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Ein einsamer Wanderer

Ein einsamer Wanderer machte sich auf das Moor zu durchschreiten, vor dem ihn alle gewarnt hatten. Es sei gefährlich. Doch der Wanderer gab nichts darauf. Es lag auf seinen Weg und er war schon so weit gegangen, dass er keine Räuber oder Banditen mehr scheute. Dunstschwaden waberten durch das Moor. Man konnte nicht mehr, als zwei Meter sehen. Der Weg war nichts weiter als feuchte, mit Moos bewachsene Erde. Ein falscher Schritt und es war aus mit ihm. Das Moor hatte schon etliche Wanderer verschluckt. Die Legende besagte, dass hier einst eine ungeheure Schlacht getobt haben solle. Das Blut habe dann den Boden aufgeweicht und dieses Moor geschaffen. Die Seelen der Gefallenen sollten keinen Frieden finden können. Jeder der das Moor durchquerte war ein schreckliches Schicksal vorhergesagt. Ertränkt von den Toten, gesellte man sich schlussendlich zu ihnen und zog weitere Menschen in die Abgründe des Moors. Aber der Wanderer glaubte nicht daran. Ruhig schritt er durch das Moor. Das saugende Geräusch des Schlamms begleitete seine Schritte. Die Bäume waren karg und verkümmert. Leise säuselte der Wind durch die Stille. Er klang wie das wispern von hundert Stimmen, die lockten. Sie lockten den Wanderer zu ihnen zu kommen. Einer von ihnen zu werden. Doch der Wanderer ignorierte sie. Er schob es auf seine Einbildungskraft. Das Wispern wurde eindringlicher. Der Wanderer beschleunigte seine Schritte. Er stolperte und fiel der Länge nach hin. Ihn mit Flüchen und Verwünschungen überschüttend schaute er sich den Ast genauer an. Nur um festzustellen, dass es kein Ast war, sondern der Arm eines Skeletts. Erschrocken machte der Wanderer einen Schritt nach hinten. Panisch und orientierungslos sah er sich um. Er wusste weder woher er gekommen war, noch wohin er gehen sollte. So setzte er seinen Weg fort. Alles war besser, als hier zu verweilen. Das brackige Wasser des Moors begann zu blubbern. Körper entstiegen ihm. Verwesend und mit Moosbewachsen wollten sie den Wanderer zwingen einer von ihnen zu werden. Panisch rannte er davon. Er wollte nicht wie sie sein. Doch so schnell er auch rannte, die Toten folgten ihm, wie die Schatten einer bösen Erinnerung. Die Bäume schienen ihn aufhalten zu wollen. Ihre Zweige zerrten an seiner Kleidung. Die Luft wurde wie Blei. Das Atmen fiel schwer. Der Boden wurde nachgiebig wie Sand. Es wurde immer schwieriger sich die Verfolger vom Leib zu halten. Er wollte nicht wie sie sein. Er wollte sich von ihnen unterscheiden, anders sein. Doch alles schien ihn davon abhalten zu wollen. Schlussendlich versagte ihm sogar der Körper seinen Dienst. Die Seele des Wanderers aber war immer noch stählern und unnachgiebig. Kriechend floh er weiter. Trotz der Schwierigkeiten setzte er seinen Weg fort. Er zuckte zusammen, als ein paar glitschige Arme ihn am Knöchel packten und fortzogen, zu den anderen. Mit letzter Kraft trat er gegen die Arme und krallte die seinen in den weichen Boden des Moors. Man zog ihn unwiderruflich ins dunkle Wasser des Moors. Schreiend krallte er sich an die Kante des Ufers. Schreiend ging er unter. Als er Unterwasser war, kamen nur noch ein paar Luftbläschen an die Wasseroberfläche. Kurz darauf war alles wieder still. Als wäre das Schauspiel nichts weiter als eine Einbildung gewesen. Prustend durchbrach der Wanderer die Oberfläche des Moors. Mit letzter Kraft versuchte er sich ans rettende Ufer zu bringen. Nie gekannter Eckel übermannte ihn, als die verwesten Hände die Oberfläche durchbrachen, ihn am Kopf packten und versuchten ihn auf den Grund des Moores zu zerren. Der Wanderer wusste, wäre er erst auf dem Grunde des verfluchten Moors, so würden er und seine Taten der ewigen Vergessenheit anheimfallen. Doch nichts in der Welt konnte den Wanderer vor diesem Schicksal bewahren. Er verschwand im Moor und geriet in Vergessenheit. Verdammt wie die anderen, würde er jeden ins Moor zerren und ihn sein eigenes qualvolles Dasein aufzwingen.

 

 

The End

Der schwarze Turm

Azrael stand vor der mittelalterlichen Stadt. Sein irres Lächeln entblößten mehrere Reihen haifischartiger Reißzähne. Über seinem Haupt, dessen Haare wie wilde Flammen wirbelten, schwebte ein Wirbelsturm aus schwarzen Federn. Die Raben, die über ihm seine Bahnen zogen wussten, solange sie in seiner Nähe blieben, würden sie niemals Hunger leiden. Seine hagere, leichenblasse Gestalt mit ihren schwarzen Lumpen täuschte über seine wahre Kraft hinweg. Er hielt sein gewaltiges Breitschwert Caedes locker in der, mit schwarzen Krallen bewehrte, Hand. Im Schwert waren Runen alter Macht geschmiedet worden, die zu jeder Zeit blutabsonderten. Die Blutspur, die dieses Schwert hinter sich herzog, war beachtlich und machte jede verdeckte Aktion oder Flucht unmöglich, aber Azrael machte sich eh nichts aus Versteckspielchen. Seine blutrotglühenden Augen mit ihren geschlitzten Pupillen überflogen die Stadt. Das was bei den Menschen weiß war, war in seinen Augen tiefschwarz. Von der Stadt, die vor wenigen Tagen noch hier gestanden hatte, war nichts übrig geblieben. Jetzt waren es nur noch brennende Ruinen, in denen unmenschliche Schatten hin und her huschten. Ein schwarzer Turm ragte in den Nachthimmel und wurde von der brennenden Stadt beleuchtet. Das prasseln der Flammen mischte sich mit den unmenschlichen Lauten der Wesen in den Ruinen und ergab eine Melodie, die Azraels zugespitzen Ohren freudig hörten und ihn magisch anzog. Seine Befehle waren eindeutig. Die Anführer der Dämonen finden und töten. Sollte sich ihm irgendjemand- oder etwas in den Weg stellen, würde er es vernichten. Er allein war geschickt worden, um diese blutige Tat zu vollbringen. Keiner der ihn je begleitet hatte, hielt es lange genug mit ihm aus. Entweder machten sie sich aus Angst vor Azrael in die Hose oder seine eigene Grausamkeit trieb sie in den Wahnsinn. Er ging gemessenen Schrittes durch das brennende Inferno. Seine Füße hinterließen abdrücke in den mit Asche bedeckten Boden. Nicht nur die Flammen mieden seine Gegenwart, sondern auch die Wesen in den Ruinen. Azrael spürte, wie seine von ihm ausgehende Angst ihre Kehlen zuschnürten. Obwohl in ihm eine gewaltige Mordlust brodelte, dachte er nicht daran, die Wesen zu töten. Sie würden nur fliehen und das wollte Azrael nicht. Er wollte einen Kampf. Jemand der ihm die Stirn bot, statt zu fliehen. Ein mutiger Schritt aus den Ruinen. Es war ein hünenhaftes Wesen, mit Bergen aus Muskeln. Seine Haut war rotbraun. Die Hauer leicht gelblich verfärbt. Aus seinen Handgelenken wuchsen Keilartige Knochen. „Ich habe viel von dir gehört, Todesengel.“, wisperte das Ungeheuer, ohne die Lippen zu bewegen. Ein bedrohliches Knurren war das Einzige was seiner Kehle entstieg. „Telepathie, wie interessant.“, bemerkte Azrael. Das Lächeln wich nicht aus seinem Gesicht. Das Ungeheuer schien die anderen Wesen dazu zu motivieren sich ebenfalls zu zeigen. Im Schatten der Flammen und flimmern der Luft waren jedoch keine Details von ihnen zu erkennen. Der mutige verlor keine weiteren Worte und preschte mit geballter Macht vor. Den keilartigen Auswuchs hoch erhoben. Azrael bewegte sich keinen Millimeter, selbst als der Keil seinen Rumpf durchbohrte, bewegte er sich kein Stückchen, stattdessen lachte er nur. „Warum lachst du? Nicht einmal du würdest über deinen eigenen Tod lachen.“, zischte die Stimme in seinem Kopf. „Ich habe schon lange keinen solchen Spaß mehr gehabt.“, mit diesen Worten zog er an der Klingenkette, welche um seinem Arm gewickelt war und die am Knauf seines Schwertes befestigt war. Fast selbstständig fand sie den Weg in Azraels Hand. In einer schnellen Bewegung schlug er dem Dämon die Hand ab. Schreiend fiel er nach hinten. Die kleineren Dämonen ergriffen panisch die Flucht, selbst der Große wollte vor Azrael fliehen, doch so leicht ließ der ihn nicht gehen. Seine Klingenkette schlang sich um den kurzen Hals des hünenhaften Dämons und drohte ihn zu erwürgen. Azrael zog so fest, dass der Kopf sich gelb färbte. Schließlich konnte der Körper dem Druck nicht mehr standhalten. Der Kopf löste sich vom Körper und flog trudelnd in ein brennendes Haus hinein. Asche aufwirbelnd brach der tote Körper des großen Dämons zusammen. Azrael unterbrach sein Lachen, um ein paar der schmackhaften Bluttropfen mit dem Mund aufzufangen. Nur so konnte er hören, dass noch jemand mit in seine Heiterkeit gefallen war. Er wandte sich dem Gekicher zu. Es war ein Mädchen von ungefähr acht Jahren. „Das war lustig.“, kicherte sie weiter. Doch Azrael hatte nur noch Augen für sie. Sein Lächeln war einem verwunderten Gesichtsausdruck gewichen. Etwas umgab das Mädchen. Etwas Mächtiges. Nur eines war klar, es war nichts Menschliches. Azrael warf sein Schwert nach ihr. Das Schwert fuhr durch ihren Körper, ohne auf Wiederstand zutreffen. Die Kleine war verschwunden. „Es war nur eine Illusion.“, stellte Azrael fest. Er drehte sich zu der nächsten Illusion um, die auf einem brennenden Dach stand. „Komm zu mir. Ich lebe in dem Turm dahinten.“, sie zeigte auf den gewaltigen, schwarzen Turm, der aus dem Flammenmeer ragte. „Ich lebe in den Tiefen, aber um dorthin zu gelangen, musst du ihn erst einmal erklimmen. Vielleicht lebst du lange genug, um mich persönlich kennenzulernen.“ Das Mädchen verschwand wieder. Azrael starrte Gedankenversunken zum Turm. Mit einem Ruck zog er den Keil und den damit verwachsenen Arm aus seinem Rumpf. Das dadurch entstandene Loch wurde von einer zähen, schwarzen Flüssigkeit aufgefüllt. Dann färbte sich die Flüssigkeit leichenweiß und nahm die Konsistenz von Azraels Haut an. Zum Schluss, schloss sich das Loch in der Kleidung, wie lebendes Gewebe. Ruhig ging er zum Turm. Welche Grauen mochten ihm im Turm begegnen?

 

Vor dem Turm angelangt fiel Azraels Blick auf zwei steinerne Statuen, die den Eingang bewachten. Sie erinnerten an Affen, die sich als Menschen ausgaben. Sie standen aufrecht und trugen Äxte und Rüstungen. Mit ihren gekreuzten Waffen versperrten sie Azrael den Weg. Obwohl sie sich keinen Millimeter bewegt hatten, wusste er, dass es Steindämonen waren. Ein lautes stöhnen entrang seiner Kehle. Die Steindämonen, hielten sich selbst wahrscheinlich für wichtig. „Deinesgleichen ist in dem Turm nicht willkommen.“, sagten die Statuen, wie aus einem Munde. „Mir einerlei. Ich will da rein.“ Seine Augen glühten noch intensiver. „Dann musst du uns erst vernichten.“, erwiderten die Statuen. „Das sollte kein Problem darstellen.“, gab der Todesengel kühl zurück. Die Dämonen sprangen von ihren Sockeln und griffen das Monster an. Azrael parierte jeden Schlag mit Leichtigkeit. Diese niederen Wächter waren ihn nicht gewachsen. Er wich den nächsten Angriff des Steinwächters aus, und schlang die Klingenkette seines Schwertes, um seine Brust. Mit seinen übermenschlichen Kräften schleuderte Azrael den Wächter gegen seinen Artgenossen. Krachend zersprangen die beiden Dämonen zu einem wertlosen Steinhaufen. Azrael ging ohne sein berühmtes Lächeln in den Turm. Wenn das die Wächter waren, würden die Insassen des Turmes eine noch kleinere Herausforderung darstellen. Er war diese Schwächlinge leid. Sein Herz schrie nach jemandem, der ihm ebenbürtig war.

 

