Das junge Paar wandert am Nachmittag im Waldviertel bei Gföhl in Richtung Jaidhof durch die Waldlandschaft. Es ist warm, sonnig und ruhig. Die Vögel zwitschern, die Bienen summen, eine beruhigende Stimmung.
„Schau Gerhard, wie romantisch. Ein Gehöft am Waldrand. Weit und breit keine Nachbarn.“
„Wirklich Flora, hier könnte man leben“, bestätigt Gerhard. „Lass es uns näher besichtigen.“
Sie kommen näher ran. Zwischen den üppig wuchernden Sträuchern wird das bröckelnde Mauerwerk sichtbar. Das Holz der Fensterrahmen ist grau und verwittert. Einzelne Scheiben sind zerbrochen.
Flora stellt enttäuscht fest, „das ist ja eine Ruine.“
Gerhard lässt seinen Blick über das Anwesen gleiten, „unbewohnt sicher, doch gut erhalten.“ Er prüft an den Türen und findet eine offen. Die Angel quietscht, als er sie aufstößt.
„Du, da dürfen wir nicht hinein“, wehrt Flora ab.
Gerhard lässt sich nicht abhalten und dringt ein. Vorsichtig, dicht an ihn gepresst, folgt ihm Flora. Sie gehen in dem halbdunklen Flur nach vor. An der Stirnfront des L-förmigen Gebäudes endet der Gang in einer schlossartigen Halle. Große Glastüren gehen auf eine davor liegende breite Terrasse. Schwach dringt das Sonnenlicht durch die unbeschädigten trüben Scheiben in den nach Südwesten ausgerichteten Raum. Es ist hell und wirkt trotzdem düster.
„Wow, das ist kein einfacher Bauernhof“, staunt Gerhard. „Schau, dieser Stiegenaufgang, die Butzenfenster und der Marmorboden. Hier haben reiche Leute gewohnt.“
Flora staunt. Die schweren mit einer dicken Staubschicht bedeckten Eichenmöbel, die kaum beschädigt sind, beeindrucken sie. Neugierig geworden meint sie, „lass uns rauf schauen.“
Sie steigen vorsichtig die massive Stiege hoch. Die Akustik der Halle verstärkt das Knarren des Holzes. Etwas huscht vor ihnen davon. Oben finden sie die eingerichteten Schlafzimmer vor. Auch hier ist alles verstaubt, die Stoffe sind zerschlissen, und doch ist noch alles vorhanden. Die Vorhänge gehen mit den Spinnweben ineinander. Es herrscht halbdunkel. Durch die schmutzigen Fenster und staubigen Vorhänge dringt nur wenig Licht von außen herein.
„Wie lange das wohl leer steht. Unheimlich, als ob die Bewohner es nur für einen Sprung verlassen haben.“
„Lass uns wieder gehen“, bettelt Flora.
„Schauen wir uns noch die unteren Räume an.“ Gerhard will alles sehen. Ihm gefällt das Haus. Er will sich nach dem Besitzer erkundigen.
Flora gibt nach und sie stöbern auch in den unteren Räumen. Sie finden Salon, Küche, Badezimmer und Weiteres. In einer Kammer, eher ein Abstellraum, hängt gegenüber dem Fenster, ein riesiges Ölgemälde. Die untergehende Sonne wirft ihre Strahlen durch die matten Scheiben des Fensters, sodass das Bild geheimnisvoll zu strahlen beginnt.
Das Gemälde, eine junge Frau mit Kind, fasziniert Gerhard. Eine Madonna? Mit offenem Mund geht er rückwärts an die Seitenwand. Da spürt er im Rücken einen spitzen Druck. Entsetzt hebt er die Hände. „Was wollen Sie?“
Flora ebenfalls in das Bild versunken, schreckt auf. „Weshalb hältst du die Hände hoch“, meint sie mit einem verwunderten Blick auf Gerhard. „Du stehst vor der Mauer.“
Gerhard dreht sich um und sieht, dass er an einem an der Wand aufgehängten Holzrechen lehnte. „Oh, ich glaube, auch ich sehe bereits Gespenster.“
Die Sonne ist hinter den Bäumen versunken. In der Kammer ist es schlagartig dunkel geworden. Die Frau auf dem Bild ist kaum mehr zu erkennen.
„Ich glaube, wir haben die Frau heute schon gesehen“, meint Flora als sie das Haus verlassen.
