifte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht schaute Loki auf sein eigenes Blut. Angst stieg in ihm auf. Flink wie ein Wiesel, flitzte er durch die Beine des Dämons und rannte durch die Stollen. Er war kein Krieger. Sein Leben war ihm immer am Wichtigsten gewesen. Irgendwann kam ein helles Licht. Mit der Hoffnung, dass es der rettende Ausgang sei, verdoppelte er seine Anstrengungen. Seine Enttäuschung kannte keine Grenzen, als er auf einen riesigen Berg aus Gold und Edelsteinen in einer Höhle traf. Der Schimmer eines kleinen Spaltes brach das Licht mehrmals und erhellte damit den gesamten Raum. In einiger Entfernung hörte Loki das Gestampfe des Dämons. Ängstlich drehte er sich in Richtung Stollen um. Er schien den Feuergott durch seine Witterung aufgespürt zu haben. Loki wollte sich in eine Fliege verwandeln und dann durch das Loch in die Freiheit fliehen. Aber etwas ließ ihn erstarren. Er erblickte einen Kampfstab. Etwas umgab ihn. Es war weder zu sehen, noch zu schmecken oder zu hören. Es war ein Gefühl, welches der Stab irgendwo in den tiefsten Tiefen von Lokis Herzen entfachte. Langsam, wie eine Motte zum Licht, bestieg er den Berg aus Gold und Silber. Er zog den Stab aus all dem wertlosen Tand. Er war aus schwarzem Holz. Am oberen Ende war der Stab geflochten und hatte die Form einer Flamme, während am unteren Ende eine vierzig Zentimeter lange Klinge saß. Als er den Stab in Händen hielt, spürte er eine Welle der Macht, welche von ihm ausging und im Feuergott etwas auslöste, was er nicht kannte. So etwas wie Kampfeswille. Loki schaute sich um. Ihm fiel auf, dass nicht nur Münzen und Steine den Berg ausmachten. Darunter waren auch Waffen und Rüstungen. Schnell schnappte sich Loki zwei nietenbesetzte Panzerhandschuhe, deren Fingerspitzen krallenähnlich waren und zwei Panzerstiefel. Während er sie sich anzog, verwandelte sich seine Gestalt. Aus dem Jüngling wurde ein Mann mit Vollbart. Seine Gestalt war auch nicht mehr so Schlaksig, sondern Sehnig. Und ihm stand die Grimmigkeit, einem gewissen Thor nicht unähnlich, ins Gesicht geschrieben. Er erwartete den Dämon schon längst, als er die Höhle betrat. Als wenn er den Dämon damit verhöhnen wollte, schmierte er sich sein eigenes Blut ins Gesicht. Im geflochtenen Ende des Stabes entzündete sich von selbst eine Flamme. Der Dämon ließ ein paar Laute von sich, welche an das Kichern eines Mädchens erinnerten. Loki ließ die Klinge etwas in den Boden versinken und rannte dann los. Die Klinge zog sich kreischend und funkensprühend durch das Gestein. Als Loki vor dem Dämon stand, ließ er all die Kraft seines Sprints in die Klinge leiten und zog sie Ruckartig hoch. Der Dämon konnte der Klinge gerade noch entkommen. Sie zerschnitt einige seiner Haare, welche dann durch die Luft segelten. Der Dämon setzte zu einem vernichtenden Schlag von oben an. Loki hielt den Stab mit zwei Händen und ging in die Knie, um die Wucht des Schlages abfangen zu können. Die Arme des Feuergotts wurden Taub, als der Schlag seinen Stab traf. Der darauffolgende Druck war, als würde Thor seinen Hammer ein Bisschen kreisen lassen. Loki hatte Angst, dass dem Stab etwas passieren könnte, dass er entzwei brechen könnte. Seine Hände wurden schwitzig. Lange würde er dem Druck nicht mehr standhalten können. Mit gefletschten Zähnen beugte sich Loki etwas nach hinten und schleuderte dann seinen Gegner von sich fort. Schnell zog er eine Armbrust, welche sofort in Flammen aufging und einen Feuerbolzen in den Dämon jagte, welcher auch prompt explodierte. Der Knall wirbelte etlichen Staub auf und ließ das Wesen in einer Wolke verschwinden. Zuerst lächelte Loki freudig, doch sein Sieg währte nur kurz. Aus der Wolke formte sich der Schatten des Dämons. Langsam schritt er aus dem aufgewirbelten Staub. Als er vor Loki stand, lachte er hämisch. Loki stierte ihn grimmig an. Der Dämon sprintete los, dabei zielte er auf Lokis Kopf. Der Feuergott versuchte zu parieren, aber der Schlag war eine Finte und stattdessen rammte der Dämon sein Großschwert in Lokis Bauch. Ächzend und Blutspuckend knickte er ein. Mit einem Ruck zog der Dämon seine Waffe aus den Innereien des Gottes und wandte sich lachend ab. Ins Leere starrend ging Loki in die Knie. Aber nur für einen kurzen Moment fand er sich mit seinem eigenen Tod ab. Ächzend schaffte es der Gott wieder auf die Beine. Mit einer Hand malte er sich ein Zeichen in den Bauch. Zischend versiegelte es seine Wunde. Verwundert drehte der Dämon sich um. Vor Lokis geistigem Auge spielte sich sein ganzes Leben ab, der zu diesem Moment geführt hatte. Seine Geburt. Alle seine Pläne die er durchgeführt hatte und die er noch durchführen würde. Die Intrigen in Asgard und und und. Er war der Gott des Feuers. Nicht wenige verehrten ihn. Und er würde nicht in so einem räudigen Loch verrotten. Von der Hand eines dahergelaufenen Dämons niedergestreckt. Nein, er würde sich nicht aufhalten lassen. Die Flamme des Stabes wurde größer, sie passte sich Lokis Zorn an. Seine Augen begannen zu glühen und roter Rauch stieg aus ihnen. Aus seinen Fingern schossen Flammen. Der Dämon kreuzte die Waffen um sich vor dem Angriff zu schützen. Mit einem wütenden Brüllen fegten die Waffen den Angriff beiseite, dabei flogen kleine Gesteinssplitter aus dem Boden. Die Bestie schaute nach oben, als Loki auf sie niedersauste. Seine Füße landeten auf der Brust des Dämons und warfen ihn nieder. Die Klinge seines Stabes versank da wo normalerweise das Herz jeder Kreatur saß. Schnell zog Loki die Klinge aus dem Fleisch. Der Dämon schien sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Er streckte die Arme nach oben und versuchte den Gott des Feuers zu packen. Blitzschnell versenkte der Mann, der erst vor kurzem ein Jüngling war, die Klinge in den Rachen der Kreatur. Röchelnd und blutspuckend starb der Dämon endlich.

 

Einige Zeit später erreichte der Gott des Feuers den Ausgang des Labyrinths. Er sah Hel und den gefesselten Thor, wie sie vor dem Eingang standen. Schweigsam. Sie schienen ihn nicht zu sehen. Als Loki ins Licht trat, hielt er seinen neuen Stab in der einen Hand und den abgetrennten Schädel des Dämons in der anderen. Die Wunde, die ihn fast umgebracht hatte, war mit dem blutroten Zeichen versiegelt worden, sie würde ihn noch einige Zeit begleiten. Loki hatte das Loch in seiner Kleidung sogar noch vergrößert, damit man das Zeichen besser sehen konnte. Grimmig schaute er mit seinem blutverschmierten Gesicht auf die beiden. Bei jedem seiner Schritte zermalmte er die Knochen unter sich zu Staub. Als sich sein Blick mit dem vom Thor traf, wusste Loki, dass nur einer diese Reise überleben würde. Er warf Hel den Schädel zu. „Ein Dämon, der in deinem Auftrag gehandelt hat, nehme ich an. Wer war er?“ Hel betrachte den Schädel von allen Seiten. Ihre Miene war unterkühlt. „Ein einfacher Dieb, der in seinem Leben viel zu gierig war. Ich habe ihm gerne von mir verurteilte Verbrecher gebracht, dafür bekam er, was sie bei sich trugen. Aber nun muss ich mir wohl jemand anderen für die Vollstreckung meiner Urteile suchen.“ Loki durchschlug mit seinem Stab die Fesseln des Donnergottes. „Zeig uns jetzt den Weg hier raus.“ Hel schaute von dem Kopf auf. „Obwohl ich dich schon mein Leben lang kenne, bist du immer noch ein Rätsel für mich“, meinte sie geheimnisvoll. Es öffnete sich ein schwarzes Portal. Daraus kam eine schwarze Kutsche mit schwarzen Pferden und einem schwarzangezogenen Skelet als Kutscher. „Bitte einsteigen“, meinte der Kutscher. Thor versuchte sich in die Kutsche zu zwängen, dabei schaffte er es in der Tür stecken zu bleiben. „Du solltest mal abspecken, mein Dickerchen“, höhnte Loki. Thor knurrte. „Dein Äußeres hat sich zwar verändert, aber innerlich bist du immer noch dieselbe Nervensäge.“ Loki lachte. „Wir klingen schon wie ein altes Ehepaar. Ich bin der überaus attraktive Ehemann und du die bärtige, hässliche, verfressene…“ „Pass bloß auf!“, brüllte Thor. Lachend machte sich Loki an Thor in die Kutsche zu helfen, bevor Hel es sich wieder anders überlegte. Als er gehen wollte, hielt sie ihn aber am Arm fest. Verwundert drehte Loki sich um. Ihr Blick war grimmig und in ihrer Stimme lag etwas Düsteres. „Du solltest wissen, dass ich dir noch lange nicht verziehen habe. Irgendwann kriege ich dich. Du bist zwar mein Vater, aber trotzdem werde ich dich jagen und verurteilen. Verstanden?“ „Klar wie Kloßbrühe“, meinte Loki mit einem verschmitzten Grinsen. In Gedanken machte er sich die Notiz, dass er bei seinem nächsten Geburtstag bei den Geschenken mehr als sonst aufpassen sollte. Es war nicht selten, dass die Geschenke dazu gedacht waren ihn zu töten. Am einfachsten waren die Geschenke zu erkennen, wo die Glückwunschkarte nur aus Morddrohungen bestand. Schließlich setzte sich Loki in die Kutsche, die sie wieder in die Welt der Götter führen sollte. Sie wussten aber nicht, wo der Kutscher sie raus lassen würde. Außerdem sang er die ganze Fahrt über fröhlich vor sich hin. Es wäre nicht schlimm gewesen, wenn er anständige Lieder gesungen hätte oder die Lieder, die er sang, wenigstens richtig. Er traf keinen einzigen Ton. Dafür begrüßte Loki die Stille von Thor. Der hünenhafte Barbar, schwieg. Aber die Ruhe hielt sich nicht lange. Schon nach kurzer Zeit waren die Beiden wieder dabei sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Während der Kutscher fröhlich weiter falsch sang.

 

Fortsetzung folgt…

Die wahre Bedeutung des Verlustes (von Ragin)

"Du kleiner, mieser..." Der letzte Teil des Satzes ging in einem wütenden Knurren unter, während Thor seinen Kontrahenten an der Kehle festhielt und ihn durchschüttelte. Loki seinerseits jedoch hatte sich in den Haaren des Donnergottes festgekrallt und versetzte ihm eine klatschende Ohrfeige nach der anderen.

"Na, was? Du bärtiger, scheußlicher und dämlicher Tölpel!" antwortete Loki röchelnd. Langsam nahm sein Gesicht eine ungesunde, dunkelrote Farbe an, die sich immer mehr in ein Blau verwandelte. Thor ballte seine Rechte und holte aus. Doch bevor er Loki einen alles vernichtenden Schlag versetzen konnte, machte es plötzlich *PUFF!* und der Feuergott war aus Thors eisernem Griff verschwunden. Stattdessen summte eine dicke, fette Fleischfliege zwischen den Fingern Thors hindurch. "Na warte!" brüllte dieser vor Zorn auf und stürzte dem Insekt nach. Doch er verfehlte es und krachte mit solcher Wucht gegen die gegenüberliegende Wand der Kutschenkabine, dass das Holz splitterte.

Plötzlich ging ein schwerer Ruck durch das Fahrzeug. Erneut machte es *PUFF!* und plötzlich saß Loki wieder in seiner Knabengestalt, sichtlich verwirrt da. Die Kutsche war stehen geblieben. Thor und Loki wollten gerade fragen, was dies zu bedeuten habe, da flog plötzlich die Tür auf und sie vernahmen die Stimme des Kutschers: "Hier ist Endstation, ihr verdammten Rabauken! Ich lasse mir von euch doch nicht meine schöne Kutsche demolieren! Mir ist egal, was Hel gesagt hat! Raus!"

Thor und Loki blickten sich irritiert an, rührten sich jedoch nicht. Da wurden sie wie von einer unsichtbaren Hand gepackt und aus der Kutsche geschleudert. "RAUS, HAB ICH GESAGT!" erklang die keifende Stimme des Kutschers. Dann flog die Tür zu, das Fahrzeug setzte sich wieder in Bewegung und verschwand im trüben Dämmerlicht.

Die beiden Ausgestoßenen blickten der Kutsche noch eine geraume Weile nach, dann erst nahmen sie ihre Umgebung in Augenschein.

Das Erste, was sie sofort feststellten und nicht nur vermuteten, war, dass es Winter war. In einem trüben Zwielicht war das schmutzige Weiß, welches den Boden bedeckte, zu sehen soweit das Auge reichte. Ansonsten konnten sie nicht viel sehen, denn sie befanden sich in einer  kargen, trostlosen Landschaft, einer weitflächigen Ebene, die nur dann und wann von ein paar vereinzelt stehenden abgestorbenen, verkrüppelten Bäumen durchbrochen war. Wohin sie auch blickten, nirgends war irgendwas Markantes zu sehen.

Das Zweite, was sie bemerkten, war die Stille. Nichts rührte sich, nur ab und zu ein leichtes Heulen des Windes, wenn dieser über die Ebene dahinglitt. Jedoch kein Tierlaut, nichts. Nichts deutete auf ein lebendes Wesen in der Nähe hin.

"Na toll..." knurrte Thor und blitzte seinen Gefährten mordlustig an. "Ein schöner Schlamassel, in den du uns da reingebracht hast, vielen Dank auch!"

Loki öffnete in gespielter Entrüstung den Mund. "Wer, was, iiiiiiiich???" antwortete er kreischend. "Wer ist denn schuld, eh? Hättest du fetter, dämlicher Idiot etwas besser Acht gegeben und die Kutsche nicht demoliert, dann würden wir jetzt immer noch drin sitzen!" Er plusterte sich auf, augenscheinlich, um Thor nachzuäffen. "Muuuaaaaaahhh, ich Thor, ich stark, ich dämlich! Uh uh uh uh!" Dabei schlug er sich mit den Händen auf den Kopf und sprang von einem Bein zum Anderen.

Da plötzlich, es war wie ein Blitz, packte Thor ihn und drückte ihm mit Macht die Kehle zu. Er zog Loki ganz dicht zu sich heran und ballte die Faust. "Es ist die letzte Warnung!" grollte er und seine Stimme klang dem bedrohlichen Donnern eines schweren Sommergewitters gleich, während in seinen Augen kleine blaue Blitze aufzuckten. "Ich könnte dich jetzt mit einem Schlag auslöschen... mit einem einzigen Wisch wärst du aus der Geschichte gefegt. Ich könnte dich hinaus ins Nichts werfen, und du weißt, dass ich das kann. Und glaub mir, ich bin kurz davor dies zu tun. Mir wäre es selbst egal, was Odin dazu sagt. Und wenn er mich zu Nidhögger nach Nastrand schickt, wäre es mir egal. Ich würde mit dem befriedigten Gefühl dort hingehen, dich aus den Neun Welten geworfen zu haben und das Weltall von einer der schlimmsten Plagen befreit zu haben, die es je gegeben hat. Also noch ein Wort, noch ein winziges Wort, und ich vergesse sogar meinen Hammer, Loki. Magst du dich noch so sehr in einen starken Krieger verwandeln können, ich würde dich besiegen. Dann bist du Geschichte!"

Und zum ersten Mal wahrscheinlich seit Anbeginn der Zeit, konnte man in Lokis Augen die furchtbare Erkenntnis sehen, dass er wirklich kurz vor seinem Tod stand. Thor drückte noch einmal fest zu, um seine Drohung noch zu unterstreichen, dann warf er Loki wie eine Fliege von sich, so dass dieser beinahe fünfzig Fuß weit flog. Wankend und nach Luft schnappend rappelte er sich auf. Sich mit der rechten Hand den Hals reibend kam er finster dreinblickend näher.

"Wo zum Henker sind wir hier?" krächzte er. Das Sprechen schien ihm scheinbar schwer zu fallen. Mit grimmiger Genugtuung stellte Thor fest, dass der Feuergott sich nicht näher als zehn Meter an ihn heran wagte.

"Ich weiß es nicht" antwortete er. "Aber ich habe so ein Gefühl, als wäre ich hier schon mal gewesen."

"Seltsam..." meinte Loki, "mir geht es ähnlich. Wo mögen wir sein? Nifelheim ist es auf jeden Fall nicht, obgleich es ähnlich trostlos aussieht wie dort..."

"Ich denke, wir sollten uns einfach mal in eine bestimmte Richtung bewegen" schlug Thor vor. "Vielleicht finden wir ja irgendwo einen Unterschlupf. Hier im Freien zu bleiben ist wohl bei dieser Kälte keine gute Idee."

"Warum nicht?" fragte Loki spitz und grinste Thor schelmisch an. "Wir könnten doch zusammenrücken und uns gegenseitig wärmen, uns umarmen und kuscheln.... Jaaaaaaa, ist ja schon gut!" schrie er und trat sofort drei schnelle Schritte zurück, als Thor ein warnendes Knurren ertönen ließ. "Mensch, du verstehst aber auch gar keinen Spaß, hm?"

"Hör mit diesem Blödsinn auf" fuhr ihn Thor unwirsch an. "Überleg lieber, wo wir jetzt hingehen sollen."

Loki drehte sich einmal im Kreis, dann zuckte er mit den Schultern. "Ich denke, es ist egal, in welche Richtung wir gehen. Es sieht alles gleich aus, und man kann nicht einmal die Himmelsrichtung bestimmen. Wir sollten einfach mal unserem Glück vertrauen und los marschieren."