Die Atmosphäre des Turms war eine bedrückende. Alles war still. Nur das prasseln der Fackeln war zu hören. Trotz ihres spendenden Lichtes war der Turm düster. Man hatte ihn aus den verbrannten Steinen der Stadt und den Knochen seiner Bewohner erbaut und gestaltet. Eine steinerne Wendeltreppe schlängelte sich in die Höhe. Wie war das noch gleich? Erklimme zuerst den Turm, um dann in die Tiefe vorzustoßen? Azrael schüttelte den Kopf. Was für ein Unsinn, dachte er. Aber ihm kam gerade eine glänzende Idee. „Kommt her, ihr Dämonen des Turmes oder muss ich euch erst in den Ecken dieses Gebäudes suchen?“ Die Schatten erwachten zum Leben und griffen Azrael von allen Seiten. Der wirkte erleichtert. „Und ich dachte schon, es würde langweilig werden.“ Mit tödlicher Präsenz beschrieb Caedes einen Kreis in der Luft und teilte alle Gegner in der Mitte. Die Schatten lösten sich in eine schwarze Flüssigkeit auf. Azrael wusste, dass er noch mehr aus seinen vermeidlich besiegten Gegnern kitzeln konnte. „War das schon alles?“, fragte er Provozierend in die Runde. Die Pfützen flossen zusammen zu einem kleinen See. Ihm entstieg ein gewaltiger Schattendämon. Er ließ nicht durchblicken, ob Azraels vorfreudige Miene ihn schockierte oder verärgerte. Azrael zögerte nicht lange. Er versuchte den Gegner das Bein abzuhacken, doch dieser Dämon besaß eine härtere Haut als die kleineren Exemplare vor ihm. Caedes konnte trotz ihrer schärfe nicht die Gliedmaßen dieses Kolosses durchtrennen. Azrael war nun nicht mehr die Spur gelangweilt. Er begann jetzt erst richtig warm zu werden. Sein Blut kochte und die Bestie, die in ihm geschlummert hatte, war erwacht. Mit einem unmenschlichen Schrei stürzte er sich erneut auf den Koloss, aber diesmal setzte er die Hälfte seiner Kraft frei. Wie ein Pfeil drückte er sich immer wieder von den Wänden ab und zerstückelte seinen Gegner. Das schwarze Blut des Kolosses hatte bereits eine beachtliche Pfütze gebildet. Azrael hatte es vor allem auf seine Beine abgesehen, um ihn zu Fall zu bringen. Von vielen, tiefen Schnitten gepeinigt, sank er zu Boden. Der Todesengel kam vor dem Schattendämon auf die Knie. Der verletzte Koloss griff nach ihm, um ihn in seiner geballten Faust zu zerquetschen. Azrael ließ sich von ihm packen und in die gewaltige Hand einsperren, doch mit seinen gewaltigen Kräften befreite er sich. Der Mund des Kolosses war vor Verblüffung weit geöffnet, was Azrael zu seinem Vorteil ausnutzte. Er sprang selbstmörderisch in den Schlund. In seinem Mund gefangen, versuchte der Koloss ihn zu Kauen. Die Kauleisten begannen zu arbeiteten. Davon unbeeindruckt versenkte Azrael sein Schwert immer wieder in den Oberkiefer. Er zerstörte ihn und arbeitete sich durch den Knochen. Dann sprang er mit einer kleinen Kraftanstrengung aus der Stirn des Koloss. Der Schädel explodierte. Überall spritzte es schwarzes Hirn, Knochen und Blut. Azraels Haut sog das schmackhafte schwarze Blut wie ein Schwamm auf. Die Haut konnte das Blut selbst aus der Kleidung herausfiltern. Selbstzufrieden betrachtete Azrael sein Werk. Alles oberhalb der Nase war entweder übel in Mitleidenschaft gezogen oder ganz zerstört worden. Der Koloss brach in sich zusammen es gab nichts zwischen Himmel und Hölle, was ihn noch am Leben gehalten hätte. Azrael schritt auf die Spitze des Turmes zu. Viele niedere Dämonen stellten sich ihm in den Weg, aber keiner konnte es mit ihm aufnehmen. Fast war es, als hätte er schon alle Dämonen, die es wert waren, getötet. Oben angekommen stand ein seltsamer Klotz aus Metall da. Der Mond war voll und keine Wolke versperrte das silberne Licht, dass direkt auf den Klotz fiel. Überall auf der Spitze lagen Knochen von Menschen und anderen Rassen. Azrael betrachtete den Klotz genauer. Er konnte kaum erwarten, was passieren würde, wenn er sich dem Klotz näherte. Neugierig machte er ein paar Schritte darauf zu. Plötzlich stand der Klotz auf und baute sich vor Azrael auf. Er war nicht so groß wie der Koloss, aber dennoch doppelt so groß wie Azrael. Das Klacken von tausend Zahnrädern kam aus seinem Körper. Er schien durch und durch eine Maschine zu sein. „Bist du der Meister oder das Mädchen?“, fragte Azrael bedrohlich. Seine wirbelnden Haare umrahmten sein Gesicht. ,,Wächter.“, kam es einsilbig von der Maschine. In ihrer Stimme lag ein metallischer Klang. ,,Mir auch egal. Ich hätte dich so oder so getötet.“ Die Maschine versuchte den Todesengel mit seinen Armen zu zerquetschen, denn Hände hatte sie nicht. Azrael sah den Schlag im Voraus. Flink wie eine Wildkatze machte er einen Schritt zur Seite. Der Schlag des Klotzes hinterließ einen ansehnlichen Krater. Azrael nutzte seine Chance. Er sprang auf den Arm. Caedes durchtrennte das Gelenk, das zwischen Ober- und Unterarm war. Krachend fiel der abgetrennte Unterarm auf den Boden. Der Klotz bewegte den nutzlosen Stumpf hin und her. ,,Wie? Wie?“, sagte er immer wieder. Eine graue Flüssigkeit kam aus dem Armstumpf. Zufrieden grinsend schlug Azrael auch noch das rechte Bein des Klotzes ab. Mit dem Armen trudelnd fiel er zu Boden. Der Todesengel stand überheblich auf seiner Brust und fühlte sich, wenn auch gelangweilt, unbesiegbar. Er stieß sein Schwert tief in die Brust des Klotzes. Funken sprühten. Das Metall kreischte, wie Fingernägel auf einer Schiefertafel, als er mit dem Schwert den gesamten Brustkorb aufschlitzte. „Wie? Wie? Wie?“, die Stimme des Klotzes wurde immer schneller und schriller, dann knallte etwas in ihm und er wurde schlagartig still. Im Inneren der Maschine knisterte es und kleine Blitze waren zu sehen. Wieder sprudelte die graue Flüssigkeit aus der Wunde. Hungrig machte Azrael sein Maul auf, um etwas von der Flüssigkeit zu haben. Die Flüssigkeit ausspuckend trat er von der Brust des reglosen Klotzes. Egal, was diese Flüssigkeit war, sie schmeckte scheußlich. Sie brannte im Mund und war dick wie abgestandene Milch. „Zum Glück werden sich Maschinen niemals durchsetzen.“, meinte Azrael überzeugt. Ein Beben ging durch die Turmspitze. Der Tod des Wächters schien etwas ausgelöst zu haben. Der Boden fuhr in die Tiefe. Azrael wusste nicht wohin ihn diese Höllenmaschine bringen würde, aber er würde es bald herausfinden. Die Plattform hielt in einer Kammer, welche tief im Inneren der Erde lag, an. Flammen tobten um die runde Plattform auf der sich der Todesengel befand. Er musste sehr Tief im Erdinneren sein. Von hier aus konnte er noch nicht einmal den Nachthimmel sehen. Die Decke war nichts weiter als ein großer, dunkler Fleck. Aus den Tiefen erhob sich eine Gestalt aus purer Dunkelheit. Sie war viermal so groß wie der Schattenkoloss. Aufgrund ihrer Rundungen wusste Azrael, dass es sich um einen weiblichen Dämon handelte. „Weit bist du gekommen. Ich hätte nicht gedacht, dass du es wirklich bis hierher schaffen würdest.“ Jetzt fiel Azrael die Ähnlichkeit zwischen der Dämonin und dem Mädchen auf, das ihn hierher gelockt hatte. Diese Dämonin hatte eine Illusion erschaffen, die sie als harmlosen Menschen zeigte. Warum sie solche Tricks angewandt hatte, war Azrael egal. Er wollte Blut sehen. „Du hast meine Soldaten vertrieben und meine treusten Diener getötet. Wer bist du eigentlich, dass du glaubst, dass du damit ungeschoren davonkommst?“ Azrael ließ seine Stimme durch den hohen Raum hallen. Die Kälte ihres Klangs ließ die Flammen schrumpfen. Seine Stimme, die nur dem Tod gehören konnte, ließ sogar die Dämonin frösteln. „Ich bin Azrael, der Unsterbliche. Engel des Todes. Sohn von Vlad Drăculea III. Bester Kämpfer eurer ehemaligen Sklaven. Ich bin ein Mischwesen. Halb Vampir und halb dunkler Teufelstitan. Meine Kräfte können es mit den Legionen der Hölle aufnehmen. Niemand kann mich aufhalten.“, den letzten Satz sprach er voller Häme. „Ich habe viel von dir gehört Engel des Todes. Geschaffen von unseren rebellierenden Dienern, den Vampiren, sollst du ein Monster unter den Monstern sein. Deine Gräueltaten lassen sogar deinen Schöpfern das Blut in den Adern gefrieren. Du hast noch nie irgendjemanden verschont. Aber weder dein Ruf, noch deine Macht haben hier an diesen Ort Bedeutung.“ Damit war der Kampf eröffnet. Azrael gefiel die Courage der Dämonin. Sie schien selbst dann Kampfbereit zu sein, wenn sie ihn als Gegner hatte und über seine Taten Bescheid wusste. Azraels Gefühle fanden einen Höhepunkt. Der Kampf würde wenigstens dreiviertel seiner Kraft erfordern, was noch nie zufuhr vorgekommen war. Die Dämonin zeigte gebieterisch mit ihrer Hand auf den Todesengel. Die Finger dehnten sich ins Unendliche und fuhren wie Speere durch Azraels Körper. Der lachte bloß. Er genoss die Schmerzen, welche in seinen Körper wüteten, in vollen Zügen. So köstlichen und aufregenden Schmerz hatte er noch nie gefühlt. Für ihn waren Schmerzen nichts schlimmes, sondern ein Rausch, der ihn wie das Töten in eine unvergleichliche Ekstase versetzte. Der Rausch ließ ihn aufleben und sein ewiges, untotes Dasein lebendiger erscheinen. Genauso schnell, wie die Finger seinen Körper durchstoßen hatten, zogen sie sich zurück. Azrael war von den Schmerzen so berauscht, dass er nicht anders konnte, als auf die Knie zu gehen und schweigsam ins Leere zu starren. „Ich sagte doch, dass deine Macht hier keine Bedeutung hat.“ Die Dämonin schien sein Verhalten falsch zu interpretieren und sich selbst schon als Siegerin zu wähnen. „Bitte hör nicht auf.“, sagte Azrael sehnsüchtig, als die Dämonin ihn bereits den Rücken zugedreht hatte. ,,Was?! Du lebst noch?!“ Ihre Siegessicherheit war wie weggewischt. Nun begann der Samen der Furcht auch in ihren Herzen zu keimen. Es war jene Angst, die alle vor Azrael hatten. Doch diese Angst hielt nur für einen kurzen Moment an, dann kehrte wieder die Selbstsicherheit der Dämonin zurück. Sie stieß ihre Hand in die Plattform. Überall bohrten sich schwarze Speere aus dem Boden. Sie spießten Azrael auf und hoben ihn in die Höhe. Die Dämonin zog ihre Hand zurück. Parallel dazu verschwanden auch die Speere wieder. Azrael fiel wie ein lebloser Stein zur Erde. „Ich lebe immer noch.“, sagte er böse. Vor Wut schreiend versuchte sie den Halbdämon mit ihrer Faust zu zerquetschen. Azraels Blutdurst wurde immer größer und vertrieb die berauschenden Schmerzen. Die Faust der Dämonin wurde von einem gewaltigen, schwarzen Etwas gebremst. Sie neigte ihren Oberkörper zur Seite, um besser sehen zu könne, was sie da aufhielt. Vor Schreck erstarrt, konnte sie nicht den Anblick von dem Abwenden, was sie da sah. Azraels Arm hatte sich in eine große schwarze Masse verwandelt. Ihr Schlag war von einem gewaltigen Maul gebremst worden. Auf der Oberfläche der schwarzen Masse waren hunderte blutrotglühende Augen mit geschlitzten Pupillen. Das Blut der Dämonin wurde gierig von hunderten Mäulern, die mehrere Reihen messerscharfer Reißzähne besaßen, aufgeleckt. Kaum hatte sie das alles in sich aufgesogen, als die Faust weiter in das riesige Maul gezogen wurde. Verzweifelt versuchte die Dämonin ihre Faust herauszuziehen, aber ihre Kraft reichte dafür nicht aus. Mit einem widerlichen Knacken biss das Maul zu und brach ihr die Hand. Die Dämonin schrie vor Schmerz. Das Maul öffnete sich leicht und zog etwas von ihrem Arm in sich hinein. Doch damit gab es sich nicht zufrieden. Es verschlang ihren Arm, ihre Schulter und den restlichen Leib. Wenn etwas nicht verschlungen werden konnte, vergrößerte sich das Maul. Und die ganze Zeit über grinste Azrael und labte sich an der Angst, den Schmerzen und der Verzweiflung der Dämonin. Er genoss die Schreie, wie andere Leute Wein genossen. In ihren Augen, sah Azrael es. Sie erkannte endlich seine wahre Macht. Die Macht der dunklen Teufelstitanen, der Dämonen, die selbst über den zehn Höllenfürsten standen. Die Flammen wurden mit der Dämonin immer kleiner. Als die Schreie verstummten und die Dämonin von Azrael gefressen worden war, ging ein großes Beben durch den Turm. Gewaltige Gesteinsbrocken fielen von der Decke und zermalmten die Skelette zu Staub. Azrael starrte zur Decke. Er machte keine Anstalten sich zu bewegen. Sein Blick blieb störrisch an der Decke und den fallenden Gesteinsbrocken haften. Er würde das alles überleben, ohne einen einzigen Kratzer abzubekommen, das wusste er.

 

Die Vampire, die die Dämonen töteten, welche vor Azrael geflohen waren, sahen schon vom weiten, wie der eindrucksvolle, schwarze Turm in sich zusammenfiel. Sein Einsturz beschwor eine große Staubwolke herauf, welche das Licht des Aufgehenden Tages verschluckte. Die Vampire mussten bald ins Dunkel zurückkehren, wenn ihnen ihr Leben lieb war. Aber eins wussten sie alle, Azrael hatte, wie immer, auf ganzer Linie gesiegt.

 

Der Todesengel war dem Krater, den der Turm hinterlassen hatte, wie ein Gespenst, entstiegen. Lautlos wie der Schnitter ging er durch die ausgebrannten Ruinen. Jeder Schritt ließ die Asche unter seinen Sohlen aufwirbeln. Die Flammen waren niedergebrannt. Obwohl unter der Asche keine Glut mehr vorhanden war, schwitzte Azrael. Ihm war ungewöhnlich heiß. Wieder etwas, was noch nie zuvor vorgekommen war. Die Kälte seiner schwarzen Seele ließ selbst die größten Flammen erkalten. Aber diese Hitze schien von ihm unbeeindruckt zu sein. Am Dorfrand fand er die Ursache der ungewöhnlichen Hitze. Im Gras saß im Schneidersitz ein junger Mann, mit langen rotblonden Haaren, die sacht vom Wind umspielt wurden. Die Flammen, die um ihn herum tobten, schienen ihn nicht zu stören. Ihr Flimmern verzerrte leicht seine Züge. Er kaute gelangweilt auf einem Halm rum. „Du hast Allicidia getötet. Schade eigentlich. Ich mochte sie.“ Die gleichgültige Ruhe die er ausstrahlte, machte Azrael wütend. Er kannte es nicht, so behandelt zu werden. Furcht und Abscheu waren ihm bekannt. Aber Desinteresse und Gleichgültigkeit waren ihm Fremd und versetzten ihn in Rage. „Damit hast du einen weiteren meiner Offiziere getötet. Gratuliere.“ Jetzt wusste Azrael, wen er da vor sich hatte. Es war der mächtige Höllenfürst Amon, Herr des Feuers. Der Sohn Satans. Besser bekannt als, der Antichrist. Der Feind und die Herausforderung, nach der Azrael sich schon so lange verzehrte. Er blickte auf das Schwert des großen Dämons. Es war ein zweischneidiger Bihänder. Zwischen Griff und Klinge war ein schmerzverzerrter Teufelskopf, mit brennenden Augen, eingeschmiedet worden. Die Runen auf der Klinge brannten ununterbrochen. Amon legte sich ins Gras und starrte Gedankenversunken in den blauen Himmel. „Ich hasse dieses Blau. Rot oder Schwarz würden da viel besser passen.“, murmelte er vor sich hin. Die Fingerknöchel von Azraels Schwertarm traten weiß hervor. Seine Gesichtszüge verzerrten sich vor Wut. Noch nie war jemand so mit ihm umgesprungen. Er schleuderte Caedes auf den im Gras liegenden Höllenfürsten. Doch die Klinge fraß sich nur in Gras und Erde. Amon war verschwunden und diesmal war es ganz sicherlich keine Illusion gewesen. Die seltsame Hitze war verschwunden und die eisige Kälte, die Azrael immer gegenwärtig gewesen war, kehrte zurück. Noch lange starrte Azrael auf den Flecken, wo der Höllenfürst gelegen hatte. Das Brennen, welche die aufgehende Sonne verursachte, interessierte ihn nicht. Er hing seinen eigenen Gedanken nach. Ihm war noch nie bewusst gewesen, wie sehr er sich doch langweilte. Jeder Dämon, jedes Monster, das er getötet hatte war kein Gegner für ihn gewesen. Selbst der Dämonin im schwarzen Turm, war ihm haushoch unterlegen gewesen. Doch dann war der Höllenfürst aufgetaucht und zeigte den Todesengel, dass er mit ihm gleichzog. Jetzt erkannte Azrael, dass jeder Gegner, vor dem Auftauchen Amons, die reinste Zeitverschwendung gewesen war. Von nun an, würde er nur noch Gegner bekämpfen, von denen er dachte, dass sie es wert waren. So machte Azrael sich auf den Weg zu seinem Meister. Verändert, durch die Begegnung mit Amon. Niemand sah, wie die Räder des Schicksals begannen zu mahlen. Oder, wie viele Generationen die beiden beeinflussen würden. Niemand hätte ahnen können, dass die nächste Begegnung zwischen Amon und dem Todesengel so aussehen würde. Noch unter welchen Umständen sie sich wiedersahen.

 

The End

Letzte Woche

Er wusste nicht, wie lange er schon der Straße durch den australischen Busch folgte. Das einzige was er wusste war, dass er ein Schiff finden musste. Man hatte beschlossen Australien am Ende der Woche von der Landkarte zu putzen. Jeder der nicht wusste, was in der letzten Woche passiert war, würde sich wahrscheinlich fragen, warum jemand so etwas tun sollte. Der Fußmarsch durch den Busch dauerte an, denn dem Wagen war der Sprit ausgegangen. So ließ er das, was er in der letzten Woche gesehen oder gehört hatte, noch einmal Revue passieren.

 

Vor einer Woche: ,,Hast du die Ratte gesehen?“, fragte einer der Forscher, mit einem leeren Käfig in der Hand. „Nein, tut mir Leid.“, verneinte der zweite. „Hoffentlich ist sie nicht entkommen. Das wäre eine Katastrophe.“

*

Vor dem Genetik-Labor hatte sich eine große Menschenmenge versammelt. Sie waren Tierschützer und fanden es falsch, Tiere für Versuchszwecke zu missbrauchen. Die Rädelsführerin hielt sich ein Megafon vor dem Mund, um auch die letzten Reihen mit ihrer Botschaft zu erreichen. ,,… Es kann nicht sein, dass man Tiere in Käfigen hält. Sie mit Elektroschocks und Psychopharmaka zu dröhnt, an ihrer Genetik Gott spielt und damit ungeschoren davonkommt. Ich sage: „Nein. Das dürfen wir nicht zulassen.“ Wir werden hier so lange aushaaren, bis diese Unmenschen einsehen, dass ihre Vorgehensweise falsch ist.“ Die Rädelsführerin entdeckte eine Ratte, die um ihre Füße lief. Sie hob sie hoch und zeigte sie der Menge. „Seht her! Durch unsere Proteste sind sie unaufmerksam geworden. Dieses kleine, mutige Kerlchen hier, ist ihren Klauen und somit ihren Machenschaften entkommen, durch unser zutun. Ihr seht, wir können etwas bewirken.“ Plötzlich durchzuckte die Rädelsführerin ein brennender Schmerz. Vor Schreck ließ sie die Ratte los. Sie sah auf ihre Fingerspitzen. Die Ratte hatte sie gebissen. In ihr kam etwas hoch, was sie noch nie gespürt hatte. Etwas das alles verdrängte. Ihre Erinnerungen. Ihre Menschlichkeit. Ihre Emotionen. Sie konnte an nichts anderes denken, als daran Menschenfleisch zu fressen. Selbst ihre Rede war vergessen. Die Rädelsführerin stürzte sich auf den ersten Menschen, der vor ihr stand. Der Mann kippte um und sah noch, wie man begann in seinen Eingeweiden zu wühlen. Die Menschenmenge spürte, dass etwas nicht stimmte. Sie ließen alles stehen und liegen. Panisch flohen sie nach allen Seiten. Als vom Mann nur noch die letzten Überreste geblieben waren, sah die ehemalige Rädelsführerin, dass in der Panik einige Menschen zu Tode getrampelt worden waren. Genüsslich machte sie sich über die Leichen her. Ihr erstes Opfer aber stand wieder auf und machte sich an den anderen Leichen zu schaffen.

 

Vor sechs Tagen: ,,Warum muss ich meine Ferien ausgerechnet mit dir schwanzlutschenden Weichei verbringen?“, fragte Sahra zum hundertsten Mal. „Weil du noch zu jung bist, um alleine durchs Land zu touren.“, sagte Stephen genervt zum hundertundeinsten Mal. „Ich wünschte Mom und Dad wären nicht so beschissen vorsichtig.“, sagte sie, während sie mithilfe des Seitenspiegels ihre Frisur richtete. „Da bist du nicht die einzige.“, sagte Stephen. Beide waren so mit ihren Problemen beschäftigt, dass sie nicht auf die Radionachrichten achteten.

 

Gestern würde aus einer friedlichen Demonstration eine wahre Massenpanik. Mehrere hundert Demonstranten, die vor einem Forschungsinstitut namens …

 

„Warum musste es ausgerechnet mich treffen? Kann ich nicht wenigstens wie Ember vor einem Jahr eine Weltreise machen?“ Stephen machte einen schockierten Gesichtsausdruck, sein Blick war aber immer noch auf die Fahrbahn gerichtet. ,,Ember? Reden wir hier von deiner Freundin Ember, die während ihrer Weltreise auf China in einer dunklen Gasse vergewaltigt wurde?“ Sahra schwieg.

 

… wurden von einem Rudel wilder Hunde angegriffen. In der Panik wurden dabei einige der Demonstranten niedergetrampelt. Woher die Hunde kamen oder warum sie Menschen anfielen ist noch nicht bekannt. Und nun zum Wetter …

 

Stephen schob eine CD rein und versuchte mit der Musik seine Schwester zu übertönen. Niemand achtete auf die Ratte, die es sich auf den Rücksitz bequem gemacht hatte.

