Ich kann nicht mehr schreiben, weil du es nicht mehr liest. Im Weiß gelöschter Zeilen spiegeln sich aufgegebene Ansätze, Stimmungen, die ich nicht weiterführte, abgebrochene Pfade.
Du siehst mich auf der Klippe stehen und nicht weiterwissen. Es geht nicht nur um diese Geschichte, das weißt du. Es geht um mein Leben.
„Es wird nun einfacher sein“, höre ich dich sagen.
„Nein“, widerspreche ich, „nur leer.“
Du schüttelst den Kopf.
Waren wir uns je einig? Im Träumen, ja. Im Warten auf ein Haus am Meer und zwei Pferde auf der Wiese daneben.
„Schreib!“, höre ich dich flüstern. „Lass mich sehen, dass du lebst.“
Du willst mein Jetzt nicht, diesen stillstehenden Rückzug, der keinen Blick nach Vorne kennt.
„Ich kann nicht.“
„Tu es für mich.“
Wir wissen, was passieren wird. Ich wünschte, du würdest nicht so eindringlich nicken.
Nicht vor, nur zurück
Jeder Blick ist eine Erinnerung an dich. Ich sehe die nackten Birnen und denke an die Lampen, die du mit mir kaufen wolltest.
Wir lachten, als du mir den Dialog mit dem Verkäufer webtest.
„Vorbei“, denke ich, „vorbei.“
Dein Humor fehlt, deine Fantasie und mit dir in das Wir einzutauchen, das wir uns vorstellten.
„Schau nach vorn, nicht zurück“, versuchst du mich zu ermuntern.
Ich schweige, hinter mir den Papyrus mit dem Bild der fünf Vögel, von denen vier in die Zukunft sehen und einer in die Vergangenheit.
Ich kann nicht wie die Vögel sein, weißt du? Mein Blick ist noch rückwärtsgewandt zu dir, oder inwärts, wo du bist und bleibst.
Wie oft haben wir darüber gesprochen.
„Kannst du mir sagen, was Liebe ist?“, hattest du mich gefragt.
„Bleiben wollen, auch wenn man gehen muss“, war einer meiner Versuche, sie zu beschreiben.
Du schwiegst eine Weile.
„Ich werde nie bleiben können“, sagtest du dann.
Ich erschrak, wollte nicht, dass du gehst, nicht für immer, nicht in meinem Bewusstsein, dich verloren zu haben. Und so legte sich Angst über unsere Leichtigkeit.
Ich lese, was ich schrieb, und sehe, ich bin zu weit. Ich möchte dich mit zurücknehmen an unseren Anfang, unsere ersten Schritte, als wir uns erzählten und lachten. Ich möchte uns im „Weißt du noch“ wiegen und spüren, wie du mich hältst, während wir über die Klippen sehen. Und sei es um der Illusion wegen, es brächte dich zurück.
Welten
„Eines Tages“, sagtest du, „werden wir auf unserem Turm stehen und über den Horizont hinaus schauen, weit, immer weiter, bis der Blick unserer Liebe uns wieder erreicht.“
Ich wiege mich noch immer in deinen Armen wie in deinen Worten. Du hältst mich sicher. Ich atme das Salz des Meeres und wäre an keinem Ort lieber als hier mit dir.
Weißt du noch, wie wir hierher kamen? Am Anfang des Weges nahmst du mich an die Hand, selbst unsicher, dachte ich, doch es war aus Sorge um mich.
„Meine Mutter war Trinkerin“, erzähltest du und was das bedeutete. Ich sah dich als Jungen die Straße zum Kiosk hochlaufen und die Tüte mit den Flaschen heimschleppen. Ich begleitete dich in die verdreckte Wohnung. Du schriebst mir den Geruch nach Alkohol und Zigaretten in die Nase, den Gestank mangelnder Körperpflege und verbrannten Essens.
Vorsichtig führtest du mich in deine Kindheit, während du mein Leben „Deine heile Welt“ nanntest. Distanz. Meine Welt und deine. Ich fühlte mich auf Abstand gehalten um der Umgebung wegen, in der wir groß wurden.