"Unserem Glück?" fragte Thor misstrauisch. "Denkst du nicht, dass du etwas zu optimistisch bist? So hold war uns das Glück bisher ja nun nicht gerade."

Loki legte den Kopf zur Seite und kniff ein Auge zu. "Ach, du siehst das ganze wieder mal total falsch, mein donnernder Freund. Das Glück war uns durchaus sehr gewogen! Oder wie erklärst du dir, dass wir den Klauen Nidhöggers entronnen sind, oder auch, dass ich Hels Prüfung bestanden habe? Zweifellos habe auch im ersten Fall ich einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet, und es ist meiner Schläue zu verdanken, dass wir hier stehen. Ich sage jetzt, vertrau mir einfach mal, wir werden schon irgendwo ankommen."

Thor runzelte die Stirn. Loki und Vertrauen, zwei Dinge, die sich seiner Meinung nach überhaupt nicht vertrugen. Doch was sollte er sonst machen? Ihm blieb nur die Option, auf eigene Faust loszuziehen. Und auch wenn er es ungern zugab, er brauchte Loki. Sein Gesicht verfinsterte sich bei diesem Gedanken. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, aber es war so: Odin hatte ihm den Feuergott nicht umsonst zur Seite gestellt.

"Na schön" seufzte er schließlich. "Geh voran, ich folge dir." Und schon hopste Loki leichtfüßig los, den bärtigen und missgestimmten Donnergott im Schlepptau.

 

Stunde um Stunde marschierten sie durch die Gegend, ohne dass sich die karge und unwirtliche Landschaft wirklich veränderte. Das Einzige, was sich änderte, war der Schnee. Nach einiger Zeit begann es nämlich, erst sanft, dann immer heftiger zu schneien. Bald waren sie von einem lautlosen, wirbelnden Chaos umgeben.

Längst schon hatte Thor die Orientierung verloren. Er hätte nicht mehr sagen können, ob sie etwa im Kreis liefen oder nicht. Er stapfte nur finster vor sich hinbrütend und beharrlich hinter Loki her, der scheinbar ganz gezielt wusste, wo er hin wollte.

Gerade wollte sich Thor lautstark darüber beschweren, als er in einiger Entfernung einen Lichtschein sah.

"Dort vorne scheint so etwas wie eine Siedlung zu sein" rief Loki ihm zu. Thor nickte nur stumm und blickte voraus. Durch das dichte Schneetreiben entdeckte er plötzlich einen Schatten, der sich ihnen zu nähern schien. Sofort hatte er die Hand am Schwertgriff, wusste er doch nicht, ob dort eine Bedrohung auf sie zukam.

Der Schatten entpuppte sich als eine kleine, gebeugte Gestalt, die in einen grauen Fetzen gehüllt war und wie gehetzt durch den Schnee stolperte. Als sie näher kam und die beiden Asen vor sich gewahrte, stutzte sie und ein Schreckensschrei war zu hören. Sofort machte die Gestalt kehrt und begann, wie von Panik getrieben davon zu hasten. Thor spurtete los und er hatte den Flüchtling schnell eingeholt. Es war ein Mensch, ein alter, hagerer Mann.

Ein Mensch? Da stieg in Thor eine Ahnung hoch: Sie waren in Midgard, der Welt der Menschen.

Als Thor den Alten berührte, schrie dieser in einem fort und schlug wie besessen um sich. Thor legte die Arme um ihn und hielt ihn solange fest, bis die Bemühungen erschlafften. Der Donnergott ließ ihn behutsam los, drehte ihn zu sich herum und blickte ihm freundlich in die Augen. „Hab keine Angst, mein Freund“ sagte er beruhigend, „wir werden dir nichts tun. Doch sag mir, was jagt dir denn einen solchen Schrecken ein?“

Der Alte keuchte und sah Thor aus weit aufgerissenen Augen an. „Ihr… Ihr seid doch auch einer von ihnen…“

„Von wem sprichst du?“ fragte Thor.

„Ihr… Ihr seid… so groß, fast so groß wie sie…“ Der Alte sah Thor ins Gesicht, doch sein Blick schien in weiter Ferne zu liegen. Vor seinem inneren Auge war er gerade ganz wo anders. Als Thor ihn an den Schultern fasste, zuckte er wie geschlagen zusammen und wimmerte. Der Donnerer schüttelte ihn sanft, bis der Alte ihn nun wirklich ansah.

„Was ist geschehen, Mann?“ fragte der Ase.

„Es sind die Riesen“ antwortete der Mann flüsternd und in seine Augen trat das pure Grauen. „Sie sind zu uns gekommen. Die Götter haben uns verlassen. Thor hat uns seinen Schutz entzogen…“Thor wollte gerade etwas entgegnen, doch da dröhnte im Hintergrund etwas, und als er sich umdrehte, sah er eine gewaltige Feuersäule in den Nachthimmel aufsteigen. Im Lichtschein des Feuers konnte er deutlich die plumpen, massigen Gestalten jener sehen, die er seit er denken konnte hasste und jagte. Der Alte hatte Recht behalten; es waren die Riesen.

Thor ließ den Mann los und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Sein Gesicht verfinsterte sich und er ballte die Faust. Das dreckige Thursenpack… Thursen, dies ist seit jeher eine Bezeichnung für jene vom Volk der Riesen. Die Unholde wussten scheinbar, dass der Verteidiger der Welt, denn dies war einer von Thors Beinamen, seiner mächtigen Waffe beraubt worden war. Denn mochten die Riesen den Donnergott und seinen Zorn auch fürchten, so war es Mjölnir, der Zermalmer, der Tausende und Abertausende von Riesenschädeln zerschmettert hatte und vor dem die Thursen am meisten zitterten. Doch nicht nur das. Der Hammer war ein Symbol für Fruchtbarkeit, seine Kraft spendete stets neuen Wachstum, sei es in der Pflanzenwelt oder auch bei den Menschen.

Und nicht zuletzt galt Thor als die Wahrheit im Leben, und Mjölnir, der Hammer, traf die Falschheit stets vernichtend und verhalf damit der Wahrheit des Lebens. Der Hammer war also ein Sinnbild für die Wahrheit, die Wirklichkeit der Welt.

Doch nun konnten sich die Schergen ungehindert in der Menschwelt ausbreiten, konnten die Sterblichen mit Lüge und Falschheit überschwemmen, und sie tyrannisieren und quälen sowie Unheil und Chaos in der Welt verbreiten. Das Schlimmste jedoch für den Donnerer war das, was der Alte gesagt hatte: Thor hat uns seinen Schutz entzogen… Thor presste die Zähne zusammen und stieß ein tiefes, unirdisches Grollen aus. Dann rannte er ohne Vorwarnung los.

Loki, der wie vom Blitz getroffen da stand, rief ihm noch verwirrt hinterher „He, wo willst du hin?“, doch Thor registrierte es nicht einmal. Das Feuer der Wut war in seiner göttlichen Brust entflammt, und auch ohne seinen Hammer würde er den Menschen und ihrer Welt, deren Schirmherr und Verteidiger er war, beistehen.

Da traf ihn ein neuer Gedanke wie ein Blitz und er griff in seine Tasche, aus der er einen schmalen, unscheinbaren Ledergürtel hervorzog. Dieser war, bis auf eine seltsame Rune an der Gürtelschließe unverziert. Mit grimmiger Entschlossenheit legte er das Utensil um seine Hüften, und als er den Gürtel schloss, durchströmte ihn plötzlich eine Welle von Stärke und unbändiger Entschlossenheit. Es war Megingiarder, der legendäre Stärkegürtel, der seine Kraft verdoppelte und diese niemals erlahmen ließ, denn die Rune an seiner Gürtelschnalle war die Rune ausdauernden Eifers. Da er sich in den letzten Tagen so sehr auf den Mjölnir konzentriert hatte, hatte er den Gürtel ganz vergessen. Doch nun sollte er seine Wirkung tun.

Sofort holte der Ase noch weiter aus und stürmte einer rasenden Gewitterwolke gleich über das Land. Als er sich dem Dorfe näherte wurde er keineswegs langsamer. Mit einem kurzen Blick fasste er die Situation, zählte die fünf Häuser, welche jedoch allesamt in Flammen standen. Auch die riesigen Gestalten der Thursen sah er, welche nun im Begriff waren, die Bewohner des Dorfes zu jagen und zu zerfetzen. Die Riesen waren gut doppelt so groß wie er und auch ihre Kraft war ihm nicht unbekannt. Dennoch kannte Thor keine Furcht, denn er hatte schon unzählige Kämpfe im Laufe der Jahrtausende gegen seine Feinde geführt, und Furcht war für den Donnergott ein Fremdwort. Ein metallisches scharfes Geräusch ertönte, als er das Breitschwert aus seiner Scheide zog und mit voller Geschwindigkeit mitten unter seine Feinde jagte.

Mit donnerndem Brüllen krachte er gegen den ersten Riesen und brachte diesen damit zu Fall, während das Schwert einen silbrigen Halbkreis beschrieb und somit einen weiteren Riesen köpfte. Dann wandte er sich um und stieß dem am Boden liegenden Riesen die Klinge bis zum Heft an die Brust. Noch bevor der Unhold sein Leben ausgehaucht hatte, war der Donnergott bereits weitergesprungen und hatte einen weiteren Gegner gefällt. Dies alles hatte nur etwa zwei Sekunden gedauert und schon lagen drei der gewaltigen Kolosse tot zu seinen Füßen. Einem weiteren heranstürmenden Gegner trat er die Beine weg und schlug ihm ebenfalls den Kopf ab, noch bevor er ganz auf dem Boden aufschlug. Der Ase war nun wie in einem Rausch und schlug auf alles ein, glich einem Berserker, jenen sagenumwobenen Kriegern von denen es hieß, sie wären unbesiegbar und unverwundbar. Bald schon hatte Thor ein halbes Dutzend seiner Gegner getötet.

Die Riesen waren nicht gerade für Klugheit bekannt, doch auch sie hatten sich endlich mal von ihrer Überraschung erholt und drangen nun in wilder Entschlossenheit auf den Donnergott ein. Thor stand da, einer festen Eiche gleich, über die ein entsetzlicher Sturm hereinbricht. Breitbeinig, um festen Halt zu haben, schwang er sein Schwert, welches tanzte und dabei ein todbringendes Lied sang.

Aber so schnell er auch um sich schlug, war er doch bald von mehreren Gegnern umzingelt, die gleichzeitig auf ihn losgingen. Dunkler Qualm von den Feuern ringsumher vernebelte ihm die Sicht und schließlich wurde er von einem gewaltigen Hieb getroffen, der ihn meterweit durch die Luft schleuderte. Krachend landete an einem Scheunentor, welches unter der Wucht seines Aufpralls zerbarst. Thor versuchte, die Schleier vor seinen Augen zu vertreiben, und griff verzweifelt um sich um sein Schwert zu ertasten, welches er verloren hatte, als er neben sich eine Bewegung gewahrte. Als er sich umsah, erblickte er das bleiche und schreckenverzerrte Gesicht einer jungen Frau, die sich hinter einen Holzstapel kauerte. In ihren Augen leuchtete nackte Todesangst und ein solches Entsetzen, wie der Ase es vorher noch nie gesehen hatte. Eine verzweifelte und wilde Entschlossenheit ergriffen von ihm Besitz und er stemmte sich hoch. Doch da drangen donnernden Schritte an sein Ohr, die sich rasch näherten. Mit unirdischem Gebrüll krallte sich einer der Riesen in den Holzstapel und warf damit nach dem Asen. Thor duckte sich instinktiv und rollte sich zur Seite. Er hörte den erstickten Aufschrei der Frau und als er aufblickte, gewahrte er zu seinem Entsetzen, dass der Riese auf sie aufmerksam geworden war. Schon beugte er sich mit einem zähnefletschenden Grinsen hinab und griff nach dem kleinen Menschenkind, um ihr das Leben auszuhauchen.

„NEIN!“ brüllte Thor, und seine donnernde Stimme übertönte das Tosen der Feuer. Mit einem einzigen Sprung warf er sich auf den Thursen und schlug mit bloßen Fäusten wie besessen auf ihn ein. Doch so gewaltig seine Kräfte auch waren, konnte er doch gegen die steinerne Härte des Riesenschädels nichts ausrichten. Ein mächtiger Schwinger packte ihn und fegte ihn wie eine Fliege davon, und ein weiteres Scheunentor zerbarst unter seinem Aufprall. Erneut kämpfte er gegen den Schwindel an und stemmte sich schwankend in die Höhe, wusste er doch, dass die Frau ohne seine Hilfe verloren war.

Doch als er aufblickte, erstarrte er. Der Schwung des Schlages hatte ihn mehr als zwanzig Meter davon getragen, und mit Entsetzen musste er sehen, wie der Riese die kreischende Frau an den Haaren packte und in die Höhe zerrte. Einen Moment lang baumelte sie schreiend und wild um sich schlagend an seinem Arm, bis der Unhold sie schließlich mit der anderen Pranke packte und mühelos wie einen Grashalm in zwei Teile riss. Das Schreien erstarb und der Riese warf sie achtlos fort. Fassungslos starrte Thor auf den toten Körper. Hätte ich meinen Hammer bei mir gehabt, hätte ich sie retten können, blitzte es in seinen Gedanken auf. Ein Gefühl von Verzweiflung und Hilflosigkeit, wie er es noch nie zuvor verspürt hatte, stieg in ihm auf, und er wollte sich sogleich in blinder Wut auf den verhassten Feind werfen, um den Tod der Frau zu rächen. Doch da fiel ihm eine kleine Gestalt in die Arme.

„Thor, nicht!“ drang wie aus weiter Ferne die Stimme von Loki an sein Ohr. „Bei allen Mächten der Welt, ich beschwöre dich, komm mit mir!“

„Lass mich los, ich werde ihn zermalmen!“ grollte Thor.

„Du bärtiger Narr!“ zischte Loki wütend. „Du wirst niemanden zermalmen können, ohne den Zermalmer! Schau nur, wir haben keine Chance! Ohne deinen Hammer werden sie uns vernichten!“ Und in der Tat sah man durch die dunstigen Rauchschwaden bereits weitere gewaltige schemenhafte Gestalten näherkommen. „Los du Donnertölpel, ich beschwöre dich bei Allvater Odin, lass uns hier verschwinden! Wenn wir hier sterben, ist diese Welt mit Sicherheit dem Untergang geweiht!“

Thor wandte den Kopf und starrte seinen Gefährten mit weit aufgerissenen Augen, in denen der nackte Wahnsinn stand, an. Loki zog und zerrte wie wild an seinem Arm, ohne ihn jedoch wirklich bewegen zu können, waren Thors Kräfte doch aufgrund des Gürtels zu stark für ihn. Im Kopf des Donnergottes überschlugen sich die Gedanken. Er hatte einen Menschen sterben sehen, eine Frau, die er mit Hilfe des Mjölnirs hätte retten können. Er wandte den Kopf und erblickte die bereits erschreckend nahen Riesen. Er empfand keine Furcht. Noch nie hatte er diese empfunden, schon gar nicht diesem ihm verhassten Volk gegenüber. Doch so sehr es ihn auch ärgerte, Loki hatte Recht. Sie hatten keine Chance, trotz seiner gewaltigen Kräfte. Und so folgte er seinem Gefährten schließlich, ließ das schauerliche Bild der Zerstörung und des Todes hinter sich, um mit Loki schnell wie der Wind in den Schatten der Nacht zu verschwinden. Spätestens jetzt war ihm die wahre Bedeutung des Verlustes klar geworden und wie wichtig es war, Mjölnir zurückzubekommen.