*

„Im Auftrag unserer Firma möchte ich, dass Sie eine Lösung für diesen kleinen Zwischenfall finden.“ Der Beauftragte stand steif wie ein Brett. Seine Miene zeigte keine Regung. Professor Stinmertz deutete eine leichte Verbeugung an. „Es wäre mir eine Ehre. Aber zuallererst brauche ich ein paar Versuchsobjekte.“ „Ich schätze, dass das kein Problem darstellen dürfte.“, sagte der Beauftragte und zog eines der weißen Segeltücher, mit denen das ganze Labor verdeckt war, herunter. Unter dem Segeltuch kam ein stählerner Käfig mit einem dicken Vorhängeschloss hervor, in dem mehrere, ungewöhnlich blasse Menschen waren. Sie rüttelten am Käfig und steckten die Finger zwischen die Löcher im Gitter. „Was sind sie?“, fragte der Professor. Er beugte sich nach vorn und hob seine Brille an. „Nun, ein Horrorfilm-Fan würde sie vielleicht als Zombies bezeichnen.“ „Und wie bezeichnen Sie sie?“, fragte der immer noch nach vorn gebeugte Professor. Neugierig auf die Antwort drehte er seinen Kopf zu dem Beauftragten um. „Das ist egal. Hauptsache Sie lösen diese … Unannehmlichkeit.“ „Geht Ansteckungsgefahr von ihnen aus?“, fragte der Professor den Blick wieder auf die Infizierten gerichtet. „Solange Sie nicht von ihnen gebissen werden oder auf eine andere Weise mit ihren Körperflüssigkeiten in Kontakt kommen, geht keine Ansteckungsgefahr von ihnen aus.“ „Wie ist der Virus entstanden?“, fragte der Professor. „Wir haben nach einer Formel gesucht, die die Lebenserwartungen der Menschen erhöhen sollte. Wir waren noch in der Testphase, in der wir mit Ratten experimentierten, mit einigen Erfolgen.“ Der Professor sah nicht, wie der Beauftragte die Augen leicht nach oben verdrehte. „Dabei scheint eine Ratte einen Sicherheitsmann infiziert zu haben.“ Der Professor ließ die Informationen sacken. Er hielt vorsichtig seinen Zeigefinger in den Käfig. Sofort griffen die Zombies danach. Hastig zog er sich zurück. Im Kopf legte er schon mal eine Vorgehensweise zurecht. Dass die Leute mal Tierschützer gewesen waren oder der Beauftragte log, merkte er nicht. Er war zu sehr in Gedanken. „Sind das alle, die sich infiziert haben?“ „Es sind alle, die wir gefunden haben.“, sagte der Beauftragte sachlich. „Dann ist ja gut. Gar nicht auszudenken, was passiert, wenn auch nur einer entkommen wäre.“

*

Hungrig auf Menschenfleisch durchzog die ehemalige Rädelsführerin den australischen Busch. Irgendwann würde sie wieder was zum Fressen bekommen. Kaum war ihr dieser Gedanke gekommen, als sie den Geruch von frischen, lebendigen Fleisch wahrnahm. Er war schwach. Der Geruch führte sie zu einem Haus. Gierig auf das schmackhafte Fleisch rannte sie los.

 

Vor fünf Tagen: ,,Stephen?! Hey Stephen lass den Scheiß. Du machst mir Angst.“ Sahra erkannte ihren Bruder nicht wieder. Seine Augen waren glasig. Die blasse Farbe, die seine Haut angenommen hatte, schien auch nicht gesund zu sein. Das Pflaster, das er sich wegen eines Rattenbisses an den Finger geklebt hatte, fiel langsam ab. Die Wunde darunter blutete immer noch. Sie schien sogar stärker zu bluten, als vor ein paar Minuten. Dicke Blutstropfen fielen auf den Boden. Sahra blieb nichts anderes übrig, als von ihrem Zeltplatz mitten im Nirgendwo aus, in den australischen Busch zu fliehen. Stephen folgte ihr auf Schritt und Tritt. Obwohl er nicht so schnell wie Sahra war, schienen seine Kräfte ihn nie zu verlassen. Irgendwann, Sahra war vollkommen erschöpft, sprang etwas auf ihren Rücken. Es war Stephen, der die Gunst der Stunde genutzt hatte. Sahra stürzte zu Boden. Sie hatte sich bereits mit ihrem Schicksal abgegeben, als ein Schuss fiel. Die Wucht des Schusses hatte Stephen nach hinten geschleudert. Mit der Kraft der Angst stand Sahra auf und rannte weiter. Sie sah vor sich einen PKW, der mit hoher Geschwindigkeit auf sie zufuhr. Er wurde nicht langsamer, als er auf Sahra zuraste. Mit einem lauten Hupen versuchte man Sahra zu verscheuchen. Doch die dachte nicht daran, ihren Kurs zu ändern. Wenn sie auch nur ein bisschen langsamer wurde oder die Richtung änderte, würde Stephen oder das, was aus ihm geworden war, sofort über sie herfallen. Was dann passierte, wollte sie gar nicht erst wissen. Kurz bevor Sahra die Motorhaube mit ihrer Leiche geziert hätte, machte das Auto eine Halbdrehung und kam zum Stehen. Sahra dachte nicht weiter nach und stieg auf den Rücksitz ein. Auf den Fahrersitz saß ein beleibter, bärtiger Mann in einem Flanellhemd, der damit beschäftigt war Stephen zu überfahren. Man musste es ihr angesehen haben, denn als der Fahrer in den Rückspiegel blickte, fragte er knapp: ,,Ein Verwandter?“ Sahra nickte nur, zu etwas anderen war sie nicht fähig. Auf den Beifahrer saß ein dreizehnjähriger Junge. „Mach dir nichts draus. Meine Mutter hat auch versucht mich zu fressen.“, sagte er bevor er einen gezielten Kopfschuss auf Stephen feuerte. ,,Pah! Und du sagtest, dass Ego-Shooter die reinste Zeitverschwendung seien.“, sagte der Junge zum Fahrer. Nachdem sie Stephen mehrfach überfahren hatten und es für die beiden Kerle so langsam langweilig wurde, setzten sie ihre Fahrt fort. Sahra wusste nicht, wohin es ging, aber sie würde es bald erfahren. Sie blickte zurück und sah, wie Stephen trotz seiner Verletzungen ihnen immer noch folgte. Er wurde immer kleiner und kleiner. Sie hatten ihn abgehängt.

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„Es kommen immer mehr Berichte von Zombie-Attacken. Niemand weiß, woher sie kommen. Viele berichten, dass sie von Ratten gebissen wurden, bevor sie damit begannen Menschen anzufallen. Hunderte von Menschen verlassen das Land. Sollten sie einem Zombie begegnen zerstören sie das Herz oder den Kopf um …“

 

Der Professor schaltete aus. Er musste sich diesen Mist nicht antun. Die Zombies verbreiteten sich, was nicht weiter schlimm gewesen wäre, wenn nicht diese Verunsicherung um sich gegriffen hätte. Es gab kein Mittel, um die Infizierten aufzuhalten. Selbst ohne Kopf oder Herz konnten sie noch weiterleben. Wiedermal eine Fehlinformation der Medien. Der Professor arbeitete Tag und Nacht, um ein Gegenmittel gegen diesen Zustand zu finden. Doch er fand nichts. Es wäre einfacher gewesen, wenn er diese Ratten gehabt hätte. Doch es blieb ihm nichts anderes übrig, als weiter zu forschen.

 

Vor vier Tagen: Auf den Straßen herrschte das blanke Chaos. Jeder Mensch versuchte den Zombies zu entkommen. Die Polizei hatte schon längst die Flucht, vor diesen unmenschlichen Kreaturen, ergriffen. Nichts konnte sie aufhalten, nicht einmal Handfeuerwaffen. In der ganzen Panik schienen die Zombies, beabsichtigt oder nicht, die Hauptstromzufuhr zerstört zu haben. Keine Ampel funktionierte, selbst wenn, hätte sich jeder Fahrer über sie hinweggesetzt. Dadurch kam es zu zahlreichen Unfällen, die die Straße blockierten. Zwischen den brennenden Autos bewegten sich die Schatten der Zombies. Sie zerrten die Menschen aus den Fahrzeugen und fraßen sie. Alle versuchten die eigene Haut zu retten. Jeder war sich selbst der nächste.

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„Endlich habe ich den Virus lokalisiert.“, sagte der Professor. „Jetzt brauch ich nur noch ein Gegenmittel herstellen. Bald ist es soweit. Dann wird dieser Albtraum endlich vorbei sein.“ Der Professor verstand selbst nicht, warum er noch auf den Beinen stand. Er hatte seit Tagen nicht mehr geschlafen. Nur sein Ehrgeiz hielt ihn noch aufrecht.

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„Also wer seid ihr?“ Sahra hatte seit der schrecklichen Nacht kein Wort mehr sagen können. Das war das erste Mal, dass sie die beiden direkt ansprach. „Ich bin Mike und das ist mein Dad.“, sagte der Junge grinsend. „Warum habt ihr mir geholfen?“ „Wir haben dir nicht geholfen. Wir hatten unsere Gründe für das, was wir taten.“, sagte Dad, während er auf das prasselnde Lagerfeuer starrte, dass sie in einem verlassenen Tankstellenrestaurant gemacht hatten. Der Strom war ausgefallen und draußen war es bereits dunkel. „Hoffentlich gibt es hier keine Zombies.“, sagte Mike während er sich umblickte. Die Flinte fest in der Hand. „Mach dich nicht lächerlich. Sowas wie Zombies gibt es nicht“ Die beiden sahen Sahra mit einer erhobenen Augenbraue an. „Was meinst du, was dich da angegriffen hat?“, fragte Dad. „Mein durchgeknallter Bruder.“, kam die Antwort. „Das war nicht dein Bruder, sondern ein Zombie.“, sagte Mike ernst. „Das war nicht der erste, den wir gesehen haben.“ „Gehört ihr etwa einem alten Kult an, der Zombies jagt?“, fragte Sahra sarkastisch. „Das eher weniger, aber …“ Mike unterbrach sich selbst, als er den drohenden Blick seines Vaters sah. „Was ist?“, fragte Sahra neugierig. Da sprang etwas aus dem Dunkel auf die Theke. Sofort waren die Männer kampfbereit. Mike schoss ihn mit seiner Schrotflinte in die Brust. Die Wucht der Kugel ließ ihn nach hinten fliegen. „Lauft, bevor er wiederaufsteht.“, sagte Dad. ,,Wiederausteht? Der muss doch tot sein. Mike hat ihn mitten ins Herz getroffen.“ Da stand der Untote auch schon wieder auf den Beinen, mit einem riesigen Loch, das in der Brust klaffte. ,,Oh, Scheiße! Was hält diese Dinger denn überhaupt auf?“ Die drei rannten zum bereiten PKW. Sahra drehte sich um. Sie sah, wie einer der Zombies versuchte das Auto einzuholen. Unwillkürlich musste sie an Stephen denken. Es sah aus, als würde der Zombie panisch mit den Armen rudern. Nach einem kurzen Sprint wurde er langsamer. Aus den Büschen sprangen Zombies und fielen über ihn her. „Hey, das war ein Mensch! Wir müssen unbedingt zurück und ihn retten!“ Dad sah in den Rückspiegel. „Vergiss es. Der Arme ist eh schon tot.“ Sahra drehte sich wieder um und sah, wie die Zombies mit den Körperteilen des Mannes in den Büschen verschwanden.

 

Vor drei Tagen: ,,Soldaten, ihr kennt eure Befehle.“, sagte der General, während er zwischen die Reihen der fünfhundert Soldaten ging. Mit einem rührseligen Lächeln, sah James sich das Bild seiner Familie an. „Ihr werdet jeden Zombie, der euch vors Visier rennt kalt machen. Ihr habt genügend Munition, um ganz Australien zu erschießen. Somit solltet ihr nicht zu geizig sein.“ James meldete sich. „Ja, Soldat.“, gab der General ihm das Wort ,,Haben sie irgendwelche Kampftipps für uns?“, fragte James. „Nur das, was wir über Zombies wissen, zielt auf Herz und Kopf, um sie zu töten. Solltet ihr zu blöd dafür sein, zielt auf die Beine, um sie zu verlangsamen.“ Der General stand jetzt genau vor den Soldaten. „Zu guter letzt, möchte ich euch noch viel Glück wünschen und möge Gott euch segnen.“ Der alte Soldat zu James linken mit der Augenklappe und den vielen Narben spuckte aus. „Wir werden alle drauf gehen.“, sagte er finster. Ihm fiel James fragender Blick auf und antwortete: ,,Alle Einsätze, bei denen ich ,,möge Gott euch segnen“ gehört habe, waren das reinste Himmelfahrtskommando, manche von diesen Einsätzen waren sogar noch draufgängerischer. Nettes Foto übrigens. Deine Familie?“, fragte er, während er auf das Foto starrte. „Ja. Das bin ich mit meiner Frau und meiner Tochter.“ „Süßer Fratz.“, meinte der Einäugige bloß. Das Schiff lichtete den Anker und ließ die Soldaten von Bord. James verstaute das Foto in seiner Brusttasche. Der Soldat mit der Augenklappe setzte ein verwegenes Lächeln auf. „Bereit zu sterben, Frischling?“ Er schielte zu James rüber, der sich fragte, wo man diesen Irren aufgegabelt hatte. James hoffte, dass er überleben würde, um seine Frau und seine kleine Tochter wiederzusehen. Das Schiff auf dem die Soldaten waren, setzte sie an der Küste ab. Von dort stand ihnen ein Zwanzig-Meilen-Marsch bevor.

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„Nun, ich hoffe Sie haben mich nicht gerufen, um einen netten Plausch zu halten.“, der Beauftragte der Firma stand vor dem Professor in der üblichen, steifen Haltung. Der Professor gähnte ungeniert. Dicke Tränensäcke lagen unter seinen roten Augen, die tief in ihren Höhlen lagen. Ein Drei-Tage-Bart umrahmte sein Gesicht. Der Kittel war zerknittert und schmutzig. ,,Nein, habe ich nicht.“, antwortete er verschlafen. „Ich habe den Virus lokalisiert.“ Er reichte den Beauftragten eine Phiole. In ihr schwappte eine dunkelgraue Flüssigkeit. „Hier ist die Probe, die sie …“, der Professor unterbrach sich, um zu gähnen. „angefordert haben.“, beendete er schmatzend. „Was ist mit dem Gegenmittel?“ Der Schlafmangel ließ den Professor nicht das gierige Funkeln in den Augen des Beauftragten sehen. „Ich habe es schon gefunden. Hier die …“, er gähnte wieder, ,,Formel und wenn sie fünf Sekunden warten würden, bekommen Sie davon auch noch eine Probe.“ ,,Haben Sie die Flüssigkeit getestet?“ ,,Aber selbstverständlich.“ Er zeigte auf den Käfig, in den vor ein paar Tagen einige Zombies gelegen hatten. Jetzt lagen da Menschen. Sie schliefen. Der Professor sah, wie der Beauftragte in ihnen die Zombies erkannte. „Bemerkenswert.“, sagte er anerkennend. „Warum liegen sie noch im Käfig?“ Das Klingeln einer Mikrowelle ertönte und der Professor schlürfte gähnend zu ihr. „Ich wollte sehen, ob sie auch völlig geheilt sind. Sie konnten möglicherweise Rückfällig werden. Ich wollte sie eh gleich rauslassen.“ Der Professor hatte den Beauftragten den Rücken zugewandt und sah nicht, wie er das nicht vorhandende Schloss bemerkte und es auf den Tisch wiederfand. Langsam öffnete der Professor die Mikrowelle und holte eine weitere Phiole, in der eine rote Flüssigkeit schwappte, mit Topflappen heraus. „So hier bitte schön, das Gegenmittel.“ Er rollte die Phiole im Topflappen ein und übergab sie dem Beauftragten. ,,Sehr schön. Dieses Mittel wird all denen helfen, die das nötige Kleingeld haben.“ Der schlafbedürftige Verstand des Professors brauchte lange, um zu begreifen was der Beauftragte da gerade gesagt hatte. Dann weiteten sich seine Augen vor Entsetzen. „Soll das heißen, Sie wollen nur denen helfen, die dafür bezahlen können?“ ,,Aber selbstverständlich.“, sagte er mit einem schmierigen Lächeln. Der Professor sah verstohlen auf den Topflappen. Verzweifelt versuchte er sein Gegenmittel zurückzuerobern. Aber der Beauftragte war schneller und nicht so überarbeitet. Tadelnd wedelte er mit dem Zeigefinger. „Ah-Ah-Ah, Sie wollen uns doch keine Probleme bereiten, oder?“ Der Beauftragte packte den Professor am Schlafittchen und zog ihn zum Käfig. „Machen Sie die Tür auf!“, blaffte er ihn an. Die Tür wurde gehorsam geöffnet. Er stieß den Professor in den Käfig. Klackend rastete das Vorhängeschloss an der Tür ein. Verzweifelt rüttelte der Professor am Gitter. ,,Hilfe! Hiiilfe!! Hiiiiilllffffffffeee …“ Die Hilfeschreie des Professors wurden abrupt durch eine Phiole erstickt, die der Beauftragte ihm kalt in den Rachen gestopft hatte. Entsetzt sah er, wie die dunkelgraue Flüssigkeit in dem Fläschchen weniger wurde. Aus einem Reflex heraus hatte er geschluckt, als die Flüssigkeit in seinen Mund gelangt war. Der Professor begann sich die Haare auszureißen, als der Heißhunger nach Menschenfleisch ihn übermannte und sein menschlicher Verstand sich, wie morgendlicher Nebel, verflüchtigte. Das Letzte was er wahrnahm war, wie ein dutzend Männer durch die Tür sein Labor betraten und hastig alle Daten mitnahmen. Das Lächeln des Beauftragten sprach Bände. Danach brach sein Verstand unter dem Druck des Virus zusammen. Das erste was er als Zombie tat, war seine ehemaligen Testsubjekte zu fressen.

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Es stellte sich schnell heraus, dass der Soldat mit der Augenklappe recht behielt. Ein Himmelfahrtskommando hatte bessere Aussichten auf einen Sieg, als der Kampf gegen die Zombies. Wie ihnen geraten worden war, schossen sie auf die Herzen, Köpfe und Beine ihrer Gegner, ohne Erfolg. Im Gegenteil, die Zombies wurden vom Krach der Waffen sogar angelockt. Ihr Ansturm wurde nicht langsamer, selbst ohne Herz, Kopf oder Beine kämpften sie unerbittlich weiter. Den Soldaten blieb nichts anderes übrig, als sich in ein leerstehendes Gebäude zurückzuziehen und dort die Stellung zu halten. ,,Verdammte Scheiße! Und ich hatte gerade Urlaub.“, schrie James über den Lärm hinweg. „Mach dir nichts draus. Es könnte schlimmer sein. Solange wir ausreichend Munition haben, können wir uns noch verteidigen, wenn auch nur mit Mühe.“ Wie aufs Stichwort kam ein Soldat, der die anderen in den Etagen mit Munition versorgte. Er schmiss James und den anderen Soldaten ein Magazin zu. „Mehr gibt’s nicht.“, sagte er. ,,Was?! Warum nicht?!“ ,,Die Munition reicht nicht aus, um alle Soldaten im Gebäude ausreichend auszurüsten.“ Ohne, dass James etwas darauf antworten konnte, verschwand der Soldat auch schon wieder. ,,Genug, um ganz Australien zu erschießen, was?“, blaffte James. „Hast du es nicht in den Nachrichten gehört? Die Weltwirtschaftskrise veranlasst viele Länder dazu, an allen Ecken und Enden zu sparen. Dummerweise sparten unsere Leute am falschen Ende, was wir wahrscheinlich mit dem Leben bezahlen. Ich wette, sie wussten, dass wir es nicht schaffen können.“ ,,Warum sollte man uns in den Tod schicken?“, fragte James über den Lärm hinweg. „Um genug Zeit zu bekommen, das Land zu verlassen. Australien ist verloren.“, lautete die Antwort des Soldaten. James fasste einen Entschluss. „Lass uns hier bis nachts aushaaren und dann abhauen. Ich würde gerne nochmal mein Kind sehen, bevor uns die Scheiße um die Ohren fliegt.“

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Überall in Australien machten sich die Menschen auf, dass Land zu verlassen. Um den Reichen und Einflussreichen genug Zeit zu verschaffen, hatte man Berufssoldaten und Söldner ausgesandt, um die Zombies in Schach zu halten. Der angeblich harte Kampf, der dennoch Aussicht auf Erfolg bot, war in Wirklichkeit ein einziges Massaker. Während die Reihen der Kämpfer sich lichteten, wurden die Zombies immer mehr. Über der Hölle des Krieges flogen die Privatjets und Hubschrauber derjenigen, die es sich leisten konnten. Einen normalen Flug zu buchen war ein Ding der Unmöglichkeit, der Flugverkehr war schon vor Tagen zusammengebrochen. Niemand dachte über die Opfer nach. Nicht einmal über die Verantwortlichen. Jeder war sich selbst der nächste.