„Ich sehe diese Welten nicht“, sagte ich, „sondern nur dich und mich.“
Die kleinen Dinge
„Was hast du heute gemacht?“ fragtest du so oft. Und ich erzählte dir meine kleinen Alltäglichkeiten, die dich lächeln ließen.
Als wir uns kennenlernten, habe ich ihre Wichtigkeit nicht verstanden. Heute weiß ich, dass meine Normalität deine Zuflucht war. Morgens aufzustehen, zur Arbeit zu gehen, nachmittags mit den Kindern zu erzählen, gelegentlich die Hausarbeit zu verfluchen: Es war mein Leben, an dem ich dich teilhaben ließ.
„Es ist, als wäre ich bei dir“, sagtest du und warst es, selbst durch die Grenze des Monitors hinweg, der uns trennte.
„Bin ich Mann für dich oder Avatar?“, zweifeltest du.
„Eindeutig Mann“, versicherte ich.
Im Virtuell real zu sein, ist einfach, wenn man sich gibt, wie man ist.
Von Träumen und Tränen
Erinnerst du dich an das Video meiner Traum-Rede? Ich hatte sie voller Ansporn gehalten, voller Zuversicht, dass sich eines Menschen Träume erfüllen können, wenn man nur zielstrebig genug darauf hinarbeitet.
"Ich kann meine Träume nicht
fristlos entlassen.
Ich schulde ihnen noch
mein Leben",
zitierte ich ein Gedicht von Frederike Frei. Damals zog ich meine Zuhörer mit, wie später dich. Heute habe ich meine Zuversicht verloren, und damit mich.
Ich sehe dich wieder den Kopf schütteln und weiß, du willst mein Aufgeben nicht, mein Wissen um ein Unerreichbar, das es für mich nicht gab, bevor du starbst.
Löwenzahn
Als ich dir die Geschichte vom Fels und der Pflanze erzählte, sagtest du, du würdest lieber die Pflanze sein. Mir warst du als Fels so lieb, als Spalt, der mir Halt bot, als Wand gegen Sturm und Gefahr. Ich wollte nicht stark sein müssen, sondern beschützt. Doch du machtest mir entwaffnend lachend klar: „Ich möchte die Pflanze sein, weil Unkraut nicht vergeht.“
Ich geh‘ nicht, ich bleib‘
„Geh und suche dir einen Mann, der dir gerecht wird“, hast du so oft gesagt, ohne je einzusehen, dass du dieser Mann warst.
Ich will nicht gehen, weißt du? Damals schrieb ich dir eine Geschichte, damit du es verstehst. Heute bleibe ich einfach bei dir auf dem Turm stehen und spüre dein Durchatmen in meinem Nacken.
„Du musst gehen, Liebes“, flüsterst du.
Ich muss gar nichts. Irgendwann sterben, das ja, aber bis dahin kann ich genauso gut bleiben.
Du möchtest widersprechen und ich nicht streiten. Nicht darüber. So gerne wir uns sonst Wortgefechte lieferten: Lass mir mein Bei-dir-Sein.
„In zehn Jahren heiraten wir.“
Wir waren so ausgelassen, als wir es sagten, aus der Situation heraus, aus einem Lachen, das uns damals steter Begleiter war.
In zehn Jahren. Es zog sich von einer Strecke zum Marathon, von einer Distanz zur Unendlichkeit. Was hätten wir getan, hätten wir darum gewusst? Konjunktiv. Vorbei. Nach vier Jahren endete die Zeit.
Türen
Ich schickte dir Pläne, als ich die Wohnung mietete, Fotos, als ich sie einrichtete.
„Brauchst du Geld dafür?“, fragtest du.
„Nein, ich habe genug.“
Ich nahm dich in Gedanken mit, als ich die Möbel aussuchte, und kaufte, wovon ich hoffte, dass es auch dir gefallen würde.
„Bis auf die Lampen“, höre ich dich lachen.
„Ja“, stimme ich mit ein.
„Lass alle Türen offen stehen“, batest du und so ist es bis heute. Du wolltest gehen können, jederzeit.
