Es war schon lange nach 18.00 Uhr, als Lilly endlich die Tür zu ihrer Wohnung öffnete, ihre Jacke und Tasche in die Ecke warf, aufräumen würde sie sie später, Schuhe von sich streifte und sich auf ihr Sofa fallen ließ, begleitet von einem langen, erleichterten Stöhnen. Was für ein Tag!
Lilly, eine zierliche, ca. 168 cm große Frau, hatte damals mit 19 Jahren ihren Traum verwirklicht und startete nach dem Abitur eine Ausbildung als Buchhändlerin. Zu der Zeit konnte sie ihr Glück kaum fassen, denn so konnte sie ihr geliebtes Hobbie Lesen praktisch zum Beruf machen. Allerdings hatte Lilly damals nicht an den stetigen Fortschritt der Technik gedacht, welcher durch E-Book und E-Reader, sowie dem einfachen Bestellmöglichkeiten im Internet, die Bücher langsam aber sicher von der Schaltfläche drängte. Gerade mal 6 Jahre nachdem sie ihre Ausbildung beendet hatte, musste die kleine Buchhandlung in der sie gearbeitet hatte, wegen Zahlungsunfähigkeit schließen. Die Kunden waren ausgeblieben. Knapp zwei Jahre war sie arbeitslos gewesen, hatte sich das Ohr halb abtelefoniert um einen neuen Job zu finden, allerdings wurde, wie es ihr vorkam, nirgendswo auf der Welt mehr Buchhändlerinnen gebraucht. Nach 1 ½ Jahren reichte es ihr. Sie wollte endlich wieder arbeiten. Daher kam sie zu dem Entschluss, sich selbstständig zu machen. Lange überlegte sie, wie sie die Bücher wieder unter die Menschen bringen könnte. Die zündende Idee kam ihr eines Nachts. Kinder waren ihr Schlüssel zum Glück. Denn Kinder hatten noch die größte Fantasie. Schnell stand für die Frau fest, was sie zu tun hatte. Sie musste einen Laden finden, an dem viele Schulkinder vorbei gingen. In diesem Laden würde sie dann nur Bücher für Kinder verkaufen. Allerding war ihr schnell klar, dass nur dies nicht ausreichen würde, um einen Laden lange halten zu können. Nein, sie musste die Freude und Fantasie der Kinder nutzen, um die Erwachsenen auf sich aufmerksam zu machen. Also überlegte sie sich ein Konzept, wie sie das anstellen wollte. Lilly wollte den Kindern die Möglichkeit geben, selbst ein Teil ihres Ladens zu werden. Sie wollte zusammen mit Kindern, die sie hoffentlich für ihr Vorhaben begeistern konnte, Projekte auf die Beine stellen, wie Vorlesungen von Autoren oder aber auch von den Kindern selber oder Ausstellungen oder was den Kindern sonst noch so einfallen würde.
Als Lilly damals ihr Konzept fertig gestellt hatte, war sie total begeistert davon. Schnell fand sie auch den richtigen Laden dafür. Allerdings verflog ihr Enthusiasmus sobald sie auf der Bank war, um die Finanzierung ihres Vorhabens zu klären, denn so begeistert sie doch von ihrer Idee war, ihr Bankberater war es leider nicht. Doch Lilly gab nicht auf. Die Bank gewährte ihr einen kleinen Kredit und Spenden von Freunden und Verwandten ermöglichten ihr dann doch den Start in die Selbstständigkeit. Und ihr Plan ging auf. Schnell hatte sie durch Werbung und Mundtratsch eine Gruppe von Kindern zwischen 6 und 13 Jahren zusammen, welche voller Ideen steckten und mit ihren gemeinsamen Projekten hatten sie schon viele Kunden in Lillys kleinen Laden gelockt. Es war zwar absolut nicht viel, was sie abends an Einkommen mit nach Hause brachte, schließlich musste sie ja auch noch die ganzen Leihgaben an ihre Freunde und Verwandte zurück zahlen, sowie an die Bank, aber wenn sie sparsam lebte, konnte sie davon leben. Für Lilly ging ein Traum in Erfüllung. Mittlerweile wollten die Eltern bei ihr sogar die Schulbücher ihrer Kinder kaufen. Auch das wollte Lilly ermöglichen, daher hatte sie momentan sehr viel Stress, da die Sommerferien vor ein paar Tagen gestartet waren und sie nun allerhand zu tun hatte, damit sie auch vorbereitet war, wenn in ein paar Wochen die Erwachsenen Schulbücher bei ihr kaufen wollten. Doch trotz des Stresses erfreute sie sich doch an diesem Fortschritt, denn dieses Interesse zeigte ihr, dass sie und ihr Laden angenommen wurden, daher nahm sie den Stress auch gerne auf sich, auch wenn das hieß, dass sie Freitag abends total erschöpft nach Hause kam.
Das Klingeln ihres Telefons ließ Lilly hochschrecken. Unwillig drückte sie sich vom Sofa hoch und schleppte sich zu ihrer Tasche, welche immer noch achtlos in der Ecke lag, um das klingelnde Gerät hervor zu holen. Als sie auf das Display schaute, erkannte sie, dass ihre beste Freundin Paula sie anrief.
„Hallo Lill! Wie geht es dir? Ich hoffe gut, denn ich habe die absolute Party für uns beide gefunden. Schwing deinen hübschen Hintern von dem Sofa, mach dich hübsch, wir gehen ins Palais!“
Lilly kannte Paula schon seit dem sie kleine Kinder waren. Damals konnte Paula das y am Ende ihres Namens noch nicht aussprechen und nannte sie deswegen immer Lill. Aus irgendeinem Grund hatte sie dies beibehalten.
„Paula, ich bin total fertig von der Arbeit und habe eigentlich nur noch einen Wunsch, nämlich zu schlafen“, antwortete die Frau müde. „Geschlafen wird, wenn du tot bist“, entgegnete die Freundin, „ im Palais ist heute Ü30 Party!“
Das Palais war eine etwas noblere Diskothek in der Altstadt. Man konnte dort schick essen gehen, aber eben auch im Keller sehr gut feiern. Lilly mochte das Palais, da es dort nicht immer so voll war und man dadurch den Abend genießen konnte.
„Ach, ich weiß nicht Paula, ich wollte eigentlich nicht so spät heute schlafen gehen, weil ich morgen noch mal in den Laden wollte…“ „Nix da, du arbeitest viel zu viel. Mit deinen 30 Jahren und meinen 31 Jahren sind wir da noch Frischfleisch, die Männer werden sich auf uns stürzen. Gönn dir doch mal ein bisschen Spaß, das wird dir auch mal gut tun.“
Paula liebte es Party zu machen und Männer aufzureißen. Ernsthafte Beziehungen waren nichts für sie. Lilly jedoch war da etwas romantischer gestrickt. Sie träumte davon, dass sie eines Tages ihren Traumprinzen finden würde.
Es dauerte nicht mehr lange, dann hatte Paula ihre beste Freundin überredet, mit auf die Feier zu kommen. „Gut, dann bin ich in zwei Stunden bei dir. Halt dich bereit, das wird ein fantastischer Abend!“
Nachdem Lilly aufgelegt hatte, ging sie ins Bad um zu duschen. Wenn Paula in zwei Stunden bei ihr vor der Matte stehen würde, dann musste sie sich beeilen.