 

Vor zwei Tagen: Entgegen den Erwartungen von James, gab der Ranghöchste durch, dass sie alle nachts die Flucht ergreifen würden. Einige unter den Soldaten murmelten etwas von Kriegerehre, als sich aber herausstellte, dass sie in der Unterzahl waren, kamen sie wiedererwartend doch mit. Unauffällig verließen die Soldaten die Stadt. Als sie draußen waren, sagte der Ranghöchste: „Hier trennen sich unsere Wege. Jungs ihr habt hart gekämpft. Es wäre eine Schande, Soldaten wie euch in den Tod zu schicken. Dieses Land und dieser Kampf sind verloren. Ich werde das Land verlassen. Wer will, kann mitkommen. Wir sollten so schnell wie möglich von hier verschwinden. Ich habe Gerüchte gehört, dass man den Einsatz von Atombomben genehmigt hat, um der Zombie-Plage Herr zu werden. Ihr solltet von daher, so schnell es geht verschwinden.“ Er schwang den Arm in Richtung Norden. „Folgt mir. Ich habe einen alten Freund, der mir noch einen Gefallen schuldet.“ Ohne sich umzudrehen ging der Anführer nach Norden. Alle folgten ihm. Nur zwei blieben unschlüssig stehen und sahen der Einheit nach. „Willst du nicht mitgehen?“, fragte James den Soldaten mit der Augenklappe. „Nö, lass mal. Ich kann dich Frischling ja schlecht alleine losziehen lassen.“ James kam nicht um rum den Soldaten zu bewundern. ,,Und du?“, gab der Soldat die Frage zurück. „Ich muss meine Familie finden, vielleicht leben sie noch und dann können wir vier fliehen.“ „Wir vier?“, fragte der Soldat mit der Augenklappe verwundert. James wandte ihm sein Gesicht zu, das vom Mond beleuchtet wurde. Er grinste. „Na du kommst mit uns. Ob du nun willst oder nicht.“, gab er grinsend zurück. „Das werden wir noch sehen.“, sagte der Soldat mit der Augenklappe mysteriös.

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„Verpiss dich du perverses Schwein.“ Sahras Nerven lagen mehr als blank. Die ständige Angst. Ständiges fliehen vor Zombies. All das machte aus Sahra ein hochexplosives Nervenbündel. Da konnte sie nicht anders als Mike zu verprügeln. Er hatte in den letzten Tagen ein reges Interesse für sie entwickelt. Anfangs hatte er ihr immer nur in den Ausschnitt geglotzt, dann jedoch war er zum Grapschen übergegangen. Damit war auch Sahras Grenze für Toleranz überschritten. Das war heute schon das siebte Mal, dass sie ihm ein paar Manieren beibringen musste. Und wieder musste Dad dazwischen gehen und Mike ein paar saftige Ohrfeigen verpassen. „Halt deine beschissenen Hormone im Zaum, sonst setzt es wieder was.“ Mike grummelte irgendwas vor sich hin, worauf Dad drohend die Hand erhob. Alle waren am Ende. Sie flohen bloß noch. Wohin wusste niemand. Sie wussten nur, dass sie irgendwie in eine Zombie-Freie-Zone kommen mussten. Und so durchstreiften sie das Land, ohne Kompass oder Plan.

 

Gestern: Auf ihrer Reise trafen Sahra, Mike und Dad zwei Soldaten, die in dieselbe Richtung unterwegs waren. „Woher kommst du?“, fragte Sahra einen der Soldaten. „Canberra.“, antwortete der Soldat, vom dem sie wusste, dass er James hieß. „Und du?“, fragte sie den anderen Soldaten. „Ich bin Söldner. Ich habe keine Wurzeln.“, antwortete der andere Soldat mit der Augenklappe geheimnisvoll. „Wohin soll´s denn gehen?“ ,,Canberra. Meine Familie ist dort.“, sagte der Soldat. Sahra spürte wieder die starrenden Blicke von Mike, der ihr wahrscheinlich auf die Brüste glotzte. Sie sandte ihm einen hassenden Blick zu. Das Auto wurde langsamer. Dad starrte seinen Jungen mit einer Mischung aus Vorwurf und Wut an. „Wieso reist ihr durchs Land?“, fragte James. „Gestern hörte ich, dass meine Heimatstadt total zerstört ist. Wer nicht tot oder untot ist, wird vermisst, so wie meine Eltern. Daher durchsuche ich das Land nach ihnen.“ ,,Und was ist eure Story, Jungs?“ Dad schwieg. Zuerst schien er gar nichts sagen zu wollen, doch dann begann er zu sprechen. „Meine Ehefrau war eine der ersten, die zum Zombie wurde. Eines Abends drang eine Frau in unser Haus ein. Zuerst hielt ich sie für verrückt. Im Nachhinein war sie aber ein Zombie. Ihrer Kleidung nach, war sie früher Tierschützerin gewesen. Sie infizierte meine Frau. Ich floh mit meinem Sohn und seiner Freundin. Leider hatte sie sich irgendwie angesteckt. Ich weiß nicht wie, vielleicht hatte sie ein Tröpfen Zombie-Blut oder Speichel geschluckt. Auf jeden Fall war es nicht viel, denn es dauerte sechs Stunden, bis die Krankheit ausbrach.“ „Und auch noch zu so einem ungünstigen Zeitpunkt.“, ergänzte Mike missmutig. „Sie waren grade in Gange, als es passierte. Als ich seinen Hilfeschrei hörte und eintraf, versuchte sie den kleinen Mike abzubeißen.“ Dad drehte sich zu Mike um. „Wer weiß was passiert wäre, hätte er nicht sein Gummi getragen. Wahrscheinlich hätte sich das Virus wie eine Geschlechtskrankheit verhalten.“ Mike schaute peinlich berührt aus dem Fenster. „Seitdem haben wir gar nichts mehr. Wir ziehen ziellos durchs Land, ohne einen Plan. Es gibt nur eins, dass wir wollen, überleben. Und dass ist in letzter Zeit immer schwieriger geworden.“ Alle schwiegen. Sahra schaute zu Mike. Es muss schwer sein, so etwas durchzumachen, dachte sie. Nun verstand sie warum Mike so komisch war. Er würde Jahre brauchen, um diese traumatischen Dinge zu verarbeiten.

*

Gegen Abend erreichten sie Canberra. James gab ihnen die Adresse. Sie erwies sich als ein Mietblock, der brannte. „Sind wir hier richtig?“, fragte Sahra verunsichert. „Jepp.“, sagte Mike unverdrossen. James setzte eine besorgte Miene auf. Sie stiegen aus und Beobachteten den brennenden Block. Sahra wusste nicht, wie lange sie so dagestanden hatten, bis James wie von der Tarantel gestochen losrannte. Er zog etwas Kleines aus dem Dunkel der Nebengasse hervor. Er brachte es vor das Auto. Jetzt konnten auch alle sehen, was es war. Es war das Skelett eines acht Jahre alten Mädchens. Bis auf den blutbesudelten Kopf waren alle Knochen sauber abgenagt. Bei einigen Knochen war das Mark ausgesaugt worden. Der entsetzte Gesichtsausdruck und die mit angsterfüllten Augen brannten sich auf ewig in Sahras Gedächtnis ein. James weinte Bitter und fing an zu schreien. Der Soldat mit der Augenklappe bildete still das Wort „Tochter“ mit dem Mund und zeigte auf die menschlichen Überreste. Jetzt war alles klar. Sahra blickte in die Runde. Sie hatte immer gedacht, dass sie alle vollkommen unterschiedlich seien, doch jetzt fiel ihr die große Einigkeit von ihnen auf. Jeder hatte seine Liebsten verloren. Zombies, von den Klagelauten des Soldaten angelockt, hoben sich vom Schatten der Nacht ab. James starrte grimmig von den Überresten seiner Tochter auf. Für einen kurzen Moment sah Sahra die Grimmigkeit des Soldaten wanken, als er einen weiblichen Zombie sah, doch diese Unschlüssigkeit war nur von kurzer Dauer. Dann tauchte wieder die Grimmigkeit auf, welche einem Wolf nicht unähnlich war. ,,Meine Frau.“, sagte er kurz angebunden. „Sie muss mit meiner Tochter geflohen sein und sich während der Flucht infiziert haben. Meine Tochter hat ihr vertraut und hat sich nicht einmal gewehrt, als sie gefressen wurde.“ Mit dem Schrei eines Mannes, der nichts mehr zu verlieren hatte, stürzte er sich auf die Meute. Sahra wollte ihn noch aufhalten. „James, komm zurück!“, schrie sie ihm hinterher. „Verschwindet von hier. Mein Leben hat keinen Sinn mehr.“, schrie er in die brennende Nacht. „Komm schon, Sahra.“, schrie Mike ihr zu. Sie rannte zum PKW, konnte aber nicht anders, als sich noch ein letztes Mal zu den Soldaten umzudrehen. Dann stieg sie in den Wagen. Der Motor röhrte los. Und wieder flohen sie vor der Gefahr. Sahra sah im Rückspiegel, wie James den Zombie, der einst seine Frau gewesen war, packte, eine Granate zog und mit den Zähnen den Stift rauszog. Der Zombie biss James in die Hand, doch der ließ nicht los, weder seine Frau, noch die Granate. So wurden beide in die Luft gesprengt. Auf einmal schrie Mike. Als Sahra sich umdrehte, sah sie in das untote Gesicht von Dad. Er schien sich ebenfalls infiziert zu haben. Doch wie? In seinen Augen schien der unbändige Hunger von Menschenfleisch, aber dadurch ließ er die Straße vollkommen aus den Augen. Der Soldat mit der Augenklappe sprang aus der Tür. Er rollte sich ab und blieb bewusstlos auf der Straße liegen. Das Auto fuhr in ein Meer aus Flammen. Sahra bekam von all dem nichts mehr mit. Der Zombie-Dad hatte ihr bereits das Herz herausgerissen. Der schreiende Mike wurde von den Flammen verzehrt. Der Dad-Zombie aber verlor nur das Bewusstsein. Am nächsten morgen erwachte er mit verbrannter Haut, aber immer noch untot und hungrig.

 

Heute: Er schaute sich den riesigen Atompilz, vom Deck des Schiffes aus, an. Aufgrund der Helligkeit hatten alle tiefschwarze Sonnenbrillen aufgesetzt. Als der riesige Pilz verschwunden und es wieder einiger Maßen dunkel war, nahm er die Sonnenbrille ab. Schwarze Pünktchen tanzten von seinem einzigen Auge. Das andere war mit einer Augenklappe verdeckt. Australien war somit von der Landkarte verschwunden. Er schaute sich die anderen Passagiere auf dem Deck an. Da war ein weinendes Ehepaar, das auf ein Foto starrte. Dabei fielen ständig die Namen Stephen und Sahra. Da waren auch noch ein paar Jugendliche, die von einem Zombie-Professor sprachen, der mit drei Skeletten in einem Gitterkäfig eingesperrt war. Hoffentlich würde sich so etwas nicht noch mal ereignen. Als das eine Auge übers Deck glitt, sah der Söldner mit der Augenklappe, wie ein Matrose von einer Ratte in den Finger gebissen wurde. „Hoffentlich kommt nicht das, was ich jetzt glaube.“, murmelte der Ex-Söldner zu sich selbst.

 

 

The End

Trampen

Der Junge kam in vollkommener Dunkelheit gehüllt zu sich. Sein ganzer Körper war feucht und klebrig. Mühsam und mit all seiner Willenskraft versuchte er sich zu bewegen, aber etwas hielt ihn in der Dunkelheit gefangen. Das Gefühl, wie eine Fliege im Spinnennetz gefangen zu sein, ließ ihn nicht los. Er glaubte eine Bewegung in der Dunkelheit auszumachen. Etwas schlängelte sich seinem Leib entlang. Es fing bei den Füßen an und hörte bei den Schultern auf. Er wollte schreien, doch aus seinem Mund kam nichts als ein leises Krätzen. Etwas fraß ihn bei lebendigem Leibe auf. Nie im Leben hätte er sich erträumt, so zu enden.

 

Al hielt mit einem verwegenen Lächeln den hocherhobenen Daumen an den Rand der Fahrbahn. Er trampte quer durchs Land, ohne Ziel oder Verantwortung. Er hatte einmal die Semesterferien dazu genutzt, um zu reisen. Da er aber nicht genügend Geld hatte, musste er trampen und er hatte es lieb gewonnen. Er wurde immer gefahren und konnte sich mit teils sehr interessanten Leuten unterhalten. Aber das Reisen war zu einer Sucht geworden. Er musste immer häufiger und weiter Reisen, bis er nicht mehr zurückgekommen war. Seine Einnahmequelle waren kleine Gelegenheitsjobs. Aber das war für ihn nicht schlimm. Er war glücklich und das war die Hauptsache. Heute war ein guter Tag zum Trampen. Eine Hauptstraße und trockenes, nicht allzu kaltes Wetter, mehr brauchte man nicht, um gut zu Trampen. Aber trotzdem war es kein guter Tag, denn niemand fand sich, um ihn mitzunehmen. Es gab öfters Tage, an denen alle Autos an ihm vorbeirasten, aber es war noch nie ein Tag vergangen, an dem er kein Auto traf. Es war unmöglich, aber doch war er hier Zeuge einer leeren Straße, auf der Tagelang kein Auto fuhr. Al hoffte, dass ein paar hübsche Mädchen einen Hengst, wie ihn mitnahmen. Sie würden es nicht bereuen. Aber es sollte alles ganz anders kommen. Ein alter, rostiger Laster stoppte vor Al. Achselzuckend dachte er sich: Besser als gar nichts. Er stieg ein. Als er die Tür öffnete, fielen ihm die weißen, mit Blutflecken übersäten Säcke auf der Ladefläche auf. Achtlos warf er seinen Rucksack auf den Rücksitz. „Danke fürs mitnehmen.“, sagte er höflich, zu den älteren, bärtigen Mann, der locker als Heidi ´s Großvater durchgegangen wäre. „Nichts zu danken.“ „Was haben Sie da.“ Sein Kopf nickte zur Ladefläche. Der Alte machte eine wegwerfende Bewegung. „Ach das? Das sind nur meine Schweine. Sie sind alle an einer Krankheit gestorben. Ich wollte sie zu einem speziellen Entsorgungsplatz bringen.“ Wahrscheinlich ist er ein Bauer, dachte Al, er sieht zumindest wie einer aus, also warum sollte er keiner sein? „Aha.“ Al hatte zwar noch nie von Entsorgungsplätzen für infizierte Schweine gehört, aber er war auch kein Bauer. Die Fahrt war ziemlich langweilig. Der Alte sagte nichts und egal wie sehr sich Al auch bemühte, ihn zum Reden zu bringen, er schwieg beharrlich. Die Fahrt endete an einem Kornfeld. Al fielen die vielen Krähen auf, die sich auf jeder erhöhten Position niedergelassen hatten. Eine riesige Metallröhre ragte schief aus dem Boden. Und das sollte ein Entsorgungsplatz sein? Der Bauer nahm sich die Säcke, ging damit zur Röhre und öffnete sie, peinlichst darauf bedacht, dass Al den Inhalt nicht sah. Er schüttete den Inhalt in die Röhre. Al sah sich um. Die Krähen schienen ihn anzustarren. Er fühlte sich aber noch von etwas anderem beobachtet. Mehrstimmiges Gebrüll durchbrach die Stille. Die Krähen schreckten aus ihrer Starre hoch und flogen in den immer dunkler werdenden Himmel. Entsetzt drehte sich Al in die Richtung um, aus der das Gebrüll gekommen war. Die Röhre. Er war so sehr auf das große Rohr fixiert, dass er den Bauer erst sah, als es zu spät war und er ihm mit einem Spaten niederschlug.