 

Fortsetzung folgt…

Die List des Loki

„Uff“, stöhnte Loki unter den Strapazen Thor in eine abgelegene Höhle geschafft zu haben, um sie vor den tobenden Riesen zu verbergen. Inzwischen war ein heftiger Sturm aufgekommen, dessen Tosen und Wüten selbst die Riesen übertönte. „Hier werden sie uns niemals finden. Ich muss es wissen, schließlich bin ich ein Meister im Verstecken. Hehehehehe.“ Thor starrte aus trüben Augen ins Leere. Der bärtige Tölpel schwieg beharrlich. Seit den Kampf gegen die Riesen hatte er weder gesprochen, noch hatte er sich zu Lokis Verdruss bewegt. „Oh, man. Oh, man. Oh, man.“ Der Feuergott stand auf, lief unruhig im Kreis und kratzte sich dabei nachdenklich am Hinterkopf. „Was soll ich bloß machen?“ Er schaute fragend zur Decke. „Odin, wie soll ich das schaffen? Dein Sprössling ist mehr eine Behinderung, als eine Hilfe. Ein nutzloser Klotz am Bein, ja genau das ist er.“ Angestrengt nachdenklich lief er weiter im Kreis, seine Gedanken überschlugen sich. „In Ordnung. Ruhig bleiben Loki. Du schaffst das. Irgendwie schaffst du es immer. Was für Möglichkeiten stehen mir zur Verfügung? Mein Stab, die Gürtelschnalle, mein gutes Aussehen und mein Charisma, außerdem noch Thors Grobheit. Obwohl; das tun wir doch lieber auf die Seite der Nachteile. Was hast du dir dabei eigentlich gedacht?!“, der Feuergott starrte wütend auf Thor, der ihn selbst im Sitzen überragte. Die Augen des Feuergottes brannten lichterloh vor Zorn. „Hast du schon einmal an mich gedacht?! Wie ich mich fühle? Was mir passieren könnte? Nein, hast du natürlich nicht!“ Seufzend setzte er sich neben dem Donnergott und starrte trübsinnig auf den Boden. Das Feuer in seinen Augen erlosch wieder. „Niemand denkt an mich. Wozu auch? Egal ob ich mich auf die Seite von euch Asen oder den Riesen schlage, ich bin und bleibe der Feind von beiden. Egal wie oft ich einer Partei helfe.“ Er nahm einen kleinen Kiesel in die Hand. Langsam drehte er ihn, fuhr mit dem Daumen über seine raue Oberfläche, sog jedes noch so kleine Detail in sich auf. „Ich bin zur einen Hälfte Riese und zur anderen Ase. Niemand traut mir. Zu recht, wie du sicherlich sagen würdest“, Loki schnalzte mit der Zunge, stand auf und begann vor Thor hin und her zu laufen, wobei er mit den Armen gestikulierte. „Weißt du, alle schätzen zwar meinen Einfallsreichtum, aber es wird nie erwähnt, geschweige denn gelobt. Ein kleines Beispiel: Wenn Odin zu mir kommt, weil die Riesen zu große Dellen in die Tore von Asgard hauen, bittet er mich darum, sie zu verstärken. Gesagt, getan. Aber dann stehen plötzlich die Riesen vor meiner Tür. Ich soll Waffen für sie bauen, damit sie die Tore einreißen können, die ich eben erst ausgebessert habe.“ Der Feuergott stöhnte entnervt. „Loki tue dies. Loki ich brauche deinen Rat. Loki hast du nicht eine Idee zur Lösung meines Problems? Loki denkst du, dass diese Reizwäsche Odins göttlichen Hintern schmeicheln wird? Ich kann nicht mehr. Immer wollen alle was von mir. Nie heißt es: Oh Loki. Komm setz dich. Wie war dein Tag? Hast du Hunger? Möchtest du etwas essen? Erzähl mir von deinen Abenteuern.“ Loki lachte kurz auf. „Das erinnert mich an etwas. Ich war mal in einem Gasthaus. Da war ein Mädchen. Jetzt nicht so, wie du denkst. Es war ein kleines Mädchen. Gerade mal sieben Sommer hatte sie gesehen. Die Kleine war sehr krank, weshalb sie nie ihr Stadtviertel verlassen konnte. Nachdem ich von meinen Abenteuern erschöpft war ging ich gerne dort hin. Ich mochte dieses Mädchen und sie konnte mich seltsamerweise auch leiden. Auch wenn ich große Stücke auf mich halte, so gibt es doch nur wenige die mich wirklich leiden können. Bei ihr hieß es nie, dass ich irgendetwas tun sollte, um dabei zu helfen irgend so einen dämlichen Krieg zu gewinnen, der für das Gleichgewicht der Welten verantwortlich ist blah, blah, blah.“ Loki schüttelte den Kopf. „Nein. Sie wollte … wollte …“ Plötzlich steckte ihm ein Klos im Hals. Das Mädchen war ernsthaft krank und ihr blieb nicht mehr viel Zeit. Wahrscheinlich würde sie noch nicht einmal das Alter einer Frau erfahren. Und weder der Halbriese, noch sonst jemand konnte ihr helfen. Bei dem Gedanken musste der Feuergott immer mit den Tränen kämpfen. Diesmal mehr als sonst, schließlich wollte er vor Thor nicht wie ein Weichei dastehen. Also atmete er einmal aus, um sein inneres Gleichgewicht wieder zu finden. „ wollte, dass ich ihr Geschichten erzähle. Dann begann ich immer über die schönen Dinge des Lebens zu erzählen. Wie das Licht des vollen Mondes auf der Oberfläche des Meeres tanzt. Oder wenn du in einem nebelverhangenen Wald bist und die ersten Strahlen des nahenden Tages durch die Äste kriechen und damit den zarten Schleier zerreißen. Ich habe ihr auch von einer bunten Blumenwiese im Frühling erzählt. Kannst du dir das vorstellen? Sie wusste noch nicht einmal wie eine Wiese aussieht.“ Loki lächelte gezwungen. „Deswegen bin ich lieber hier. Bei den Menschen. Es gibt hier so viele schöne Dinge und …“ Lokis Augen weiteten sich. Eine Erkenntnis überkam ihm. „Augenblick mal. Ich will nicht, dass die Riesen hier alles kurz und klein schlagen! Aber …“, ich will auch nicht, dass die arroganten Asen den Sieg davontragen, führte er seinen Monolog in Gedanken weiter. Jene Asen, die mich nie wirklich akzeptiert haben. Die mich gezwungen haben mit anzusehen, wie meine Kinder gefesselt, ins Wasser geworfen und verband wurden. Aber die Riesen sind auch nicht besser. Loki schaute auf die Gürtelschnalle von Thor. Mit einer schnellen Handbewegung zog er sie ab. „Tut mir leid, Thor. Ab hier bringe ich es alleine zu Ende.“ Bevor Loki ins Schneegestöber ging, hielt er kurz inne. „Und verzeih mir, dass ich dir Mjölnir gestohlen habe“, gestand Loki ohne sich umzudrehen. „Ich … ich musste es tun. Die Riesen hätten mich sonst getötet. Aber ihr Asen habt das ja auch des Öfteren versucht.“ Er seufzte schwer. “Ich verstehe einfach nicht, was die Menschen an euch finden.“ Mit diesen Worten ging der Gott des Feuers in die beißende Kälte des Sturmes. Nachdem er die Höhle ein Dutzend Schritte hinter sich gelassen hatte, durchschnitt ein wütender Schrei das Tosen des Windes. Schnaubend spurtete ein gewaltiger Fleischberg auf den Gott des Feuers zu. Loki drehte sich matt um. Der Faustschlag in sein Gesicht ließ ihn quer durch die Luft segeln. „Du! Du hast mir Mjölnir gestohlen!“, brüllte Thor mit wehenden Haaren gegen den Lärm des Sturmes. Loki spuckte Schnee aus und erhob sich. „Hast du dich noch nicht gefragt, wer ihn gestohlen hat? Wer den scharfsinnigen Verstand für so einen genialen Diebstahl besitzt? Wer gewitzt genug ist, um alle Aus- und Eingänge von Asgard zu kennen?“, Loki gelang es nicht so recht, seine Maskierung als Egomane aufrechtzuerhalten. Viel zu aufgewühlt war er, für einen Schlagabtausch mit Thor. Wenigstens scheint er meinen sentimentalen Ausbruch nicht mitbekommen zu haben, dachte er erleichtert. Thor schien sowieso nichts außer seinem Hammer zu interessieren. Wahrscheinlich fühlt er sich ohne den Hammer nur wie ein halber Barbar oder er bekommt ohne ihn keinen Hoch. „Hätte ich Mjölnir gehabt, hätte ich diese Men…“, Loki hörte nicht weiter zu. Viel zu sehr war er mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Kann er an nichts anderes mehr denken?, fragte sich Loki. Und so jemand soll die Menschheit beschützen? Das ich nicht lache. „Und jetzt ziehst du los, um dir Mjölnir unter den Nagel zu reißen!“, knurrte er weiter. „Stimmt“, Loki war nun sehr unterkühlt. Er hatte nicht vor, dieses gewichtige Ding zu behalten. Es war schon schwierig genug gewesen, den Mjölnir aus Asgard zu schaffen. „Ich weiß, was du vorhast! Du willst meinen Hammer nutzen, um Ragnarök frühzeitig auszulösen, damit du Asgard zerstören kannst! Dir liegt doch an keinem von uns etwas. Du kannst nur dich selbst lieben.“ „Genug!“, brüllte Loki. Seine Stimme hallte durch die eisige Ebene und brachte selbst den Sturm zum Verstummen. Thor hatte ihn einmal zu viel beleidigt. Die Augen Lokis begannen vor Zorn zu brennen. Er steckte sich die Schnalle an. Das Feuer der Wut in seinem Inneren wuchs um ein vielfaches an. Es ließ das Eis schmelzen und sogar das gefrorene Gras darunter in Flammen aufgehen. Auf seinem göttlichen Körper breiteten sich brennende Runen aus. Mit einem gewaltigen Flammenstrahl schleuderte er den mächtigen Thor zehn Meter durch die Luft. Bewusstlos klatschte der Barbar auf den Boden. Ebenso schnell, wie die Wut entflammt war, verpuffte sie wieder. Das Brennen verschwand. Loki beugte sich über den bewusstlosen Asen. Es wäre ein leichtes ihn zu töten. Langsam hob Loki den Stab in die Höhe. Die Klinge zeigte nach unten und funkelte Kalt im stetig reflektierenden Licht des weißen Schnees. „Ich darf nichts mehr dem Zufall überlassen.“ Loki atmete tief ein. Seine Lungen füllten sich mit eiskalter Luft. Mit einem Stoß sauste die Klinge nieder. Muskeln und Knochen wurden durchbohrt. Blut spritzte. Der Feuergott drehte die Klinge mit einem widerlich saugenden Geräusch nochmal um neunzig Grad, um die Wunde zu vergrößern. „Leb wohl, du Barbar. Wir werden uns in Helheim wiedersehen.“ Damit drehte sich Loki um und ging. Langsam begann der Sturm wieder aufzubrausen. Der Wind zerrte an Thors roten Haaren und Bart, in denen sich langsam Eiskristalle bildeten. Das Blut des Asen färbte den Schnee dunkelrot. Erst jetzt begriff Loki, was er getan hatte. „I-ich habe ihn besiegt“, Loki schaute stumpf zum Leib seines Feindes der im Schnee lag. „Aber … warum bin ich dann nicht glücklich? Jetzt bin ich doch wirklich der Stärkste aller Asen. Ich habe Niemanden mehr gehasst als Thor, den Lieblingssohn Odins. Aber warum freue ich mich dann nicht über meinem Sieg? Warum fühle ich mich so … so leer?“ Dann schob Loki seine Bedenken beiseite. Es gab jetzt wichtigere Angelegenheiten. Langsam Schritt er in Richtung der Riesen. Ein breites Grinsen verzerrte in seine Züge. „Nun werde ich sterben.“ Loki schaute lachend gen Himmel. „Hast du es gewusst? Odin? Hast du gewusst, dass es so kommen würde?“ Keine Raben. Nichts. In weiter Ferne streiften die gewaltigen Schatten der Riesen durch die mit Schnee- und Eisverzierte Dunkelheit. Loki nahm seinen Stab fest in beide Hände. Seine Heiterkeit wich der Grimmigkeit eines Kriegers „Ihr werdet diese Welt nicht bekommen!“ Sein Blick begann mehr denn je zu brennen. Der Feuergott verwandelte sich wieder in den Krieger mit aufgeplatzter Rüstung und der Rune auf dem Bauch. Schreiend rannte er auf die Schatten zu, die alles zerstörten, was sich ihnen in den Weg stellte. Aber dieses Maß an Zerstörung war nichts im Vergleich zu dem, was Loki anrichten würde.

 

Der letzte Riese sackte als brennende Fackel zusammen und kippte tot um. Loki keuchte angestrengt. Seine Lungen brannten. Jeder einzelne Muskel schmerzte. Um ihn herum lagen die dampfenden Leichen verkohlter Riesen. Ihr Blut durchtränkte den Schnee. Jetzt stand Loki vor einem Portal durch das die Ungetüme in die Menschenwelt gelangt waren. „Hoffentlich bringt mich das ins Reich der Riesen. Zeit meinen Verwandten, Hallo zu sagen.“ Mit einem Satz sprang er durch das Portal, nichtsahnend das sich ein gewaltiger Schatten humpelnd unter Stöhnen, Ächzen und Knurren auf dasselbe Ziel zubewegte.

 

Auf der Anderen Seite angekommen, wartete in einer öden, mit Ruinen übersäten Welt aus Fels, Schnee und Eis ein weiterer Trupp der gewaltigen Riesen. Aber sie hatten das Portal nicht im Blick, weshalb sich Loki schnell in eine Fliege verwandelte und somit die Feinde listig umging. Er flog auf ein Schloss zu, welches sich in die dunkle Nacht erhob. Einst musste es wunderschön gewesen sein, doch nun war es heruntergekommen und verfallen. Die Kälte hatte den Stein aufspringen und rissig werden lassen. Eis und Schnee hatten das baufällige Gemäuer zum größten Teil erobert. Als Loki die Riesen hinter sich gelassen hatte, verwandelte sich der Gott des Feuers in einen Falken, um schneller voranzukommen. Jetzt ging es um jede Sekunde. Mit großer Eile raste der majestätische Vogel durch ein großes Fenster in den eisigen von halbzerfressenen Steinsäulen gestützten Thronsaal von Geirröd, dem Fürsten der Riesen. Sein gewaltiger, sehniger Körper stieß fast an die Decke des kolossalen Saales. Auf seinem Haupte prangte eine rissige Steinkrone. In seiner gewaltigen Hand hielt er Mjölnir, Thors Hammer. Der Griff aus schwarzem Marmor war nur so groß, wie eine fleischige Pranke von Thor. Der urgewalte Hammerkopf aus Meteoritengestein war das genaue Gegenteil davon. Der mit goldenen Runen verzierte Stein war feingeschliffen und wies trotz seiner zahlreichen Schlachten nicht einen einzigen Kratzer auf. Tollpatschig rutschte der Falke über den gefrorenen Boden zu Füßen des Riesenfürsten. „Ah, wenn das nicht mein guter Freund Loki ist“, schallte es durch den Saal. Von wegen Freund, dachte Loki verächtlich. „Was verschafft mir diese Ehre? Willst du eine Revanche?“ „Eigentlich wollte ich mich nur um den Zustand … äh … Eurer Gesundheit erkundigen. Nach der großen Panik, die in Asgard herrscht, erhielt ich den Anlass zur Sorge, dass … äh, dass sich der mächtige Thor Eurer Türschwelle nähern könnte ... Ja genau.“ Der Riese lachte. „Für wie leichtgläubig hältst du mich, Feuergott?“ „Wie meinen?“ Loki verfluchte sich selbst. Hatten die Riesen etwa schon davon gehört, wer zu ihrer Vernichtung geschickt worden war? „Natürlich weiß ich, von Thor und dir. Hel war so freundlich euch beide anzukündigen“ Verflixt und zugenäht. Wenn mich dieser Verrat nicht selbst betreffen würde, wäre ich sogar stolz auf mein kleines Mädchen. Eine wahre Tochter des Loki. „I-ihr wisst?“, fragte Loki nervös. „Selbstverständlich. Aber da du alleine hier antanzt, kleiner Ase, nehme ich an, dass Thor tot ist.“ Der Falke wirkte jetzt wieder gefasster. „Darauf könnt Ihr Gift nehmen“, sagte er aus vollster Überzeugung. „Und?“, fragte der Riese begierig. Er rutschte auf seinen zerrissenen Steinthron nach vorne und beugte sich vor, während er sich selbst mit seinen schwieligen Händen an der Sitzfläche abstützte. „Hat er sehr gelitten?“ Loki lachte hämisch. „Und wie. Er hat sich sogar eingenässt, kurz bevor ich ihm den allesentscheidenden Todesstoß versetzt habe.“ Um seine Worte noch zu unterstreichen, verwandelte sich Loki in einem verwundeten Thor, dessen Genitalbereich durchnässt war. „Bitte, oh großer Loki, hab Erbarmen mit mir“, spielte der Feuergott die Szene eigeninterpretiert nach. „Ich bin ein Nichts. Du bist der wahre Liebling Odins. Das bestaussehenste Schlitzohr von ganz Asgard. Wie konnte ich armer Tropf nur glauben, dich herausfordern zu können.“ Geirröd schlug sich schallendlachend auf den Oberschenkel. Die gesamte Halle bebte unter seinem donnernden Gelächter. Schnee rieselte durch die Löcher der maroden Decke. „Aufhören! Aufhören! Ich kann nicht mehr.“, quickte er. Kichernd wischte er sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. Er atmete einmal tief aus. „Ihr habt etwas von einer Revanche erwähnt, oh baldiger Eroberer von Asgard.“ Loki musste den Würgreflex auf diese Lobpreisung unterdrücken, denn sonst hätte er sich unfreiwillig entleeren müssen. „Ja, eine ausgezeichnete Idee.“ Geirröd klatschte in die Hände, worauf Loki eine Druckwelle packte und ihn ein paar Meter nach hinten fliegen ließ. Dort verwandelte er sich in einen steinernen Bergriesen, dessen Körper mit immergrünen Bäumen bewachsen war. Kleinere Kiesel fielen in gähnende Schluchten. Sogar einige klare Bergflüsse mit rauschenden Wasserfällen ließen sich Blicken. „Dein Einsatz?“, fragte Geirröd gut gelaunt. Loki trat näher und schielte dabei auf Mjölnir, den Geirröd nicht aus der Hand legen wollte. „Och“, wich der Feuergott aus. Er musste nun sehr vorsichtig sein. Wenn er den Hammer verlangen würde, ließe das seinen Plan auffliegen. Also etwas, was man von ihm in einer jetzigen Situation erwarten würde. Seine wahren Absichten durften nicht zu früh enthüllt werden. „Ah. Ich hab´s! Meine Tochter Hel hat in ihrem Kleiderschrank äußerst interessante“, bei dem Wort zwinkerte er dem Riesenfürsten zu, „Unterwäsche. Und mit interessant, meine anrüchig.“ Geirröd rieb sich nachdenklich das Kinn. „Wie anrüchig?“, fragte er misstrauisch. „Nun ja. Es würde sie sämtliche Glaubwürdigkeit als Herrscherin kosten. Also könnte man sie damit erpressen.“ Tja, dachte Loki, du hast noch eine Menge über Verrat zu lernen, mein liebes Fräulein. „Abgemacht“, der Riese hielt Loki die Hand hin. Der Steinriese schlug ein. Der Hammer und der baldige Krieg mit Asgard schienen Geirröds Sinne zu vernebeln. Er hatte gar nicht gefragt, was der Feuergott als Einsatz verlangte. Aber Loki war es durchaus recht. Je schneller er diese Geschichte hinter sich hatte, desto besser. Geirröd stand von seinem halbzerfallenen Thron auf und hob ihn an. Unter seinem Herrschersitz zog er einen Kartenstapel hervor. Es war wie ein normales Kartenspiel, nur dass es für Riesen war und die dementsprechende Größe besaß. Geirröd stellte den Stapel auf den Boden, wo er Loki und sich selbst fünf Karten gab. Loki sortierte seine Karten in der Hand und versuchte den Riesen unauffällig auszuhorchen. „Also“, sagte er betont langsam. „Was werdet Ihr nach der Zerstörung von Asgard tun, oh größter aller Riesen?“ „Vorerst werde ich unser Kartenspiel gewinnen.“ „Aber selbstverständlich“, bestätigte Loki mit einem übertriebenen Nicken. Wer´s glaubt, dachte er verdrießlich. „Und sobald du mir die Unterwäsche gebracht hast, werde ich Helheim erobern. Entweder wird deine Tochter mir ihren Thron überlassen oder ihr Geheimnis wird auffliegen.“ Nicht wenn ich es verhindern kann, dachte Loki einem knurrenden Hund gleich. Der Steinriese hatte Mühe seine Wut zu unterdrücken und nicht sofort aufzuspringen und alles in Schutt und Asche zu legen. „Ein genialer Schachzug“, lobte der Gott mit gespaltener Zunge den Riesen und machte den ersten Zug, indem er eine Karte zog. Jetzt begann Geirröd überschwänglich aus dem Nähkästchen zu plaudern. „Ich hätte dich gerne bei der Eroberung von Asgard dabei. Du kennst viele Wege hinein und wieder hinaus. Mit dir als Strategen und Mjölnir wären die Riesen unbesiegbar.“ Loki hielt sich nachdenklich das Kinn und tat so, als wenn er darüber nachdenken würde. „Mh. Mal überlegen. Meine besten Freunde unterstützen“, Ha-ha. Guter Witz meiner Seitz, dachte Loki, „und den Untergang der Asen aus erster Reihe mit ansehen. Da sag ich natürlich nicht nein“, Loki schlug lächelnd eine Karte auf den Boden, worauf Geirröd eine weitere Karte nahm. Loki schaute sich im Thronsaal um. „Wenig los heute.“ „Och ja“, meinte Geirröd achselzuckend. „Sämtliche Riesen marschieren in die Menschenwelt. Damit vergrößern wir unser Territorium und zwingen die Asen zu einem Angriff, dessen Niederlage sie nicht einmal in ihren kühnsten Albträumen erahnen können.“ „Ist es nicht etwas unvorsichtig, den Palast so ganz ohne Schutz zurückzulassen?“ Der Riese lachte schallend auf. „Der einzige Ase, der mir im Moment etwas anhaben könnte, bist du. Aber ich kenne deine Feigheit. Du würdest mich nie betrügen, dafür fürchtest du mich zu sehr.“ Loki tat so, als wenn er sich ertappt fühle. „Wie konnten die Asen Euch nur so lange trotzen?“ Innerlich schüttelte der Feuergott den Kopf. Was für ein Trottel. Draußen krachte es. Lauter Schlachtenlärm drang in den Thronsaal. Schreie von Sterbenden. Schreie sterbender Riesen. Die Erde erbebte. „Was ist da los?“ Verwundert erhob sich Geirröd und schaute durch eines der Fenster. „Sind die Asen schon hier? Hat Odin seine Krieger geschickt, um mir meinen Hammer zu stehlen?“ Ah, endlich ist mein Ablenkungsmanöver eingetroffen, dachte Loki freudig. Diese Schmierenkomödie hätte keine Sekunde länger ausgehalten. Verstohlen schielte der Feuergott zum Mjölnir, welchen der Riese unbeabsichtigt aus der Hand gelegt hatte. Das ist der richtige Moment. Jetzt oder nie, dachte er sich. Langsam wanderte seine Hand in Richtung der heiligen Waffe. Seine Hand zitterte. Jetzt ging es um alles oder nichts. Wenn man ihn dabei erwischte, wie er mit zitternder Hand nach dem Mjölnir griff, war alles vorbei. Er durfte nicht versagen, unter gar keinen Umständen. Sonst würde man ihn … „Was tut ihr da?!“ Als Geirröd sich wieder umdrehte, ertappte er Loki dabei, wie er sich die Karten des Fürsten anschaute. Hastig zog Loki seine Hand zurück. „Interessantes Blatt“, lächelte der Feuergott gespielt unschuldig. „Loki, Loki. Du bist wahrlich unverbesserlich.“ „Schuldig im Sinne der Anklage“, Loki zuckte ergebend die Achseln. Gerade als Geirröd sich wieder setzen wollte, stieß ein Hüne mit verletztem Knie das Tor auf und humpelte wütend knurrend in den Thronsaal herein. Es war Thor. Und er war nicht gut gelaunt.

