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Prolog


Prolog

Ein kleines Dorf – Anno 1456.

Eine andächtige Stille liegt über Arsim. Die Berge, die das idyllische Örtchen umschließen, lassen die Sonne erst sehr spät aufgehen. Die Straßen in ein goldenes Licht getaucht machen den Anschein ein gemächliches Leben in Arsim führen zu können. Die Tiere kommen erst verhältnismäßig spät aus ihrem Bau und den Nestern und die Vögel fangen erst spät, mit Sonnenaufgang, an ihre Lieder zu pfeifen.
Sieht man aber genauer hin kann man geschäftige Menschen auf den Gassen und Höfen eilen und arbeiten sehen.
Arsim ist mittlerweile unter die Schreckensherrschaft des Märtyrers Syla gefallen. Es gelten nun die gleichen Rechte in dem einst vertraut-heimischen Ort, wie im Rest des Landes. Abgaben müssen geleistet werden, Königshuldigung und Heiratspflicht wurden eingeführt. Das bedeutet, dass Syla sich alle 12 Monate eine Frau - oder ein Mädchen, je nachdem wie ihm beliebt - sucht und sie ehelicht. Nach exakt einem Jahr kommt diese ins Exil, zu den anderen Vorgattinnen, wo sie dann den Rest ihres Lebens verbringt.
Darum wurde Thia von jeher als Junge aufgezogen. Sie hat kurze Haare, trägt Hosen und arbeitet besser als jeder andere Sohn des Ortes. Den Hof führt sie größtenteils alleine, denn ihr Vater, seit etlichen Jahren von einer schweren Krankheit geplagt und durch diese auch zum Tode verurteilt, ist ihr mittlerweile keine große Hilfe mehr. Andere Verwandte gibt es nicht.
Bei der Übernahme Arsim’s waren Thia’s Mutter und Bruder von den Truppen Syla’s gefangen genommen worden. Thia hegt seither einen großen Hass auf Syla, weiß aber gleichzeitig, dass sie ihre abtrünnigen Gedanken für sich behalten muss.
Sie ist die geborene Rebellin und wird in Rhun’s Plänen eine wichtige Position einnehmen, doch das wusste zu dieser Zeit weder sie, noch Rhun selbst.