„Und du mich nicht verlieren.“
„Nicht für immer.“
Ich höre dich schweigen.
„Deine Angst“, sagst du dann. „Deine Angst.“
„Ja, ich weiß.“
Du drehst mich zu dir und siehst mir in die Augen. „Wir mussten uns nicht verschmerzen.“
„Du mich nicht“, antworte ich, „aber ich dich.“
„Nicht mich, meinen Tod.“
Mein Atem stockt.
„Ich wollte so gern meine Hand auf dein Herz legen“, bricht es aus mir heraus.
„Um mir zu beweisen, dass ich eines habe“, nickst du.
„Ja.“
„Weine nicht um die unerledigten Dinge.“
„Ich weine um dich.“
„Merkst du, wir streiten wieder.“
„Ja. Und auch um unser Streiten weine ich.“
Kaffeejagd
„Bringst du mir morgens den Kaffee ans Bett?“ fragtest du erwartungsvoll.
„Nö, ich trinke ja selbst keinen, also kannst du dir deinen Kaffee schön selbst kochen.“
„Bitte?“
Ich sah dein entsetztes Gesicht vor mir und lachte. „Und außerdem habe ich dafür keine Zeit, weil ich immer auf die letzte Minute aufstehe.“
„Aber du könntest für mich den Wecker ein wenig früher …“
„Na hör mal!“
„Wenn du mir keinen Kaffee ans Bett bringst, versohle ich dir den Hintern!“, drohtest du.
„Wenn du mich kriegst“, lachte ich.
„Ich kriege dich auf jeden Fall!“
„Meine Wohnung geht im Kreis um das Treppenhaus, da kannst du lange jagen, bis du mich hast.“
„Ich lege mich auf die Lauer.“
„Und ich mich in Deckung.“
Das sind die Dinge, die mir fehlen, weißt du. Uns durch die Wohnung jagen zu sehen. Uns zu necken, wenn du den Macho raushängen lässt. Dir zärtlich den Kaffee zu bringen, während du schreibst, weil du es dann nicht von mir erwartest.
„Halt das fest“, sagst du und ich nicke.
Chasing Cars
Ich sah dich oft in einer weißen Hose über die Wiese kommen. Sah uns im Gras liegen, die Welt vergessen. Chasing Cars around our heads.
Wir bereiten das nächste Chorprogramm vor, weißt du. Ich höre unser Lied nie, ohne an dich zu denken. Nun frage ich mich, ob ich es singen kann, ohne um dich zu weinen.
Die Türme
Ich komme zu dir, um dir meine Dinge zu erzählen, weil ich weiß, dass du mich lässt. Weil ich weiß, du nimmst auch an, was anderen verrückt erscheint. Ich erinnere mich daran, wie ich dir mein Geheimnis offenbarte.
„Es war ein sonniger, windiger Tag“, begann ich vorsichtig, „als ich auf dem Turm stand. Ich liebte die Höhe und die grandiose Aussicht, die sich von dort bot. Doch plötzlich schlug es um. Ich blickte hinunter, sah Rauch aufsteigen und bekam keine Luft mehr. Panisch suchte ich den Aufzug und fuhr hinunter. Nie zuvor und nie mehr danach hatte ich Angst auf einem Turm und ich habe auf vielen gestanden.“
Schweigend wartetest du darauf, dass ich die Geschichte fortsetzte.
„Sieben Jahre später rasten zwei Flugzeuge ins World Trade Center“, sagte ich, bang auf deine Reaktion wartend.
„Du warst in New York auf einem der Türme?“
„Ja. Hältst du mich für verrückt? Glaubst du, dass ich es vorhersah? Weißt du, der Rauch war damals nicht wirklich da, aber ich sah und roch ihn.“
„Ich halte dich nicht für verrückt“, antwortetest du.
„Ich will diese Vorsehungen nicht, sie zeigten noch nie etwas Gutes.“
„Lass sie fließen.“
Ich wurde ruhig in deinem Annehmen.
Im Spiegel
Ich wollte mich niemandem mehr erzählen, niemandem mehr erklären müssen. Vielleicht ist die Zahl der Menschen endlich, denen wir uns anvertrauen. Ich weiß es nicht. Wir haben nie darüber gesprochen.