 

Fortsetzung folgt…

Das Lied von Feuer und Donner

Von Ragin & EINsamer wANDERER

 

Der gellende Ton eines Hornes drang in jeden Winkel von Asgard und schreckte jedes noch so kleine Lebewesen auf. Es war das Gjallarhorn, mit dem Heimdall die Götter zum Kampfe rief. Und wie zur Antwort erklang lautes Waffenklirren und ließ beinahe jede Burg in der Götterwelt erzittern; Die Asen und die Einherjer, die unsterblichen Krieger, rüsteten sich zur Schlacht.

In Walhalla, dem gigantischen Saal in Odins Burg Gladsheim, kamen die Götter zusammen. Alle waren sie da, jeder Einzelne in schimmernder Wehr und mit den mächtigsten Waffen gerüstet, die die Welt je gesehen hatte. Tyr, der einarmige Kriegsgott, der kampflüstern sein Schwert schwang; neben ihm Heimdall, der Wächter von Asgard, ebenso wie sein göttlicher Bruder mit einem scharfen Schwert bewaffnet; dann kam Uller, der Gott der Jagd, Pfeil und Bogen bereit haltend, und über dem dichten, braunen Vollbart glühte die Kampfleidenschaft; Freyja, die Königin der Walküren, deren Haupt bedeckt war mit dem Schreckenshelm Hildeswin, welcher einem Eberrüssel nachgebildet war, um den Hals den kostbaren Schmuck Brisingamen, in der Hand jedoch einen scharfen Speer; ebenso wie Widar, Odins Sohn und Thors Söhne Modi und Magni, und noch vielen Anderen. Sie alle jedoch wurden von einer majestätischen Gestalt auf einem hochstehenden Thron überstrahlt. Ihr Haupt bedeckte ein geflügelter Goldhelm, und darunter wallte langes, schneeweißes Haar hervor, von dem sich eine Locke über das linke Augenlid zu schmiegen schien, während das andere Auge hell wie das Licht der Sonne strahlte. Ein langer, weißer Bart wallte einer Schneewolke gleich auf die Brust, welche von einer strahlenden Brünne bedeckt wurde, auf der die Rune des Schicksals zu sehen war, und in der Rechten ragte drohend ein gewaltiger, silbern schimmernder Speer auf. Es war Gungnir, der Erd- und Welterschütterer, das kennzeichnende Merkmal der Allmacht seines Besitzers: Allvater Odin.

Durch den weitläufigen, von Tausenden und Abertausenden von Kerzen erleuchteten Saal hallte das Raunen der Anwesenden, und alle waren aufgeregt und kampfeslustig. Nur Odin saß auf seinem Thron, scheinbar tief in sich versunken, das Auge wie in weite Ferne gerichtet, als blicke er bis ans Ende der Zeit.

„Heimdalls Horn ruft uns zu den Waffen!“ rief soeben Tyr, der kampflustige Kriegsgott. „Wo sind die Schergen? Lasst uns kämpfen!“ Neben ihm schüttelte Freyja ebenfalls ihren Spieß. „Tyr hat Recht! Die Walküren werden wieder durch die Lüfte rasen und die gefallenen Helden in diese Halle bringen!“

Lautes, zustimmendes Stimmengemurmel ertönte, bis plötzlich Odin ganz kurz und kaum merklich die Hand hob. Obwohl die Bewegung beinahe kaum wahrnehmbar war, genügte sie doch, um augenblicklich Stille in der Walhalla einkehren zu lassen. Alle Blicke richteten sich nun gespannt auf den großen Göttervater. Sein Auge wanderte langsam von Einem der Anwesenden zum Anderen, und ein Jeder erschrak, als der Blick des Asenoberhauptes ihn streifte.

„Heimdall ruft uns zur Schlacht“ sagte Odin, und in seiner tiefen Stimme lag schwere Sorge, „doch ist es kein gewöhnlicher Kampf, den wir zu befürchten haben. Hugin und Munin bringen mir besorgniserregende Kunde. Die Welt der Menschen ist bedroht; tiefer Winter herrscht in Midgard. Seit der Mjölnir, die stärkste Waffe und größte Hoffnung der Asen verschwunden ist, fallen die Riesen ungestört über die Sterblichen her.“

Da wurde er von Tyr unterbrochen. „Nun, da Thor sich ihrer nicht annehmen kann, so lasst uns diese Angelegenheit selbst in die Hand nehmen! Wir werden diesen Schergen schon heimleuchten!“ Waffenklirren und lautes, zustimmendes Brummen antwortete ihm. Doch erneut gebot Odin ihnen, zu schweigen.

„Nicht nur diese Nachricht ist es, die meine Sorgen wecken. Thor und Loki sind bereits geraume Zeit weg, und nichts deutet auf ihre baldige Rückkehr hin. Im Gegenteil habe ich sogar erfahren, dass die beiden wohl aneinander geraten sind.“

Nun war es Uller, der mit tiefem, dröhnenden Lachen reagierte. „Na das ist doch auch kein Wunder“ meinte er. „Thor und Loki sind nicht gerade die besten Freunde! Die beiden Streithähne sind doch schon so oft aneinander geraten. Was ist daran denn so schlimm?“

Odin schloss für einen Moment das Auge und neigte den Kopf. „Es scheint wohl, dass sich Loki die Tatsache zu Nutze gemacht hat, dass Thor seinen Hammer nicht hat. Wahrscheinlich hat Loki Thor getötet.“

Das unfassbare, stille Entsetzen, welches sich nun im Saal ausbreitete, war beinahe greifbar. Alle starrten den Allvater ungläubig an. Schließlich war es Freyja, die mit belegter Stimme sprach.

„Wie… wie konnte das… warum haben die Walküren davon nichts erfahren?“

„Wenn es stimmt, so ist Thor nicht im Kampfe gestorben, und so kann er auch nicht von den Walküren nach Walhalla getragen werden.“ antwortete Odin.

„Aber…“ rief Tyr, und seine Stimme zitterte vor Wut, „wie kann es sein? Thor soll tot sein? Das kann ich einfach nicht glauben! Der Welt Schirmherr und Beschützer? Wie kann es sein, dass ein Ase sterben kann? Wir Götter sind unsterblich!“

„Thor befand sich nicht in Asgard, der Götterwelt“ entgegnete Odin ruhig. „Er befand sich in Midgard, der Welt der Sterblichen. Von normalen Händen war er sicherlich nicht zu töten. Aber Loki ist auch kein gewöhnlicher Mann und selbst unter uns Asen ist er ausergewöhnlich …“ “Diese Schlange…“ Tyr ballte die Faust und knirschte mit den Zähnen. „Wir müssen ihn finden! Er soll dafür bezahlen, was er getan hat!“ Zornige Rufe wurden laut, und überall verlangte man plötzlich nach Lokis Kopf.

„Genug!“ hallte Odins gebieterische Stimme durch die Halle. „Nicht die Rache ist es, der wir uns widmen sollten! Wenn die Kunde stimmt, so ist die gesamte Schöpfung in Gefahr! Ob Thor nun tot ist oder nicht, er ist nicht hier! Und ohne ihn sowie ohne den Hammer sind wir geschwächt! Nichts fürchten die Riesen so sehr wie den Zermalmer, der tausendmal mehr Riesen gefällt hat als wir alle mit unseren Waffen zusammen!

Außerdem können wir den Menschen, so sehr mich dieser Gedanke auch schmerzt, nicht zu Hilfe eilen. Die Riesen wollen uns aus Asgard locken, wo wir noch einigermaßen geschützt sind. Wenn wir uns nach Midgard begeben, so sind wir ihnen ausgeliefert. Wenn sie ihre gesamten Kräfte aufbieten, so werden die Götter untergehen.“

Lange herrschte nun bedrückte Stille, bis schließlich erneut Freyja das Wort an sich nahm. „Und was sollen wir nun tun?“

„Derzeit können wir nichts weiter tun als zu warten und uns hinter den Mauern Asgards verschanzen. Jeder Einzelne soll sich bewaffnen! Es kann durchaus sein, dass die Riesen sich bald nach Asgard wenden. Hier haben wir wenigstens noch eine geringe Chance gegen die bösen Kräfte. Doch wenn es stimmt und Thor getötet wurde, so ist die Welt der Menschen wohl dem Untergang geweiht. Und wer weiß, wie lange dann Asgard noch steht.“

Sie alle sahen sich an, und in den Augen jedes Einzelnen war die unausgesprochene Frage zu lesen Wisst ihr, was das bedeutet? Und zugleich die erschreckende Antwort: Es war möglich, dass die Götterdämmerung, das Ende aller Zeit, nahe war.

 

Thors fieberiger Geist irrte durch die Welt der Erinnerungen. Vor ihm tauchte ein Bild auf; es war der Gerichtshof, gerade neben der Walhalla. Odin und die anderen Götter waren um Loki und einen Zwerg versammelt. Loki übergab Odin den Speer Gungnir, und Thor erhielt von dem Zwerg den Hammer mit den Worten: „Dies ist der Mjölnir, der Zermalmer. Seinesgleichen gibt es kein zweites Mal in den neun Welten. Der Hammer zermalmt Eisen und harten Fels wie mürbe Erdklumpen und kehrt nach jedem Wurf wieder treu in deine Hand zurück. Ihn werden die Riesen fürchten wie keine andere Waffe.“

Das Bild verschwamm, und machte einem Anderen Platz: Thor sah sich auf einem Fischerboot, eine Angel im Meer versunken. Plötzlich begann die See zu tosen und haushohe Wellen stiegen empor, als plötzlich aus den finsteren Tiefen des Meeres der gewaltige Kopf einer Schlange auftauchte. Wild gebärdete sie sich und zog und zerrte, so dass Thor beinahe in die Tiefe gezogen worden wäre, doch da griff er zu Mjölnir und ließ den mächtigen Hammer auf den Kopf des Ungeheuers nieder krachen.

Wieder verschwamm das Bild, und er sah den glänzenden Saal der Walhalla. Zwischen den Göttern, die am Tisch saßen und zechten, saß ein plumper Riese, der soeben den Göttern spottete, er sei mächtiger und stärker als sie allesamt. Niemand wagte es, ihm zu trotzen, bis schließlich er selbst, Thor, den Saal betrat und den Frevler zum Zweikampf forderte. Mit einem einzigen Wurf flog Mjölnir donnernd und blitzend dem Riesen an den Schädel und tötete ihn, wodurch die Bedrohung gegen die Götter abgewendet werden konnte…

Die Szene verschwamm, und Thor wusste, was er tun musste. Er durfte den Hammer nicht aufgeben. Mjölnir war die größte Hoffnung allen Lebens. Wenn er verloren war, wäre alles dahin.

Sein Geist wurde nun von samtiger Dunkelheit umhüllt. Langsam jedoch meldete sich ein seltsames Gefühl: Es war Schmerz. Zuerst nur taub, begann er jedoch immer mehr zu pochen, und bald mischte sich ein weiteres Gefühl hinzu: Kälte.

Mit einem Brüllen wachte der Donnergott auf und fasste sich ans Bein. Die tiefe Wunde hatte mittlerweile aufgehört zu bluten, doch der Schnee war dunkel gefärbt von Blut. Der Schmerz jedoch war nicht verklungen und ließ den Donnergott die Zähne zusammenbeißen, während er sich umsah. Kleine Spuren führten von dem Ort, an dem er lag, davon.

Loki! Drang es ihm wie ein Blitz durch den Kopf. Er hatte ihn angegriffen und ihn verletzt! Aber warum hatte er ihn nicht getötet? Hatte er es nicht gekonnt? Hatte ihn irgendwas daran gehindert?

„Du willst den Hammer…“ grollte Thor, und in der Ferne war plötzlich das dumpfe Rumpeln eines herannahenden Gewitters zu hören. „Aber das werde ich dir nicht so leicht machen, mein Freund.“ Die Bilder seines Traumes kamen ihm wieder in den Sinn. Eigentlich war Loki selbst mit dafür verantwortlich, dass es Mjölnir überhaupt gab. Er hatte damals mit dem Zwerg Brock gewettet, dass dessen Bruder Sindri die Kunstwerke von Iwaldis Söhnen nicht würde übertreffen können. Doch als er merkte, dass Sindri mit seiner Kunst drohte, ihn zu besiegen, hatte er versucht, die Arbeit der Zwerge zu behindern. In Gestalt einer Fliege stach er Brock, der den Blasebalg bediente, zwischen die Augen, so dass er für einen kurzen Moment abließ, um sich das Blut von den Augen zu wischen. Das Ergebnis war ein gewaltiger Hammer mit zu kurzem Stiel. Mjölnir, der Zermalmer, die mächtigste Waffe, die es je gegeben hatte. Schon damals hatte Loki versucht, drein zu pfuschen, doch er hatte es nicht geschafft. Und er würde es auch jetzt nicht schaffen.

Mit einem Schmerzensschrei stemmte der Donnergott sich in die Höhe und humpelte durch den Schnee, den Spuren folgend, bis er schließlich ein Portal erreichte. Thor ahnte, wo dieses Portal hinführen würde.

„Odin, mein Vater“ rief er, den Kopf in den Nacken gelegt. „Dort hinter diesem Portal wartet der Tod auf mich. Ich weiß, welches Risiko ich auf mich nehme. Doch wenn ich es nicht tue, so sind wir alle verloren. Ich muss den Mjölnir wiederhaben, oder alles ist zunichte.“

Damit sprang er in das Portal und landete mit lautem Getöse mitten unter drei Riesen. Diese waren viel zu überrascht, als dass sie selbst für den verwundeten Thor eine Gefahr dargestellt hätten. Mit einer blitzschnellen Drehung brach er einem von ihnen das Genick, während der dem Zweiten mit dem Schwert des ersten Riesen den Kopf absäbelte. Der dritte Riese wollte soeben schreiend davon laufen, doch ein zielsicherer Wurf des Schwertes fällte ihn.

Thor hinkte durch einen Gang, bis er schließlich vor einem riesigen Tor ankam, welches von zwei Giganten bewacht wurde. Jeder von ihnen zwar zweimal so groß wie Thor selbst, und doch funkelten sie ihn einen Moment lang überrascht an, bis sie schließlich unsicher ihre Speere zückten.