 

Al kam in vollkommener Dunkelheit zu sich. Sein Kopf dröhnte. Das Plätschern von vereinzelten Wassertropen auf Stein unterbrach die Stille. Plötzlich fielen ihm die letzten Momente wieder ein. Wie er die Krähen und die Straße beobachtet hatte. Und dann kam der Schlag und mit ihm die vollkommene Dunkelheit. Für einen alten Mann hatte dieser einen ordentlichen Schlag drauf. Das Lachen einer Frau durchbrach das Dunkel. Unheimlich hallte es von nicht sichtbaren Wänden wieder. Er musste sich in einer Art Höhle befinden. Etwas Großes schlängelte seinem Körper entlang. Das Lachen war jetzt direkt bei seinem Ohr. Er hörte, wie die Stimme laut Luft einzog, als würde sie ihren Mund sperrangelweit aufmachen. Etwas biss in seine Schulter. Al schrie vor Schmerz. Warmes Blut lief seinem Rücken und Arm entlang. Die Zähne zerrten an ihm und versuchte einen großen Brocken Fleisch rauszureißen. Es dauerte einige Zeit, bis Al das Licht wahrnahm, das ihm entgegenkam. Es war eine Fackel. Gerade als Al auf Rettung hoffte, wurde es von dem Gesicht, das vom Schein der Fackel beleuchtet wurde, zunichte gemacht. Es war der alte Mann, welcher ihn an diesen gottverdammten Ort gebracht hat. Als wenn er mich retten würde, dachte Al verdrießlich. Aber jedes Übel hatte sein gutes. Endlich konnte Al erkennen woran er hing. Es war ein klebriger Schleim, der ihn an der Decke hielt. Sein Gesicht erbleichte, als er erkannte, was ihn da zu fressen versuchte. Es war ein Mischwesen, mit den Unterleib einer Schlange, der aus dem bodenlosen Abgrund unter Al ragte und den Oberkörper einer schönen, gehörnten Frau, die nichts von BHs oder anderer Kleidung hielt. „Wieso störst du mich beim Essen?!“, fauchte sie den Mann an. Der Alte scharte verlegen mit den Fuß. „Kann ich noch etwas haben.“ Die Schlangenfrau ließ von Al ab und beugte sich zum Mann hinab. „Na gut, meinetwegen, aber dann ist es genug für heute.“ Al traute seinen Augen nicht, als der Mann damit begann an den Busen dieses Wesens zu saugen. Er versuchte seine Augen von diesem grotesken Schauspiel abzuwenden, konnte aber nicht. Es übte eine morbide Faszination auf ihn aus. Mit all seiner Willenskraft konnte er den Blick zur Decke abwenden. Von oben sah er einen kleinen- einen winzig kleinen Lichtschimmer. Er versuchte seine Arme und Beine frei zu bekommen. Aber sie kamen von diesem klebrigen Zeug nicht los. Nein, er musste es anders anpacken. Anstatt sich frei zu kämpfen, konnte er sich aber auch mehr einwickeln lassen. Mühsam brachte Al seinen Körper in Schräglage. Wie ein Jo-Jo drehte er sich um die eigene Achse nach oben. Zuerst einmal. Al ächzte, versuchte aber den Lärmpegel so gering wie möglich zu halten. Dann zweimal. Sein Körper schrie gegen derlei Anstrengung an, aber der Durst nach Freiheit war größer. Wieder und wieder drehte er sich. Dem Lichtschimmer entgegen. Er kam näher und näher. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Die Oberfläche war zum Greifen nah. Er roch schon die frische Luft und sein damit verbundenes Überleben. Das einzige, das er wollte war, so weit weg wie möglich von diesem grausamen Ort zu kommen. Er war schon fast draußen. Er musste nur noch über den Rand des tiefschwarzen Abgrundes, dann war er in Sicherheit. Erschöpft vom langen Aufstieg, quälte sich Al über den Rand. Der Schweiß rann ihm kalt den Rücken runter und verursachte eine Gänsehaut. Von unten war ein Schrei zu hören. Der Wutschrei eines Mischwesens, über den Verlust ihrer Mahlzeit. Ächzend und von der Angst beflügelt schaffte Al es über den Rand des Abgrundes, fern von bösen Mischwesen, die ihm ans Leder wollten. Keuchend lag Al im kühlen Gras und sah sich den fröhlichen Himmel mit seinen flauschigen Wolken an. Er blickte zur Seite, weg vom Abgrund und sah ein Kornfeld, mit hohen Ähren. Langsam drang das Geschrei und Gebrüll des Wesens an sein Ohr. Sofort brach ihm wieder der Schweiß aus. Sein Gesicht nahm die Farbe von Kreide an. Das Geschrei kam näher und näher. Al ´s Herz begann schneller zu schlagen. Sein Puls raste. Er konnte sich genau vorstellen, wie sie mit ihren langen Schlangenkörper dem Licht näher raste, um ihr getürmtes Futter wiederzubekommen. Al begann vor Angst zu wimmern. Gleich würde sie zur Oberfläche steigen. Doch das Gebrüll riss abrupt ab, als hätte jemand einen Ausschaltknopf gedrückt. Al atmete hörbar aus. Überglücklich der Gefahr wieder entkommen zu sein. Sein Herz beruhigte sich wieder. Ihm fiel auf, dass er der Gefahr nicht entkommen war, noch nicht. Er bemühte sich aufzustehen, aber er konnte sich keine Zentimeter bewegen. Das schleimige Zeug schien ihm jede Bewegung unmöglich zumachen. Er bemühte sich stärker. Jedes Quäntchen seiner Willenskraft war bemüht den Körper in Bewegung zu setzen. Aber es ging nicht. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er noch immer schwitzte. Die Sonne brannte auf seiner Haut. Das grelle Licht ließ seine Augen fast erblinden. War die Sonne schon immer so heiß und grell gewesen? Al versuchte, seine Augen vor dem grellen Licht zu schützen, indem er sie mit der Hand abschirmte, aber die klebte fest. Er konnte nur den Kopf zur Seite neigen, um die Augen nicht verbrennen zu lassen. Mehrere Stunden lang lag er so da. Reglos und schwitzend. Er begann sich zu fragen, wie lange man brauchen würde, um ihn wieder einzufangen. Irgendetwas stimmte nicht. Man hätte ihn doch schon längst finden und zurück bringen müssen. Mit diesem Gedanken beschäftigte Al sich bis zur Dämmerung. Dann wurde es kühl und die Helligkeit erträglicher. Jemand stampfte durchs Gras. Al konnte ihn nicht sehen. Er befand sich außerhalb seines Blickfeldes. Jemand zog ihn in die Höhe. Es war der alte Mann, mit einem großen Messer in der Hand. „Willst du weg oder bei Mutter bleiben?“, fragte er düster. „Was?!“, fragte Al verwirrt. „Na, sag schon.“ Das Messer tanzte ungeduldig in der Hand des alten Mannes. „Äh … Weg?“ Mit einer schnellen Bewegung befreite der Mann Al aus seinem klebrigen Gefängnis. „Danke.“ Al wusste nicht, was er davon halten sollte. Zuerst versuchte dieser Kerl ihn an ein böses Halb-Frau-halb-Monster-Ding zu verfüttern, dann half er ihm bei der Flucht. Gerade als Al nach dem Grund fragen wollte, sagte der Mann: „Geh. Halt dich von der Sonne fern. Und stell keine dummen Fragen.“ Al war so überglücklich, dass er seine Fragen rasch vergaß und das Weite suchte. Endlich frei. Er suchte die nächste belebte Straße. Stolz und mit erhobenen Daumen trampte er nach alter Manier. Die Scheinwerfer eines Vans kamen ihm entgegen. Al ´s Augen mussten sich in der Höhle sehr stark an die Dunkelheit gewöhnt haben. Er konnte den Fahrer sehen, oder besser gesagte die Fahrerin. Ein Van voll mit schönen Frauen, er konnte sein Glück kaum fassen. Umso enttäuschter war er, als sie an ihm vorbeifuhren. Sehnsuchtsvoll sah er den Van hinterher und wünschte sich, an Bord zu sein. Kaum, dass er das Gedacht hatte, hielt der Van auch schon an. Grinsend lief er zur Fahrkarte, die ihm von diesem grausigen Ort bringen sollte und stieg ein. „Hallo, Mädels.“ Al sah sich wie ein ausgehungerter Wolf die Auswahl an. Er musste sich zusammenreißen, um nicht gleich loszuschreien. Jedes der Mädchen erfüllte seine Vorstellung einer schönen Frau mehr, als ausreichend. Er setzte sich in die Mitte. Alle sahen ihn musternd an. Al fragte sich, ob sie ihn als Psychopaten oder Durchschnittstypen einordneten. Er grinste jede breit an. Gerade wollte er sich seinen Rucksack zwischen die Beine klemmen, als ihm einfiel, dass sein Rucksack auf dem Laster des verrückten, alten Mannes war. Er blickte auf und grinste verlegen. Was sollte er machen? Sollte er etwas sagen, um das Eis zu brechen? „Wer bist du? Woher kommst?“, fragte die Fahrerin. Sie blickte abschätzend in den Rückspiegel. „Ich bin Al uuunnnnddd ich komm von überall her.“ Die Mädchen lachten. Er wusste zwar nicht worüber, aber sie lachten. Das Eis war gebrochen. Die Gruppe bestand aus einer Gruppe Frauen, die befreundet waren und zusammen Urlaub machten. Sie wollten in einem Wald in der Nähe zelten gehen. Al war herzlich eingeladen. Bei einem Lagerfeuer und etwas Stockbrot erzählte Al ein paar Anekdoten von seinen Reisen. Als er geendet hatte lachten alle. „ … Eine wahre Geschichte.“, sagte er noch. Sein Stockbrot war durch. Sein Magen knurrte gewaltig. Er biss ein Stückchen ab. Das Brot war noch heiß, aber er wollte vor den Frauen nicht als Weichei dastehen. Also schluckte er es schnell runter. Ein plötzlicher Hustenanfall überkam ihn. Ein Gefühl, dass Brot essen total falsch sei, durchdrang sein Gehirn. Er würgte das Essen hoch und kotzte es aus. Die Frauen wichen angewidert zurück. Eine klopfte ihm auf die Schulter. „Alles gut?“, fragte sie. Doch Al hörte sie nicht. Er hörte nur das Pulsieren ihres Blutes. Wie es durch ihre Adern fuhr. Das regelmäßige Schlagen ihres Herzens. Einen Instinkt folgend, der schon älter zu sein schien, als die Menschheit, biss er ihr in den Hals. Zuerst schrie sie vor Schmerz, dann wurde es ein Stöhnen. Die anderen konnten sich nicht von dem Anblick dieses Schauspiels abwenden. Irgendwann wurde sich Al bewusst, was er da tat. Sofort war sein Verstand wieder da. Er ließ von der Frau ab. Sie brach zusammen und lag keuchend da. Ihr Blick war abwesend. „Was hast du getan?“, fragte eine der Frauen, die zuerst die Sprache wiedergefunden hatte. Al stöhnte. Er wusste selber nicht, was da passiert war. Seine Zunge leckte das restliche Blut von seinen Lippen, ohne das er etwas dagegen unternehmen konnte. Er raufte sich die Haare. Entsetzt über sein Handeln, ging er einige Schritte zurück, dann ergriff er die Flucht. Panisch rannte er durch den Wald. Was war passiert? War er dem Grauen nur entkommen, um in die Hände eines anderen Schreckens zu gelangen? All diese Fragen schossen ihm durch den Kopf. Auf einmal hielt er inne. Er hatte keinen Hunger mehr. Aber wie? Das Blut! Man hatte ihn in einem Vampir verwandelt. Ein Schrei, wie er schmerzlicher nicht sein konnte, durchhallte die Nacht. Was sollte er nur machen. Zuerst sollte er von hier weg kommen und sich ein Versteck für den Tag suchen. Schneller, als er jemals gelaufen war, rannte er durch den Wald. Von dort auf die Straße. Nochmal zu trampen traute er sich nicht. Er wollte so etwas nicht noch einmal durchmachen. Dass er das Blut einer unschuldigen Frau getrunken hatte, war schon schlimm genug, aber etwas in ihm hatte daran Gefallen gefunden. Etwas Neues und ihm Unbekanntes gierte nach mehr Blut. Das Blut sollte in Strömen fließen. Al hörte aber nicht auf diese neue, monströse Seite in ihm. Egal was passierte, er wollte das nicht. Es war falsch und verstieß gegen jede Ethik und Regel, an die er glaubte. Gegen den Blutdurst ankämpfend erreichte er eine Autoraststelle. Taumelnd erreichte er den Empfang. Der Mann hinter dem Tresen schaute ihm aus glanzlosen Augen an. „Kann ich Ihnen behilflich sein.“, seine Stimme triefte vor Langeweile. „Ein Zimmer bitte.“, Al versuchte gegen die immer größer werdende Hitze, die der Blutdurst mit sich brachte anzukämpfen. „Ein Zimmer kostet fünfzig pro Nacht.“ Das hatte Al ganz vergessen, er hatte kein Geld bei sich. Nur noch ein einziges Mal, dann wäre Schluss damit. Er packte den Mann am Kragen und biss ihm in den Hals. Gierig sog er den roten Nektar aus ihm heraus. Er sog und sog. Die Adern trockneten aus. Eine nie gekannte Lust übermannte ihn. Das Herz hörte auf zu schlagen. Al ließ den Mann los. Die Leiche sackte auf den Stuhl zusammen. Verängstigt sah Al sich die Zimmerschlüssel an der Wand an. Er wollte keine weiteren Menschen in Gefahr bringen. Aber alle Schlüssel waren vorhanden. Also übernachtete zurzeit niemand hier. Das kam ihm gerade recht. Er entsorgte die Leiche in der Gefrierkühltruhe. Hastig verschloss und verrammelte er die Übernachtungsstätte. Er wollte nicht gestört werden. Hier würde er so lange bleiben, bis er wieder ein Mensch war. Er musste sich noch ein Zimmer aussuchen. Am besten eins mit Nordfenster. Je weniger Sonne desto besser. Al suchte ein dementsprechendes Zimmer aus. Das Zimmer verbarrikadierte er extra, vor der Sonne und vor einer möglichen Flucht. Al schnappte sich ein Kopfkissen und versteckte sich unterm Bett. Früher, als er klein gewesen war, hatte er das immer gemacht, wenn er sich schuldig fühlte oder es ihm nicht gut ging. In diesem Fall traf beides ein. Die Müdigkeit übermannte ihn. Der Schlaf war weder erholsam, noch ruhig. Unruhig träumte er von dem Wesen, das ihm zu dem gemacht hatte, was er nun war.

 

Er war wieder in dieser seltsamen Höhle. Die Schlangenfrau schlängelte sich um ihn herum. Sie schraubte sich in die Höhe und ab einem gewissen Punkt sank sie wieder. Al wurde davon ganz schwindelig. „Ah, mein jüngster Sohn stattet mir einen Besuch ab.“, sagte sie erfreut. „Was? Ich bin nicht dein Sohn.“, sagte er. „Doch bist du. Erinnerst du dich nicht mehr? Ich habe dich geschaffen.“ Al stellte die Frage, die ihn schon so lange quälte. „Warum?“ „Warum?“, wiederholte das Wesen erstaunt. „Wie soll ich es dir erklären?“, fragte sie sich. „Ich bin ein Monster. Aber nicht nur irgendein eins. Ich bin Lilith, die Mutter aller Kreaturen der Finsternis. Mein Biss verwandelt jene, die würdig sind in Ungeheuer. Ganz verschiedene, versteht sich. Eigentlich wollte ich dich fressen, aber du bist geflohen. Dadurch konnte ich mein Mahl nicht beenden, als ich die Gelegenheit hatte, bevor der Segen bei dir Wirkung zeigte.“ „Warum frisst du mich nicht jetzt?“ Lilith schien entsetzt zu sein. „Aber, aber. Eine Mutter würde ihre Kinder doch niemals fressen. Stattdessen schickte ich dir meinen Diener nach. Er sollte dich befreien und vor die Wahl stellen.“ „Ob ich gehe oder bleibe.“ Lilith nickte anerkennend. „Richtig. Wenn du bei mir bleibst, würdest du mit deinen Geschwistern glücklich bis in alle Ewigkeiten leben. Aber wenn du in die Welt hinausziehst, bleibt dir nur die Vernichtung.“ „Was redest du da?“ Lilith schüttelte mit dem Kopf. „Ach, mein lieber, lieber Al. Bis jetzt sind noch alle meine Kinder zurückgekommen, denn sonst hätten sie die Menschen schon vor langer Zeit vernichtet.“

 

Al schlug die Augen auf. „Woher weißt du meinen Namen?“, fragte er in den leeren Raum hinein. Vorsichtig lugte er unter dem Bett hervor. Es war still. Das war er nicht gewohnt. Er war den Lärm der Straßen, des Waldes oder den der Stadt gewöhnt, aber nicht den Lärm der Stille. Er würde sich schon noch daran gewöhnen. Genug Zeit hatte er. Ein einzelner Lichtstrahl durchbrach die Dunkelheit des Zimmers. Es schien durch ein Loch im Holz zu kommen. Al fragte sich, ob er wirklich im Sonnenlicht verbrannte. Vorsichtig hielt er die Hand in den Strahl. Er schrie gellend auf. Sofort zog er die Hand aus dem hellen Todesstrahl zurück. Er starrte auf das Loch in der Hand. Es sah schlimm aus. So eine schlimme Verbrennung hatte er noch nie gesehen. Aber seine Heilungskräfte waren nun ausgeprägter. Das Loch begann sich bereits zu schließen. „Wow.“, war alles was er dazu sagen konnte. Inzwischen hatten seine Fingernägel sich schwarz verfärbt und eine krallenähnliche Länge erreicht. Den Rest des Tages verbrachte er damit Löcher in die Luft zu starren und nicht an die Hitze oder den Hunger zu denken. Das ganze ging bis zur Abenddämmerung. Al schreckte aus seiner Starre hoch, als es unten krachte. Etwas hatte die verbarrikadierte Tür eingetreten. Al kroch zurück unters Bett und wünschte sich weg. Inständig hoffte er, dass er, sie, es oder was es auch immer war, verschwand, ohne ihn zu stören. Als ihm dieser Gedanke kam, wurde seine monströse Seite hellwach. Sie schrie nach Blut und Tod. Sie wollte raus. Raus aus ihrem Gefängnis. Etwas machte sich an der Tür zu schaffen. Al blieb ganz ruhig. Vor Angst konnte er sich weder bewegen, noch etwas sagen, geschweige denn schreien. Die Tür wurde aus den Angeln gerissen und der Geräuschkulisse nach, weggeschleudert. Die Person trug Stöckelschuhe. Al erkannte sie an ihren Klang. Jetzt waren sie auch in seinem Blickfeld. Die Person begann die Nase zu rümpfen. Sie witterte. Langsam ging sie in die Knie. Ihre Züge schoben sich in Al´s Gesichtsfeld. Es war die junge Frau, die er ausgesaugt hatte. Sie wirkte unnatürlich Blass. Und sie schien auch stärker geworden zu sein. „Hallo, Meister.“, sagte sie ehrerbietend. „M-M-Meister?“, stotterte Al. Jetzt begann Al zu verstehen. Er hatte einen Vampir erschaffen. Jetzt würde sie den Fluch auf andere übertragen. Und die würden ihn wiederum auf andere übertragen und so weiter und so fort. Das alles war ganz allein seine Schuld. Wie hatte er sich nur dem Durst ergeben können? „Kommt doch unter dem Bett hervor. Sonst kriege ich noch einen steifen Rücken.“ Al tat wie ihm geheißen. Erschöpft und das Kissen immer noch in den Armen haltend, ließ er sich aufs Bett fallen. „Ich habe euch überall gesucht.“, sagte die Vampirin. „Es tut mir leid.“, Al begann vor Selbstmitleid zu zerfließen. „Aber warum denn?“ Die Frau schien noch gar nicht begriffen zu haben, was da passiert war. „I-Ich habe dich zu diesen Ding gemacht.“ „Ach das. Dafür wollte ich mich nochmal bedanken. Der Kuss fühlte sich echt toll an. Und erst das jetzt.“, sie blickte an sich hinab. „Ich fühle mich besser, als jemals zuvor in meinen Leben. Aber ich fühlte auch, dass ihr mich braucht. Ich fühle, dass wir miteinander verbunden sind. Ihr seid der Meister und ich Eure ergebene Dienerin.“ „Bist du gar nicht sauer auf mich?“ „Nein. Alles ist toll.“ Erst jetzt begann eine wichtige Erkenntnis in Al aufzukeimen. Alles war gut, sogar besser seit dieser Sache. Aber das Selbstmitleid hatte ihm diese Erkenntnis verwehrt. Er war ein Monster. Daran konnte er nichts ändern. Warum sich also dagegen wehren? Warum es nicht einfach genießen? Al stand auf. Wie ein Adler, der sich in die Lüfte erhob, stand er auf. „Komm. Lass uns gemeinsam durch die Nacht wandern. Lass uns Tod und Chaos bringen.“ „Was immer ihr wollt, Meister.“ Al hatte seine Vergangenheit hinter sich gelassen. Er war nun ein neuer, unbesiegbarer Al. Nichts würde ihn aufhalten. Auf dem Parkplatz wartete der Van der Frau. „Was ist aus deinen Freundinnen geworden?“, fragte Al. „Ach die. Die habe ich ausgesaugt. Gleich nachdem du mich zerstört und neu geschaffen hattest, habe ich von ihnen getrunken. Aber ich spürte, dass Ihr hungrig seid und deshalb“, sie öffnete den Kofferraum. „habe ich diese hier am Leben gelassen.“ Eine der jungen Frauen lag gefesselt und geknebelt im Kofferraum. Al fragte sich nicht, wer sie war. Es war ihm egal. Wie ein Raubtier stürzte er sich auf die arme Frau. Sie schrie auf, aber durch den Knebel kam es nur gedämpft heraus. Das Schreien ging über in ein Stöhnen. Sie genoss es ausgesaugt zu werden. Genau wie er es genoss, von ihr zu kosten. Aber er würde sie bis auf den letzten Tropfen aussaugen. Der neue Al kannte weder Mitgefühl, noch Mitleid.