Du hast eine Weile gebraucht, bis ich mein Erleben preisgab. Bis ich dich in mich blicken ließ, neben das Fröhlich und Stark, die ich nach außen gab. Du nahmst mein Vor und Zurück, das behutsame Öffnen meiner Tür und das schnelle Zuziehen, wenn es mir zu nahe wurde. Und wenn ich sage, ich hab viel durch mit dir, dann ist die Wahrheit: Du auch mit mir.
Meine eine Wunde ist an dir wieder aufgebrochen. Niemand da, der mich hält. Sage ich. Verlustangst träfe es besser. Angst bis zur Abschottung, Stark genug, alle vor den Kopf zu stoßen, bevor es wieder passiert. Nein, ich tue mir nicht selbst leid. Ich baue nur einen Spiegel vor mir auf und versuche zu begreifen, was ich sehe. Versuche dem Gefühl einen Namen zu geben, das mich durchdrehen lässt wie einen Hamster im Laufrad.
Ich wollte mich niemandem mehr erzählen, mich nicht mehr erklären müssen. Nur mir selbst, Liebster. Nur mir selbst.
„Verlustangst, nicht wahr?“, frage ich.
Und du nickst.
Nur du
Denke nicht, ich sehe die Helfer nicht. Denke nicht, ich wäre nicht froh darüber, dass sie da sind. Das bin ich. Aber weißt du: sie helfen nicht. Nicht gegen mein Sehnen, mein Vermissen, mein Suchen nach dir. Nun sind sie für ein paar Tage fort und ich finde dich in meiner Stille.
„Verharre nicht darin“, sagst du besorgt.
„Niemand außer dir trocknet meine Tränen.“
Du wirst nachdenklich. „Damals wünschte ich mir, dass du es wärest, die eines Tages um mich weint.“
„Ja, ich erinnere mich gut.“
„Ich hätte dir das nicht alles aufbürden sollen. Ich kam um den Preis deiner Traurigkeit.“
„Wann immer du da warst, warst du mein Glück.“
Wir schweigen eine Weile.
„Du?“, frage ich dann.
„Ja?“
„Du hast mich gebeten, dich festzuhalten, egal, was passiert. Nun möchte ich von dir auf unserem Turm gehalten sein. Irgendwann schickst du mich um meinetwillen fort und ich werde um deinetwillen gehen, aber ich möchte zu dir zurückkommen dürfen, wann immer mir danach ist.“
„Das darfst du.“
„Dann ist es gut.“
„Wer bin ich?“, hast du mich oft gefragt.
Und ich sagte: „Der Mann, den ich liebe.“
Manche Dinge sind nicht einfach zu erzählen. Ich möchte dir schreiben, nicht dich, und frage mich, ob das eine ohne das andere möglich ist.
„Denke an mich“, höre ich dich sagen und sehe auf das Mosaik. Du sprachst über deine schwarzen Steine und ich erzählte von Rembrandts Bildern, deren Hell in dunkler Umgebung umso mehr strahlt.
„Du siehst nur, was du sehen willst“, stelltest du fest. Es gab diese Tage, an denen du niedergeschlagen warst. Es gab Tage des Zorns, da braustest du auf und stürmtest hinaus, ohne dass ich ahnte, warum. Es gab Tage der Stärke, an denen du mich hieltest, und alle mit dir waren Tage der Stille, weil es mich ruhig machte, wenn du da warst.
„Und nun?“, fragst du.
„Nun sind die Tage leer, ohne dich.“
„Also bin ich nicht nichts.“
„Nein. Du bist alles für mich.“
Schattenwelt
„Die haben schon wieder alles vertuscht“, ereifertest du dich eines Tages.
„Wer?“
„Die Kirche den Missbrauch.“
Die Medien berichteten immer häufiger darüber und du diskutiertest so engagiert, dass ich ahnte: Du kennst einen Betroffenen.