„Du spinnst, dem Rahmen nach, ist das Bild sicher hundert Jahre alt.“
„Die unteren Räume waren mir unheimlich“, bohrt Flora weiter. „So schummrig, voller Schatten.“
Gerhard lacht, „es ist finster geworden, das ist alles. Schade, dass ich kein Geld habe, das Haus würde mir gefallen.“
„Auch wenn wir Geld hätten, könnten wir hier in der Einschicht nicht leben. Vergiss es.“
„Das werde ich schon. Lass uns im Gasthof etwas Ordentliches essen.“
„Du denkst immer nur an das Eine“, schmollt Flora.
„Richtig, doch das machen wir erst nach dem Essen“, lacht Gerhard.
Geduscht und umgezogen nehmen sie in der Gaststube Platz. Der mittelgroße Raum, ein Gewölbe, ist fast voll. Von den Gästezimmern sind nur vier belegt. Die übrigen Speisegäste stammen aus dem Ort oder der Umgebung.
Nachdem sie bestellt haben und bereits die Suppe essen, setzt sich ein älterer Mann in einem blauen Arbeitsgewand zu ihnen an den Tisch. „Ihr habt doch nichts dagegen? Ich habe gesehen, wie ihr unser kleines Städtchen besichtigt habt.“
„Ja, wir haben uns kurz die Kirche angesehen, sind dann aber ins Umland gewandert.“ Gerhard ist zwar etwas verstimmt, weil er mit Flora alleine sein will, doch bleibt er höflich.
„Später sah ich euch zum Hornberghof gehen. Mir gehört der Hof ungefähr einen Kilometer entfernt. Mein Hof liegt fast auf der Grenze zwischen den Gemeinden Jaidhof und Gföhleramt.“
„Meinen Sie das unbewohnte Gebäude? Wissen Sie, wem es gehört?“ Gerhard erregt sich. Der Mann kennt vielleicht die Geschichte des Hauses.
Der Mann kichert, „gehört? Das weiß niemand. Seit fast zwanzig Jahren steht es leer. Es heißt, eine Frau ist dort im Kindbett gestorben. Das Kind, ein Bub lebt angeblich noch und soll rächend durch den Wald ziehen. Die Leiche der Mutter ist verschwunden. Sie soll noch immer durchs Haus wandern.“
Flora muss lachen, „wir waren drin und uns hat sie nicht begrüßt.“
Der Mann bekreuzigt sich. „Wenn dann“, stammelt er, „würden Sie nicht mehr hier sitzen. Sie schickt alle jungen Frauen zur Hölle.“
„Ach und was macht sie mit den Männern“, grinst Gerhard.
„Die treibt sie in den Wahn. Früher war in dem Haus neben der Kirche, gleich gegenüber dem Pfarrhaus, ein Pflegeheim untergebracht.“
„Für Wahnsinnige?“ Gerhard muss sich auf die Zunge beißen und dreht sein Gesicht zur Seite.
„Ja, immer wieder haben sich leichtsinnige Burschen in das Haus begeben. Furchtbar, wie sie endeten.“ Er bekreuzigt sich zum zweiten Mal.
„Jetzt nicht mehr?“
„Jeder vernünftige Mensch meidet das Haus, auch das Land rundherum. Deshalb wurde das Gebiet auch an die Gemeinde Jaidhof abgegeben. Die Priesterbrüder dort wissen, wie sie damit umgehen müssen.“
„Dann sind die Brüder, die Eigentümer?“
„Nein, ich meinte, die Gemeindegrenze wurde neu gezogen. Eben rund um den Grund des Hornberghofs. Gehören tut es einem Amerikaner. Ich habe die Wiesen über eine Anwaltskanzlei gepachtet.“
„Und keine Angst, dass die geheimnisvolle Mutter Sie in den Wahnsinn treibt?“
„Ich arbeite nur am helllichten Tag auf den Feldern. Glaubt mir, ihr seid in großer Gefahr.“
„Was ist mit dem Buben, der im Wald sein Opfer sucht?“
Inzwischen bekommen sie ihren Schweinsbraten mit Knödel.
„Scherzt nur. Ihr werdet es bereuen.“ Der Mann begibt sich mit seinem halb vollen Bier an einen anderen Tisch. Dort wird er grinsend von zwei anderen Männern begrüßt.
Flora und Gerhard machen sich noch kurz über den seltsamen Bauern lustig. Als sie mit dem Essen fertig sind, haben sie es auch schon vergessen und suchen ihr Zimmer auf.
In der Nacht haben sie andere Gedanken, als an das verlassene Haus zu denken. Glücklich, nach lustigem Spiel schlafen sie tief und fest.
Am Morgen gehen sie gut gelaunt zum Frühstück. Es gibt ein gutes reichliches Buffet. Nachdem sie ihre Teller angefüllt haben, schauen sie sich am Tisch die Speisekarte an, um für Mittag vorzubestellen.