„Na los, kommt her, ihr dämlichen Hunde“ knurrte Thor. „Ich fürchte den Tod nicht!“ packte mit beiden Händen den Speer des linken Wächters, um diesen mit einem scharfen, plötzlichen Ruck zu entwaffnen. Blitzschnell hatte er den zweiten Wächter damit durchbohrt. Der zuerst Überrumpelte hatte sich jedoch mittlerweile wieder von seiner Überraschung erholt und drang nun mit einem Schwert auf Thor ein. Dieser wehrte den Hieb mit dem Speer ab und jagte dem Riesen den Stil seiner Waffe in den Magen. Diesem blieb die Luft weg, und noch bevor er reagieren konnte, hatte Thor ihm das Schwert aus der Hand gedreht und ihm den Kopf abgeschlagen.

Während dieses Kampfes waren bereits weitere Riesen herangestürmt, doch Thor achtete gar nicht auf sie sondern schwang die Flügel des Tores auf. Dahinter lag der Thronsaal, und darin sah er einen Riesen auf einem Thron sitzend, und ihm gegenüber – Loki.

„DU HUND!“ brüllte er, und in seinen Augen lag geballte Mordlust. "VERRÄTER! DU KLEINER DRECKIGER VERRÄTER!!! KOMM HER, DU..." Die restlichen Worte gingen in einem unmenschlichen Gebrüll unter, als der Donnergott, das Gestalt gewordene Gewitter des Zorns, in den Thronsaal stürmte. In seinen Augen blitzte immer wieder das Wetterleuchten auf, aus seinem Mund drang ein Grollen wie Gewitterdonner und er schnaufte so laut in seinen Bart, dass es wie Sturmgetöse in der Luft klang. Und obwohl er humpelte, hatte er eindeutig nichts von seiner Gefährlichkeit eingebüßt, ganz im Gegenteil. Als er Loki erblickte, brüllte er auf, so dass der ganze Thronsaal erzitterte. Mit blanker Wut stürmte er vorwärts, trotz seiner Verletzung zu schnell, als dass die plumpen Riesen ihn erfassen konnten.

Geirröd starrte ihn mehrere Sekunden lang ungläubig an, dann wandte er den Kopf und funkelte Loki hasserfüllt an.

"Du hast ihn nicht getötet?", fragte Geirröd.

Loki musste sich auf diese Frage erst einmal nachdenklich das Kinn reiben, während er sich vom Bergriesen zurück in den Jüngling verwandelte. Seine Augen schweiften dabei tagträumerisch schräg nach oben ab, als wenn er sehr intensiv nachdenken würde. In Wirklichkeit aber lobte er sich innerlich selbst für diesen Geniestreich. Sein Plan war perfekt aufgegangen. Wenn es nach Thor gegangen wäre, hätten die beiden mit großem Kampfgeschrei das Schloss gestürmt und alle Riesen auf den Weg niedergestreckt, doch Loki hatte anderes im Sinn gehabt. Er hatte Thor bewusstlos geschlagen, daraufhin war er ihm wie ein tollwütiger Hund hinterhergejagt. Aber dann wäre das Ganze zu schnell gegangen. Thor hätte den Feuergott zu schnell eingeholt. Loki hatte Zeit gebraucht, um seinen eigentlichen Plan, von dem Thor nur das Ablenkungsmanöver war, in die Tat umzusetzen. Also hatte er den Donnergott am Bein verletzt, um ihn zu verlangsamen und sich selbst so die nötige Zeit zu ergaunern. Innerlich lobte Loki sich nochmal für die Einfachheit und Genialität seines Meisterplanes, bevor sein Blick wieder zu Geirröd zurückschweifte. "Auweia", sagte Loki übertrieben gespielt. "Das habe ich wohl in der ganzen Aufregung und Hektik irgendwie ... tja ich weiß auch nicht … verschwitzt." Er zuckte ergeben mit den Schultern. Sein verschmitztes Grinsen sprach Bände und strafte seine Worte Lügen. Geirröd schien erst jetzt seinen Verrat zu merken, was Loki aus seinem wütenden Schnauben und der gewaltigen Pranke schloss, die versuchte ihn zu schnappen es jedoch nicht schaffte, da Loki einen Sprung nach hinten machte und ihr entkam. "Um dich kümmere ich mich später", sagte er, während er auf dem immer noch wütenden Thor zuschritt. Den Mjölnir fest in der Hand umklammert. "Erst einmal kümmere ich mich um Thor." "AUS DEM WEG!", brüllte der Donnergott. Er schien noch gar nicht bemerkt zu haben, dass Geirröd seine Waffe in der fleischigen Pranke hielt. "Sieh dich nur an", sagte Geirröd spöttisch. Seine Stimme hallte durch den Thronsaal wie ein herablassender Chor. Thor humpelte trotz seiner Worte, auf ihn zu. Er schien blind und taub für alles andere außer Loki zu sein. "Du bist verletzt und schwach. Nichts als ein Schatten deiner einstiegen selbst. Weit weg von den schützenden Mauern Asgards, dringst du in mein Reich und Heim ein. Du hast weder deine Freunde, noch deine Waffe bei dir. Welch Ironie, dass du - der du tausende der Unseren abgeschlachtet hast, wie Viech - durch jene Waffe stirbst, die so viele meiner Untertanen und Krieger getötet hat und die dir gehört." Plötzlich hielt der Donnergott inne. Erst jetzt schien Thor zu begreifen, dass der Riese seinen Hammer in der Klaue hatte. Ungläubig schaute er auf seine Waffe, die ihn mehr bedeutete, als der Zorn auf den Feuergott, welcher gespannt die Szenerie beobachtete. "Mjölnir! Gib ihn her!", schrie Thor fuchsteufelswild. Geirröd hob den Hammer unheilverkündend hoch. Es sah aus, als wenn der Mjölnir Thor nicht mehr als seinen Herren betrachtete und ihm nun den Untergang wünschte. "Dein Tod wird unsere Ära einläuten. Und das Ende der Asen verkünden." Der Hammer sauste einem sturmgleich auf Thor nieder. Dieser schlug mit seiner mächtigen Faust nach der Waffe. Hammer traf krachend auf Faust. Der Mjölnir zersprang in Tausendteile, die sich dann im gesamten Saal ausbreiteten. Geirröd fiel von der Wucht des Schlages nach hinten, wo ihn Thor mit einem zweiten Schlag ins Gesicht gegen seinen Thron schleuderte. Teile der maroden Decke begruben den Riesen unter sich. Loki klatschte anerkennend in die Hände. "Nicht übel, gar nicht übel. Ich hätte sein Geschwafel keinen Moment länger ertragen können." Schneller als Loki reagieren konnte, war Thor bei ihm und packte ihn an der Gurgel. Verzweifelnd mit den Beinen tretend versuchte sich der Feuergott wieder einmal aus dem Würgegriff seines Rivalen zu befreien. "Wo ist der echte?!", knurrte Thor mit einem funkelnden Zorn in den Augen, der schon fast an Wahnsinn grenzte. "Was?!", fragte Loki heiser. Der Griff schnitt ihm die Luft ab und ließ seine Stimme fast versagen. "Der echte Mjölnir wäre nie zersprungen! Jemand hat ihn gegen eine Fälschung ausgetauscht! Und ich glaube, dass du etwas damit zu tun hast." "Ich weiß von nichts! Ich schwöre es! Ich habe ihnen den echten Mjölnir gebracht! Ich weiß nichts von einer … einer Fälschung!" Thor stierte Loki noch ein paar qualvolle Augenblicke an, bevor er ihn los ließ. Plumpsend fiel Loki zu Boden, wo er sich hustend den Hals hielt. Jedes Schlucken schmerzte, aber es würde in ein paar Tagen verschwinden. "Wenn du ihn nicht hast, wo kann er dann sein?", fragte Thor mehr zu sich selbst, als zu Loki. "Wer immer ihn gestohlen hat, er kann nicht weit sein. Bestimmt ist er noch hier im Schloss. Wir müssen jedes Zimmer durchsuchen, dann finden wir ihn schon." Stumm humpelte Thor zu einer kleinen Tür, die an der rechten Seite des Thronsaals befand und zum Seitenflügel führte, ohne auf den Plan des Feuergottes zu antworten. Im Seitenflügel teilten sich die beiden auf. Loki ging in die eine Richtung des Ganges, Thor in die andere. Als der Donnergott außer Hörweite war, schlich sich Loki in ein Zimmer und schlug schnell die Tür hinter sich zu. Mit pochendem Herzen drückte er sich breitbeinig mit von sich ausgestreckten Armen gegen die Tür, wie um jemanden daran zu hindern einzudringen. Er spitzte die Ohren. Doch es war weder das laute Grölen von Riesen noch das laute Getöse eines Asen zu hören. Als der Feuergott sich sicher war, dass niemand in der Nähe und er somit allein war, zog er unter seinem Wams ächzend mit großer Mühe den echten Mjölnir hervor. Seine Arme zitterten unter der gewaltigen Anstrengung, denn die Waffe war viel zu schwer für ihn und so konnte er ihr Gewicht nicht lange tragen. Krachend schlug die Waffe auf den Boden auf wo sie einen kleinen Krater im steinernen Boden hinterließ. Loki zog hörbar die Luft durch die Zähne und hoffte, dass niemand den Lärm bemerkt hatte. Der Feuergott hatte den Mjölnir im Moment der Ablenkung, als Geirröd zum Fenster geschritten war um nachzusehen, was der Lärm außerhalb des Thronsaales zu bedeuten hatte, heimlich eingesteckt. Loki hatte in weiser Voraussicht eine Fälschung angefertigt, auch wenn er damals nicht gewusst hatte, was er damit hätte anstellen sollen. Zur Not hätte er die Fälschung für einen seiner schelmischen Streiche genutzt um Thor zur Weißglut zu bringen. Aber das war jetzt nicht mehr wichtig. Wieder einmal hatte Loki mehr Glück als Verstand gehabt. Hätte Thor ihn durchsucht, wäre der Feuergott mit Sicherheit nicht hier. Als Loki so auf die Waffe schaute wie sie sich weigerte heben zu lassen, erinnerte er sich an etwas Schreckliches, dass er vor langer Zeit gesehen hatte.

"Was ist denn hier passiert?", fragte Loki laut, obwohl niemand da war, der ihn hätte hören können. Zumindest niemand Lebendiges. Wieder einmal war er in der Welt der Riesen auf seinen Abenteuern unterwegs gewesen, als er in einem kleinen Dorf halt machen wollte. Obwohl es von Riesen bewohnt wurde, war es ein sehr friedliches Fleckchen Erde gewesen. Die Bewohner hatten zwar eine harte Schale, aber ihr Kern hätte weicher und liebenswürdiger nicht sein können. Doch was er an diesem Tage sah, war nicht das harmonische Dorf von einst, sondern der Ort eines Massakers. Es sah aus, als wenn ein gewaltiger Sturm getobt hätte. Von den einfachen Hütten waren nichts als die verkohlten Überreste geblieben. Leichen stapelten sich auf Leichen. Irgendjemand- oder etwas hatte die Bewohner mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen. Einige waren eindeutig von Blitzen niedergestreckt worden. Teilweise mussten sie zweimal am selben Ort eingeschlagen haben. Loki konnte an den Spuren genau erkennen, wie es abgelaufen war. Es war ein einzelner Angreifer gewesen, der über das Dorf hergefallen war. Die Bewohner hatten sich nur verteidigen wollen, aber der Angreifer hatte keine Gnade gezeigt. Er hatte alles und jeden niedergemetzelt und von den Hütten nichts als Schutt und Asche übrig gelassen. Loki kannte nur einen, der zu so einer grauenvollen Tat fähig gewesen wäre. Thor – der keinen Unterschied bei den bewaffneten Kriegern und einfachen Bauern machte, für den alle Riesen gleich waren. Aber ohne seine Waffe – den Mjölnir – wäre er niemals so mächtig geworden. Seit er diesen Hammer trug, war er vollkommen außer Kontrolle geraten. In seinem Herzen, das nichts als nur schwarz und weiß kannte, war für nichts anderes Platz als für Krieg und Blutvergießen. Wenn Odin ihn nicht ab und an ins Gewissen reden würde, wären inzwischen alle Riesen tot, doch auch Riesen hatten ein Recht zu Leben. Aber Thor schloss von einigen Taten der Riesen gleich auf das ganze Volk. Wieder einmal verfluchte Loki den Tag, an dem Thor diesen Hammer bekommen hatte. Der Mjölnir trug mit schuld an dieser Tragödie. Der Feuergott sprach aus, was er sich schon hunderte Male in Gedanken gesagt hatte, bevor er weiterreiste "Wenn es diesen Hammer bloß nicht gäben würde ..."

Jetzt war es an der Zeit den Zermalmer ein für alle Mal zu zerstören, damit nie wieder ein unschuldiges Riesenkind durch ihn fallen musste. Immerzu redete Thor von seiner Ehre als Krieger, doch wie konnte er von so etwas wie Ehre sprechen, wenn er noch nicht einmal zwischen erwachsenen Kriegern und ausgewachsenen Kindern unterscheiden konnte? Loki wusste zwar, dass es schwierig war sie zu unterscheiden, denn ein Kind war schon innerhalb von drei Mondzyklen ausgewachsen und immer noch auf der Entwicklungsstufe eines Dreijährigen, doch Thor hatte sich noch nie die Mühe gemacht, die Riesen zu verstehen. Hier und jetzt würde er dem Allem ein Ende bereiten. Aber er musste erst einmal den Mjölnir zerstören – keine leichte Aufgabe. Die Riesen hatten unendlich viel Zeit damit verbracht, Pläne und Ideen zu schmieden, um diese Waffe endgültig zu zerstören. "In Ordnung, Loki. Ruhig bleiben, ruhig bleiben, dass hat dich weit gebracht. Zuerst einmal müssen wir wissen, was wir an Werkzeug hier haben." Er sah sich daraufhin im Zimmer um. Es war ein einfaches Bedienstetenzimmer mit einem glaslosen Fenster und einfachen Mobiliar. Loki zerrte den Hammer mit all seinen ihm zur Verfügung stehenden Kräften zum Fenster. Unter der Belastung stöhnte und schnaufte er, als wenn er eine ganze Karre voll Steine ziehen müsste. Als er sein Ziel erreicht hatte, steckte er neugierig den Kopf nach draußen. Unterhalb des Fensters war ein tiefer Abgrund, der den Feuergott mit gähnender Schwärze begrüßte. "Wenn er da reinfällt, findet man ihn nie wieder." Loki grinste verschmitzt. Unter Stöhnen und Ächzen hob er den Mjölnir vom Boden auf. Er hielt ihn in die Tiefe und grinste ihn dabei an. "Auf Nimmerwiedersehen, du blödes Ding", sagte er noch bevor er den Hammer losließ und ihn hinterher sah, wie er in den Abgrund stürzte um nie wiedergesehen zu werden. Mit klatschenden Händen drehte sich Loki wieder ins Zimmer um. "Dass es so einfach gehen würde, hätte ich nicht gedacht. Jetzt muss ich nur noch so tun, als wenn ich den Hammer gesucht hätte und natürlich nichts gefunden habe.“ Loki räusperte sich für die Probe. "Tut mir leid, Thor du verblödeter Bär. Ich habe überall gesucht, aber nichts gefunden. Nein,“, sagte Loki sich selbst, „das geht so nicht. Das kauft mir niemand ab.", dann setzte er eine ganz deprimierte Miene auf. "Hast du was gefunden? Nein? Ich glaube nicht, dass wir hier noch was finden werden. Ich bin dafür, dass wir uns erst einmal in eine Taverne setzen und über unsere nächsten Schritte nachdenken. Ich kenne da ein interessantes Etablissement in dem sind viele … du weißt schon … Miau! Was sagst du? Du bist dafür und ich bin der größte Krieger aller Zeiten? O bitte, keine großen Lobhymnen! Da werde ich immer so rot. Ja, viel besser. Noch ein bisschen Übung und weniger Zuversicht, dann klappt auch alles wie am Schnürchen." Loki wollte gerade gehen, als irgendetwas Hartes gegen seinen Kopf stieß und ihm schwarz vor Augen wurde. Als er seine Augen wieder aufschlug, sah er ein paar verschwommene Fellstiefel, die ihm sehr bekannt vorkamen. "Thor? Was machst du denn hier?", fragte er immer noch benommen, während er sich aufsetzte und erst einmal den brummenden Schädel hielt. Natürlich war ihm nicht entgangen, dass Thor den Mjölnir in der Hand hielt. Das Ding hatte Loki genau am Hinterkopf getroffen. Thors Ersatzwaffe lag neben ihm in den Boden gerammt. "Du wirst mir nicht glauben, was mir gerade passiert ist. Also ich …" Thor ließ Loki nicht ausreden, sondern warf den Mjölnir nach ihm, der den Feuergott durch die Wand zurück in den Thronsaal schleuderte. Lokis Stab rollte dabei weg. Zischend hielt sich Loki die Seite. Ihm waren mehrere Rippen weggeknackst. Es fühlte sich an, als wenn jeder einzelne Knochen in ihm pulverisiert wäre. Mit schweren inneren Verletzungen, zog sich der Feuergott ächzend mit einem Arm und letzter Kraft zu seinem Stab. Die Waffe rückte immer näher. Loki wollte sie nur noch holen und danach würde er sich aus dem Staub machen, bevor Thor ihn töten konnte, denn in einem direkten Zweikampf wäre er diesem Wahnsinnigen vollkommen unterlegen. Zum Glück hinderte ihn seine Verletzung am Bein daran, schnell zu Loki zu sprinten, bevor er ... Weiter kam er mit seinen Gedanken gar nicht, denn ein Fuß trat auf die Hand mit der er sich nach vorne zog. Mit einem gemarterten Schrei presste Loki all den Schmerz aus seinen Lungen heraus. Thors Verletzung war durch die magischen Kräfte des Mjölnirs geheilt worden. Loki schaute zum Stab, der zum Greifen nahe lag. So nahe und doch so fern, dachte er ironisch. Jetzt war alles aus. Auch wenn es in seinem Leben schon viele Situationen gegeben hatte, in denen er den Tod ins Auge sah, so hatte er es trotzdem geschafft sich in allerletzter Sekunde zu retten. Doch jetzt würde ihn nichts mehr retten können. Kein Odin würde kommen, um ihn aus der Patsche zu helfen. Er hatte auch keinen Plan mehr. Keinen Trumpf, durch den sich Loki letztlich retten konnte. Es war vorbei. Aus. Er schaute nach oben zu Thor, der ihn aus hasserfüllten Augen anstarrte. Ob sich die Riesen auch so gefühlt hatten, als sie durch seine Hand starben?, fragte er sich beklemmt. Thor hob den Hammer, wie es Geirröd vorhin bei ihm getan hatte, um den Feuergott mit einem Schlag zu zerschmettern. Gerade als Loki dachte, jetzt sei es alles verloren, schaffte es sein Stab wie von einem lautlosen Ruf angelockt in seine Hand zurück. Mit einem Knall flog Thor nach hinten. Er fiel auf alle viere. Mjölnir krallte sich in die Erde, um den Rutsch zu verlangsamen. Loki stand plötzlich wieder. Seine Gestalt war in ein feuriges Leuchten getaucht. In seinen Augen brannte ein göttliches Feuer in dem sowohl Zerstörung und Chaos als auch Leben und Schöpfung lag; ständige Bewegung, genau wie die Natur des Lokis selbst. "Hiermit fordere ich dich zum Zweikampf heraus. Thor, Sohn des Allvaters Odin." Ein feuriges Echo begleitete Lokis Worte. Seine Haare wirbelten, wie von heißer Luft umspielt. Thor lachte höhnisch. "Ein Zweikampf?! Mit dir?! Aber na gut. Ich akzeptiere." Mit einem Brüllen, welches selbst das Grollen eines Donners neidisch gemacht hätte, spurtete Thor auf Loki zu. Der machte weder Anstalten für einen Angriff, noch für eine Flucht. Selbst als er die Blitze aus Thors Mund riechen und den donnernden Zorn in seinen Augen sehen konnte, rührte er sich nicht. "Na los! Lauf! Lauf weg, wie du es immer getan hast! Ich werde deine Feigheit schon noch enttarnen!" Mit diesen Worten, stieß Thor den harten Knauf von Mjölnir genau zwischen die Augen Lokis. Der Schlag ließ den Saal erbeben. Die Säulen stöhnten und ächzten unter der Macht des Thors. Sämtlicher Staub wurde von einer Druckwelle in die entlegensten Ecken des Saales gefegt. Ein Beben ging durch den Raum und brachte alles zum Schwanken. Doch Loki stand da. Er hatte sich um keinen Fingerdeut bewegt. Ein Rinnsal Blut lief sein Gesicht hinab. Seine Augen starrten abwesend ins Leere. In seinem Inneren versuchte Loki zu verstehen, was gerade mit ihm geschah. Noch vor einem Moment war er dem Tode nahe gewesen und jetzt stand er Thor als ebenbürtigen Gegner gegenüber. Seit er diesen Stab in den Händen hielt, brannte ein neues Feuer in ihm. Ein Feuer des Kampfes. Lokis neue Waffe hatte aus ihm einen Krieger gemacht. Sie gab ihm neue Kraft. Hatte seine Wunden geheilt. Sie war Lokis Mjölnir. Eine Waffe die ihn zu einem ebenso gefürchteten Kämpfer werden ließ, wie Mjölnir Thor. Eine Waffe, die es nur für ihn gab und die einzig er bändigen konnte. "Ich werde nicht mehr weglaufen", sagte Loki mit einer unnatürlichen Gelassenheit, obwohl er eigentlich Angst hätte verspüren müssen. Er packte den Schwertarm des verdutzten Thors und zog ihn langsam nach unten, um ihn dann mit einem Stoß seines Stabes ans andere Ende des Saales zu schleudern. Loki begann sich wieder zu verwandeln. Der Jüngling alterte wieder um etliche Jahre. Auf seinem jugendhaften Gesicht machte sich ein Bart bemerkbar, der schnell wuchs und anschließend ein prächtiger Vollbart war, der von magischen Winden umspielt wurde und dabei kaum noch etwas vom Gesicht preisgab. Die zarte bleiche Haut alterte, wurde wettergegerbt und dunkel. Auf seinem Bauch trat wieder das Symbol hervor, welches er seit Helheim trug. Das Symbol begann zu brennen. Weitere kleine Runen breiteten sich brennend darum herum aus und bedeckten bald den ganzen Körper. Loki hatte den Zorn eines Gottes gepackt, der besonders durch die brennenden Augen hervor stach. Auf dem Boden hatten sich Risse aufgetan, durch die ein feuriges Licht aus dem Inneren der Erde hervor schien und seine Gestalt noch zusätzlich beleuchtete. Irgendwo in weiter Ferne grollte ein Gewitter. Es würde in Bälde das Schloss erreicht haben. Der Kampf der Götter war damit eröffnet.