 

Die beiden fuhren mit dem Van in die nächste Stadt. Alles Weitere würde sich noch ergeben. „Wo willst du hin?“, fragte Al seine neue Freundin Chesty. „Irgendwo, wo es viel Blut gibt und dunkel ist.“ Die beiden fuhren gerade an einer Disco vorbei. „Treffer.“, sagte Al. Die beiden gingen rein. Nichts würde sie aufhalten. Die beiden mischten sich unters Vieh. Sie waren die Jäger, die das ahnungslose Beutetier belauerten. „Wir sollten uns trennen. Einzeln fallen wir weniger auf.“, meinte Al. Chesty tat es. Sie gehorchte Al bedingungslos. Er war ihr Schöpfer. Ihr Meister. Sein Wort war Gesetz. Die beiden stellten sich in zwei verschiedenen Ecken des Raumes auf. Al ließ seinen Blick über die Auswahl schweifen. Was wollte er? Etwas Wildes? Etwas Zurückhaltendes? Oder doch etwas Verrücktes? Schließlich fand sein Blick die perfekte Beute. Ein Mädchen umringt von jungen Männern. Dieses Mädchen wollte Al haben. Dieses und kein anderes- zumindest vorerst. Seine Blicke durchbohrten sie. Das Mädchen spürte seine Blicke und schaute in seine Richtung. In ihren Zügen las Al eine eigenartige Faszination für ihn. Sie schien sich in seinen schwarzen Augen zu verlieren. Alle anderen Männer waren vergessen und existierten nicht mehr. Er stand über ihnen. Das Mädchen trat näher. Die anderen Jungs versuchten sie vom Kurs ins unvermeidliche abzubringen. Ihre Bemühungen aber schlugen kläglich fehl. Sie begab sich in die Arme des Todes und der Tod umarmte sie mit seinem blutigen Kuss. Der brennende Hunger wurde erträglicher, als Al ihr Blut schmeckte. Jeder Schluck zähmte das wilde Tier in ihm. Auf der anderen Seite sah er Chesty. Sie hatte sich für etwas Muskulöseres entschieden. Ihr schien es genauso zu ergehen wie ihm. Die Beute und der Jäger genossen ihre Ektase. Schließlich hörte das Herz des Mädchens auf zu schlagen. Al ließ sie achtlos zu Boden sinken. Es war Zeit für ein weiteres Opfer. Sein Hunger war noch nicht erloschen. Es würde noch viele weitere Beutetiere brauchen, um ihn zu stillen. Al und Chesty machten immer weiter. Die Zahl der Tänzer nahm ab. Die Beutetiere merkten erst die Gefahr, als es zu spät war. Die letzten Verbliebenen versuchten zu türmen, aber die beiden Vampire schlachteten sie achtlos und blutig ab. Als niemand in der Disco mehr am Leben war, sahen sich die beiden an. Sie waren über und über mit Blut beschmiert. Ihre gierigen Blicken zogen den jeweils anderen aus. Sie fielen sich in die Arme. Leckten sich gegenseitig das Blut von der Kleidung. Liebten sich auf den Boden. Es war genauso überirdisch wie sie selbst. Beide spürten das Leben und den Tod, der in beiden steckte. Nachdem sie wieder Herr über ihre Sinne waren, gingen sie zum Van. Die Tür zum Kofferraum stand weit offen. Von der Leiche fehlte jede Spur. „Da scheint wohl jemand wieder aufgestanden zu sein.“, bemerkte Al. „Ich hasse sie!“, fauchte Chesty. „Ich sollte die einzige Schöpfung von dir sein. Liebst du mich etwa nicht mehr?“, fragte sie mit einer dicken Schmolllippe. „Natürlich. Du bist meine erste und einzige. Eine andere will ich nicht. Aber ich habe nun mal den Fluch auf andere übertragen. Ich hatte Hunger. Das darfst du nicht persönlich nehmen. Du hattest schließlich auch andere.“ „Ja, aber das ist nicht dasselbe.“, schmollte sie weiter. „Hey, komm. Wenn du sie wiedertriffst, kannst du sie töten. Wie wär´s?“ Chesty klatschte freudig in die Hände. „Ja. Ja. Darf ich sie vielleicht als Schoßtierchen behalten?“ „Mal sehen.“, sagte Al. Ihm gefiel diese neue Art zu leben immer mehr. Er begann sogar damit, Lilith im Geiste dafür zu danken, dass sie ihm dieses Geschenk gemacht hatte. Al blickte zum Himmel und schätzte den Stand der Zeit. Die Sonne würde bald wieder auf diese Welt scheinen. Die beiden mussten sich verstecken. Al kam auch schon eine Idee. Er sah weit entfernt einen kleinen LKW, ohne Fahrer. Die Tür zum Laderaum stand weit offen und er schien auch leer zu sein. „Lass uns im Laderaum den Tag verbringen.“ Chesty begann mit einer Haarsträhne zu spielen. „Werden wir darin auch schmutzige Dinge tun?“ „Kommt ganz drauf an, wie artig du warst.“, sagte Al grinsend. Schnell huschte Chesty in den Laderaum. Al hinterher. Er schaute sich verschwörerisch um. Niemand durfte wissen, dass sie hier drin waren. Die Türen schlossen sich und schlossen auch gleichzeitig den Tag aus. Im inneren ging es dann erst so wirklich zur Sache.

 

Mitten in ihrem Spielchen, ging ein heftiger Ruck durch den LKW. „Oh, nein. Werden wir jetzt abgeschleppt?“, fragte Al. „Warum nicht? Vielleicht wird es ja noch ganz lustig. Und jetzt komm rüber, damit ich dich abschleppen kann.“ Als es Nacht wurde, schielte Al durch den Spalt in der Tür. Es war niemand zu sehen. Vorsichtig öffnete der Vampir die Tür. „Warum so zimperlich?“, fragte Chesty. „Denk doch mal nach. Wenn die Beute weiß, dass sie gejagt wird, wird es schwierig werden, an Blut ranzukommen. Du könntest natürlich auf das Blut verzichten, wenn du willst.“ Chesty artikulierte wild mit den Armen. „Nein, nein. Nicht nötig.“ „Na, siehst ´e.“, meinte Al. Auf dem Parkplatz standen dutzende LKW ´s. Zwischen den Reihen gingen Wachleute mit ihren Hunden. „Wie wär´s mit einem Appetithäppchen?“, fragte Al. Die beiden schlichen geduckt zwischen den LKW ´s umher. Stets im Schatten. Die Wachleute merkten nicht einmal, wie sie dezimiert wurden. Selbst der letzte von ihnen starb, ohne sich der Gefahr bewusst zu sein. Blutverschmiert schlichen die beiden Vampire zum Tor. Ihre Krallen machten kurzen Prozess mit dem rostigen Stacheldrahtzaun. Die beiden gingen weiter. Sie wollten in belebtere Teile der Stadt, wo der Tisch reichlich für sie gedeckt war. Al entschied sich für eine Einkaufsmeile. Inzwischen spürte er die Gegenwart von anderen Jägern. Es waren die Menschen, die sie bereits ausgesaugt hatten. Jetzt waren sie genau wie sie. Sie versteckten sich in der Menge, doch vor ihrem Schöpfer konnten sie sich nicht verbergen. Ob sie sich seiner Gegenwart bewusst waren? Sie waren schwächere, niedere Vampire, als Chesty und Al, soviel wusste er. Sie wussten weder was sie waren, noch was sie in der Menge sollten. Wann die Niederen wohl begriffen, dass sie das Vieh erlegen und aussaugen sollten? Al ging mit Chesty an den Rand der Straße. Es konnte spannend werden, zu sehen, wie andere ihre Beute erlegten. Chesty schien seine Neugierde nicht zu teilen. Sie wurde immer unruhiger und angespannter. Al gab ihr mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie sich zu gedulden hatte. Aber eine gewisse Unruhe machte sich auch in ihm breit. Wann würde endlich einer von den Niederen die Initiative ergreifen? Schließlich verdrehte Al genervt die Augen. Seine Geduld war am Ende. Er würde den Niederen zeigen was sie zu tun hatten. Inzwischen wusste er, wie er sich vor den anderen verbergen konnte. Aber das war inzwischen unnötig. Er suchte einen geeigneten Platz, an dem ihn alle sehen konnten. Hastig schnappte er sich irgendeinen Menschen und saugte ihn aus. Die anderen Jäger erkannten, dass er der Ursprung ihrer Rasse war. Die Menschen aber waren viel zu sehr mit ihren eigenen Kram beschäftigt. Sie bemerkten nicht, wie dutzende von Jäger sich zu erkennen gaben und irgendwelche Menschen vor ihren Augen aussaugen. Chesty tat es ihnen gleich. Al ´s Augen glommen freudig auf. Endlich hatten sie begriffen. Er saugte sein Opfer bis auf den letzten Tropfen aus. Hastig zog er den Leichnam in eine dunkle Gasse und entsorgte ihn in einer Mülltonne. Bis zu seinem oder ihrem Erwachen sollte die Leiche keiner sehen. Drängelnd winkte Al Chesty her, die gerade von einem Kleinkind trank. Al wollte weiter und die Niederen sich selbst überlassen. Sollten sie doch selbst herausfinden, was sie konnten und was nicht. Al war es egal. Ihm war nur noch eines wichtig. Blut. Blut war sein Leben. Seine Leidenschaft. Sein Antrieb. Ohne Blut wäre sein Leben sinnlos. Er würde alles für den nächsten Schluck tun. Wenn er über Leichen gehen musste, um einen Tropfen Blut zu erlangen, würde er es ohne Bedingung tun.

 

Drei Wochen später. Al ging es gut. Inzwischen hatten die Menschen von ihren nächtlichen Jägern erfahren, aber das machte nichts. Keiner war vor den Kindern der Nacht, wie sich inzwischen selbst nannten, sicher. Die Vampire hatten einen Nachtclub erwählt, der sowohl Treffpunkt, als auch Schutz vor der Sonne war. Das Beste aber war, dass Al ihr Anführer war. Er wusste am besten mit seinen Fähigkeiten umzugehen. Einige waren so dumm gewesen, ihn herauszufordern. Jetzt lagen sie in Käfigen und wurden ab und an gequält. Al saß auf einem bequemen Sessel, der sein Thron war und sah von einer erhöhten Position aus, wie seine Kinder sich bekämpften, betranken und zankten. Er stand über allem. Wenn ihm etwas missfiel, wurde es sofort beseitigt. Mit jedem Tag kamen mehr Kinder zur Welt. Bald würde die Stadt komplett ausgesaugt sein, dann würden sie wie ein Heuschreckenschwarm weiterziehen und alles aussaugen, was ihnen in die Quere kam. Al würde den Weg des Trampers nehmen und sich von seinen Kindern abkapseln. Aber trotzdem beanspruchte er die größten und besten Stücke. Eine Vampirin betrat den Club. Obwohl sie hier zum ersten Mal war, kam sie Al bekannt vor. Er bemerkte, wie Chesty, die auf seinen Schoß saß, die Hände in der Lehne verkrallte. „Ach, du bist das.“ Jetzt fiel ihm wieder ein, wer sie war. Es war die Frau gewesen, die ihm Chesty zum Geschenk gemacht hatte und die aus dem Van geflohen war. Jetzt war sie zurück. Was sie wohl wollte? „Erinnerst du dich noch an mich?“ Al nickte erhaben. Er wollte sich selbst etwas Mystisches verleihen. „Dann weißt du auch warum ich hier bin. Schließlich verehren dich manche von uns als Gott.“ Al schwieg. So sehr es ihm auch schwerfiel, er musste das Mystische aufrecht erhalten. „Ich will an deine Seite. Du hast mich erschaffen. Deshalb gebührt mir das Recht, deine Mätresse zu sein. Und ich will dieses Miststück, das mich wie ein Tier in den Kofferraum eingesperrt hat in der Luft zerreißen.“ Jetzt fiel Al doch die Kinnlade herunter. Er hatte mit einem Zweikampf gerechnet, aber nicht mit sowas. Chesty war fuchsteufelswild. Sie sprang von seinem Schoß und stieg zu der Herausforderin runter. Inzwischen war es ruhig im Club geworden. Jeder wollte wissen, wie ihr Anführer darauf reagierte und wer von den beiden dann frei wurde. Al musste zugeben, dass die beiden Vampirinnen nicht von schlechten Eltern waren. „Du?! Warum sollte er dich nehmen? Er hat mich zuerst erschaffen.“, fauchte Chesty. „Er hat dich vor mir geschaffen, dass stimmt, aber er muss deiner schnell überdrüssig geworden sein, sonst wäre ich nicht von ihm erwählt worden.“ „Ein Kampf wird entscheiden, wer von euch beiden an meine Seite gehört.“, mischte sich Al ein. Die beiden nickten ihm einverstanden zu. Die anderen Vampire bildeten einen Kreis. Die beiden Frauen erhoben kampfbereit die Fäuste. Al lehnte sich zurück und genoss die Show. Die Hände faltete er zusammen. Er schaute sich die beiden genau an und suchte ihre Vorzüge. Die neue war dunkelhäutig, weshalb sie nicht so blass wie andere Vampire war und hatte einen größeren Vorbau. Aber Chesty war seine erste und ihr Hintern war auch nicht schlecht. Die beiden kämpften. Al achtete nicht weiter auf sie. Der Kampf war ihm, im Gegensatz zur johlenden Menge, egal. Ihn interessierte mehr die Siegerin. Während sein Blick durch den Saal schweifte, mit seinen Käfigen, in denen sowohl Vampire, als auch Menschen waren, und den ausgesaugten Leichen, fiel sein Augenmerk auf ein weiteres neues Gesicht, das ihm seltsam erschien. Es war ein Mann, mit einer Skimaske. Al konnte es sich nicht erklären, aber etwas stimmte mit dem Kerl nicht. Er war weder Vampir, noch Mensch. Er war etwas vollkommen anderes. Inzwischen hatte der Krach seinen Höhepunkt erreicht. Eine von beiden hob siegreich die Arme in die Luft, während die andere mit dem Gesicht auf den blutbesudelten Boden lag. Al stand auf und stieg zu dem gewöhnlichen Volk hinunter. Er packte die Verliererin am Kinn, zog sie hoch und entriss ihr das tote Herz, nur um es dann vor seinen entsetzten Kindern zu fressen. Obwohl Al ein abgebrühtes Monster war, wollte er einen Teil von Chesty doch immer bei sich wissen. „Schade um deinen hübschen Arsch.“, murmelte er zu sich selbst. Lächelnd ging er zur Siegerin. „Herzlichen Glückwunsch, Chesty.“ Die andere wollte Einwände erheben. „Aber ich heiße gar nicht …“ Al hielt ihr den Zeigefinger an die Lippen. „Ah-Ah. Du willst mir doch nicht wiedersprechen?“, obwohl die Worte freundlich klangen, lag in ihnen eine nicht misszuverstehende Drohung. Er nahm sie bei der Hand und führte sie zu seinem Thron. Mit einer Handgeste bat er sie auf der Lehne Platz zu nehmen. Sie tat wie geheißen. Inzwischen hatte sich die Situation wieder normalisiert. Menschen, wie Vampire schrieen zu dem Beat der Lautsprecher. Menschen stöhnten ekstatisch. Durch die Menge bewegte sich unauffällig der Mann, mit der Skimaske. Er stieg auf die Erhöhung. Normalerweise war dies nur mit Al ´s Einwilligung erlaubt, aber bei diesem Kerl machte er eine Ausnahme. „Ich muss dich sprechen, Al.“, war alles was er sagte. „Gut, lass uns Backstage unter zwei Augen reden.“ Al war eingefallen, was ihm nicht gefallen hatte. Dem Kerl haftete der Geruch von Lilith an. Es war besser ihn weites gehend in Frieden zu lassen. Al hatte immer noch eine tierische Angst vor seiner Schöpferin, auch wenn er es nicht zugeben würde. Backstage unterhielten sich die beiden ungestört. „Worum geht’s?“, fragte Al. „Ich bin hier, um dich nach Hause zu bringen.“ „Nach Hause?“, fragte Al verwirrt. „Ja. Nach Hause, zu unseren Geschwistern. Du hattest nun lange genug deinen Spaß. Mutter sehnt sich nach dir.“ „Und was willst du jetzt tun? Mich verschleppen?“ „Ich habe es auf die höfliche Weise versucht, aber ich kann auch anders.“ „Verpiss dich. Ich habe genügend Diener, um dich zu erledigen.“ „Ich gehe. Aber glaub bloß nicht, dass das alles war.“, sagte der Maskentyp. „Hey warte mal, ich muss dich was fragen.“ Der Kerl hielt inne. „Als ich zum ersten Mal bei ihr war, hat irgend so ein alter Sack, an ihren Möpsen rumgenuckelt und ich frage mich, warum.“ „Das war ihr Diener. In ihren Brüsten ist ein starkes Aphrodisiakum, das süchtig macht. Es ist in etwa mit eurem Blutsaugen zu vergleichen. Es garantiert seine Treue, macht ihn unsterblich und stark.“ Damit ging der Kerl.