„Ach“, Gerhard fällt fast die Speisekarte aus der Hand. „Sind Sie, ich meine.“
Die Kellnerin schaut ihn fragend an. „Haben Sie schon etwas gefunden? Was soll ich bringen? Kaffee oder Tee?“
Flora schaut von ihrem Teller hoch. Sie reißt die Augen weit auf. Die junge Frau schaut aus, wie die Frau auf dem Ölgemälde. Das gleiche ovale Gesicht, der schmale Mund und die dunklen langen Haare. „Wir haben gestern ihr Bild gesehen.“
Hanna lacht auf, „mein Bild, ja wo denn?“
„In einem unbewohnten Gehöft, am Waldrand.“ Gerhard hat sich gefasst. Interessiert schaut er sich Hanna an, dass der unbehaglich wird.
„Ist was mit dem Bild? Von welchem Gehöft sprechen Sie?“
„Hier in der Nähe, der Hornberghof, er muss seit Jahren leer stehen. Kennen Sie es nicht?“
„Nein, ich kenne es nicht und mein Bild liegt sicher nicht irgendwo herum. Also was soll ich ihnen bringen?“
„Kaffee bitte“, Flora bestellt und gibt Gerhard zu verstehen, frag nicht weiter.
Als das Fräulein weg ist, flüstert Gerhard, „wir schauen nochmals hin. Glaubst du, wir können von ihr ein Foto machen?“
„Willst du es vergleichen? Es ist nur eine Ähnlichkeit vorhanden. Du sagtest doch auch, das Gemälde ist hundert Jahre alt. Das Mädchen ist keine zwanzig.“
„Interessant ist es trotzdem. Die Schwangere kann uns auch hierher gefolgt sein, um dich zur Hölle zu schicken“, raunt Gerhard, gerade als Hanna die Kaffeekanne bringt.
„Zur Hölle schicken? Meinen Sie das blöde Märchen von der verschwundenen Leiche? Das soll in einem Haus drüben in Jaidhof sein.“
„Sie kennen den Hornberghof doch?“
„Wie das Haus heißt, weiß ich nicht. Ich war auch noch nie dort. Das dumme Gequatsche von den alten Weibern kenne ich schon.“
„Versuchen nicht mehrere Burschen hinzugehen, um ihre Männlichkeit zu beweisen“, lauert Flora.
„Mir kann keiner etwas, mit einem solchen Unsinn beweisen.“ Hanna deutet mit dem Finger an die Stirne und verzieht sich in die Küche.
Flora richtet ihr Handy, um in einem geeigneten Augenblick Hanna zu fotografieren. Sie macht es so geschickt, dass es Hanna nicht merkt.
Sie brechen auf, um nochmals das Haus aufzusuchen. Diesmal will Gerhard viele Fotos machen, um sich weiter nach dem Objekt zu erkundigen. „Ich sollte den Bauern nach dem Anwalt fragen, bei dem er gepachtet hat“, murmelt er am Weg.
Diesmal schauen sie sich alles genauer an. Flora zieht die Lade einer Kommode auf. „Schau hier ist das Besteck. Es wirkt, als ob die Bewohner es fluchtartig verlassen haben. Es fehlt sichtbar nichts, scheinbar haben sich auch keine Diebe herein getraut.“
In einem der Schlafzimmer schaut Gerhard in einen Kasten. „Da sind sogar noch die Kleider drin. Du hast recht, hier war vor uns niemand hier.“
Flora kichert und studiert gerade die Haarbürste auf dem Spiegeltisch. „Doch sicher waren welcher hier, nur sind die alle in dem Heim für Verrückte gelandet. Greif nichts an. Du wirst sonst auch wahnsinnig.“
„Wahnsinnig werde ich erst, wenn ich dir bei deiner Höllenfahrt zuschaue.“
Sie lachen und blödeln unbekümmert weiter. Bald hat Gerhard auch das Gemälde abgebildet. Flora hat einen Bartwisch mitgebracht, mit dem sie es vorher säubert.
„Schau, es ist signiert. F. Matsch 1845, den Namen habe ich schon gehört.“
Zurück im Gasthof, diesmal gibt es kaum mehr freie Plätze, sitzen sie mit zwei anderen Paaren am Mittagstisch. „Gott sei Dank haben wir vorbestellt.“
„Am Sonntag ist hier immer voll“, lächelt die füllige Dame, die neben Flora sitzt.
„Die Hausspezialitäten muss man auch vorbestellen, die gehen oft aus.“ Ein Visavis sitzender Mann gibt es zu verstehen.
Es entwickelt sich zwischen den sechs Personen eine unbefangene Unterhaltung. Flora hat eine Leberknödelsuppe, Zander mit Mayonnaise Salat und zum Abschluss Topfenpalatschinke bestellt. Als der Zander serviert wird, bringt Gerhard das Gespräch auf den Hornberghof.