Zwanzig Minuten später betrat sie frisch geduscht und nur mit einem Handtuch umwickelt ihr Schlaf-Wohnzimmer. Nachdem sie sich selbstständig gemacht hatte, musste sie Geld einsparen und entschied sich daher, in eine Ein-Zimmer Wohnung zu ziehen, welche für sie alleine ausreichend genug war. In der einen Ecke hatte sie ihr Wohnzimmer mit Sofa, Fernseher und Couchtisch eingerichtet, in der anderen ihr Bett und ihren Kleiderschrank hingestellt. Genau vor diesem stand sie nun und überlegte, was sie heute Abend anziehen sollte. Letzten Endes entschied sie sich für ein knielanges, trägerloses Cocktailkleid, welches ihre schmalen Schultern betonte und wodurch man ihre langen, schlanken Beine sehen konnte. Das Weiß passte perfekt zu ihrem etwas dunkleren Teint und ihren langen, leicht gewellten, braunen Haaren, sowie den braunen Reh Augen. Nachdem sie sich angezogen hatte und sich für die richtigen Schuhe entschieden hatte, betrat sie noch einmal das kleine Bad um Make-Up aufzulegen. Viel benötigte sie dafür allerdings nicht, denn Lilly hatte das Glück, dass sie von Natur aus sehr reine Haut und lange, dunkle Wimpern hatte, sodass sie nicht viel nachbessern musste. Viele ihrer Bekannten bewunderten sie immer dafür. Was sollte sie bloß mit ihren Haaren machen? Im Moment waren sie noch nass und zerzaust. Nun, vielleicht erst einmal föhnen und kämmen, dachte sie, dann konnte sie immer noch entscheiden, ob sie sie offen lassen oder doch zusammen machen sollte. Am Ende entschied sie sich doch dafür, die Haare in sanften Wellen über ihre Schulter fallen zu lassen. Schnell packte sie noch ihre Handtasche, warf noch einen letzten Blick in den Spiegel und dann klingelte es auch schon.
„Oh du siehst fantastisch aus!“, rief Paula aus, als sie ihre Freundin erblickte. Paula überragte Lilly um einen halben Kopf, aber auch wenn sie keine hohen Schuhe anhatte, war sie größer. Sie hatte ein Lächeln, welches jedem signalisierte, dass sie eine warmherzige, offene und ehrliche liebenswürdige Frau war. Wenn man allerdings in ihre grünen Augen blickte, dann sah man dort den Schelm aufblitzen, denn mit Paula konnte man immer Spaß haben, egal wo und egal wann. Das blonde Haar hatte sie zu einem hübschen Bob geschnitten. Paula trug ein grünes Cocktailkleid, welches nur über einen Arm den Träger hatte und einen Schmalen Gürtel um den Bauch, welcher mit grünen Strass Steinen besetzt war. Es stand ihr fantastisch und passte perfekt zu ihren wunderschönen grünen Augen.
„Vielen Dank, das Kompliment kann ich nur zurück geben“, antwortet Lilly. Ihre Müdigkeit von vorhin war nun wie weggeblasen. Sie freute sich auf den gemeinsamen Abend mit ihrer Freundin.
Als sie an ihrem Zielort ankamen, war dort die Party schon voll in Gange. Kichernd wie kleine Mädchen gingen sie an der Security vorbei in den Club. „Lass uns als allererstes erst einmal auf einen wunderschönen Abend anstoßen!“, rief Paula ihr zu. Die beiden Frauen schlängelten sich durch die Tanzende Menge zur Bar. „Zweimal Sex on the Beach, bitte“, rief Paula den Barkeeper über die Theke hinweg zu. Dann reichte sie Lilly eines der beiden Gläser. „Prost meine Süße, auf einen wundervollen und erfolgreichen Abend!“ Die beiden stoßen miteinander an. Daraufhin drehte Paula sich auf ihrem Hocker so um, dass sie einen guten Blick auf die tanzende Menge hatte. Lilly tat es ihr gleich. Beide beobachteten sie die sich taktisch zur Musik windenden Körper. Sie sah Frauen in schicken Kleidern und Schuhen, die so hoch waren, das Lilly dachte, wenn sie jemals so hohe Schuhe anziehen müsste, dann würde ihr bestimmt schwindelig von der Höhe werden. Aber auch Männern, mal in T-Shirts und mal mit einem Sakko darüber. Während sie weiter genüsslich ihren Drink genoss, ließ sie ihren Blick weiter über die Menge wandern und unterhielt sich nebenbei mit Paula über deren aufdringlichen Arbeitskollegen, welcher unbedingt einmal mit Paula ausgehen wollte und auf gar keinen Fall jemals aufgab, auch wenn er schon so viele Körbe von ihr bekommen hatte. „ Heute hatte er mir ein Ü-Ei auf den Tisch gelegt… Natürlich hatte er so getan als wäre es nicht von ihm, aber welcher meiner Kollegen sollte mir sonst ein Ü-Ei auf den Schreibtisch legen. Als ich ihn darauf angesprochen habe, wusste er von nix und gab vor sich genauso zu wundern wie ich. Aber ich bin ja nicht doof…“, erzählte Paula gerade, doch Lilly konnte auf einmal nicht mehr zuhören. Etwas verlangte ihre volle Aufmerksamkeit. Während sie so nichtsahnend ihren Blick weiter über die Menge wandern ließ, blieb er plötzlich an einer Person hängen. Diese Person hatte goldbraune, kurze Haare, welche mit etwas Gel ein bisschen verwuschelt worden sind, dunkle braune Augen und einen drei Tage Bart. Er trug eine Jeans, welche seinen wohlgeformten Hintern gut zur Geltung brachte und ein blau kariertes Hemd. Sein Lächeln hatte Lilly sofort verzaubert. Sie musste diesen unglaublich gut aussehenden Mann, welcher dort mit einem Freund auf der Tanzfläche tanzte, unbedingt kennen lernen. Paula neben ihr war immer noch am Reden, bekam aber gar nicht mit, dass ihre Freundin ihr nicht mehr zuhörte. Gerade wollte sie den neuesten Tratsch Lilly erzählen, da fiel diese ihr plötzlich ins Wort, packte ihren Arm, rutschte vom Hocker und sagte nur noch: „Komm, lass uns tanzen!“, daraufhin zog sie die völlig verdutze Paula auch schon hinter sich her. Zielstrebig ging Lilly auf die Mitte der Tanzfläche zu. Das passte eigentlich absolut nicht zu ihr. Normalerweise war Lilly immer eine, die sich lieber am sicheren, äußeren Rand der Tanzfläche aufhielt. Was konnte sie nur entdeckt haben, dass sie nun ihre Meinung änderte. Kurz vor der Mitte machte Lilly halt und fing an zu tanzen. Neugierig blickte Paula sich um und entdeckte ihn. Oh ja, das musste der Grund für Lillys Verhalten gewesen sein. Er, war ca. 1,80cm groß, hatte eine gute Statur, Paula vermutete unter dem Hemd ein Sixpack und einen wundervollen, knackigen Hintern. Seine Haare waren kurz und sexy strubbelig. Charmantes Lächeln, ja, dieser Mann war 100%ig Lillys Typ. Da Paula nichts gerne den Zufall überließ, begann auch sie zu tanzen und bugsierte Lilly dabei unauffällig immer näher an den Unbekannten heran. Irgendwann ging ihr Plan auf und die beiden stoßen gegeneinander. „Hoppla!“, rief der Mann, „Sorry, hast du dir weh getan?“, fragte er gleich darauf Lilly. Diese lächelte schüchtern. „Nein, es ist alles ok. Tut mir leid, ich habe dich nicht gesehen.“ Die beiden lächelten sich noch eine Weile an. Paula merkte sofort, dass zwischen den beiden die Chemie stimmte. Sie war hier nun fehl am Platz. Deshalb wandte sie sich an Lilly „Ich habe dahinten jemand interessantes gesehen, ich werde dort mal die Lage abchecken, soweit ich das beurteilen kann, werde ich hier ja vorerst nicht mehr gebraucht. Viel Spaß euch beiden noch, bis später!“ Damit verschwand sie in der Menge. Lilly bekam das gar nicht wirklich mit. Sie konnte den Blick nicht von dem Gesicht des Mannes, der vor ihr stand lösen. Wie gerne wäre sie mit den Fingern die Konturen seines Gesichtes nachgefahren. Auch er schaute sie unverwandt an. Sie war so schön. In ihren Augen konnte er versinken und dieser volle Mund löste in ihm den Drang aus, ihn zu küssen. Er war sich sicher, dass sie wunderbar schmecken würde. Doch er musste sich zusammen reißen. „ Magst du etwas trinken?“, fragte er sie. Lächelnd stimmte sie zu und zusammen gingen sie zurück zur Bar. „Was darf es denn sein?“, fragte er als sie angekommen waren, „ Oh, ich hätte gerne noch einen Sex on the Beach.“ Er bestellte also zwei Sex on the Beach. „Ich heiße übrigens Robert“, fing er daraufhin ein Gespräch an. „Ich bin Lilly.“ „Lilly, ein schöner Name. Er passt zu dir.“ „Danke. Und was machst du so beruflich?“, fragte die Frau. Doch genau in diesem Moment kamen die Getränke und Robert konnte so der Frage entgehen. Nachdem sie beide zusammen angestoßen hatten, fragte Robert sie nach ihrem beruflichen Leben. Sie erzählte ihm, dass sie sich vor nicht allzu langer Zeit selbstständig gemacht hatte und von ihrem kleinen beschaulichen Laden und dessen Zweck. Robert meinte, er hätte von diesem mutigen Projekt schon mal gehört, dass es eine Frau in der Stadt gäbe, die ihre finanzielle Sicherheit praktisch in die Hände von Kindern gelegt hätte. Lilly erwiderte darauf, dass ihr das Geld gar nicht so wichtig sei, sondern sie einfach nur glücklich im Leben sein wollte. Dieser Satz beeindruckte Robert sehr.