„Ich begreife nicht“, sagte ich, „dass die Täter nicht bestraft werden. Wenn die Kirche sie schon nicht der ordentlichen Gerichtsbarkeit übergibt, könnten sie sie zumindest für den Rest ihres Lebens in ein Schweigekloster stecken und nachdenken lassen. Stattdessen werden sie versetzt und machen weiter.“
„Es gibt Opfer, die wehren sich.“
„Was meinst du?“
„Es gab da mal ein Attentat.“
Ich schwieg.
„Selbstjustiz ist keine Lösung“, gab ich nicht sehr überzeugend zu bedenken.
Du lenktest ab, wie du es oft tatest, wenn du meintest, du hättest zu viel gesagt.
Das Attentat ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich kannte eines, der Schütze saß in Haft. Je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr fragte ich mich, ob er ihm vergeben hat.
Freiheit
Noch immer schlafe ich in Gedanken an dich ein und wache in Gedanken an dich auf. Heute begrüßt uns das erste Licht des Morgens und streichelt dein Gesicht. Du schläfst noch, endlich ruhig, endlich ohne die Bilder, die dich sonst wachhielten, endlich ohne einen Ruf, der dich forttreibt.
„Du Vagabund“, denke ich und streiche mit der Hand durch dein Haar. Du ziehst mich an dich. Ich fühle mich geborgen wie anfangs, als wir uns trafen.
„Ich will dir nicht weh tun“, hast du damals gesagt und warst vorsichtig und sanft. Was ich schwer ertragen kann, wolltest du wissen, und ich sagte: „Zu spüren, dass etwas nicht in Ordnung ist, ohne zu wissen, was es ist. Ich kann mit allem umgehen, egal, wie schlimm es ist, aber ich muss es abschätzen können.“
Du dachtest nach. Bei aller Offenheit hattest du auch deine Geheimnisse, die du mir nicht anvertrautest, um mich nicht zu beunruhigen. War es möglich? Waren wir möglich, du mit deinem Unterwegssein, ich mit meiner Sorge?
„Ich bin weniger frei, als ich vorgebe zu sein. Also warte nie auf mich“, sagtest du nach einigem Nachdenken.
„Was heißt, du bist weniger frei?“
„Meine Arbeit“, antwortetest du. Ich hakte nicht nach.
Du gingst und kamst wieder. Verschwandest und warst da. Meine Sorge um dich wich der Gewissheit, dass du zurückkehren würdest, wann immer du dich auf den Weg machtest.
Ich denke an dich
„Denke an mich“, hast du so oft gesagt, wenn wir uns verabschiedeten, und ich tue es bis heute.
In der Ruhe dieser Tage wiege ich mich in deinen Worten, wie damals, als es anfing. Ich las deine Geschichten und wir sprachen darüber. „Frage“, batest du, „damit ich sehe, was an meiner Erzählung nicht stimmig ist.“
Aus einer Frage wurden zehn, hundert, tausend. Es gab immer etwas, das keinen Sinn ergab, das nicht in den Lauf der Geschichte passte.
„Wahrheit zweifelt nicht“, sagtest du und ich stimmte dir zu.
Du dachtest viel nach und wägtest, was ich dir sagte. Eines Tages erzählte ich von einer Freundin, die davor gewarnt hatte, über einen Text Gefühle für den Autor zu entwickeln: „Wir verlieben uns in die Worte. Auch in die eigenen. Take care.“
„Wir verlieben uns nicht in die Worte, sondern in den Menschen dahinter“, sagte ich dir.
Doch ihr Gedanke ging dir nicht mehr aus dem Kopf.
„Was fehlt dir?“, höre ich dich plötzlich fragen, weil ich weine.
„Neben dir? Mich um deine Texte zu kümmern, sie zu lektorieren, mich mit dir auszutauschen. Zu lächeln, wenn ich sehe, dass du ‚dass‘ statt ‚das‘ geschrieben hast. Das „mich“ umzustellen, das du immer an die falsche Stelle des Satzes platziertes.“
„Es gibt andere Schreiber“, versuchst du mich zu trösten.
„Allein darum geht es nicht. Ich tat es für dich.“
Manchmal möchte ich dir meine ganze Trauer entgegen schreien. Mein Vermissen, mein Leersein, alles, was ich durch habe.