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1. Kapitel

Es war ein schöner Morgen in Arsim. Die Vögel hatten schon begonnen zu zwitschern und ein dünner Nebelschleier hatte sich über die Felder gelegt.
Thia war früh aufgestanden, schon 2 Stunden von Sonnenaufgang, denn je mehr Tage vergingen, desto schlechter ging es ihrem Vater. Er hatte nun schon seit 2 Jahren Atembeschwerden, konnte sich kaum mehr bewegen und litt an Schlaflosigkeit. Seiner Tochter hinterließ er ein großes Grundstück mit vielen Feldern und einigen Tieren.
Thia musste mittlerweile die meisten Arbeiten selbst übernehmen. Weitere Verwandte gab es nicht, denn ihre Mutter und ihr Bruder waren schon sehr früh aus ihrem Leben gerissen worden.
Gerade stand sie in den Ställen und melkte ihre Kuh. Sie würde ihrem Vater die Milch ans Bett bringen und ihn füttern, wie jeden Tag. Dann würde sie raus auf die Felder gehen und Unkraut rupfen. Das war eine sehr beschwerliche Arbeit, denn alleine konnte es bis zu vier Stunden dauern bis sie fertig war. Danach würde sie gleich anfangen müssen das Mittagessen für ihren Vater vorzubereiten. Manchmal überlegte sie ihn nicht richtig zu pflegen, ein oder zwei Mahlzeiten ausfallen zu lassen oder ihn nichtmehr zu Waschen. Es würde einen schnelleren Tod und weniger Schmerz für ihn bedeuten. Doch sie brachte es nicht übers Herz ihren Vater verkommen zu lassen wie wertloses Vieh.
So pflegte sie ihn Tag für Tag, fütterte ihn, wusch ihn, verabreichte ihm narkotisierende Kräuter.
Nebenher hielt Thia den Hof aufrecht, versorgte die Tiere und pflegte die Felder. Sie arbeitete von früh morgens bis spät nachts, doch es störte sie nicht. Sie war als Junge aufgewachsen, also arbeitete sie auch wie einer.
Selbst im Dorf wusste niemand, dass sie ein Mädchen war. Sie hatte kurze schwarze Haare und für ihre 19 Jahre recht kleine Brüste, die sich leicht verstecken ließen. Sie sah aus und benahm sich wie ein Junge und daher nahmen alle an, dass der Name Thia von Thiac stammt und nicht von Synthia.
Ihr Hof lag etwas abseits der anderen Häuser und Höfe, daher wurde sie in der Regel nicht bei der Arbeit gestört. Daran sollte sich heute etwas ändern.
Thia würde heute noch in die Stadt laufen um sich einen Pflug zu kaufen. Dies würde ihr die Arbeit sehr erleichtern und sie hätte so noch etwas mehr Zeit mit ihrem Vater.
Der Weg in die Stadt war angenehm. Es ging die meiste Zeit bergab, also dauerte es, obwohl der Hof so abseits lag, nicht lange bis sie die Stadt erreicht hatte. Auf dem Weg konnte sie die Hasen aus ihrem Bau schlüpfen sehen. Die Blumen am Feldrand verströmten einen angenehm frischen Duft. Zwei Mal musste Thia auf die Seite ausweichen und die schönen, bunten Blumen zertreten, denn ihr kamen zuerst eine Kutsche, dann ein Reiter entgegen. Sie konnte sich kein Bild davon machen wer sie waren oder woher sie kamen, dazu waren sie zu schnell an ihr vorüber.
Thia machte sich auch weiter keine Gedanken darüber, schließlich wollte sie nur den Pflug kaufen.
Das letzte Stück des Weges ging besonders schnell. Sie musste noch über eine kleine Brücke laufen unter der ein kristallklarer Bach hindurchfloss. Hier kam sie auch her um gelegentlich ihre Klamotten, und die ihres Vaters, neben vielen anderen Waschweibern zu waschen. Dabei wurden Thia immer die merkwürdigsten Blicke zugeworfen, denn einen Jungen sah man seltenste bei den Wascharbeiten. Das war Frauenarbeit.
Auf den Schluss dass Synthia wirklich ein Mädchen war kam jedoch glücklicherweise niemand, denn noch befand man sich in der Zeit, in der man glaubte was man sah, beziehungsweise in das was einem erzählt wurde, und nicht seinem Verstand.
Nach der Brücke musste Thia nur noch um eine Biegung und schon sah sie die ersten Häuser. Es waren einfache Holzhäuser mit Strohdächern, schließlich war Arsim kein reiches Dorf. Dennoch was es groß genug um einen Marktplatz zu besitzen, auf dem sich die Händler der Umgebung trafen um jegliche Tauschgeschäfte abzuschließen.
Hier würde Thia kein Problem haben einen Pflug zu finden. Zudem würde es keiner für seltsam empfinden wenn ein Mädchen ein Landwirtschaftsgerät ersteigern würde, denn es hielt sie ja jeder für einen Jungen, und es war durchaus üblich, dass ein Vater seine Söhne für Besorgungen in die Stadt schickte. In Thia‘s Fall gab es überhaupt keine andere Möglichkeit, denn ihr Vater konnte sich mittlerweile schon nur noch mit Müh und Not im Haus bewegen.