Die beiden verstanden sich sofort. Der Abend war für beide ein voller Erfolg. Noch lange saßen sie an der Bar und unterhielten sich über Gott und die Welt. Zwischendurch gingen sie auch auf die Tanzfläche, aber sie waren zu neugierig auf die andere Person, um sich lange mit Tanzen aufzuhalten. Beseelt vor Glück registrierte Lilly gar nicht, dass sich das Gespräch eigentlich immer nur um sie drehte und Robert ihren Fragen über sich stetig und geschickt auswich.
Man sah schon weit am Horizont einen hellen Streifen, wo die Sonne bald aufgehen würde, Paula hatte sich schon vor zwei Stunden verabschiedet und war nach Hause gegangen, mit einem jungen Mann in Schlepptau, welcher ihr wie ein Hündchen überall hin zu folgen schien, als Lilly und Robert den Club verließen und durch die Straßen schlenderten. Es war das erste Mal, dass es Lilly bedauerte, dass ihre Wohnung so nah war, denn wenn es nach ihr gegangen wäre, dann hätte sie noch tausend Stunden mit Robert verbringen können. Doch leider ging es viel zu schnell und ehe sie sich versah, standen sie schon vor ihrer Haustür.
„Danke für den schönen Abend.“ „Ich habe zu danken, schließlich hast du ihn doch erst so schön gemacht“, meinte Robert. Sie standen vor der Tür und keiner wollte sich als erstes Verabschieden. „Also dann…“, meinte Lilly schließlich. „Ja, also dann… ich würde dich gerne wieder sehen. Wie wäre es, wenn ich dich nächste Woche zum Essen einlade?“ Puh, jetzt war es heraus. Lilly strahlte. „Das würde mich sehr freuen. Sagen wir acht Uhr?“ „Ja, super, dann hole ich dich nächste Woche hier ab. Dann wünsche ich dir eine gute Nacht.“ „Gute Nacht. Und danke fürs nach Hause bringen. Komm gut heim.“ Als Robert sich umgedreht hatte und die Treppe hinunterging, blieb sie noch einen Moment stehen und schaute ihn hinterher. Was für ein wundervoller Mann, dachte sie, als sie lächelnd die Tür aufschloss. Während sie sich fürs Bett zu Recht machte, lächelte sie. Morgen würde sie Paula alles ganz genau erzählen müssen, das wusste sie. Und sie würde noch so viel arbeiten müssen. Aber darüber wollte sie sich jetzt keine Gedanken machen, sondern nur an Robert denken. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht schlief sie ein.
Ein paar Kilometer entfernt, außerhalb der Stadt in seiner Villa, erging es Robert genauso. Vergessen war der ganze Stress in den letzten Wochen, vergessen die ganzen Drohungen, vergessen der Druck seines Vaters zum Wohle der Firma auf die Drohungen einzugehen und den Erpressern die Geldsumme, die sie wollten zukommen zu lassen, schließlich sei das für sie ja nur ein kleiner Betrag, nein, in dieser Nacht dachte Robert nur an Lilly. Auch er schlief mit einem Lächeln auf dem Gesicht ein.
Roberts gute Laune verflog schlagartig, als er am Montagmorgen die Firma betrat. Schon am Empfangsbereich kam ihm seine Sekretärin entgegen. „Herr von Riegen! Ihr Vater erwartet Sie seit einer geschätzten halben Stunde in Ihrem Büro“, informierte Sie ihn. „Das Meeting mit den japanischen Vertretern beginnt in einer Stunde im großen Konferenzraum und heute Nachmittag möchte Ihre Mutter mit Ihnen darüber reden, wie sie den Park um die Villa der Steins anrichten wollen.“ „Danke Tanja. Sonst irgendwelche Hiobsbotschaften, während des Wochenendes?“ „Nein, zumindest sind mir keine bekannt, allerdings habe ich die Vermutung…“ „…dass die Erpresser sich dieses Mal direkt an meinen Vater gewendet haben und er deswegen schon in meinem Büro auf mich wartet, obwohl er normalerweise um diese Zeit noch nicht mal aufgestanden ist? Ja, diese Vermutung habe ich auch. Wir werden sehen was uns diese Woche bringt“ Daraufhin betraten beide schweigend den Fahrstuhl und fuhren in den 5.Stock, wo sich Rolands Büro befand. Er schätzte Tanja als Sekretärin sehr, denn seit dem sie für ihn arbeitete hatten sie sich immer gut verstanden und sie hatte immer ein offenes Ohr für seine Probleme, ebenso er für ihre. So hatte er ihr auch mit Rat und Tat zur Seite gestanden, als sie sich vor einem halben Jahr scheiden ließ, da ihr Mann sie betrogen hatte. Er hatte ihr damals einen sehr guten Anwalt zur Seite gestellt und dessen Honorar übernommen, wofür sie ihm sehr dankbar war. Natürlich begannen dadurch auch die Gerüchte in der Firma, dass die beiden heimlich eine Affäre miteinander hätten, allerdings war dem nicht so und daher ignorierten beide diese. Tanja bestand auch darauf, dass sie ihn in der Firma höflich mit „Sie“ ansprach, obwohl er ihr aufgrund ihrer Freundschaft schon mehrfach das du angeboten hatte. Aber Tanja wollte die berufliche Distanz zwischen ihnen wahren. Sie war einfach die beste Sekretärin die er sich an seiner Seite wünschen konnte, denn sie wusste immer was zu welchem Zeitpunkt richtig war und was nicht. So auch jetzt, wo sie schweigend nebeneinander im Aufzug standen, wusste sie, dass sie ihn in Ruhe lassen sollte, da er sich schon innerlich auf das zweifellos nicht erfreuliche Gespräch mit seinem Vater vorbereitete.