 

Wochenlang passierte nichts. Doch dann tauchten sie auf und das massenweise. Die Streitkräfte der Menschen wollten den Vampiren die Party vermiesen. Aber die gaben nicht kampflos auf. Sie verteidigten sich mit allem was sie hatten. Der Kampf tobte auf den Straßen. Helikopter durchstreiften den Nachthimmel. Menschen kämpften mit großkalibrigen Waffen gegen die Untoten. In all diesen Trubel spazierte Al mit seiner neuen Chesty umher. Leider passte sie nicht gut genug auf. Ein Schuss von der Seite zerstörte ihren Schädel und ihr ganzer Körper zerfiel zu Asche. Al machte das nichts, es würde noch andere Chestys geben. Aber dann passierte es. Plötzlich wurde es dunkel. Jemand hatte Al einen Sack aus groben Leinen übergestülpt. Er versuchte sich daraus zu befreien, konnte sich aber nicht bewegen. Jemand nahm ihn huckepack und verschleppte ihn aus der Stadt. Er wusste nicht wie lange der Fußmarsch ging. Grob wurde er auf irgendeinen harten Untergrund geworfen. „Gab es irgendwelche Probleme?“, fragte die Stimme, die dem Alten gehörte. Al ´s Augen weiteten sich vor erstaunen. Was ging hier vor? „Nein, keine. Er ging übers Schlachtfeld. Die Soldaten haben wie geplant damit begonnen, die neue Rasse auszulöschen.“ Das Knirschen von Schuhen im Sand ertönte. Fahrtüren wurden zugeschlagen und die Fahrt begann. Wieder wusste Al nicht wie lange sie fuhren, aber am Ende wurde er wieder huckepack genommen und irgendeinen Schacht hinuntergeworfen. Unten angekommen, hörte er eine Stimme in seinem Kopf. Endlich ist der verschollene Sohn zurückgekehrt. Es war Lilith! Al hatte eine wage Ahnung, wo er sich befand. Endlich konnte er sich aus dem Sack befreien. Er war in einer dunklen Höhle. Zusammen mit anderen Kreaturen, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Das waren dann wohl seine Geschwister. Entschuldige, aber ich konnte dich nicht weiter ziehen lassen. Ich habe mich nach dir gesehnt. Und hätte ich dich nicht zurückgebracht, hätten dich diese bösen Menschen getötet. Ihre Stimme hallte weiter durch seinen Kopf. Al hörte nicht zu. Er starrte das Rohr hinauf. Von hier aus konnte er den Nachthimmel mit all seinen Sternen sehen. Eines Tages, dass schwor er sich, würde er von hier abhauen. Er würde sich wieder an den Fahrbahnrand stellen und den Daumen raushalten. Er war ein Tramper. Das war gleich nach Blut seine größte Sehnsucht. „Eines Tages werde ich wieder die Welt unsicher machen.“, schwor er sich selbst, während Lilith mit ihrer Predig fortfuhr.

 

 

The End

Grim Reaper

Das Dead Crow war der beliebteste Gothic Nachtclub der Stadt. Den Gruftis gefiel der Club, der einst eine Kathedrale gewesen war. Da Rauchen im Club strengstens verboten war, mussten die Qualmer nach draußen auf den Friedhof gehen. Die Leichen waren natürlich umgebettet worden. Und auf den Grabsteinen standen bloß Namen von Bands wie E Nomine, Cradle of Filth, Lacuna Coil und andere. Der Friedhof war mit Trauerweiden dekoriert worden. Auf ihnen saßen unechte Krähen, was den Ort noch unheimlicher machte. Die Gruftis jedoch sprach es an. Jack beobachtete von seinem Geländer, das an der Wand befestigt war, und zu seiner Bude, direkt über dem Club führte, auf die Tanzfläche. Eine Krähe saß auf seiner Schulter. ,,Dann wollen wir uns mal auf die Tanzfläche begeben, nicht wahr, Alice?“, sagte er zur Krähe. Er stieg hinab und begann sich unter die Besucher zu mischen. Jack ging zum Barkeeper. ,,Einmal das übliche, Bruno.“, sagte er zum beleibten Barkeeper. Sein Wanst bebte bei jeder Bewegung, wie Wackelpudding. Er brachte Jack seinem Lieblingsdrink, Dead Man. Ein hochprozentiges Zeug, das nicht nur Gehirnzellen abtöten, sondern auch Brände legen konnte. Jack trank ihn in nur einen Schluck aus, ohne eine Miene zu verziehen. Die meisten Leute die diesen Drink hinter sich hatten brachen wegen des brennenden Rachens zusammen oder kippten einfach bewusstlos um, doch Jack war den brennenden Geschmack gewöhnt und konnte gegen die drohende Ohnmacht ankämpfen. ,,Da ist wieder eine Verehrerin, Bruderherz.“, sagte Alice spöttisch. Jack drehte sich um. Das Mädchen war vollkommen in schwarz gekleidet und weiß geschminkt. Zwei Zöpfe standen von ihren Kopf ab, was ihr etwas Mädchenhaftes gab. ,,Hey, Süßer, Lust auf ´ne Runde?“ ,,Nein, danke.“, entgegnete Jack höflich, aber doch bestimmend zurück. ,,Ich muss heute Nacht noch Arbeiten und bin bloß wegen dieses Drinks runtergekommen.“ ,,Schade.“ Enttäuscht zog sie sich zurück. Jack konnte der Versuchung nicht wiederstehen ihr auf den Arsch zu glotzen. „Gott, kannst du dich nicht einmal zurückhalten, du perverses Schwein.“, wies die angebliche Krähe Jack in die Schranken. Das war einer dieser Augenblicke, wo Jack es hasste, dass Alice durch seine Augen sehen konnte. Er wollte ihr eine bissige Beleidigung zurückgeben, verschob es aber auf Später, wenn sie alleine waren. Schlendernd ging Jack zurück in sein Büro, wo sein Gast ihn geduldig erwartete. Er saß zurückgesunken in einen Sessel. ,,Also, wo waren wir stehen geblieben?“, fragte Jack. Vor ihm saß ein Straßenpenner oder besser gesagt, der Geist eines Straßenpenners. ,,Ich sollte die Katze aus dem Sack lassen.“, nahm der Penner den Faden wieder auf. ,,Ach, ja richtig. Was war denn so wichtig, dass du mich aufsuchen musstest? Du weißt, der Grim Reaper ist tot. Ich stehe der Geisterwelt somit nicht mehr zur Verfügung.“ ,,Ja, ja, ja. Das weiß ich natürlich alles, aber die Medien und die Menschen auf der Straße sprechen von deiner Rückkehr, deshalb dachte ich, dass du aus dem Ruhestand zurückgekehrt wärst.“ ,,Nein.“, entgegnete Jack geschäftlich. ,,Ich habe die Mörder von Alice gerächt. Deshalb brauche ich auch nicht mehr die Unterwelt aufzumischen.“ ,,Aber irgendjemand löscht ein Syndikat nach dem anderen aus. Und wenn du es nicht bist, wer dann?“ ,,Das ist nicht meine Sorge.“, entgegnete Jack kalt. ,,Alice, Bruno und ich leben ein glückliches Leben. Das Geschäft floriert. Wann soll ich all die Menschen umgebracht haben? Welcher Geist könnte mich dazu überredet haben, meinen alten Lebensstil wieder aufzunehmen? Nachts Vergewaltigern, Mördern und anderen zwielichtigen Gestalten durch die Straßen nachzujagen, damit ruhelose Geister ohne schweres Gewissen auf die andere Seite übersetzen können, dass alles liegt schon lange hinter mir. Na gut, ab und an vermisse ich die alten Zeiten, aber dann denke ich daran, … ach ich brauch mich nicht vor dir zu rechtfertigen. Der Grim Reaper ist tot. Buster. Aus die Maus. Sense.“ Jack hatte angefangen sich in Rage zu reden. „Beruhige dich!“, sagte Alice ruhig, aber doch mit einem Anflug von Eindringlichkeit. ,,Die Geister der Stadt verschwinden einfach. Es braut sich etwas Großes am Firmament zusammen.“, prophezeite der Geist. ,,Soll sich ein anderer darum kümmern. Ich bin aus dem Geschäft raus. Es gibt in der Stadt bestimmt ein anderes Medium, dass dir helfen kann.“ Niedergeschlagen schwebte der Geist aus dem Raum. Als er gegangen war, geiferte Alice sofort los. ,,Das war mal wieder unmöglich von dir! Du hättest auch freundlicher zu dem armen Kerl sein können.“ ,,Ach, lass mich doch in Ruhe.“, giftete Jack zurück. ,,Mach einen Rundflug durch die Stadt, aber lass mich verdammt noch mal in Ruhe.“ ,,Du gehst zu der kleinen von vorhin, nicht wahr?“, sagte Alice feixend. ,,Das geht dich ´nen Scheißdreck an.“, sagte Jack, bevor er die Tür zuknallte. Als er raus trat stand auch schon das Mädchen von eben vor ihm. ,,Mit wem hast du gerade geredet?“, fragte sie verwundert. Jack stöhnte innerlich. Auch das noch. Lästige Fragen. ,,Mit mir selbst.“, log er ohne rot zu werden. Wer würde ihm schon glauben, dass er mit dem Geist seiner toten Zwillingsschwester geredet hatte, die es sich in dem Körper einer Krähe bequem gemacht hatte? ,,Du bist schon seltsam.“ Die junge Frau ließ nicht durchblicken, was sie dachte. „Wollen wir tanzen?“, fragte Jack, um das Thema zu wechseln. Die Frau willigte sofort ein. ,,Na klar.“ Jack hielt ihr die Hand zum Gruß hin. ,,Jack.“ Sie schlug ein. ,,Mary“ Auf der Tanzfläche sah Jack Sam. Der nickte ihm kurz zu und ging in den Keller. Mit einem kleinen Obolus konnte man dort krumme Dinger drehen. Jack wusste nicht, was Sam dort machte. Solange er den Dreck wieder weg machte, war es ihm auch egal. Er wusste von nichts und Sam war niemals hier gewesen. Jack und Mary gingen nach einem Tanz zur Bar. „Soll ich dir einen ausgeben?“, schrie Jack über den Lärm der Musik hinweg. ,,Ja, aber etwas alkoholfreies. Ich muss noch fahren.“ Jack spürte, dass sie log. Was hatte sie zu verbergen? Das wird eine laaaannnnnge Nacht, dachte Jack gedehnt. ,,Wo ist eigentlich dein Hühnchen, dass du vorhin auf der Schulter hattest?“, fragte Mary. ,,Ich habe sie zurück in den Käfig gesperrt.“, schrie Jack. ,,Das war ein echter Vogel?! Wie heißt er denn?“ ,,Sie heißt Alice. Habe sie nach meiner Schwester getauft.“ Mary nickte vielsagend. ,,Ach, ja, deine Zwillingsschwester, sie war die Kronzeugin gegen den Boss eines Drogensyndikats. Sie kam nie im Gerichtssaal an.“ Das machte Jack misstrauisch. Woher wusste sie von Alice? Wusste sie auch, dass ihr Geist in eine Krähe gefahren war? Man musste Jack angesehen haben, dass er stutzte, denn Mary schaute verlegen drein. ,,Meine Eltern sind ebenfalls Opfer der Drogenszene gewesen. Mein Vater war einem Maulwurf in den oberen Reihen der Polizei auf der Spur gewesen. Er war ihm dicht auf den Fersen. Deshalb hat man ihn beseitigt.“ Sie versuchte abzulenken. Jacks Blicke spießten sie förmlich auf. Wusste sie von seiner zweiten Identität? War sie sich bewusst, dass sie vor Grim Reaper, dem Sensenmann der Unterwelt stand? Die Geräuschkulisse verebbte kurz. Es war die Pause zwischen dem Ende und dem Anfang eines neuen Liedes. Genau in dem Augenblick hörte man Schüsse. Sie kamen aus dem Keller in dem Sam gegangen war. Jack wollte schon nachsehen, als Mary ihn am Arm festhielt. ,,Ich übernehme das.“, sagte sie und zeigte ihre Polizeimarke. Jacks Herz schlug schneller. War er aufgeflogen. Es wäre klüger jetzt still zu sein. Durch seine in ihm aufsteigende Nervosität, konnte er sich nur allzu leicht verplappern. Mary ging zur Tür. Jack war direkt hinter ihr. Im Keller lagen zehn Leichen. Alle mit zertrümmerten Schädeln. Blut breitete sich auf den Boden aus. Auf einem runden Tisch lagen Plastikbeutel, mit allerlei Pulvern und Gräsern. Jack erkannte nun Sams Methode, seine Klienten diskret in den Keller zu bringen. Wenn er nicht gemietet war, war die Tür abgeschlossen. Aber wenn er gemietet war, konnte jeder herein. Also waren die Kunden von Zeit zu Zeit in den Keller gegangen. Aber wer hatte sie umgebracht. Ein gewöhnlicher Mensch war es auf keinen Fall gewesen. Jack sah die vielen Patronenhülsen auf den Boden. Es musste eine Schießerei gegeben haben. Aber keiner der Toten zeigte irgendwelche Schussverletzungen. Mary schaute sich ebenfalls um. Mit einem Taschentuch hob sie eine Patronenhülse auf. Sie schaute abwechselnd von der Patrone auf die Leichen und wieder zurück. Sie schien zum selben Schluss zu kommen. Sams Geist war noch da. Vielleicht wusste der irgendwas. Genau jetzt hätte er Alice gebraucht, damit sie den Geist in Anwesenheit von Zeugen befragen konnten, aber sie war nicht da. Machte einen Rundflug durch die Stadt und selber konnte Jack ihn auch nicht befragen, solange Mary oder wie sie in Wirklichkeit hieß, noch im Keller war. Wie würde es denn aussehen, wenn er mitten im Keller anfing mit der Luft zu reden? Man würde ihn direkt in die Klapse einweisen. Aber einen Vorteil gab es noch. Sam schien nicht zu wissen, dass er ein Geist war und ihn andere Leute somit weder hören noch sehen konnten. ,,Was ist denn hier passiert?“, fragte Jack gespielt entsetzt. Wie erwartet, schien Sam darauf zu reagieren. ,,Ich will dir sagen was hier passiert ist, verfluchte Scheiße. Auf einmal stand da dieser Typ mitten im Raum und fängt an, mit seinem Morgenstern um sich zuschlagen. War ´ne total verrückte Type. Verdammt ich wollte doch nur etwas Gras und Pulver unter die Leute bringen und schon krieg ich was an den Schädel. Hm, warum er mir nicht dröhnt, weiß ich grad auch nicht. Hab wahrscheinlich einen zu viel geraucht. Hey, ihr könnt aufhören mich zu ignorieren. Verdammt, hört auf damit! Ihr tut ja so, als wäre ich nichts weiter als beschissene Luft.“ Jack hörte auf Sam zu zuhören. Wie er mit seinem Tod klarkam war seine Sache. Ein Typ mit ´nem Morgenstern also, dachte Jack nachdenklich. Wer schwingt schon einen Morgenstern gegen zehn bis an die Zähne bewaffnete Männer? Jack sah kein fremdes Blut. Alles schien den Opfern zu gehören. Und überlebt ohne einen einzigen Kratzer?, fügte er noch hinzu. Ein anderes Medium schien die plausibelste Erklärung zu sein. Aber wo war hier das Motiv? Ein paar Junkies mit einem Dealer zu töten, war eine Sache. Dann aber den Stoff zurück zu lassen, war eine andere. Aus dem Augenwinkel sah Jack, wie Sam geschnappt und von einer unsichtbaren Kraft aus dem Raum gezogen wurde. Jack setzte den Geist nach. Er wäre fast mit Bruno zusammengestoßen, der vor der Tür Posten bezogen hatte. Als Jack an ihm vorbei war, musste er feststellen, dass er Sam nie einholen würde. Wütend ging er zurück. Bruno schaute verdutzt hinter Jack. Die Polizei betrat den Club. ,,Oh, Scheiße.“, fluchte Jack. Die Cops wurden von dem angeführt, der versucht hatte zu beweisen, dass Jack der Grim Reaper war. Jack war ihm aber immer einen Schritt vorausgewesen und hatte sich nichts zu Schulden kommen lassen. Aber jetzt hatte sich das Blatt gewendet. Auch wenn nichts gegen ihm in der Hand war, das war Amerika. Das Land, wo man unberechtigt und ohne Beweise in den Knast wandern konnte. ,,Schön Sie wieder zu sehen Mr. Rossberg. Na, haben wir mal wieder die Sense aus unserem Schrank geholt?“ „Ich weiß zwar nicht, wovon Sie da reden oder welchen Stoff Sie nehmen, aber davon will ich auch etwas haben.“ „Machen Sie bloß ihre Scherze. Jetzt habe ich endlich Ihre Eier in der Hand und ich werde sehr fest zupacken.“ Mit diesem Spruch wandte er sich von Jack ab und ging zum Tatort. Jack wusste, dass er in den Bau wandern würde. Denn die Polizei fand bloß dann etwas, wenn sie etwas finden wollte. Gestresst ging Jack im Kreis und überlegte. Hin und her, wie ein Tiger im Käfig. Als die Cops schließlich raus kamen, legten sie Jack Handschellen an und brachten ihn zum Präsidium. Er sah noch, wie Mary von ihrem Chef zur Schnecke gemacht wurde. Das, was er vom Gespräch aufschnappte war nicht viel, aber er konnte sich den Rest zusammenreimen. Die Polizei hatte anscheinend gewusst, dass hier heute etwas passieren würde. Wahrscheinlich hat ihnen ihre Quelle zugeflüstert, dass Jack der Täter war. Mary, die, wie er gehört hatte, nicht mehr als eine Streifenpolizistin war, hatte anscheinend versucht Jack davon abzuhalten.