Ich umschlinge unser Bild und küsse dich. Fahre mit der Hand an deinen Linien vorbei und an zehn Jahren, die uns nicht blieben. Verfluche die Realität, die sich zwischen uns stieß.
Könnte ich aufhören zu weinen, damit es dir nicht mehr weh tut, ich würde es tun.
Abstand
„Hättest du dich auf ihn eingelassen, wenn du das alles vorher gewusst hättest?“, wurde ich gefragt.
Meine Antwort ist „ja“.
Ich wusste, was auf mich zukam, du hattest es mir gesagt. Nicht alles, nicht den ganzen Eisberg, aber doch die alles entscheidende Spitze, die dich davon abhielt, zu mir zu kommen.
„Wir sind uns nah, weil wir uns fern sind“, schriebst du und erklärtest es mit deinem Zorn und der Wucht deines Schmerzes.
„Der Tag, an dem ich zu dir komme, wird unser letzter sein“, dessen warst du dir sicher.
„Würdest du uns riskieren, für diesen einen Tag?“, fragte ich.
„Ja, das würde ich.“
„Ich nicht.“ Dich zu verlieren wäre schlimmer gewesen, als dich nicht zu sehen.
Wir verabredeten uns dennoch. Wie oft kamst du nicht an? Eine Zeitlang trug ich das Bild der Frau im Fenster, die mit der Hand an der Scheibe vergeblich auf den Mann wartet, den sie liebt.
Ich lernte Sehnsucht zu definieren, Enttäuschung und eine Mischung aus Wut und Traurigkeit, die ich bis dahin nicht kannte.
„Nenne mich nicht bei meinem realen Namen, wenn du nicht in der Lage bist, mich real zu sehen“, warf ich dir eines Tages an den Kopf. Es traf dich, wie mich dein Ausbleiben am Nachmittag, nachdem du gesagt hattest: „Ich bin in zwei Stunden da.“
„Ich wollte dich nicht verschmerzen“, höre ich dich.
„Ich weiß es doch, Liebster, ich weiß.“
Du hältst mich und ich drücke mich an dich. Jetzt sind da nur noch du und ich. Ohne Abstand, ohne Angst.
„Ich bin wütend“, erkläre ich dir.
„Worauf?“
„Auf alle. Auf alle, die kamen und gingen. Weißt du, wie viele es waren? Vielleicht zwanzig oder mehr, seit wir uns kennenlernten. Ich habe sie nicht mehr gezählt. Für alle war ich da und am Ende ist es wieder keiner für mich.“
„Sprichst du von meinem Bruder?“
„Er war da, aber auch er wäre nicht geblieben.“
„Das kannst du ihm nicht verdenken.“
„Das tue ich auch nicht. Das Problem liegt in mir. Weißt du noch, wie ich dir sagte: Die Menschen erzählen mir ihre Geschichten? So ist es immer noch. Die Menschen erzählen mir ihre Geschichten und dann gehen sie.“
„Aber er hat dir doch zugehört.“
„Ja. Er ist einer der wenigen, die es können.“
„Was erwartest du?“
„Es geht nicht um Erwartungen. Ich erwarte nichts. Es geht darum, dass ich keinen Abschied mehr schaffe. Ich schaffe es nicht mehr, mich mit jemandem vertraut zu machen, wenn am Ende nur eine Geschichte bleibt.“
„Wie bei uns?“
„Ja, wie bei uns. Es tut weh.“
„Ja.“
„Weißt du, mir liegt an den Menschen, mit denen ich bin. An jedem einzelnen.“
„Liebes?“
„Ja?“
„Was wäre die Konsequenz?“
„Mich auf niemanden mehr einzulassen.“
Falkenflug
Einst beschriebst du den Flug eines Falken und jetzt gerade erinnere ich mich daran und folge ihm. Hier oben ist es einfacher, das Meer, den Turm, die Klippen unter mir, selbst dich. Ich weiß, was du sagen wirst, wenn ich wieder bei dir bin. Ich will es nicht hören. Noch nicht, Liebster, noch nicht.