„Guten Morgen Vater! Ich wusste gar nicht das du seit neuesten über die Frühaufsteher gegangen bist“, begrüßte Robert seinen Vater, als er sein Büro betrat. „Ich glaube nicht, dass wir Zeit für Scherze haben, die Sache wird langsam ernst mein Sohn. Hier, der wurde uns gestern Abend zugestellt.“ Er legte einen zerknitterten Zettel vor Robert auf den Schreibtisch, auf dem stand mit aufgeklebten, ausgeschnittenen Buchstaben: „Sofort 50.000€ sonst brennt der nächste!“ „Was hat das zu bedeuten `Sonst brennt der nächste`?“, fragte Robert. „Dieser Zettel war um einen Stein umwickelt und wurde durch das Fenster im unserem Badezimmer geworfen. Wir vermuten, dass sie dies in der Nacht getan haben, denn als deine Mutter gestern Morgen das Bad betreten hat, lag auf einmal dieser Stein auf dem Boden, zusammen mit den Glassplittern des kaputten Fensters.“ „Diese Dreckskerle! Habt ihr die Polizei informiert?“ „Robert… deine Mutter und deine Schwester haben panische Angst, wir überlegen, deine Schwester erst einmal zu meiner Mutter zu schicken, dieser Albtraum nimmt einfach kein Ende, warum geben wir ihnen…“ „Nein!“, viel Robert seinen Vater unsanft ins Wort. „Oh nein Vater. Wer weiß was das für Typen sind? Diese Typen müssen das Geld schon wirklich dringend nötig haben, denn normalerweise wird erstens viel mehr Geld verlangt und zweitens bleiben die Verbrecher bei so einer kleinen Geldsumme nicht so hartnäckig dahinter. Ich vermute also, dass das wahrscheinlich Junkies oder sonst irgendwelche Penner sind und denen werde ich mein Geld – unser Geld garantiert nicht zukommen lassen. Bitte Vater, dafür musst du doch Verständnis haben.“ Roberts Vater Joshua von Riegen begann seine Karriere indem er das kleine Architektenbüro seines Vaters übernahm. Als er drei Jahre nach der Übernahme seine Frau Vivien kennenlernte, welche Landschaftsgärtnerin war, beschlossen beide nach ihrer Hochzeit, dass sie beide Branchen miteinander verbinden wollten. Joshuas Traum war es schon immer Villen zu entwerfen und entstehen zu lassen. In den Laufe der Jahre florierte das Geschäft so sehr, dass das Unternehmen ArchitekturRiegen sich bald ganz auf die Villen spezifizieren konnte. Roberts Vater entwarf und ließ die Villen bauen, Roberts Mutter entwarf und richtete noch eine schöne zu dem Haus und der Umgebung passende Parkanlagen und Gärten an. Roberts Eltern hatten sich damit einen Traum verwirklicht und mittlerweile gehörte ihr Unternehmen zu eines der führenden Unternehmen der Branche in Deutschland. Schon als Robert noch ein kleines Kind war, war klar, dass er einmal die Geschäfte seines Vaters übernehmen würde. Daher lag ihm die Firma genauso am Herzen wie seinen Eltern. Sein Vater hatte Angst, dass durch die Erpressung das Arbeitsklima ins Schwanken kam und wertvolle Arbeitskräfte vielleicht verloren gingen, da sie Angst hatten. Denn auch wenn Robert und seine Eltern, sowie Tanja sich alle Mühe dabei gegeben hatten, diese Sache diskret zu behandeln, irgendwie war doch etwas nach außen gerutscht, sodass nun die ganze Firma Bescheid wusste. Wenn nun auch noch die Presse davon Wind bekamen, dann würden Robert und seine Eltern alle Hebel in Bewegung setzen müssen, um diese Sache wieder gerade zu biegen und um wieder positive Presse zu bekommen. Genau dies war der Punkt, weshalb sein Vater so darauf bestand, dass Geld zu bezahlen. Ja, er hatte Recht, 50.000€ waren für sie nicht viel Geld, aber trotzdem wollte Robert nicht irgendwelchen Irren sein Geld in die Hand drücken, schon gar nicht wegen einer feigen Erpressung. Und ohne sein Einverständnis konnte sein Vater nicht handeln.
„Robert, wenn wir das Geld einfach bezahlen, dann haben wir endlich wieder Ruhe und wir können alle mal wieder in Ruhe schlafen.“ „Und wenn wir das Geld diesen Kerlen in den Hals schieben, was meinst du wie schnell sich das rumspricht und die nächsten vor unserer Tür stehen. Was da gerade mit uns gemacht wird, ist kriminell Vater! Dafür gehen Menschen ins Gefängnis, du willst doch wohl nicht wirklich, dass wir so etwas auch noch unterstützen. Und ja, das machen wir, wenn wir jetzt nachgeben. Ich werde sofort die Polizei informieren, dass wir schon wieder Drohungen erhalten haben und dass sie dieses Mal sogar in unser Privatleben eingedrungen sind. Ich werde mich nicht von einer Bande Kriminellen kleinkriegen lassen!“ Joshua wusste, wenn sein Sohn so drauf war, dann würde er ihn nicht von seiner Meinung abbringen lassen. Auf der einen Seite konnte er ihn zwar verstehen, aber auf der anderen fand er es einfach nur schrecklich, die Nervosität und Angst in den Augen seiner Familie zu sehen und mitzubekommen, wie Robert sich Tag und Nacht damit beschäftigte, irgendeine Spur von den Tätern zu bekommen. Seit fast zwei Monaten ging das nun schon so, dass sie fast täglich Briefe bekamen, worauf immer die gleiche Summe an Geld verlangt wurde. Wenn sie das nicht taten, dann wurde ihnen mit Entführung der Familien Angehörigen oder mit Sachbeschädigung gedroht. „Vater bitte, wir haben bis her schon ganz andere Krisen hinbekommen, wir werden auch diese meistern.“ „Ja, aber bis jetzt hatte noch keine Krise das Leben meiner Familie bedroht“, wandte der ältere Mann ein. „Aber auch das bekommen wir hin, vertrau mir.“ Niedergeschlagen und mit einem schwachen Nicken, begleitet von einem verzweifelten Seufzer verließ er das Büro seines Sohnes. Ja, er würde ihm Vertrauen müssen. Schließlich hatte er ohne Roberts Einverständnis, das Geld zu übergeben, sowieso keine Chance.
Seine Mittagspause verbrachte Robert mit seinen Freund und Kollegen Tony. Wie fast jeden Tag gingen sie zum Bäcker um die Ecke, holten sich dort beide ein Salatbrötchen und einen großen Kaffee. Ebenso drehte sich das Gesprächsthema fast ausschließlich um die Firma und ihre derzeitigen Aufträge, doch heute nicht. Es brannte Robert förmlich auf der Seele, er konnte es gar nicht abwarten, Tony von Lilly erzählen, mit der er sich so wunderbar unterhalten hatte und welche so lieblich und wunderschön war. „Ihr wart also in einer Diskothek und habt eigentlich den ganzen Abend nur an der Bar gesessen und euch unterhalten?“, fragte Tony ungläubig. „Ja, es hat einfach alles direkt vom ersten Moment an gestimmt. Wir waren uns sofort sympathisch und hatten eine wundervolle Unterhaltung.“ „Und worüber habt ihr so geredet?“ „Hm, hauptsächlich über sie.“ „Gut“, meinte Tony. „Ja, ich weiß was dir durch den Kopf geht, ich soll ja aufpassen, dass nicht dasselbe wie letztes Mal passiert, aber glaube mir, ich habe aus meinen Fehlern gelernt, so schnell passiert mir so etwas nicht noch einmal. Irgendwie habe ich es geschafft, immer wenn das Thema auf mich kam, ihr auszuweichen und das Thema wieder auf mich zu lenken. Ich glaube es ist ihr noch nicht einmal wirklich aufgefallen.“ „Und wie geht es jetzt weiter? Ich meine, so wie du von ihr schwärmst, wirst du sie doch bestimmt wieder sehen, oder?“ „Ich werde sie nächste Woche zum Essen ausführen und dann mal sehen, wie dieses Date verläuft. Ich bekomme sie und vor allem ihr herzliches Lachen einfach nicht mehr aus meinen Kopf heraus, ständig muss ich an sie denken.“
Lilly hatte den ganzen Tag Kisten mit Schulbüchern geschleppt, nachdem sie am Sonntag in ihren Regalen Platz gemacht hatte, also die Bücher erst einmal nach der momentanen Beliebtheit sortiert und daraufhin die unbeliebteren heraus und ins Räumchen, welches sie als Lager benutzte, geräumt hatte, räumte sie nun die teilweise wirklich schweren Büchern alle in die Regal hinein. Trotz der körperlichen Anstrengung war sie doch sehr zufrieden, denn sie hatte alles geschafft, was sie sich für heute vorgenommen hatte. Ob das an ihrem Arbeitstiming oder daran, dass es ihr vorkam, als ob seit Freitagabend ihr alles viel leichter von der Hand ging, wusste sie nicht. Fast jede Sekunde dachte sie an Robert und freute sich, wie ein kleines Kind auf Weihnachten, ihn am Freitag endlich wieder zu sehen. Allerdings musste sie sich heute erst einmal den Fragen ihrer besten Freundin stellen. Paula hatte sich zum Abendessen angekündigt, sie wollte die Zutaten besorgen und dann wollten die beiden zusammen einen leckeren, vegetarischen Auflauf zubereiten. Natürlich tag Paula dies nicht ohne Grund, denn natürlich wollte sie jedes einzelne Detail über Robert hören. Doch Lilly machte dass nichts aus, sie dachte sowieso ununterbrochen an den Mann und wollte am liebsten jeden ihrer Kunden von ihrer neuen Bekanntschaft erzählen. Doch sie zwang sich dazu, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren.