Heute Morgen hatte er versucht ihr klar zu machen, sie solle die Schafswolle zum Tausch mitnehmen. An dieser Aussage erkannte sie, dass er schon lange den Überblick verloren hatte, denn die Wolle hatte sie schon lange für ein kleines Fläschchen Medizin getauscht.
Stattdessen hatte sie heute ein Schwein mitgenommen. Gestern hatte Thia es geschlachtet, geweidet und in zwei geteilt.
Bevor sie ihren Weg angetreten hatte, hatte sie das Schwein in Leder gewickelt, ein Band darum gebunden und zog es nun an diesem hinter sich her. Es war nicht gerade leicht gewesen, doch genügend Kraft besaß sie allemal. Thia war mittlerweile so dicht an der Stadt, dass sie schon im Schatten der Holzhäuser stand. Noch zwei Schritte und sie würde sich in einer Gasse befinden. Sie machte einen kurzen Moment Halt und zog ihr Hemd zurecht, sodass man ihre Brüste nicht mehr ausmachen konnte.
Die Dorfleute waren wirklich leicht zu täuschen. Sie packte das große Lederbündel und drang tiefer in die Stadt vor. Arsim war das größte Dorf in der näheren Umgebung, zudem war es auch das Sauberste. Man hatte schon vor Jahren eine Sickergrube angelegt, zu der jeder ging um seine Abfälle und Exkremente zu entsorgen. Diese Grube lag etwas außerhalb der Stadt, damit es nicht so stank. Je weiter Thia zum Marktplatz vordrang, desto mehr Menschen begegneten ihr. In Arsim fand man hauptsächlich freundliche, offene Menschen. Sie musste schon nichtmehr daran denken ihre Stimme zu verstellen wenn sie jemanden grüßte. Das war mittlerweile schon Routine. Auf dem Marktplatz herrschte schon reges Treiben, obwohl die Sonne noch nicht ganz oben am Himmel stand.
„Thia!“, schrie eine ihr bekannte Stimme über den Marktplatz. Sie sah sich um und da sah sie den groß gewachsenen, jungen Mann auch schon auf sich zu rennen. Er hatte aschblondes Haar, grüne Augen und eine lange, kantige Nase, die ihm weit aus dem Gesicht stand. Dieser Mann war zweifellos Senar, Thia’s Vertrauensperson und enger Freund.
Er war der einzige der um die Lage von Thia’s Vater wusste, dennoch nicht um ihr wahres Geschlecht.
Befand Thia sich unter Menschen wurde sie automatisch zu einem Jungen. Sie hatte sich eine Maske übergestreift, welche es vermochte ein komplettes Dorf zu täuschen. Auch ihren engsten Vertrauten.
„Hallo Senar.“, sagte sie, als sie nichtmehr schreien musste damit er sie hören würde. Ihr Ton war dabei wie immer ausdruckslos, ebenso wie ihr Blick. Ihre Gefühle gab sie generell nicht preis, doch sie war sich sicher, dass er wusste, dass sie sich freute ihn zu sehen.
„Thia, es war ein Bote von Syla hier. Er hat Männer für die Akademie ausgewählt!“
Senar sah begeister aus. Noch nie hatten sie hohen Besuch im Dorf gehabt. Thia versuchte ihre Missmut zu unterdrücken: „Für die Akademie sagst du?“ Sie durfte ihn nicht sehen lassen, dass ihr diese ganze Akademie-Geschichte gegen den Strich ging, denn selbst wenn Senar für Thia eine Vertrauensperson darstellte, bestand die Gefahr dass er ihr Geheimnis unter missgünstigen Umständen ausplaudern könnte. Zudem wäre auch er selbst in Gefahr, wenn herauskäme dass er von Gegnern der Akademie wusste und es nicht der königlichen Majestät gemeldet hatte, man konnte sich nicht ausmalen, was dann mit Senar passieren würde.
„Ja für die Akademie!“, Senars Augen strahlten. Wie viele andere Dorfbewohner verschloss er die Augen vor der Wirklichkeit und lauschte der verräterischen Stimme des Königs. Hellhörig wie viele andere und doch einer Thia‘s bester Freunde.
Traute man den Gerüchten hatte Syla die Akademie ins Leben gerufen um den Schutz des Landes zu gewährleisten. Nur die besten Männer wurden ausgewählt um ihr Leben dem Land zu widmen. Mit Schweiß und Blut, so sagt man, Trainieren sie, bereiten sich auf einen Kampf vor. Doch dann gibt es auch Menschen wie Thia und ihren Vater, die sich fragen, wozu man eine Armee ausbildet, wenn nicht einmal die geringsten Anzeichen für einen Krieg bestehen. Man glaubt, Syla bilde diese Streitmacht aus, um einen lang ersehnten Krieg herbeizuführen. Man wusste nie genau, ob es noch mehr Menschen gab, die der gleichen Ansicht waren, doch Thia konnte nicht glauben dass sie die Einzige war, deren Kopf weiter denken konnte als es ihr Märtyrer-König erlaubte.
Es musste noch weitere Rebellen geben!

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Tag der Veröffentlichung: 11.03.2012

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