„Wir haben ein unbewohntes Haus hier in der Nähe besichtigt. Ich bin daran interessiert.“
„Na so was junger Mann. Wer hat Ihnen denn den Floh ins Ohr gesetzt? Die Hütte muss doch schon halb verfallen sein. Der Hornberger hat sich damals aufgehängt. Vorher hat er noch eine Magd geschwängert. Das Ganze ist zwanzig Jahre her oder mehr?“
„Wem gehört das Gebäude?“
„Na dem Huber, nehme ich an. Der beackert die Felder dort.“
Seine Frau schaut grimmig. „Es war richtig, dass sich das Schwein selbst aufgehängt hat. Sie haben zwar behauptet, es hat wer nachgeholfen, aber wer sollte das sein? Das Mädchen tut mir leid. Sie ist damals verschwunden.“
„Sie ist sicher nicht weggegangen. Sie haben das Kleine, dass sie zur Welt brachte, zum Pfarrer gebracht.“
„Dummes Geschwätz. Das Kind ist verschwunden. Alte Betschwestern behaupteten, dass es gegen Himmel fuhr.“
„Nein, das Kind lebt. Ich weiß nur nicht wo. Die Mutter ist verschwunden“, beharrt der Gatte weiter.
„Lebt der Bub nicht im Wald und sinnt auf Rache“, wirft Gerhard spöttisch ein.
„Na, zuerst muss er doch von wem aufgezogen werden. Sie scheinen auch jeden Schwachsinn zu glauben.“
„Ich glaube es ja nicht. Das Haus gefällt mir. Ich hoffe, ich kann es erwerben.“
„Sie sind ja verrückt. Wer weiß überhaupt ob der Huber verkauft. Fragen Sie zuerst am Gemeindeamt nach.“
Es ist Sonntag. Das Gemeindeamt ist geschlossen. Gerhard sucht den Bürgermeister privat in seinem Haus auf. Der macht gerade sein Mittagsschläfchen.
„Entschuldigen Sie, dass ich am Sonntag störe aber wir fahren noch heute nach Korneuburg zurück. Ich interessiere mich für den Hornbachhof. Wissen Sie, wem er gehört und was dort geschah?“
Ein schallendes Gelächter ist die Antwort. „Wollen Sie etwas über die Gföhler Sagen wissen? Wir haben gleich gegenüber dem Gemeindeamt eine kleine Stadtzeitung. Der alte Redakteur sitzt jeden Sonntag in seinem Büro. Schauen Sie hin. Der weiß mehr als es zu Wissen gibt.“ Der Bürgermeister endet mit einem höhnischen Gekicher.
„Danke ich werde hingehen.“
Gerhard sucht das Büro der Zeitung auf. Ein 70-jähriger Mann, mit Vollglatze und weißem Vollbart, sitzt hinter einem riesigen alten Schreibtisch. Die Tischfläche lässt sich mit einem Rollladen zudecken und versperren. Neugierig schaut er dem unerwarteten Besucher entgegen. „Grüß dich. Was kann ich für dich tun?“
„Guten Tag, mein Name ist Gerhard Mai. Was können Sie mir über den Hornbachhof erzählen?“
Das faltige Gesicht glättet sich. Der Mann blüht sichtlich auf. „Der Hornbachhof? Ja die Geschichte ist mehr als mysteriös. Der Gutsherr, unverheiratet, hat sich über eine junge Magd hergemacht und sie vergewaltigt. Das arme Mädchen, eine Waise, floh aus dem Hof zum Pfarrer. Regner, der Hausherr, hat sich bereit erklärt, das Mädchen zu heiraten. Das Mädchen weigerte sich zuerst, doch als feststand, dass sie schwanger ist, willigte sie ein.“
„Ja, ja“, Gerhard wird ungeduldig. Das kennt er zum Teil schon. „Weshalb wurde das Haus verlassen?“
Dörfler der Redakteur winkt mit beiden Handflächen nach unten. „Warte ab, sei nicht so ungeduldig. Hanna kehrte auf den Hof zurück und wurde mit dem Regner vermählt. Was nun geschieht, bleibt ewig ein Rätsel.“
„Aber, genau das will ich wissen“, stößt Gerhard enttäuscht hervor.
„Es war im November, die übrigen Dienstboten hatten an dem Tag frei. Als sie heimkommen, hatte sich der Regner in der Halle am Kronleuchter aufgehängt. Man weiß nicht, wie er das gemacht hat. Es scheint schlicht unmöglich. Seine Frau Hanna aber,
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 10.02.2018
ISBN: 978-3-7438-5576-2
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