Pünktlich zur verabredeten Zeit klingelte es und Paula brachte Heiterkeit in Lillys kleine Wohnung. Voll gepackt mit zwei riesigen Einkaufstaschen betrat sie die Küche. „Ich hoffe ich habe alles, ich Depp habe natürlich mal wieder den Einkaufszettel daheim liegen lassen, da wusste ich nicht mehr ganz genau was ich alles besorgen musste, deswegen habe ich halt mal alles gekauft, wovon ich dachte, dass es von uns gebraucht wird.“ „Oh und wie es aussieht, noch viel mehr, was nichts bei einem Hauptgang zu suchen haben sollte und nebenbei noch unzählige Kalorien hat.“ „Ach hör doch auf, als ob du groß auf Kalorien achten müsstest, du kannst doch futtern, wie ein Scheunendrescher und trotzdem wirst du nicht dicker. Unsereins dagegen, ja, wir müssen jeden Morgen mit ansehen, wie die Klamotten über Nacht schon wieder enger geworden sind. Kannst du es glauben, meine Lieblingsjeans passt mir nicht mehr? Ich habe tatsächlich wieder zu genommen, dabei dachte ich doch, ich wäre so erfolgreich mit meiner Diät gewesen.“ Paula breitete während des Redens all ihre Einkäufe auf der Küchentheke aus. „Ach, das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Ansehen tut man es dir auf jeden Fall nicht, oder doch?“ , misstrauisch beäugte Lilly den Oberkörper ihrer Freundin, „Ja, da, ist da nicht tatsächlich ein Anzeichen von Hüftenspeck? Oho…. Paula, Paula, jetzt sehe ich es aber ganz deutlich. Kein Wunder, dass dir deine Hose nicht mehr passt.“ „Was???“, schrie Paula und schaute panisch an sich herunter. Als sie dann das Lachen ihrer besten Freundin hörte, blickte sie sie böse an. „Du bist gemein!“, meinte sie und drehte sich beleidigt um. „Ach komm, sei keine beleidigte Leberwurst, lass uns auf einen schönen Abend anstoßen.“ Lilly war gerade dabei, den Wein zu öffnen und ihnen beiden jeweils ein Glas einzuschenken. Als die beiden Frauen miteinander anstießen, schmunzelte Paula: „Stimmt, ich bekomme ja noch eine Berichtserstattung.“
„Was macht er denn beruflich?“ Paula und Lilly saßen am Esstisch und ließen sich ihren köstlichen Auflauf schmecken. Nebenbei hatte Lilly ihr den Freitagabend bis ins kleinste Detail geschildert, allerdings hatte Lilly bis jetzt noch wenig über den Mann an sich erzählt, dabei interessierte ihre Freundin dies doch am meisten. Deswegen hackte Paula nun nach. „Oh, er ist, er ist… ehm, warte kurz, lass mich überlegen… hm, du, ich glaube das hat er entweder vergessen zu erwähnen oder ich habe in dem Moment nicht richtig zu gehört, kann ja auch sein, schließlich hatte die Musik sehr laut gespielt.“ Paula dachte sich nichts dabei und fragte weiter: „und kommt er wenigstens hier aus der Nähe? Vielleicht auch aus unserer Stadt, sodass ihr euch öfters sehen könnt?“ „Das habe ich gar nicht gefragt…“, meinte Lilly lahm. „Also Lilly, so was fragt man doch! Ok, aber, wie alt er ist, das wirst du doch wohl wissen, oder?“ Doch Lilly schüttelte nur den Kopf. „Also ok, ich fasse einmal zusammen, dir fällt dieser Mann im Club auf, er sah wirklich nicht schlecht aus, ihr unterhaltet euch, er gibt dir mehrere Drinks aus, du erzählst ihm so ziemlich deine gesamte Lebensgeschichte, aber du weißt weder, wo er wohnt, noch was er vom Beruf ist, ja, noch nicht einmal wie alt er ist und ich wette, seinen Nachnamen kennst du auch noch nicht, habe ich recht?“ Wieder schüttelte Lilly nur trübselig mit dem Kopf. „Aber er war sehr charmant, hat dich noch bis zur Haustüre gebracht und für Freitag zum Essen eingeladen. Nach deiner Handynummer hat er auch nicht gefragt?“ „Nein, hat er nicht“, antwortete Lilly leise. Sie musste ihrer Freundin Recht geben. Das war ihr vorher gar nicht wirklich bewusst gewesen, aber nun erkannte auch sie es. Sie hatten an diesem Abend ausschließlich nur über Lilly gesprochen. Über Robert wusste Lilly im Prinzip rein gar nichts. Anscheinend hatte sie sich zu sehr von seinem Charme einwickeln lassen, dass es ihr nicht aufgefallen war, dass er all ihren Fragen zu seiner Person geschickt ausgewichen war. Tief in ihrem Inneren war ihr klar, was Paula nun leise aussprach: „Lilly, ich glaube, du solltest dir keine allzu großen Hoffnungen machen, dass er am Freitag vor deiner Tür stehen wird. Für mich hört sich das so an, als hätte er nur ein schnelles Abenteuer gesucht und war deswegen so charmant. Es tut mir leid, Maus, aber ich könnte mir sein Verhalten nicht anders erklären.“ „Ja, wahrscheinlich hast du Recht.“
An Anfang fiel es Lilly schwer, aber irgendwann musste auch sie sich eingestehen, dass Paula recht hatte. Wenn ein Mann wirklich Interesse an einer Frau hat, dann fragt er sie doch wenigstens nach ihrer Nummer, oder? Aber er hatte nicht danach gefragt, dachte sie bei sich. War er wirklich nur mit ihr an die Haustür gekommen, weil er gehofft hatte, dass sie in mit hinein und damit direkt mit in ihr Bett bitten würde? War die Einladung zum Essen nur der letzte, verzweifelte Köder gewesen, um sein Ziel zu erreichen? Er hatte auf sie gar nicht den Eindruck gemacht, als wäre er dieser Typ von Mann. Ha, wie schnell man sich doch täuschen kann!
Doch nun Schluss mit den Gedanken an Robert, sagte sie sich selber. Schließlich wusste sie ja noch nicht einmal seinen Nachnamen. Ja, anscheinend hatte sie sich wahrhaftig getäuscht. Bis jetzt war sie immer von solchen Kerlen verschont geblieben, aber sie war auch immer sehr vorsichtig gewesen. Aber dieses Mal, war sie eben nicht vorsichtig gewesen, sie hatte sich von ihren Gefühlen leiten lassen und kein bisschen auf ihr Herz gehört. Und man sah ja, was sie nun davon hatte. Nein, sie würde sich wirklich nicht mehr von diesem Mann ablenken lassen, sie würde ihn aus ihren Gedanken verbannen, die Löschtaste ihres Gehirns drücken und alle Dateien die etwas mit Robert zu tun hatten, löschen. Um ihren Gedanken Wirkung zu verleihen, schüttelte sie einmal heftig mit dem Kopf, als wollte sie die Gedanken abschütteln. Dann straffte sie die Schultern, hob die Nase noch etwas nach oben und ging zielstrebig in ihr Bad, um sich für ihren Arbeitstag fertig zu machen. Sie würde sich einfach mit ihrer Arbeit ablenken, beschloss sie.
Ihr Plan funktionierte auch sehr gut, sie hatte auf der Arbeit sehr viel zu tun, sodass sie kaum einen Gedanken an ihn verschwenden konnte. Längst hatte sie sich geschworen, in nächster Zeit wieder vorsichtiger zu sein und nicht direkt am ersten Abend alles von sich preis zu geben.