In Helheim stand die Todesgöttin und Tochter des Lokis mit gemischten Gefühlen auf ihren vereisten Balkon und starrte zu dem pechschwarzen Himmel, an dem es noch nie Wolken oder Sterne gegeben hatte und auch nie geben würde. Eisige Kälte war in das Ödland eingekehrt. Etwas oder jemand schien sämtliche Wärme aus ihrem Reich zu vertreiben, wahrscheinlich ihr Vater, der gerade gegen den Asen Thor kämpfte. Sie war wegen der Eislandschaft aber nicht traurig. Ihr war diese Kälte lieber als die trockene Ödnis, zu der ihr Vater sie überredet hatte. Jetzt kämpfte er im Reich der Riesen gegen Thor Odins Sohn um sein Leben. "Was für ein Idiot", schnaubte sie verächtlich und verschränkte die Arme. "Er hätte wegrennen sollen, statt zu kämpfen. Es wäre auf jeden Fall die klügere Entscheidung gewesen." Obwohl sie immer noch einen Groll gegen ihren Vater hegte, so hatte sie ihn doch nie den Tod gewünscht. Man konnte von ihm halten, was man wollte, aber er hatte dafür gesorgt, dass sie an diesen trostlosen Ort verbannt wurde, statt wie von vielen verlangt öffentlich hingerichtet zu werden. Viele hatten sie damals tot sehen wollen, was heute nicht viel anders war. Man hatte sie mit faulem Obst und Steinen beworfen, als sie aus Asgard ging. Doch Loki hatte sie bis nach Helheim begleitet. Jeder der mit Steinen nach ihr geworfen hatte, dem hatte er den gleichen Stein zurückgeworfen. Jeder der sie bedroht hatte, dem hatte er eine Lektion erteilt. Und immer wenn es ihr schlecht gegangen war, so hatte er sie mit seinen Späßen und Geschichten zum Lachen gebracht. All diese glücklichen Erinnerungen trieben ihr Tränen in die Augen, die ihr ein eisiger Wind von der Wange fegte. Noch bevor die Träne den Boden traf, gefror sie und zersprang schließlich am steinernen Geländer in viele kleine Teile. "Wieso, Vater? Wieso läufst du nicht weg? Wieso?!" Wenn Loki starb, war sie ganz allein gegen den Rest der Welt.

In Muspelheim, das wie Nifelheim als eine der beiden ältesten Welten galt, dort wo die Feuer der Schöpfung tobten und die Luft vor Hitze flimmerte, in den tiefsten Tiefen der Unterwelt, saß eine dunkle, furchteinflößende Gestalt auf ihrem Thron. Schrecklich war sie anzusehen, groß, dunkel und voller geballter Macht saß sie da, mit einem flammenden Schwert an der Seite, während die Urgewalt des Feuers in den tiefen Bodenspalten loderten. Plötzlich dröhnte ein Poltern durch die gewaltige Halle und ließ sie in ihren Grundfesten erzittern, und die Feuer in den tiefen Spalten loderten brüllend auf. Überrascht hob die riesige Gestalt auf den Thron den Kopf und schnupperte in die Atmosphäre. Rote Augen glühten auf, als Surtur, der Feuerriese und das älteste Wesen der Welt, erkannte, was gerade geschah.

Nun Loki, mein Freund..." grollte er mit tiefer Stimme, "nun kannst du zeigen, ob du es wert bist, der Gott des Feuers genannt zu werden."

Er stand auf und schwang sein flammendes Schwert. Die Feuer der Höhle loderten erneut auf und umfingen die Gestalt des Riesen, züngelten gierig an ihm entlang und hüllten ihn in einen hell strahlenden Glanz ein.

"Odin, du alter Narr..." knurrte Surtur triumphierend, "zitterst du schon in deinem goldglänzenden Heim? Ihr Asen, was ist nun mit euch? Die großen Säulen der Welt, die ihr sein wollt. Nun wird es sich entscheiden! Wisst ihr, was das bedeutet? Die Zeit des Endes nähert sich! Nun werden wir sehen, ob der Donner über das Feuer triumphieren kann..."

Er lachte dröhnend, als ein Donnerschlag die Erde erzittern ließ.

 

Die beiden Kämpfer standen sich gegenüber, zwei Giganten, zwei übermächtige Wesen, die nun den Kampf um die Schöpfung austragen würden. Auf der einen Seite war Loki, der Feuergott. Seine Erscheinung war furchteinflößend, eingetaucht in das infernalische Feuer seiner Macht, den Stab, das mächtige Artefakt, das ihm seine Kraft verlieh, schwingend. Auf der anderen Seite Thor, der gewaltige Gott des Donners, mit starkem Leib, dem vollen, roten Haar und dem feurigen Bart, über dem zwei helle, strahlend blaue Augen zornige Blitze ausschickten. In der Hand lag der Hammer Mjölnir, das Sinnbild von Thors Macht. Der Stiel schien etwas zu kurz geraten für den gewaltigen Kopf, in dem urmächtige Runen aufglühten. Die Waffe war eingehüllt in ein mächtiges blaues Leuchten, und weiße Blitze umzüngelten den Hammerkopf.

Thor fühlte die unglaubliche Macht des Hammers durch seinen Körper jagen. Er hatte beinahe das Gefühl als würde Mjölnir in seiner Hand vibrieren, bereits hungrig und voller Vorfreude auf den Kampf. Der Zermalmer lechzte nach Blut, und Thor glaubte für einen Moment, keine Waffe in der Hand zu halten, sondern ein lebendes Wesen.

Draußen vor dem Schloss jagte das Gewitter heran, und aus den Ritzen im Boden loderten brüllende Flammen empor. Doch es war nicht einfach nur ein Gewitter und Feuer. Es waren die gigantischen Kräfte, die nun aufeinandertrafen, Kräfte, welche die Weltenesche Yggdrasil in ihren Grundfesten erzittern ließen.

Ohne Vorwarnung nun sprang Thor mit einem Brüllen auf Loki zu. Dieser erwartete seinen Ansturm breitbeinig. Und als Hammer und Stab aufeinander prallten, war das Gewitter heran und ein gewaltiger Donner bebte durch die Atmosphäre, während der Boden zu expoldieren schien und gewaltige Feuerfontänen daraus hervor brachen.

Trotz Thors Kräfte schaffte Loki es, dem Schlag standzuhalten, wenngleich ihm die Anstrengung im Gesicht anzusehen war. Er stemmte sich gegen die Kräfte des Donnergottes und seine Füße krallten sich in den steinigen Boden. Gleich darauf duckte Loki sich blitzschnell weg und schlug seinem Gegner den Stab auf den Rücken, so dass Thor nach vorne fiel. Doch der Donnergott stolperte nur einige Schritte nach vorne, dann hatte er sich bereits wieder gefangen. Mit einem Knurren drehte er sich um und warf den Hammer nach Loki. Donnernd traf er den Körper des Feuergottes und warf ihn von den Füßen. Mjölnir machte einen Bogen und flog wieder in Thors ausgestreckte Hand zurück. Doch noch bevor dieser seine Waffe gefangen hatte, war Loki schon wieder aufgesprungen und wirbelte den Stab. Eine gewaltige Feuerfontäne erfasste Thor und schleuderte ihn meterweit durch die Luft, um krachend auf dem Boden aufzuschlagen. Er erhob sich, doch da wurde er schon von drei rasch aufeinander folgenden Feuerbällen getroffen, die ihn erneut in die Knie zwangen. Schwer atmend kniete er da und stierte zu Loki hinüber. Auf dessen nun wettergegerbten Gesicht zeichnete sich das verschmitzte Grinsen ab, das Thor nur zu gut kannte und hasste wie nichts anderes in der Welt.

"Dein dämliches Grinsen wird dir noch vergehen, du Ratte!" grollte er und erhob sich. In seinem Herzen loderte nur noch der Hass, der Hass gegen den Feuergott. Wie oft hatte dieser die Asen bereits betrogen und belogen! Immer wieder war ER es gewesen, der sie in Schwierigkeiten gebracht hatte. Doch damit sollte jetzt Schluss sein. 

Er liebte seine Brüder und Schwestern unter den Asen, und besonders seinen Vater. Und Odins Schöpfung, die Welt der Menschen, war Thor und seinem Schutz anvertraut worden. Nun hatte er ein für alle Mal die Gelegenheit, den Urvater allen Unheils von der Welt zu tilgen.

Mit diesem Gedanken schwang er den Mjölnir über seinem Kopf. Lokis Gesicht erstarrte, als ein greller Blitz durch den Raum jagte und ihn mit voller Wucht traf. Unglaubliche Energie jagte durch seinen Körper und schien ihn beinahe von innen her zu zerreissen.

Ein Blitz traf die Mauern des Schlosses, und der gleich darauf folgende Donner ließ die Halle erzittern und an den Wänden knackten dürre Risse auf. Wieder flog Mjölnir und fegte Loki nun endgültig von den Füßen. Erneut krachte der Donner und ein Teil der Halle stürzte ein. Thor triumphierte.

 

Eine gespenstische Ruhe kehrte ein. Eine dicke Staubwolke, machte es für Loki unmöglich zu sehen wo sein Gegner stand, doch er wusste genau, wo Thor war. Er wischte sich mit dem Handrücken das Rinnsal Blut aus seinem Mundwinkel vom Gesicht. Dann hielt er seinen Stab fest in den Händen und beschwor einen flammenden Drachen aus dem Feuer hervor, welches es einzig und allein nur in seinem Herzen geben konnte. Fauchend durchstieß der Drache den Staub, zerteilte ihn wie eine scharfe Klinge, nur um anschließend brüllend vor Thor zu stehen, sodass der Putz regengleich von der Decke rieselte. Der Donnergott erwiderte mit dem Schrei eines Kriegers der den Tod nicht fürchtete. Mit einem mächtigen Schlag des Mjölnir zerschlug er den Flammendrachen. Loki rannte mit aller Macht auf seinen ewigen Rivalen zu, den Stab wie einen Speer haltend. Die Spitze traf auf den Kopf von Mjölnir. Eine erneute Druckwelle ging durch den Saal und brachte weitere Teile von ihm zum Einstürzen. Das alles wurde von einem Beben begleitet, das die neun Welten erfasst zu haben schien. Das Schloss würde bald einstürzen.

"Du bist dieser Macht nicht würdig. Du verdienst es nicht, den Mjölnir zu führen", sagte Loki mit zusammengebissenen Zähnen, während der Druck wie von Sinnen auf ihn einschlug und einen fest Stand schwierig machte.

"Wer soll es denn sonst sein?", fragte Thor zornig, dem der Druck dieser Kräfte nichts auszumachen schien. "Du etwa?"

Loki erwiderte auf diese Frage nur mit beharrlichen Schweigen, da er die Antwort nicht kannte. Aber er wusste nur zu gut, dass Thor dieser Macht nicht würdig war. Er hatte zu oft seine Unfähigkeit mit dieser Macht umzugehen bewiesen.

"Komm nur her, du Unhold", schrie Thor in dem Labyrinth aus Stein, in welchem er mit den anderen Asen den Fenriswolf Lokis Sohn gejagt hatten. Der Feuergott war ihnen dabei unauffällig gefolgt. Sie hatten die Fährte seines Sohnes über mehrere Wochen hinweg verfolgt, bis sie ihn in einem Irrgarten aus Stein gestellt hatten. Es war eine bergige Landschaft gewesen, wo sich Risse kleinen Rinnsalen aus Wasser gleich durch den Fels zogen. Thor und die anderen hatten sich bei der Suche nach dem Fenriswolf aufgeteilt. Zu Lokis Verdruss war es Thor gewesen, der den Fenriswolf gefunden hatte. So sah Loki die Szenerie mit einer Mischung aus Entsetzen und Wut mit an. Sein Sohn war verletzt und ausgehungert. Er wäre in diesem Zustand für nichts und niemanden eine Bedrohung gewesen, doch Loki sah in Thors Augen nichts als Mordgier und Hass. Statt zu versuchen den Fenriswolf zu verstehen, wollte er ihn lieber tot sehen. Auch wenn Thor sich selbst das nie eingestehen würde, so fürchtete er sich doch vor dem Fenriswolf. Er fürchtete sich vor allem, was er nicht kannte und glaubte, dass es der beste Weg sei, diese Furcht lieber zu töten, statt sie zu verstehen. Der Fenriswolf biss Thor aus reiner Verzweiflung in die fleischige Hand, worauf Thor ihn mit seinem Mjölnir gegen die felsige Wand schleuderte, dabei fielen einige kleinere Gesteinsbrocken auf dem Wolf, was Loki auf eine Idee brachte. Er hob einen Stein auf, den er dann mit all seiner Kraft auf die Felswand gegenüber warf. Krachend lösten sich Unmengen aus Stein und Geröll von der Wand. Thor machte hastig einen Schritt nach hinten. Der Fenriswolf tat es ihm gleich. Die beiden mussten zusehen, wie die Lawine sie voneinander trennte. Thor brüllte wüste Flüche aus, während der Fenriswolf auf der anderen Seite davon humpelte, mit einem dankbaren Blick in Lokis Richtung.