Und immer noch Wut
„Ich bin stark genug für alles, nur für eines nicht.“
Wie oft zerriss es mich, wenn du mich fortschicktest? Auch das habe ich nicht gezählt. Doch jedes „Geh“ hinterließ eine Spur, jeder Abstand tat weh. Jeder Gedanke an einen Menschen, dem du real warst, schmerzte. Mir blieb das Streicheln des Bildschirms, wenn ich deinen Namen las.
Es gab eine Zeit, da konnte ich nicht hassen. Heute hasse ich eine Welt dafür, was sie uns antat.
Schmerzfrei ist tot
„Das bist nicht mehr Du, wenn du dich zurückziehst, wenn du nicht mehr mit Menschen bist, nicht mehr lachst.“
Ich sehe deine Besorgnis. „Vielleicht habe ich mich ja mit dir verloren“, antworte ich.
„Hör auf damit, du benimmst dich wie eine Vierjährige im Supermarkt.“
„Aber ich will nicht, dass es nochmal so schmerzt!“ Ich sehe die Vierjährige mit dem Fuß aufstampfen.
„Schmerzfrei ist tot“, flüsterst du.
Ich sehe dich an und breche weinend zusammen. „Ich würde so gern unsere Leichtigkeit wieder haben, unser Lachen, dass wir uns Worte wie Bälle zuwerfen und diese ausgelassene Stimmung, die uns alles um uns herum vergessen lässt.“
„Selbst das schmerzte, weil ich dabei Angst hatte, dich zu verlieren“, erinnerst du dich.
„Ja, ich weiß. Und ich versprach, das wirst du nicht.“
Du hältst und wiegst mich. Ich denke an das Mosaik, die dunklen und hellen Steine, um deren jeden ich weine. Du lässt mir Zeit.
„Aufbruch?“, fragst du dann.
„Bald“, sage ich, „aber nicht heute.“
Und du lachst.
„Ich fahre in die Heimat“, sagtest du und ich machte mir keine Gedanken, bis du dich immer seltener meldetest und wenn, dann in schlechter Verfassung. Ein gutes halbes Jahr nach deiner Abreise erfuhr ich von deinem Tod, an dem Tag, an dem du starbst. Ich kam noch nicht dazu, zu trauern, weißt du? Es ist nun fast vier Monate her und es war immer etwas los. Jetzt ist endlich Stille. Zeit zu weinen, mich von dir halten zu lassen, dir zu sagen, dass du mir täglich mehr fehlst. Ich suche nach deinen Spuren und bin froh, sie noch dort zu wissen, wo du sie in weiser Voraussicht hinterlassen hast.
Unser Bild hat den Weg zu mir gefunden. Ich sehe dich lächeln. Du hast immer darauf vertraut, dass alles zu dem Menschen gelangt, zu dem es gehört, und am Ende kamst du so bei mir an: In Liebe zu mir, um die ich wusste, im Hoffen auf meine Zuversicht und jenseits der Realität, die zwischen uns lag.
„Schreibe mir nie einen Abschiedsbrief“, hast du mich gebeten. Ich schreibe dir und du siehst, es ist keiner. Nenne ihn Trostbrief oder Erinnerung. Nenne ihn Illusion, weil ich davon spreche, du wärest noch da und ich gehalten von dir auf unserem Turm. Wir haben so oft über Briefe gesprochen, die nicht abgeschickt wurden, und meiner – erreicht er dich? Im Glauben an ein Danach, an eine Anderswelt, in der du nun bist, sage ich „ja“.
Epilog
Lass mich noch eine Weile bei dir sein. Unsere Zeit war so kurz, unsere Tage so wenige, deine Gedanken oftmals an anderem Ort. Wenn wir nun zusammen sind, dann unter uns.
„Hey“, sagst du, „ich möchte auch feiern und singen und Fische fangen mit den Jungs.“
„Geh nur“, lächle ich, „und grüße sie. Und bringt einen guten Fang mit heim, damit wir ihn grillen können.“
Du springst auf und ich bin sicher, du kommst zurück.
Texte: Autorin
Bildmaterialien: Autorin
Tag der Veröffentlichung: 31.05.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Caleb