Die Woche verging schnell und ehe sie sich versah, war schon Freitag und sie konnte nach einem letzten, langen Arbeitstag für diese Woche ihren Laden schließen. Freudig machte sie sich auf den Weg zu ihrer Wohnung, mit dem Vorhaben, sich einen gemütlichen Abend auf dem Sofa zu machen, vielleicht einen schönen Film gucken und an überhaupt nichts mehr zu denken. Im Laden um die Ecke kaufte sie sich schnell noch eine Tiefkühlpizza, denn genauso wenig wie aufs Ausgehen, hatte sie auch auf das Kochen Lust.
Als sie daheim war, zwang sie sich, ihre Tasche ordentlich beiseite zu räumen, die Schuhe in die dafür vorgesehene Kommode. Wenn sie heute Abend schon faul sein wollte, sollte sie wenigsten diese kleine Tätigkeit machen. Dann schon sich Lilly ihre Pizza in den Ofen, stellte ihn ein und schnappte sich die Fernsehzeitung, um sich einen Film herauszusuchen. Als sie nichts Passendes fand, ging sie zu ihrem Schrank und durchwühlte ihre DVDs. Am Ende entschied sie sich dann doch für „Sex and the City“. „Dieser Film ist doch ideal für eine Frau, die einen Abend als Single vor dem Fernseher verbringen möchte“, sagte sie zu sich.
Nachdem sie es sich endgültig mit einem bequemen Jogginanzug und ihrer Pizza auf dem Sofa bequem gemacht hatte, startete sie den Film. Allerdings hatte sie noch keine zwanzig Minuten geguckt, da klingelte es an ihrer Tür. Verwundert, wer denn am Freitagabend um diese Zeit bei ihr klingelte, reagierte sie nicht sofort, worauf die Klingel ein zweites Mal ertönte. Das wird bestimmt Paula sein, fertig gestylt zum Ausgehen, dachte sie. Aber dieses Mal würde sie sich nicht breitschlagen lassen, sie würde daheim bleiben. Seufzend erhob sie sich. Als die Klingel ein drittes Mal läutete, rief sie: „Jaha! Ich komme ja schon.“ Bereit, ihre beste Freundin vor der Tür stehen zu sehen, öffnete sie die Tür und hätte sie am liebsten sofort wieder zugeschlagen.
Vor ihr stand nicht Paula. Es war noch nicht mal eine weibliche Person. Nein, vor ihr stand ein gutaussehender Mann, im Sakko, mit einem riesigen Strauß Blumen in der Hand. Lillys Herz fing sofort wieder zu rasen an, ihr wurde gleichzeitig heiß und kalt. Es war Robert, der da vor ihrer Tür stand! Lilly wusste nicht, wie lange sie da erstarrt, mit der Tür in der Hand so dastand, sie war unfähig sich zu bewegen, geschweige denn etwas zu sagen. Es kam ihr vor, als würden Stunden vergehen, in denen sie einfach nur dastand, den fröhlich lächelnden Robert ansah, seinen wohlgeformten Körper betrachte und vor allem die Blumen in seiner Hand. So einen riesigen Strauß hatte sie wirklich noch nie gesehen. Dafür hatte sie gar keine Vase, fiel ihr ein.
„Bist du immer so schick gekleidet, wenn du zum Essen ausgeführt wirst?“, fragte er mit einem lockeren Lächeln auf dem Gesicht. Erst jetzt konnte sie sich wieder bewegen. Er war hier! Hier, vor ihrer Tür, hatte Rosen in der Hand und lächelte! Sie konnte es kaum glauben.
„Äh, also, ich, nein, natürlich nicht. Also, ich, ich habe ehrlich gesagt überhaupt nicht mehr an diese Verabredung gedacht, ich hatte so viel auf der Arbeit zu tun gehabt, da ist mir das einfach durch gegangen.“ In Wirklichkeit hatte sie sich den ganzen Tag zwingen müssen, nicht an diese vermeintliche Verabredung zu denken, da sie sich eigentlich damit abgefunden hatte, Robert durchschaut zu haben und das er eben nicht heute vor ihrer Tür erscheinen würde. Doch nun war er da. Und oh Gott, sie stand im Jogginanzug vor ihm! „Ehm, ich werde mir sofort etwas anderes anziehen! Komm doch herein, mach es dir gemütlich, gib mir fünf Minuten!“ Damit ließ sie endlich die Tür los, rannte zu ihrem Kleiderschrank, kramte das erstbeste Kleid heraus, was ihr in die Finger kam und flitzte weiter zum Bad. Hinter sich schloss sie die Tür und lehnte sich an ihr an. Erst einmal ausatmen.
Nach dem gemeinsamen Abendessen mit Paula, wo diese ihr die Augen geöffnet hatte, hatte sie eigentlich gedacht, Robert durchschaut zu haben, aber nun war er tatsächlich gekommen. Meinte er es wirklich ernst mit ihr, oder wollte er nur weiterhin sein Plan durchsetzten, am Ende in ihrem Bett zu landen? Immerhin in ihrer Wohnung war er schon einmal. Was sollte sie nur tun? Sie schaute auf ihr Kleid in ihrer Hand und dann zurück in ihr Spiegelbild. Dann atmete sie erneut noch einmal durch. Gut, sie würde diesen Mann heute Abend noch eine Chance geben, aber sie würde mehr von ihm erfahren, diesmal würde er derjenige sein, der Fragen beantworten würde. Und sie würde ihn auf keinen Fall in ihr Bett lassen, auf gar keinen Fall!
„Wow, du siehst unglaublich aus“, staunte Robert, nachdem sie das Bad wieder verlassen hatte. „Danke. Können wir dann?“, fragte sie. „Wo führst du mich denn hin?“ „Lass dich überraschen, nur so viel vorweg, du wirst es nicht bereuen, das Essen schmeckt dort köstlich.“
Gemeinsam gingen sie also los. Lillys Herz schlug schon wieder bis zum Hals. Vor dem Haus stand ein schicker Audi A1. Wie ein Gentleman hielt er ihr die Beifahrertür auf und sie stieg ein. Lange mussten sie nicht fahren. Denn nach kurzen Minuten waren sie schon da.
Der Kellner begrüßte sie freundlich und führte sie beide zu ihren Tisch. Es war ein wunderschönes Lokal. Lilly kannte es schon, allerdings hatte sie es noch nie von innen gesehen, denn von außen sah es immer sehr nobel aus. Nach einem kurzen Blick in die Speisekarte, wusste sie, dass sie Recht hatte. Sie bestellten ihre Getränke und ihre Speisen.
Ehe sich Lilly versah, waren sie schon wieder mitten in ein Gespräch vertieft. Lilly erzählte ihm von ihrem neuesten Projekt, welches sie mit ihren Kindern im Laden plante und er erzählte ihr, dass er schon einmal eines ihrer Projekte besichtigt hatte. Es war eine Osterausstellung gewesen, wo die Kinder ihre eigenen Ostereier verzieren sollten und sich dazu eine kleine Geschichte ausgedacht haben. „Ich fand diese Ausstellung damals sehr schön“ meinte er. Sie redeten noch bis ihr Essen kam, über dieses Thema. Doch das Gespräch blieb bei dem Thema Literatur. Lilly war schon längst wieder in seinen Bann gezogen und dachte gar nicht mehr an ihr Vorhaben, endlich mehr über den Mann, dem sie gegenübersaß, zu erfahren. Sie hatte sich mal wieder einwickeln lassen.
Das Essen war wirklich köstlich, Robert hatte wirklich nicht zu viel versprochen. Sie redeten über alles Mögliche, aber hauptsächlich über ihre Lieblingsbücher und Autoren, oder wo sie schon alles Mal in Urlaub gewesen war.
