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I



Es war Sommer. Der zwölfte Juli und es war heiß draußen. Es war einer dieser Tage an dem keiner sich freiwillig draußen aufhielt und man nur noch von einem klimatisierten Ort zum anderen lief. Und wenn jemand zuhause keine Klimaanlage besaß, dann nannte man diese Menschen einfach arm. Einer dieser Menschen bin zum Beispiel ich. Ich, als Lehrer kann es mir nicht leisten eine Klimaanlage zu besitzen. Schließlich besitze ich nicht einmal eine Waschmaschine, die in meiner schäbigen kleinen Wohnung sowie so keinen Platz finden würde. Ja, es war Sommer und es war heiß.
Pünktlich um 6:15 Uhr weckte mich mein Wecker wie er es jeden Morgen von Montag bis Freitag tat. Ich fühlte verschlafen an dem Wecker herum und fand endlich den richtigen Knopf um das nervige Geschrille zu stillen. Dann setzte ich allmählich meine zwei Füße auf den Boden, um mich dann endlich in Richtung Küche zu bewegen. Eigentlich war die Küche Teil meines Schlafzimmer, genau wie das Wohnzimmer, aber das störte mich nicht. Schließlich wohnte ich alleine in dieser Ein-Zimmer-Wohnung.
Sobald ich in der Schule mit meinem ebenso schäbigen Auto ankam, erwischte ich zwei Jungs die einen jüngeren Jungen das Essen aus der Hand rissen. Ich sperrte mein Auto schnell ab und lief zu den drei Kindern. Als ich vor ihnen stand und versuchte ein bösen Gesichtsausdruck zu formen, sahen mich alle drei ungläubig an. Ich begann zu sprechen: „Hört auf mit dem Quatsch und gebt dem kleinen Jungen sein Brötchen wieder. Was bringt es euch ihn zu ärgern?“, fragte ich und zeigte einen respektvollen Blick.
Mit dieser Frage waren die beiden wohl überfordert und sahen sich verwundert gegenseitig an. Doch nach einem kurzen scharfen Blick meinerseits, hielt der eine große Junge dem kleinen das Brötchen vor die Nase. Er nahm es und bevor er mich dankbar ansehen konnte, ging ich bereits die Treppen ins Gebäude hinauf.
Im Schatten, halbwegs geschützt vor der Hitze, begegnete ich einigen anderen Lehrern die mich anlächelten und manchmal Hallo sagten, doch dann einfach weiter gingen. So war ich es gewohnt. Schon seit 21 Jahren spielte sich jeden Morgen das Gleiche ab und es wurde mir nie langweilig, denn bei jedem Gespräch überlegte ich mir ins genauste Detail, was wirklich hinter dem Menschen steckt. Und im Gedanken darüber, lernte ich mich über die Jahre auch selbst kennen.
Ich bin David Schiller und arbeite als Lehrer im Fach Ethik an einem bilingualen Gymnasium. Ich bin 42 Jahre alt und beschäftige mich seit vielen Jahren mit der Mentalität des Menschen.
Das weiß ich nun mit Sicherheit über mich.
Ich wurde Lehrer, weil ich die Art des Denkens von Kindern von Grund auf kennen lernen wollte. Am schwierigsten ist es aber bei älteren Menschen. Zum Beispiel bei meiner Nachbarin, die über mir wohnt. Sie ist eine allein stehende Frau ohne jene Familie. Sie besitzt nur einen kleinen York-Shire-Terrier und die große Leidenschaft für das Kochen, wie sich jeden Abend in meiner Wohnung mit offenem Fenster zeigt bzw. riecht. Ich kannte sie jedoch nicht wirklich. Ich habe sie erst zwei Mal in meinem ganzen Leben angesprochen und selbst dann war es nur ein einfaches und höfliches Hallo. Ihren Namen kannte ich nur von dem Schild unter ihrer Klingel. Gertrude Henkel. Eine Frau die mich schon seit einiger Zeit beschäftigt.
Doch zurück zu dem Hier und Jetzt.
Ich spazierte also die langen Gänge mit dem orange und grün gepunkteten Linoleum Boden entlang bis zu der Klasse in die ich jeden Dienstag Morgen um 8 Uhr hinein spazierte, um zu unterrichten.
Und so verläuft der Tag. Stunde nach Stunde gehe ich in verschiedene Räume und gebe den Kindern mein Wissen weiter, damit sie es später weiter verwenden können, bis der Schultag sich dem Ende zuneigt. Um 5 Uhr endetet meine letzte Stunde und ich konnte mich mit schwerer Tasche voller Hausaufgabenhefte nach Hause begeben. Ich quälte mich durch die Sommerhitze in meine Auto und fuhr zurück in meine kleine Wohnung.
Ich marschierte die Treppen hinauf in den dritten Stock und dachte an einen Schüler, der mich heute gefragt hatte, wie ich es wohl aushalten könnte in einer langen Hose herum zu gehen. Darauf hatte ich geantwortet: „Ich weiß es nicht“, und mit dieser Antwort hat der Junge wohl nichts anfangen können. Er sah mich unschlüssig an, wollte noch etwas sagen, doch verstummte, als die Schulglocke läutete und er schnell in seine Klasse zurück musste.
Ich trug diese altmodische Hose nicht weil sie mir gefiel, denn das tat sie nicht. Ich trug sie, weil die Hose etwas trug. Sie trug eine Erinnerung an einen Menschen, der mich schon immer am meisten beschäftigte, den ich aber nie ganz durchblicken konnte. Diese Person war eine Frau namens Linda. Sie war bildhübsch und ich wagte zu glauben, dass sie in mich verliebt war und ich gab zu, dass auch ich etwas für sie empfunden hatte. Die Geschichte der Hose und dieser Frau und deren Zusammenhang spielte sich in meinem Kopf wieder ab und brachte mich zu einem tiefen Seufzer. Bis dahin war ich schon an meiner Tür angelangt und öffnete sie mit dem Schlüssel. Der Geruch von alten Häusern überkam meine Nase wie immer, wenn ich meine Wohnung betrat. Ich legte meine Tasche auf den Boden und ließ mich auf meinem einzigen großen Sessel nieder. Mein Blick hob sich in Richtung Decke. Ich schluckte und schaffte es nicht mehr den Gedanken an sie zu vergessen. Ich vermisste sie. Meine Linda.

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Tag der Veröffentlichung: 26.08.2012

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