 

,,Also, Mr. Rossberg. Waren Sie zur Tatzeit am Tatort, hm?“, fragte der Cop übertrieben freundlich. Jack stöhnte. Jetzt kam die guter-Bulle-böser-Bulle-Nummer. ,,Ja natürlich war ich da. Zum einem wohne ich da und zum anderen gehört mir der Club.“, gab Jack wütend zurück. Der Cop gab sich ruhig. ,,Ah, … ja. Gut. Wir haben ihre Fingerabdrücke am Tatort gesichert. Was meinen sie, wie sie dahin kamen?“ ,,Hey mir gehört der Keller. Ich vermiete ihn ab und zu mal unter, na und? Und stellen Sie sich vor, ich mache da auch noch sauber. Man kann nicht von mir behaupten, dass ich mich nicht um meinen Club kümmere.“ Die aggressive Antwort ließ den Cop wütend den Raum verlassen. Entnervt rollte Jack den Kopf zur Seite zum Spiegel hin. „Und jetzt kommt der böse Bulle, nicht wahr?“ Er wusste, dass man ihn von der anderen Seite des Spiegels beobachtete. Wie aufs Stichwort kam der böse Bulle rein. Anstatt sich hinzusetzten, schlug er seine Faust in Jacks Gesicht. Doch sie traf ins Leere. Jack hatte im letzten Moment den Kopf zur Seite geneigt. ,,Gute Reflexe. Die brauchtest du ja auch, um die armen Schweine abzuschlachten.“ „Ohne meinen Anwalt sag ich gar nix.“, gab Jack kühl zurück. ,,Der wird dir sadistischen Dreckskerl auch nicht mehr helfen. Wir haben eine Mordwaffe mit deinen Fingerabdrücken drauf. Ja, da schaust du, Grim Reaper. Aber sag mir mal, warum? Warum hast du dich so lange bedeckt gehalten? Du hättest jeder Zeit die ganze Unterwelt erobern können. Warum warten? Du kannst es ruhig sagen, wir brauchen das Motiv nicht, um dich auf den Stuhl zu bringen.“ Jack schnalzte mit der Zunge. ,,Das ist ein Bluff. Sie haben weder die Tatwaffe, noch Beweise, um mir etwas Anzuhängen. Sie wollen bloß, dass ich ihnen sage, was Sie hören wollen. Und sagen Sie nicht, dass ich dadurch mildernde Umstände kriege. Der gute Bulle ist gerade gegangen. Sie haben nichts weiter als heiße Luft und mit der können Sie mich nicht ewig festhalten.“ Jack war oft genug auf dem Revier gewesen, um zu wissen, dass er die Wahrheit sagte. ,,Armer Irrer, wenn du das glaubst, bist du schon so gut wie tot.“ Damit wurde Jack alleine gelassen. Jetzt würde man ihn im eigenen Saft schmoren lassen. Jack blickte hoch zur Kamera. ,,Ich mache jetzt ein Nickerchen.“ Jack verschränkte die Arme auf den eisernen Tisch und benutzte sie als Kopfkissen. Ohne den Sarg würde es schwierig werden seinen Körper zu verlassen, doch irgendwie würde es schon gehen. Sein Geist zerrte sich mühsam, als wenn er daran kleben würde, aus dem Körper heraus. Jack materialisierte sich vor dem Präsidium. Er war ganz in schwarz gekleidet. Schwarzer Mantel, schwarzer Pullover, schwarze Lederhose, mit Löchern an den Knien und schwarze Stiefel. Sein Gesicht war mit weißer Schminke bedeckt. Die Augenpartien wurden mit schwarzer Schminke hervorgehoben. Die Lippen waren ebenfalls schwarz geschminkt und mit schwarzen Linien an den Seiten zu einem Lächeln verzogen. Auf seinen Rücken trug er, von unsichtbaren Mächten dort oben gehalten, eine Sense aus geschnitzten Knochen. An der rechten Schulter trug er einen Totenschädel. Seine schwarzen Haare bewegten sich sacht im Wind. So hätte man Jack, für einen The-Crow-Imitatoren gehalten, aber so sah seine Geistverkörperung nun mal aus. Alice landete auf seiner Schulter. ,,Da bist du ja. Ich habe dich schon gesucht.“, sagte sie. Jack blickte zum Präsidium und rang mit sich selbst. Er könnte nun da rein gehen und aufräumen, während sein Körper im Verhörraum schlief. Aber das war nicht Jacks Art. Er musste sich etwas anderes ausdenken. ,,Alice, ist dir während des Fluges, irgendetwas aufgefallen?“ ,,Die Stadt ist wie ausgestorben. Das meine ich nicht so, wie ich es gesagt habe. Die Menschen sind schon da, aber die Geister sind weg.“ ,,Wie weg?“, fragte Jack verwirrt. ,,Wie ich schon sagte, weg. Einfach verschwunden. Kein einziger ist übrig.“ Jack und Alice waren somit am Ende ihres Lateins, aber es gab andere, die Licht ins Dunkel bringen konnten. ,,Lass uns den Chinesen besuchen.“

 

Der Chinese betrieb ungewöhnlicherweise einen italienischen Essenslieferanten. Er leitete ihn mit seiner Familie. Jack ging wie üblich über den Boteneingang rein. Der Chinese hatte ihn alles beigebracht, was er wusste. Wie er seine Kräfte einsetzte. Wie er mit der Knochensense umgehen musste. Wie er durch Alices Augen sehen konnte. Einfach alles. Nach dem Mord an seiner Schwester hatte er Jack auf seinen Rachefeldzug vorbereitet. Er hatte den Grim Reaper ausgebildet. Wenn es mal nicht weiterging, war er die richtige Adresse. Jack begrüßte die Kinder und die Frau des Chinesen. ,,Hallo. Ist er oben?“ Sie nickten. Jack ging die Stufen zum Büro hoch. Asiatische Musik drang durch die Bürotür. Jack klopfte, bevor er eintrat. ,,Ah, Jack. Schön dich zu sehen. Bist verhaftet worden, wie ich hörte. Aber von deiner Freilassung war nichts zu vernehmen. Also ist dein Geist frei, im Gegensatz zu deinem Körper.“ Der Chinese war ein alter Mann, mit einem blinden Auge. Sein Körper war leicht nach vorne gebeugt. ,,Wie immer richtig geraten.“, sagte Jack. ,,Oh, Junge, ich rate niemals, ich weiß es.“ ,,An welche Far …“ ,,Schwarz.“, unterbrach ihn der Chinese. Jack ließ die Schultern sacken. ,,Ich geb ´s auf.“ ,,Du suchst also den, der die Geister verschwinden lässt.“ ,,Was wisst Ihr über ihn?“, fragte Jack. ,,Nur, dass er, wie du vor deinem Ruhestand, die Unterwelt tyrannisiert. Wenn er mit dieser Stadt fertig ist, bestimmt er alles, was in der Unterwelt dieses Landes passiert. Und das wird erst der Anfang sein.“ Jack verstand noch immer nicht. ,,Aber wozu?“ Der Chinese lächelte wissentlich. ,,Macht und Geld, was denn sonst?“ ,,Wieso hat er dann Sam mit seinen Kunden getötet und es so aussehen lassen, als wenn ich es gewesen wäre?“ ,,Vielleicht ist es seine Art dich herauszufordern.“ Obwohl es nach einer Mutmaßung klang, wusste Jack, dass der Chinese mal wieder ins Schwarze getroffen hatte. ,,Er verfügt über dieselben Kräfte wie du. Aber seine sind nicht so ausgeprägt, wie deine. Deshalb nutzt er die Kräfte der Geister, um dir ebenbürtig zu sein.“ ,,Aber wie?“ ,,He he he. Du solltest zur Abwechslung mal dein Hirn benutzen.“ Tiefe Falten bildeten sich auf Jacks Stirn. Angestrengt dachte er nach. Wie konnte ein Medium, wie er, die Kräfte der Geister nutzen? Sicher, er benutzte seine Kräfte, um durch Alices Augen zu sehen, aber das lag nur daran, dass sie seine Zwillingsschwester war und die beiden ein besonderes Band verknüpfte. So sehr Jack sich auch bemühte, er kam zu keinem Ergebnis. Schließlich blähte er die Backen auf und atmete hörbar aus. ,,Ich bin überfragt. Könnt ihr mir nicht wenigstens sagen, wo ich den Kerl finde?“ ,,Na gut. Er befindet sich im …“ Weiter kam er nicht. Ein übermächtiger Sog erfasste Jack. Er versuchte mit aller Macht dagegen anzukämpfen- vergeblich. Er raste aus dem Restaurant zurück, zu seinem Körper.

 

Jemand schrie in Jacks Ohr und rüttelte ihn wach. ,,Komm schon! Wach auf!“ Jack schlug die Augen auf. Er war oft genug bei der Polizei gewesen, um zu wissen, dass sie jeden, der nicht wach wurde mit Elektroschocks wachbekamen. Aus eigener Erfahrung wusste Jack, dass das nicht zu empfehlen war. Zu seiner Verwunderung war es bloß Mary. Sie hatte ihre Uniform an. Die weiße Schminke war ab. Ihre Zöpfe hatte sie gegen einen Pferdeschwanz eingetauscht. „Was machen Sie denn hier?“ „Schon vergessen, ich arbeite als Bulle.“ Jack rappelte sich auf. Er musste sich erst wieder daran gewöhnen einen Körper zu haben und an die physikalischen Gesetzte gebunden zu sein. Der Körper fühlte sich Bleischwer an, ganz anders als seine geistige Verkörperung. Er brummelte und rumorte. Zudem war er noch behebe. „Was wollen Sie? Mir vielleicht einen Kaffee bringen?“ „Eigentlich wollte ich Sie hier rausholen und mit Ihnen etwas essen, aber wenn Sie lieber einen Kaffee haben wollen.“ Sie wandte sich um zum Gehen. ,,Nein, nein.“, sagte Jack rasch. Er wedelte abwehrend mit den Armen. Sie gingen durch die Büros ins Freie. Jack sah viele klingelnde Telefone und mehr als überforderte Gesichter. Er kannte es zur Genüge aus dem Fernsehen.

 

Gleich neben dem Präsidium stand passenderweise ein McDonald´s. Während die beiden ihr Essen verschlangen, blickte Jack nachdenklich aus dem Fenster. Es schien, als ob er über irgendetwas nachdenken würde, aber in seinem Kopf herrschte nur gähnende Leere. „Kann ich Ihnen etwas anvertrauen?“, brach Mary das Schweigen. Jack wandte sich vom Fenster ab. „Worum geht´s?“ ,,Glauben Sie daran, dass der Grim Reaper ein Geist ist, wie es auf den Straßen gemunkelt wird?“ „Was weiß ich?“, gab Jack ruhig zurück. ,,Meine Eltern sind von ein paar Schlägern getötet worden. Ich sah, wie mein Vater aus dem Fenster gestoßen und meine Mutter vergewaltigt wurde. Überhastet floh ich. Dann traf ich da diesen Geist. Ich schien ihn leid zu tun. Er bot mir seine Kräfte an, im Austausch musste ich ihm versprechen nie mehr Rachegedanken zu hegen. Daraufhin habe ich alle Mörder umgebracht, einschließlich der Drahtzieher. Als Geist war ich unüberwindbar. Kugeln konnten mich mal. Selbst einen fremden Körper konnte ich beherrschen. Bei jedem Opfer habe ich die Nachricht Bloody Mary was here hinterlassen. Als ich fertig war, trennten sich unsere Wege. Der Geist verschwand und ich ging zur Polizei, wie mein Vater. Bis heute habe ich niemanden davon erzählt.“ Jack sah sie musternd an. Er hatte von diesen Morden noch nie was gehört und fragte sich, ob er eine Wissende oder eine Verrückte vor sich hatte. ,,Und dieser Rachegeist, haben Sie ihn je wieder gesehen?“ ,,Nein.“, antwortete sie kopfschüttelnd. ,,Was passiert, wenn Sie wieder Rachegedanken hegen? Wird der Geist sie danach auch umlegen?“ Sie schüttelte abermals verneinend den Kopf. ,,Ich habe keine Ahnung.“ Jack beugte sich neugierig vor. ,,Warum erzählen Sie mir das alles?“ Mary zuckte mit der Schulter. ,,Weiß auch nicht. Vielleicht will ich Ihnen damit zeigen, dass ich Ihre Handlungsweisen als Grim Reaper gut nachvollziehen kann und das ich weiß, was Sie sind.“ Jack fuhr gespielt schockiert zurück. ,,Sie wollen mir unterstellen die Morde begangen zu haben?“ Was war das? Ein Trick? Den Cops würde Jack alles zutrauen.

 

Die Gerichtsverhandlung entschied, dass Jack aufgrund mangelnder Beweise unschuldig war, mal wieder. Von seinem Lieblings-Cop bekam er wieder dieselben leeren Drohungen zu hören, die er immer nach den Prozessen bekam. Aber das war er gewohnt und nicht ungewöhnlich. Dafür aber jemand im Publikum. Er hatte Jack die ganze Zeit über beobachtet. Eine eigenartige, mächtige Aura umgab ihn. Etwas Derartiges hatte Jack noch nie gespürt. So viele verschiedene Farben, von verschiedenen Auren. Normalerweise hatte die Aura eines Menschen eine einzige Farbe, aber die Aura des Kerls war mehr wie ein Flickenteppich. Am Beunruhigsten war aber das, was sich in Höhe über ihn befand. Unsichtbar für Nichtbegabte, aber doch vorhanden. Für Jack war es so deutlich gewesen, dass er zuerst geglaubt hatte, seine Augen spielten ihm einen Streich. Aus dem Rücken des Fremden ragten unzählige Bänder aus Ektoplasma. Jetzt begriff Jack, was ihm der Chinese zu erklären versucht hatte. Egal wer der Kerl war, die Bänder mussten ihn mit der Macht einer Hundertschaft von Geistern ausstatten. Das machte Jack nervös. Er war bei dem Gedanken weit weg vom Prozess. Auf die Frage, warum er so abwesend sei, antwortete er, dass sein Club Probleme habe, die ihm nicht los ließen. Man glaubte ihm sofort.

 

Wieder zurück in seiner Wohnung, erwartete ihn auch schon Alice. „Du hast ihn auch gesehen, oder?“ ,,Wenn du den Typen mit den hundert Geistern im Schlepptau meinst, ja den habe ich gesehen.“ Jack war erschöpft. Zu viele Sachen schwirrten ihm durch den Kopf. „Hast du dir die Geister, die über ihm schwebten, auch genau angesehen?“ Was war bloß mit Alice los? Warum war sie so gereizt? ,,Nein. Wieso? Sollte ich?“ Alice zuckte panisch mit dem schwarzgefiederten Kopf hin und her. „Die Geister der gesamten Stadt, anderer Städte, ja sogar anderer Epochen sind von ihm versklavt worden.“ „Warum sollte uns all das interessieren?“ Jack war genervt. „Ich hau mich aufs Ohr.“ „Solltest du nichts unternehmen, wird dir irgendwann die ganze Scheiße um die Ohren fliegen.“, schrie Alice ihm hinterher. Jack machte eine wegwerfende Bewegung. ,,Ja, Ja.“ Er legte sich ins Bett und schlief sofort ein.

 

Als er wieder aufwachte, spürte er, dass etwas nicht stimmte. ,,Alice? Wo bist du. Mäuschen mach mal piep. Alice?!“ Bei der Vogelstange lag ein Zettel auf dem Stand:
Wenn du deine Schwester wiedersehen willst, dann komm um Mitternacht zur verlassenen Lagerhalle Nr. 9. Komm allein, Grim Reaper.

Egal wer es geschrieben hatte, er wusste, dass Jack der Grim Reaper war und somit wusste er zu viel. Jack sah auf die Uhr. Es war zehn. ,,In zwei Stunden also.“ Er ging zu seinem Bett und zog darunter einen Sarg hervor. Es war der Sarg seines verstorbenen Vaters. Darin konnte er sich besser von seinem Körper lösen. Er legte sich hinein, schloss den Deckel, überkreuzte die Arme, schloss die Augen und begann sich von seinem Körper zu lösen. Es ging schnell und mühelos vonstatten. Die zwei Stunden vor dem Kampf musste er gut nutzen.

 

Die Lagerhalle zu finden war nicht schwer. Es war genau zwölf Uhr Abends. Mitternacht. Der Entführer verspätete sich. Jack setzte sich auf eine Kiste. Unruhig wippte er mit dem Bein. Erst nach ein paar endlosscheinenden Minuten tauchte der Entführer auf. Seine Astrahlgestalt war ein krasser Gegensatz zu der von Jack. Während er hauptsächlich Schwarz trug, war sein Herausforderer weiß gekleidet. Die Augen schienen Blind, doch sie musterten Jack eindringlich. Die Haare waren rötlich und mit weißen Strähnen durchsetzt. In der Hand hielt er einen Morgenstern. ,,Wo ist Alice?“, verlangte Jack zu wissen. ,,Über unseren Köpfen schweben dreihundertsiebenundvierzig Geister. Vielleicht ist sie darunter. Willst du gar nicht wissen, warum ich es tat, warum ich gegen dich kämpfen will?“ ,,Interessiert mich nicht die Bohne.“, entgegnete Jack ruhig. Der andere schien es nicht gehört zu haben. „Weil du mir im Weg stehst. Wenn ich dich erst erledigt habe, kontrolliere ich die Unterwelt im ganzen Land. Denn du bist der einzige, der mich noch aufhalten kann. Jedes andere Medium ist mir unterlegen.“ ,,Kannst du dich mit deiner Bösewicht-Rede kurz fassen. Ich bezeichne mich zwar als Nachtmensch, aber die Nacht wärt auch nicht ewig, sogar wenn du versuchst sie mit deiner öden Rede anzuhalten.“ Jack schien den Größenwahnsinnigen verletzt zu haben. Sein wutverzerrtes Gesicht sprach Bände. Der Kampf entbrannte. Jack zog seine Waffe. Schnell preschte er vor und versuchte seine Sense in den Leib seines Gegners zu rammen. Der machte einen Schritt zur Seite. Die Kette des Morgensterns schlang sich um den Schaft der Sense. Mit einem Ruck wurde die Sense Jacks Händen entrissen. Als die Kette, die Sense losließ, flog sie noch ein Stückchen weiter, nur um sich umzudrehen und genau auf Jacks Gegner zu zufliegen. Der machte einen großen Sprung in die Höhe und blieb mit den Füßen an der Decke kleben. Sein gesamter Körper schien die physikalischen Gesetze zu verspotten. Seine Kleidung wurde noch nicht einmal von der Schwerkraft angezogen. Doch Jack stand ihm in nichts nach. Nachdem er die Sense wieder in Händen hielt, beförderte er sich ebenfalls an die Decke. Beide kreuzten die Waffen, als hätten sie nie etwas anderes getan. Sie waren gleich stark. Mehrmals wechselten sie den Untergrund ihres Kampfes. Von der Decke sprangen sie zur Wand und von dort wieder auf den Boden. Schließlich sprang Jack durch ein geschlossenes Fenster ins Freie, ohne das Glas zu zerbrechen. Von dort machte er einen Rückzug aufs Dach. Sein Gegner folgte ihm, wie sein eigener Schatten. Das ganze Wechseln von Decke, Wand und Boden war für Jack zu blöd. Es hatte inzwischen angefangen zu regnen. Dicke Tropfen fielen auf die Kämpfenden. Unermüdlich schwangen sie ihre Waffen und hielten damit die Regentropfen in der Luft. Für das menschliche Auge waren die Waffen nur schemenhaft wahrzunehmen. Sie schlugen tiefe Furchen in den Betonboden. Bei jedem ihrer Fußtritte platschte das Wasser auf dem Dach. Donner grollte. Blitze erhellten die Nacht und die Silhouetten der Kämpfenden. Die nächste Attacke zielte auf Jacks Kopf. In einer fließenden Bewegung duckte er sich und sprang durch die Beine seines Gegners. In der Luft drehte sich Jacks Körper um hundertachtzig Grad. Seine Sense durchschnitt die Fäden, die die Geister an ihren Peiniger banden. Sofort flogen einige der Geister los, die den ganzen Kampf über am Himmel waren. Unter ihnen war auch eine einzelne Krähe. Jack machte jetzt erst so richtig ernst. Mit jeder Bewegung ließ er die Sense kreisen und durchtrennte weitere Fäden. Sein Gegner wurde zusehends schwächer und bekam immer größere Probleme mit dem Grim Reaper mitzuhalten. Schlussendlich brach das andere Medium zusammen. Jack ging, ohne den Gegner noch eines Blickes zu würdigen. Alice landete auf seiner Schulter. ,,Hast du mich vermisst?“, fragte sie. Doch Jack antwortete nicht. Er blieb stehen, drehte sich um und schleuderte seine Waffe nach dem Gegner. Durch die Luft sausend jagte sie unaufhaltsam auf den am bodenliegenden zu. In seinen Augen spiegelte sich die Sense wieder, wie sie auf ihn zukam. Sie teilte seinen Körper der Länge nach in zwei Hälften. Die Hülle löste sich auf. Das andere Medium war tot. Als Geist konnte er Jack nur noch wenig antun. Die Klinge der Sense bohrte sich in den Betonboden. Verträumt sah er zum verregneten Himmel. Dann kehrte sein Geist wieder in seinem Körper zurück.

 

Ächzend entstieg Jack dem Sarg seines Vaters. Er schob ihn zurück unter sein Bett. Morgen würde er Mary mal von ein paar persönlichen Erfahrungen mit der Welt der Geister erzählen. Er war sich sicher, jetzt endgültig seine Ruhe zu haben. Doch bald erfuhr er, dass er sich in diesen Moment schrecklicher nicht irren konnte.

 

 

The End

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 15.07.2014

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