Als Robert die Rechnung forderte, entschuldigte sie sich kurz und ging auf die Toilette. Am Spiegel überprüfte sie ganz klischeemäßig ihre Frisur und ihr Make-Up. Mist, sie hatte sich schon wieder von ihn einwickeln lassen, und kaum etwas über ihn in Erfahrung gebracht. Doch, ein paar Kleinigkeiten wusste sie nun von ihm, allerdings nichts, was ihr irgendwie weiterhalf, damit sie ihn endlich durchschauen konnte. Merkwürdig war sein Verhalten immer noch. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte er sie kaum zu Wort kommen lassen sondern immer schnell neue Fragen gestellt oder ein neues Thema begonnen. Immerhin hatte sie etwas von ihm erfahren. Wenigstens ein kleiner Fortschritt, versuchte sie sich zu beruhigen. Daraufhin ging sie zurück zu ihrem Tisch. Robert hatte schon bezahlt und wartete bereits auf sie. Sie verließen das Lokal und Robert wollte ihr schon die Tür zu seinem Auto wieder öffnen, doch Lilly war auf einmal mehr nach Laufen zumute. Sie hatte einen so vollen Bauch, da sie ihren Teller bis zum letzten Stück leergegessen hatte, obwohl sie schon längst keinen Hunger mehr gehabt hatte. Ein kleiner Verdauungsspaziergang würde ihr also sehr gut tun. Bis zu ihrer Wohnung konnte es gerade mal eine halbe Stunde Fußweg sein.
„Ach, lass uns doch bitte laufen. Es ist so ein wunderschöner Abend. Und ich würde ihn gerne mit einem gemütlichen Spaziergang abschließen.“ „Aber sehr gerne, wenn du das möchtest.“
Sie gingen also gemeinsam nebeneinander los. Lilly hatte Recht gehabt, es war wirklich ein wunderschöner Abend. Die ersten Minuten gingen sie schweigend nebeneinander her. Doch dann ergriff Robert auf einmal ihre Hand, blieb stehen, sodass sie auch stehen bleiben musste und ihm nun direkt gegenüberstand, in seine wunderschönen Augen blicken konnte. „Lilly, die ganze Woche habe ich mich wie ein kleines Kind an Weihnachten auf den heutigen Abend gefreut. Denn ich wusste dass dieser Abend wunderschön sein würde. Und tatsächlich, er war, ist immer noch wunderschön. Du hast mich vom ersten Moment an verzaubert. Noch nie habe ich eine schönere Frau gesehen, eine wundervollere Frau, mit der ich so viel Spaß haben kann. Ich danke dir, für diesen schönen Abend und ich hoffe, dass diesen Abend noch viele weitere folgen werden.“ Daraufhin küsste er ihren Handrücken. Und ehe sie sich es versah, lag sein Mund auf ihren und er küsste sie leidenschaftlich. Lilly wusste gar nicht wie ihr geschah. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch schlugen Purzelbäume und ihr Herz raste wie verrückt. Es fühlte sich so wundervoll an, ihn zu küssen. Die Zeit schien stehenzubleiben, und als er sich langsam von ihr löste, musste sie erst einmal kräftig ausatmen. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie die Luft angehalten hatte. Ohne ein Wort zu sagen, da es diesen schönen Moment zerstören könnte, lächelten sie sich an, nahmen sich wieder an der Hand und gingen schweigend weiter.
„Lass uns hierlanggehen“, meinte Lilly, als sie an einer dunklen Gasse vorbei gingen. Robert zögerte beim Anblick an diese Gasse, wo das schwache Licht der Laternen kaum den Boden berührte. „Keine Angst. Wenn wir hier lang gehen, dann kommen wir nachher durch den Park. Und dieser ist um diese Uhrzeit wunderschön. Es wird uns schon nichts passieren. Diese Gasse macht vielleicht nicht den Eindruck, aber glaube mir, dass hier ist eine sehr ruhige Gegend und ich bin hier schon sehr oft im Dunklen entlang gegangen, ohne das mir jemals etwas passiert ist. Außerdem habe ich ja heute meinem starken Beschützer dabei.“ Sie gab ihm einen raschen Kuss. Schließlich willigte Robert ein und sie betraten die Gasse.
Misstrauisch betrachtete Robert die kleine Gasse. Normalerweise würde er solch eine niemals betreten, aber schließlich war er mit Lilly unterwegs und diese schien absolut kein Problem damit zu haben. „Reicher, eingebildeter Schnösel, welcher Schiss vor einer dunklen Gasse hat!“, schimpfte er in Gedanken mit sich. Doch er ließ sich nichts anmerken, nahm die Hand der Frau an seiner Seite und setze entschlossen einen Fuß vor den anderen. Warum er seine Schritte mitzählte, wusste er nicht, sie gingen beide gerade schweigend nebeneinander und er tat es halt. Ein paar Laternen spendeten ein schwaches Licht. Nach fünfzig Schritten machte die Gasse eine leichte Biegung, sodass man sie vom einen Ende nicht mehr sehen konnte. In kurzer Entfernung konnte er große Müll Container und die Konturen von Feuerwehrleitern erkennen. Genau mit diesem Klischee hatte er sich dementsprechende Gassen immer vorgestellt. Sie hörten ein Lachen vor sich, jedoch Lilly meinte, es wären nur ein paar Jugendliche, welche sich hier versteckte, wo sie keiner sehen konnte, um heimlich zu rauchen.
Plötzlich wurde Robert zu Boden gerissen, sodass er Lillys Hand loslassen musste. Kurz darauf hörte er diese aufschreien. Robert konnte nicht nach ihr sehen, denn irgendwas drückte ihn immer noch auf den Boden. Eine Hand fasste ihm an den Haaren und drehte seinen Kopf so, dass er mitten in ein faltiges, graues Gesicht, mit wässrigen, rot unterlaufenen Augen, triefender Nase und zotteligen, dunklen Haaren blickte. Er roch den Geruch von starkem Alkohol, als das Gesicht den Mund öffnete und unterdrückte den Würge Reitz. „Na, kleiner Anzugbursche. Sieh mal einer an, heute scheint mein Glückstag zu sein! Und deiner auch! Denn wenn du tust was wir dir sagen, dann werden wir deiner kleinen Schlampe nichts tun“ Als der Kerl dies sagte, drehte er Roberts Kopf so ruckartig herum, sodass er Lilly sehen konnte. Ein anderer, Kerl hielt ihr mit der einen Hand ein Messer an den Hals und mit der anderen hielt er ihr den Mund zu. Ihre Haare waren total zerzaust, sie hatte nur noch einen Schuh an und in ihren Augen konnte er Entsetzen und Angst sehen. „Also, wie sieht es aus, kommen wir ins Geschäft?“ „Was versteht denn ihr Penner schon von Geschäften?“, presste Robert heraus. Sofort wurde er auf die Füße gerissen. Robert war ja nun wirklich nicht sehr klein und schmächtig, allerdings fühlte er sich so, als er nun den Mann, welcher in die ganze Zeit festhielt ansah. Dieser war fast einen Kopf größer als er und auch dreimal so breit wie er.