Die beiden Kräfte rieben im Thronsaal aneinander, zwei Gletschern gleich. So mächtig, dass die beiden Götter dieser Urgewalt nicht mehr stand halten konnten. Sie trieben auseinander. Einige Momente blieben sie keuchend stehen. Loki rieb sich mit einem verschmitzten Lächeln den Schweiß von der Stirn. Er hätte nie im Leben gedacht, dass in ihm solch eine Kraft schlummern würde, die selbst dem mächtigen Thor ins Schwitzen bringen konnte. Rumpelnd brach eine riesenhafte Gestalt brüllend durch den Schutt. Es war Geirröd, der sich nun verwundert umschaute. Sein Blick sprach unaussprechliches Entsetzen aus. "Was geht hier vor sich?! Hier stürzt ja gleich alles ein! Wollt ihr beide uns alle umbringen?!" Loki und Thor schauten zu ihm hinüber. "Da kann es wohl einer nicht ertragen, dass er inzwischen zu einer Randfigur degradiert wurde", meinte Loki spöttisch. Der Feuergott tauschte einen schnellen Blick mit Thor aus. Obwohl sie kein Wort wechselten, dachten sie dasselbe. Loki beschwor eine mächtige Flammenfaust herbei, während Thor seinen Hammer nach dem Riesen warf. So wurde Geirröd mitsamt seinem Thron durch mehrere Wände und somit aus dem Schloss geworfen. Draußen starrte das Heer der Riesen verwundert zum Schloss hinauf und sie sahen ihrem kreischenden König und seinem Thron hinterher, wie sie in die Tiefe stürzten. Sie alle bedauerten das sehr. Geirröds Thron war immer so schön anzusehen gewesen. Um den Herrscher war es aber nicht schade. Loki nutzte, dass Thor seinen Mjölnir gerade nicht bei der Hand hatte und rannte auf ihn zu. Als er ihm gegenüber stand, nahm er den ohnehin zu großen Thor Huckepack, nahm seinen Stab und zeigte mit der hölzernen Flamme auf den Boden. Mit einer gewaltigen Feuersäule beförderte Loki sich selbst und Thor zur mit zapfenbehangenen Decke, wo das spitze Eis den Rücken des hünenhaften Asen mehrfach durchbohrte. Schreiend fiel Thor zu Boden und drohte Loki unter sich zu begraben, doch der ließ den Donnergott los und ließ sich mit einem zweiten Flammenstrahl zur Seite wegtragen. Doch er verschätzte sich in der Kraft des Strahls, worauf er krachend gegen eine der vielen Säulen landete. Plumpsend fiel er zu Boden. Thor lag bewusstlos da. Loki hielt sich lachend die Seite. Ihm tat alles weh, sein ganzer Körper schrie nach Ruhe und sein Gelächter verursachte ihm Schmerzen, doch das machte nichts. Er hatte Thor besiegt. Krachend fiel die Säule, gegen die er sich lehnte auf ihn nieder und ließ sein Lachen verstummen. Mit einem schnellen Ruck, rollte Loki sich zur Seite weg. Die Säule durchschlug den Boden und fiel dann in eine endlos-schwarze Leere darunter. Loki sah ihren Sturz nach. Eine leichte Beklemmung überfiel ihn. Geirröd hatte recht behalten. So langsam fiel das ganze Schloss in sich zusammen. Er musste sich beeilen, bevor alles in diesem schwarzen Schlund fiel. Ein Schrei unterbrach seine Gedanken. Thor war wieder bei Bewusstsein und Mjölnir war auch wieder zu ihm zurückgekehrt. Jetzt sprang er todesverachtend über den Abgrund. Den blitzenden Mjölnir hoch erhoben, wie ein unheilvoller Prophet seines Unterganges. Der Hammer traf Loki an der Schulter und riss ihn zu Boden. Seine Knochen knacksten gefährlich. Er stöhnte unter dem gewaltigen Schlag auf. Thor war jetzt fuchsteufelswild. Er prügelte ohne Sinn und Verstand auf den Gott des Feuers ein. Unten. Oben. Links. Rechts. Und wieder von vorne. Loki versuchte den Schlägen auszuweichen und auf Abstand zu gehen, doch es war schwierig. Schließlich kam ihm Thors Wut zupass, mit der er ihn wieder gegen eine der Säulen schleuderte. Mit letzter Kraft hob Loki seinen Stab und versucht mithilfe einer erneuten Flammensäule den wütenden Thor auf Abstand zu halten. Lange werde ich das nicht mehr durchhalten, dachte er bei sich. Thor schleuderte den Hammer zu Boden, wodurch sich der Abgrund in der Mitte des Saales nur noch weiter ausbreiten konnte. Tausende von Blitzen breiteten sich auf den Boden aus und suchten lebenden Wesen gleich nach ihrem Ziel Loki, der keine Möglichkeit sah sich vor den Blitzen zu verbergen. Der Feuergott konnte gegen die gewaltige Macht der Blitze nicht mehr ankämpfen, weshalb die Flammensäule erstarb. Doch selbst als er unter den tobenden Blitzen unkontrolliert zitterte, konnte er den Stab nicht loslassen – wollte ihn nicht loslassen. Sein Herz begann in einem unnatürlichen Tempo zu rasen. Als die zerstörerische Macht in seinem Körper nachließ und er verbrannt und rauchend zusammengesunken da lag, schritt Thor einem Henker gleich auf Loki zu. Seine Sicht war getrübt. Er fühlte sich seltsam von seinem Körper losgelöst. Die Hand welche ihn grob an der Kehle packte und hochzog, nahm er nur stumpf wahr. Selbst um sich zu wehren oder zu zappeln fehlte ihm die nötige Kraft. Loki war kaum noch fähig seine eigene Waffe zu halten. Die lauten Schritte Thors waren nichts als ein leises Wispern in der Stille. Auch wenn der Feuergott nur wenig sehen konnte, sah er den pechschwarzen Abgrund über den er schlaff baumelte. Der Donnergott hielt ihn von sich. Bereit ihn jede Sekunde in den Abgrund fallen zu lassen, in dem eigentlich der Mjölnir hätte verschwinden sollen. "Thor", krächzte Loki. "Bring es hinter dich." Der Feuergott hörte den Donner trunken vom Sieg und angestachelt vom Kampf grollen. Blitze tanzten freudig zuckend über den Firmament.

 

Thor kam mit seinem Gesicht ganz nahe an Lokis, und seine blitzenden Augen funkelten den Feuergott wütend an.

"So, ich bin also des Hammers nicht würdig meinst du?" fauchte er. "Dein Volk hat nur Unheil und Chaos über die sterblichen Menschen gebracht, du Hund! Das Schicksal hat mich auserwählt, ihr Beschützer zu sein! Und das tue ich auch... Ihr beneidet uns um unsere Stellung, unsere Macht! Du und all die anderen Riesen, ihr würdet die Welt am liebsten brennen sehen, nicht wahr? Doch das werde ich niemals zulassen! Midgard und die Menschen sind Allvaters Schöpfung, und jeder, der es wagt diese Werke zu bedrohen, der wird meinen Zorn zu spüren bekommen! Den Fenriswolf werde ich mir auch noch schnappen. Oh ja mein Freund, du hast richtig gehört! Ich werde diesen reudigen Köter, den du deinen Sohn nennst, aufspüren und er wird meinen Hammer kosten! Er bedroht die Menschheit und die Götter, und das kann ich nie und nimmer zulassen! Und was ist mit deiner Tochter, deiner anderen Tochter, der Midgardschlange? Sie liegt im Meer und wenn ihr danach ist, so schlägt sie mit ihrem Schwanz um sich und die Wellen türmen sich haushoch. Wieviele Menschen haben deine Kinder und du auf dem Gewissen, wieviele, Loki?" Er brüllte und schüttelte den Feuergott dabei wütend. "Was haben sie euch getan? Sie sind unschuldig, verdammt dazu, der Puffer zwischen den Mächten zu sein! Du und deine Brut, ihr verdient nichts anderes als den Tod!"

Und mit diesen Worten holte er weit aus und schwang den Hammer, dessen runenbesetzter Kopf in einem gleisenden Blitz erstrahlte. "Dies also ist das Ende, mein Freund..." knurrte Thor, und in seinen Augen glänzte Triumph auf.  

"Sie haben es nie gelernt ...", krächzte Loki. Thor hielt in der Bewegung inne und schaute Loki fragend an. "Kaum, dass sie ... dass sie auf der Welt waren, wurden sie von euch gejagt wie Tiere. Von Menschen, wie von Riesen und selbst die mächtigen Asen fürchten sie. Weißt du, was mein Sohn der Fenriswolf mich mal gefragt hat?" Loki schaute leise lachend zu den schwarzen Gewitterwolken die donnernd den Himmel verdeckten, damit Thor nicht die Tränen in seinen Augen sehen konnte. Er war bemüht seine Worte nicht zittrig vor Traurigkeit klingen zu lassen. "Vater, hat er gesagt, warum hassen sie mich? Was habe ich ihnen angetan, dass sie mich so sehr verabscheuen? Obwohl ich angeblich der Schlaueste sein soll, wusste ich auf diese Frage keine Antwort“, Loki gab ein röchelndes Lachen von sich, als wenn er seine eigene Dummheit verhöhnen würde. Krampfhaft ballte er die Hände zu Fäusten, als er den Grund für die Hatz auf seine Kinder nannte. „Wegen einer Prophezeiung jagt ihr sie, in der Hoffnung, dass sie niemals wahr werden wird. Doch hast du dich noch nie gefragt, ob es anders gekommen wäre, wenn ihr meine Sprösslinge mit Respekt behandelt hättet?" Thor bedachte den gefallenen Gott mit einem seltsamen Blick. Er war wohl über den sentimentalen Ausbruchs Lokis verwundert. Loki wollte aber sein Inneres nicht preisgeben. Erst recht vor seinem Erzfeind. Also zog er wieder seine spöttische Schale an."Aber was weißt du schon. Du bist Thor der Donner. Du bist in den goldenen Hallen von Asgard mit einem goldenen Schnuller geboren und aufgewachsen. Jeder hat dich geliebt.“ So sehr Loki auch versuchte sich hinter seiner Maske zu verstecken, so schaffte er es einfach nicht mehr sie aufrechtzuerhalten. Sollte Thor ihn doch für einen Schwächling halten. Im Angesicht seines eigenen Todes war Loki das egal. Es war Zeit für die Wahrheit. „Aber meine Kinder. Sie kennen nichts anderes als den Hass und die Angst. Sie haben nie gelernt, was es bedeutet geachtet zu werden. Nur eines meiner Kinder hat Odin dies zum Geschenk gemacht. Sleipnir. Würdest du ihn auch töten, weil er mein Kind ist? Was würde dich dann von den Riesen unterscheiden, frage ich mich?“ "Schweig, du Schlange!", schrie Thor, schüttelte Loki noch einmal kräftig und schnürte seine Kehle fester zu, um ihn zum Verklingen zu bringen. Doch Loki schwieg nicht. Es musst einmal die Wahrheit gesagt werden, umso seltsamer da er – der Lügner – ihr Verkünder war. "Wir beide beschützen die Menschen auf unsere eigene Weise. Doch im Gegensatz zu mir, sind deine Augen blind für die anderen Völker geworden, die du in deinem falschen Beschützerinstinkt ..." "Ich sagte, dass du schweigen sollst!", schrie Thor in seiner Wut, dass sich seine Stimme fast überschlug. Loki lächelte, denn er wusste, dass er dieses eine Mal die Wahrheit sprach und dass sie Thor mehr schmerzte als alle von ihm erdachten Lügen zusammen. Doch egal wie Wortgewandt er war, dieses Mal gab es kein Entkommen für ihn. Sein Schicksal war besiegelt. Es war in dem Moment vorbei gewesen, als er Geirröd den Mjölnir übergeben hatte. Loki schielte noch einmal zum Abgrund. Es hätte ihm nichts ausgemacht, ermordet zu werden. Aber das Thor sein Henker sein würde, ging ihm entschieden zu weit. Lieber richtete er sich selbst. Mit aller ihm verbliebener Kraft stemmte Loki seine Füße gegen Thors gewaltige Brust. Er packte ihn beim Handgelenk. "Denk über meine Worte nach, du Tölpel", sagte der Feuergott noch, bevor er sich ein letztes Mal aus seinem Griff entwand. Mit einem festen Stoß, stieß er sich von der Brust des Donnergottes ab und ließ sich in die Tiefe fallen. Loki umarmte den Abgrund mit ausgebreiteten Armen. Es gab nur eines was er im Nachhinein bereute. Er wäre gerne ein besserer Vater gewesen, der seine Kinder auch über seinen Tod hinaus geschützt hätte. Jetzt waren sie auf sich allein gestellt. Und dieser Gedanke machte Loki sehr traurig. Seine Tränen fielen mit ihm in den schwarzen Schlund.

 

The End

Epilog

Von Ragin & EINsamer wANDERER

 

Bevor Thor den Regenbogen bestieg, dessen Weg ihn zurück nach Asgard führen würde, sah er noch einmal zurück. Das Schloss, ja das ganze Land glich einem einzigen Trümmerhaufen. Die Kraft, die Loki und er während ihres Kampfes freigesetzt hatten, war so gewaltig gewesen, dass fast kein Stein mehr auf dem anderen geblieben war. Er hob den Hammer, der in seiner kräftigen Hand leicht wie eine Feder wog. Natürlich hatte Mjölnir seine volle Kraft nur in seiner Hand entfaltet. Denn Thor war der einzig rechtmäßige Besitzer des Zermalmers. Weder Geirröd noch Loki hätten mit ihm richtig umgehen können. Dass sie es gewagt hatten, ihn zu entwenden, hatte sie ihrer gerechten Strafe zugeführt.

Nachdenklich blickte er zum Himmel. Warum dann fühlte er sich nicht wie ein Sieger? Er hatte Loki, das Übel der Welt, besiegt und die Menschen sowie die Asen vor seinen Untaten bewahrt. Warum konnte er nicht triumphieren? 

Die Antwort darauf kannte er selbst nur zu gut. Er hatte Loki nicht besiegt. Dieser hatte sich selbst gerichtet. Und damit vielleicht sogar einen Sieg über den Donnergott erlangt. Doch dies war es nicht, was Thor innerlich aufwühlte; es waren Lokis letzte Worte. So schmerzlich es auch für ihn war, so musste der Donnergott sich eines eingestehen: Dass Loki und er nicht so verschieden waren, wie er zuerst gedacht hatte.

Mit einem Seufzen setzte er den Fuß auf den Regenbogen und machte sich an den weiten Weg in die Welt der Götter.

 

Die letzten Tage waren für den kleinen Sven die schlimmsten gewesen, die er je erlebt hatte. Gewaltige Stürme, Erdbeben und das Ausbrechen eines nahen Vulkans hatten schlimm gewütet und alles verwüstet. Doch als er nun vorsichtig den Kopf aus dem Erdloch steckte, in dass seine Familie und er geflüchtet waren, lag die Welt friedlich in hellem Sonnenschein. Weit und breit waren die Schäden zwar zu sehen, doch endlich hatten sich die schlimmen Kräfte der Natur wieder beruhigt.

Er stieg ganz aus dem Loch, gefolgt von seiner Mutter und der alten Heidrun. Die Alte, die sonst durch nichts zu erschüttern war und für alles sofort eine alte Geschichte von den Göttern auf Lager hatte, war jedoch angesichts der Urgewalten ängstlich verstummt.

"Die Götter waren siegreich" brabbelte sie nun jedoch wieder munter drauf los, ohne das genervte Seufzen von Svens Mutter zur Kenntnis zu nehmen. "Seht doch, die Sonne strahlt, der lichte Balder schenkt uns wieder seine Gunst. Thor hat die Feinde in die Flucht geschlagen."

Svens Mutter verdrehte die Augen. "Mutter, ich bitte dich, hör mit diesen Ammenmärchen auf." Bei diesen Worten begehrte Heidrun auf.

"Was heißt hier Ammenmärchen? Es ist so, wie ich es dir sagte! Die Welt war bedroht und Thor hat uns gerettet. So wie er es immer macht; schließlich ist er der Gott des Donners! Es war ein harter Kampf, wie man hören konnte."

Nun wurde es ihrer Tochter zu bunt. Die Anspannungen und Ängste der letzten Tage sorgten dafür, dass sie endgültig die Beherrschung verlor.

"Hör mir auf mit deinen Göttern!" keifte sie. "Dein mächtiger Thor hat uns also gerettet, ja? Sieh dich doch mal um!" Sie schwenkte die Arme im Kreis. "Blitz und Feuer haben Verwüstungen ohne Gleichen angerichtet! Selbst wenn es so ist, wie du sagst, dass Thor mit seiner Kraft uns gerettet hat, so möchte ich nicht wissen, wie viele Menschen in den letzten Tagen durch die göttliche Macht deines Donnergottes ums Leben gekommen sind! Er kämpft mit den Blitzen, die er den Feinden der Menschen entgegen schleudert, ohne darauf zu achten, dass dadurch auch die Menschenwelt etwas abbekommt! Und Loki, der sogenannte Feuergott! Mit seinem Feuer verbrennt er den fruchtbaren Boden und auch die Bewohner dieser Welt! Wenn die hohen Mächtigen sich schon bekriegen müssen, so sollten sie lieber diese unschuldige Welt raus halten!"

Die alte Heidrun starrte ihre Tochter ungläubig an. Sven hatte sich in sichere Entfernung begeben und beobachtete die Auseinandersetzung von einem Baumstumpf aus. Gerade in dem Moment versetzte Heidrun ihrer Tochter ganz plötzlich eine schallende Ohrfeige.

"Solche Worte und derartige Lästerungen gegen die Götter sind es, die den Unholden ihre Stärke verleihen!" keifte sie los. "Wenn jeder auf der Welt voll und ganz hinter jenen stehen würde, die uns Schutz bieten, so hätte es Odin nicht so schwer... Es heißt, dass Nagelfar, das Schiff der Toten, welches einst losfährt, wenn der letzte Tag anbricht, erschaffen ward durch der Menschen Schuld. Und es sind eben solche Aussagen wie deine, die den Schergen dabei helfen." Sie drehte den Kopf und blickte nun traurig in den azurblauen Himmel. "Nun, eines Tages wird es wohl so weit sein. Dann wird die Menschheit für ihre Taten gerichtet werden. Doch diesmal wurde das Schicksal abgewandt, Thor sei Dank."

 

"Lasst mich allein!", sagte Hel im herrischen Tonfall zu ihren Leibwächtern. Sie hatte Mühe ihre ruhige Miene aufrechtzuerhalten. Als die Tür krachend ins Schloss fiel, versank sie schluchzend ihren Kopf in die Arme. Loki war tot. Sie hätte es kommen sehen müssen, doch dann schüttelte sie den Kopf. Loki war nicht tot. Immer hatte er ob nun durch Weitsicht oder unverschämtes Glück überlebt. Thor konnte unmöglich Loki getötet haben. Doch all die Ausflüchte waren so haltlos, dass Hel sie nicht einmal selbst glauben wollte. In weiter Ferne glaubte sie ein Klagelied des Fenriswolfs ihres Halbbruders zu hören. Auch er trauerte um den Verlust seines geliebten Vaters. Sie beide würden wahrscheinlich die einzigen sein, die um ihn trauern würden. Kreischend schlug sie gegen das Geländer der Brüstung. Ihre Fäuste hinterließen kleine Krater im eisigen Stein. Loki war tot. Immer hatte sie im Exil gelebt und die Asen gewähren lassen, doch nun sann sie auf Rache für den verstorbenen Vater. Sie rauschte aus dem Raum. Es gab viel zu planen. Sie hatte einen Krieg zu führen. Sie würde die Armee der Toten gegen Asgard schicken und an ihrer Seite würde ein ebenso rachsüchtiger Fenriswolf sein, der nach Odins Blut knurren würde.

 

In Asgard hatte Odin die Götter erneut um sich gesammelt. Gespannte Erwartung machte sich breit. Alle Augenpaare richteten sich auf den erhabenen Göttervater, der auf seinem Thron soeben einem seiner beiden Raben lauschte, welcher auf seiner Schulter ruhte. Dann erhob sich der pechschwarze Vogel plötzlich und flatterte krächzend davon. Odin erhob sich, und erwartungsvolle Stille trat im Saal ein.

"Hugin hat mir soeben berichtet, dass der Mjölnir wieder in Thors Besitz ist. Mein Sohn ist bereits wieder auf dem Weg nach Asgard."

Laute Jubel- und Beifallrufe erfüllten die Halle, und alle begannen zu feiern. Nur Heimdall, der helläugige Wächter von Asgard, erlangte sich mühsam Gehör.

"Und was ist mit Loki?" fragte er. "Und die Erschütterungen, die den Weltenbaum durchgeschüttelt haben, so dass es in allen neun Welten zu spüren gewesen ist? Was war das?" Odin schloss sein Auge und senkte für einen Moment den Kopf.

"Es gab einen Kampf" sagte er endlich, und seine Stimme klang seltsam, als würde er trauern. "Thor und Loki haben sich ein nie dagewesenes Duell geliefert. Die Kraft der Beiden hat die gesamte Schöpfung erschüttert. Letztendlich war Loki dem Donnergott jedoch unterlegen und schließlich den Tod gesucht."

Ein ungläubiges Raunen erhob sich in der Halle.

"Loki ist tot?" fragte Freyja.

"Ja" war die schlichte Antwort Odins.

 "Dann war ER es?" rief Tyr, der Kriegsgott. "Thor hat Loki gehasst, aber er hätte ihn nie getötet. Außer, wenn Loki ihm etwas wegnahm, was als Teil seiner selbst gilt. Der Hammer..."

"Natürlich!" schrie Freyja. "Loki hat den Hammer geraubt! Er war der Einzige, der Zutritt zu Asgard hatte und der Einzige unter uns, dem so eine Tat zuzutrauen wäre!"

"Er ist tot..." stammelte Tyr fassungslos. "Der Lügner und Betrüger, dieser Unheilstifter, er ist nicht mehr."

Lautes Jubelgeschrei erfüllte die Halle, doch da hob Odin plötzlich die Hand. "RUHE!" Gebot er mit schneidender Stimme, und alle verstummten sofort ängstlich. Odin stand auf, und sein helles Auge blitzte zornig auf.

"Loki war einer von uns!" wetterte er. "Es mag sein, dass viele von Euch ihn nicht mochten. Doch er hat uns schon oft aus schwierigen Situationen geholfen. Loki hat uns gezeigt, wie man in schwierigen Situationen zu denken und zu handeln hat. Sein kluger Kopf ist ein schwerer Verlust. Dies ist kein Grund zum Feiern.

Und nun will ich darüber nichts mehr hören! Freuen wir uns, dass Thor es geschafft hat und der Mjölnir wieder nach Asgard zurückkehrt."

 

Im Stall von Asgard hörte Slepnir die Jubelstürme der Asen unter denen ganz Asgard erbebte. Er hatte gehört was passiert war. Doch Sleipnir hatte seinen Vater kaum gekannt, weshalb sich seine Trauer in Grenzen hielt. Alles was er von Loki wusste, waren die wüsten Geschichten die die Asen im Stall erzählt hatten und die zu unglaublich klangen um wahr zu sein. Dass Loki sein ganzes Leben lang ein Verräter, Betrüger und Scharlatan gewesen war, machte es für Sleipnir unglaubwürdig, dass er und Loki verwandt waren. Er glaubte eher von Loki gefunden worden zu sein. Sleipnir war fest davon überzeugt ein Findelkind zu sein, denn wie konnte es angehen, dass dann all seine Geschwister solche Schurken waren. Vom bösartigen Fenriswolf über die hinterhältige Midgardschlange bis hin zur albtraumhaften Hel die über eine Armee der Toten verfügte. Er hatte nichts mit diesen Leuten gemeinsam. Nein, er musst adoptiert gewesen sein. Wie sonst konnte es angehen, dass er von allen Asen geschätzt und respektiert wurde, wo doch Lokis Kinder allesamt geächtet und verfolgt wurden?

 

Surtur, der Feuerriese, brüllte vor Zorn, und die Flammen in seiner Halle loderten hell auf in seiner Wut.

"Dieser Narr..." knurrte er, "dieser kleine, nichtsnutzige sentimentale Narr!" er schlug mit der Faust auf die Armlehne seines Thrones, dass die Halle erzitterte. "Loki... ich hätte dir etwas mehr zugetraut, als Gott des Feuers. Nun muss ich die Sache wohl doch selbst in die Hand nehmen..."

Und damit versank er in finsteres Brüten...

 

Die Midgardschlange hatte sich aufgrund der Gewalten über ihr immer weiter in die Meerestiefe zurückgezogen. Jetzt lag sie in der Schwärze des Ozeans und lauschte der Welt, die im Angesicht des Kampfes der Götter den Atem angehalten hatte. Und wenn ihr Gehör sich nicht getäuscht hatte, so hatte Loki verloren und war nun tot. Sie zischelte belustigt. Wo Loki doch immer geglaubt hatte, er sei der Letzte der lacht. Ihr Vater hatte sich noch nie besonders für sie oder einen anderen seiner Sprößlinge interessiert. Jedesmal wenn die Asen sie gejagt hatten, war Loki in irgendeinerweise darin verwickelt gewesen. So wie an jenem verfluchte Tag, als Odin sie - die Midgardschlange - ins Meer geworfen hatte. Sie hatte genau gesehen welche Genugtung es Loki bereitet hatte, zu zusehen. Lokis Tod war für sie kein Verlust, doch noch ehe sie weiternachgrübeln konnte, bemerkte sie ein unvorsichtiges Fischerboot, wie es an der Meeresoberfläche schwamm und ihr Magen darauf hungrig grummelte. Sie würde sich wieder ein paar Menschen einverleiben, da an den Fischen hier unten zu wenig dran war.

 

In der Menschenwelt, fernab all dieser Ereignisse, gab es geschäftiges Treiben in einer Gaststätte. Durch den Sturm und all die anderen Naturgewalten hatten viele Reisende dort Unterschlupf gesucht. Die Frau des Wirtes schaute auf, als der nächste sein Zimmer verlangte. Ihre Miene hellte sich auf. "Schön Euch wiederzusehen. Ihr wart aber schon lange nicht mehr hier gewesen."

"Stimmt", sagte die Frau.

Ihr Blick wurde magisch zur Seite gezogen, wo sie auf dem Dunkel des Treppengeländers eine kleine Gestalt ausmachte. Sie krallte ihre Hände an den Stäben des Geländers fest, als wenn sie im Kerker sitzen würde. Es war die kranke Tochter des Wirtes. Sie würde in wenigen Jahren sterben, ohne je die Welt außerhalb dieser Wände gesehen zu haben. So freute sie sich immer auf die Gäste und fragte sie über die Welt außerhalb ihres kleinen Reiches aus.

Als sich die Blicke der beiden trafen, rannte sie sofort auf die Frau los. Sie kniete sich nieder, um die kleine Gestalt besser zu umarmen. "Ich hab´ dich so vermisst", sagte sie mit feucht-glitzernden Augen. "Ich dich auch", sagte Loki. "Komm. Es gibt viel zu erzählen. Weißt du, vor kurzem musste ich für jemanden etwas erledigen, das war vielleicht ein Theater. Du glaubst es nicht. Ich bin mit jemanden gereist der so grausam dumm und ungebildet war, dass ..."

 

The End

Schlusswörter

E. w.´s Schlusswort (Loki der Gott des Feuers):

Also dann fange ich mal an.

Die Zusammenarbeit mit Loki hat mir wirklich viel Spaß gemacht, wie sonst hat es dieser Schlawiner geschafft es sich auf den ersten Platz meiner selbsterdachten Lieblingsschurken  bequem zu machen. Es war interessant all seine Facetten zu erforschen. Vom Egozentriker über den Krieger bis hin zum liebenden Vater. Diese Figur hat mir wirklich alles geboten und hätte durchaus noch Stoff für ein paar weitere Kapitel gehabt.

Ich habe wirklich viel durch Loki gelernt und ihn richtig lieb gewonnen. Es war toll seinem Charakter mit jedem Kapitel eine neue Seite hinzuzufügen. Leider ist es wie bei jedem  Projekt. Irgendwann ist Feierabend. Aber ich habe mir schon vorgenommen, irgendwann wieder etwas mit Loki zu unternehmen. Ich habe bestimmt noch nicht alle seine Seiten kennengelernt.

Und wer weiß schon wie es weiter geht. Schließlich ist Hel mit den Fenriswolf und ihrer Armee der Untoten auf dem Vormarsch. Aber ich glaube, Loki wird die Sache schon irgendwie regeln ... oder schlimmer machen. Eins vom beiden.

Sollte ich in meinen Kapiteln irgendwelche Fehler bezüglich der Materie dieser Mythologie begangen haben, so sei gesagt, dass ich wenig bis gar keine Ahnung davon habe und es spannender fand eine Eigeninterpretation der Figuren zu machen, statt sie einfach detailgetreu durchzupauschen. Wer will schon etwas lesen, was er kennt, wenn er etwas lesen kann, dass er noch nie zuvor auf diese Weise gesehen hat? Außerdem sollte es auch für Nichtkenner verständlich sein.

Mir war es auf jeden Fall eine Freude mit Ragin zusammenzuarbeiten und ich wette, dass es nicht das letzte Mal war.

Und zum Schluss ein großer Schulterklopfer, denn hier haben wir das erste Gruppenprojekt auf der Seite vollendet. *SUPER-SCHULTERKLOPFER!*

LG E. w.

 

 

Ragins Schlusswort (Thor, der Donnergott):

Jetzt bin wohl ich an der Reihe.

Nun also hat dieses Projekt sein dramatisches Ende gefunden. Es war eine sehr interessante Erfahrung mit E. w. zusammenzuarbeiten. Ich denke wirklich, dass in dieser gesamten Geschichte 50 % von jedem von uns beiden steckt. Das ist das, was mir hier sehr gefällt. Ich muss sagen, dass ich die Zusammenarbeit sehr genossen habe, denn jeder von uns konnte auf die Vorlage des Anderen reagieren, und so schufen wir wirklich quasi ein Endprodukt, welches sich doch meiner Meinung nach lassen kann.

Wie es mein Kollege bereits vor mir erwähnt hat: Diese Story ist keine reine Neuauflage einer alten Legende, wir haben lediglich das Thema als Grundgerüst genommen. Es ist eine recht eigene Interpretation, wobei ich für meinen Teil jedoch immer darauf bedacht war, die Mythologie an sich nicht zu kurz kommen zu lassen. Da ich wohl von uns beiden wohl derjenige bin, der sich mit der Mythologie am besten auskennt (und damit möchte ich E. w. jetzt keinesfalls zu nahe treten) habe ich mich auch bemüht, so gut es ging, immer wieder etwas davon in die Story einfließen zu lassen. In Bezug auf Mjölnir, den Hammer Thors, hoffe ich, dass es mir etwas gelungen ist, auch seine historische sowie glaubenszentrale Bedeutung etwas näherzubringen. Auch die Arbeit mit Thor selbst hat mir wahnsinnigen Spaß gemacht. Er mag nicht so ein vielschichtiger Charakter sein wie Loki, aber das mythologische Vorbild lieferte mir genügend Anregungen und Inspiration. Ich war immer darauf bedacht, seine Beschützerrolle hervorzuheben, denn bei den alten Germanen und Vikingern war er nunmal der Schutzpatron der Menschenwelt.

Nun denn, ich freue mich darauf, Teil dieses Projektes gewesen zu sein und bin mal gespannt, was die Zukunft noch für E. w. und mich bereithält. Wir werden bestimmt nochmal zusammenarbeiten, denn nun wissen wir ja, wie es geht ;-)

Ich hoffe übrigens, dass ihr alle genauso viel Spaß beim Lesen habt, wie E. w. und ich, während wir es schrieben.

Liebe Grüße

euer

Ragin

Auf der Jagd nach Mjölnir - Trailer

Im Osten ballten sich schwere, schwarze Gewitterwolken, die sich rasch näherten und von einem bedrohlichen, langsam aber stetig steigenden Donnergrollen begleitet wurden. Gerade in diesem Augenblick erhob sich eine leichte Brise, die jedoch eine unheilverkündende Spannung mit sich trug. Dann konnte man den ersten grellen Blitz sehen, der den mittlerweile komplett schwarzen Himmel zu spalten schien, und fast augenblicklich ertönte ein krachender Donner.

 

"Ein schlimmer Sturm..." ertönte plötzlich die krächzende Stimme. "Etwas Schreckliches wird passieren... Wer weiß? Vielleicht steht uns Ragnarök schon bevor? Thor jedenfalls scheint sich bereits auf eine Schlacht vorzubereiten... Der Donnergott ist erzürnt..."

 

"WO IST ER???WER HAT ES GEWAGT? WO IST DER DIEB? ICH WERDE IHN ZERSCHMETTERN!" brüllte Thor so laut, dass selbst die Mauern von Gladsheim, zu erzittern schienen. Drohend ballte er die Fäuste und niemand wagte sich in die Nähe, aus Angst, der wildgewordene Ase würde ihn erschlagen. "Mein Hammer..." stieß Thor unter zusammengepressten Zähnen hervor und es klang wie bedrohliches Donnergrollen vor einem Jahrhundertsturm, "Man hat mir meinen Hammer gestohlen."

 

"Mein Vater" meldete sich nun Heimdall zu Wort, "Was soll denn nun geschehen? Ohne den Hammer werden wir es schwer haben, die Feinde von Asgard fernzuhalten! Wir haben Grund zu der Annahme, dass die Riesen wieder einen Schlag gegen uns oder die Menschenkinder vorhaben!“

 

Im Lichtschein des Feuers konnte Thor deutlich die plumpen, massigen Gestalten jener sehen, die er seit er denken konnte hasste und jagte. Riesen.

Er hörte den erstickten Aufschrei einer Frau und als er aufblickte, gewahrte er zu seinem Entsetzen, dass der Riese auf sie aufmerksam geworden war. Schon beugte er sich mit einem zähnefletschenden Grinsen hinab und griff nach dem kleinen Menschenkind, um ihr das Leben auszuhauchen. Nun konnten sich die Schergen ungehindert in der Menschwelt ausbreiten, konnten die Sterblichen mit Lüge und Falschheit überschwemmen, und sie tyrannisieren und quälen sowie Unheil und Chaos in der Welt verbreiten.

 

„Wie sollen wir uns ohne Mjölnirs Kraft gegen die Feinde behaupten?“, fragte Heimdall. „Gerade jetzt sind die Menschen auf den Schutz von Midgards Wehr angewiesen!"

Ein aufgeregtes Murmeln hob im Saal an. "Was sollen wir nun tun?" sagte der Eine.

"Ohne den Zermalmer sind wir doch nur halb so stark" sagte der Andere.

"Wehe uns, wenn der Feind uns angreift!"

 

Der gellende Ton eines Hornes drang in jeden Winkel von Asgard und schreckte jedes noch so kleine Lebewesen auf. Es war das Gjallarhorn, mit dem Heimdall die Götter zum Kampfe rief. Und wie zur Antwort erklang lautes Waffenklirren und ließ beinahe jede Burg in der Götterwelt erzittern; Die Asen und die Einherjer, die unsterblichen Krieger, rüsteten sich zur Schlacht.

 

„Was schlägst du vor, Loki?“, fragte Odin.

 

„Ich … Äh … Wie wär´s mit einer alten Asentaktik. Wir schicken, hm … sagen wir zwei Leute dort hin, die den Hammer dann zurückholen.“ Und diesen Zweien werde ich die Reise so unangenehm wie möglich machen. Und dann bin ich zwei der Asen los, dachte Loki heimtückisch.

„Das übernehme ich“, sagte Thor grimmig.

„Gut“, meinte Odin, „Aber wer soll dich begleiten?“

„Zu dem Stärksten von uns können wir nur den Schnellsten mitschicken.“

„Nein“, meinte ein anderer, „den Reinsten.“

Die Diskussion ging noch eine ganze Weile so weiter, bis ... Bis schließlich ein einzelner Ruf durch die Halle stieß. „Wie wär´s mit Loki, dem Klügsten?“

„Oh Bruder,“, sagte Loki zu Odin, „hör nicht auf diesen … diesen Jüngling. Der Met scheint seine Sinne zu vernebeln. Schick besser ihn mit Thor ins Land der Riesen. Die beiden verstehen sich doch eh viel besser, als wenn ich...“, der Rest des Satzes kam ihm noch nicht einmal über die Lippen.

„Ein Grund mehr, dich mit ihm loszuschicken. Ich weiß, dass ihr beide euch nicht leiden könnt. Aber ihr müsst lernen, mit dem jeweils anderen zu leben.“

 

"Hiermit fordere ich dich zum Zweikampf heraus. Thor, Sohn des Allvaters Odin." Ein feuriges Echo begleitete Lokis Worte.

Irgendwo in weiter Ferne grollte ein Gewitter. Es würde in Bälde das Schloss erreicht haben. Der Kampf der Götter war damit eröffnet.

 

The End

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.07.2014

Alle Rechte vorbehalten

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