Ehe Robert es sich versah, bekam er von seinem Gegenüber eine schallende Backpfeife. „Na, na, na! Wir wollen mal nicht frech werden, es könnte ja sein, dass deine Freundin mit ein paar Narben im Gesicht nicht mehr so attraktiv ist und es wäre doch absolut schade, wenn wir euch den Spaß im Schlafzimmer nehmen, oder?“ „Was wollt ihr Schweine?“ „Hm… wie wäre es, wenn wir mal ein bisschen für Gerechtigkeit sorgen? Ihr reichen Schnösel habt so viel Geld, ihr könnt euch damit den Arsch abwischen, aber unsereins, ja, unsereins muss um jeden einzelnen Cent betteln. Also, was wollen wir wohl? Natürlich dein Geld du scheiß Architektensohn!“ Robert hatte eine schlimme Ahnung. Was wenn das die Kerle waren, die ihn und die Firma seit Wochen erpresste, die in die Privatsphäre seiner Familie eingegriffen hatten, nur weil sie Geld wollten. Geld, welches er ihnen nicht geben wollte. Und auch jetzt, hatte er nicht die Absicht, sein Geld heraus zu rücken. Woher wussten sie, dass er Architekt war, woher wussten sie, dass sein Vater es ist? Woher wussten sie, dass er reich war? Ja, Robert hatte nun keinen Zweifel, es mussten die Erpresser gewesen sein. Sie mussten ihm gefolgt sein, und nun hier aufgelauert haben, in einer dunklen Gasse, wo ihnen keiner zur Hilfe kam, wo keiner sie sehen würde. Sie waren vollkommen hilflos. Und der eine Kerl hielt Lilly immer noch ein Messer an den Hals! Er schaute der Frau, für welche er gerade erst Gefühle entdeckte, in die Augen. Er las Angst, viel Angst in ihnen. Ebenso aber auch Unglaube. Ja, er konnte es auch noch nicht fassen, dass ihnen das wirklich passierte. Aber da war noch was anderes. Etwas Flehendes. Ja, sie bittete ihn stumm darum, dass zu tun, was die Kerle von ihm wollten. Sie wollten sein Geld, das war klar. Sie wollten aber nicht nur einen Schein, nein, diese Kerle wollten, dass er ihnen hier und jetzt einen Scheck mit den von ihnen schon seit Wochen geforderten Betrag ausstellte. Natürlich würde er den Verlust nicht schmerzlich spüren, wenn er nun den Scheck ausstellen würde, aber dann hätten sie gewonnen. Dass, was er nun schon seit dem Tag, an dem der erste Erpressungsbrief sein Büro erreicht hatte, versuchte zu verhindern, wäre dann eingetreten, diese dreckigen, nach Kot und Alkohol stinkenden Kerle hätten gewonnen. Und nein, das konnte er nicht mit seinem Stolz vereinbaren. Ohne weiter nachzudenken, welche Konsequenzen sein Handeln haben könnte, riss er sich von seinem Gegner los, und trat in genau in die Weichteile. Dann versuchte er Lilly zu befreien, doch der zweite Kerl bedrohte nun ihn mit dem Messer. Er kam nicht an sie heran, ohne sich oder sie zu verletzten. Er versuchte es mit einem Täuschungsschritt, bei dem er angab in die eine Richtung zu gehen, obwohl er in Wirklichkeit in die andere gehen wollte. Doch auch das ging schief. Er spürte die Kälte des Metalls nur ganz kurz auf seinem Gesicht, dann nur noch den Schmerz und bald darauf, hatte er den metallischen Geschmack von Blut in seinem Mund. Sein eigenes Blut.
Nur für eine kurze Sekunde war er abgelenkt gewesen. Lillys Schrei erweckte wieder seine Aufmerksamkeit. Der Mann, welchem Robert in die Weichteile getreten hatte, hatte sich wieder erholt und zusammen hielten die beiden Männer Lilly nun fest und hatten anscheinend Gefallen daran gefunden, ihr immer abwechselnd eine Backpfeife zu geben. Ihre Wangen waren schon ganz blau angelaufen. Nein, das konnte er nicht zulassen. Schnell lief er ihr zur Hilfe, doch er kam nicht weit. Er lief auf einen von den beiden Kerlen zu, doch der drehte sich um und schleuderte ihn gegen eine Hauswand. Benommen von dem Stoß mit dem Kopf an der Wand, musste er erst einmal ein paar Mal blinzeln, bis er wieder klar sehen konnte. Gerade noch rechtzeitig schaute er wieder auf das Geschehen. „na, Schnösel. Ich wusste doch schon immer, dass dieses scheiß Geld euch viel wichtiger ist als alles andere. Ihr würdet lieber verrecken als etwas davon abzugeben, obwohl ihr doch so viel davon habt, dass ihr gar nicht mehr wisst, wie viel ihr eigentlich habt. Ihr Vollidioten macht unser Leben zur Hölle, also werden wir für einen kleinen Ausgleich sorgen und dein Leben nun auch zur Hölle machen.“ Mit diesen Worten packte er Lilly, war sie sich über die Schulter und sagte zu seinem Partner: „Los, lass sie uns ein bisschen verdreschen.“ Zu Roberts Entsetzten, hatte der andere auf einmal einen Schlagstock in der Hand. Als er zuschlug, hörte Robert das Knacken Lillys Wirbeln deutlich durch ihr schreien hindurch. „Nein!“, rief er und rannte erneut los. Noch einmal schlug der Kerl zu und erneut hörte man Lilly schreien. Robert lief weiter. Es war nicht richtig, was hier passierte, Lilly hatte mit der ganzen Sache absolut nichts zu tun. Doch er konnte Lilly nicht helfen. Anscheinend waren die Kerle fertig, denn kurz bevor Robert Lilly erreichte, nahm der eine Kerl sie wieder von seinen Schultern und schleuderte sie gegen die gegenüberliegende Hauswand. Lilly blieb regungslos und verkrümmt liegen. Lachend gingen die Erpresser. Völlig geschockt und verzweifelt stand Robert in der Gasse.
Er wusste nicht mehr, wie lange er dastand und in die Richtung schaute, in der die Männer verschwunden waren. Lilly! Plötzlich war er wieder fähig sich zu bewegen. Er lief zu ihr, aber sie lag immer noch regungslos da. „Lilly, Lilly, es ist vorbei! Bitte, rede mit mir!“ Sanft schlug er ihr gegen die Wangen, um zu testen, ob sie wieder zu Bewusstsein kam. Aber sie regte sich nicht. Ängstlich wich er zurück. Dann griff er wie mechanisch in seine Jackentasche und reif die Polizei, sowohl den Krankenwagen an. Er beschrieb ihnen wo sie waren und was passiert war. Die Beamten versprachen so schnell wie möglich bei ihnen zu sein.
Als er wieder aufgelegt hatte, machte sich die Verzweiflung und seine Schuldgefühle in ihm breit. Plötzlich bekam er Panik. Das Lilly hier nun so lag, das war ganz alleine seine schuld. Er war schuld, dass sie nun verletzt war, dass sie überhaupt überfallen wurden sind. Es war ganz alleine sein Verdienst. Wie sollte er nur je mit dieser Schuld fertig werden? Nein, das konnte er nicht.
Er sah sich panisch um, dann richtete er sich auf und lief. Er lief fort von der Stelle, wo das Unglück geschehen war und wo die Frau regungslos dalag, welche er vor einer Stunde noch leidenschaftlich geküsst hatte. Seine Gedanken waren ausgeschaltet, er war nicht mehr er selbst. Ausgefüllt von Hass über sich selber und Panik und Schuld lief er, er lief, um das Geschehen hinter sich zu lassen, ohne sich noch einmal umzublicken. Wenn er das getan hätte, wäre ihm vielleicht das sich nähernde Blaulicht aufgefallen und vielleicht hätte ihm das geholfen, die Kontrolle über sich wiederzugewinnen.
Als Lilly erwachte, war es tiefste Nacht. Zuerst sah sie alles nur verschwommen, doch dann erkannte sie schemenhaft drei Gestalten um sich herum. Wo war sie? „Guten Abend! Können Sie mich hören?“, fragte einer der Gestalten. „Wo bin ich?“, versuchte Lilly zu fragen, aber es kam nur ein Krächzen heraus. „Sie sind im Krankenhaus. Sie sind überfallen und schwer verletzt worden. Ganz genau wissen wir noch nicht was Ihnen passiert ist, aber sie wurden mit irgendwas am Rückenmark verletzt. Mehrere Wirbel sind gebrochen. Ihr Rückenmark ist leider sehr geschädigt. Wir wissen noch nicht eindeutiges, aber so leid es mir tut, im Moment sieht es sehr stark danach aus, als seien sie so stark verletzt, dass vielleicht bleibende Schäden wie eine Querschnittslähmung am Ende verbleiben werden.“
Ein Wort wiederholte sich immer wieder in Lillys Gedanken. Querschnittslähmung. Sie wusste tief in ihrem Inneren, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte und sie wusste auch, dass sie wovon auch immer dieser Mann da sprach, absolut nicht hören wollte. Aber sie konnte im Moment keinen klaren Gedanken fassen.
Während sie wieder die Besinnung verlor, hallte ein Wort immer und immer wieder in ihrem Kopf, ohne dass sie sich dessen Bedeutung bewusst gewesen wäre. Aber es war da und es verursachte große Schmerzen. Da ihr das Blicken zu anstrengend war, schloss sie wieder die Augen. Das letzte, was sie wahrnahm, als sie erneut ohnmächtig wurde, war dieses Wort ohne Bedeutung: Querschnittslähmung.
Tag der Veröffentlichung: 11.09.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme dieses Buch meiner Familie und meinem Freund, welche mich immer in jeder Lebenslage unterstützen und egal was ist, immer zu mir halten.
Natürlich wünsche ich auch meinen Lesern viel Vergnügen bei meinem Buch.